1882 Minnesota-Dakota District essay by Franz Pieper: “On the Perfection and Clarity of Holy Scripture”; OCR’d by BackToLuther on August 16, 2015
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Lehrverhanlungen.
Die Synode entschloß sich, für ihre disjährigen Lehrverhandlungen folgende, von Herrn Prof. Pieper auf Bitte der Pastoralkonferenz gestellte Thesen über die Vollkommenheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift zu Grunde zu legen:
Von der Vollkommenheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift.
Thesis I.
Die heilige Schrift ist Gottes Wort und zu dem Zweck den Menschen gegeben, um die Menschen durch dieselbe zur Seligkeit zu führen.
Thesis II.
Wenn wir sagen : die heilige Schrift ist vollkommen, so verstehen wir darunter dies, daß dieselbe alles enthält, was uns Menschen zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist.
Thesis III.
Daß diese Vollkommenheit der heiligen Schrift zukomme, sagt sie selbst, indem sie
a.. ausdrücklich sagt, daß sie den ganzen Rat Gottes verkündige,
b. jeden Zusatz zu ihrem Inhalt verbietet,
c. das Heil der Menschen an sich bindet.
Thesis IV.
An der Vollkommenheit der heiligen Schrift müssen wir gegen die Papisten, Schwärmer und Rationalisten festhalten, damit wir unseres Glaubens gewiß seien und nicht Menschen zu Herren unseres Glaubens werden.
Thesis V.
Unter der Deutlichkeit oder Klarheit der heiligen Schrift verstehen wir diejenige Eigenschaft derselben, nach welcher sie alles, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, klar und allen verständlich ausspricht.
Thesis VI.
Die Deutlichkeit der heiligen Schrift und die Vernunftmäßigkeit des in ihr deutlich Ausgesprochenen sind nicht zu verwechseln.
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Thesis VII.
Daß diese Deutlichkeit der heiligen Schrift zukomme, sagt sie selbst, indem sie
a. sich diese Eigenschaft selbst beilegt,
b. sich als Gottes Wort darstellt, der klar reden wollte und konnte,
c. alle Christen in sich das Heil suchen und alle falsche Lehre durch sich abweisen heißt.
Thesis VIII.
Indem wir behaupten, daß die heilige Schrift klar sei, erklären wir weder die Dienstleistung der Menschen zum Verständnis derselben für unnütz, noch das sorgfältige Forschen und die Erleuchtung des Heiligen Geistes für überflüssig.
Thesis IX.
Die Deutlichkeit der heiligen Schrift wird nicht umgestoßen durch die Thatsache, daß dieselbe so verschieden ausgelegt worden ist und noch so verschieden ausgelegt wird.
Thesis X.
Für dunkel erklären die heilige Schrift alle diejenigen, welche das Licht zur Erklärung der Schrift nicht aus der Schrift selbst nehmen, sondern dieselbe nach der Tradition oder durch ein unfehlbares Lehramt oder nach dem sogenannten inneren Licht oder nach der menschlichen Vernunft auslegen wollen.
Thesis XI.
An der Deutlichkeit der heiligen Schrift müssen wir festhalten, damit wir unseres Glaubens gewiß seien und nicht Menschen zu Herren unseres Glaubens werden.
Herr Professor Pieper fungierte auf Bitte der Synode als Referent. Sämtliche Thesen wurden verhandelt. Protokolliert wurden die Lehrverhandlungen teils vom Sekretär der Synode, teils, weil derselbe telegraphisch heimgerufen wurde, von den Herren Pastoren H. Schulz und Fr. Pfotenhauer.
Einleitende Bemerkungen.
Wir haben hier in Minnesota und Dakota einen neuen Synodal-distrikt gebildet, weil wir glauben, daß wir so das Werk, welches Gott uns aufgetragen hat, bester und erfolgreicher betreiben können. Welcher Art ist aber dieses Werk? Es ist nicht ein Werk, welches es mit Dingm, die
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sich auf das irdische, leibliche Leben beziehen, zu thun hat, von welchen Dingen die menschliche Vernunft ja noch etwas versteht, sondern ein Werk, welches mit geistlichen Dingen umgeht, mit Dingen, von welchen wir aus uns selbst nichts verstehen, die weit über menschliche Weisheit und Kraft hinausgehen. Muß uns da nicht der Mut vergehen, dieses Werk in Angriff zu nehmen? Ja, freilich müßten wir sofort allen Mut verlieren, wenn eins nicht wäre — die heilige Schrift. Die heilige Schrift aber giebt uns über das, was wir zur Ausrichtung unseres geistlichen Werkes wissen müssen, Auskunft, und zwar eine vollständige Auskunft. Es giebt keine in unser geistliches Werk und Amt einschlagende Frage, die in der heiligen Schrift nicht beantwortet wäre. Und diese Antwort giebt die Schrift nicht in dunkler, schwer verständlicher, sondern in klarer und deutlicher Sprache. So wollen wir uns denn zu dem uns befohlenen Werk stärken und Mut machen, indem wir in den gegenwärtigen Synodalsitzungen die Vollkommenheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift aufs neue vor Augen führen. Gott gebe dazu seinen Segen.
Thesis l.
Die heilige Schrift ist Gottes Wort und zu dem Zweck den Menschen von Gott gegeben, um die Menschen durch dieselbe zur Seligkeit zu führen.
Diese erste Thesis ist einleitenden Inhalts, und dient als Grundlage für die folgenden. Sie sagt zunächst, daß das Buch, von dessen Vollkommenheit und Deutlichkeit wir handeln wollen, Gottes Wort ist, sodann, daß Gott die Menschen durch dieses Wort zur Seligkeit führen will.
Gott wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann; kein Mensch kann durch eigenes Nachdenken und Spekulieren aus dem verborgenen Gott einen offenbarten Gott machen. Aber Gott selbst ist aus der Verborgenheit herausgetreten, er hat sich geoffenbart, und zwar dadurch, daß er mit uns Menschen redet über sich selbst und über den Weg, der zu ihm führt.
Im Paradiese redete Gott von Angesicht zu Angesicht mit Adam und Eva. Da kam der Sündenfall. Aber Gott ließ die Menschen nicht, wie sie es verdienten, in der Sünde liegen. Er offenbarte sich ihnen weiter als der barmherzige Gott, welcher die Sünder durch den Weibessamen, Christum, zur Seligkeit führen will. Er redete noch weiter mündlich mit unseren ersten Eltern, mit Noah, Abraham u. s. w. Moses aber erhielt dann Befehl, Gottes Offenbarungen auch schriftlich aufzuzeichnen. Derselbe Befehl erging im Laufe der Zeit an die Propheten im Alten und die Evangelisten und Apostel im Neuen Testament. So haben wir jetzt ein Buch, das mit vollstem Rechte schlechtweg Gottes Wort genannt wird — die Bibel, die Schriften der heiligen Propheten und Apostel.
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Wie Gott selbst einst mündlich iM den Menschen redete, so ist es auch Gott selbst, der jetzt mit uns redet durch das geschriebene Wort heiliger Schrift. Die Schrift enthält nicht bloß Gottes Wort in dem Sinne, daß neben Gottes Wort auch Menschenwort darin wäre, nein, die heilige Schrift ist Gottes, Gottes Rede, und nichts als Gottes Wort, Gottes Rede. Wir haben auch in der heiligen Schrift nicht etwa nur eine menschliche Urkunde darüber, wie sich einst Gott Menschen geoffenbart hat, so daß sie nur ein Produkt menschlicher Arbeit wäre, darin uns durch Menschen Nachricht über einstmalige göttliche Offenbarungen gegeben würde, keineswegs.' sondern die heilige Schrift ist Gottes Offenbarung selbst. Zwar ist die heilige Schrift durch Menschen geschrieben, aber Gott selbst redet durch sie mit uns. Die heiligen Schreiber waren nicht.etwa nur vom Heiligen Geist erleuchtet, wie alle Christen göttlich erleuchtet sind, geistliche Sachen verstehen und von denselben reden; sie waren vielmehr vom Heiligen Geist inspiriert; was sie geschrieben haben, ist ihnen von Gott ein gegeben worden. Zwischen Erleuchtung aber und Inspiration ist ein großer Unterschied. Alle Christen sind vom Heiligen Geist erleuchtet zur Erkenntnis Gottes und göttlicher Dinge; trotzdem sind sie um ihres Fleisches willen irrtumsfähig. Die heiligen Schreiber jedoch haben nicht geschrieben nach dem Grade ihrer Erkenntnis und mit ihren eigenen Worten, sondern Gott teilte ihnen seine Gedanken in seinen Worten durch die Inspiration für den Akt des Schreibens mit. Wir wären wahrlich übel daran, wenn die heiligen Schreiber nur erleuchtete Männer gewesen wären; wir fänden dann von Gottesgedanken nur so viel in der Schrift, als diese Männer davon etwa gefaßt hätten.
