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Stadt und Natur
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Kurzutopien

Stadt und Natur

Stefan Urs Billeter

Xaver-Alexander Taibert


Ausgehend von dem Lebensraum Stadt verbreiteten sich die industriegesellschaftlichen Umweltbelastungen, darum war es nur folgerichtig, dass den Städten zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine zentrale Rolle zur Lösung der entstandenen Problematik zufiel. Dabei galt das oft genannte oberste Ziel, die Stadt möglichst umweltschonend und attraktiv für den Menschen zu gestalten. Sie wurde dabei überwiegend als ein Gegenpol zur Natur verstanden, dessen Resilienz gegenüber Umwelteinflüssen ein zentrales Kriterium war.

Es hat eine Weile gebraucht, bis die Städte als Habitat für Mensch und Natur gleichermaßen gedacht und geplant wurden.

Im Jahr 2020 als das Bewusstwerden über die globale Verantwortung der Menschen seinen Anfang nahm, war das städtische Umland durch Monokulturen geprägt. Es gab wenige Nischen, in welchen die für uns so wichtige Biodiversität sich entfalten konnte. Um diese nicht weiter zu vernichten, gab es in den Städten einen großen Nachverdichtungsdruck. Dabei boten die Städte wichtige ökologische Nischen für viele Arten, welche die Nachverdichtungstendenzen stark bedrohten. Zusätzlich gingen wichtige Erholungsflächen für den Menschen verloren, die Stadt wurde weniger klimaresilient und innerstädtische Ökosysteme verschwanden.

Damals wurde das Wissen um Stadt und Natur miteinander zu vereinen kaum genutzt. Die heutzutage verbreitete symbiotische Architektur für Mensch und Natur und das Animal Aided Design steckten damals noch in den Kinderschuhen.

Der Ansatz, der zu dem Durchbruch der genannten Strategien des Bauens für Mensch und Natur gleichermaßen sorgte, waren die Stadtnationalparks, welche heute fast in jeder Stadt anzutreffen sind.

Als die Initiative „London National Park City“ das erste Mal 2019 eine Stadt zum Nationalpark erklärte, konnte sich keiner erträumen, wie diese Denkweise die Städte in den nächsten 50 Jahren transformieren sollte. Damals handelte es sich lediglich um einen Ansatz, der hauptsächlich Aufmerksamkeit für den Schutz und die Wertschätzung der Stadtnatur generieren sollte.

Damals gab es lediglich Nationalparks außerhalb der Städte, in welchen die Natur ohne menschlichen Einfluss Platz zur Entfaltung bekommen sollte. Wie wir wissen, handelte es sich bei den Stadtnationalparks nicht um Flächen, in welchen die gleichen Regularien der damals verbreiteten Nationalparks anerkannt werden sollten. Vielmehr sind es Flächen, in denen der Mensch nicht priorisiert wird, sondern mit der Natur auf der gleichen Ebene ist.

Damals waren die Städte die schnellst wachsenden Lebensräume der Welt. Ein logischer Schritt war es, durch Maßnahmen wie die Stadtnationalparks die Biodiversität in diesen Lebensräumen zu schützen und zu fördern. Darüber hinaus handelte es sich um die dringend notwendige Einsicht, dass in Zeiten des Anthropozäns, der Einfluss der Menschen auf jegliche Form des Lebens auf der Welt nicht mehr zu vermeiden ist.

Es brauchte sehr lange bis die Menschheit diese traurige Tatsache anerkannte. Umso wichtiger war es, dass sich die Menschen entschlossen, dies zu akzeptieren und konstruktiv zu gestalten.

Dank diesem entschlossenen Vorgehen konnte sich die Natur, auf die wir angewiesen sind, sich in Teilen regenerieren.

Mit diesem Schritt wurde man sich bewusst, dass es sich um eine Form des Mutualismus zwischen der Natur und den Menschen handelt, der auf langer Sicht nur für einen der beiden Seiten lebensnotwendig ist, und zwar für uns Menschen.

