6.2. Weitere Ur-Geschichten
Turmbau zu Babel – von Pieter Bruegel d. Ä. (1563); Bildquelle: www.zeno.org |
Dieser Abschnitt beinhaltet die weiteren Texte in der Genesis bis zu den Väter- geschichten (ab Kapitel 12)
Im Wortlaut ermordet Kain seinen Bruder Abel aus Neid, weil die Opfergabe von Abel von Gott mehr angesehen wurde (Gunst Gottes). Da Kain seine Tat vor Gott nicht eingesteht und leugnet, verflucht ihn Gott. Daraufhin wird Kain seine Tat bewusst und bereut sie. Gott gibt ihm eine zweite Chance und mildert seine Strafe, für die er letztendlich selbst verantwortlich ist.
Schließlich gebietet Gott, dass niemand Kain für seine Untat richten (töten) darf. Ab Vers 14 wird dargestellt, wie rasant sich Kains Nachkommen entwickeln. Sie bauen große Städte, beherrschen die Schmiedekunst (Fortschritt) und fördern die Musik (Kultur). In ihrem egoistischen Streben und einer Arroganz würdigen sie sich selbst, erkennen nicht Gottes Tun (Hilfe) und verließen somit den Glauben. Des Weiteren wird berichtet, dass Eva einen Sohn Seth bekam, dessen Sohn Enoch wieder zum wahrhaftigen Glauben fand und Gott ehrte und seine Taten würdigte.
Dazu folgende Informationen:
Die mythologische Aussage
Eine der größten Gefährdung der Menschheit liegt in seinen egoistischen Trieben. Missgunst und Neid sind dabei Faktoren, die Unrecht und Feindschaft zwischen den Menschen bewirken. In ihrem Streben entfernen sie sich von Gott, statt den Glauben in Bescheidenheit zu leben. Es kann halt nicht jeder der Beste sein oder eine bedeutende Stellung haben, also sollte jeder in sich gehen, sich erkennen und seinem Stand bzw. seiner Fähigkeit entsprechen. Sollte man dennoch sündig werden, in Wort und Tat, sollte der Sünder zu seinem Handeln stehen (bekennen), damit die Strafe gemildert und dem wahrhaft Bereuenden eine neue Chance gegeben werden kann. Es genügt nicht, seelenlos Gott zu würdigen, wie es Kain tat und deshalb sein Opfer nicht gewürdigt wurde. Wer mechanisch (Riten, Sitten) den Glauben umsetzt und nicht den Glauben lebt, der entfernt sich von Gott.
Je weiter die kulturelle und technische Entwicklung voranschreitet (Entwicklung), vergrößert sich die Gefahr für die Zivilisation, sich von Gott zu entfernen und läuft Gefahr, sich selbst als ein Gott zu fühlen oder sich imaginäre Götzen zu erschaffen.
Die historische Aussage
Im Text ist Abel ein Schafhirte und symbolisiert die semitischen Nomaden. Nach seinem Tod folgt ihm Seth und über Enosch bildet sich wieder ein Viehzüchter. Die Nomaden bezeichnen somit den Ursprung der israelischen Stämme, die als gottesfürchtig charakterisiert werden.
Kain dagegen ist Ackerbauer und symbolisiert daher den kulturellen Aufstieg in Mesopotamien. Städtebau und Eisenschmiede sind typische Kennzeichen einer Hochkultur. Demzufolge stehen Kains Nachfahren für die vorsintflutlichen Kulturen, speziell der mesopotamischen Kulturen seit den Sumerern und der zeitgemäßen Anspielung auf die Kanaanäer.