Daß die heilige Schrift in dem angegebenen Sinne Gottes Wort sei, geht zunächst aus den Stellen heiliger Schrift hervor, in welchen ein Spruch der Schrift Alten Testaments im Neuen Testament durch die Redeweise eingeführt wird: „Der Heilige Geist spricht" und dergleichen. Ps. 95, 7. heißt es: „Heute, so ihr seine Stimme höret, verstecket eure Herzen nicht." Diese Stelle der Schrift Alten Testaments wird Hebr. 3, 7. in folgender Weise angeführt: „Darum, wie der Heilige Geist spricht: Heute, so ihr seine Stimme höret" rc. Hier wird also ausdrücklich von dem, was in einer Psalmstelle geredet ist, gesagt: „So spricht der Heilige Geist." Man vergleiche auch Jes. 6, 9. 10. mit Apost. 28, 25. Ps. 110, 1. mit Mark. 12, 36.
Eine ausdrückliche Aussage über die Inspiration der heiligen Schrift findet sich 2 Tim. 3, 16.: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre" rc. „Alle Schrift" bezeichnet hier zunächst den alttestamentlichen Kanon, wie er damals feststand und wie wir denselben in unserer Bibel haben. Demselben wird das Prädikat beigelegt: „von Gott eingegeben". Und gerade aus dieser Eigenschaft wird die Nützlichkeit der hei-ligen Schrift zur Lehre u. s. w. begründet.
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Eine weitere ausdrückliche Aussage über die Inspiration der heiligen Schrift findet sich 1 Petr. 1, 21.: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben vom Heiligen Geist." Die heiligen Schreiber waren also bei ihrem Schreiben nicht aus sich selbst, in eigener Weisheit und Kraft thätig, sondern das, was sie bei der Handlung des Schreibens erfüllte, trieb und trug (->k/ov^k!,„r), war der Heilige Geist. Sie waren vom Heiligen Geist, so zu sagen, gänzlich in Beschlag genommen, sie waren seine Instrumente. Nach diesem Spruch werden die Propheten und Apostel von den alten Theologen mit Recht Federn und Schreiber des Heiligen Geistes genannt. In neuerer Zeit spottet man gern darüber, daß die heiligen Schreiber nur eine solche, wie man sagt, mechanische Thätigkeit ausgeübt haben sollten ; aber kann es denn eine größere Ehre geben, als ein Werkzeug, ein Schreiber des Heiligen Geistes sein? Mit Freuden haben sich die heiligen Schreiber dazu gebrauchen lasten; sie waren sich auch in ihrer Thätigkeit besten bewußt, daß sie vom Heiligen Geist getrieben wurden. 2 Sam. 23,2.
Ein gewaltiger Beweis dafür, daß die heiligen Schreiber nicht bloß „erleuchtet", sondern „inspiriert" waren, ist auch dieser Umstand, daß sie über dem, was sie schrieben, selbst studier«: mußten. Dies sehen wir aus 1 Petr. 1, 1V. 11.: „Nach welcher Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der zukünftigen Gnade auf euch geweissagt haben, und haben geforscht, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war, und zuvor bezeugt die Leiden, die in Christo sind, und die Herrlichkeit danach."
Die bisher angeführten Stellen handeln sämtlich zunächst vom Alten Testament. Daß aber ebendasselbe, was darin vom Alten Testament gesagt ist, auch vom Neuen Testament gilt, sehen wir schon aus einem Spruche, Eph. 2, 2V.: „Erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten." Hier wird das Wort der Apostel (Neues Testament) dem Wort der Propheten (Altes Testament) gleichgestellt als Grund des Christenglaubens. Also ist die Schrift des Neuen Testaments gleichermaßen Gottes Wort, wie die Schrift des Alten Testaments.
Manche geben zwar eine Inspiration der Sachen, die in der heiligen Schrift enthalten sind, zu, leugnen aber, daß auch die Worte, mit welchen die Sachen ausgedrückt sind, vom Heiligen Geist den Schreibern eingegeben seien. Die Inspiration der Worte aber bezeugt die heilige Schrift gleichfalls. 1 Cor. 2, 13. sagt der Apostel Paulus : „Welches wir auch reden nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehrt, sondern mit Worten, die der Heilige Geist lehrt." Die Inspiration der Worte hängt ja mit der Inspiration des Inhalts aufs engste zusammen. Denn für jede Sache giebt es, genau genommen, nur einen ganz adäquaten Ausdruck. In diesem Spruch wird aber auch die Inspiration der Worte noch besonders bezeugt. Auch die einzelnen Worte der heiligen Schrift werden hier auf den Heiligen Geist, als auf den eigentlichen Urheber zurückgeführt. —
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Deutlich springt auch die Inspiration der Worte in die Augen bei Betrachtung von Joh. 10, 35. ff. Christus verweist hier auf den 82sten Psalm, in welchem die obrigkeitlichen Personen „Götter" genannt werden. In Bezug auf das Wort sagt der HErr: „Die Schrift kann nicht gebrochen werden." Also auch das Wort, der Ausdruck der Schrift gehört zu dem Unverbrüchlichen in der Schrift, stammt von Gott, ist von Gott eingegeben. Es stände auch in der Thal schlecht um die Gewißheit unsers Glaubens, wenn wir nicht die Inspiration auch der Worte mit Recht festhalten dürften. Wie leicht wäre es dann dem Teufel, uns irre zu machen, da oft an einem Wort, einem Ausdruck aller Trost hängt! Kann man nicht damit zufrieden sein, in einem Testament nur einen ungefähren Bericht von dem letzten Willen des Testators zu haben, sondern verlangt Mit Recht die Worte zu wissen, in welchen der Testator seinen Willen ausgesprochen hat, — wieviel mehr ist es nötig, daß wir die Offenbarung des göttlichen Willens in Gottes eignen Worten haben! Dann allein ist die heilige Schrift im eigentlichen Sinn Gottes Wort, wenn auch die einzelnen Worte derselben Gottes, von Gott inspirierte Worte sind.
Unser Bekenntnis hat sich zwar nirgends über die Inspiration der heiligen Schrift sx pro§s8so ausgesprochen; wie lebendig aber die Überzeugung von der göttlichen Eingebung der heiligen Schrift in den Verfassern der Bekenntnisschriften war, zeigt sich allenthalben deutlich genug. Die Redeweisen: „So spricht die Schrift" und „so spricht der Heilige Geist" sind ihnen gleichbedeutend.
Augsburgische Konfession: „So nun die Bischöfe Macht haben, die Kirchen mit unzähligen Aufsätzen zu beschweren und die Gewissen zu verstricken, warum verbeut denn die göttliche Schrift so oft, die menschlichen Aufsätze zu machen und zu hören? Warum nennt sie dieselben Teufelslehren? Soll denn der Heilige Geist solches alles vergeblich verwarnet haben?" (Art. 28, M. 66; St. Louiser Ausg. 47.)
Apologie: „So haben wir auch hier klar angezeigt, wie sie etliche Artikel Wider die öffentliche Helle Schrift und klare.Worte des Heiligen Geistes verdammt haben" rc. (Vorrede S. 74, M. A.)
Dieselbe: „Meinen sie (die Widersacher), daß die Schrift ohne Ursache einerlei so oft mit klaren Worten erholt? Meinen sie, daß der Heilige Geist sein Wort nicht gewiß und bedächtlich setze, oder nicht wisse, was er rede." (Art. 4., M. 107; St. L. A. 81. Vergleiche ferner die Einleitung zur Konkordienformel, M. 568; St. L. A. 388.)
