Published using Google Docs
1882 Southern, Pieper- Inability of Natural Man in Spiritual Matters
Updated automatically every 5 minutes

1882 Southern District of Missouri Synod; Franz Pieper – “The doctrine of the complete incapability of natural man in spiritual things in it’s importance for the Christian life.” Pgs 6-61; started March 30, 2001 by BackToLuther - Indiana)

======================================

(Seite 6)

Lehrverhandlungen.

Herr Professor Pieper hatte Thesen gestellt über

Die Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen in ihrer Wichtigkeit für das christliche Leben.

Die Thesen lauten wie folgt:

Thesis I.

Es ist in Gottes Wort klar gelehrt und in unserem lutherischen Bekenntniß deutlich bezeugt, daß der Mensch in geistlichen Dingen(1)) aus eigener Kraft weder etwas Gutes thun,(2)) noch etwas Böses unterlassen könne,(3)) wodurch er zu seiner Bekehrung und Erlangung der Seligkeit(4)) mitwirke oder auch  nur Gott veranlasse, ihn zu bekehren und selig zu machen.

1) Anders steht es in Bezug auf die sogenannten natürlichen Dinge. Röm. 1,19. F. 2, 14-16.  Apost. 17, 18. ff. – Concordienb. (Müller) 593, 19 f. 596, 31 f. 601, 53. 606, 74.

2) 1 Cor. 2,14.  Eph. 5,8. 2c. – 590, 9. 10. 2c. – Eph. 2, 1. 5. 2c. – 590, 10. 11. 593, 20 f. 594, 24. (Verstand und Wille gänzlich unvermögend.)

3) 1 Cor. 2,14. 2c. – 590, 9. – Röm. 8, 7. 2c. – 524, 3. 589, 7. 592, 18. 594, 24. 599, 46. 602, 59. 2c. (Verstand und Wille feindlich.)

4) Phil. 2, 13.  Röm. 7, 22. Ff. 2c. – 603, 63 ff. 596, 34 f. 597, 39. 608, 85. 607, 77.

Thesis II.

Demnach ist die Bekehrung ganz(1)) Gottes Werk und dem Menschen auch nicht die Kraft zuzuschreiben, daß er das sogenannte muthwillige Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade aus natürlichen Kräften unterlassen könne(2))

1) 594, 25. 609, 87. 89. 2c.

2) Vbl. Die I. 3. Aus Schrift und Bekenntniß angeführten Stellen.  Ferner: 2 Cor. 3,5. Phil. 1,29. 2,13.  Apost. 16,14. – 607, 77 (“begegnen”).  608, 85. 596, 33.  525, 11.

Thesis III.

Nur bei dieser Lehre bleibt fest stehen, daß Gott aus Gnaden rechtfertige und selig mache. Und nur so wird Gott alle Ehre im Werk unserer Seligmachung gegeben.

Römer 3,24. 4,2-5.16.  Eph. 2,8. 9.  Römer 3,27.  1 Cor. 4,7. 2c. – 524, 6. 598, 43.  104, 89. 2c.

(Seite 7)

Thesis IV.

Nur bei dieser Lehre kann ein Christ der Gnade Gottes und der Erlangung der Seligkeit gewiß sein.

Römer 4, 14-16.  Römer 8,37. Ff. – 221, 84 f. 724, 90.  591, 13.  601, 55. 56.

Thesis V.

Nur bei dieser Lehre wird ein Christ tüchtig, gute Werke zu thun.

Ps. 119,.32.  110, 3.  Gal. 3,2.  Joh. 15, 5. 2c. – 595, 29.  596, 34. 35.  606, 63.  626, 9 ff.  46, 27 ff.

Thesis VI.

Daher müssen wir an dieser Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des Menschen in geistlichen Dingen festhalten, trotz der mancherlei Einspr uche, welche die menschliche Vernunft gegen dieselbe erhebt.

2 Cor. 10, 5. – 589, 8.  310, 3.

--------------

Wir Menschen sind hier auf Erden, um selig zu werden. Das ist unsere eigentliche Bestimmung. Wer dies noch nicht erkannt hat, hat noch nicht Zweck und Ziel seines Lebens begriffen, weiß noch nicht, wozu er eigentlich da ist. Und dieses Ziel ist allen Menschen ohne Ausnahme gesteckt. Es ist kein Mensch je geboren worden und es wird bis an das Ende der Tage kein Mensch geboren werden, der nicht selig werden sollte. Der Calvinismus, der dies aus Vernunftgründen leugnet, ist eine gotteslästerliche, Gott in seinem klaren Wort lügenstrafendeIrrlehre. Joh. 3,16. heißt es: “Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab" 2c. “Die Welt” aber bezeichnet nicht einen kleinen Theil der Menschen, die Gläubigen oder dieAuserwählten, sondern alle Menschen, die durch Adams Fall Sünder geworden sind. Diese Welt hat Gott zur Seligkeit geliebt. Denn er hat zu ihrer Erlösung seinen eingeborenen Sohn in Leiden und Tod dahingegeben, er hat sie mit sich selber durch Christum versöhnt, 2 Cor. 5, 19. Dieselbe Welt aber, die der Vater geliebt und der menschgewordene Sohn erlös't hat, willder Heilige Geist auch heiligen, zum seligmachenden Glauben bringen und in demselben erhalten, 1Tim. 2, 4. Also alle Menschen sollen selig werden. –Aber wie erreichen wir dieses selige Ziel? Erreichen wir es wenigstens theilweise durch eigene Kräfte, das heißt, durch Kräfte, die wir von Natur haben, oder erreichen wir es einzig und allein durch Kräfte, die uns erst von Gott gegeben werden müssen? Eine höchst wichtige Frage! Es wäre verderbenbringend für uns, wenn wir uns diese Frage nicht genau beantworten könnten. Haben wir keine Kräfte und bilden wir uns nur ein, solche zu haben, so stützen wir uns auf ein Wahngebilde und erreichen das selige Ziel nicht. Hätten wir aber noch Kräfte, mit denen wir zur Erlangung der Seligkeit mitwirken könnten, meinten  

(Seite 8)

aber, dieselben mangelten uns gänzlich: so gingen wir abermals irre. So würden wir Gott versuchen, indem wir meinten, Gott allein werde uns durch seine Kraft und Wirkung zur Seligkeit führen, was er doch nicht verheißen hätte. Jenach dem diese Frage beantwortet wird, wird sich auch das ganze Christenleben gestalten. Hat der Mensch von Natur gar keine Kräfte zur Erlangung der Seligkeit, so muß er täglich und stündlich, ja jeden Augenblick seines Lebens die Kraft zum Glauben und zu einem gottseligen Wandel von Gott sich erflehen. Hat er aber von Natur noch geistliche Kräfte, so ist das unaufhörliche Gebet nicht so dringend nöthig.

Thesis I.

Es ist in Gottes Wort klar gelehrt und in unserem lutherischen Bekenntniß deutlich bezeugt, daß der Mensch in geistlichen Dingen aus eigener Kraft weder etwas Gutes thun, noch etwas Böses unterlassen könne, wodurch er zu seiner Bekehrung und Erlangung der Seligkeit mitwirke oder auch  nur Gott veranlasse, ihn zu bekehren und selig zu machen.

In der Thesis wird behauptet, daß der natürliche Mensch aus eigenen Kräften in geistlichen Dingen nichts vermöge. Was sind denn geistliche Dinge? Das sind solche Dinge, welche eben bei der Frage nach der Seligkeit in Betracht kommen oder doch mit dieser Frage zusammenhängen. Unser Bekenntniß nennt die geistlichen Dinge “göttliche Sachen, unsere Bekehrung und Seelen Seligkeit belangend."  (Concordienformel, Solid. Decl. Art. 2. S. 588.)  Die geistlichen Dinge sind also solche Dinge, welche sich nicht auf unsere Stellung in der Welt beziehen, sondern “die -- wie Luther sagt -- Gott angehen, daß man also thue, daß es Gott angenehm sei und selig werde." Hierher gehört unterAnderem Folgendes: Gott rechterkennen nach seinem Wesen undWillen, Gott von Herzen lieben, Gott für das höchste Gut halten, dem heiligen Gesetze Gottes innerlich hold und zugethan sein, die Sünde aus Gottesfurcht meiden, die Werke des irdischen Berufes aus Liebe zu Gott und zum Nächsten vollbringen. Insbesondere: das Evangelium von Christo annehmen oder glauben, Gottes gnädigen Verheißungen  trauen, zu Gott als dem in Christo versöhnten Vater sich nahen, ihn in allen Nöthen mit herzlicher Zuversicht anrufen. Das sind geistliche Dinge. Hat für diese Dinge der natürliche Mensch, das ist, derMensch, wie ervon Natur nach dem Sündenfall und vor der Wiedergeburt beschaffen ist, noch Kräfte? Hierauf werden wir uns aus Gottes Wort und aus dem Bekenntniß unserer Kirche die Antwort geben.

Von diesen geistlichen Dingen unterscheiden wir die sogenannten natürlichen Dinge. Diese Unterscheidung ist durchaus nothwendig. Schon deshalb, weil die Verfälscher der rechten Lehre zu allen Zeiten das,

(Seite 9 )

was die treuen Lehrer nach Gottes Wort über das Vermögen des naturlichen Menschen  in geistlichen Dingen lehrten, verleumderischer Weise auch auf die natürlichen Dinge bezogen. Was verstehen wir denn unter natürlichen Dingen? Solche Dinge, welche sich auf unsere Stellung in dieser Welt beziehen, das Leben und die Hantierung in dieser Welt angehen. Hierher gehört die Verrichtung der Werke des irdischen Berufes, als: Ackerbau treiben, Handwerker, Kaufmann, Künstler sein u. s. w. Hierher gehört auch die natürliche Gotteserkenntniß und die natürliche Erkenntniß von Recht und Unrecht und das Handeln nach derselben. Endlich gehört hierher auch die äußere Verrichtung gottesdienstlicher Werke, welche zur geoffenbarten christlichenReligiongehören, als: zurKirchegehen, GottesWort äußerlich hören und betrachten und andere Werke des Gottesdienstes äußerlich verrichten. Wie steht es mit den Kräften des Menschen in Bezug auf diese Dinge? ZurVerrichtung dieser natürlichen Dinge  ist noch eine Kraft und Fähigkeit in dem natürlichen Menschen. Die Kraft und Fähigkeit hiezu bringt der Mensch mit auf die Welt, und diese Kraft und Fähigkeit kann durch natürliche Mittel, durch Erziehung und Gewöhnung, weiter ausgebildet werden. Wir bekennen in Bezug auf die Werke des irdischen Berufes im 18. Artikel der Augsburgischen Confession (S. 43): “In äußerlichen Werken dieses Lebens haben sie (nämlich die Menschen, wie sie von Natur sind) Freiheit, guts oder böses zu wählen. Gut mein ich, das die Natur vermag, als auf dem Acker zu arbeiten oder nicht, zu essen, zu trinken; zu einem Freunde zu gehen oder nicht, ein Kleid an oder auszuthun, zu bauen, ein Weib zu nehmen, ein Handwerk zu treiben und dergleichen etwas nützlichs und guts zu thun.” Gott will auch diese Dinge von uns gethan wissen. Er will keine Müßiggänger. Aber weil der Mensch mit seinem natürlichen Verstand auf dieselben kommen kann, so ist über dieselben keine besondere Offenbarung in der heiligen Schrift gegeben. In der Schrift finden wir keinen Unterricht darüber, wie man am besten Ackerbau treibe u. s. w. Rationalistische Pastoren haben freilich auch über solche Dinge gepredigt. Aber diese lehrten auch nicht aus Gottes Wort und den Weg zur Seligkeit, sondern aus der menschlichen Vernunft und eine heidnische Moral. Luther sagt: “In zeitlichen Dingen und die den Menschen angehen, da ist der Mensch vernünftig genug, da darf er keines andern Lichtes denn der Vernunft. Darum auch Gott in der Schrift nicht lehret, wie man Häuser bauen, Kleider machen, heirathen, kriegen, schiffen und dergleichen thun soll, da ist das natürliche Licht genugsam zu." (Bei Caspari, Geistl. und Weltl. S. 296.) -- In Bezug auf die natürliche Gotteserkenntniß und das natürliche Wissen um Recht und Unrecht sagt unser Bekenntniß: “Wir sagen auch, daß die Vernunft etlichermaßen einen freien Willen hat. Denn in den Dingen, die mit der Vernunft zu fassen, zu begreifen sein, haben wir einen freien Willen. Es ist etlichermaßen in uns ein Vermögen, äußerlich ehrbar zu leben, von Gott zu reden,  

(Seite 10 )

einen äußerlichen Gottesdienst oder heilige Gebärde zu erzeigen, Oberkeit und Eltern zu gehorchen, nicht stehlen, nicht tödten. Denn dieweil nach Adams Fall gleichwohl bleibt die natürliche Vernunst, daß ich Böses und Gutes kenne in den Dingen, die mit Sinnen und Vernunft zu begreifen sind, so ist auch etlichermaßen unsers freien Willens Vermögen, ehrbar oder unehrbar zu leben. Das nennet die heilige Schrift die Gerechtigkeit des Gesetzes oder Fleisches, welche die Vernunft etlichermaßen vermag ohne den Heiligen Geist.” (Apologie, Art. 18. S. 218.) Jeder Mensch, auch der unwiedergeborene, vom Heiligen Geist noch nicht erleuchtete, weiß, daß es einen ewigen, allmächtigen Gott gibt. Das ist ihm durch den Finger Gottes von Natur ins Herz geschrieben. Und dieser Gedanke drängt sich ihmz. B. sofort auf, wenn er dieWerke derSchöpfung betrachtet. Das sagt die heilige Schrift Röm. 1, 19. 20.. “Denn daß man weiß, daß Gott sei, ist ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen offenbaret; damit, daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man deß wahrnimmt an den Werken, nämlich, an der Schöpfung  der Welt.” Auch auf diese natürliche Gotteserkenntniß haben wir in unserer Zeit aufmerksam zu machen, in welcher so viele freche Gottesleugner auftreten. Die haben schon den natürlichen Menschen verleugnet. Aber nicht nur weiß der natürliche Mensch, daß ein Gott sei, sondern er weiß auch etwas von dem gesetzlichen Willen Gottes. Er kann zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Er weiß z. B., daß Stehlen, die Ehe brechen u. s. w. Sünde sei. Röm. 1, 32. Und nicht nur weiß der natürliche Mensch das, sondern er kann aus natürlichen Kräften auch das Rechte äußerlich thun und das Unrecht lassen. Er kann bürgerlich rechtschaffen und äußerlich ehrbar leben. Das sagt Gottes Wort Röm. 2, 14--16. Auch dies hat man in unserer Zeit zu betonen. Wie man jetzt die natürliche Erkenntniß, daß ein Gott sei, verleugnet, so verleugnet man auch die natürlichen Begriffe von Recht und Unrecht. Man nennt sie anerzogene Vorurtheile. Aber auch hier haben wir es mit einer Schrift Gottes in den Herzen der Menschen zu thun. Und sie ist höchst nöthig. Nur auf Grund dieser natürlichen Erkenntniß von Recht und Unrecht und der natürlichen Kraft und  Fähigkeit, nach dieser Erkenntniß ehrbar zu leben, ist die menschliche Gesellschaft, ein Familien- und Staatsleben möglich. Gott will daher auch die natürlicheRechtschaffenheit bewahrt haben, und er belohnt sie auch mit zeitlichen Gütern. Unser Bekenntniß nennt es eine “Unsinnigkeit”, wenn jemand behauptet, der natürliche Mensch habe nicht das Vermögen, äußerlich ehrbar zu leben. Es heißt in der Concordiensormel, Solid. Decl. Art. 2.: “Wir verwerfen der Stoicorum und Manichäer Unsinnigkeit, daß alles, was geschieht, müsse also geschehen, et hominem coactum omnia facere, das ist: daß der Mensch alles aus Zwang thue und daß des Menschen Wille auch in äußerlichen Werken keine Freiheit und Vermögen habe, äußerliche Gerechtigkeit und ehrliche Zucht etlichermaßen zu leisten, und die

(Seite 11 )

äußerlichen Sünden und Laster zu meiden, oder daß der Menschen Wille zu bosen äußerlichen Thaten, Unzucht, Raub undMord 2c. gezwungen werde." (S. 606.) -- Ueber das Vermögen des natürlichen Menschen, auch äußerlich die Gnadenmittel zu gebrauchen, sagt unser Bekenntniß: “Dieses Wort (nämlich das Wort Gottes) kann der Mensch, so auch noch nicht zu Gott bekehret und wiedergeboren ist, äußerlich hören und lesen; denn in diesen äußerlichen Dingen, wie oben gesagt, hat der Mensch auch nach dem Fall etlichermaßen einen freien Willen, daß er zur Kirche gehen, der Predigt zuhören oder nicht zuhören mag.”  (Concordienformel, Solid. Decl. Art. 2. S. 601.) Nach Apost. 17, 18. ff. begehren die noch unbekehrten Athener Pauli Predigt zu hören. Und sie führen ihr Vorhaben auch aus, geleiten den Apostel auf den Areopag und hören an, was er zu sagen hat. So auch heute. Die uns umgebenden Unchristen können, ohne daß erst neue, geistliche Kräfte in ihnen erweckt werden, eine Bibel zur Hand nehmen, darin lesen und, wenn sie mit Ausmerksamkeit lesen, den Sinn äußerlich fassen. Auch können sie in unsere Kirchen kommen und die Predigt anhören.

Natürlich ist dies nicht dahin zu verstehen, als ob diese Kraft und Fähigkeit, mit welcher der natürliche Mensch diese natürlichen, äußeren Dinge verrichtet, nicht auch von Gott komme und erhalten werde. “Denn in ihm leben, weben und sind wir”, Apost. 17, 28. Im 18. Artikel der Augsburgischen Confession heißt es nach der Auseinandersetzung, daß die Menschen von Natur Krast und Vermögen zu natürlichen Dingen haben: “Welches alles doch ohne Gott nicht ist noch bestehet, sondern alles aus ihm und durch ihn ist.” (S. 43.) Aber diese Kraft gibt Gott als der Schöpfer und Erhalter aller Dinge und auch der Menschen. Er braucht den Menschen nicht erst innerlich umzuwandeln, damit der Mensch diese Verrichtungen.vornehmen könne. -- Auch ist zu bemerken, daß sich wenig bürgerliche Rechtschaffenheit in der Welt findet, trotzdem dem natürlichen Menschen die Kraft zu derselben nicht gänzlich mangelt. Das Verderben der menschlichen Natur ist so groß und die Macht der bösen Leidenschaften ist so gewaltig, daß aus das sittliche Urtheil der natürlichen Vernunft nicht gehört wird. Alle Unwiedergeborenen befinden sich ja in des Teufels Reich; der hat sein Wesen in den Kindern des Unglaubens, Eph. 2,  2. Und des unreinen Geistes Absehen geht auch dahin, seine Untergebenen auch in die gröbsten äußeren Sünden zu stürzen, um sie desto sicherer zeitlich und ewiglich zu verderben. Unser Bekenntniß sagt hierüber nach der Bemerkung, daß der natürliche Mensch etlichermaßen ehrbar leben könne: “Wiewohl die angeborene böse Lust so gewaltig ist, daß die Menschen öster derselbigen folgen, denn der Vernunft; und der Teufel, welcher, wie Paulus sagt, krästiglich wirket in den Gottlosen, reize ohne Unterlaß die arme, schwache Natur zu allen Sünden. Und das ist die Ursache, warum auch wenig der natürlichen Vernunft nach ein ehrbar Leben führen, wie wir sehen, daß auch wenig Philosophi, welche doch darnach heftig sich be

(Seite 12 )

mühet, ein ehrbar äußerlichch Leben recht geführt haben.” (Apol., Art. 18. S. 218.)

Wie steht es nun aber um das Vermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen, “die der Seelen Heil betreffen”? Es heißt Joh. 3, 36.: “Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben; wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen.” Von dem Glauben an Christum hängt also die ewige Seligkeit ab. Wer selig werden will, muß den menschgewordenen Sohn Gottes als seinen Heiland erkennen und annehmen, oder mit andern Worten: er muß das Evangelium glauben, wodurch die Bekehrung eines Menschen geschieht. Wie steht es mit dem Vermögen des Menschen zu diesem seligmachenden Glauben, zur Bekehrung? Hat der Mensch auch hierzu noch Kraft von Natur, wie er in den natürlichen Dingen noch etwas vermag? Wir haben von Jugend auf aus unserem Katechismus gelernt: “Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an JEsum Christum, meinen HErrn, glauben oder zu ihm kommen kann.” Und unsere Concordienformel drückt sich kurz und bündig also aus: “In des Menschen Natur nach dem Fall vor der Wiedergeburt (ist) nicht ein Fünklein der geistlichen Kräfte übrig geblieben noch vorhanden, mit welchem er aus ihm selber sich zur Gnade Gottes bereiten oder die angebotene Gnade annehmen noch derselben für und von sich selbst fähig sein oder sich dazu appliciren oder schicken könne.” (Art. 2. S. 589.)

Wie wird dies bewiesenz Sollte der natürliche Mensch in geistlichen Dingen noch etwas vermögen, so müßte er erstlich noch eine Erkenntniß von diesen Dingen haben. Denn wie vermag ich etwas in Dingen, von denen ich gar keine  Ahnung habe, auch nicht das Geringste weiß! Nun sagt aber Gottes Wort 1Cor. 2, 9. f.: “Das zein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz kommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben; uns aber hat es Gott offenbaret durch seinen Geist.” “Das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben” -- das ist das Heil in Christo JEsu. Davon hat der natürliche Mensch auch nicht die geringste Erkenntniß. Um uns das recht einzuprägen, häuft der heilige Apostel die Ausdrücke: Kein Auge hat's gesehen, kein Ohr hat's gehört, in keines Menschen Herz ist's gekommen. Die Erkenntniß davon muß dem Menschen von außen kommen, der Heilige Geist muß es offenbaren. Eph. 5, 8. sagt der Apostel von den Ephesern, als sie noch unbekehrte, natürliche Menschen waren: “Ihr waret weiland Finsterniß.” Die Finsterniß ist das Gegentheil vom Licht. Wenn also der Heilige Geist den natürlichen Menschen eine Finsterniß nennt, so will er damit sagen, daß kein Fünklein geistlichen Lichtes in ihm sei. So wenig jemand, der an einem vollständig finstern Ort sich befindet, etwas von den ihn umgebenden Dingen sieht und erkennt, so wenig erkennt der natürliche Mensch, in dem eine vollständige geistliche Finsterniß ist, etwas von den Dingen, die das Heil seiner Seele

(Seite 13 )

betreffen. Unser Bekenntniß sagt: “Also nennet die Schrift den natürlichen Menschen in geistlichen und göttlichen Sachen stracks eine Finsterniß. Eph. 5. Act. 26. Joh. 1. Das Licht leuchtet in der Finsterniß (das ist, in der finstern, blinden Welt, die Gott nicht erkennet noch achtet), und die Finsterniß habens nicht begriffen.” (Concordienformel, Art. 2. S. 590.)