In deren Entwicklungsstreben lag immer die Gefahr, sich von Gott zu entfernen und sich selbst als Götter aufzuführen oder Gott lediglich sporadisch zu ehren. Trotz positiver Entwicklungen, wie der Musikkultur durch Jubal, stieg die Sündenlast, die in ihrem Streben Gottes Wege ignorierten und sich stattdessen eigene Götzen (Götter) schafften. In Lamech‘s Lied klingt die Sündenlast an, indem er erkennt, dass Kains Sünden 7 Mal gerächt werden sollten, aber seine Sünden (Lamech) 77-mal. Das bedeutet, die Summe der Verfehlungen sind bis zur Flut um ein Vielfaches angestiegen. Die jahwistischen Schriftgelehrten werfen damit den früheren Kulturreichen vor, sich von Gott entfernt zu haben. Auch wenn und weil sie sich beachtlich entwickelt haben, erkennen sie nicht Gottes Tun, sondern lassen sich von einem arroganten Egoismus vergiften und betrachten sich selbst als Götter. Mit ihrem Text deklassieren die Schriftgelehrten somit die alten Kulturreiche und werten ideell das israelische Volk auf. Sie unterstreichen, dass jene angebeteten Götter der Kulturreiche keine realen Götter sind, sondern erfundene Götzen sind, deren Kult im Sinne der Herrschenden stehen.
In den folgenden Texten wird dieser Gedanke weitergeführt und unterstreicht die Ansicht, dass es nur einen Gott gibt und der hat sich das Volk Israel als Gottesvolk ausgesucht. Rückblickend auf der Grundlage des entstandenen Königreichs prophezeiten die Schriftgelehrten, dass Gott nach wie vor sein Volk Israel über die gesamte bekannte Welt herrschen will. Bei einer genauen Textanalyse wird dieser Grundgedanke sichtbar, zumal das Volk der Juden zur Zeit der Priesterschrift kein eigenes Reich mehr besaß. Der Text soll daher motivieren, dass die Juden wieder zu Gott zu finden und den neuen Bund annehmen, um wieder ein großes Volk zu werden.
Die biblische Genealogie umfasst die direkte Stammbaumlinie von Adam bis Noah und listet nur die bedeutendsten Personen auf. Es werden keine Verzweigungen aufgeführt, wie sie ansonsten für einen Stammbaum typisch wären, weitere Nachfahren bleiben namenlos und werden als „zeugte Söhne und Töchter“ erwähnt. Im eingefügten priesterlichen Text wurde versucht, die Bedeutung von Noah herauszustellen. Es wurde Adams Sohn Kain nicht erwähnt, aber der gottesfürchtige Seth, in deren Linie später Henoch und Lamech folgten.
Anders als im jahwistischen Text (Gen 4), wird hier Henoch („er wandelte mit Gott“) als besonders gottesfürchtig hervorgehoben. In Kapitel 4 ist Enosch nur gottergeben und Henoch ist ein direkter Nachfahre des „verfluchten“ Brudermörders Kain. Das Problem ist die versteckte Wortsymbolik, die verschiedenartig auslegbar ist. Im Wandel der hebräischen Sprache ist mit Enosch und Henoch offenbar dieselbe Person gemeint. Henoch bedeutet, der Hingebende, der sich Gott Zuwendende.
Möglicherweise wollten die Priester, dem Stammbaum Kains (Gen 4), die gottesfürchtige Line Seth dagegen setzen, deren Linien sich bei Henoch kreuzte und dadurch beide Stammbäume mit Lamech endgültig zur verderbten Menschheit führte. Erst Noah, ist der Letzte und der Einzige, der von Gott als vertrauenswürdig (gottesfürchtig) erachtet wird. Für die Priester war es somit wichtig, eine Linie zu entwerfen, die im übertragenen Sinn die Völker der bekannten Welt (Sumerer, Assyrer, Ägypter) einschließt, um Gottes Anspruch auf die ganze Welt zu unterstreichen. Alle Menschen sind Gottes Schöpfung, die sich vor der Sintflut aber durch ihr böses Tun von Gott entfernten. Die priesterliche Genealogie zeigt die Stammbaumlinie an, wodurch die Sintflut verhindert werden konnte. Aber mit
Lamech erreicht diese hoffnungsvolle Linie den Höhepunkt der Sünde. Mit der Zahlensymbolik der Priesterschrift führen sie den Nachweis für die steigende Sündenlast der Menschheit.