Wie Luther das angesehen habe, was die Evangelisten und Apostel geschrieben haben, geht aus folgenden Worten Luthers hervor (E. A. 50, 241 ff.): „Hie" (nämlich mit den Worten: „Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt", Joh. 17,18.) „bestätigt er die lieben Apostel zu Doktoren und Predigern, heftet und bindet uns alle an ihren Mund, so viel unser sind, gelehrt und ungelehrt, daß sich jeder-
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mann muß demütigen, wie klug und weise er ist, und die armen, albernen Fischer sich lassen meistern und lehren, und sie hören, als den HErrn Christum selbst.... Darum müssen wir zufahren und St. Peter und Paulo und allen ändern, die solch Zeugnis haben, auf den Mund sehen, daß sich dein Herz so gewiß darauf verlasse und so viel gelten lasse, als- hörest du alle Engel vom Himmel, ja, Gott selbst mit eigener Stimme reden. Siehe, das heißt je die lieben Fischer und ungelehrten Laien herrlich zu Doctores gekrönt, ja, zu Priestern und Bischöfen geweiht von der hohen, trefflichen Majestät, als nie keinen Gelehrten, Weisen noch Heiligen auf Erden widerfahren ist. — Damit ist nun das Maul gestopft den Lumpenwäschern und etlichen Lästerzungen, die da geifern wider uns: Ihr treibet feindlich, man soll Menschenlehre und -gebot nicht annehmen. Wie? sind Petrus, Paulus rc. nicht auch Menschen gewesen? So klug fahren sie einher, die lieben Geifermäuler, als hätten sie es recht wohl troffen. Und soll so viel geschloffen sein: St. Paulus ist ein Mensch, der Pabst ist auch ein Mensch, und St. Paulus ist heilig, der Pabst (ist's wahr, was sie sagen) der allerheiligste : sollte man nun den Pabst nicht hören, so müßte man St. Paulus auch nicht hören noch annehmen. — Du aber antworte also: Lieber, laß den Pabst auch einen Text bringen, der ihn so zum Lehrer macht, als die Apostel, so wollen wir ihn auch hören. Christus spricht: seine Apostel und Prediger sollen lehren und eben das predigen, das er gelehrt und geprediget hat. Wo nun St. Paulus hätte etwas anderes, mehr öder weniger gepredigt, denn Christus selbst, so wäre es nimmer eines Apostels Christi, sondern Menschen Wort und Predigt. Paulus von Tarsen ist wohl ein Mensch. Aber wenn er also herfähret: .Paulus ein Knecht und Apostel JEsu Christi*, da hörest du nicht mehr einen schlechten Menschen, sondern Gottes und des HErrn Christi Mund, welcher ihm sein Wort in den Mund gelegt hat. Denn das heißt allein Menschenlehre, das ein Mensch von sich selbst herfürbracht und erfunden hat. Wie das heißt Menschenwerk, Kraft und Weisheit 2c., die im Menschen steckt und aus eignem Vermögen kommt, nicht das, so Gott über und außer der Natur in ihm wirket. Als, daß St. Petrus Tote auferwecket oder mit allerlei Zungen redet. Da wird noch nicht folgen, daß du wolltest schließen: Petrus hat Menschen auferweckt, darum ist Tote auferwecken Menschenwerk. Bileams Eselin redet auch mit Menschenstimme; sollte drum jemand so thöricht sein und sagen : mit Menschenstimme reden, sei Eselswort oder Eselswerk und -kraft? Darum sagen wir also: Die Apostel sind Menschen gewesen, das ist wahr ; haben aber nichts als Menschen geredet. Denn es ist viel ein ander Ding, ein Mensch sein, und aus Gottes Befehl, Kraft und Weisheit reden."
Wenn die neueren Theologen auch zugeben, daß der Hauptinhalt der heiligen Schrift vom Heiligen Geist inspiriert sei, so ist mit ihrer Lehre doch die Zuverlässigkeit der heiligen Schrift umgestoßen. Denn nach dieser
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Lehre müßte die menschliche Vernunft Richterin sein über die heilige Schrift; sie müßte nämlich entscheiden, was Haupt- und was Nebensache sei. Leicht könnte sie dann durch Verblendung des bösen Geistes eine Hauptsache nur zur Nebensache machen. Z. B.: 1 Joh. 1, 6. ff. ist hauptsächlich vom christlichen Leben die Rede; könnte da nicht jemand, der nur den „Hauptinhalt" als inspiriert annehmen will, mit einigem Schein behaupten, der Spruch V. 7.: „Das Blut JEsu Christi" rc. sei hier nur Nebensache und darum nicht inspiriert? Es hat Not genug zur Zeit der Anfechtung, daß wir uns den Trost des göttlichen Wortes aneignen, auch wenn wir durch Gottes Gnade der Überzeugung leben, daß die heilige Schrift Wort für Wort Gottes Wort ist, — was sollte werden, wenn wir diese Überzeugung fahren lassen müßten und nur eine Inspiration der Hauptsachen festhalten dürften? Darum bleiben wir mit der Konkordienformel dabei, daß die heilige Schrift ein reiner und lauterer Brunnen Israelis sei, worin keine Mischung von Gottes- und Menscheng^danken, von Gottesund Menschenworten, sondern nur und nichts weiter als Gottes Wort sich findet. —
Die zweite Hälfte unserer ersten Thesis handelt von dem Zweck, den die Offenbarung Gottes in der Schrift unter, an und in den Menschen erfüllen soll. Es ist dieser, daß sie die Menschen zur Seligkeit führen soll. Nachdem die Menschen in Sünde gefallen waren, konnte nur Gottes Weisheit einen Weg zur Seligkeit für sie finden. Und sollte derselbe den Menschen kund werden, mußte Gott ihn offenbaren. Diese Offenbarung haben wir in der heiligen Schrift.
Der Zweck der göttlichen Offenbarung wird klar ausgesprochen Joh. 20,31.: „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, daß JEsus sei der Christ, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen." Was hier vom Evangelium Johannis gesagt wird, gilt von der ganzen heiligen Schrift, wie hervorgeht aus Joh. 5, 39.: „Suchet in der Schrift, denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darinnen, und sie ist's, die von mir zeuget." Das Leben ist in der heiligen Schrift, indem sie von Christo, der Kern und Stern der heiligen Schrift ist, zeugt. Wir sollen Christum in der Schrift suchen und so in ihr das Leben finden. Hie-her gehört auch Röm. 15, 14.: „Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben." Welche Hoffnung ist hier gemeint? Die Christen -Hoffnung, die Hoffnung des ewigen Lebens, welche Christen hier in diesem Jammerthal aufrecht erhält. Uns diese Hoffnung zu geben und zu erhalten, dazu ist die Schrift geschrieben. Was wir nun von der heiligen Schrift gehört haben — was sie ist und wozu sie uns gegeben ist — sollen wir wohl beherzigen.
Die heilige Schrift ist Gottes Wort. Wir haben in der heiligen Schrift ein Buch ganz eigner Art. Gott der Heilige Geist ist der eigent-
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liche Urheber. Gott selbst ist also, so zu sagen, unter die Schriftsteller ge» gangen. Wenn ein angesehener, berühmter Mann ein Buch schreibt, greift jedermann danach in der Erwartung, etwas Besonderes zu finden —, wieviel mehr sollen wir nach der heiligen Schrift greifen, dem Buch unsers Gottes! Und wovon redet Gott zu uns in diesem Buche? Wir müßten ja dieses Buch, das Gottes Wort ist, auch lesen, wenn es weiter nichts enthielte, als die Forderungen des Gesetzes und die Drohungen gegen die Übertreter desselben. Nun aber ist der eigentliche Zweck der Schrift die Offenbarung des Evangeliums.