Dank dieser Erkenntnis konnte man eine für die Natur, also auch für uns Menschen lebenswerte Welt erhalten.

Der Ilmpark in Weimar

Wie diese Entwicklung vonstattenging, zeigt uns der Ilmpark in Weimar, der damals eine Vorreiterrolle einnahm.

Man wurde sich relativ früh über die Relevanz der Ökosystemdienstleistungen des Parks für die Besucher*innen und Anwohner*innen bewusst.

Der schon damals geschichtsträchtige Ort, wurde im Jahr 2020 erneut zum Vorbild und leitete eine neue Phase im Umgang mit der Stadtnatur ein. Nachdem eine Musealisierung des Unesco-Weltkulturerbes über lange Zeit aufrechterhalten, vorangetrieben wurde, verdeutlichte sich im Jahr 2020, dass durch den Klimawandel der Park nicht in dieser Form weitergeführt werden konnte. Ein neues, zeitgemäßes Konzept war gefragt.

Zu dieser Zeit wurde den Menschen langsam klar, dass es Parks wie den Ilmpark braucht, um durch die Klimaresilienz die Zukunft der Städte zu gewährleisten. Vereinzelte Konzepte der damaligen Zeit zeigen, dass die Menschen wussten, dass diese Flächen für sie wichtig waren. So gab es erste Ansätze wie beispielsweise Flächen zur Abkühlung von aufgeheizten Städten oder Pufferflächen für Hochwasserereignisse und ähnliches. Um dieses Bewusstsein zu erzeugen wurde der Begriff „Ökosystemdienstleistungen“ geschaffen. Es handelte sich um ein Konzept, welches die Abhängigkeit der Menschen von der natürlichen Umwelt thematisiert (Kirchhoff 2019: 807). Der Begriff beschreibt das Verhältnis zwischen den Menschen und der Natur aus einer klar anthropozentrischen Sichtweise. Das bedeutet, dass der Zweck des Naturschutzes aus dem Nutzen für die Menschen begründet ist (ebd.). Bei dem Begriff handelt es sich also um eine deutliche Abgrenzung von einer physiozentrischen Position, welche beinhaltet, dass die ökologischen Systeme aufgrund ihres Selbstwertes zu schützen sind (ebd.). Darüber hinaus ist es eine Abkehr von der Vorstellung von Naturphänomenen, als zu schützende Schöpfung Gottes, dem sogenannten theozentrischen Ansatz (ebd.). Es scheint, als haben wir damals für alles einen wirtschaftlichen, ökonomischen Wert gebraucht, um die Wichtigkeit einzelner Aspekte fassen zu können.

So war es auch anfangs im Ilmpark. Man konzentrierte sich auf vier Kategorien der Ökosystemdienstleistungen. Die Basisleistungen, Versorgungsleistungen, Regulierungsleistungen und die kulturellen Leistungen.

Die Basisleistungen sind grundlegende Abläufe in der Natur, welche das Funktionieren der Ökosysteme erst gewährleisten.

Um dafür ein Bewusstsein zu schaffen, wurden die Besucher*innen über die Relevanz dieser Leistungen informiert. In Thüringen war zu dieser Zeit die begrenzte Ressource des Bodens durch Intensivlandwirtschaft stark gefährdet. Die Lebensgrundlage der Menschen war mit Nitraten belastet, stark verdichtet und es gab viel Winderrosion. Diese Faktoren führten dazu, dass die Fruchtbarkeit des Bodens signifikant abnahm.

Im Park wurden - an den Übergangsflächen angrenzend zur Stadt und zur Landwirtschaft- die Bevölkerung über die Relevanz der Biosystemdienstleistung informiert und darauf hingewiesen, welcher Gefahr sie sich derzeit durch den verschwenderischen Umgang aussetzten.