Gematrisch drücken die Alterszahlen das Verhältnis zu Gott aus und charakterisieren zusätzlich die Personen. Es werden absichtlich hohe Altersangaben (Methusalem 969 Jahre) verwendet, um die einstmalige Nähe der Menschen zu Gott darzustellen. Die Zahlen symbolisieren einerseits die Nähe des Menschen zu Gott bis zur Unsterblichkeit und einer möglich gewesenen Rückkehr ins Paradies.
Andererseits haben die Zahlen eine Mehrfachdeutung (s. „5. Zeichen-Zahlen-Symbolik“), die von den Gelehrten unterschiedlich interpretiert wurden und werden. Wichtig ist, dass die Zahlen keine realen Altersangaben von Personen sind und keine Epoche (geistige Nachfolger) bezeichnen. Die Zahlen haben in ihrem Kern vor allem eine symbolische Aussage. Die Genealogie spiegelt mit ihrer Symbolik einen Entwicklungsweg der Menschen wieder und macht den Anspruch Gottes auf die Welt deutlich.
Die Passage von den Gottessöhnen und Menschentöchter schloss sich ursprünglich am Kapitel 4 an und offenbart in knappen Worten den Gipfel der Sündhaftigkeit zum Ausdruck. Jedoch durch die eingeschobene Genealogie verschärft sich der Text von den Gottessöhnen in seiner Aussage.
Da Henoch (Enosch) mit Gott wandelte, fühlten sich deren Nachfahren in Gottes Gunst und führten sich selbstherrlich als langlebige Götter auf. Sie nahmen sich verwerfliche Rechte heraus („nahmen sich Frauen, welche sie wollten“) und Gott strafte sie, indem er das Lebensalter der Menschen auf 120 Jahre senkte. Doch die Menschen waren nicht belehrt und das Geschlecht Lamech brachte das Bösartige weiterhin auf die Welt, lediglich Lamechs Sohn Noah war eine Ausnahme.
Die anderen Nachkommen spielten sich als Gottessöhne auf und schufen Riesen, die über andere Menschen herrschten. Gottessöhne meinen letztendlich die falschen Priester, die ihren eigenen Gott (vorstellen) schufen und sich selbst göttlich darstellten. Als Riesen sind die weltlichen Herrscher gemeint, die durch die Priester ihren Stand errangen.
Im übertragenen Sinne sind die hochmütigen alten Hochkulturen (Sumerer, Akkader) gemeint und auch die berühmten Helden der Vorzeit. Sie waren verblendet von den geprägten Götzen, die nicht Gottes Handeln erkannten. Es klingt bereits an, dass die Großreiche der Gegenwart, weiter vom alten Geist verblendet waren. Da Assyrer, Ägypter usw. aus der Sintflut nichts gelernt haben und weiterhin die Götzen anbeteten, konnten sie nicht zu Gottes Volk werden. Götzen bezeichnen nach jüdischer Ansicht falsche Götter, die nicht existieren oder von den Herrschenden erschaffen wurden. Nur ihr jüdischer Gott ist der einzig wahre Gott, der sein ausgesuchtes Volk (Israel, Judäa) über die Welt herrschen lassen wird. Aber noch muss das Volk dafür die Glaubensreife erwerben.
In wenigen Zeilen wird die ursprüngliche Feindschaft zwischen Israel und Kanaan erklärt. Die drei Söhne Noahs repräsentieren dabei die Völkerentstehung in der bekannten Welt. Im mythologischen Stil berichtet der Text vom Weingenuss Noahs, der danach (betrunken) halb entblößt in seinem Zelt lag. Der Sohn Ham sah ihn in seiner Peinlichkeit und hatte nicht besseres zu tun, als anderen davon (marktschreierisch) zu berichten. Noahs Söhne Sem und Japheth gingen aber daraufhin ins Zelt und bedeckten Noahs Nacktheit und verloren über den Zustand des betrunkenen Noah kein einziges Wort. Ham wurde wegen seines Tuns von Noah dazu verdammt, der Diener seiner Brüder zu sein.
Der historische Hintergrund bezieht sich auf die Konkurrenz/Anspruch zwischen Israel und Kanaan, auf den Lebensraum Jordanland. Die Söhne werden auf der Grundlage der Geschichte symbolisch zum Ursprung von den Stammvölkern der bekannten Welt.