Luther schreibt: “In göttlichen Dingen, das ist, in denen, die Gott angehen, daß man also thue, daß es Gott angenehm sei und damit selig werde, da ist die Natur doch stock., starr- und gar blind, daß sie nicht mag ein Haar breit anzeigen, welches dieselben Dinge sind. -- Vermessen ist sie genug, daß sie darauf fället und plumpet hinein; aber alles, was sie schließt, das ist so gewißlich falsch und irrig, als Gott lebt. Hier thut sie, wie der Mann, der auf Sand baut, hier nimmt sie Spinnwebe und will einen Rock daraus machen, hier nimmt sie Sand für  Mehl und will Brod backen, hier säet sie Wind und sammelt Wirbel, hier misset sie die Luft mit Löffeln aus, trägt das Licht mit Mulden in den Keller, wiegt die Flammen auf einer Wage und treibt all das Narrenwerk und verkehrte Spiel, das je geschehen ist oder erdichtet mag werden, daher auch alle Abgötterei kommen ist. Denn sie thut ihr Ding, als sei es Gottesdienst, und ist's doch nicht.” (Bei Caspari, Geistl. und Weltl. S. 296.)

Hat also der natürliche Mensch in den geistlichen Dingen nicht die geringste Erkenntniß, wie sollte er in denselben etwas vermögenz *)Ferner: Wie steht es mit der Willenskraft des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen? Was sagt hiervon Gott in seinem Wort, Gott, der allwissende Herzenskündiger, der wohl weiß, was im Menschen ist? Er sagt durch St. Paulum Eph. 2, 5.: “Da wir todt waren in Sünden, hat er uns sammt Christo lebendig gemacht.” Nicht blos ist der natürliche Mensch in Bezug auf die Kraft zu geistlichen Dingen schwach oder übel verwundet, sondern es ist gar keine Kraft da, weder eine große noch eine kleine. Es ist kein Scheintod da oder ein Starrkrampf, wo die Lebenskraft noch vorhanden und nur gebunden ist; nein, ein wirklicher Tod, ein gänzliches Erstorbensein findet statt. Wir wissen ja alle, was todt sein heißt. Wir nennen den einen Todten, aus welchem das Leben und alle Lebenszraft vollständig gewichen ist. Wenn auch nur noch Zuckungen in dem Leibe sind, so nennt man einen Menschen noch nicht todt. Erst dann nennen wir ihn todt, wenn auch die letzte Lebensregung aufgehört hat, wenn der Leib empfindungslos und starr daliegt. Nun sagt aber der Heilige Geist von dem natürlichen Menschen, daß er todt sei in Sünden. Wer darf es wagen, diesem Zeugniß des Heiligen Geistes zuwider demMenschen auch nur die geringste Kraft in geistlichen Dingen zuzuschreiben? Wollen Menschen den Heiligen Geist erst reden lehren, als ob er nicht wüßte, was “todt sein” sei? Die lutherische Kirche ist fern davon, den Heiligen Geist

--------------

*) Protokoll P. Birkmann's.

 

(Seite 14 )

meistern zu wollen. Sie sagt in ihrem Bekenntniß also (Concordienformel, Sol. Decl. 2. Art. Vom freien Willen): “Item, die Schrift lehret, daß der Mensch in Sünden nicht allein schwach und krank, sondern ganz erstorben und todt sei. Eph. 2. Col. 2.” (S. 590.)  Und das legt unser Bekenntniß noch weiter dahin aus, daß ein Mensch so wenig zu seiner geistlichen Lebendigmachung etwas beitragen kann, wie ein leiblich

Todter zu seiner leiblichen Auferweckung. “Sowenig ein todter Leib sich selbst lebendig machen kann zum leiblichen irdischen Leben, so wenig mag der Mensch, so durch die Sünde geistlich toot ist, sich selbst zum geistlichen Leben aufrichten.” (S. 524.) Ferner: “Wie nnn der Mensch, so leiblich todt ist, sich nicht kann aus eigenen Kräften bereiten oder schicken, daß er das zeitliche Leben wieder bekomme: also kann der Mensch, so geistlich todt ist in den Sünden, sich nicht aus eigener Macht zu Erlangung der geistlichen und himmlischen Gerechtigzeit und Lebens schicken oder wenden, wo er nicht durch den Sohn Gottes vom Tode der Sünden frei und lebendig gemacht wird.” (S. 590.)

So haben wir bewiesen, daß der natürlicheMensch in geistlichenDingen  und speciell zu seiner Bekehrung nichts vermöge, weil ihm jegliches Verständniß und jegliche Kraft in geistlichen Dingen gänzlich mangelt. Aber wir können unseren Beweis noch verstärzen. Gottes Wort offenbart uns noch eine größere Verderbniß unseres natürlichen Wesens. Nicht nur hat der natürliche Mensch kein Verständniß für die geistlichen Dinge, nicht nur erkennt er die ihm vorgetragene Wahrheit des Evangeliums von Christo nicht als göttliche, seligmachende Wahrheit, sondern er hält diese Wahrheit für Thorheit, für etwas Unsinniges, Abgeschmacktes, für eine Fabel, ein Märchen. Das sagt uns Gottes Wort ebenfalls 1Cor. 2, 14.: “Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Thorheit" 2c. Nach 1 Cor. 1, 23. ist Christus, der Gekreuzigte, den Juden ein Aergerniß, den Griechen eine Thorheit. -- Und dieser geistliche Unverstand findet sich bei Gelehrten und Ungelehrten. Keine weltliche  Bildung bringt den Menschen aus der geistlichen Blindheitzur geistlichen Erkenntniß. Da kann jemand in weltlichen Geschäften und Wissenschaften sehr anstellig und weise sein, er kann in geschäftlichen Verhältnissen sehr scharfsinnig calculiren, erkann die complicirtesten Maschinen construiren, erkann Telephone und Audiphone herrichten, er kann den Lauf der Gestirne genau beobachten und berechnen: zu geistlichen Dingen wird er dadurch nicht geschickter und verständiger. Ja, wie geht es? Die gelehrtesten Leute offenbaren meist den gröbsten Unverstand in geistlichen Dingen. Sie wollen das Evangelium von Christo JEsu mit dem natürlichen Erkenntnißvermögen erfassen und beurtheilen. Aber je mehr sie sich in dieser Richtung bemühen, desto dunkler wird es ihnen. Sie halten das seligmachende Evangelium erst recht für eine Fabel und Thorheit. Sie verkünden laut und ungescheut der Welt, was in der Bibel vom Wege der Seligkeit stehe, das sei doch gar zu widersinnig,

(Seite 15 )

das könne kein vernünftiger Mensch annehmen. So thöricht und verblendet ist auch die “gebildete” Vernunft in geistlichen Dingen. Davon redet auch unser Bekenntniß: “Dann erstlich, des Menschen Vernunft oder natürlicher Verstand, ob er gleich noch wohl ein dunkel Fünklein des Erkenntniß, daß ein Gott sei, wie auch Röm. 1. von der Lehre des Gesetzes hat: dennoch also unwissend, blind und verkehrt ist, daß, wann schon die allersinnreichsten und gelehrtesten Leute auf Erden das Evangelium vom Sohn Gottes und Verheißung der ewigen Seligkeit lesen oder hören,. dennoch dasselbige aus eigenen Kräften nicht vernhmen, fassen, verstehen, noch glauben und für Wahrheit halten können, sondern je größeren Fleiß und Ernst sie anwenden, und diese geistlichen Sachen mit ihrer Vernunft begreifen wollen, je weniger sie verstehen oder gläuben, und solches alles allein für Thorheit oder Fabeln halten, ehe sie durch den Heiligen Geist erleuchtet und gelehret werden, 1Cor. 2.: Der natürliche Mensch” 2c. (Müller S. 589. 590.)    

Gottes Wort offenbart uns auch noch mehr über den Willen des natürlichen Menschen. Nicht nur sagt es, daß der Wille des natürlichen Menschen gänzlich kraftlos, todt sei (was wir bereits gesehen haben), sondern auch, daß derselbe den geistlichen Dingen feindlich gegenüberstehe. Nicht nur mangelt ihm jegliche Kraft, die geistlichen Dinge zu thun, z. B. das Evangelium anzunehmen, sondern die natürliche Kraft, welche in ihm ist, arbeitet gegen das Evangelium, wehrt sich gegen die geistlichen Dinge.  Der natürliche Wille fördert nicht nur das Werk des Heiligen Geistes nicht, sondern er behindert dasselbe auch. Es ist nicht bloß eine Unkraf t, sondern eine Gegenwirkung da.

Gottes Wort sagt Röm. 8, 7.: “Fleischlich gesinnet sein", das ist, natürlich gesinnet sein, (griechisch: @@@@@@@@@@@@@@@@@@@@) “ist eine Feindschaft wider Gott.” Das natürliche Wollen und Begehren des Menschen ist gegen die geistlichen Dinge gerichtet, steht denselben feindlich gegenüber. Ferner sagt die heil. Schrift 1 Mose8,  .: “Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.” Das Böse ist der Gegensatz von dem geistlich Guten. Und nur nach dieser entgegengesetzten Richtung strebt das natürliche menschliche Herz mit seinem “Dichten und Trachten".

Unser Bekenntniß spricht sich über diesen Punkt also aus: “Zum andern zeuget Gottes Wort, daß des natürlichen, unwiedergeborenen Menschen Verstand, Herz und Wille in Gottes Sachen ganz und gar nicht allein von Gott abgewandt, sondern auch wider Gott zu allem Bösen gewendet und verkehret sei. Item, nicht alleine schwach, unvermüglich, untüchtig und zum Guten erstorben, sondern auch durch die Erbsünde also jämmerlich verzehret, durchgiftet und verderbet sei, daß er von Natur und Art ganz böse, und Gott widerspänstig und feind, und zu allem, das Gott mißfällig und zuwider ist, allzu kräftig, lebendig und thätig sei." (Concordienf. S. 592, 17.)

(Seite 16 )

Beachten wir auch die Bilder, welche unser Bekenntniß gebraucht, um des Menschen gänzliches Unvermögen und seine Opposition gegen die geistliche Wahrheit darzustellen. Unser Bekenntniß vergleicht den Menschen mit einem Stein und Block: “Aber zuvor und ehe der Mensch durch den Heiligen Geist erleuchtet, bekehret, wiedergeboren, verneuert und gezogen wird, kann er vor sich selbst und aus seinen eigenen natürlichen Kräften in geistlichen Sachen und seiner selbst Bekehrung oder Wiedergeburt etwas anzufangen, wirken oder mitzuwirken, gleich so wenig als ein Stein oder Block oder Thon.” (594, 24.) Sowenig ein Stein dazu thut, daß er zum Bau eines Hauses verwendet wird, eben so wenig kann ein Mensch dazu thun, daß er durch die Bekehrung ein geistlicher Stein in dem Hause Gottes werde. - Ja, der natürlicheMensch ist in einer Hinsicht noch ärger als ein Block oder Stein. Ein Block läßt sich zum Balken machen und leistet weiter keinen Widerstand als den, welcher in der Härte des Holzes liegt; derMensch hingegen widersetzt sich Gott, der ihn bekehren will. Wird ihm das Gefetz gepredigt, so denkt er: Sollte ich ein so böser Mensch sein, und mich so vor Gott demüthigen und in den Staub werfen müssen ? Wird ihm das Evangelium verkündigt, so findet er es überaus thöricht, daß er durch eines Andern Gerechtigkeit gerecht geachtet werden solle. Der natürliche Mensch verhält sich daher in der Bekehrung ärger als ein Block oder Stein. Auch dies spricht unser Bekenntniß aus S. 602: “Und in diesem Fall mag man wohl sagen, daß der Mensch nicht sei ein Stein oder Block. Denn ein Stein oder Block widerstrebet dem nicht, der ihn beweget, verstehet auch nicht und empfindet nicht, was mit ihme gehandelt wird, wie ein Mensch Gott, dem HErrn, widerstrebet mit seinem Willen, so lang, bis er bekehret wird.” -Vielen ist die Vergleichung des Menschen mit einem Holz oder Stein anstößig. Sie meinen, das sei doch gar zu unpassend vom Menschen gesagt. Aber es sind Ausdrucke, welche die heilige Schrift gebraucht. Hesek. 36, 26.: “Ich will das steinerne Herz von euch nehmen und euch ein fleischernes Herz geben” 2c. Ies. 48, 4.: “Denn ich weiß, daß du hart bist; und dein Nacken ist eine eiserne Ader, und deine Stirn ist ehern." Jer. 5, 3.: “Sie haben ein härter Angesicht denn ein Fels, und wollen sich nicht bekehren.”

Scheint denn aber nicht manches dagegen zu sprechen, daß der natürliche Mensch in geistlichen Dingen gänzlich unwissend und unvermögend sei, ja, denselben feindlich gegenüberstehe? Ist der natürliche Mensch nicht oft sehr “religiös”? gibt es nicht viele Weltmenschen, welche noch “auf Religion halten”? Allerdings! Aber was für eine Religion haben denn die sogenannten ehrbaren Weltmenschen, die noch von Gott und einem Jenseits reden? Als Gott wollen sie nur anerkennen einen “allgütigen Vater und Lenker des Weltalls”, nicht den in Christo geoffenbarten Gott. Und vom Heilswege haben sie diese Ansicht: “Wer sich hier auf Erden der Tugend und Ehrbarkeit befleißigt, der kommt in den Himmel.” Gerade

(Seite 17 )

diese ihre Ansicht von Gott und göttlichen Dingen beweis't, daß sie von geistlichen Dingen auch nicht das Geringste verstehen. Ihre Religion ist weiter nichts als etwas natürliche oder heidnische Religion. Es gibt keinen gnädigenGott, wie sie sich ihn vorstellen, und keinen Heilsweg, wie sie sich denselben erträumen. Die Weltleute offenbaren auch alsbald, daß sie von geistlichen Dingen nicht nur nichts verstehen, sondern denselben auch bitterfeind sind. Sie sind nur so lange tolerant, als man ihnen die geoffenbarten Wahrheiten nicht klar und entschieden vorhält. Sobald man aber mit der Wahrheit Ernst macht, hört ihre Toleranz auf. Hält man ihnen vor, wie all' unser Thun vor Gott nichts tauge und daß allein in Christi stellvertretender Gerechtigkeit unser Heil sei, dann werden sie ost Gift undGalle. Ja, siekönnen mitall' ihrer naturlichen “Religiosität” an denen, welche ihnen Gottes Wort vorhalten, zu Verfolgern und Mördern werden, wie an den Juden zu Christi Zeit und späterhin an den Papistenzu sehen ist.

Ein zweiter Einwurs gegen unsere Lehre vom Unvermögen der menschlichen Kräste in geistlichen Dingen wird von der sogenannten Sehnsucht der Heiden hergenommen. Viele Heiden -- sagt man -- haben eingesehen, es sei nichts mit ihrer Religion. Es eutstand in ihnen eine Sehnsucht nach etwas anderem, ein Verlangen nach Rettung aus ihrem  ubelen Zustande. Wohl! Aber kann daraus bewiesen werden, daß sie ein Vermögen hatten zu geistlichen Dingen? Mögen sie sich nach einer Rettung gesehnt haben; sicherlich war dies nicht eine Sehnsucht nach der Rettung durch Christum. Nicht durch den HErrn Christum wollten sie errettet werden -- sie wußten ja nichts von Ihm --, sondern durch sich selbst. Von dem Heil, welches uns in Gottes Wort geoffenbart wird, hat der Heide ja keine Ahnung; es ist nie etwas davon in sein Herz gekommeu. Es bleibt 1Cor. 2, 8--10. wahr. Wenn ein Heide bekehrt wird, so findet er etwas ganz anderes, als er suchte. Er dachte, er müßte sich selber erlösen und selig machen; nun ersäbrt er aber, daß Gott dies bereits gethan hat. Das ist ihm etwas Unerhörtes, geht gegen alle seine Gedanken von “Rettung”. Die Athener, welche Paulus auf den Areopag führten und dann bekehrt wurden, werden das auch bekannt haben. --Wornach ich mich sehnen soll, davon muß ich 1. eine Erkenntniß haben und 2. muß ich es für etwas Gutes halten, ein Wohlgefallen daran finden. Niemand sehnt sich nach dem, das er nicht mag.  Wie steht es aber mit den Heiden? Weder wissen sie etwas vom Evangelio, 1Cor. 2, 9. f., noch finden sie von Natur ein Gefallen daran. Ja, wird es ihnen gepredigt, so halten sie es für Thorheit. Es ist wahr, von dem Gesetze haben die Heiden ein geringes Wissen, und sie thun auch, wie St. Paulus Röm. 2. bezeugt, etlichermaßen des Gesetzes Werk.  Aber derselbe Apostel sagt Eph, 4, 18., wo er auf die geistlichen Dinge zu reden kommt, von denselben Heiden: “Ihr Verstand ist verfinstert und sie sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist", d. i. von dem geistlichen Leben. Die Heiden vernehmen wohl  

 

(Seite 18 )

die Stimme ihres Gewissens, aber das Gewissen schafft kein geistliches Leben; denn es bewegt sich nur auf dem Gebiete des Gesetzes. Auch unser Bekenntniß spricht dem natürlichen Menschen die Sehnsucht nach der Gnade ab; es sagt, in dem Herzen des natürlichen Menschen sei kein “Gedanke" von dem Heil in Christo. Concordienformel: “Darum ist hie kein Mitwirken unseres Willens in der Bekehrung des Menschen, und muß der Mensch gezogen, und aus Gott neu geboren werden: sonst ist kein Gedanken in unseren Herzen, der sich zu dem heiligen Evangelio, dasselbe anzunehmen, von sich selbst wenden möchte." (S. 598.)

Der Mensch kann also aus seinen natürlichen Kräften nichts zu seiner Bekehrung beitragen. Gott allein ist es, der ihn bekehrt. Gott legt den Menschen erst in den Staub, wirkt in ihm die Reue; und zündet sodann das Licht des Glaubens in seinem Herzen an. So kommt die Bekehrung zu Stande.

Wie der Mensch aus seinen natürlichen Kräften nichts dazu thun kann, daß er zum Glauben komme, so kann er aus denselben Kräften auch nichts dazu thun, daß er im Glauben bleibe. Durch die Bekehrung wird zwar ein neuer Mensch, ein geistliches Leben in uns geschaffen. Ein bekehrter Mensch hat eine neue, geistliche Erkenntuiß und einen neuen geistlichen Willen. Dieser neue Mensch wirkt mit zu allen geistlichen Werken; der erneuerte Verstand und Wille ist ein lebendiges Werkzeug in Gottes Hand. Aber wohlgemerkt! nur der neue Mensch wirkt mit, nicht der natürliche; der Mensch wirkt mit nach den ihm in der Bekehrung von Gott geschenkten Kräften, aber nie und nimmer nach seinen natürlichen Kräften. Unser Bekenntniß sagt: “Alsbald derHeilige Geist, wie gesaget, durchs Wort und heilige Sacrament solch sein Werk der Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiß, daß wir durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken können und sollen, wiewohl noch in großer Schwachheit, solches aber nicht aus unsere fleisch lichen,  natürlichen Kräften, sondern aus den neuen Kräfte  und Gaben, so der Heilige Geist in der Bekehrung in uns angefangen hat.”  (Concordienf. Sol. Decl. Art. 2. S. 604.) Das kann auch gar nicht anders sein. Eine Mitwirkung nach den natürlichen Kräften ist nicht möglich. In der Bekehrung geschieht eben nicht eine Entfesselung oder Ent bindung noch vorhandener schlummernder Kräfte, sondern eine Schaffung  und Schenkung neuer Kräfte. Ein Neues wird in den Menschen hineingesetzt und dieses Neue bekommt allerdings die Herrschaft. Aber daneben bleibt das Alte, der alte (natürliche) Mensch bestehen. Und der bessert sich nicht mit den Jahren, sondern behält ganz seine frühere Art bis in die Grube. Er wird nie ein Freund der geistlichen Dinge. Geschäftig und thätig ist er sehr auch nach der Bekehrung, aber immer nur so, daß er gegen das neue geistliche Leben ankämpft. Die natürlichen Kräfte helfen den geistlichen nicht, sondern hindern dieselben nur. St. Paulus schreibt in

(Seite 19 )

Bezug auf die wiedergeborenen Christen Gal. 5, 17.: “Das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch, dieselbigen sind wider einander." Diesen Stand der Dinge hat Paulus an sich selber erfahren; er sagt von sich, dem Wiedergeborenen: “So diene ich nun mit dem Gemüthe (das ist, nach dem neuen Menschen) dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünden.” (Röm. 7, 25.) Er bricht deshalb in die Klage aus: "Ich elenderMensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?” (Röm. 7, 24.) So leuchtet denn ein, daß der Mensch aus sich selbst nichts zur Erlangung der Seligkeit oder zum Bleiben im Glauben beitragen kann.

Joh. 15, 5. redet der HErr zu Wiedergeborenen also: “Ohne mich könnt ihr nichts thun.” Phil. 2, 13. heißt es: “Gott ist es, der in euch toirket beide das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.” Unsere Seligkeit ruht von Anfang bis zu Ende in Gottes Hand. Gott stellt nicht etwa blos unseren Fuß auf den Weg der Seligkeit und überläßt es uns dann, das Ziel aus eigenem Vermögen zu erreichen; sondern erhält uns auch auf diesem Wege, bis wir des Glaubens Enze davon tragen, nämlich der Seelen Seligkeit. Wenn ein Mensch im Glauben bezarrt, so ist das nicht theilweise, sondern ganz und gar Gottes Werk.

In der Concordienformel heißt es: “Wann aber der Mensch bezehret worden und also erleuchtet ist und sein Wille erneuert, als dann so will der Mensch Gutes (so fern er neu geboren oder ein neuer Mensch ist) und hat Lust am Gesetz Gottes, nach dem innerlichen Menschen, Röm. 7., und thut forthin so viel und so lang Gutes, so viel und lang er vom Geist Gottes getrieben wird" 2c. (Art. 2. S. 603.)  Ferner: “Der Wiedergeborne hat Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, siehet aber gleichwohl in seinen Gliedern der Sünden Gesetz, welcheswiderstrebt dem Gesetz im Gemüth: derhalben so dienet ermitdem Gemüth dem Gesetz Gottes. abermit dem Fleisch dem Gesetz der Sünden. Röm.7.” (S.608.) Jede Minute seines Glaubensstandes verdankt daher der Christ der Gnadenwirkung Gottes. Dieselbe Concordienformel sagt: “Wie St. Paulus ausdrücklich und erustlich vermahnet, daß wir als Mithelfer die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen, welches denn anders nicht, denn also soll verstanden werden, daß der bekehrte Mensch so viel und lang Gutes thue, so viel und lang ihn Gott mit seinem Heiligen Geist regieret, leitet und führet, und sobald Gott seine gnädige Hand von ihm abzöge, könnte er nicht einen Augenb lick in Gottes Gehorsam bestehen.” (S. 604.)