Außerdem wurde die Biodiversität gestärkt. Durch gezielte Analysen erkannte man das Potenzial für Wiesenbrüter, welche insbesondere in Thüringen zu dieser Zeit stark gefährdet waren und ohne die weit verbreiteten radikal eingezäunten Schutzzonen heute ausgestorben wären.

Die Versorgungsleistungen sind die „Dienstleistungen“ der Natur, die direkt den Menschen mit Ressourcen versorgen. In dieser Hinsicht hatte man sich stark von den Lebensmitteln entfremdet. Die Menschen kauften saisonunabhängig Obst und Gemüse, welches aus aller Welt zu ihnen transportiert wurde!

Die lokalen essbaren Lebensmittel waren in Folge dessen in Vergessenheit geraten. Dieses Problem wurde in dem Park direkt thematisiert und natürlich wurde der Park durch lokale essbare Pflanzen bepflanzt, wie z.B. Felsenbirne, Aronia- und Mispelbäume und Hirse.

Die Menschen damals kannten jedoch lediglich einen Bruchteil dieser, wie beispielsweise Apfel- und Birnen Bäume. Die Versorgungsleistung durch Essbare Wildpflanzen, wie Giersch, Vogelmiere, Gänseblümchen, Brennnessel und Löwenzahn war damals ganz vergessen, diese wurden sogar als Unkraut bezeichnet!

Darum wurden in dem Ilmpark diese Wildpflanzen, welche keiner Pflege bedürfen großräumig angebaut. Damit sie durch die Bevölkerung genutzt werden können, wurden viele Informationen über das Aussehen und die Ernte den Parkbesucher*innen zugänglich gemacht. Darüber hinaus startete eine Kooperation mit dem Bienenmuseum Weimar. Diese beinhaltet ein gezieltes Schaffen blütenreicher Lebensräume, da der Mensch damals auf dem besten Wege war, die Bienen auszurotten. Man mag es sich kaum vorstellen, was das für Konsequenzen gehabt hätte.

Die Regulierungsleistungen sind die unterschiedlichen Funktionen der Natur, die das Leben für die Menschen erträglich machen. Dazu gehört beispielsweise die Temperaturregulation oder das Reinigen von Gewässern.

Im Park war damals die Ilm stark durch die Menschen verschmutzt. Es gelang, dank der Reinigungsfunktion von Pflanzen, das Wasser wieder zu säubern. Darüber hinaus wurde die Ilm für die Menschen besser zugänglich gemacht. So wurde der Fluss für Mensch und Natur wieder nutzbar.

Durch die geschichtliche Relevanz war klar, wie die durchgeplante und durchstrukturierte Natur des Parks kulturelle Leistungen erbrachte. Der Park kann auf eine Vielzahl an Menschen zurückblicken, die in ihm Inspiration und Erholung fanden: Viele bedeutende Persönlichkeiten wie Goethe, Johannes Itten, Franz Liszt und einige weitere erlebten die Ästhetik des Parks und sammelten dort möglicherweise Anregungen für ihre Werke. Aber auch die Student*innen der Bauhaus-Universität und der Hochschule für Musik ‘ Franz Liszt‘ in unmittelbarer Nähe des Parks konnten in ihm Ausgleich und Inspiration finden.

Die ohnehin schon ausgeprägten kulturellen Leistungen wurden durch den bildenden Aspekt der einzelnen Interventionen im Park noch verstärkt. Eine Sensibilisierung der Besucher*innen fand statt, während zuvor der Park ein regelrechtes Müllproblem hatte, schaffte man ein Bewusstsein für das sensible Umfeld der Menschen und die Abhängigkeit von diesem. So wurde der Park nicht nur sauber gehalten, irgendwann begann man mit der heutzutage selbstverständlichen, naturpriorisierten Pflege unserer Natur.

Der Park schaffte es, die dringend notwendige Transformation anzukurbeln und erreichte eine Vorbildfunktion. Viele Städte zogen nach, so dass wir den aktuellen Stand erreichen konnten.

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