Die Themen und Inhalte der Fach- und Praxisaustausche sind das Ergebnis von vielen Gesprächen und Interviews mit Mitarbeitenden in Gesundheitsämtern und diversen sozialen Trägern. Sie spiegeln das wider, was uns im Vorfeld als relevant und dringend beschrieben wurde.
Drei der Termine finden während der bundesweiten Wochen gegen Rassismus statt (11. bis 24. März 2024).
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FPA 2 Sprache, Sprachmittlung und kultursensibler Umgang (online)
Mo.,11.03.24, 14:00 bis 16:30:
Sprache ist nicht nur ein neutrales Mittel zum Austausch von Informationen, sondern immer auch Spiegel der Menschen, die sie benutzen. So kann ein unsensibler oder unreflektierter Sprachumgang mit Menschen aus rassifizierten Communitys diese unbeabsichtigt verletzen oder ein Gefühl von Minderwertigkeit verstärken. Weiterbildungsangebote und Wissen über diskriminierungssensible Kommunikation im Gesundheitsamt stehen allerdings erst am Anfang.
(Sprach-)kenntnisse von medizinischen und psychosozialen Grundkonzepten können auch vom Bildungsstand und sozialen Anbindung der Klient*innen abhängen. Und auch Beschreibungen von z.B. Schmerz- oder Depressionssymptomen können kulturell variieren und erfordern ein kulturspezifisches Medizinwissen, was oft nicht Teil der regulären Fachausbildung ist. Auch Fortbildungsformate in diesem Gebiet bleiben die Ausnahme. In der Praxis eignen sich Mitarbeitende im Laufe der Zeit oft selber viel neues Wissen an oder finden kreative Lösungen, Kommunikationslücken zu schließen.
Aber auch ein begrenztes Angebot an Sprachmittlungsangeboten in Gesundheitsämtern führt in der Praxis oft zu längeren Wartezeiten für Klient*innen, zeitaufwändigeren und mehrfachen Konsultationen, Missverständnissen und damit verbunden auch Frust oder Unverständnis. So wird berichtet, dass wichtige Informationen nicht richtig verstanden und weitergegeben werden. Ausführliche Diagnostik oder Weiterbehandlung werden unter Umständen erschwert oder finden erst gar nicht statt.
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FPA 4 Mehrfachdiskriminierung im Feld sexueller und reproduktiver Gesundheit (online)
Di., 12.03.24 11:00 bis 13:30
Das Gesundheitsamt ist eine zentrale Anlaufstelle für Menschen aller Geschlechter, wenn es um Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit geht. Dabei sind die Bedürfnisse und Erfahrungen unterschiedlichster Individuen von großer Relevanz. Neben den offensichtlichen Identitätsmerkmalen spielen auch nicht unbedingt sichtbare Faktoren eine entscheidende Rolle, die zu Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung führen können.
Intersektionalität beschreibt dabei, wie verschiedene Formen der Diskriminierung miteinander verwoben sind. Menschen können aufgrund einer Vielzahl von Faktoren wie Geschlecht, sexueller Orientierung oder sozioökonomischem Status diskriminiert werden.
Klient*innen, die das Gesundheitsamt aufsuchen, umfassen beispielsweise (werdende) Mütter, Sexarbeiterinnen oder Personen, die von FGM (female genital mutilation) betroffen sind oder eine Ansteckung mit AIDS/HIV befürchten. Doch neben diesen sichtbaren Merkmalen können auch Faktoren wie die Anzahl der Kinder, Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen, verschiedene Sexpraktiken oder eine Vielfalt an Geschlechtsidentitäten die Erfahrungen und die Diskriminierung verstärken.
Um ein umfassendes Verständnis für die Herausforderungen und Bedürfnisse in diesem Bereich zu entwickeln, ist es wichtig, die Vielfalt der Identitäten und Lebensrealitäten zu berücksichtigen, um dazu beizutragen, dass die Gesundheitsversorgung für alle Menschen gerecht und diskriminierungsfrei gestaltet wird.