In der 1. These wird noch gesagt, der Mensch könne Gott auch nicht veranlassen, ihn zu bekehren. Wer noch für einen Lutheraner gelten will, der hütet sich wohl zu behaupten, der Mensch könne zu seiner Bekehrung mitwirken; denn dieser Ausdruck ist anrüchig geworden, unsere Kirche hat ihn verworfen. Die neuen Synergisten gebrauchen daher lieber andere  

(Seite 20 )

Ausdrücke. Sie reden so, daß herauskommt: Der Mensch gibt durch die Art und Weise, wie er seine natürlichen Kräfte anwendet, dem lieben Gott Veranlassung, ihn vor Anderen zu bekehren. Was kann denn der natürliche Mensch? Nun, er kann äußerlich Gottes Wort hören, lesen und betrachten. Das steht noch in seinen natürlichen Kräften, wie bereits erwähnt worden ist. Aber damit macht der Mensch Gott uoch nicht verbindlich, ihn zu bekehren. Das Hören des Wortes Gottes ist das Mittel unserer Bekehrung, nicht die Veranlassung. Wie viele hören Gottes Wort und werden doch nicht bekehrt! Die Concordienformel sagt: “Dann wie Dr. Luther im 91. Psalm spricht: In weltlichen und äußerlichen Geschäften, was die Nahrung und leibliche Nothdurft betrifft, ist der Mensch witzig, vernitnftig und fast geschäftig, aber in geistlichen und göttlichen Sachen, was der Seelen Heil betrifft, da ist der Mensch wie eine Salzsäule, wie Lot's Weib, ja, wie Klotz und Stein, wie ein todt Bild, das weder Augen noch Mund, weder Sinn noch Herz brauchet: sintemal derMensch den grausamen, grimmigen Zorn Gottes über die Sünde und Tod nicht siehet noch erkennet, sondern fähretfort in seiner Sicherheit, auch wissentlich und willig und kömmt darüber in tausend Gefährlichkeit, endlich in den ewigen Tod und Verdammniß, und da hilftkein Bitten, keinFlehen, kein Vermahnen, ja auch kein Dräuen, Schelten, ja, alles Lehren und Predigen ist bei ihme verloren, ehe er durch den Heiligen Geist erleuchtet, bekehret und wiedergeboren wird.” (S. 593.) -- Der äußere Gebrauch der Gnadenmittel ist also keine Ursache oder Veranlassung, daß die Menschen bekehrt werden, welche wirklich die Bekehrung erfahren. Ein gutes Verhalten aber gegen die innere Bekehrungsgnade kann der Mensch aus natürlichen Kräften  nicht leisten. Wir haben uns überzeugt, daß der natürliche Mensch in geistlichen Dingen nichts vermöge. Mit diesem Nichts kann sich der Mensch die Bekehrung nicht zuziehen. Nichts veranlaßt nichts. Wir  haben uns aber auch überzeugt, daß der natürliche Menfch dem Evangelio feind ist, von demselben nichts wissen will, es für eine Thorheit hält, der inneren Bekehrungsgnade aus natürlichen Kräften nur widerstrebt. Mit diesem Widerstreben, dieser Feindschaft aber kann der Mensch erst recht nicht Gott veranlassen, ihn zu bekehren.

Thesis II.

Demnach ist die Bekehrung ganz Gottes Werk und dem Menschen auch nicht die Kraft zuzuschreiben, daß er das sogenannte muthwillige Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade aus natürlichen Kräften unterlassen könne.

Diese These enthält nur eine selbstverständliche Folgerung aus der ersten These. Es ist hier etwas aus der ersten These herausgehoben, weil es neuerdings innerhalb der lutherischen Kirche geleugnet worden ist.

(Seite 21 )

Der Irrthum in Bezug auf die Lehre vom freien Willen, das ist, von den Kräften des natürlichen Menschen im Werke seiner Bekehrung und Seligmachung, ist so alt, wie die christliche Kirche. Immer hat in diesem Stück der Teufel falfche Lehre auf die Bahn zu bringen gesucht. Zuerst ganz grob, dann immer etwas feiner. Pelagius lehrte, es gebe gar zeine Erbsünde. Die Natur des Menschen sei auch nach dem Fall unverderbt und in ihren natürlichen  Kräften zu geistlichen Dingen durchaus geschickt. Der Mensch könne sich daher aus eigenen, natürlichen Kräften von der Sünde, die er sich nur angewuöhnt habe, zu Gott bekehren und so durch sich selbst Gerechtigkeit und Seligkeit erlangen. Die Semipelagianer lehrten, der Mensch könne zwar das Werk der Bekehrung nicht ganz aus eigenen Kräften vollbringen, sondern der Heilige Geist müsse es ihm vollbringen helfen. Aber der Mensch könne doch mit einem Rest von zuten Kräften den Anfang zu seiner Bekehrung machen; er könne aus eigenen Kräften so viel thun, daß Gott sich ihm mit der Gnade zuwende und die vom Menschen selbst angefangene Bekehrung vollende. Die Synergisten lehrten und lehren, der Mensch könne zwar nicht den Anfang zu seinerBekehrung machen. Aber wenn der Heilige Geist anfange, den Menschen zu bekehren, so habe der Mensch noch so viel Kraft von Natur, daß er zu dem Werk des Heiligen Geistes schwächlich sein Jawort geben, zu der angebotenen Gnade sich schicken könne. Unser Bekenntniß beschreibt den Irrthum der Synergisten, welche im 16ten Jahrhundert auftraten, mit folgenden Worten: “(Wir verwerfen) da gelehrt wird, obwohl der Mensch mit seinem freien Willen vor seiner Wiedergeburt zu schwach, den Anfang zu machen und sich selbst aus eigenen Kräften zu Gott zu bekehren und Gottes Gesetz von Herzen gehorsam zu sein: jedoch, wenn der Heilige Geist mit der Predigt des Worts den Anfang gemacht und seine Gnade darinnen angeboten, daß alsdann der Wille des Menschen aus seinen eigenen natürlichen Kräften etlichermaßen etwas, wiewohl wenig und schwächlich, dazuthun, helfen und mitwirken, sich selbst zur Gnade schicken, bereiten, dieselbige ergreifen, annehmen und dem Evangelio gläuben könne.” Latermann im 17ten Jahrhundert stellte die Lehre auf, der Mensch könne sich mit den geschenkten Gnadenkräften bekehren. Diese Lehre könnte Manchem auf den ersten Blick ganz recht erscheinen. Sie schreibt aber dem natürlichen Menschen noch so viel zu, daß derselbe mit den vom Heiligen Geist gewirkten geistlichen Bewegungen gut umgehen, sie gut verwenden könne, während Gottes Wort sagt, daß des naturlichen Menschen Gesinnung eine Feindschaft wider Gott sei. Und nun kommen in unserer Zeit die Gegner der lutherischen Lehre von der Gnadenwahl und behaupten, der Mensch könne aus eigenen Kräften so viel thun, daß er das sogenannte muthwillige Widerstreben gegen die Bekehrungsgnade unterlasse. Sie wollen es zwar nicht Wort haben, daß sie damit eine Mitwirkung des natürlichen Menschen im Werke seiner Bekehrung lehren. Aber sie betrügen  

(Seite 22 )

mit dieser Leugnung sich selbst und Andere. Denn die Unterlassung des muthwilligen Widerstrebens, die der Mensch aus eigenen Kräften leistet, lassen sie den Grund und die Ursache sein, warum gerade die Leute bekehrt werden, welche die Bekehrung erfahren. So wird das Entscheidende bei der Bekehrung, welche eintritt, in den Menschen selbst, und nicht in Gottes unverdiente, lautere Gnade gelegt. Der alte synergistische, ja semipelagianische Irrthum wird wieder aufgewärmt mit diesen Aufstellungen über die Unterlassung des muthwilligen Widerstrebens aus eigenen Kräften.

Was versteht man denn unter dem muthwilligen Widerstreben und wie unterscheidet man es vom natürlichen Widerstreben? Ersteres faßt man als eine Steigerung des letzteren. Wir wollen uns diese Unterscheiduug Lehrens halber gefallen lassen. Das natürliche Widerstreben, sagt man weiter, ist in allen Menschen, auch in denen, welche bekehrt werden. Das muthwillige Widerstreben aber verhindert, so lauge es da ist, die  Bekehrung. Auch das letztere ist richtig gesagt. Muthwilliges Widerstreben und Bekehrung können nicht zugleich im Menschen sein. Das muthwillige Widerstreben besteht darin, daß der Mensch die im Evangelium angebotene Guade muthwillens von sich abweis't, sein Herz dagegen gänzlich verschließt. Das muthwillige Widerstreben muß unterlassen werden, wenn eine Bekehruugstatthaben soll. Wer bewirktesaber, daßdasmuthwilligeWiderstreben gegen die bekehrende Gnade unterbleibt? Hier liegt der Streitpunkt. Unsere Gegner sagen: Das bewirkt der Meusch selbst (vergl. “Lehre und Wehre", Jahrgaug 1881S. 335), er kann aus seinen eigenen natürlichen Kräften aufhören, muthwillig der Gnade zu widerstreben. Wir dagegen behaupten: Der Mensch kann das muthwillige Widerstreben aus natürlichen Kräften nicht unterlassen, sondern es wird hinweggenommen, wenu es bereits da war, oder gehindert, wenn es noch nicht da war, allein durch die Wirkung des Heiligen Geistes.

Joachim Mörlin schreibt: “Beides ist wahr: der Mensch kann sich mit seinen Kräften abwenden oder auch dem Heiligen Geist sich widersetzen, dem Mißtrauen nachhängen und das Wort verwerfen, ja, es für eine Thorheit und ein Aergerniß halten. Und zwar thut dies der Mensch in Wirklichkeit, weun er thut, was an ihm ist, wie die ganze heilige Schrift bezeugt. Wahr ist aber auch dies: in der Bekehruug darf dies nicht gethan werden. Den sicherlich ist da keine Bekehrung, wo dem Heiligen Geist und dem gepredigten und gehörten Worte Gottes widerstanden wird und der Meusch nicht gegen sein Mißtrauen kämpft, sondern in seinem Unglauben bleibt. Es ist ein vollkommener Widerspruch, zu sagen, daß die Bekehrung geschehe, wo der Heilige Geist mit dem Worte zurückgetrieben wird. Dies ist daher nicht die eigentliche Streitfrage. Darum haudelt und darum dreht sich eigentlich alles, ob es bei den menschlichen Kräften oder dem menschlichen Belieben stehe, dem

(Seite 23 )

Heiligen Geist zu glauben, gegen das Mißtrauen (diffidentine) anzukämpfen und das Wort anzunehmen." (Confessio de libero arbitrio. Bei Schlüsselburg S. 201f.)

Zach. Prätorius: “Der Sohn hat gesagt: ‘Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater.' Du dagegen meinst, daß du gleichsam Gott ziehest. Wir reden aber von dem Anfang der Bekehrung und vom Menschen vor der Bekehrung. Niemand leugnet, daß nachher der wiedergeborene und vom Heiligen Geist unterstützte Mensch wolle und zwar wirklich wolle. Ja, auch  in der Bekehrung selbst will er, will er nothwend igerweise. Aber dieses Wollen ist nicht von ihm selbst, sondern von Gott." (Brevis responsio ad conf. theologorum Witebergensium de libero arb. Bei Schlüsselburg V, 536.)

Ferner ist zur Feststellung des eigentlichen Streitpunktes auch dies zu merken. Man kann unterscheiden zwischen dem muthwilligen Widerstreben gegen den äußerlichen Gebrauch der Gnadenmittel und dem Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade. Jenes Widerstreben findet sich bei denen, welche sich durchaus nicht darauf einlassen wollen, Gottes Wort auch nur äußerlich zu hören, in die Kirche zu konunen u. s. w. Dieses muthwillige Widerstreben kann der Mensch aus natürlichen Kräften unterlassen. Er kann denken: Wie ich heidnische und philosophische Religionssysteme prüfe, so will ich doch auch einmal die Bibel lesen und in die Kirche gehen, um zu erfahreu, was die Christen eigentlich glauben.

Wir haben es aber in diesem Streit und in unserer These mit dem Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade zu thun. Es handelt sich darum, ob der Mensch aus natürlichen Kräften es vermöge, seine Feindschaft gegen die Wirkung des Heiligen Geistes an seinem Herzen zu mildern und zu zähmen. Dies vermag der Meusch nicht aus sich selber.

Könnte der Mensch das muthwillige Widerstreben aus eigenen Kräften unterlassen, dann wäre die Bekehrung nicht ganz Gottes Werk, der Mensch wirkte dann zu seiner Bekehruug mit, ja, er würde das Ausschlaggebende dabei thun. Gott wirkt nach der Lehre unserer Geguer nur bis zu einem bestimmten Punkte, nämlich bis zum Aufhören des natürlichen Widerstrebens. Hier hört Gottes Werk auf, und des Menschen Werk setzt ein. Nun muß er sich nach seinen naturlichen Kräften zusammeunehmen, daß er jegliches weitere Widerstreben gegen die Gnade unterläßt. Nur wenn der Mensch dies leistet, geschieht eine Bekehrung. Und nur der Mensch, bei welchem diese Leistung aus natürlichen Kräften sich findet, wird bekehrt. Die Bekehrung kommt also nach der Ansicht unserer Geguer zu Stande, indem Gott und der Mensch zusammenwirken; sie wäre also nur theilweise Gottes Werk, nicht ganz Gottes Werk.

Diese Lehre wird als durchaus schriftwidrig von unserm Bekenntniß 

(Seite 24 )

bezeichnet: “Wie dann zum ritten die heilige Schrift die Bekehrung, den Glauben an Christum, die Wiedergeburt, Erneuerung und alles, was zu derselbigen wirklichem Anfang und Vollziehung gehöret, nicht den menschlichen Kräften des natürlichen freien Willens, weder zum ganzen noch zum halben noch zu ein igem, dem wenigsten oder geringsten Theil zugeleget, sondern in solidum, das ist, ganz und gar, allein der göttlichen Wirkung und dem Heiligen Geist zuschreibet,. wie auch die Apologia saget.” (S. 594, § 25; vgl. .§ 26, wo auch.zugleich der Schriftbeweis geführt wird.)

Ferner. “Dann die Bekehrung unsers verderbten Willens, welche anders nichts, dann eine Erweckung desselben von dem geistlichen Tode, ist einig und allein Gottes Werk, wie auch die Auferweckung in der leiblichen Auferstehung des Fleisches allein Gott zugeschrieben werden soll.” (S. 609.) So wenig der Staub des Menschen am jüngsten Tage dazu beitragen kann, daß er wieder ein lebendiger Mensch werde, ebenso wenig kann der Mensch etwas zu seiner Bekehrung beitragen.

Ferner: “Wann Lutherus spricht, daß sich der Mensch zu seiner Bekehrung pure passive halte. . ., so meinet er, daß der Mensch von sich selbst oder aus seinen natürlichen Kräften nichts vermöge oder helfen könne zu seiner Bekehrung, und daß die Bekehrung nicht allein zum Theil, sondern ganz und gar sei eine Wirkung, Gab und Geschenk und Werk des Heiligen Geistes allein” 2c. (S. 609.)

Gegen diese und ähnliche Stellen unseres Bekenntnisses lehren diejenigen, welche behaupten, die Unterdrückung des muthwilligen Widerstrebens stehe in der Macht des natürlichen Menschen. Unser Bekenntniß weis't jede Theilung des Bekehrungswerkes zwischen Gott und dem Menschen auf das entschiedenste zurück, auch wenn jemand dem Menschen nur “einigen, den wenigsten oder geringsten Theil” geben will. Diejenigen aber, welche den eigenen Kräften des Menschen die Verhinderung des muthwilligen Widerstrebens reservirt wissen wollen, geben dem Menschen einen sehr bedeutenden “Theil”, den Theil nämlich, welcher den Ausschlag gibt. -Uebrigens sagt unser Bekenntniß auch noch mit ausdrücklichen Worten, daß der Mensch Gott “feindlich widerstrebe” (hostiliter repugnare), einem “wilden unbändigen Thier” gleiche, “in Sicherheit auch wissentlich und willig” (etiam sciens volensque) fortfahre, bis der Heilige Geist eine Aenderung schaffe. Es sagt: “So nun im heiligen Paulo und andern Wiedergebornen der natürliche und fleischliche freie Wille, auch nach der Wiedergeburt, Gottes Gesetz widerstrebet: vielmehr wird er vor der Wiedergeburt Gottes Gesetz und Willen widerspänstig und feind sein: daraus offenbar ist, daß der freie Wille aus seinen eigenen natürlichen Kräften nicht allein ni chts zu seiner selbst Vekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken, noch dem Heiligen Geist, so ihm durch das Evangelium Gottes Gnade und die Seligkeit anbeut, folgen, gläuben oder

(Seite 25 )

das Jawort darzu geben kann, sondern aus angeborener, böser, widerspänstiger Art Gott und seinem Willen feindlich widerstrebet, wo er nicht durch Gottes Geist erleuchtet und regieret wird.  Derhalben auch die heilige Schrift des unwiedergeborenen Menschen Herz einem harten Stein, so dem, der ihn anrühret, nicht weichet, sondern widerstehet, und einem ungehobelten Block und wildem unbändigem Thier vergleichet. . . . In geistlichen und göttlichen Sachen, was der Seelen Heil betrifft, da ist der Mensch wie eine Salzsäule, wie Loths Weib, ja wie Klotz und Stein, wie ein todt Bild, das weder Augen noch Mund, weder Sinn noch Herz brauchet: sintemal der Mensch den grausamen, grimmigen Zorn Gottes über die Sünde und Tod nicht siehet noch erkennet, sondern fähret immer fort in seiner Sicherheit, auch wissentlich und willig, und kömmt darüber in tausend Gefährlichkeit, endlich in den ewigen Tod undVerdammniß, und da hilft kein Bitten, kein Flehen, kein Vermahnen, ja auch kein Dräuen, Schelten, ja alles Lehren und Predigen ist bei ihm verloren, ehe er durch den Heiligen Geist erleuchtet, bekehret und wiedergeboren wird." (Concordienformel. Art. 2. S. 592 f.)

Aber sehen wir dieSache auch noch von einer anderenSeite an. Könnte der Mensch das sogenannte muthwillige Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade aus natürlichen Kräften lassen, so müßte in ihm noch eine gewisse geistliche Erkenntniß der Gnade und noch ein inneres Wohlgefallen an derselben vorhanden sein. Nur bei diesem Zustande des Menschen wäre eine solche Unterlassung denkbar. Die Schrift sagt aber, wie wir bereits gesehen haben, der Mensch halte das Evangelium für eine Thorheit und sei mit Feindschaft dagegen erfüllt. 1 Cor. 2, 14.: “Der naturliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Thorheit." So spricht der Heilige Geist. Er will uns mit diesen Worten offenbaren, wie der natürliche Mensch das Evangelium ansehe. Wie verhalten wir uns aber gegen das, was wir für eine Thorheit ansehen? Wir nehmen es nicht an, sondern wehren uns dagegen, so viel wir können. Wenn nun der  eilige Geist sagt, der natürliche Mensch halte das Evangelium für eine Thorheit, so spricht er damit aus, daß der natürliche Mensch das Evangelium als etwas Absurdes durchaus zurückweise. Wie wird er also von Natur irgend ein Widerstreben gegen dasselbe aufgebenz

Röm. 8, 7. heißt es. “Fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott”; das heißt doch: das Wollen, Sinnen und Streben des natürlichen Menschen steht auf dem Kriegsfuße mit der göttlichen Offenbarung. Das Unterlassen des muthwilligen Widerstrebens, welches man jetzt dem unbezehrten Menschen vindiciren will, setzt aber eine freundliche Gesinnung voraus. So steht denn der in Thesis II. verworfene Irrthum in offenbarem Widerspruch mit Gottes Wort. Er beruht auf einer schriftwidrigen Abschwächung des erbsündlichen Verderbens. Ja, könnte der Mensch das muthwillige Widerstreben aus eigenen Kräften lassen, so müßte noch ein  

(Seite 26 )

Wollen des geistlich Guten in ihm sein. Die Schrift spricht es ihm aber ab, Phil. 2, 13.: “Gott ist es, der in euch wirket beide das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgesallen.” Dann müßte der Baum nicht ganz böse sein, wenn er noch diese gute Frucht bringen könnte. Gott spricht aber 1Mos. 8.: “Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.” Könnte der Mensch das muthwillige Widerstreben aus natürlichen Kräften unterlassen, dann könnte er noch etlichermaßen das “Jawort” geben und sich zur Bekehrung “schicken”, was doch dem, welchen die Schrift in Sünden todt nennt (Eph. 2, 1. 5.), nicht zukommen kann.

Luther schreibt: “Droben ist mehr denn einmal gesagt, wie die frommen heiligen Menschen, die in Gottes starker Gnade leben, wider ihr Fleisch mit großer Mühe und Fahr streiten und das Fleisch mit ganzer Natur wider die Gnade sicht. Ist's denn nicht ein großer Irrthum, daß man lehren darf, der natürliche freie Wille möge sich wenden zum Geist außer der Gnade, die Gnade suchen und begehren, so er sie fast fleucht, ja wider sie wüthet, wenn sie gegenwärtig ist? Welche Vernunft entsetzet sich nicht dafur, daß Fleisch und Geist die größten zwei Feinde sind, und soll doch das Fleisch seinen Feind, den Geist, begehren und suchen, so jedermann an ihm selbst fühlet, wie alle Kräfte wider die Gnade f echten, sie zu verjagen und zu vertilgen? Das wäre eben, als wenn einer spräche, ein wild wüthig Thier mag niemand mit Banden zähmen, aber, wenn es los ist, zähmet es sich selbst und gehet freiwilliglich in die Bande.” (Tom. 7. Ien. S. 400.) So Luther. Unsere neuen Synergisten wissen es aber besser. Nach ihnen “ficht das Fleisch nicht mit ganzer  Natur wider die Gnade”, “wuthet der freie Wille nicht wider die Gnade, wenn sie gegenwärtig ist”, nach ihnen “fechten nicht alle Kräfte (des Fleisches) wider die Gnade, sie zu verjagen und zu vertilgen”, da sie ja lehren, der noch fleischliche Mensch könne das muthwillige Widerstreben gegen die Gnade aufgeben. Nach ihnen “zähmet” wirklich “das wild wuthig Thier” sich selbst.