Gott offenbart uns in der heiligen Schrift, wie er uns um Christi willen die Sünde vergeben, zu seinen Kindern und Erben des ewigen Lebens annehmen wolle. Was sollten wir daher wohl lieber lesen, lieber studieren, als die heilige Schrift? Hören wir, wie
Luther auf Grund dessen, daß die heilige Schrift Gottes Wort ist und Gott uns darin die Seligkeit schenkt, zum Lesen der Schrift ermahnt. Er schreibt: „Wenn wir glauben könnten, daß Gott selbst mit uns in der Schrift redete, so würden wir mit allem Fleiß darin lesen und sie für unsere selige Werkstatt halten." (Dona. 8, 377.) -
Derselbe: „Denn was ist's, das jemand höher begehren könnte, wenn wir wünschen sollten, denn daß er möchte einmal Gott selbst mündlich reden hören? Und ist niemand, wo es ihm widerfahren möchte, er würde gern bis ans Ende der Welt danach laufen. Nun hast hier ein gewiß Zeugnis" (nämlich Joh. 17, 18.: „Gleich wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt"), „daß wer Christus Mund und Worte höret, der höret des Worte, der Himmel und Erde mit einem Odem geschaffen und mit einem Finger trägt und hält. Und ein solch Wort, darin er dir all sein Herz und Willen zeiget und offenbaret; dazu alle seine Gnade und Güte anbeut und giebt. Kurz, darin all unser Heil und Seligkeit, Hilfe, Trost, Schutz und Sieg in allen Nöten und Anfechtungen stehet, als dem weichen müssen Himmel und Erde, Teufel und Welt mit allen Kreaturen. Siehe, eben dasselbe sagt er nun hier auch von der Apostel Mund und Predigt: Gleich wie du mich gesandt hast, so sende ich sie auch, das ist, wie sie mich gehöret haben, so sollen sie meine Jünger auch hören, denn es ist eben, das er anderswo zu ihnen sagt: Wer euch höret, der höret mich." (Zu Joh. 17, 18. Dom. 6, 109.)
ThefiS II.
Wenn wir sagen, die heilige Schrift ist vollkommen, so verstehen wir darunter dies, daß dieselbe alles enthält, was uns Menschen zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist.
Die herlige Schrift ist Gottes Wort; sie soll uns zur Seligkeit führen. Das ist der Inhalt der ersten Thesis. Ist sie nun auch vollkommen.
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das heißt, enthält sie das ganze Wort Gottes, das wir zur Erlangung der Seligkeit wissen müssen? Diese Frage sollen die nächsten Thesen beantworten. In der zweiten wird nun genau definiert, was wir unter Vollkommenheit als Eigenschaft der heiligen Schrift verstehen.
Die heilige Schrift ist keine Encyklopädie, kein Abriß alles dessen, was Menschen wissen können und sollen, auch in weltlichen Dingen. Sie ist z. B. nicht dazu gegeben, uns Naturwissenschaft zu lehren, obgleich was sie Naturwissenschaftliches sagt, irrtumslos ist. Sie bequemt sich Wohl der Redeweise und dem Verständnisse der Menschen an, aber nicht so, daß sie durch Anbequemung an die menschliche Redeweise und das menschliche Verständnis Jrrtümer und verkehrte Vorstellungen derselben guthieße. Luther sagt in Bezug darauf, daß die Schrift nicht eigentlich den Zweck habe, uns in Bezug auf die Dinge, welche dieses Leben betreffen, zu unterrichten : „In zeitlichen Dingen und die den Menschen angehen, da ist der Mensch vernünftig genug, da darf er keines ändern Lichts, denn der Vernunft. Darum auch Gott in der Schrift nicht lehrt, wie man Häuser bauen, Kleider machen, heiraten, kriegen, schiffen und dergleichen thun soll, da ist das natürliche Licht genugsam zu." (Bei Caspari, Geistl. u. Weltl. S. 296.)
Wir nennen die heilige Schrift auch nicht vollkommen in dem Sinne, als offenbare sie uns alle Gedanken und Ratschlüsse Gottes. Gott hat sich, wie Luther einmal sagt, nicht „so gar ausgeschüttet", daß er uns alle seine Wege und Gerichte kund gethan hätte. Röm. 11, 33. ruft St. Paulus aus: „O welch eine Tiefe des Reichtums beide der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des HErrn Sinn erkannt? oder wer ist sein Ratgeber gewesen?" Es giebt hiernach einen Sinn des HErrn, den niemand erkannt hat, Gerichte und Wege Gottes, die uns verborgen sind, welche zu wissen wir uns hienieden auch nicht sollen gelüsten lassen. Als Simon Petrus den HErrn einst vorwitzig in Bezug auf Johannis Schicksal, ob und wie derselbe leiden würde, fragte: „Was soll aber dieser?" Joh. 21, 21., da antwortete ihm der HErr mit strafendem Wort : „So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?" — Fragen, wie die folgenden, beantwortet uns die heilige Schrift nicht: Wie groß ist die Zahl der Auserwählten? Wann kommt der jüngste Tag? Warum beruft Gott den einen in der Jugend, den ändern erst im Alter? Warum giebt er dem einen Volk das Licht des Evangeliums und läßt das andre in Finsternis und Schatten des Todes sitzen? Warum trägt er den einen so lange mit Geduld und rafft den ändern schnell dahin in seinem Grimme? Warum wird einer in seinen verkehrten Sinn dahingegeben, während ein anderer, der vielleicht in gleicher Schuld ist, wieder bekehrt wird? Auf diese und ähnliche Fragen giebt die heilige Schrift keine die menschliche Vernunft befriedigende Antwort. Nur das sagt Gottes Wort und das nimmt der Glaube an: Gott
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ist nicht ungerecht; er handelt auch nicht gegen sein Wort, welches uns sagt: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen", 1 Tim. 2, 4. Wer verloren geht, geht lediglich durch eigene Schuld verloren, und nicht deshalb, weil Gott ihn nicht hätte selig machen wollen. Und wer selig wird, wird lediglich durch Gottes Gnade selig, und nicht deshalb, weil er irgendwie zur Erlangung der Seligkeit mitgewirkt und sich durch eigene Kräfte vor anderen Menschen in Sachen der Seligkeit ausgezeichnet hätte.
Auch unser lutherisches Bekenntnis macht, indem es von der Gnadenwahl handelt (Art. 11. der Konkordienformel), darauf aufmerksam, daß Gott in seinem Wort uns nicht alle Fragen beantworte, welche die menschliche Vernunft wohl beantwortet haben möchte. Es heißt daselbst: „Denn über das, davon bisher gesaget, so Hiervon in Christo geoffenbaret, hat Gott von diesem Geheimnis noch viel verschwiegen und verborgen und allein seiner Weisheit und Erkenntnis Vorbehalten" (Art. 11. 8oI. vsol. S. 715). Unter solchen Dingen, die Gott uns nicht geoffenbart hat, führt unser Bekenntnis folgendes an, S. 716 k „Gleichfalls, wann wir sehen, daß Gott sein Wort an einem Ort giebt, am ändern nicht giebt, von einem Ort hinwegnimmt, am ändern bleiben läßt. Item, einer wird verstockt, verblendet, in verkehrten Sinn gegeben, ein anderer, so wohl in gleicher Schuld, wird wiederum bekehret rc. In diesen und dergleichen Fragen setzet uns Paulus ein gewisses Ziel, wie fern wir gehen sollen, nämlich, daß wir bei einem Teil erkennen sollen Gottes Gericht. Denn es sind wohlverdiente Strafen der Sünden, wann Gott an einem Lande oder Volk die Verachtung seines Worts also strafet, daß es auch über die Nachkommen gehet, wie an den Juden zu sehen, dadurch Gott den Seinen an etlichen Landen und Personen seinen Ernst zeiget, was wir alle Wohl verdienet hätten, würdig und wert wären, weil wir uns gegen Gottes Wort übel verhalten, und den Heiligen Geist oft schwerlich betrüben: auf daß wir in Gottes Furcht leben, und Gottes Güte, ohne und wider unfern Verdienst, an und bei uns, denen er sein Wort giebt und läßt, die er nicht verstocket und verwirft, erkennen und preisen."
