Meinung
In Memoriam Kommunikation
von Qukser von Heute | 03/19
“Hallo! Junger Mann! Das ist hier keine Rennbahn!” schreit die, auf mich überdurchschnittlich unattraktiv wirkende, Mitarbeiterin im blauen Polohemd über die gelb-blauen Kassen der Filiale hinweg. Der Adressat des Gebrülls, ein Kind mit dem beliebtesten Jungennamen des Jahres 1386 Roland, rollt auf seinem Pennyboard durch die Fleischabteilung und lässt schulterzuckend seinen waschchechten Vokuhila im Fahrtwind wedeln. “Ganz schön viel Stretchanteil in dem Polohemd” denke ich mir, während die fachlich ausgebildete Kassiererin ihren Blick zu den wartenden Kunden schweifen lässt und vergeblich Bestätigung für ihr Affengejaule sucht. “Er ist halt noch ein Kind” argumentiert ein faltiger Herr mit Frank Zander-ähnlicher Stimme, welcher umgeben ist von einem zarten Dunst Eau de Cigarette. “Ja, aber trotzdem” trägt ein stark geschminktes Individuum mit einer Packung Nivea Duschcreme, Hanuta und iPhone 5 in der Hand, völlig zurecht und klug ausgearbeitet bei. “Wir sind damals auch nicht mit Inlineskates im Laden rumgefahren” schließt sie ihre philosophische Analyse ab. Noch während ich mir den aufgeklebten Griff auf der Rückseite ihres Handys ansehe, ertönt erneut der anfängliche Refrain: “Junger Mann! Hier ist keine Rennbahn!” “Das hier ist nämlich eine Schreihalle, wo wir alle schreien!” ergänze ich die Lyrics in aller Spontanität und ziehe alle Blicke auf mich. Wie zuvor gelernt, suche ich ebenfalls Bestätigung für meinen Beitrag in der Runde der Wartenden aber vor allem bei der Initiatorin an der Kasse. Irgendwas habe ich offenbar falsch gemacht, sofern ich die Mikroausdrücke ihres groben Gesichts richtig deute. “Ja, das muss ja auch nicht sein” bestätigt sie meine Annahme in sich hinein murmelnd. “Mit Karte!” unterbricht die Kundin vor mir sie und wedelt mit ihrer EC-Karte. Augenrollend wendet sich die Fachkraft der Kundin zu: “Ich habe nur zwei Arme.” verteidigt sie sich und wedelt ebenfalls, allerdings mit ihren voluminösen Oberarmen. “Eine zweite Kasse wäre gut!” unterbricht ein kreischender Ruf die Interaktion der beiden Individuen, der am höchsten entwickelten Spezies auf diesem Planeten. Mit entsprechender Professionalität schreitet die Oberkassierein voran: “Jens, kannst du Kasse machen?” Jens, seines Zeichens ein nur die nötigsten Muskelpartien benutzender Azubi im dritten Lehrjahr, erscheint aus dem Lager und hebt die Hand, als wolle er ein Taxi rufen. “Ich hab’ jetzt Pause.” lächelt er unerwartet sympathisch und zieht von dannen an Roland vorbei, welcher nun durch die Gemüseabteilung rast. Als Kasse zwei öffnet, gerät die hintere Hälfte der Schlange in tumultartige Bewegung, als sei an dieser Stelle die Erde abgesackt. “Entschuldigung, ich habe nur zwei Teile.” grunzt es aus der Masse. “Ja, ich war aber als erstes hier und ich muss gleich noch arbeiten.” gackert es zurück. “Meine Güte, gibt es da was umsonst?” bepisst sich eine ältere Dame, als hätte sie die Pointe des Jahrtausends geschrieben. “Ja, drei Kassen kann man ja schon aufmachen!” verkündet ein Professor des Einzelhandels und ballert sechs Dosen Nassfutter für Katzen von Tip auf das Kassenband zwei.
Wie ein Zuschauer beim Theater ertappe ich mich beim Beobachten des menschlichen Miteinanders und bin fasziniert und angeekelt zugleich als würde ich Affen dabei zusehen, wie sie sich gegenseitig mit ihrer Notdurft bewerfen.