Die sächsischen Theologen sagen auf dem Colloquium zu Altenburg1569 gegen Melanchthons Behauptung, daß der natürliche Mensch sich zur Gnade schicken könne (facultas se appticandi ad gratiam), Folgendes, was auch Anwendung findet auf die Behauptung unserer jetzigen Gegner, daß der natürliche Mensch das muthwillige Widerstreben aus sich selbst unterlassen könne: “Das streitet mit dem Worte Gottes, welches fagt, daß der Mensch geistlich todt, Eph. 2., ein Gefangener des Teufels und ein Knecht der Sünde, Joh. 8. Röm. 7., ein Feind Gottes mit seinen Kräften sei. Vergleiche diese und andere Sprüche. Kann von einem Todten, einem Gefangenen des Teufels, einem Knecht der Sünde, einem Feinde Gottes gesagt werden, er habe die Fähigkeit, zur Gnade, zur göttlichen Gnade nämlich, sich zu schicken? Derselbe Paulus fagt, der natürliche Mensch vernehme nichts vom Geiste Gottes. Woher nimmt man

(Seite 27 )

also jene Aufstellungen gegen Paulus, daß nämlich der freie Wille die Fähigkeit, Macht und Kraft sei, sich zur Gnade zu schicken? Zum Sündigen ist der Mensch stets bereit und geneigt, aber mit keinem Fünklein seiner selbst kann er sich zur Gnade wenden und dieselbe ergreifen, wenn er nicht durch Wasser und Geist wiedergeboren ist; wenn man nur Christum einen wahrhaftigen Lehrer sein läßt und zugibt, daß der zu hören fei nach dem Befehl des himmlischen Vaters, Matth. 17."  (Bei Schlüsselburg V, 189.)                                      

Die Mansfelder Prediger: “Von dieser gewissen, einfältigen und feststehenden Lehre gehen zu dieser unserer Zeit diejenigen ab, welche den Willen bei seiner Bekehrung zur dritten mitwirkenden Ursache machen (causamconcurrentem faciunt). Denn diefe theilen die Arbeit zwischen dem Heiligen Geist und unsern Kräften so, daß sie uns auch noch etwas Hülfeleistung bei der Bekehrung lassen und unserem fleischlichen Willen das zuschreiben, was ihm die Schrift durchaus nimmt; denn oben ist gefagt: des Menschen Herz fei steinern und härter als ein Fels. Dies legt Augustinus richtig dahin aus, daß es von dem harten und gegen Gott unbeugsamen Willen gesagt werde. Wie aber kann doch ein solcher Wille sich zur Gnade schicken oder dieselbe begehren, ihr zustimmen, Beifall geben, oder sich nach derselben auch nur mit der leisesten Zustimmung ausstrecken, wenn er nicht durch den Heiligen Geist vorher erweicht wird? Welchen Heiligen Geist Gott durch Hefekiel zu dieser Erweichung des harten rnenfchlichen Herzens verheißt, da er spricht Kap. 36.: ‘Und ich will meinen Geist in euch geben, und willmachen, daß ihr wandelt in meinenGeboten.”' (A. a. O. S. 489.)

Auch die späteren treulutherifchen Theologen sagen ganz ausdrücklich, daß der Heilige Geist das muthwillige Widerstreben gegen die innere Bekehrungsgnade hindern oder fortnehmen müsse; es stehe dies nicht in der Kraft des natürlichen Menschen. Johann Hülsemann schreibt: “Der Mensch trägt zu seiner Bekehrung nicht nur nichts positiver Weise bei, sondern daß er auch negativer Weise nicht muthwillig und beharrlich der zuvorkommenden göttlichen Wirkung, welche seine Bekehrung beabsichtigt und in Angriff nimmt, widerstrebt, diefes Nichtdasein des Widerstrebens ist eine Wohlthat der zuvorkommenden Gnade.” (Breviarium c. IX. §8. S. 200.) Scherzer schreibt: “Die Abwesenheit des böswilligen Widerstrebens ist eine Wohlthat der zuvorkommenden Gnade.” (Systema S. 291.)  Dannhauer und Dorscheus: “Es folgt nicht, wenn das Nichtwollen in der Gewalt und dem Willen des Menschen sei, daß auch das Wollen in seiner Macht stehe. Es ist auch jenes Nicht - böswillig - Widerstreben kein Act des menschlichen Willens und der menschlichen Macht, fondern eine Wirkung der soweit siegenden und nach ihrer Größe und ihrem Maße die sundlichen Bewegungen und Ausbrüche des Fleisches zähmenden göttlichen Gnade.”  

(Seite 28 )

(Gutachten der Straßburger theologischenFacultät über Latermanns Lehre. 1646. Citirt “Lehre und Wehre” 1872, S. 264.) Auch Hollaz schreibt noch im 18ten  Jahrhundert. “Das Nicht- böswillig-Widerstreben bedeutet entweder die Unterlassung eines Widerstrebens, welches sich dem äußerlichen Gebrauch der Gnadenmittel widersetzt, oder die Unterlassung eines Widerstrebens, welches sich der inneren Bekehrungsgnade widersetzt. Jene Unterlassung ist eine Sache des freien Willens; diese verdankt man der göttlichen Gnade, welche das steinerne Herz wegnimmt.” (Examen P. III. s. 1. c. 1. q. 9.)

Zu verwundern ist nur, warum die heutigen Bekämpfer der lutherischen Lehre von der Bekehrung nicht auch die Unterlassung des sogenannten natürlichen Widerstrebens den menschlichen Kräften zuschreiben. Kann der Mensch das muthwillige Widerstreben, welches eine Steigerung des “natürlichen” ist, aus eigenen Kräften unterlassen. so müßte er das Gleiche in Bezug auf das natürliche Widerstreben noch leichter thun können. Der Wagen läßt sich doch leichter zum Stehen bringen, wenn er noch langsam fährt, als wenn er bereits stark ins Rollen gekommen ist.

Thesis III.

Nur bei dieser Lehre bleibt fest stehen, daß Gott aus Gnaden rechtfertige und selig mache. Und nur so wird Gott alle Ehre im Werk unserer Seligmachung gegeben.

In dieser und den folgenden Thesen wollen wir uns klar zu machen suchen, wie wichtig die Lehre vom Unvermögen der menschlichen Kräste in geistlichen Dingen für das christliche Leben sei. Erasmus meinte, man sollte nicht so hart über diesem Arkikel halten und nicht so scharf über denselben disputiren. Luther hielt ihm jedoch entgegen, an diesem Punlte hange die ganze christliche Erkenntniß. So ist es. Wer nicht weiß, was er selbst im Werke seiner Bekehrung und Seligmachung vermag, der weiß auch nicht, was Gottes Gnade an ihm thut.

Luther schreibt gegen Erasmus: “Derhalben ist nicht eine übrige Sorge, vergeblich, unnütze Bekümmerniß, zu fragen und zu forschen, was unser Wille vermag, sondern es ist der höhesten Artikel einer, die ein Christ wissen muß, auch ohne welchen kein Christ ist, nämlich, ob unser Wille etwas vermag zu wirken oder nicht, in den Sachen, so zur Seligkeit dienen. Ja, das ist die Hauptsache, lieber Erasmus, darum es hier zu thun ist, das ist  das höchste Hauptstück dieser ganzen Unterrichtung deines und meines Schreibens. Denn da liegt es gar, das fragen und suchen wir hier, was der freie Wille vermöge, wirke, und was er in ihm wirlen lasse, wie er geschickt sei gegen der Gnade Gottes. Wahrlich, wer das nicht weiß, der wird von Christo und allen christlichen Sachen gar nichts wissen, und ärger

(Seite 29 )

sein, denn ein Heide. Wer das nicht verstehet, der sage nur nicht, daß er ein Christ sei; wer es aber zu wissen verachtet, und nicht als eine nöthige Frage ansiehet, der ist ein rechter Feind Christi und der Christen. Denn wenn ich nicht weiß, was, wie hoch, wie weit das Vermögen des freien Willens ist, so werde ich auch nicht wissen, was, wie hoch und groß Gottes Gnade und Werk in mir ist; so doch Gott, wie der Apostel sagt 1Cor. 12, 6., alles in allen wirket. Wenn ich Gottes Werk und Kraft nicht weiß, so weiß ich von Gott selbst gar nichts. Wenn ich von Gott nichts  weiß, so kann ich ihn auch nicht ehren, preisen, loben, rühmen, danksagen, ihn allein fürchten und dienen. Denn ich weiß nicht, was er mir für Gnade thut, wie groß ich ihm schuldig bin." (Dresdener Ausgabe, S. 24.)

So muß derjenige, welcher dem freien Willen, das ist, den natürlichen Kräften noch irgend ein Vermögen in geistlichen Dingen zuschreibt, nothwendig auch den Artikel von der Rechtfertigung schädigen, den Artikel, mit welchem die Kirche steht und fällt.

Die Schrift sagt: Wir werden “aus Gnaden" gerecht. Was bedeutet das: “aus Gnaden”? Etwa eine bloße Beihilfe, so daß Gott dem Menschen das, was demselben noch zu seiner Gerechtigkeit fehlt, gebe? Die menschliche Vernunft könnte eine solche Ergänzung des Fehlenden als Gnade definiren. Setzen wir den Fall, es hätte iemand 10,000 Dollars zu bezahlen, besäße aber  nur 9500. Die ihm zur Deckung seiner Schuld fehlenden 500 Dollars würden ihn in große Verlegenheit bringen. Wenn nun der Gläubiger dem Schuldner die fehlenden 500 Dollars schenkte, so wäre das eine Gnade, und der Schuldner wäre dadurch aus aller Verlegenheit. So ist es aber bei der  Rechtfertigung “aus Gnaden” nicht. Hier ist nicht Ein Cent Vermögen auf Seiten des Menschen. Gott hat hier nicht bloß ein Deficit zu decken, sondern alles zu schenken. Er spricht den Menschen gerecht, ohne daß dieser auch nur die geringste Leistung von seiner Seite aufzuweisen hätte. -- Röm. 3, 24. heißt es: “Und werden ohne Verdienst gerecht" 2c. Ohne Verdienst, griechisch: @@@@@@ = geschenkweise.  Die Rechtfertigung geht geschenkweise vor sich, ist ein Geschenk Gottes. Wir wissen ja alle, was “schenken" heißt. Ein Schenken findet dann statt, wenn der Geber keine Gegengabe erwartet und annimmt. Erwartet er die geringste Gegenleistung, so hört seine Gabe auf, ein Geschenk zu sein. Nun sagt aber die heilige Schrift ausdrücklich, daß Gott die Rechtfertigung als ein Geschenk dem Menschen zu Theil werden lasse. Es findet dabei also nicht die geringste Gegenleistung auf Seiten des Menschen statt. Gott fordert keine Gegengabe, durch welche die Rechtsertigung bedingt wäre. Hierin liegt auch der Trost der Lehre von der Rechtfertigung. Ein armer Sünder kann nur dadurch zur Ruhe kommen, daß gar nichts von ihm gefordert wird. -- Nach Röm. 4, 5. rechtfertigt Gott den “Gottlosen”, einen wirklich Gottlosen. DerMensch, welcher von Gott gerechtfertigt wird, ist also nicht ein solcher, dem nur etwas an der eigenen  

(Seite 30 )

Gerechtigkeit, sei es viel oder wenig, fehlt, sondern der gar keine eigene Gerechtigkeit hat.

Wie schädigen nun diejenigen diese Lehre, diesen Hauptartikel des christlichen Glaubens, welche dem freien Willen des Menschen im Werke der Bekehrung noch etwas zusehreiben? Das liegt klar auf der Hand. Lehrt man, daß die Gnade, durch welche Gott einen  Menschen bekehrt, davon abhängig sei, daß dieser Mensch sich aus natürlichen Kräften zu dieser Gnade schicke, dem Evangelio in etwas aus sich selbst beistimme oder das muthwillige Widerstreben aus eigenen Kräften unterdrücke: so wird von dieser Leistung auch die göttliche Handlung der Rechtfertigung abhängig gemacht. Unser Bekenntniß weis't daher durch die rechte Lehre vom freien Willen mit der Mitwirkung zur Bekehrung auch die Mitwirkung zur Rechtfertigung ausdrücklich zurück. Es sagt, "daß der freie Wille aus seinen eigenen natürlichen Kräften" “nichts zu seiner selbst Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken" könne.  (Concordienf. Art. 2. S. 592 f.)  Ja, ist die Lehre der Synergisten recht; kann und muß der Mensch sich so zur Gnade schicken, daß er aus eigenen natürlichen Kräften das sogenannte muthwillige Widerstreben gegen die Gnade unterläßt, so rechtfertigt Gott, nicht bloß durch seine Gnade bewogen, sondern er ist mitbewogen durch eine Leistung des Menschen. Die Rechtfertigung ist nicht mehr ein lauteres Geschenk, sondern eine durch eine Gegenleistung veranlaßte Handlung. Gott gibt die Rechtfertigung dann nur um einen gewissen vomMenschen bezahltenPreis, nämlich umdieUnterlassung desmuthwilligenWiderstrebens. Wenn dieserPreisauch sehrgering angeschlagen wird, immerhin würde die Rechtfertigung zu einem Handel. Gott rechtfertigte dann nicht mehr den Gottlosen, sondern den, der aus eigenen Kräften einen Anfang zur Frömmigkeit gemacht, nämlich den, der aus eigenen Kräften augefangen hat, sein Widerstreben gegen die Gnade zu mindern. So wird die Lehre von der Rechtfertigung “allein aus Gnaden" durch die Synergisten gefälscht.

Ja, möchte da ein Synergist einwerfen, Gott rechtfertigt wohl aus Guaden, aber der Mensch muß seinerseits doch auch glauben; der  Mensch wird durch den Glauben gerechtfertigt. Allerdings! Die Schrift sagt, daß der Mensch durch den Glauben gerecht werde. Aber will die Schrift damit irgend eine Leistuug in den Menschen legen? Will die Schrift damit etwa sagen: viel braucht der Mensch nicht zu thun, damit ihn Gott gerecht spreche, aber etwas muß er doch zu seiner Rechtfertigung leisten: er muß glaubenz Durchaus nicht. Die Schrift setzt im Artikel von der Rechtfertigung den Glauben gerade jeglichem eigenen Werk und jeglicher eigenen Leistung des Menschen entgegen. “Durch den Glauben”, das heißt so viel als: durch kein Werk, keine Leistung, die im Menschen ist, sondern allein um des Werkes, um der Leistung Christi willen, die außerhalb des Menschen ist. Röm. 3, 28.: “So halten wir es nun, daß der Mensch

(Seite 31 )

gerecht werde, ohne des GesetzesWerke, allein durch denGlauben." “Durch den Glauben” wird hier den Werken des Gesetzes, das heißt, allem eigenen Thun, aller eigenen Leistung entgegengesetzt. Darum werden wir durch den Glauben gerecht, weil nicht auf Grund irgend welcher eigenen Leistung. Röm. 4, 5.: “Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.” Wir haben uns wohl vorzusehen, daß man uns nicht, trotz alles Redens vom Glauben bei der Rechtfertigung, toieder in die Werke hineinführt, indem man den Glauben selbst  zu einem Werk macht, ihn als eine Leistung, eine gute Qualität im Menschen auffaßt.

Und der Synergist kann gar nicht anders: er muß nach seiner Lehre vom Zustandekommen des Glaubens den Glauben als eine'gute Qualität im Menschen, als Leistung des Menschen ansehen. Er glaubt ja nicht, daß der Glaube an Christum ein lauteres Gnadengeschenk Gottes ist, sondern nach seinerLehre zommtder Glaube durch ein Zusammenwirzen Gottes und des natürlichen Menschen zu Stande. Gott soll ja bloß bis zum Aufhören des sogenannten natürlichen Widerstrebens wirken; dann muß der Mensch mit seinem Thun einsetzen und aus eigenen Kräften das sogenannte muthwillige Widerstreben zurückdrängen. Leistet der Mensch dies Letztere, dann kommt es zum Glauben. Der Glaube ist so zum Theil Menschenwerk, sein Dasein ist bedingt durch eine Kraftanstrengung des natürlichen Menschen. Welchen Sinn hat es demnach, wenn der Synergist sagt: “die Rechtfertigung geschieht durch den Glauben"? Diesen: die Rechtfertigung geschieht durch etwas, was theilweise ein Werk des Menschen ist. “Gott sieht den Glauben an", ist dem Synergisten schließlich so viel als: Gott fieht die aus natürlichen Kräften geleistete Unterlassung des muthwilligen Widerstrebens au. So fälscht der Synergist den schriftge näßen Begriff des Glaubens.  Weshalb hielten unsere Väter so hart über der Redeweise: “allein durch Glauben" (sola fide)? Um bei der Rechtfertigung alle Rucksicht auf irgend eine gute Qualität im Menschen auszuschließen. Der Papist Dr. Eck wollte sich eine Rechtfertigung durch die Gnade und den Glauben gefallen lassen, wenn die Lutheraner nur das “allein durch den Glauben" aufgeben wollten. Aber man ließ sich auf diesen Vergleich mit den Papisten nicht ein.  Denn Eck verstand unter “Gnade” etwas. was eine gute Qualität im Menschen ist, nämlich die unter dem Beistand der Gnade gewirkten guten Werke. Wenn also Eck sagte: der Mensch wird “durch die Gnade und den Glauben” gerechtfertigt, so meinte er damit: der Mensch wird durch die Werke und den Glauben gerecht. Die Synergisten nun sagen nicht ausdrücklich: die Rechtfertigung geschieht durch den Glauben und die Werke. Aber sie schieben die Werke in  den Glauben selbst hinein, indem sie den Glauben zu einem theilweisen Menschenwerk machen. Der Glaube des Synergisten ist nicht ein bloßes Nehmen und Empfangen des vollkommenen Werkes Christi, das in  

(Seite 32 )

der Verheißung des Evangeliums dargeboten wird, sondern auch zugleich eine Leistung des Menschen aus natürlichen Kräften.

Der Synergist glaubt aber auch nicht, daß Gott allein aus Gnaden selig macht. Rechtfertigung ist auch zugleich Seligsprechung. Beides läßt sich nicht trennen. In demselben Augenblick, in welchem Gott mich zu seinemKinde annimmt, spricht er mir auch die Seligkeit, den Himmelzu. Denn, wie Luthersagt, Gott “stückelt” nicht, sondern schenkt alles auf Einen Haufen. Joh. 3, 36.: “Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben.” Wer daher keine Rechtfertigung aus reiner Gnade glaubt, glaubt auch nicht die Erlangung der Seligkeit aus reiner Gnade. Sodann liegt auf der Hand: Diejenigen, welche die Anzündung des Glaubens nicht GottesWerk allein sein lassen, lassen selbstverständlich die natürlichen Kräfte auch einen Beitrag zur Erhaltung des Glaubens liefern. Vermag z. B. der Mensch bei seiner Bekehrung aus sich selbst das muthwillige Widerstreben gegen die bekehrende Gnade des Heiligen Geistes aufzugeben und so zu bewirken,  daß er vor Andern bekehrt wird, so wird er dasselbe Widerstreben auch gegen die erhaltende Gnade immerfort aus natürlichen Kräften unterdrücken und so aus sich selbst bewirken können, daß er vor Anderen im Glauben beharrt. Ein Mensch wird somit nicht allein durch Gottes Gnade zum ewigen Leben erhalten, sondern die Erhaltuug ist zum Theil Gottes, zum Theil des Menschen eigenes Werk. Die Schrift sagt aber Phil. 1, 6.: “Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Christi.” Anfang, Mittel und Ende des Gnadenstandes ist also Gottes Werk und Wirkung allein. 1Petri 1, 5. wird von den Christen gesagt, das sie aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werden zur Seligkeit. Neben Gottes Macht werden nicht die natürlichen Kräfte des Menschen als bewahrende Kraft genannt. Die natürlichen Kräfte des Menschen wirken immer nur hindernd, wie bei der Bekehrung, so auch in Bezug auf die Erhaltung desGlaubens. Gottes Gnade muß uns auch immerfort gegen uns selbst. das ist, gegen unser eigenes böses Fleisch schutzen. Sonst fallen wir sofort aus dem Glauben.

 “ Nur so wird Gott alle Ehre im Werke unserer Seligmachung gegeben.” Wir singen: Allein Gott in der Höh' sei Ehr. Warum? Weil wir erkennen, daß wir seiner Gnade alles verdanken. Er hat uns erlös't, durch seine Wirkung haben wir uns als verlorene Sünder erkannt. Er allein hat uns das Herz aufgethan, daß wir Christum als unsern Heiland erkannten und annahmen. Er allein wird uns auch nach seiner Gnade im Glauben erhalten. Diese Gnade werden wir in Ewigkeit preisen. Unsere Beschäftigung im Himmel wird darin bestehen, daß wir gleich den vierundzwanzig Aeltesten in der Offenbarung Johannis (Offenb. 5, 9. f.) den Lamm, das erwürget ist, lobsingen. Gott hat einen solchen Weg der Seligkeit geschaffen, daß Ihm allein alle Ehre bleibt. Röm. 3, 27.: “Wo bleibt denn nun der Ruhmz Er ist aus.” 1Cor. 4, 7.:

(Seite 33 )

 “Was hast du aber, o Mensch, das du nicht empfangen hast?” Nach der Lehre der Synergisten aber hat der Seligwerdende noch etwas, das er nicht empfangen hat. Er hat aus natürlichen Kräften etwas geleistet, das den Ausschlag gab im Werke seinerSeligkeit: dieUnterlassungdes muthwilligen Widerstrebens. Er hat ein Verdienst vor anderen Menschen. So gibt er Gott nicht alle Ehre. Er kann nicht singen: “Allein Gott in der Höh' sei Ehr!” Wenn er seines Herzens Meinung recht aussprechen wollte, mußte er sagen: “Ehre sei Gott in der Höhe und -- auch mir Menschen auf Erden!” Der Synergist paßt daher weder in die Kirche auf Erden, noch in die triumphirende Kirche im Himmel; denn er kann ja in die Lieder, welche beide zum Ruhme Gottes erklingen lassen, nicht einstimmen. -- Es ist nur ein Glück, daß Viele mit ihrer falschen Lehre nicht Ernst machen, denen der Irrthum nur im Kopfe steckt, aber durch Gottes Gnade nicht ins Herz dringt. Oder sie lassen wenigstens in der Anfechtung und in der Todesnoth alles Vertrauen auf eigenes Wirken fahren und halten sich allein an die Gnade. Es geht mit ihnen, wie  nit dem heiligen Bernhard, der in seinem Leben auch in der Werkerei steckte. Als er aber auf dem Sterbebette lag, da sprach er: “Ich habe verdammlich gelebt” und hielt sich allein an die Gnade Gottes in Christo.

Thesis IV.

Nur bei dieser Lehre kann ein Christ der Gnade Gottes und der Erlangung der Seligkeit gewiß sein.