Ham (Hamiten) wird zum Stammvater aller Völker, denen Israel gegenüber feindlich gesinnt ist, wie vor allem Kanaan und dann Sumer, Akkad, Assyrien, Babylon, Lybier und auch Ägypten.
Japheth wird als Stammvater der Kultur und Handelsvölker in Kleinasien und Europa gesehen, wie Griechenland, Karthago, Phönizier, Persien, die Philister, Troja und Lydien.
Sem (Semiten) steht als Stammvater für die semitischen Völker (Nomaden) Vorderasiens, wie das Volk der Aramäer, die Hebräer, Araber, Äthiopien, dem Volk Elam (Iran).
In der mythologischen Aussage wird vor übermäßigem Alkoholgenuss gewarnt und besonders die Bloßstellung als elementare Sünde hervorgehoben. Dazu sei gesagt, dass Wein für die Kanaanäer eine hohe kultische Bedeutung hatte und als Rauschmittel missbraucht wurde. Mit wenigen Worten wird dem Volk Israel zwar das Weintrinken erlaubt, aber vor blamablen Folgen gewarnt. Es wird zwischen den Zeilen empfohlen, bestenfalls einen Becher Wein zu besonderen Anlässen zu trinken.
Der besondere Schwerpunkt dreht sich um die entwürdigende Bloßstellung und meint jede Art des Vorführens einer Person, der sich in einer misslichen Lage befindet. Damit ist das diffamieren, als auch das lächerlich machen gemeint. Zum respektvollen Umgang zwischen den Menschen gehört es, bei aller Peinlichkeit der Situation die Persönlichkeit eines Menschen zu achten, statt ihn über seine Schwächen zu entwürdigen.
Leider finden diese Zeilen in der heutigen Zeit immer weniger Beachtung. Viele Medien (Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet) treiben die Bloßstellung auf die Spitze und nennen es Spaß und Satire. Gedankenlos trampeln Comedians, Reporter und Moderatoren auf den Gefühlen anderer Menschen herum oder machen sich lustig über die Eigenart oder Aussehen einer Person. Manchmal werden sie in eine blamable (beschämende) Situation gebracht und nennt sich “Verstehen sie Spaß”. Mancher Spaß wirkt heute beleidigend, doch das spielt keine Rolle, sofern die Einschaltquoten stimmen, denn die Menschen (Publikum, Zuhörer) erfreuen sich gern am Missgeschick anderer.
Die später eingefügte Völkertafel versucht die Völker der bekannten Welt in eine logische Kette zu bringen, die von Noahs Söhnen abstammen. Es wird erneut betont, dass alle Menschen der Welt zu Gottes Schöpfung zählen, aber im Gegensatz zum Volk Israel haben sich die anderen Völker mit ihren Götzen von Gott entfernt.
Japheth Nachkommen sind alle Völker, die keinen direkten Einfluss auf das Jordanland hatten. So sind mit Madai, die Meder, mit Jawan (oder Jonier), die Griechen und mit Tarsis, die phönizischen Kulturen (Karthago, Philister) gemeint.
In direkter Konkurrenz um das Land befinden sich die Semiten und die Hamiten. Mit Hamiten (Ham) werden im Prinzip alle verhassten Völker benannt. Das betrifft die bekannten Völker Afrikas (Ägypten, Nubien/Sudan, Libyen), die Dynastien im Süden Mesopotamien (Akkad, Babylon) und Kanaan. Besonders hervorgehoben wird Nimrod und bezeichnet eine besonders grausame Dynastie von Babylon, deren Geist sich nach Assur verbreitete und später die Philister vergiftete. Historisch nicht immer korrekt, versuchen die Priester (um 500 v. Chr.) dafür, Erklärungen zu finden. Mit ihrer Deutung erklären sie, warum die Philister mal Freund und mal Feind sind, obwohl die Ursachen dafür einen wirtschaftspolitischen Hintergrund haben. Ebenfalls sind das Mischvolk der Kanaanäer ursprünglich durchzogen von ausgewanderten Aramäer und zählen als Semiten, aber die Völkertafel spricht den Kanaanäern diese Herkunft ab, da sie aufgrund der Vermischung keine Semiten waren.
