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17. Waldinger, Schulz - The Good Life
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17.

Robert Waldinger und Marc Schulz

The Good Life

.und wie es gelingen kann

Erkenntnisse aus der weltweit längsten Studie über ein erfülltes Leben.

Kösel Verlag 2023, München, 24,00 €

Paare, die eine Therapie oder Beratung aufsuchen, um ihre Konflikte unter Kontrolle zu bekommen, brauchen dafür oft lange Zeit für diesen Schritt. Die Scham ist zu groß. Aber irgendwann setzt sich ihr Kluges Unbewusstes durch (Dijksterhuis 2010). Sie spüren zutiefst, dass sie Unterstützung dabei brauchen, dass ihre Ehe, ihre Partnerschaft gelingt. Von Beginn meiner Paarberatung vor mehr als 30 Jahren an war mir das klar. So habe ich ihnen seitdem alles wissenschaftlich Fundierte zur Verfügung gestellt, dieses Ziel zu erreichen. Das war nicht immer ganz leicht, da ich mich seitens der Kolleg*innenschaft nicht selten heftigem Gegenwind ob dieser Zielorientierung stellen musste. Insofern freue ich mich, mit dieser Schwerpunktsetzung alles richtig gemacht zu haben. Denn genau das ist es, was die Autoren, wenn sie ihre Erkenntnisse „eindampfen“ müssten, sagen. Ihre „Glücksformel“ lautet: Nichts ist so wichtig für die Gesundheit, das Glück und für persönliches Aufblühen wie gute, erfüllende Beziehungen.

In dem Buch geht es also um die Frage, was ein gesundes und ein glückliches Leben ausmacht. Dabei wird Glück nicht hedonistisch verstanden als „Party ohne Ende“, sondern als sich dem Leben mit all seinen Herausforderungen zu stellen und daran zu wachsen und aufzublühen. Dabei spielt die Verbundenheit einer intimen exklusiven Ehe, einer Partnerschaft die zentrale Rolle und das über alle Kulturkreise hinweg. Sieht man sich dieselben Arten von Daten im Laufe der Zeit immer wieder an, Daten einer großen Anzahl von Menschen und aus vielen Studien, treten irgendwann Muster hervor und es zeigen sich Prädikatoren - Anzeichen, anhand derer eine Vorhersage getroffen werden kann - für das menschliche Gedeihen. Aus vielen Prädikatoren für Gesundheit und Zufriedenheit, von ausgewogener Ernährung über regelmäßige Bewegung bis zum ausreichenden Einkommen, sticht ein Leben voller erfüllender Beziehung als besonders wirkungsvoll und nachhaltig hervor.

Die Grundlage für diese pointierte Aussage ist die an der Harvard Medical School seit 1938 fortlaufend durchgeführte Study of Adult Development, die das Leben mittlerweile zweier Generationen von Menschen aus bestimmten Familien lang begleitet. Darüber hinaus sind Veröffentlichungen ähnlicher Studien, die Menschen mit diversen kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründen, Geschlechtsidentitäten und Ethnien umfassen, eingeflossen. Ergebnisse, die von anderen Studien gestützt werden, werden besonders hervorgehoben, Ergebnisse, die auf Frauen, People of Color, Menschen, die sich als LGBTQIA+identifizieren und eine ganze Palette sozioökonomischer Gruppen weltweit gleichermaßen zutreffen. Die Autoren legen mit dem Buch offen, was sie im Rahmen der Studie über das Menschsein, über die universelle Erfahrung des Daseins gelernt haben.

Aufgrund der regelmäßigen Interviews und der Erfassung medizinischer Daten ist es z.B. möglich, festzustellen, dass nicht etwa der Cholesterinspiegel darüber entscheidet, wie alt jemand wird. Es ist die Zufriedenheit in der Beziehung. Die Menschen, die mit 50 am zufriedensten in ihrer Beziehung waren, waren mit 80 die sowohl geistig als auch körperlich gesündesten.

Der Bezug zur Bindungsforschung ist naheliegend. Mary Ainsworth hatte in den 70er Jahren die „Strange Situation“, die „unbekannte Situation“ als Forschungsdesign entwickelt um herauszufinden, wie Kinder reagieren, wenn sie nach einer kurzen Zeit nicht mehr mit der Bindungsperson, sondern mit einer fremden allein gelassen werden. Aus diesen Ergebnissen konnten die sichere Bindung, die vermeidende und die verstrickte Bindungsrepräsentation extrahiert werden. Diese Erforschungsergebnisse korrespondieren in hohem Maße mit den Verhaltensweisen Erwachsener, denn in einigen Grundzügen ist das Erwachsenenleben im Ganzen eine hochkomplexe Echtversion der „unbekannten Situation“. Ähnlich wie ein Kind, das von einem Elternteil getrennt wird, sehnt sich jeder Mensch nach Sicherheit, nach dem, was in der Psychologie sichere Basis der Bindung genannt wird. Ein Kind, dessen Mutter sich nicht im Raum befindet, kann sich bedroht fühlen, ebenso wie ein Erwachsener durch eine beängstigende ärztliche Diagnose. Beide brauchen dann das Gefühl, dass jemand für sie da ist. Diese Bindungssicherheit kann auch im Erwachsenenalter variieren, denn viele Menschen können nicht als vollständig sicher gebunden eingestuft werden. Der eine klammert sich in schwierigen Situationen vielleicht an andere, hat aber Probleme damit, den Trost, den er sucht, auch zu finden, während der andere Nähe vielleicht vermeidet, weil er tief im Innersten fürchtet, Menschen, denen er zu Last fällt, zu vertreiben. Wieder andere sind vielleicht nicht davon überzeugt, überhaupt liebenswert zu sein. Und dennoch brauchen wir alle Verbundenheit. Vielleicht fallen Ihnen aus der Beratungsarbeit sofort Menschen ein, die in Stresssituationen vielleicht so reagieren.

Für die Paarberatungsszene halte ich die Ergebnisse der Studie für ein Hallo Wach! Wir sollten alles daransetzen, Paare beim Gelingen ihrer Partnerschaft zu unterstützen. Dazu gibt es auf Grundlage der Bindungs-, Mentalisierungs- und Emotionsforschung erfolgreiche Wege, wie etwa die Emotionsfokussierte Paartherapie (Johnson 2020) oder die Partnerschule (Sanders 2022).

Das Buch ist spannend und nachvollziehbar geschrieben, so dass wirklich jeder und jede es lesen kann. Man findet sich nicht nur in der Gestaltung der eigenen Partnerschaft und Familie wieder, sondern bekommt auch eine Fülle an Impulsen, um die eigene Beziehung in eine gute Richtung entwickeln zu können.

Dijksterhuis, A. (2010). Das kluge Unbewusste. Denken mit Gefühl und Intuition. Stuttgart: Klett Cotta.

Johnson, S.M. (2020). Bindungstheorie in der Praxis - Emotionsfokussierte Therapie mit Einzelnen, Paaren und Familien. Paderborn: Junfermann.

Sanders R. (2022). Partnerschule - Paartherapie im Integrativen Verfahren. Paderborn: Junfermann.

Rezension von Dr. Rudolf Sanders