Es ist nun freilich wahr : die vorwitzige menschliche Vernunft will sich hier schwer bescheiden. „Denn damit" — sagt unser Bekenntnis in demselben Zusammenhang — „hat unser Fürwitz immer viel mehr Lust, sich zu bekümmern, als mit dem, das Gott in seinem Wort davon offenbaret hat, weil wir's nicht zusammenreimen können" (S. 715). Die menschliche Vernunft möchte auch gern die heilige Schrift unvollkommen nennen, weil sie ihr nicht alle vorwitzigen Fragen beantwortet. Aber nicht so der Glaube; der läßt sich an dem Geoffenbarten genügen und bescheidet sich.
Gerhard schreibt: „Wie die Apostel einiges nicht wußten in der Schule Christi, was sie Hernachmals lernten in der Schule des Heiligen Geistes: so wissen wir jetzt manches nicht im Reiche Christi, was wir einst
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lernen werden im Reiche Gottes, Eph. 5, 5.; manches ist uns verborgen im Lichte der Gnade, was uns einst offenbar sein wird im Lichte der Herrlichkeit." (Harmonia Lvanx., Dom. II. Oap. 179., p. 1523.)
Ferner: wenn wir die heilige Schrift vollkommen nennen, so wollen wir damit auch nicht dies sagen, daß die heilige Schrift alles enthalte, was Christus und die Apostel geredet und gethan haben. Joh. 20, 30. heißt es ausdrücklich: „Auch viel andere Zeichen that JEsus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch." Schon Augustinus sagt: „Die zu schreibenden Dinge wurden ausgewählt, die nämlich, die zur Seligkeit der Gläubigen hinzureichen schienen." —
Wir nennen die heilige Schrift vollkommen in dem Sinn, daß sie ihren gottgewollten Zweck erfüllt, daß sie nämlich alles enthält, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, was zur Antwort gehört auf die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?" daß sie uns vollkommen Gottes Sinn erschließt, wenn es sich um die Frage handelt: „Will Gott mich selig machen?" Da ist nichts im Verborgenen gelaffen, sondern alles in der Schrift herausgesagt. Wie denn auch der Apostel, 1 Kor. 2., im Namen aller Christen sagt: „Wir aber haben Christi Sinn", und „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist." Darum nennen wir ^>ie Schrift vollkommen.
Und so ist die Vollkommenheit der Schrift in unserer Kirche je und je verstanden worden.
Gerhard schreibt: „Daß die heilige Schrift vollkommen sei, behaupten unsere Kirchen, indem sie das Wort .Vollkommenheit* dahin verstehen, daß die Schrift über alles, was zur Erlangung der Seligkeit notwendig ist, gänzlich und vollkommen uns unterrichtet." (1^. äs8or. 5. § 367.)
Luther bekennt einerseits, „daß in Gott viel heimliche, verborgene Dinge sind, die er uns in seinem Wort nicht offenbart hat", andererseits aber schärft er auch auf das nachdrücklichste ein, daß sie „alles, daran unsere Seligkeit liegt", klar enthalte ; darum sei sie ein sicherer Führer zur Seligkeit. Er schreibt in seinem Buch gegen Erasmus (Dresdener Ausgabe, S. 14. 15): „Und dazu führest du ein den Spruch zu den Römern Kap. 11, V. 33.: ,O welch eine Tiefe des Reichtums der Weisheit Gottes.* Ebenso, Jesaiä Kap. 40, V. 13.: .Wer hat je Gottes Geist geholfen, oder wer ist je sein Ratgeber gewesen?' Ich halte, daß du dieses für das einfältige, gemeine Volk geschrieben. Denn du hast freilich wohl gewußt, daß diese Unterscheidung oder Teilung bei mir nicht gelten würde. Denn ich meine je, du haltest mich nicht so gar albern und unerfahren, sondern daß ich auch die Sprüche der Bibel verstehe, und ein wenig gelesen habe. Ich will aber auch einen Unterschied und Teilung machen, und das also: Es sind zwei geschiedene Dinge, Gott und die göttliche Schrift; gleich als zwei Dinge sind, der Schöpfer und die Kreatur.
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Daß in Gott viel heimliche, verborgene Dinge sind, die wir nicht wissen oder kennen, hat keinen Zweifel. Denn also sagt er selbst vom jüngsten Tage, Mark. 23, 23.: .Von dem Tage weiß niemand, denn der Vater.' Und Apost. 1, 7.: ,Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit und Tage.' Und aber, Joh. 13, 18.: .Ich weiß, welche ich erwählet habe.' Und Paulus sagt 2 Tim. 2, 19. : .Der HErr weiß die Seinen' rc. und dergleichen. Daß aber in der heiligen Schrift etliche Dinge sollten heimlich, dunkel und verborgen sein, und daß nicht alles, daran unsere Seligkeit liegt, darinne offenbar und klar sollte sein, das haben Wohl die tollen, gottlosen, blinden Sophisten also in die Welt ausgeschrieen, und in allen Schulen vorgebleuet (wie denn du nun, Erasmus, selbst auch ihnen folgest, und gar ihre Worte brauchest); aber sie haben noch nicht einen einigen Spruch oder Artikel aufgebracht, können auch, wenn sie alle zusammen thun, nichts aufbringen, damit sie das wahr machten, oder denselbigen ihren erdichteten tollen Wahn beweiseten. ' Es hat Satan die Leute also von dem reinen, lautern Gottes Wort und die Bibel zu lesen abführen und schrecken wollen, damit er die heilige Schrift unterdrückete, und seine Teufelslehre, seinen wüsten Greuel, durch die Philosophie^ und andere Menschenlehre dargezogen, als eine große Sündflut alles Irrtums einführete."
Thesis III.
Daß diese Vollkommenheit der heiligen Schrift zukomme, sagt sie selbst, indem sie
a. ausdrücklich sagt, daß sie den ganzen Rat Gottes zur Seligkeit verkündige,
b. jeden Zusatz zu ihrem Inhalt verbietet,
c. das Heil der Menschen an sich bindet.
*) Ausdrücklich leugnen die Vollkommenheit der heiligen Schrift die Papisten und die Schwärmer. Die ersteren sagen, was man aus der heiligen Schrift entnehmen könne, sei nicht hinreichend zur Erlangung der Seligkeit, sondern man müsse die sogenannten Überlieferungen und die Dekrete der Kirche hinzunehmen. Die letzteren hingegen wollen die heilige S/Hrift durch Privatoffenbarungen, mögen sie dieselben nun durch sogenannte innere Einsprache des Heiligen Geistes, oder durch die Geister der Verstorbenen, durch Engel u. s. w. vermittelt sein lassen, ergänzen. Bedarf die heilige Schrift aber einer Ergänzung, so ist sie unvollkommen.
Dagegen wollen wir nun in dieser These aus der Schrift selbst beweisen, daß dieselbe vollkommen sei, a.) weil sie alles enthält, was wir wissen müssen, um die Seligkeit zu erlangen.
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*) Protokoll von Herrn Pastor H. Schuhe.
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Paulus spricht zu den Ältesten von Ephesus Apost. 20, 27. : „Darum zeuge ich auch an diesem heutigen Tage, daß ich rein bin von allem Blut. Denn ich habe euch nichts enthalten, daß ich nicht verkündigt hätte alle den Rat Gottes." Der Rat Gottes ist hier nicht der geheime oder verborgene Rat Gottes, sondern der Erlösungsratschluß, das, was der Mensch wissen muß, um selig zu werden. Nun hebt aber hier der Apostel besonders hervor, daß er den ganzen Rat, also alles und jedes, was zur Seligkeit zu wissen nötig ist, den Ephesern verkündigt und nichts verschwiegen habe. Damit begründet der Apostel die Aussage, daß er rein sei von allem Blut, das heißt, nicht die Schuld daran trage, wenn die Epheser dennoch verloren gingen. Hiernach muß jedermann zugeben, daß Pauli Predigt alles das enthielt, was uns Menschen zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist. Apost. 26,22. aber sagt Paulus vor dem König Agrippa: „Ich sage nichts außer dem, das die Propheten gesagt haben, daß es geschehen soll, und Mose s." Unter der Bezeichnung „Mose und die Propheten" ist das Alte Testament zu verstehen. Hiernach deckt sich Pauli Predigt mit der heiligen Schrift Alten Testaments in der Weise, daß schon alles im Alten Testament enthalten ist, was Paulus zu verkündigen hat. Was nun von der Predigt Pauli gilt, nämlich daß sie allen Rat Gottes verkündigt, das gilt somit schon von der Schrift Alten Testaments, wieviel mehr nicht von der ganzen heiligen Schrift. Enthält aber die heilige Schrift den ganzen Rat Gottes, das ist, sagt sie uns alles zu unserer Seligkeit Nötige, dann ist sie vollkommen, erfüllt den Zweck, zu welchem sie gegeben ist.