Homo sapiens: „verständiger“ oder „weiser, kluger, vernünftiger Mensch“ und dennoch höre ich nur indirekte Kommunikation. Eine Art und Weise miteinander zu reden, indem man ungefragt dem Empfänger die Aufgabe überträgt, das Gesagte so zu interpretieren, wie der Sender es gemeint hat. So heißt es beispielsweise in der Argumentation eines indirekten Kommunikators bezüglich einer Körperverletzung: “Der hat meine Mutter beleidigt.” und nicht wie es sachlich, möglichst direkt wäre: “Er bezeichnete meine Mutter als Prostituierte mit Hang zum Übergewicht, worauf ich mich - aufgrund meiner unreflektierten, kulturellen Verankerung - dazu gezwungen sah, diese Unwahrheit als eben Solche offenzulegen und zugleich den Lügner an sich zurechtzuweisen, indem ich mich bewusst dafür entschied, ihm körperliches Leid zuzuführen, da es mir rein kommunikativ nicht möglich war, dies anderweitig auszudrücken und ich in dieser Situation auch eine Möglichkeit sah, im Rang meines sozialen Umfeldes, welcher sich durch ein hegemoniales Männlichkeitsbild auszeichnet, aufzusteigen.”
Gut, das ist vielleicht ein wenig extrem, soll aber genau das verdeutlichen, was ich mit direkter Kommunikation meine. Weshalb schreit die Kassiererin durch den ganzen Laden, was schon für sich die Kommunikation erschwert und setzt dann noch auf Botschaften? “Das ist hier keine Rennbahn!” Wieso steht sie nicht auf und weist den Jungen auf ihre persönlichen Empfindungen hin und äußert in aller Direktheit einen Appell, um ihn und die Kunden zu schützen sofern dies überhaupt ihr Anliegen war? Nagut, vielleicht liegt es an einer Stasi-Vergangenheit, in der sie sich stets einer Geheimsprache bedienen musste oder ihr fehlt der Blick in sie hinein, weswegen sie persönliche Empfindungen nicht wahrnehmen und deswegen auch nicht äußern kann. Oder ich irre mich einfach und sie leidet an Tourett: “Das ist hier keine Rennbahn”. Aber selbst mit jedweden Verständnis, bleiben noch alle anderen in dieser Situation übrig. Auch alles Stasi-Agenten? Oder was bedeutet: “Er ist halt noch ein Kind.”? Heißt es, sie soll lauter schreien? Heißt es, dass es ok ist, dass er eventuell die Oma an Kasse zwei gefährdet? Heißt es, dass er es nicht wissen kann, dass er sein Leben nach den Bedürfnissen der Kassiererin ausrichten soll? Ich komme einfach nicht hinterher. “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.” behauptet Wittgenstein und Ja! Für mich ist es eine interessante These, mit der sich ein ganzer Wissenschaftszweig beschäftigt. Die Zusammenhänge von Sprache und Denken zu ergründen scheint mir definitiv wichtig, vor allem bei Sätzen wie: “Eine zweite Kasse wäre gut!” oder “Man darf ja noch stolz auf sein Land sein” oder “Mallorca ist nur einmal im Jahr” oder auch „Wenn Ivanka nicht meine Tochter wäre, würde ich sie wahrscheinlich daten”. In einer Zeit in der gefühlte Wahrheiten und substanzlose Meinungen die Wirklichkeit vieler Menschen beeinflussen, scheint es mir umso mehr sinnvoll zu sein, Interpretationsspielräume aus dem Alltag weg in die Kunst zu verbannen und Vernunft walten zu lassen. Aussprechen was gemeint ist, in aller reduzierten Sachlichkeit, um Missverständnissen entgegenzuwirken, effizienter ans Ziel zu kommen und vor allem transparent zu sein. Transparent für die Außenwelt aber auch für sich selbst. Denn, wer in aller Sachlichkeit und auf Basis der Vernunft seinem Gegenüber erklären muss, weshalb es keine Rennbahn zu sein scheint oder weshalb Schalke der beste Verein sein soll oder weshalb es Deutschlands Untergang sein soll, Flüchtlingen zu helfen oder inwiefern es für den Frieden der Welt sinnvoll ist 50 Muslime beim Beten zu erschießen, ja der wird endlich zu der Erkenntnis kommen müssen, dass er es nicht erklären sondern nur so irgendwo im Bereich des Dickdarm spüren kann und trotzdem sein Handeln danach richtet. Das finde ich gefährlich, deswegen stelle ich folgende Maxime auf: “Tue und handle so wie du es einem Gegenüber schlüssig erklären kannst, kannst du es nicht. Lass es” Doch, da gerade die Höchsten im System dieser unreflektierten Sitte frönen, bleibt mir dann doch nicht mehr, als mit pessimistischer Voraussicht abzuschließen.
In Memoriam Kommunikation