Die wichtigsten Fragen, welche sich ein Mensch vorlegen kann, sind diese: Wie stehe ich zu meinem Gottz Ruht noch Gottes Zorn auf mir, oder habe ich Gottes Gnadez Ist Gott mir ein gnädiger Vater oder ein zorniger Richterz Ferner: Wie wird mein Ausgang aus dieser Welt sein? Oeffnet sich mir, wenn sich meine Augen im Tode schließen, die selige Pforte des Himmels, oder muß ich in den schaurigen Abgrund der Hölle versinken? Alle Nebenumstände meines dereinstigen Todes sind mir verhältnißmäßig gleichgültig. Ob ich zu Hause im Kreise der Meinen abscheide, oder fern von den Meinen, ob in der Einsamkeit oder unter Menschen, ob man mich unter den Rasen bettet, oder ob die Tiefe des Meeres mein Grab wird: dies alles bekümmert mich verhältnißmäßig wenig. Aber die Frage ist mir über alles wichtig: Werde ich selig oder unselig, als ein Gesegneter oder als ein Verfluchter von hinnen scheidenz

Ein Christ soll der Gnade Gottes und seiner Seligkeit gewiß sein. Er soll erstlich seines gegenwärtigen Gnadenstandes gewiß sein. Es soll kein Zweifel in ihm sein, Gott sei sein gnädiger Vater in Christo. Röm. 5, 11.: “Wir rühmen uns auch Gottes”, das heißt, wir bekennen laut und zuversichtlich, daß Gott uns ein gnädiger Gott sei, daß er nicht mit uns handeln will nach unsern Sünden, sondern alle unsere Sünde in  

 

(Seite 34 )

die Tiefe des Meeres geworfen habe.  Röm. 8, 15.: “Ihr”, nämlich ihr Gläubigen, “habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal” (vor Gott) “fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater." V. 16.: “Derselbige Geist gibt Zeugniß unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind.” Ein Christ soll also Gott nicht mehr als einen zornigen Richter fürchten, sondern ihn als seinen gnädigen, lieben Vater wissen. Und diese Gewißheit ist keine leere Einbildung und keine ungewisse menschliche Calculation, sondern eine unfehlbare Gewißheit; denn sie beruht iuf dem Zeugnisse des Heiligen Geistes.

Um zu zeigen, wie unser Bekenntniß über diesen Punkt urtheilt, so genügt der Hinweis auf die Worte des 3. Artikels: “Ich glaube eine Vergebung der Sünden.” Das heißt doch nicht nur so im Allgemeinen: Ich glaube, daß es eine Vergebung der Sünden gibt, sondern vielmehr: Ich glaube, daß ich Vergebung der Sünden habe.

Ein Christ kann und soll aber nicht nur seines gegenwärtigen Gnadenstandes, sondern auch zum Andern seiner Seligkeit gewiß sein. Er soll nicht nur glauben, daß Gott ihm jetzt gnädig sei, sondern auch nicht daran zweifeln, daß er dereinst -- sei es nach zehn, fünfzehn oder fünfzig Jahren -- selig sterben werde. 1Joh. 5, 12. erinnert der Apostel die Christen daran, daß sie im Glauben an den Sohn Gottes auch das ewige Leben haben. “Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.” Zwar genießen die Christen ihre Seligkeit auf Erden noch nicht vollkommen; aber sie besitzen sie schon, sie ist ihr zugesprochenes Erbe -- Röm. 8, 38. f.: “Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Creatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo JEsu ist, unserm HErrn.” Hier faßt der  Apostel alles, was einen Christen von der Liebe Gottes in Christo scheiden und somit den Christen um seine Seligkeit bringen könnte, zusammen und sagt: Dies alles kann mich meiner Seligkeit durchaus nicht ungewiß machen. Der heilige Apostel redet hier zwar zunächst von sich: “Ich bin gewiß.” Aber er redet von sich im Namen aller Christen; alle Christen sollen ihm nachfprechen: Ich bin gewiß! Daß wir mit dieser Auslegung nicht irregehen, zeigt der Umstand, daß der Apostel in der Mehrzahl fortfährt: “noch keine andere Creatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo JEsu ist, unserm HErrn."

Um ein Zeugniß aus unserem Bekenntniß zu haben, weisen wir auch hier nur hin auf die Worte des 3. Artikels: “Ich glaube ein ewi ges Leben.” Das heißt wiederum nicht etwa blos.  Ich glaube, daß es ein ewiges Leben gibt für andere Menschen; sondern: Ich glaube, ich weiß es gewiß, daß ich das ewige Leben haben werde, daß Gott “mir sammt allen Gläubigen in Christo ein ewiges Leben geben wird.”

(Seite 35 )

Worauf gründet sich nun diese selige Gewißheit? Was gibt mir armen Sünder den Muth zu glauben, daß ich jetzt Gottes Gnade habe und bis ans Ende in der Gnade bleiben werde? Diese Gewißheit gründet sich auf die Gnadenverheißung des Evangeliums, auf Gottes ausdruckliche Zusage, daß er uns frei seine volle Gnade schenke und uns auch in derselben erhalten wolle. Wir erkennen, daß wir in Gottes Augen Gottlose sind und ein Verdammungsurtheil verdient haben. Aber nun spricht Gott im Evangelium: Arme Sünder, Gottlose will ich um meines Sohnes Gerechtigkeit willen rechtfertigen. Wir erkennen, daß in uns nicht nur keine Kraft sei, welche uns auf dem Wege des Lebens erhalten könnte, sondern daß auch unser Fleisch allezeit der Gnade Gottes feindlich entgegenstehe.  Aber nun  sagt uns Gott in seiner Verheißung zu, daß er unsere Seligkeit in seine Hand nehme, daß er mit seiner Gnade und Kraft uns gegen alleunsere Feinde erhalten wolle. In uns selbst ist kein Vermögen, mit welchem wir zu unserer Erhaltung mitwirken könnten. Aber Gott fordert von uns diese Mitwirkung auch nicht. Seine Verheißung ist eine freie Gnadenverheißung, durch keine Leistung unserer natürlichen Kräfte bedingt. Und eben darum können wir unserer Beharrung und unserer Seligkeit ganz gewiß sein. Der Apostel Paulus ruft den Christen zu Phil 1, 6.: “Und bin desselbigen in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wirds auch vollführen” 2e. Diese “gute" Zuversicht will der Apostel in die Herzen der Christen hineinpredigen. Darum spricht er sie vor ihnen.aus. Wie sie nichts dazu gethan haben, daß sie Christen wurden, sondern Gott sie zu seinen Kindern gemacht hat, so zönnen sie auch nichts dazu thun, daß sie Christen bleiben: sie werden aber aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret zur Seligkeit. 1Petr. 1, 5. Der allmächtige Gott hält ihre Seligkeit in seiner Hand. Ja, so gewiß Gott allmächtig und ihnen gnädig ist, so gewiß sollen die Christen der Erlangung der Seligkeit sein. Der HErr Christus sagt es ausdrücklich, daß seine Allmacht im Dienst der Erhaltung der Seinen stehe, wenn er spricht Joh. 10, 28.: “Sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird s.e mir aus meiner Hand reißen.”

Die Gewißheit des Gnadenstandes und der Seligkeit wird von den Papisten geleugnet. Bei den Lutheranern hat man nicht gewagt, die Ungewißheit des gegenwärtigen Gnadenstandes zu lehren; wohl aber haben Manche, die sich Lutheraner nannten, behauptet, daß ein Christ seiner Seligkeit nicht ganz gewiß sein könne und solle. So Latermann und seine  Anhänger im 17ten Jahrhundert und so unsere Gegner in dem Streit über die Gnadenwahlslehre. Unsere Gegner behaupten in ihrer geistlichen Blindheit, durch unsere Lehre von der Gewißheit der Wahl oder, was dasselbe ist, der Seligkeit machten wir die Leute fleischlich  sicher. Es ist nicht nöthig, daß wir uns hier weiter gegen diesen Vorwurf vertheidigen. So wenig die Lehre von der Gewißheit der Vergebung der Sünden einen  

(Seite 36 )

Christen fleischlich sicher macht, so wenig macht ihn auch die Gewißheit, daß er durch Gottes Gnade im Glauben bleiben werde, fleischlich sicher. Gottes gewisse Gnade macht nie fleischlich sicher, sondern immer geistlich lebendig und wachsam. Lasset uns aber zusehen, woher es kommt, daß unsere Gegner keine Gewißheit der Seligkeit kennen. Das kommt daher, daß sie dem Menschen noch ein gewisses Vermögen in geistlichen Dingen zuschreiben. Sie machen die Gnade und Seligkeit abhängig von einer Kraft im Menschen, die doch gar nicht vorhanden ist. Sie können daher nicht anders, als eine Ungewißheit lehren. Was hilft es einem armen Manne, wenn ihm ein Reicher eine Farm schenken will, aber nur unter der Bedingung, daß der Arme wenigstens einige hundert Dollars selbst bezahle? Der vollständig arme Mann kann diese Bedingung nicht ersüllen. So kann er sich auch nicht über das Geschenk freuen, weil es nie sein eigen werden kann. Das Geschenk hilft ihm gar nichts, es ist im Grunde auch kein Geschenk. Aehnlich verhält es sich mit der Lehre unserer Gegner. Nach ihnen will zwar Gott Gerechtigkeit und Seligkeit darreichen und ins ewige Leben einführen, doch nicht ganz aus Gnaden. Der Mensch muß eine Bedingung erfüllen; er muß aus eigenen Kräften wenigstens das muthwillige Widerstreben gegen die bekehrende Gnade unterlassen; dieses Minimum muß der Mensch unbedingt leisten, wenn er in den Besitz der Gabe Gottes gelangen will. Aber der Mensch ist ja ganz arm und kann die ihm gestellte Bedingung nicht erfüllen; er kann ja dieses Minimum nicht leisten, kann das muthwillige Widerstreben gegen die Gnade aus eigenen Kräften nicht unterdrücken, da er nach seinen natürlichen Kräften eine Feindschaft wider Gott ist. Röm. 8, 7. So fällt die Gewißheit der Seligkeit dahin. Und doch hat Gott gerade deshalb einen solchen Heilsweg geschaffen, auf welchem wir aus reiner Gnade gerecht und selig werden, damit “die Verheißung fest bleibe allem Samen”, Röm. 4, 16., das heißt, damit jeder arme Sünder, der an Christum glaubt, der Gnade Gottes und seiner Seligkeit ganz gewiß sei. Diese Absicht des gnädigen Gottes vereiteln, so viel an ihnen ist, die Synergisten mit ihrer falschen Lehre. Wahrlich, der Synergismus ist eine schreckliche Lehre. Er raubt Gott die Ehre und läßt, so viel an ihm ist, die Güter, die Gott durch das Evangelium den Menschen zugedacht hat, denselben nicht zukommen.

So lieb uns  daher die Gewißheit der Gnade und der Seligkeit ist, so entschieden müssen wir dem Synergismus entgegentreten und an der schriftgemäßen Lehre festhalten, daß der Mensch in geistlichen Dingen aus natürlichen Kräften rein gar nichts vermöge. Es wäre schrecklich gewesen, wenn jetzt durch die  Bestreiter der biblisch.lutherischen Lehre von der Gnadenwahl der Synergismus in die amerikanisch-lutherische Kirche eingedrungen wäre. Der Christen Trost im Leben und Sterben wäre dahin gewesen. Wir hätten auch unser ganzes Gesangbuch durchcorrigiren müssen.  Ein Synergist kann nicht mit unserer Kirche singen:

(Seite 37 )

                Nichts, nichts kann mich verdammen,

                Nichts nimmet mir mein Herz,

                Die Höll’ und ihre Flammenn

                Die sind mir nur ein Scherz,

                Kein Urtheil mich erschrecket,

Kein Unheil mich betrübt,

Weil mich mit Flügeln decket

Mein Heiland, der mich liebt.

Daß alle, welche den natürlichen Kräften des Menschen noch ein Vermögen in geistlichen Dingen zuschreiben, das Heil ungewiß machen, darüber sprechen sich die lutherischen Lehrer des 16ten Jahrhunderts im Kampfe gegen die Synergisten der damaligen Zeit also aus:

Michael Prätorius bemerkt zu den Worten der synergistischen Wittenberger “In den Bekehrten muß eine Gewißheit sein” Folgendes: “Diese Gewißheit kommt nicht vom freien Willen her. Sonst wäre unsere Seligkeit und Bekehrung sehr ungewiß, denn der Teufel ist sehr mächtig. Sondern das Pfand des Heiligen Geistes, der in uns wohnt, macht uns der Seligkeit gewiß. 2 Cor. 1, 21. 22.: ‘Gott ist's aber, der uns befestiget sammt euch in Christum, und uns gesalbet und versiegelt und in unsere Herzen das Pfand, den Geist, gegeben hat.' Der Gläubige weiß, daß er glaubt, der Trost wird im Herzen des Gläubigen empfunden. Meine Seligkeit ist mir ganz gewiß, weil ich gewißglaube, daß Gott in mir wirksam sei. Weshalb? Weil er es verheißen hat! Auf welche Weise? Wenn ich das Gesetz und die Propheten höre." (Brevis responsio ad confessionem theologorurn Witebergensium de libero arbitrio. Bei Schlüsselburg V, 540.)

Derselbe: “Dieses Wort (,derhalben muß die Gerechtigkeit durch den Glauben zommen, auf daß sie sei aus Gnaden und die Verheißung fest bleibe', Röm. 4, 16.) spricht für uns. . . . Wenn die Verheißung von der Bedingung des Gesetzes abhängig wäre oder von unserer Würdigkeit, so zönnte kein Mensch selig werden. Wenn wir durch unsere Kräfte und unsere Bemühung die Seligkeit bereiten müßten, wie schnell würde uns der Teufel verlesen?" (Bei Schlüsselburg V, 541.)

Melchior Wedmann, Superintendent zu Gotha, schreibt: “,Alles, was den Zweifel an der Vergebung der Sünden und unserer Seligkeit mehrt, das ist gottlos. Wenn man aber dem Willen des natürlichen und noch nicht wiedergeborenen Menschen in Gottes Sachen, die unsere Wiedergeburt und Seligkeit betreffen, ein gewisses Annehmen zuschreibt, so mehrt und nährt das den beständigen Zweifel und die beständige Ungewißheit in uns. Darum ist dies eine gottlose Lehre.' -- Den Untersatz will ich nicht aus dem Aristoteles . . ., sondern aus dem Wort, toelches Gott selbst geoffenbart hat, beweisen. Denn Jeremias sagt, daß das menschliche Herz ein verkehrt Ding sei. Wie möchte also derjenige, welcher noch nicht zu  

(Seite 38 )

Gott bekehrt oder -- wie Christus spricht -- von Neuem geboren ist, mit seinen Kräften oder Fähigkeiten göttliche Dinge annehmen? Gott sagt dir, du seiest von Natur verkebrt. Warum redest du elender Wurm denn gegen deinen Gott, daß du in gewisser Weise dich selbst zu Gott kehren könntest, daß du solche Dinge annimmst und dich zur Wiedergeburt schickst? Paulus sagt: Fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott. Wie zönnten also jene Sinne, die in göttlichen Dingen ihrer Natur nach verkehrt (distorti), ja, Feinde Gottes sind (denn gehe nicht, ich bitte dich, an diesen gewaltigen Worten vorüber, mein Pelagianer, wer du auch seiest), Gottes Sachen annehmen? Desgleichen sagt Paulus, daß die Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens gefangen zu nehmen sei. Wie könnte also jener natürliche Wille sich zu Gottes Sachen schicken (geistlicher Weise nämlich, denn natürlicher Weise kann er einige äußere Dinge thun)? O elende, o verkehrte, o Gott feindliche Creatur (so nämlich nennt dich die Schrift), lerne doch aus Gottes Mund, wie du Gottes Sachen ergreifen könnest. Genieße dankbaren Herzens, was von Gott dir dargebracht und geschenkt wird, nämlich die Wiedergeburt und die Seligkeit, widersprich Gott nicht ins Angesicht, als ob du mit jenem aufgeblasenen Pharisäer Gott etwas darbringen könnest in diesen Dingen, welche nicht des Fleisches, sondern des Geistes sind. Was für eine Thorheit ist es also, die eigentlichen Ursachen des Zweifels zu lehren und einzuschärfen und dennoch zu schreien, dieselbe nehme jeglichen Zweifel aus dem Herzen des Menschen?” (Bei Schlüsselburg V, 599 f.)

Hierher gehören auch folgende Worte der Apologie der Augsburgischen Confession, in welchen aufs eindringlichste eingeschärft wird, wie in Anfechtung und Todesnoth alles Menschenwerk keinen Trost geben könne. Es heißt daselbst, Art. 20., “Von guten Werken”: “Wer wollt ihm doch nicht wünschen an seinem letzten Ende, daß er in Bekenntniß des Artizels sterben möcht. daß wir Vergebung der Sünden durch den Glauben, ohn unser Verdienst und Werk, durch das Blut Christi erlangen? Es gibt die Erfahrung, wie die Mönche selbs bekennen müssen, daß sich die Gewissen nicht stillen lassen noch zufrieden bringen, denn durch den Glauben an Christum. Und die Gewissen können keinen rechten, beständigen Trost haben in den großen Aengsten an der Todesstunde und in Anfechtung wider das große Schrecken  des Todes, der Sünde, wenn sie nicht an die Zusage der Gnade in Christo sich halten. Auch können sie keinen beständigen Trost haben wider den Teufel, welcher dann erst stark die Herzen dränget, ängstet und zur Verzweiflung reizet, und alle unser Werk in einem Augenblick wie den Staub hinweg bläset, wenn sie nicht an dem Evangelio, an dieser Lehre fest halten, daß toir ohn unser Verdienst durch das iheuer Blut Christi Vergebung der Sünden erlangen. Denn der Glaub allein erquicket und erhält uns in dem großen Todeskampf, in den großen Aengsten, wenn keine Creatur helfen kann, ja wenn wir außerhalb dieser ganzen sichtlichen Creatur

(Seite 39 )

von dannen in ein anderWesen und Welt sollen abscheiden und sterben." (S. 221.)

Die Synergisten meinen nur dann Trost zu haben und ihres Heils einigermaßen gewiß zu sein, wenn sie auch eine Hand im Werke ihrer Seligkeit haben. Sie sind besorgt, der liebe Gott möchte sie übersehen, wenn sie ihn nicht durch ein Werklein auf sich aufmerzsam machten. Sie stellen sich Gottes Gnade etwa wie eine regenschwangere Wolke vor, die über der ganzen Sünderwelt hängt, ohne sich über die Einzelnen zu ergießen. Die Wolke der Gnade entladet sich erst dann über die einzelnen Personen, wenn diese durch eine Kraftanstrengung ihrerseits, etwa durch Unterlassung des muthwilligen Widerstrebens aus eigenen Kräften, den Gnadenregen entbinden. Die aus Gottes Wort recht berichteten Christen freilich finden gerade darin allen Trost, daß Gott ihre Seligkeit ganz aus ihrer Hand genommen und in die treuen und starken Hände Christi gelegt hat. Darum ist auch insonderheit die Lehre von ihrer ewigen Erwählung so tröstlich. Denn “diese Lehre" -- sagt die Concordienformel -- gibt den “betrübten, angefochtenen Menschen den allerbeständigsten Troft, daß sie wissen, daß ihre Seligkeit nicht in ihrer Hand stehe: sonst würden sie dieselbige viel leichtlicher, als Adam und Eva im Paradies geschehen, ja alle Stunde und Augenblick verlieren; sondern in der gnädigen Wahl Gottes, die er uns in Christo geoffenbaret hat, aus des Hand uns niemand reißen wird, Joh. 10. 2 Tim. 2.” (S. 724.)

Kein Prediger, welcher salsch lehrt vom freien Willen, z. B. behauptet, daß schon der natürliche Mensch sich nach der Gnade sehnen könne, vermag im rechten Segen an einer Gemeinde zu wirken. Er kann Angefochtene, deren es in geistlich lebendigen Gemeinden immer viele gibt, nicht recht berichten. Da spricht ein Angefochtener: Ich weiß, daß ich ein großer Sünder, ich bin verloren, wenn Gott mit mir nach meinen Sünden handelt. Ich weiß auch, ich sollte glauben, und ich möchte auch gerne glauben, daß Christus auch mein Heiland sei. Aber der Glaube fehlt mir. Es ist ja alles so todt, so leer in meinem Herzen, Gott wirkt offenbar nicht in mir. Was wird nun ein synergistischer Pastor, der die Sehnsucht nach Gnade für ein Erzeugniß der natürlichen Kräfte hält, einem solchen Angefochtenen sagen? Nun, er wird ihn für einen noch unbekehrten Menschen erklären. Höchstens wird er ihm zugestehen, daß er auf dem Wege zur  Bekehrung sei. Wie behandelt aber ein rechter Prediger einen solchen  Angefochtenen? Er spricht zu ihm: Du erkennst dich also für einen verlorenen Sünder und möchtest gerne an Christum glauben? Siehe, du glaubst ja schon; denn du siehest auf Christum und begehrest durch ihn selig zu werden; du bist schon ein Kind Gottes. Was du Sehnsucht nennst, das ist nichts anderes als Glaube. -- Ein Synergist kann nur diejenigen trösten, welche des Trostes nicht bedürfen. Soviel an ihm ist, mordet er die Seelen, indem er denen, die des Trostes bedürfen, den Trost vorenthält. Aber der  

(Seite 40 )

liebe Gott ist treuer als die Menschen. Er verhindert oft die schädlichen Wirkungen eines Irrthums und einer verkehrten Praxis.

Unser Bekenntniß sagt, den Christen zum  Trost, woher das sich Sehnen nach Gnadekomme und was es eigentlich sei. “Phil. 2, 13.: Gott ist's, der in euch wirket beide das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen. Welcher lieblicher Spruch allen frommen Christen, die ein kleines Fünklein und Sohnen nach Gottes Gnade und der ewigen Seligkeit in ihrem Herzen fühlen und empfinden, sehr tröstlich ist, daß sie wissen, daß Gott diesen Anfang der wahren Gottseligkeit in ihrem Herzen angezündet hat, und wolle sie in der großen Schwachheit ferner stärken und ihnen helfen, daß sie in wahrem Glauben bis ans Ende beharren.” (S. 591.) Nach unserem Bekenntniß sind also diejenigen, welche “ein kleines Fünklein und Sehnen nach Gottes Gnade und der ewigen Seligkeit in ihrem Herzen sühlen und empfinden", bereits “fromme Christen” und haben den Anfang “der wahren Gottseligkeit”.