Die heilige Schrift kann uns nach 2 Tim. 3, 15—17. unterweisen zur Seligkeit. Damit ist unserer Not vollkommen abgeholfen. Weiter begehrt ein armer Sünder nichts. Also ist die heilige Schrift vollkommen. Wir brauchen keine anderen Mittel, um zur Seligkeit unterrichtet zu werden, als die heilige Schrift. — Aber in diesem Spruch wird auch noch auseinandergefaltet, was die heilige Schrift alles enthält, was zur Seligkeit zu wissen nötig ist. Was wir Menschen, um die Seligkeit zu erlangen, wissen müssen, ist derart, daß wir aus uns selbst von demselben nichts wissen. Es ist von solcher Beschaffenheit, daß es kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, in keines Menschen Herz gekommen ist. Wir müssen es erst lernen. Diesem Mangel wird durch die heilige Schrift abgeholfen. Denn sie ist nütze „zur Lehre". Falsche Lehrer treten auf. Von ihnen droht uns Gefahr, große Gefahr. Durch die heilige Schrift kann dieselbe abgewandt werden. Denn aus ihr kann nicht nur die rechte Lehre gelernt, sondern auch die falsche Lehre widerlegt werden. -Sie dient ja „zur Strafe", das heißt, zur Überführung und Widerlegung der falschen Lehrer. Ferner sagt der Heilige Geist: „Ohne Heiligung wird niemand den HErrn sehen."
Hier droht wiederum große Gefahr. Wie leicht geschieht es nicht, daß ein Mensch von dem rechten Weg wieder abweicht, in Sünde und Laster
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verstrickt wird! Das Ende aber ist dann die Verdammnis. Doch auch dieser Gefahr begegnet die heilige Schrift. Wir lernen nämlich aus ihr, sowohl wie ein Sünder wieder auf den rechten Weg kommen, als auch, wie er auf den rechten Weg bleiben und wandeln könne. Denn sie ist nütze „zur Besserung und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit".
Aus der heiligen Schrift wird ein Mensch Gottes, das ist, ein Prediger des Evangeliums, „vollkommen, zu allem guten Werk geschickt". Die Thätigkeit eines evangelischen Predigers aber erstreckt sich über das ganze Gebiet der christlichen Lehre und des christlichen Lebens. Ein Prediger soll die Sünder zur Erkenntnis ihrer Sünden bringen, die Zerschlagenen mit dem Evangelio trösten, den der heilsamen Lehre Widersprechenden den, Mund stopfen, die in Lehre und Leben Irrenden warnen und herumholen u. s. w. Zu dem allen wird er tüchtig gemacht durch die heilige Schrift. Also giebt die heilige Schrift über dies alles genügend Aufschluß, da die Prediger aus sich selbst, aus eigner Weisheit nicht lehren, ermahnen, strafen und trösten sollen. Die heilige Schrift muß daher den ganzen Rat Gottes zur Seligkeit enthalten, muß vollkommen sein.
Weiter erhellt die Vollkommenheit der.heiligen Schrift daraus, daß sie
b.) jeden Zusatz zu ihrem Inhalt durchaus verbietet. Wäre die Behauptung der Papisten und Schwärmer richtig, enthielte nämlich die heilige Schrift nicht alles, was wir zur Erlangung der Seligkeit wissen müssen, dann würde sie nicht verbieten, daß etwas zu ihr hinzugesetzt werde, sondern sie würde uns vielmehr auffordern, uns nach den notwendigen Ergänzungen umzusehen. Sie würde nicht sagen: „Thut nichts hinzu", sondern: Ihr müßt noch etwas Hinzuthun, glaubt ja nicht, daß schon alles in der heiligen Schrift enthalten ist, u. s. w. 5 Mos. 4, 2. heißt es aber: „Ihr sollt nichts dazu thun, das ich euch gebiete, und sollt auch nichts davon thun." Dies ist zunächst,in Bezug auf das gesagt, was Gott durch Mose dem Volk Israel gebot und kund that. Dasselbe wird Spr. 30, 5. 6. aber ausdrücklich auf das ganze Wort Gottes bezogen: „Alle Worte Gottes sind durchläutert und sind ein Schild denen, die ihm trauen. Thue nichts zu seinen Worten, daß er dich nicht strafe, und werdest lügen-haftig erfunden." Was also 5 Mos. 4, 2. zunächst von d.em durch Mose zu den Volk Geredeten gesagt ist, wird hier auf alle Worte Gottes bezogen: „Thue nichts zu seinen Worten." So gewiß die heilige Schrift „Gottes Wort" ist, so gewiß gilt dies Gebot, zu derselben nichts hinzuzufügen. Es sollen nicht menschliche Worte neben Gottes Worte gestellt werden. Wer sich dessen unterfangt, den will Gott strafen. Ja, wer etwas zu Gottes Wort hinzu thut, der wird dadurch zum Lügner, wie der Heilige Geist sagt: „und werdest lügenhaftig erfunden." Ein solcher muß etwas zu wissen vorgeben, was er doch nicht weiß. Denn was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, das weiß allein Gott. Menschen, die hierüber etwas aus sich aussagen wollen, müssen notwendig
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etwas Falsches, Lügenhaftes sagen. Das Gebot also: „Thue nichts dazu", bezieht sich auf alle Worte Gottes, demnach auch auf die Schriften des Neuen Testaments, die gleichermaßen wie das Alte Testament Gottes Wort sind, wie wir bereits gesehen haben. — Aber wir können auch noch besondere Beweisstellen aus dem Neuen Testament anführen. Hierher gehört die bekannte Stelle Offenb. 22,18. 19.: „Ich bezeuge aber allen" u. s. w. Was hier zunächst in Bezug auf die Offenbarung Johannis gesagt ist, gilt von der ganzen heiligen Schrift, weil die ganze heilige Schrift derselben Art, nämlich Gottes Wort ist. Die Offenbarung Johannis redet von den zukünftigen Schicksalen der Kirche, welche nur der allwissende Gott wissen kann. Wer also zu dieser Offenbarung etwas hinzuthut, der müßte allwissend sein, wie Gott selbst. Die ganze heilige Schrift aber offenbart uns Gottes Gedanken über den Weg zur Seligkeit. Wer nun etwas zur heiligen Schrift Hinzuthun wollte, müßte Gottes Gedanken kennen, müßte selbst Gott sein. — Ferner kommt hier in Betracht die Stelle Gal. 1, 8.: „Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel" u. s. w. Hier spricht Paulus den Fluch aus über jeden, der Evangelium predigt anders, denn das er gepredigt hat. Hier kann nicht eingewandt werden: an dieser Stelle sei nur der Zusatz verboten, welcher mit der heiligen Schrift im Widerspruch.steht, nicht aber die Zusätze, welche nicht von solcher Beschaffenheit seien. Alles nämlich, was zum Worte Gottes hinzugefügt wird, steht im Widerspruch mit demselben. Die heilige Schrift offenbart ja den ganzen Rat Gottes zu unserer Seligkeit. Will jemand den Kreis der Lehre erweitern, so wird dadurch der Rat Gottes verändert. Diese menschlichen Zusätze aber müssen auch deshalb notwendig Jrrtümer sein, weil die Menschen in geistlichen Dingen blind sind. — So hätten wir gesehen, daß die heilige Schrift selbst jeden Zusatz zu ihrem Inhalt verbietet. Damit sagt sie, daß sie vollkommen sei. Denn was keiner Ergänzung bedarf, ja, was durch eine sogenannte Ergänzung nur verderbt werden kann, ist in sich vollkommen.