Letztendlich spielt die historische Stimmigkeit in dem Text keine Rolle, sondern dient nur dazu, die Völker einzuordnen und die Bedeutung Israels als Gottesvolk zu heben.
Mit Semiten (Sem) sind die Völker gemeint, die keinen verwerflichen Ruf hatten. Bedeutsam sind in dieser Beziehung das Reich Elam und das Volk der Aramäer. Elam war ein Kulturreich und liegt heute im Südwest-Iran und Aramäer war ein Sammelbegriff für die Nomadenvölker, die sich im Raum Nordsyriens niederließen. Nach neueren Erkenntnissen könnten die Aramäer ursprünglich im Süden von Mesopotamien (Kuwait) gelebt haben, bis sie von den Akkadern um das Jahr 2.000 v.Chr. vertrieben worden sind. Ein Teil von ihnen besiedelte daraufhin das Jordanland (Kanaan) und der Großteil des Volkes wurde zunächst in die Wüste (Arabien) getrieben, bis sie nach Nordsyrien wanderten. Möglicherweise haben sich bereits um 1.500 v.Chr. einige Nomadenstämme ebenfalls im Jordanland niedergelassen oder drangen später als Vertriebene (durch Assyrer) von Norden ins Jordanland ein. Auffällig ist, dass bei der Bezeichnung der Semiten wenige Völker benannt wurden und dafür Untergruppierungen der Aramäer erwähnt wurden. Vermutlich wollten die Priester Gottes Gunst symbolisch auf die aramäische Linie einschränken und Israels Bedeutung hervorgehoben wurde. Demzufolge fixiert sich das Wort Semiten auf die Völker mit aramäischen Abstammung, also den späteren Völkern Israels. Geschichtswissenschaftlich bezeichnet aber das Wort Semiten alle Völker Vorderasiens, die ihren Ursprung in Mesopotamien hatten.
Zunächst wird die Geschichte von den Menschen in Babel erzählt, die einen Turm bauen wollten, um Gott nahe zu sein. Gott schickte daraufhin die Sprachverwirrung. Ab Vers 10 folgt dann der Stammbaum von Sem bis Abram (Abraham).
Erneut mischten die Schriftgelehrten mythologische mit historischen Aussagen. Mythologisch wird simpel erklärt, warum die Menschen unterschiedlich sprechen, wo sie doch alle denselben Ursprung haben (Noahs Söhne). Darüber hinaus wird der unterschiedliche Sprachgebrauch angedeutet. Nicht nur die Sprachen der Völker sind verschieden, sondern innerhalb eines Volkes entwickeln soziale Schichten eine eigene Sprache, ihr spezifisches Sprachverständnis, heute Slang genannt.
Um sich vom Volk abzuheben, prägte die herrschende Schicht ihre eigene Sprache, wodurch Wörter entstanden, die das gemeine Volk kaum noch verstehen konnte. Fachchinesisch oder Beamten- latein würde man heute sagen, obwohl mehr eine Kunstsprache gemeint ist.
In dem Zusammenhang sollte betont werden, dass die Antike im Vergleich zu heute maximal 25% der Worte von heute kannten. Allein das Wort „Böse“ umfasst deshalb eine Vielzahl von Begriffen, die heute das Wort näher beschreiben. Damals bestand dafür keine Notwendigkeit, da jeder zu dem Wort seine Assoziation hatte. Aufgrund dessen haben alte Schriften sehr sparsame Texte, die sich auf das Nötigste beschränken. Außerdem war der Zeichensatz eingeschränkt und war nötig, um ein Verständnis der Zeichen als Worte zu garantieren.
Im Turmbau zu Babel wird noch ein weiterer Aspekt herausgestellt, der auf die Überheblichkeit der Menschen zielt. Im Rahmen des wissenschaftlichen Fortschritts und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten neigt der Mensch dazu, sich anmaßend mit Gott gleichzustellen („nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben“).