J. Mörlin: “Sobald daher das Gewissen anfängt, bewegt zu werden, nachzndenken und ernstlich ergriffen zu werden von der Sünde und dem Gerichte Gottes, und zu dürsten nach Gottes Barmherzigkeit und Gnade: da ist wiederum der Heilige Geist gegenwärtig, welcher dies in deinem Herzen wirkt. Sonst würdest du entweder alle Er. mahnungen zurückgewiesen und sicher in der Sünde beharrt haben, oder du würdest ohne Hoffnung auf Vergebung in der höchsten Verzweiflung untergegangen sein. . . . Ein solcher soll daher gewiß sein, daß auch er durch diesen nur matten Glauben von Gott wiederum angenommen sei.” (Conf de lib. arb. Bei Schlüsselburg V, 205.) “Schön und richtig pflegte Dr. Luther oftmals zu sagen: ‘Auch das ist Glaube, wenn du wünschest und willst, daß du stark glauben könntest; denn Glauben ist gegen Hoffnung auf Hoffnung hoffen.' Das Verlangen nach dem Glauben ist auch wahrer Glaube, und das Seufzen des Herzens in einem Frommen ist ein mächtiges Geschrei in den Ohren Gottes." (l. c.)

Thesis V.

Nur bei dieser Lehre wird ein Christ tüchtig, gute Werke zu thun.

Ein Christ soll gute Werke thun.  Christen sollen nach Tit. 3, 14. in einem Stande guter Werke sich finden lassen. Und dies einmal darum, damitder Name Gottes gepriesen werde. Matth.5,16.: “Lasseteuer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen un d euren Vater im Himmel preisen." Wenn Christen sich dem Sündendienste hingeben, so veranlaßt dies die Ungläubigen, Gott und sein seligmachendes Wort zu verlästern. Wandeln sie dagegen in aller Zucht und Ehrbarkeit, so muß auch die Welt erkennen, daß das Wort Gottes eine Kraft sei, vermöge welcher ein Christ die Welt und ihre Lust verleugnen könne. Christen

(Seite 41 )

sollen ferner gute Werke thun, um ihrem Nächsten zu dienen und nützlich zu sein. Gott hat uns Menschen neben einander gestellt, damit wir einander helfen im Leiblichen wie im Geistlichen. Tit. 3, 14.: “Laßt aber auch die Unsern lernen, daß sie im Stande guter Werke erfunden werden, wo man ihrer bedarf."  Endlich soll ein Christ gute Werke thun, damit er an denselben ein äußeres Zeichen seiner Gotteskindschaft habe. 2 Petr. 1, 10.: “Thut desto mehr Fleiß, euren Berus und Erwählung fest zu machen." Sieht der Christ, er hat Lust an dem Gesetz nach dem inwendigen Menschen, so schließt er daraus, daß er durch Gottes Gnade ein guter Baum geworden sei, da nur ein guter Baum gute Früchte bringen kann.

Wodurch wird nun ein Christ zu guten Werken tüchtig? Doch da müssen wir zuerst sehen, was denn gute Werke seien. Gute Werke sind solche, welche in Gottes Augen gut sind, welche Gott wohlgefallen. Nicht alle Werke, welche vor Menschen gut sind, sind auch vor Gott gut. Ein Werk, das die Welt in Staunen versetzt, kann vor Gott überaus böse sein. Wenn ein Reicher einen großen Theil seines Reichthums den Armen oder für kirchliche Zwecke gäbe, er thäte es aber aus Ehrgeiz oder in der Absicht, dem lieben Gott damit den Himmel abzukaufen, so wäre sein Werk vor Gott ein Greuel. Nur die Werke sind gut vor Gott, welche um Gottes willen geschehen, d. h. deshalb, weil Gott, der uns durch Christum erlös't und selig gemacht hat, sie haben will. Mit anderen Worten: Gute Werke müssen aus der Liebe zu Gott, aus der Dankbarkeit für die empfangene Gnade hervorgehen.

Hiermit sind wir nun dem, was in der 5. These behauptet wird, nahe getreten. Die Lehre, daß der Mensch aus sich selbst noch etwas, wenn auch nur sehr wenig, zu seiner Seligkeit thun könne, läßt keine wahre Liebe zu Gott und keine rechte Dankbarkeit gegen Gott im Herzen aufkommen. Sie verstopft grundsätzlich die Quelle, aus welcher alle guten Werke sließen.

Wie siehtes nämlich aus in dem Herzen eines recht berichteten Christen, der sleißig ist zu guten Werken? Er weiß: allein der purlauteren Gnade Gottes hat er es zu verdanken, daß er ein Christ ist und bleiben wird. Gott hat ihm nicht nur durch Christum den Himmel erworben, sondern ihm auch den Glauben an das, was Christus für ihn gethan hat, ins Herz gegeben. Gottes Gnade hat ihn gesucht und gefunden, ihn von dem Wege des Verderbens herumgeholt und in die christliche Kirche eingeführt. Gottes Gnade wird ihn auch -- dafür bürgt ihm das Wort der Verheißung -- im Glauben erhalten und selig sterben lassen. Dies alles thut Gott, erkennt ein Christ, nicht weil er besser wäre als andere, weil er sich besser verhalten hätte, sondern aus Gnaden. Es ist Gnade, nichts als Gnade. So wallt im Herzen der Christen die Liebe auf, welche begehrt, Gott in guten Werken zu dienen; so wird in ihm die Dankbarkeit entzündet, welche spricht:

 “Es sei in mir kein Tropfen Blut,

Der nicht, HErr, deinen Willen thut.”

 

(Seite 42 )

Das ist die Lehre der heiligen Schrift von dem Ursprung der guten Werke. Denn also spricht der Psalmist Ps. 119, 32.: “Wenn du mein Herz tröstest, so laufe ich den Weg deiner Gebote”, das heißt, wenn du mich, der ich erkenne, daß ich mit meinen Sünden die Verdammniß verdient habe, gewiß machst, daß ich allein durch deine Gnade Vergebung der Sünden und die Seligkeit habe: dann bin ich willig, in deinen Geboten zu wandeln. Ps. 110, 3.: “Nach deinem Sieg wird dir dein Volz willig opfern in heiligem Schmuck”, das heißt: in derErkenntniß, daß Christus für uns Tod, Teufel und Hölle besiegt, uns aus dem Reiche des Fürsten der Finsterniß befreit und in sein Gnadenreich versetzt hat, sind wir willig, die Welt und ihre Lustzu verleugnen und uns mit Leib und Seele in Gottes Dienst zu stellen.

Wie erkältend und ertödtend wirkt dagegen die irrige Meinung, der Mensch selbst könne zur Erlangung seiner Seligkeit noch mithelfen! Da denkt der Mensch: Gott hat zwar viel gethan; aber daß gerade ich selig werde und viele Andere nicht, hat darin seinen Grund, daß jene Anderen ihre natürlichen Kräfte nicht so benutzt haben, wie ich. Daß gerade ich zum Glauben gekommen bin, kommt daher, daß ich es nicht zum muthwilligen Widerstreben habe kommen lassen. Hätten Andere sich auch so verhalten, so wären sie auch da, wo ich jetzt bin. Es leuchtet ein: in dem Herzen des Synergisten ist keine rechte Dankbarkeit gegen Gott und darum auch zeine rechte Willigkeit, Gott zu dienen. Die Wurzel der guten Werke ist unterbunden. Hier gilt Luc. 7, 47.: “Welchem wenig vergeben wird, der liebet wenig.” -- *) Freilich fließen auch bei einem wahren Christen die guten Werke nicht so frei und fleckenlos aus der Liebe und Dankbarkeit. Ein Christ hat noch den alten Menschen an sich, welcher in ihm den Gedanken erregt, daß er selbst auch etwas zu seiner Seligkeit thun könne; aber er kämpft gegen diese bösen Gedanken, während der Synergist nach seiner Lehre von den natürlichen Krästen des Menschen diese Gedanken ganz in der Ordnung finden muß.

Die heilige Schrift sagt, daß die guten Werze aus dem Glauben kommen. Nach Gal. 5, 6. ist der Glaube durch die Liebe thätig. Was für ein Glaube ist das aber, der durch die Liebe thätig ist? Das ist nicht ein Glaube, nach welchem man nur dafür hält, daß es einenGott gebe oder daß Gott mir zur Erlangung der Seligkeit nur behülflich sei, sondern der Glaube, nach welchem ich durch Wirkung des Heiligen Geistes überzeugt bin, daß Gott aus lauter Gnade ohne alles eigeneVerdienst mich zu seinem Kinde angenommen habe, und der Glaube, welcher diesen bestimmten Inhalt hat, entzündet die Liebe zu Gott; aus einem solchen Glauben kommen daher auch die guten Werke. Der Glaube ist die Quelle der guten Werke, der alles von Gottes Gnade und Barmherzigkeit empfängt und gewartet.

--------------

*) Protokollitr von P. E. H. Wischmeyer.

(Seite 43 )

Daher ermahnt die heilige Schrift zu guten Werken mit Hinweis aus dieuns in Christo widerfahrene Barmherzigzeit. Röm. 12,1. schreibt Paulus: “Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünstiger Gottesdienst.” Der Apostel erinnert die Römer bei seiner Ermahnung zu guten Werken nicht an ihre eigene Kraft, sondern an das, was Gott an ihnen gethan hat; dadurch macht er sie willig, Gott zu dienen.  Tit. 3,8. Sagt Paulus: “Solches will ich, daß du fest lehrest” (nämlich, daß wir durch Gottes Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens), “auf daß die, so an Gott gläubig sind worden, in einem Stand guter Werke funden werden.” Titus soll die Gnade und Barmherzigkeit Gottes “fest lehren” zu dem Ende, daß die Gläubigen im Stande guter Werke erfunden werden. Ja, wer durch denGlauben recht an der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, wie sie im Evangelium geoffenbaret ist, hängt, der ist tüchtig, gute Werke zu thun.

Daß der Glaube die Quelle der guten Werke sei, lehrt auch unser Bekenntniß. In der Concordienformel heißt es im 4. Artikel: “Derhalben der recht guten und Gott wohlgefälligen Werk, die Gott in dieser und zukünftiger Welt belohnen will, Mutter und Ursprung muß der Glaube sein, darum sie dann rechte Früchte des Glaubens, wie auch des Geistes, von S. Paulo genennet werden. Dann wie D. Luther schreibet in der Vorrede über die Epistel S. Pauli an dieRömer: So ist der Glaub ein göttlich Werk in uns, das uns verwandelt und neu gebieret aus Gott, und tödtet den alten Adam, macht uns ganz andere Menschen, von Herzen, Muth, Sinn und allen Kräften, und bringet den Heiligen Geist mit sich. O! es ist ein lebendig, geschästig, thätig, mächtig Ding um den Glauben, daß unmüglich, daß er nicht ohne Unterlaß sollte Gutes wirken. Er fraget auch nicht, ob gute Werk zu thun sind; sondern ehe man fraget, hat er sie gethan, und ist immer im Thun. Wer aber nicht solche Werze thut, der ist ein glaubloser Mensch, tappet und siehet um sich nach dem Glauben und guten Werken, und weiß weder, was Glauben oder gute Werke sein, wäschet und schwatzet doch viel Wort von Glauben und guten Werken. Glaub ist eine lebendige, erwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntniß göttlicher Gnaden machet fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und allen Creaturen, welches der Heilige Geist thut im Glauben, daher der Mensch ohne Zwang willig und lustig wird jedermann Gutes zu thun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und Lobe, der ihm solche Gnade erzeiget hat: also daß unmüglich ist, Werk vom Glauben scheiden, ja so unmuglich, als brennen und leuchten vom Feuer mag geschieden werden.” (S. 626, 9.)

Die Werke, welche der Synergismus hervorbringen kann, sind von  

(Seite 44 )

vornherein und grundsätzlich mit einem Fehler behaftet, der sie vor Gott zum Greuel macht. Dieser Fehler ist der Selbstruhm. Der Synergist hat sich noch nicht recht gedemüthigt, hat noch nicht recht vor Gott im Staube gelegen als einer, der gar nichts zu seiner Seligkeit vermag aus eigenen Kräften. Er gibt zwar zu, daß Gott viel, aber nicht, daß Gott alles gethan habe zu seiner Bekehrung und Seligmachung. Er glaubt, er selbst habe auch einen Beitrag geliesert; ja, er habe eigentlich den Ausschlag gegeben dadurch z. B., daß er das muthwillige Widerstreben aus eigenen Kräften unterlassen habe. Bei dieser irrigen Meinung aber kann das Herz nur mit Selbstruhm erfüllt sein. Freilich werden auch die Werke der Christen noch mit Selbstruhm befleckt; aber der Christ erkennt diesen Makel als Sünde und bittet Gott, daß ihm diese Sünde vergeben werde. Die Werke des Synergisten aber sind principiell mit Selbstruhm befleckt; was bei den Christen als Sünde beklagt wird, ist nach seiner Lehre gottgewollter Zustand.

Ferner: Unsere Kirche hat je und je gelehrt: Ein Werk ist böse, wenn es aus Lohnsucht gethan wird. Der Synergist aber kann gar nicht anders als um Lohn dienen, weil er sich selbst noch eine Kraft und Leistung in geistlichen Dingen zuschreibt. Er kann daher seine Werke nur in der Gesinnung thun, daß er für seine Leistung belohnt werde, daß er damit den Himmel theilweise selbst verdiene. Dagegen sagt Luther: “Du mußt den Himmel haben und schon selig sein, ehe du gute Werke thust; die Werke verdienen nicht den Himmel, sondern wiederum, der Himmel, aus lauter Gnaden gegeben, thut die guten Werke dahin, ohne Gesuch des Verdienstes, nur dem Nächsten zu Nutz und Gott zu Ehren, bis daß der Leichnam auch von Sünde, Tod und Hölle erlöset werde.” (XII, 183.)

Der Synergismus leitet den Menschen an, auf eigene Kraft zu vertrauen. Damit aber ermahnt er den Menschen, auf Unkraft s.ch zu verlassen. Denn diese eigene Kraft ist gar nicht vorhanden. So hindert der Synergist die Vollbringung guter Werke. Nach ihm soll sich der Mensch auf einen Stab stützen, der doch zusammenbricht, sobald man seine Dienste in Anspruch nimmt. Vergegenwärtigen wir uns an einem Beispiel, was die eigene Kraft vermag. Ein hoher Apostel des HErrn, Petrus, verließ sich einst auf seine eigene Kraft. Der HErr sprach zu seinen Jüngern: “In dieser Nacht werdet ihr euch alle an mir ärgern." Petrus aber, noch auf sich selbst vertrauend, antwortete: “Wenn sie auch allesich an dir ärgerten, so will ich mich doch an dir nimmermehr ärgern." Er ließ sich auch nicht warnen, als Christus ihm sagte: “Wahrlich, ich sage dir, heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahnzweimal krähet, wirst du mich dreimal verleugnen”, sondern betheuerte: “Ja, wenn ich auch mit dir sterben müßte, wollte ich dich nicht verleugnen.” Aber was war das Ende? Schon nach wenigen Stunden hatte er seinen HErrn verleugnet, ja, geschworen, erkenne ihn nicht. Anders der Apostel Paulus. Derselbe schreibt, er habe mehr gearbeitet, denn

(Seite 45 )

die andern alle, aber er setzt sogleich hinzu: “Nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.” 1 Cor. 15, 10. Welche Thorheit, von den natürlichen Kräften des Menschen noch eine Leistung in geistlichen Dingen zu erwarten! Dawill manTrauben von den Dornen und Feigen von den Disteln lesen. -- Joh. 15, 5. spricht Christus: “Ohne mich könnt ihr nichts thun." Insofern der Mensch natürlicher Mensch ist, thut er keine guten Werke. Der freie Wille thut nichts Gutes. Luther schreibt: “Die irren und verführen sich und Andere, die da sagen: Ei, du hast einen freien Willen; thu, so viel in dir ist, Gott wird das Seine thun, und meinen, man solle die Leute nicht verzweifeln heißen. Ja freilich soll man sie nicht verzweifeln heißen. Aber das Verzweifeln muß man recht ausstreichen. An Gottes Gnad soll niemand verzweifeln, sondern wider alle Welt und alle Sünde festiglich auf Gottes Hilse sich verlassen. Aber an ihm selber soll man gar verzagen und in keinem Wege sich verlassen auf seinen freien Willen, auch das allerwenigst Werklein zu thun.” (Kirchenpost. am Tage Petri und Pauli.) Ja, wenn die Gottseligkeit bloß in äußeren Handlungen bestünde, wenn das gute Werke wären, die den äußeren Schein von guten Werken haben, dann käme der Mensch mit seinen naturlichen Kräften so ziemlich aus; aber Gott sieht auf das Herz. auf die Ges.innung, in welcher die Werke gethan werden. Das äußerliche Predigen, Geben 2c. kann jemand auch aus natürlichen Kräften leisten; aber in geistlicher Gesinnung predigen, in geistlicher Gesinnung geben 2c., das vermag der natürliche Mensch nicht.

Ein Mensch kann nur dann gute Werke thun, wenn der Heilige Geist in sein Herz kommt und die bewegende Kraft seines Thuns ist. Darum machen alle diejenigen gute Werke unmöglich, welche eine Lehre führen, durch welche der Heilige Geist nicht ins Herz kommt. Wodurch aber wird der Heilige Geist einem Menschen gegeben? Allein durch das Evangelium, nicht durch das Gesetz. Der Apostel Paulus schreibt an die Galater, Cap. 3, 2.: “Das will ich allein von euch lernen: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke, oder durch die Predigt vom Glauben?" “Die Predigt vom Glauben" -- das ist das Evangelium, die Lehre, daß Gott nichts von uns fordere, wodurch wir zur Erlangung der Gerechtigkeit und Seligkeit mitzuwirken hätten, sondern uns ohne jegliche Leistung unsererseits aus reiner Gnade alles schenke. Wer darum das Evangeliu n verfälscht, wer in das Evangelium Forderung oder Gesetz hineinmischt, wer Gesetz und Evangelium nicht recht scheidet, der hindert das Empfangen des Heiligen Geistes, der hindert auch die Vollbringung guter Werke. Nun aber verfälschen die Synergisten das Evangelium, indem sie dasselbe mit Forderungen versetzen. Sie sagen allerdings: Gott will den Menschen seine Gnade zu Theil werden lassen. Aber diese Verheißung lassen sie durch eine Leistung von Seiten des Menschen bedingt sein. Der Mensch, welcher der Gnade Gottes theilhaftig werden will, muß nach synergistischer  

(Seite 46 )

Lehre sich aus natürlichen Kräften zur Gnade schicken oder das sogenannte muthwillige Widerstreben aus eigenen Kräften unterlassen. Nur wenn der Mensch dies leistet, kann er Gottes Gnade erlangen. Damit ist aus dem Evangelium ein Gesetz gemacht. Denn nach dieser Lehre stellt nun auch das Evangelium Forderungen an den Menschen. Der wesentliche Unterschied zwischen Gesetz und Evangelinm ist aufgehoben. Lutheraner lehren und glauben: Gesetz und Evangelium sind zwar beide Gottes Wort, aber zwei ganz verschiedene Lehren. Das Gesetz ist Forderung und nichts als Forderung. Es sagt uns, was wir thun und lassen müssen, wenn Gott uns um unser selbst willen selig machen soll. Im Evangelium dagegen ist nichts als Gabe und Geschenk; hier fordert Gott keine Leistung unsererseits, sondern schenkt Gerechtigkeit und Seligkeit aus reiner Gnade um Christi willen. Nach synergistischer Lehre aber fordert Gott nicht nur im Gesetz, sondern auch im Evangelium.  Gesetz und Evangelium unterscheiden sich höchstens so, daß das Gesetz viel, das Evangelium wenig fordert. Das ist aber kein Evangelium mehr. Durch solche Lehre, wenn man sie auch noch Evangelium nenn t, kommt der Heilige Geist nicht ins Herz. Das Herz bleibt todt. Es ist weder Glaube noch Liebe da.

Man hat gesagt, die Lehre, daß der natürliche Mensch zur Erlangung der Seligkeit gar nichts beitragen könne, sondern alles der freien Gnade Gottes zuzuschreiben habe, mache träge zu guten Werken. Mit dieser Behauptung offenbart man einen großen geistlichen Unverstand. Wir fragen einen Jeden von uns: Wann hatten wir recht Lust und Kraft, gute Werke zu thun? Wann waren wir recht willig und tüchtig zu guten Werken? Dann, wenn wir so recht die freie Gnade Gottes in Christo JEsu geschmeckt hatten, wenn wir erkannt hatten, daß unsere Bekehrung, unsere Seligkeit gauz ein Werk der Gnade Gottes sei. Die Erkenntniß, daß zAlles, Alles Gnade sei, erfüllte unsere Herzen mit Liebe zu Gott und trieb uns an. den Weg der Gebote Gottes zu laufen. Darum sollen wir diese Lehre fleißig treiben und predigen. Daß in unserer Synode viele liebe Christen fleißig sind zu guten Werken, woher kommt das anders, als daher, daß bei uns die reine Lehre von der purlauteren Gnade Gottes und von dem gänzlichen Unvermögen des Menschen in geistlichen Dingen getrieben wird. Soll unsere Synode fleißig bleiben in gnten Werken, so müssen wir an dieser Lehre festhalten.

Thesis VI.

Daher müssen wir an dieser Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des Menschen in geistlichen Dingen festhalten, trotz der mancherlei Einspr uche, welche die menschliche Vernunft gegen dieselbe erhebt.

Die menschliche Vernunft erhebt Einsprüche gegen die Lehre, daß der natürliche Mensch in geistlichen Dingen nichts vermöge.  Der Mensch,

(Seite 47 )

nach seiner natürlichen Gesinnung, will nicht aus Gnaden selig werden, will nicht als ein bloßer Bettler vor Gott stehen, der Gerechtigkeit und Seligkeit als ein reines Gnadengeschenk empfängt. Er will auch ein Rühm. lein imWerkederSeligkeithaben. Das ließe sich dernatürliche Mensch schon gefallen. daß Gott einen Theil oder auch den größten Theil des Werkes vollbrächte; aber etwas will er doch auch sich selbst zu verdanken haben. Aber Gottes Wort läßt dem Menschen auch nicht ein Minimum von Kraft und Verdienst, es nimmt dem Menschen alles und weis't ihn einzig und allein auf Gottes Gnade und Erbarmen hin. Diese Lehre will daher dem natürlichen Menschen nicht eingehen. Er will nicht zugeben, daß er so gar bankerott sei. Unser Bekenntniß sagt, die Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des Menschen in geistlichen Dingen sei “der hoffährtigen Ver. nunst und Philosophie zuwider”. “Doch wissen wir”, heißt es weiter, "daß dieser verkehrten Welt Weisheit nur Thorheit vor Gott ist, und daß von den Artikeln des Glaubens allein aus Gottes Wort soll geurtheilet werden.” (S. 589.) Ein Beispiel, wie der natürliche Mensch die Lehre, nach welcher Leben und Seligkeit ein reines Gnadengeschenk ist, nicht leiden möge, haben wir Joh. 6, 44--69.  Als Christus dargelegt hatte, daß niemand zu ihm kommen könne, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, und daß nur derjenige das ewige Leben haben werde, der es im Glauben von ihm nehmen würde, da sprachen selbst viele von denen, die sich schon zu ihm gehalten hatten: “Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?” (V. 60.) Ja, diese Rede war ihnen so ärgerlich, daß sie Christum verließen und hinfort nicht mehr mit ihm wandelten. Dieselben Worte freilich, welche die, sen Abtrünnigen so unerträglich waren, erkannten die Kinder Gottes als Worte des ewigen Lebens. Denn als JEsus zu den Zwölfen sprach: "Wollet ihr auch fortgehen?", antwortete Petrus im Namen der Jünger: "HErr,  wohin sollen wir gehen? Du hastWorte des ewigen Lebens.” So geht es auch jetzt bei uns. Als wir gelegentlich des Streites über die Lehre von der Gnadenwahl bezeugten, daß die Seligkeit des Menschen allein in Gottes Gnade und Kraft stehe, daß nichts in uns, sondern allein seine Gnade und Christi Verdienst Gott bewege und veranlasse, uns selig zu machen: da sprachen unsere Gegner auch: “Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?" Die rechtschaffenen Kinder Gottes hingegen freuten sich. Sie erkannten die Jenen ärgerliche Lehre als “Worte des ewigen Lebens".