Daß die heilige Schrift vollkommen sei, ist auch darin ausgesprochen, daß sie o.) die Seligkeit der Menschen an sich bindet. Lueä 16, 27. bittet der reiche Mann, als er in der Hölle und in der Qual war, daß jemand von den Toten auferstehen, zu seinen noch lebenden gottlosen Brüdern gehen, ihnen Buße predigen und in Bezug auf den Weg zur Seligkeit sie unterweisen möchte. Ihm aber wird die Antwort: „Sie haben Mosen und die Propheten, laß sie dieselben hörest, das heißt, sie haben die Schrift, laß sie hören, was die sagt. Dadurch können sie zur Buße und zum Glauben kommen, in Bezug auf alles unterrichtet werden, was ihnen zu wissen nötig ist, damit sie der Hölle entfliehen und in den Himmel kommen. Diese Verweisung auf die heilige Schrift lehrt uns: Allein die heilige Schrift soll uns auf dem Wege des Lebens unterweisen, von ihrer Kenntnis und Annahme allein hängt die Seligkeit ab, sie enthält somit alles, was zur Erlangung
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der Seligkeit zu wissen nötig ist. — Hierher gehört auch die Stelle Jes. 8, 19. : „Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müßt die Wahrsager und Zeichendeuter fragen, die da schwatzen und disputieren, so sprechet : Soll nicht ein Volk seinen Gott fragen? Oder soll man die Toten für die Lebendigen fragen ? Ja, nach dem Gesetz und Zeugnis. Werden sie das nicht sagen, so werden sie die Morgenröte nicht haben." Die Wahrsager und Zeichendeuter traten als Ergänzer der heiligen Schrift auf. Israel drohte Abfall zum falschen Gottesdienst der Heiden, insonderheit zur Nekromantie, der Totenbefragung behufs Weissagung, welche auch schon 5 Mos. 18, 11. verboten ist. Aber da tritt der Prophet auf und schärft ein: Allein durch das Gesetz und Zeugnis, das heißt, durch die heilige Schrift soll sich das Volk über geistliche Dinge belehren lassen. Thut man das nicht, so wird man die Morgenröte nicht schauen, das heißt, die Seligkeit nicht erlangen. Die heilige Schrift bindet somit das Heil der Menschen an sich und muß somit vollkommen sein.
Thesis IV.
An der Vollkommenheit der heiligen Schrift müssen wir gegen die Papisten, Schwärmer und Rationalisten festhalten, damit wir unseres Glaubens gewiß seien, und nicht Menschen zu Herren unseres Glaubens werden.
Daß die heilige Schrift nicht vollkommen sei, behaupten entweder mit ausdrücklichen Worten oder doch der Sache nach die Papisten, die Schwärmer und die Vernunftgläubigen. — Was zunächst die Papisten betrifft, so sagen sie zwar in ihrem Katechismus, daß alle Lehren dem Worte Gottes zu entnehmen seien. Das Wort Gottes aber teilen sie ein in das geschriebene und ungeschriebene Wort Gottes. Unter dem ungeschriebenen Wort Gottes verstehen sie das, was angeblich die Apostel geredet, aber nicht in ihre Schriften ausgenommen, sondern zur mündlichen Mitteilung von einem Geschlecht an das andere bestimmt haben sollen. Die Papisten behaupten also, daß nicht das ganze Wort Gottes, welches uns zur Seligkeit zu wissen nötig ist, in der heiligen Schrift geschrieben vor uns liege, sondern daß man das sogenannte ungeschriebene Wort hinzunehmen müsse. Dieses ungeschriebene Gottes Wort, die sogenannten Überlieferungen, seien auch für Gottes unfehlbares Wort zu halten und als solches anzunehmen. Und den christlichen Glauben müsse man nicht nur aus der Schrift, sondern auch aus den Überlieferungen lehren und lernen.
Römischer Katechismus: „Der Inhalt der ganzen Lehre, die den Gläubigen vorgetragen werden soll, ist im Wort Gottes enthalten, das in der heiligen Schrift und in den Überlieferungen mitgeteilt ist." (Präf. 12.) Ja, die Pabstkirche spricht den Fluch über den auS, welcher
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diese Überlieferungen nicht ebenso wie die heilige Schrift als Quelle und Regel des Glaubens annehmen wolle. Pighius schreibt (bei Chemnitz,. LxsEu S. 6): „Verflucht seien alle diejenigen, welche der allgemeinen und von alters her angenommenen kirchlichen Gewohnheit und Überlieferungen widersprechen, selbst wenn sie auch keinem Schriftwort widersprechen oder entgegen seien." Und das Tridentinische Konzil sagt von den Lehren des Glaubens und des Lebens: „Daß diese Wahrheit und Vorschrift in den heiligen Büchern enthalten ist und in den ungeschriebenen Überlieferungen, welche aus dem Munde Christi selbst von den Aposteln ausgenommen oder von denselben Aposteln durch Eingebung des Heiligen Geistes gleichsam von Hand zu Hand überliefert worden, bis zu uns gelangt sind." Deshalb „nimmt (die Synode) an und verehrt mit gleicher frovuner Zuneigung und Hochachtung alle Bücher sowohl des Alten als des Neuen Testaments, da der eine Gott beider Urheber ist, und ebenso die -selbenÜberlieferungen, sowohl diejenigen, welche sich auf den Glauben als auf die Sitten beziehen, als solche, die entweder mündlich durch Christus oder aus Eingebung des Heiligen Geistes herrühren und in steter Aufeinanderfolge in der katholischen Kirche behalten worden sind." Weiter heißt es : „Wenn aber jemand . .. die vorgenannten Überlieferungen mit Wissen und Willen verachtete, der sei im Bann. Alle mögen daher erkennen, in welcher Ordnung und Weise dieser Kirchenrat, nachdem er des Glaubensbekenntnisses Grundstein gelegt hat, voranschreiten, und mit welchen Zeugnissen und Stützen er bei Bestätigung der Glaubenssätze und Wiederherstellung der Sitten in der Kirche Gebrauch machen wird." (Vierte Sitzung. Smets S. 14. 15.)
v Aber nicht nur durch die Überlieferungen wollen die Papisten die heilige Schrift ergänzen, sondern auch durch das Urteil und die „übereinstimmende Lehre" dessen, was sie Kirche nennen. Das Tridentinische Konzil sagt, „daß es in seinen Festsetzungen folge den Zeugnissen der heiligen Schriften und der heiligen Väter, sowie auch den bewährtesten Konzilien und der übereinstimmenden Lehre der Kirche selbst." (Fünfte Sitzung. Smets S. 17.) Unter dem Urteil der Kirche ist dann aber, wenn man näher zusieht, das Urteil des unfehlbaren Papst es zu verstehen, der ja zu jeder Zeit der unfehlbare Mund der Kirche sein soll und daher zu bestimmen hat, was die „übereinstimmende Lehre" der Kirche sei. Ja, die Quelle und Regel des papistischen Glaubens ist eigentlich der Pabst. Die Papisten sagen zwar, daß sie ihren Glauben aus der Schrift, aus den Überlieferungen und der „übereinstimmenden Lehre" der Kirche schöpfen. Aber der Pabst hat ja schließlich allein zu bestimmen, was der Sinn der heiligen Schrift sei, welche Überlieferungen wahre Überlieferungen seien und welche Lehre für die einstimmige Lehre der Kirche zu Halten sei.
Es wurde bemerkt, daß die Papisten sich auch mit der heiligen Schrift
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zu verteidigen suchen, wenn man ihre falschen Lehren angreift; treibt man sie aber in die Enge, dann berufen sie sich auf die Überlieferungen.