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FPA 3 Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Wege aus der Angst, Frust und Ohnmacht im aktuellen politischen Klima (online):
Mi., 13.03.24 12:30 bis 15:00:
Das politische Klima in Deutschland ist in Zeiten andauernder Krisen und Kriege gereizt, wie vielleicht noch nie zuvor. Radikalisierende politische Lager versprechen Lösungen. Diese führen angesichts beängstigender Wahlprognosen aber eher zu mehr gesellschaftlicher Spaltung und bedrohen somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Auf Ebene der Gesundheitsämter ist längst klar, dass Migration und Flucht nicht wegzuwünschen sind und ein sofortiges Handeln erforderlich sind - gerade auch weil die Bedarfe geflüchteter Menschen doch oft nur komplexer werden, je länger sie ignoriert werden. Zuletzt hat die Entscheidung, die Wartezeit auf Sozial- und Gesundheitsleistungen für Asylsuchende auf drei Jahre zu verdoppeln, für Unverständnis und Sorge gesorgt. Gerade Mitarbeitende, die direkt mit Asylsuchenden im Kontakt sind, wissen, dass die Grundversorgung nach AsylbLG bei weitem nicht ausreichend ist, um eine ausreichende Versorgung und Gesundheitsschutz zu gewährleisten.
Im Gesundheitsamt sind Mitarbeitenden oft die Hände gebunden, Menschen aus rassifizierten Communitys so zu helfen, wie sie es eigentlich gerade brauchen. Starre Strukturen, unklare Verantwortungsbereiche, mangelnde Ressourcen oder zu wenig Unterstützung „von oben“ werden als Gründe angeführt, warum eine angemessene Versorgung von geflüchteten Menschen unnötig verzögert, schwer nachvollziehbar, bürokratisch oder zuweilen unmöglich ist.
Mitarbeitende, die sich stark gegen Diskriminierung und Rassismus machen, berichten vereinzelt von Begegnungen, die sie motiviert haben, dran zu bleiben. Gleichzeitig kann es unglaublich frustrierend sein, immer wieder auf die gleichen Probleme zu stoßen und keine wirklich gute Lösung in Sicht zu haben. Zuspruch und Unterstützung gibt es vielleicht von einzelnen Kolleg*innen, vereinzelt von der engagierten Amtsleitung oder auch aus dem privaten Umfeld. Wirklich strukturelle Veränderungen sind angesichts der politischen Lage aber trotzdem nur schwer denkbar. Bedenken diesbezüglich werden auf Amtsebene zwar zum Teil ernst genommen, doch mangelt es an konkreter Verantwortungsübernahme und konkreten Schritten zur Ressourcenumverteilung. Mitarbeitende fühlen sich deswegen alleine gelassen. Angst, Frust und Ohnmacht können die Folgen sein. So steht langfristig nicht nur die Gesundheit der Klient*innen auf dem Spiel, sondern auch die der Mitarbeitenden.
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Das Austauschformat steht allen Mitarbeitenden der Gesundheitsämter in sämtlichen Funktions- und Arbeitsbereichen im gesamten Bundesgebiet offen, die in direkter oder indirekter Weise mit den Themen Rassismus oder Diskriminierung in Berührung kommen und Interesse an einem Dialog haben.
Hinter dem Projekt und der später folgenden Studie steht ein Forschungsteam der Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften.
Finanziert ist das Projekt vom Bundesministerium für Inneres und Heimat im Rahmen der FGZ/InRa-Verbundstudie. Mehr hierzu: https://www.fgz-risc.de/forschung/inra-studie
n.b.: Wir benutzen den Begriff „Menschen aus rassifizierten Communitys“, weil wir darauf hinweisen wollen, dass „Rasse“ (genauso wie z. B. „Ethnie“ oder „Kultur“) eine sozial konstruierte Zuschreibung ist und keiner biologischen oder sozialen Wahrheit entspricht. Es gibt also keine „Rassen“, sehr wohl gibt es aber Rassismus. Anders als die Begriffe „Migrant*innen" oder „Geflüchtete" trifft der Begriff „Menschen aus rassifizierten Communitys“ auf eine größere Gruppe zu, z.B. auch Menschen, deren Familie nicht zugewandert ist.
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