Es ist nicht zu verwundern, daß der natürliche Mensch die Lehre, welche ihm in Sachen der Seligkeit alles nimmt und Gottes Gnade gibt, unleidlich findet. Er erkennt ja sein erbsündliches Verderben nicht. Die Verderbtheit der menschlichen Natur ist so groß, daß die menschliche Vernunft sie nicht begreifen kann. Unser Bekenntniß sagt: “Solche Erbsünde ist so gar ein tief  böse Verderbung der Natur, daß sie keine Vernunft nicht kennet,  sondern muß aus der Schrift Offenbarung geglaubt werden." (Schmalk. Art. III. Theil S. 310.)

 

(Seite 48 )

Im Thüringischen Bekenntniß (in den “Furstlich Sächsischen Confutationes”) heißt es: “Dieser  Irrthum, der die Krast menschlichen Vermögens so hoch erhebet und rühmet, entstehet eigentlich aus Unwissenheit und Unverstand der Erbsünde und Verderben des Bildes Gottes, und denn auch aus Vertrauen und vermessener Vermuthung, so wir haben auf unsere eigene Frömmigkeit und Gerechtigkeit, und aus den scheinenden und gleißenden Lehren der Philosophia. Denn wir wollen doch schlechter Ding auch etwas dabei vermögen, thun und ausrichten; wir wollen je gesehen sein. Darumb geschieht uns weh und erwegen uns sehr schwerlich, daß wir die Ehre der Gerechtigkeit Gott allein lassen sollen. Dazu uns denn unsere Thorheit, Eigendünkel und überteufelische Vermessenheit heftig treibet. Dieser Stolz, wie er uns denn von Natur ist angeboren, thut dem Teufel ein weit Thor auf, die Gottlosen in unzählig viel Irrthum und falsche Meinung zu führen und zu bezaubern. So sind jederzeitSophisten gewest, die sich menschliche Gerechtigkeit und Freiheit hoch aufmutzen, weil solches jedermann gefällig, mit Schreiben geübet und brauchen haben lassen." (Corpus doctrinae christ. Jena 1571. Bl. 321.)

Im Besonderen pflegen diejenigen, welche geistliche Dinge mit ihrer fleischlichen Vernunft.beurtheilen wollen, folgende Einsprüche gegen die Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen zu erheben.

1. Man wendet ein: Wenn die Bekehrung und Seligmachung eines Menschen ganz allein Gottes Werk ist, zu dessen Vollbringung der Mensch aus sich selbst nicht das Mindeste beiträgt: wie kommt es denn, daß nicht alle Menschen bekehrt und selig werden? Dann müßte man ja annehmen, daß Gott parteiisch sei, daß er denen, die nicht bekehrt und selig werden, das versage, was er den Andern gibt. Es würde somit herauskommen, daß Gott nicht alle Menschen bekehren und selig machen wolle. Um diesen Folgerungen zu entgehen, müsse man annehmen, daß in denjenigen, welche bekehrt und selig werden, ein wenigstens etwas besseres Thun sei, wodurch sie sich in Gottes Augen von den Andern vortheilhaft unterscheiden, daß sie wenigstens ein Minimum zurVollbringung ihrer Bekehrung leisten könnten (etwa die Unterlassung des muthwilligen Widerstrebens). Nehme man dies nicht an, dann erscheine Gott nicht nur als parteiisch, sondern diejenigen, welche nicht bezehrt werden, könnten dann auch nicht mehr schuld sein an ihrer Nichtbekehrung. -- Wir antworten auf diesen Einwurf: Gottes Wort sagt: Diejenigen, welche bekehrt und selig werden, haben dies allein der Gnade Gottes zu verdanken; daß aber Viele nicht bekehrt und selig werden, das ist ganz allein ihre Schuld. Hält man uns weiter vor: Mit dieser Antwort ist der menschlichen Vernuuft noch kein Genüge geschehen; so antworten wir hierauf: Wir richten unsere Lehre nicht nach der menschlichen Vernunft, sondern nach Gottes Wort ein. Gottes Wort sagt, daß der natürliche Mensch in Sünden todt sei und gar

(Seite 49 )

nichts zu seiner Bekehrung und zur Erlangung der Seligkeit beitragen könne. Es heißt Eph. 2, 8. 9.: “Aus Gnaden seid ihr selig geworden, durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nichcht je,nand rühme." Auf der andern Seite sagt Gottes Wort ebenso klar und deutlich, daß es allein die Schuld des Menschen sei, nämlich seines Widerstrebens gegen die Gnade, wenn er nicht bekehrt und selig wird. Der HErr Christus sagt von den Einwohnern  Jerusalems Matth. 23, 37.: “Ihr habt nicht gewollt.” Und Paulus und Barnabas sagen zu den ungläubigen Juden Apost. 13, 46.: “Euch mußte zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr es aber von euch stoßet und achtet euch selbst nicht werth des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.” Wer sieht nicht. daß in diesen Worten die Schuld der Nicht.Bekehrung den Menschen zugeschrieben wird? Hierbei bleiben wir in einfältigem Christenglauben stehen, und kümmern uns nicht darum, daß die in geistlichen Sachen blinde menschliche Vernunft das Festhalten dieser beiden Wahrheiten nicht in der Ordnung findet. Wollte man die menschliche Vernunst über den christlichen Glauben zu Gericht sitzen lassen, so würde sie bald alle Artikel der christlichen Lehre umstoßen. Sie würde auch nicht den  Artikel stehen lassen, daß Gott.Christo unsere Sünde zugerechnet habe und hinwiederum Christi Gerechtigkeit uns zuruchne. Diese Lehre, auf welcher unser Trost und unser Heil beruht, fanden die alten Rationalisten auch einst sehr “unvernunftig”. Sie meinten, nach dieser Lehre erscheine Gott ungerecht. Es entspreche nicht dem menschlichen Gerechtigkeitsgefühl, daß Gott dem unschuldigen Christus die Sünden der Menschen und hintoiederum den schuldigen Menschen die Gerechtigkeit Christi zurechnen sollte. Die blinde Vernunft kann wirklich nicht anders urtheilen. Aber was hat diese in Gottes Sachen zu sagen? Gottes Wort sagt: “Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht”, 2 Cor. 5,  21. “Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt”, Joh. 1, 29. “Des Menschen Sohn ist kommen, daß er gebe sein Leben zu einer Erlösung fur Viele”, Matth. 20, 28. Ferner: (sie – die Menschen) werden ohne  Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist”, Röm. 3, 24. Die Schrift lehrt also ganz deutlich, daß Gott der Menschen Sünde an dem unschuldigen Christus gestraft habe und daß er Christi Werk den ungerechten Menschen zur Gerechtigkeit zurechne. Und daß Gott dabei ein gerechter Gott bleibe, sagt die Schrift auch. Daniel 9, 7.: “Du, HErr, bist gerecht, wir aber müssen uns schämen." Daher glauben wir nach der Schrift, sowohl daß Gott gerecht sei, als auch, daß Gott Christo fremde Sunde zurechnete und uns wegen einer fremden Gerechtigkeit gerecht achte. Was die thörichte Vernunft dagegen einwendet, achten wir nicht. -- So stehen wir auch in dieser Frage. Auch hier sagt die Schrift beides: einmal, daß wir von Natur zu allem Geistlichen unvermögend

 

(Seite 50 )

sind und daher allein durch Gottes Gnade zum Glauben kommen und im Glauben bleiben; sodann, daß diejenigen, welche nicht zum Glauben kommen oder nicht im Glauben bleiben, allein durch ihre Schuld ohne Glauben bleiben und verloren gehen. Beides glauben wir und lassen uns durch keine Vernünfteleien irre macheu. Wir bleiben bei Hosea 13, 9.: “Israel, du bringest dich in Unglück; denn dein Heil stehet allein bei mir." Auf der einen Seite lassen wir allein Gottes Gnade, auf der andern Seite allein des Menschen Schuld stehen.

Wenn jemand in dieser Frage der Vernunft folgen will, so hat er zwei Abwege vor sich. Der eine ist der Abweg des Synergismus, der andere ist derdes Calvinismus. Der Synergismus nimmt an, daß in dem natürlichen Menschen noch eine Kraft zu geistlichen Dingen sei. Wer diese Kraft recht gebrauche, werde bekehrt und selig. So ist freilich der Vernunft klar gemacht, warum nur ein Theil und nicht alle Menschen bekehrt und selig werden. Aber diese Lösung ist falsch; wir können und dürfen sie nicht annehmen; sie ist gegen Gottes zlares Wort, welches alle Menschen in Sünden todt und des natürlichen Menschen Gesinnung eine Feindschaft wider Gott nennt. Die Lösung des Calvinismus ist auch der Vernunft gemäß. Der Calvinismus willzwar daran festhalten, daß alle Menschen in Sünden todt sind; aber er sagt, Gott wolle gar nicht alle Menschen selig machen, es seien nicht alle erlös't, nicht alle toürden kräftig berufen u. s. w. Daher komme es, daß nicht alle bekehrt und selig würden. Aber auch diese Lösung ist gotteslästerlich. Gottes Wort sagt, daß Gott alle Menschen selig machen wolle, 1Tim. 2, 4. Ja, Gott schwört: “So wahr als ich lebe, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe." Gottes Wort sagt, daß Gott die Welt geliebt habe, daß Christus der Welt Sünde getragen habe und daß das Wort Gottes Geist und Leben sei und lebendigmachende Kraft habe. -Wir verwerfen darum hier alle Lösungen der Vernunft, weil sie mit dem Worte Gottes streiten. Wir erkennen hier ein Geheimniß an, das die menschliche Vernunft nicht zu durchschauen vermag.

So hat es unsere lutherische Kirche immer gehalten, wie ihre treuen Lehrer bezeugen.

Chemnitz schreibt: “Wie kommt es denn, daß Gott dem Judas solchen Glauben nicht ins Herz gibt, daß er auch hätte glauben können, daß ihm könnte durch Christum geholfen werdenz Da müssen toir mit unseren Fragen wiederkehren und sagen Röm. 11.: ‘O welch eine Tiefe des Reichthums, beide der Weisheit und Erkenntniß Gottes; wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!' Wir können und sollen dies nicht ausforschen, und uns in solche Gedanken zu weit vertiefen." (Pass.ionspred. Th. IV. S. 17.)

Selnecker: “Obgleich Gott aus allen Nichtwollenden Wollende machen könnte, so  thut er dies doch nicht; und warum er es nicht thue,

(Seite 51 )

dazu hat er seine gerechtesten und weisesten Gründe, welche zu erforschen nicht unsere Sache iit." (In omnes epistolas Pauli Comm. 1595. S. 213.)

Tim. Kirchner: “Weil denn der Glaube an Christum eine sonderliche Gabe Gottes ist, warum gibt er ihn nicht Allen? Antwort: Dieser Frage Erörterung sollen wir ins ewige Leben sparen, unterdeß uns daran genügen lassen, daß Gott nicht will, daß wir seine heimlichen Gerichte forschen sollen, Röm. 9." (Enchiridion 1583. S. 143.)

Polycarpus Leyser: “Und obwohl allhier schwere Fragen aufgegeben können werden, weil der Glaube eine Gabe Gottes ist, warum Gott denselben dem einen gebe, dem andern nicht; item, warum einer im Glauben beständig bleibe, der andere aber abfalle: darauf nicht einem jeden fürwitzigen Frager zur Genüge geantwortet werden kann."  (Antwort D. Polyc. Leisers Auff das von D. Samuel Hubern angestellte Examen 2c. Dresden 1598. Bl. 32.)                                

Merendorf und Alvensleben antworten auf den Einwurf “Wenn der Wille des Menschen in der  Bekehrung zu Gott nicht soll mitwirken, so folge, Gott sehe die Person an (sei parteiisch) und die Verdammniß sei dann nicht allein der Menschen Schuld” wie folgt: “Daß Gott kein Anseher sei der Personen, erklärt Gottes Wort also, daß er alle ohne Unterschied allein aus Gnaden, die an Christum glauben, annimmt; aber die nicht glauben, verdamme er. Stehet also die Lehre, daß Gott kein Anseher der Personen sei, nicht in unserem natürlichen fleischlichen Willen, sondern daß Gott, wie gesagt, gegen alle gleich ist, die an Christum glauben, und sie aus Gnaden, ohne Unterschied der Personen, Nation, Ständen, Alter, Schönheit, Geschicklichkeit 2c., annehme. Auch ist Gottes klares Wort Hos. 13.: ‘Israel, du bringest dich in Unglück; denn dein Heil stehet allein bei mir.' Dabei muß man bleiben und dasjenige, was über unsere Vernunft gehet, sollen und können wir nicht erforschen. Die alten Lehrer haben gesagt: Wer da glaubet, der habe Gott für seine Gerechtigkeit zu danken, wer aber nicht glaubet, der habe über Gott nicht zu klagen. Denn Nichtglauben ist unser Werk und Thun." (Bei Schlüsselburg V, S. 670. f.)

P. Piscator: “In diesem Sinne schrieb vor 40 Jahren ein gelehrter und in Luthers Schriften sehr bewanderter Theolog. ‘Daß aber Etliche solch kindisch und gar bachantisch Ding fürgeben und sagen durfen: Wenn es allein an Gottes bloßer Gnade und Erwählung und nicht auch zum Theil an des Menschen Willen gelegen sei, oder wenn es allein bei Gott stehe, daß der Mensch gläubig und die Seligkeit im Wort annehme, und nicht bei des Menschen freier Willkur, so sei Gott ein Anseher der Person, cum non aequalibus aequalia dividat (weil er nicht den Gleichen Gleiches zutheile), weil er nicht einem sowohl als dem andern den Glauben dazu gibt: darauf sollte man solche Lappen mit Ruthen hauen, daß sie unsern HErrn Gott darum der Unbilligkeit zeihen, weil sich seine un

(Seite 52 )

begreislichen Gerichte nicht mit ihrer närrischenVernunft reimen.” (Comm. in F. C. S. 577.)

2. Ein zweiter Einwurf gegen die Lehre von dem gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen ist dieser: Wenn der Mensch gar nichts dazu thun kann, daß er zum Glauben komme, wozu finden sich denn in der heiligen Schrift Aufforderungen zum Glauben? Dann sind ja solche Aufforderungen nicht nur unnütz. sondern auch vollständig sinnlos; ja, man muß annehmen, daß Gott der Menschen mit solchen Aufforderungen spotten wolle. Apost. 16,  31. z. B. heißt es: “Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Haus selig.” Aus solchen und ähnlichen Stellen hat man schließen wollen, daß im Menschen noch eine Kraft zum Glauben sein müsse. Doch dieser Schluß ist ein ganz verkehrter. Joh. 11, 43. ruft Christus in ein Grab hinein: ‘ Lazare, komm heraus.” In Lazarus war aber keme Krast mchr, diesem Ruf zu folgen; denn Lazarus war todt und hatte schon vier Tage im Grabe gelegen. War nun aber deshalb des HErrn Ruf sinnlos? oder wollte der HErr nur des Todten spotten? Nichts dergleichen! In dem Wort Christi lag zugleich die Kraft, das zu bewirken, wozu Lazarus aufgefordert wurde, nämlich die göttliche auferweckende Kraft, die es bewirkte, daß Lazarus wirklich auferstand.  So ist es auch mit der Aussorderung. Glaube an den HErrn JEsum Christum. In diesem Worte ist göttliche Kraft und Wirkung. Dadurch, daß zum Glauben aufgefordert, gelockt und gereizt wird, wird der Glaube von Gott gewirkt.  Nehmen wir noch ein Beispiel: Apost. 3, 6. spricht Petrus zu einem Lahmen, der vor ihm lag: “Im Namen JEsu Christi von Nazareth, stehe auf und wandele.” Hatte der Lahme noch etwa die Kraft zum Wandeln? Nein! denn V. 2. lesen wir: er “war lahm von Mutterleibe und ließ sich tragen." War es aber unsinnig, daß Petrus ihn aufforderte, zu wandeln ? oder wollte Petrus seiner spotten? Nein! denn indem Petrus ihm zurief: stehe auf! da “stunden seine Schenkel und Knöchel feste; sprang auf, konnte gehen und stehen." In Petri Ruf wurde die Kraft zum Wandeln gegeben. So auch im Geistlichen. Durch die Aufforderung zum Glauben 2c. wird der Glaube in dem Menschenherzen geschaffen. “Gott, der da hieß das Licht aus der Finsterniß hervor leuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.” 2 Cor. 4. 6. Hierher gehört Augustin us' Ausfpruch, den sich auch die lutherischen Lehrer angeeignet haben: “Gott möge geben, was er befiehlt, und er befehle dann, was er will."

Es gibt auchAufforderungen, welche einen gesetzlichen Sinn haben. Diese haben den Zweck, den Menschen zu demüthigen, ihn zu der Erkennt. niß zu bringen, daß er in geistlichen Dingen nichts vermag, daß er daher seine Zuflucht allein zu Gottes Gnade zu nehmen habe. So spricht der HErr Christus Luc. 10. zu dem Schriftgelehrten, welcher richtig die Summa des Gesetzes angegeben hatte: “Thue das, so wirst du leben.” Das sagt

(Seite 53 )

er aber, um den Selbstgerechten zu der Erkenntniß zu bringen, daß er das vom GesetzGeforderte nicht leisten könne. Gott zeigt uns unsere Hilflosigkeit, damit wir an unserer eigenen Krast verzagen und uns dahin wenden, wo Hilfe zu haben ist.                      

Th. Schnepf schreibt: “Es ist auch zu bemerken, daß diejenigen Stellen, welche uns zur Bekehrung und Buße ermahnen, nicht anzeigen, was wir leisten können, sondern was toir Gott schuldig sind und was wir von ihm erbitten müssen. . . Es gibt viele Zeugnisse des gelehrten Alterthums über diesen Punkt, besonders finden sich solche bei Augustinus, besonders dies, wo er sagt: Gott befehle deßhalb das, was wir nicht leisten können, damit wir erkennen möchten, was wir von ihm erbitten müssen. Nicht minder bekannt ist dieser Ausspruch desselben Autors: Gott möge geben, was er befiehlt, und er befehle dann, was er will.” (Bei Schlusselburg V, 471f.)

Luther schreibt gegen Erasmus, der auch aus Aufforderungen zur Bekehrung und zum Halten der Gebote Gottes folgern toollte, daß in dem Menschen noch eine Kraft sein musse, diesen Aufforderungen nachzukommen: “Wie denn, wenn nun Gott der Vater mit uns als mit seinen Kindlein handelt, daß er uns, die wir nicht wissen, was uns fehlct, zeiget unser Gebrechen, und als ein getreuer Arzt unsere Krankheit kennen lehre, oder daß er uns, als seinen Feinden, die seinem Willen und Rath allenthalben widerstehen, Trotz bieten wolltez Und wie, wenn er sein Gesetz uns derhalben vorhält (dadurch er uns am besten kann demüthigen), daß wir uns sollen erkennen, und spricht: Wohlan, thuts, hörets, haltets, oder: so ihrs hören werdet,so ihrs thun werdet (*) u. s. w. Als sollte er sagen: Könnt ihrs thun, laßt sehen, so thuts. Sollte daraus alsbald folgen, daß wirs darum frei könnten thun, oder daß Gott sein Gesetz vergeblich oder spöttlich ge. geben hätte? Warum sollte nicht vielmehr das dieMeinung sein, daß uns Gott also versucht, damit er uns durch sein Gesetz zum Erkenntniß unsers Fehls und Unvermögens bringe, so wir seine Kindlein und Freunde sind, oder daß er dadurch billig und recht unser spottet und uns trotzet, so wir stolz auf unserm Gutdünken stehen und Feinde sind? Ist doch das die rechte Ursach, darum das Gesetz gegeben ist, wie St.Paulus sagt Röm. 3,  20. Denn die Vernunft und Natur ist blind, und weiß selber nicht ihren Jammer, Seuche und Krankheit; dazu ist sie stolz, will wähnen, sie vermöge und wisse es alles. Dem Stolz nun und der Blindheit kann Gott mit keiner bessern Arznei begegnen, denn daß er sein Gesetz gegeben hat und gibt. Nun, davon wollen wir weiter an seiner Statt reden. Hier ists genug, daß etwas gerühret sei, zu verwerfen und zu verlegen die närrische

--------------

*) Mit den Aufforderungen stehen auf gleicher Linie die dedingten Aussagen.  Sage ich: “wenn du glaubst, wirst du selig”, “wenn di gegen dein Fleisch kämpfest, wirst du das Ende des Glaubens davonbringen”: so darf daraus nicht gefolgert werden, daß der Mensch aus eigenen Kräften glauben oder gegen sein Fleisch kämpfen könne.

(Seite 54 )

Klugheit der Vernunft, da sie will also schließen: Es stehet geschrieben: So du willst, oder willst du halten u. s. w., darum könnte der Mensch frei wollen. Der Diatribe träumet, es stehe noch um den Menschen also, als da er durch die Sünde unverderbet war, und siehet nur, wie er an Leib und Gliedmaß äußerlich ganz scheinet." (Daß der freie Wille nichts sei. Dresd. Ausg. S. 123 f.)

3. *)Ein dritter Einwurf gegen die rechte Lehre von dem Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen ist der, daß man sagt: Hat der Mensch von Natur durchaus keine Kraft und Neigung, das Evangelium anzunehmen; muß der Heilige Geist Alles thun und sogar das muthwillige Widerstreben hinwegnehmen, dann ist die Bekehrung nur ein Zwang, derMensch wird zur Bekehrung gezwungen. Dieser Einwurf ist eigentlich recht albern, ist aber dennoch von den Synergisten allerZeiten den Rechtgläubigen gemacht worden. Auch im “Columbus Magazine” der Ohiosynode wurde ausgefuhrt, wenn wir lehrten, daß der Heilige Geist auch das muthwillige Widerstreben verhindern müsse, so lehrten wir eine zwangsweise Bekehrung. Derselbe Einwurf wurde auch im 16ten Jahrhundert gegen die Lutheranerer hoben, welche an der Lehre des Wortes Gottes festhielten, daß der Mensch in seiner Bekehrung nur Etwas erleide, aber in keiner Weise sich zur Gnade schicken könne.