Die Dreierbeziehung Gott-Mensch-Natur droht zu zerbrechen, der Mensch bringt durch sein Tun die Schöpfung Gottes in Gefahr. Es klingt an, dass ein tödlicher Konflikt zwischen Herrschenden und Beherrschten entstehen wird. Die Stadt Babel würde sich als Zentrum der Welt etablieren und die Herrscher könnten sich wieder als Gottessöhne darstellen und damit den wahren Geist Gottes unkenntlich machen. Damit dies nicht geschieht, beschließt Gott, den Turmbau zu sabotieren. Aber letztendlich ist es die Arroganz der Menschen selbst, dass sie sich beim Bau des Turms nicht mehr verstehen. Das entspricht in etwa der heutigen Politik, wo man um Wort feilscht und deshalb nicht fähig ist, einen Beschluß zu fassen.
Historisch ist mit Babel natürlich Babylon gemeint. Nach der propagierten Ansicht ist das Babylon der Exilzeit (um 500 v.Chr.) gemeint. Das erscheint aber unlogisch, da der Turmbau zu Babel eine jahwistische Schrift ist und zu jener Zeit Babylon keine Supermacht war.
Allerdings erlebte Babylon unter König Hammurapi (1792 -1750 v.Chr.) bereits seinen großen Aufschwung, neben der politischen Macht wuchs die Stadt zum bedeutendsten Kulturzentrum der Zeit heran. Mit dem Codex des Hammurabi war eine beispielgebende Rechtsordnung entstanden. Jedoch wurden die meisten Straftaten mit der Todesstrafe geahndet. Die strenge Ordnung brachte der Stadt Babylon den Ruf einer besonders grausamen Herrschaft ein. Hinzu kam die Sklaverei, die als besonders unmenschlich galt und den Luxus der Stadt ermöglichten. Dennoch besaß Babylon stets einen Sonderstatus als prunkvolle Kulturstadt, auch später unter assyrischer und persischer Herrschaft. Erst mit der griechischen Seleukiden-Herrschaft (um 320 v.Chr.) verlor die Stadt ihre kulturelle Bedeutung und die Stadt zerfiel. Vermutlich waren es dann die Parther die Babylon zu einer Ruinenstadt machten. Der relevante Zeitraum für den Turmbau zu Babel lag vermutlich um 1126 -1104 v.Chr., als Nebukadnezar I. die Stadt Babylon wieder zu einer gefürchteten militärischen Macht führte. Die Gefahr war groß, dass Babylon das Jordanland erobern könnte, aber die Assyrer stoppten die babylonische Expansion. Obwohl Israel von der babylonischen Expansi nicht betroffen war, galt Babylon als der Inbegriff für Überheblichkeit, eine despotische Herrschaft und einem grausamen Glaubenskult (mit Menschenopfer).
Mit diesem Image eignete sich die Stadt hervorragend, Gottes Strafe darzustellen. Es hat zwar nie einen realen Turmbau in Babel gegeben, aber die Stadt war wegen der gigantischen und luxuriösen Bauwerke bekannt (z.B.: die hängenden Gärten). Mit der Geschichte wurde zugleich eine Botschaft verbunden. Den luxuriösen Aufstieg von Babylon hatten sie Gott zu verdanken, aber anstatt ihn entsprechend zu ehren, wendeten sie sich ab und schufen sich ihre eigenen Götzen.
In Form der Assyrer wurde Babylon für seinen Hochmut bestraft und auch den Assyrern wird es nicht gelingen, eine alles beherrschende Macht zu werden. Im Tenor der Geschichte erklärt der Turmbau zu Babel, dass sich die Menschheit auf der Welt verteilen wird und es wird niemals eine weltbeherrschende Macht geben, es sei denn, sie ist im Bunde mit Gott.
Mit dem Turmbau zu Babel endet die Urgeschichte im AT. Überleitend zur Vätergeschichte haben die Gelehrten im babylonischen Exil (um 500 v.Chr.) einen Stammbaum eingefügt. Die Genealogie zeichnet die direkten Nachfahren von Sem bis Abram (Abraham) nach. Wichtig ist, dass Terach mit seinem Sohn Abram und seinem Enkel Lot nach Kanaan zogen, wodurch die Geschichte des Volkes Israel begann.