30.
Wolfgang Wöller
Psychodynamische Psychotherapie
Lehrbuch der ressourcenorientierten Praxis
Schattauer Verlag, Stuttgart 2022, 75 €
Der Abschied von der „Pferderennen Mentalität“, die darin besteht, dass immer wieder neue Behandlungstechniken ins Rennen geschickt werden, die im Vergleich zu bisherigen Methoden bessere Ergebnisse erzielen sollen, ist ein zentrales Anliegen des Autors. Nach gegenwärtigem Wissensstand ist eine solche Haltung nicht mehr zeitgemäß, da auch neue Techniken den bisherigen überzeugend sich als überlegen erweisen werden. Entscheidend ist vor allen Dingen die Persönlichkeit des Therapeuten, der Therapeutin und deren Fähigkeit, ein tragfähiges therapeutisches Bündnis aufzubauen. Hierbei spielt der Blick auf die Ressourcen, auf das was Klienten und Patienten mitbringen, eine zentrale Rolle. So bedauert Wolfgang Wöller ausdrücklich, dass der Hinweis genau auf diese durch Klaus Grawe (2000) in der Psychodynamischen Psychotherapie bisher wenig Resonanz gefunden hat.
Ebenso weist er darauf hin wie wichtig es ist, den Körper des Klienten im Blick zu haben, denn die Psyche ist unabweisbar immer im Körper eingebettet. So sind psychologische Konstrukte ohne Bezug auf den Körper unzureichend und es gilt ein neues Interesse in der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie an nonverbaler Kommunikation zu wecken. Denn die ständig anwachsende Forschung zum Phänomen des Embodiment hat überzeugend gezeigt, dass Emotionen untrennbar mit körperlicher Manifestation verbunden sind. Körperliche Empfindungen und Verhaltensweisen, Ausdrucksbewegungen und Körperhaltungen beeinflussen unsere Reaktion gegenüber Personen und Situationen und wirken auf diese in zirkuläre Weise zurück.
Master-Therapeuten, also diejenigen die besonders erfolgreich in ihrer Therapie sind hin, zeichnen sich durch eine behandlungstechnische Flexibilität aus, die von den individuellen Bedürfnissen ihrer Patienten ausgehend unterschiedliche therapeutische Zugänge wählen. Und je nachdem welche Problematik vorliegt auf psychodynamische oder verhaltenstherapeutische Strategien zurückgreifen. Hier sind wir wieder bei den Empfehlungen von Klaus Grawe (1998), dem es auch ein wichtiges Anliegen war, schulenübergreifend die tatsächlichen Bedürfnisse eines Patienten zu erfassen und eine angemessene Antwort darauf mit diesem zu finden.
Das vielfach empirisch bestätigte Prinzip der Ressourcenaktivierung, das als eines der wichtigsten Prinzipien jeder Form von Psychotherapie gilt, generiert positive Emotionen. Diese Förderung positiver Emotionalität ist niemals Selbstzweck und von einer oberflächlich harmonisierende Beziehungsgestaltung weit entfernt. Doch sie wird Voraussetzungen schaffen, dass Schmerz, Leid und Scham in der therapeutischen Beziehung Raum haben und pathogene motivationale Konflikte bewusst werden dürfen. Diese positive Emotionalität wird dann Grundlage für eine sichere und kooperative therapeutische Beziehung, die benötigt wird, um Ich-Funktionen der Selbst- und Beziehungsregulation zu restituieren und abgespaltene dramatische Erinnerungsfragmente in den Repräsentanzen des Alltags integrieren.
Katharina Klees (2018) konnte deutlich machen, wie frühe Verletzungen des Bindungsbedürfnisses Auswirkungen haben auf das Miteinander in Partnerschaften. Gerade in der Ehe-, Partnerschafts-, Familien- und Lebensberatung können wir davon ausgehen, dass die überwiegende Zahl der Ratsuchenden genau solche Erfahrungen gemacht haben dürften (Saßmann & Klann 2004). So bietet der tiefenpsychologische Blick und die hier aufgezeigten Grundlagen einer ressourcenorientierten psychodynamischen Therapie eine wertvolle Hilfe, Unbewusstes bewusst zu machen und dann Möglichkeiten zum Aufbau von stabilen Ich-Funktionen zu eröffnen. Oder, um wieder Klaus Grawe (1996) zu zitieren, der die Verbindung der Klärungs- und Bewältigungsperspektive als wichtigstes therapeutisches Wirkprinzip benennt.
Grawe, K. (1996). Klärung und Bewältigung: Zum Verhältnis der beiden wichtigsten therapeutischen Wirkprinzipien. In H. Reinecker & D. Schmelzer (Hrsg.), Verhaltenstherapie, Selbstregulation, Selbstmanagement (S. 49-74). Göttingen: Hogrefe.
Grawe, K. (2000). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.
Klees, K. (2018). Traumasensible Paartherapie: Mit dem Traum(a)-Haus-Konzept aus der Beziehungskrise. Paderborn: Junfermann.
Saßmann, H. & Klann, N. (2004). Wünsche der Ratsuchenden und Erfahrungen von BeraterInnen als Orientierung für eine bedarfsgerechte Planung. Beratung Aktuell, 5, S. 151-164.
Rezension von Dr. Rudolf Sanders