Zacharias Prätorius antwortete in diesem Streit auf das gegnerische Gerede von einem “Zwang" und einer “gewaltsamen Wirkung" einfach: “Gegen den Biß eines Verleumders gibt es kein Mittel." (Bei Schlüsselburg V, 539.)

Die  Bekehrung geschieht ja nicht durch Säbel und Knute oder, wie Luther sagt, “als wenn Meister Hans Einen an den Galgen zeucht", sondern durch Gottes Wort. Dasselbe wird dem Menschen gepredigt und wirkt auf den Verstand und Willen des Menschen mit geistlicher, göttlicher Kraft. Wird z. B. gepredigt, daß Gott heilig sei und nach seinerGerechtigkeit den Sündern nur zürnen könne, daß der Mensch, der nicht durch und durch geistlich sei und dem Gesetze von Herzen zustimme, verflucht sei, so bäumt sich der Mensch nach seiner naturlichen Gesinnung dagegen auf. Aber der Heilige Geist fährt fort, an dem Herzen mit innerlicher Kraft und Wirkung zu arbeiten, bis der Sünder zusammenbricht und sagt: Gottes Wort hat Recht. Ebenso hält der natürliche Mensch auch das Evangelium für eine Thorheit und will es nicht annehmen. Aber bei dem Evangelium ist die Wirkung des Heiligen Geistes. Durch diese wird das verschlossene Herz des Menschen, nicht durch physische Gewalt wie mit einem Brecheisen, sondern durch wunderbare, geistliche Wirkung aufgethan.  Es ist dieses der geistliche, wunderbare, heilige Zug des Vaters zum Sohne. Das ist kein Zwang. Die Bekehrung besteht ja gerade darin, daß auf

--------------

*) Prot. von P. Rösener.

(Seite 55 )

den Menschen, durch den Heiligen Geist, so gewirkt wird, daß er nun das Evangelium von JEsu Christo für eine seligmachende Wahrheit hält. Die Bekehrung besteht darin, daß aus einem feindlichen Willen ein freundlicher Wille gemacht wird, der das Evangelium als eine seligmachende Wahrheit annimmt.  Daher kann von Zwang zeine Rede sein. Von einem Zwang könnte nur dann die Rede sein, wenn keine Veränderung in der Bekehrung geschähe, wenn die Bekehrung keine Bekehrung wäre. Auch läßt sich nicht absehen, wie das mehr Zwang sein sollte, wenn der Heilige Geist das muthwillige Widerstreben hindert und unterdrückt, als wenn dies durch den natürlichen Willen geschieht. Der Heilige Geist wird es doch wohl ebenso sanft und zart machen können, wie der Mensch selbst.

Hierher gehören folgende Stellen unseres Bekenntnisses:

 “Item, wenn diese Reden ohne Erklärung gebraucht, daß desMenschen Wille vor, in und nach der Bekehrung dem Heiligen Geist  widerstrebe, und daß der Heilige Geist gegeben werde denen, so ihm vorsätzlich und beharrlich widerstreben, dann Gott in der Bekehrung aus den Unwilligen Willige machet, und in den Willigen wohnet, wie Augustinus redet. . . . Dagegen aber wird recht geredet, daß Gott in der Bekehrung durch das Ziehen des Heiligen Geistes aus widerspänstigen, unwilligen willige Menschen mache."  (S. 526.)

Ferner heißt es Seite 603: “Und wiewohl Gott den Menschen nicht zwinget (uon cogit), daß er müsse fromm werden (denn welche allezeit dem Heiligen Geist widerstreben, und sich für und für auch der erkannten Wahrheit widersetzen, wie Stephanus von den verstockten Juden redet Act. 7., die werden nicht bekehret), jedoch zeucht Gott, der HErr, den Menschen, welchen er bekehren will, und zeucht ihn also, daß aus einem verfinsterten Verstand ein erleuchteter Verstand, und aus einem widerspänstigen Willen ein gehorsamer Wille wird. Und das nennet die Schrift ein neues Herz erschaffen."

Ebenso S. 609: “Also auch, wann Lutherus spricht, daß sich der Mensch zu seiner Bekehrung pure passive halte, das ist, ganz und gar nichts darzu thue, sondern nur leide, was Gott in ihm wirket: ist seine Meinung nicht, daß die Bekehrung geschehe ohne die Predigt und Gehör des göttlichen Worts, ist auch die Meinung nicht, daß in der  Bekehrung vom Heiligen Geist gar keine neue Bewegung in uns erwecket, und keine geistliche Wirkung angefangen werden; sondern er meinet, daß der Mensch von sich selbst oder aus seinen natürlichen Kräften nichts vermöge oder helfen könne zu seiner Bekehrung, und daß die Bekehrung nicht allein zum Theil, sondern ganz und gar sei eine Wirkung, Gab und Geschenk und Werk des Heiligen Geistes allein, der sie durch seine Kraft und Macht, durchs Wort, im Verstand, Willen und Herzen des Menschen, tanquam in subjecto patiente, das ist, da der Mensch nichts thut oder wirket, sondern nur leidet, ausrichte und wirke; nicht als ein Bild in 

(Seite 56 )

einen Stein gehanen, oder ein Siegel ins Wachs, welches nichts drum weiß, solches auch nicht empfindet noch will, gedrucket wird, sondern also und auf die Weise, wie kurz zuvor erzählet und erkläret ist”, -- nämlich so, daß aus den Unwilligen Willige werden durch eine wirkliche Veränderung, welche durch Wirkung des Heiligen Geistes im Wort geschieht.

Merendorf und Alvensleben. “Daß der Mensch in seiner Bekehrung zu Gott gezwungen werde, wie der Henker einen Dieb zwinget, die Leiter hinauf an den Galgen zu steigen, ist unwahr. Aber gleichwohl ist dies wahr, daß Gott durch sein Wort in der Bekehrung des Menschen kräftiglich wirke und die Bosheit des alten Adam, das ist, das verkehrte Herz (Jer. 17.), die Feindschaft des fleischlichen Sinnes wider Gott (Röm. 8.), die natürliche Thorheit wider Gottes Sachen (1 Cor. 2.) dämpfe, zurückhalte (also der Heilige Geist ist es, der das Widerstreben zurückhält) und neue Gabe und Kräfte gebe, daß sich das Herz zu Gott kehre, daß die Sinne anfahen, Gott und seine Sache lieb zu haben und Gottes Weisheit anzunehmen und groß zu halten." (Bei Schlüsselburg V, 681.)

Dieselben: “Ich verwerfe auch der Enthusiasten Schwarm, als wirke der Heilige Geist die  Bekehrung per raptus violentos, durch gewaltigen (das ist: gewaltsamen) Zwang und Drängniß, ohne Gottes Wort und ohne einige Aenderung, neue Neigung, Bewegung im Verstande, Willen oder Herzen, also, daß der ganze Mensch greife und fühle, daß das Herz vom Heiligen Geist ohne einigen neuen Willen mit Gewalt dahin gerissen werde.” (A. a. O. 681.)

4. Man wirft ferner gegen die Lehre vom gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen ein, der Mensch sei doch kein Thier, er habe doch Verstand und Willen, er könne etwas verstehen, auffassen, wollen. Sprcche man daher dem Menschen jedes Vermögen in seiner Bekehrung ab, so erniedrige man den Menschen zum Thiere, und bedenke gar nicht, daß der Mensch ein vernünftiges Wesen sei. Auch dieser Einwurf ist höchst albern. Dennoch haben die  Iowaer denselben in diesem Streite vorgebracht und geschrieben, derHauptfehler bei uns wäre der, daß wir den Menschen wie ein Thier behandelten. -- Wir wissen sehr wohl: der Mensch ist kein Thier, das braucht uns niemand zu lehren. Wirwissen, daß der Mensch Verstand und Willen hat. Wir wissen auch, daß der Mensch in weltlichen Dingen mit seinem Verstand und Willen etwas zu leisten vermag. Wir haben auch schon dargelegt, daß der Mensch auf dem Gebiet der natürlichen Sittlichkeit mit seinem natürlichen Verstand und Willen das, was recht ist, erkennen und sich weltlich ehrbar halten könne. In diesem Sinne wollen wir den Menschen keineswegs herabsetzen. Aber um diese Dinge handelt es sich nicht bei der Bekehrung. Es handelt sich z. B. nicht darum, ob der Mensch einsehen könne, daß 3 und  2  = 5 sind,

(Seite 57 )

sondern darum, ob er von Natur erkennen kann, daß das Evangelium von Christo, dem Gekreuzigten, eine seligmachende Wahrheit ist. Diese Erkenntniß spricht Gottes Wort dem naturlichen Menschen ab bei aller Erzenntniß in weltlichen Dingen. In Bezug auf das Evangelium sagt Gottes Wort: er kann es nicht erkennen, es ist ihm eine Thorheit, 1Cor. 2, 14. Es handelt sich nicht um ein Wollen weltlicherDinge. Z. B. nicht darum, daß jemand sich ein so oder so beschaffenes Kleid kaufen oder sich bürgerlich  rechtschaffen verhalten wolle, sondern um dieses Wollen, daß der Mensch sich vor Gott als ein armer Sünder in den Staub werfe und JEsum Christum als seinen einigen Heiland annehme. Dieses Wollen fpricht die Schrift dem natürlichen Menschen ab mit denWorten: “Fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott.” Man springt bei obigem Einwurf immer vom natürlichen Gebiet auf das geistliche über. Die Theologen des 16ten  Jahrhunderts antworteten auf den Einwurf, der Mensch habe Verstand und Willen, sei kein Stein und Block und könne daher auch etlichermaßen Gottes Wort annehmen, Folgendes:

Merendorf und Alvensleben: “Man geht von den natürlichen, äußerlichen Dingen auf geistiche, göttliche Dinge. Die haben nicht einerlei Art und Eigenschaft. Daß ein Klotz und ein Mensch nicht einerlei sei, bedarf keiner großen Kunst, das weiß ein jeder Bauer und auch die Narren wohl. Aber daß leibliche und geistliche Sache eines seien und daß ein Mensch eben also verstehen und annehmen könne aus seinen natürlichen Kräften, daß Gott durch Christum wolle gnädig sein, wie er annimmt, daß zweimal drei sechs sind, und dergleichen: das muß man aus Gottes Wort lernen, welches saget mit dürren und ausdrücklichen Worten: ‘Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes', 1 Cor. 2. Joh. 3.: ‘Ein Mensch kann nichts nehmen, es sei ihm denn gegeben vom Himmel.' . . . Darum ist solches ein philosophisch Gaukelwerk, wenn man gleich die ganze Kunst der Vernunft de modo agendi ausgründet. Man soll aber aus Gottes Wort und nicht aus dem Aristotele (welchen Lutherus billig den blinden Leiter nennet) lernen, was der Mensch fur einen modum agendi, eine Art und Weise zu thun habe in Gottes Wort, in göttlichen Sachen. Denn der Vater vom Himmel spricht Matth. 17.: ‘Den (meinen Sohn) sollt ihr hören', und nicht höret die Philosophie und eure finstern dreckern Latern, die Vernunft, in solchen Sachen. Denn sonst mag die Vernunft Kühe melken und anders thun, das gehet hin. Aber in Gottes Sachen gehöret sie nicht.” (A. a. O. S. 669 f.)

Auch unser  Bekenntniß nimmt Rücksicht auf diesen Einwurf. Es sagt: “Und in diesem Fall mag man wohl sagen, daß der Mensch nicht sei ein Stein oder  Block. Denn ein Stein oder Block widerstrebet dem nicht, der ihn beweget, verstehet auch nicht und empfindet nicht, was mit ihm gehandelt wird, wie ein Mensch Gott, dem HErrn, widerstrebet mit seinem Willen, so lang, bis er bekehret wird. Und ist gleichwohl wahr, daß ein  

(Seite 58 )

Mensch vor der Bekehrung dennoch eine vernünftige Creatur ist, welche ein Verstand und Willen hat, doch nicht ein Verstand in göttlichen Sachen, oder ein Willen, etwas Gutes und Heilsames zu wollen. Jedoch zann er zu seinerBezehrung (wie droben auch gemeldet) ganz und gar nichts thun, und ist in solchem Fall viel ärger dann ein Stein und Block; dann er widerstrebet dem Wort und Willen Gottes, bis Gott ihn vom Tode der Sunden erwecket, erleuchtet und verneuert.” (S. 602.)

Ferner: “Derhalben kann auch nicht recht gesaget werden, daß der Mensch vor seinerBekehrung einen modum agendi, oder eine Weise, nämlich etwas Guts und Heilsames in göttlichen Sachen zu wirken, habe. Dann weil der Mensch vor der Bekehrung todt ist in Sünden, Ephes. 2., so kann in ihm keine Kraft sein, etwas Gutes in göttlichen Sachen zu wirken. Wenn man aber davon redet, wie Gott in den Menschen wirke, so hat gleichwohl Gott, der HErr, einen modum agendi oder Weise zu wirken in einem Menschen als in einer vernünftigen Creatur, und eine andere, zu wirken in einer andern unvernünftigen Creatur oder in einem Stein und Block. Jedoch kann nichtsdestoweniger dem Menschen vor seiner Bekehrung kein modus agendi oder einige Weise, in geistlichen Sachen etwas Guts zu wirken, zugeschrieben werden." (S. 603.)

Unser Bekenntniß sagt also. daß wohl ein Unterschied zwischen Thier und Mensch gemacht werden müsse, aber dieser Unterschied sei nicht dahin auszubeuten, daß der Mensch auch in geistlichen Dingen etwas verstehen und wollen könne.                  

5. Ein anderer Einwurf gegen die Lehre vom gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen ist dieser, zaß man sagt: Ihr gebt zu, daß es in der Kraft des natürlichen Menschen steht, frei das Evangelium zurückzuweisen und nicht zu wollen. Darum müßt ihr auch zugeben, daß der Mensch es auch etlichermaßen annehmen und wollen könne. Auch im gegenwärtigen Streite wurde so argumentirt: Wenn ihr zugebt, daß die Verwerfung des Menschen geschehe in Ansehung des beharrlichen Unglaubens, weil der Mensch dem Geiste Gottes beharrlich widerstrebt, so müßt ihr auch zugeben, daß der Mensch auf Veranlassung des beharrlichen Glaubens zur Seligkeit angenommen oder erwählt sei. Es ist dies der alte Einwurf: weil in dem Menschen eine Kraft ist zum Nichtwollen, muß in ihm auch eine Kraft sein zum Wollen. Aber was für eine Beweisführung ist das! Die Kraft, das Evangelium zu verwerfen, hat der Mensch von Natur. Er ist ja dem Evangelium feindlich gesinnt und mag es nicht. Er bringt diese Kraft zurVerwerfung des Evangeliums mit auf die Welt, sie liegt in seinem natürlichen, verderbten Zustande. Aber wo soll das Annehmen der geistlichen Dinge herkommenz Der Mensch ist von Natur todt in Sünden. Wir kehren es gerade um und sagen: Weil der Mensch die Kraft hat, das Evangelium zu verwerfen, und

(Seite 59 )

von Natur gar nicht anders kann, als es verwerfen, so folgt, daß er nicht die geringste Kraft hat, das Evangelium anzunehmen. Diese Kraft muß vom Heiligen Geist in den Menschen hineingebracht werden. Darum antworten

Merendorf und Alvensleben auf den Einwurf: “Ein Mensch kann Gottes Wort ausschlagen; so muß es ja dagegen in seiner Gewalt etlichermaßen stehen, daß er's möge annehmen und sich dazu lenke", wie folgt: “Diese geben darnach Gott das Furnehmste, dem menschlichen Willen aber das Geringste; doch auch Etwas. Es ist ein Argument der Vernunft; die soll in Gottes Sachen schweigen und hören, was Gott redet, als nämlich der sagt: Die Sünde und daß wir Gottes Wort nicht annehmen, sei aus unserer Unart.  Denn zu sündigen sind wir allzu frei, das ist, allzu frech, bereit und muthig. Aber Gottes Wort zu verstehen, im Glauben annehmen, sagt Gott in seinemWort, das sei nicht unser Thun oder Mitwirken, sondern allein Gottes Gabe. Phil. 1.: ‘Euch ist gegeben um Christi willen, zu thun, daß ihr nicht allein an ihn glaubet, sondern auch um seinetwillen leidet.' Und Cap. 2.: ‘Gott ist's, der in euchwirket beide das Wollen und das Thun nach seinem Wohlgesallen.'  Zum Abschlagen haben wir Samen vom Teusel (in uns), aber zum Annehmen nicht, da müssen wir erst Samen von Gott empfahen.” (Bei Schlüsselburg V, 674 f.)

Zachar. Prätorius bemerkt zu dem Ausspruch der Wittenberger (synergistischen) Theologen: “Wenn er (derMensch) demWort widerstrebt, so thue er dies mit Willen”, Folgendes: “Gut gesagt. Denn der freie Wille wendet sich seiner Natur nach dem Bösen zu, wie der Magnet seiner Natur nach sich nach dem Norden wendet. . . . Wiewohl daher der Mensch mit Willen dem Worte widerstrebt, so nimmt er doch nicht gleicherweise mit Willen das Wort an. Denn was sich hier gegenüber gestellt wird, befindet sich nicht in demselben Verhältniß. Das Eine ist von Natur in uns, das Andere wird der Natur von außen gegeben.” (Brev. resp. ad conf. theolog. Witteb. de lib. arb. Bei Schlüsselburg V, 538f.)

Eine andere Form dieses Einwurfes bringt man in folgender Weise vor: Verdammt Gott die Menschen deshalb, weil sie seiner Gnade fortwährend widerstreben, so müssen diejenigen, welche selig werden, doch wenigstens Etwas aus natürlichen Kräften dazu beitragen, daß dieses Widerstreben unterbleibt. Dagegen ist zu bemerken: Die heilige Schrift lehrt einerseits klar und deutlich, der Mensch werde seines Widerstrebens wegen verdammt. “Ihr habt nicht gewollt", sagt der HErr JEsus Matth.23. Damit schreibt er den Einwohnern Jerusalems alle Schuld zu, daß sie verloren gehen. Sie werden nicht einst auftreten und sagen können: Wir wollten gerne selig werden, aberGott hat es uns gegenüber an seiner Gnade fehlen lassen. Es wird dabei bleiben, was der Sohn Gottes spricht: “Ihr habt nicht gewollt." Aber nun darf man andererseits nicht den Schluß  

(Seite 60 )

machen. Daß Andere selig werden, liege daran, weil sie von Natur gewollt haben. Gewollt haben sie, aber nicht von Natur, sondern der Heilige Geist hat dieses Wollen gewirkt. Also diejenigen, welche verloren gehen, werden allein um ihres muthwilligen Widerstrebens willen verworfen; aber diejenigen, welche selig werden, werden nicht deshalb angenommen, weil sie von Natur gewollt hätten. Gottes Wort beschreibt ganz positiv das Verhalten des menschlichen Verstandes und Willens den geistlichen Dingen gegenüber. 1 Cor. 2, 14.: “Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Thorheit, und kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich gerichtet sein”, und Röm. *, 7.: “Denn fleischlich gesinnet sein ist eine  Feindschaft wider Gott." Kommt es daher dennoch zur Erkenntniß und zum Wollen in geistlichen Dingen, so hat dies der Heilige Geist gewirkt. Das ist festzuhalten, so bestechend für die menschliche Vernunft auch der Schluß ist: Werden die Menschen um des Nichtwollens wille  verworfen, so muß in denen, welche angenommen werden, noch eine Kraft sein, das Nichtwollen aufzugeben.

So gibt uns diese Lehre vom gänzlichen Unvermögen des natürlichen Menschen in geistlichen Dingen auch immer wieder Veranlassung, uns auf den Grundsatz zu besinnen, durch welchen einst die lutherische Kirche zur Zeit der Reformation in das Leben getreten ist, daß nämlich allein Gottes Wort in geistlichen Dingen zu hören sei. Das Urtheil des göttlichen wortes hat hier allein zu gelten, nicht ist auch die menschliche Vernunft zu fragen.  Hüten wir uns namentlich vor sogenannten nothwendigen Schlußfolgerungen, wir können uns auf die “Schlußfolgerungen” nur dann verlassen, wenn Gottes Wort selbst sie macht. Wir sollen in göttlichen Sachen nicht weise sein wollen über die Schrift hinaus. Nur so können wir gewiß sein, daß alles, was wir glauben und lehren, göttliche, seligmachende Wahrheit sei.

Wir haben hiermit die hauptsächlichsten Einsprüche gegen die in unseren Thesen dargestellte Lehre kennen gelernt. Lassen wiruns durch keinen derselben vom rechten Wege abbringen. Bedenken wir, was auf dem Spiele steht. Nur wenn man an der Lehre festhält, daß der natürliche Mensch in geistlichen Dingen nichts vermöge, glaubt man, daß Gott aus Gnaden rechtfertige und selig mache, gibt man Gott die Ehre, die ihm gebührt, wird man seines Heiles gewiß, und wird man tüchtig, gute Werke zu thun. Es steht also nicht weniger, als das ganze gottgefällige Christenleben auf dem Spiel, und weichen wir hier, dann istunsere ganze Theologie von Grund aus vergistet. Wir haben auch um so mehr Veranlassung, gerade in unserer Zeit an dieser Lehre festzuhalten, weil selbst in sogenannten lutherischen Verbindungen hier zu Lande gar kein Verständniß mehr fur diese Lehre vorhanden ist. Man redet ganz unverständig, sobald man auf diese Lehre kommt. Wir sollen daher den Beruf erkennen, den Gott uns gegeben hat, auch gerade diese Lehre jetzt zu bekennen. Laßt uns immer

(Seite 61 )

mehr und eifriger Gottes Wort studiren, um diese Lehre immer besser zu fassen, denn wir lernen sie nicht aus; vollends haben wir mit Lesen, Studiren und  Beten anzuhalten, um sie immer besser zu leben. Auch für unseren neugebildeten Synodaldistrict ist es sehr wichtig, daß diese Lehre in seinen Gliedern recht lebendig sei. Wenn wir dabei bleiben, daß wir nichts aus uns selber in Gottes Sachen vermögen, dann werden wir alles recht in Gottes Namen ansangen.  Dann werden wir alles Licht zu unserem Vornehmen aus Gottes geoffenbartem Worte holen und alle Kraft zum Wollen und Vollbringen uns von Dem, der allein unsere Stärke und Kraft ist, erslehen. Dann wird aber auch Gottes Gnade und Kraft reichlich bei uns wohnen und das Werk unserer Hände fördern. Ja, das Werk unserer Hände wolle Gott bei uns fördern um seines lieben Sohnes JEsu Christi willen. Amen.