Luther in der Auslegung der Epistel vom Christtage Hebr. 1. : „Hier-neben ist mit sonderem Fleiß zu merken, daß der Apostel auf die Schrift dermaßen pochet, daß nicht etwas darinnen ist gesaget, daß dasselbe nicht sei zu halten; denn wo das nicht wäre, schlöffe seine Rede nichts, da er saget : Zu welchem Engel hat er jemals gesagt' u. s. w. Denn es möchten die Juden sagen: ,Hat er's nicht gesagt in der Schrift, so mag man es dennoch wohl sagen; es ist nicht alles in der Schrift gesetzt. Nun er aber will, daß, was die Schrift nicht giebet, nicht zu halten sei, sollen wir auch also alle andere Lehre verwerfen. Und das dienet Wider des Pabsts und Papisten Frevel, die da unverschämt wider diesen Apostel fürgeben, man müsse mehr Dinges halten, denn die Schrift habe. Und so man saget: es sei nicht in der Schrift, darum soll's nicht gelten, das soll nicht schließen ; machen damit diesen Grund des Apostels matt, viel mehr denn die Juden, auf daß sie ja ihre Concilia, Lehren und Hohen Schulen einführen. Da hüte dich für, und sei gewiß, es ist alles und übrig in der Schrift, was zu halten ist. Was aber nicht darinnen ist,-da sollst du sagen, wie hier der Apostel: Wann hat Gott je einmal das gesagt?" (^V. XII, 227.)
Unter dem Namen Schwärmer fassen wir hier alle Jrrlehrer zusammen, die nicht zur Pabstkirche gehörig sich für ihren Glauben neben der heiligen Schrift auf neue Offenbarungen berufen, die ihnen vorgeblich durch eine innere Einsprache des Heiligen Geistes oder durch neue Apostel oder durch Erscheinungen von Engeln und Geistern u. s. w. geworden sein sollen. Mit solchen Schwärmern hatte eS schon Luther zu thun. Die Zwickauer Pro-pheten, Karlstadt und andere schalten Luther einen Knecht des toten Buchstabens, weil Luther von keinem Geist und keiner Offenbarung außerhalb der heiligen Schrift etwas wissen wollte. Ja, auch Zwingli berief sich für seine neue Abendmahlslehre auf Träume. In unserer Zeit sind solche Schwärmer die Quäker, die Jrvingianer, die sogenannten Inspirierten, die Spiritualisten und andere. Die Quäker sagen ausdrücklich, daß die heilige Schrift nicht der Grund aller religiösen Erkenntnis sei, sondern die Haupt-und eigentliche Quelle aller religiösen Erkenntnis sei die fortlaufende innere Offenbarung des Heiligen Geistes. — Die Irvingianer klammern sich „in der Verwirrung menschlicher Meinungen und in dem Widerspruch theologischer Meinungen" an neue Apostel .an, durch die sie rechten Aufschluß über die christlichen Dinge gefunden zu haben meinen. — Die Spiritualisten wollen sich durch die Geister der Verstorbenen über religiöse Dinge belehren lassen und aus der heiligen Schrift nur das annehmen, „was Gutes und Wahres in der Schrift" ist, wie sie sich ausdrücken, d. H., sie wollen nur so viel annehmen, als die Poltergeister stehen lassen.
Auch die Vernunftgläubigen halten die heilige Schrift für unvollkommen. Wir denken hier an die neueren feinen Rationalisten. Die groben
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Rationalisten stellten offen den Grundsatz auf, daß die christliche Religion in allem mit der Vernunft stimmen müsse. So verwarfen sie als vernunftwidrig alle Hauptlehren des Christentums, die Lehre von der Dreieinigkeit, von der Menschwerdung des Sohnes Gottes, von der Rechtfertigung aus Gnaden um des stellvertretenden Leidens Christi willen u. s. w. Diese gehören zu denen, welche von der heiligen Schrift abthun, ja, sie gänzlich verwerfen. Die einzige Quelle und Richtschnur der Religion ist ihnen die sogenannte Vernunft. — Die feineren Rationalisten aber bekennen, daß die heilige Schrift Gottes geoffenbartes Wort sei. Aber sie handeln so, als ob die heilige Schrift nicht alle Glaubensartikel vollständig offenbare. Sie entnehmen das, was sie von göttlichen Dingen lehren, nicht einfach den Aussagen der Schrift, sondern sie setzen Glaubensartikel beliebig und selbständig so zusammen, daß ein sogenanntes System zustande kommt. Sie wollen zwischen die Aussagen der heiligen Schrift solche Gedanken ein-schieben, daß die der menschlichen Vernunft zusammenhangslos scheinenden Aussagen nun vernunftgemäß zusammenhängen. Oder sie wollen, von einem allgemeinen, in der Schrift geoffenbarten Grundsatz ausgehend, die einzelnen Glaubensartikel selbständig aufbauen. Was bei den Papisten der Pabst besorgt, besorgt hier der common ssnss. Nehmen wir ein Beispiel, das uns besonders nahe liegt. Die Schrift sagt einmal klar und deutlich: Gott will alle Menschen selig machen. Sodann, daß diejenigen, Welche selig werden, aus Gnaden allein durch die Wirkung Gottes selig werden. Diese Sätze scheinen der Vernunft nicht gehörig zusammenzu-hLngen, ja, es scheint ein Widerspruch zwischen diesen Sätzen obzuwalten. Es scheint, als ob ein Satz den ändern umstoße. Denn einmal heißt es: Die Einführung der Menschen in die Seligkeit ist allein Gottes Werk, in welchem Werke die Mitwirkung der Menschen durchaus nicht statt hat. Da Wir nun aber aus der Schrift und Erfahrung wissen, daß nur ein Teil der Menschen selig wird, so schließt die Vernunft, daß Gott schuld daran sei, daß nicht alle Menschen selig werden. Es muß somit — schließt man d^iter — nicht sein ernstlicher Wille sein, alle Menschen selig zu machen. Um diese Schwierigkeit für die menschliche Vernunft zu heben, nimmt man an, daß doch eine Art Mitwirkung der Menschen im Werk der Seligkeit statthabe, obwohl die heilige Schrift von einer solchen angenommenen Mitwirkung schweigt.
Was würde nun aber die Folge sein, wenn wir uns bereden ließen, die Schrift sei nicht vollkommen? Dann könnten wir unseres Glaubens nicht mehr gewiß sein. Christen aber sollen ihres Glaubens gewiß ^n, so gewiß, daß sie bereit sind, nötigenfalls auch ob desselben zu sterben, bie wissen, ihre Seligkeit steht auf ihrem Glauben. Darum müssen sie hter Gewißheit haben. Und worauf gründet sich diese Gewißheit? Darauf, daß Gott ihnen alles offenbart hat in der heiligen Schrift, was ihnen M Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist. Darauf, daß sie in Gottes
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Wort für alle Artikel des Glaubens Gottes Aussprache haben, auf die sie sich verlassen können. Zudem hat dieses Gottes Wort die Eigenschaft, daß es mit übernatürlicher Wirkung das Herz der Menschen von der Wahrheit des im Worte Ausgesprochenen überzeugt. Der Heilige Geist zeugt durch das Wort Gottes. So sind die Christen hier auf Erden schon im Glauben selig in aller Trübsal, weil sie darüber ganz gewiß sind, wie Gottes Herz zu ihnen steht, und was Gott mit ihnen vorhat. Diese selige Gewißheit aber muß alsbald dem Zweifel und der Ungewißheit Platz machen, sobald man zugiebt, daß die Schrift nicht alles enthalte, was Gott uns Menschen offenbaren will. Denn wenn wir auch den Inhalt der heiligen Schrift gefaßt hätten, so müßten wir noch immer denken : Ja, das ist aber noch nicht alles, was ich zur Erlangung der Seligkeit wissen muß ; wer weiß, was mir noch gesagt wird in dem, was die heilige Schrift nicht enthält! Und mit der papistischen Tradition ist es ein schlimmes Ding. Was ist unter der Flut von Überlieferungen echt, was unecht? Ferner: Tradition und Pabst widersprechen einander und der Schrift. Es gerät mir alles ins Wanken, wenn wir uns auf die papistischen Ergänzungen der Schrift einlassen wollten. Dieselbe Wirkung wird hervorgebrgcht, wenn wir uns neben die heilige Schrift die inneren Offenbarungen der Schwärmer und die Zuthaten der Vernunft stellen lassen. Denn die neuen Offenbarungen und die Resultate der sogenannten Wissenschaft wechseln wie das Wetter im April. Und wenn ich auch mit denselben zu einer Art Gewißheit gekommen zu sein glaube, so ist das nicht eine rechte göttliche Gewißheit. Eine solche entsteht allein durch Wirkung des Heiligen Geistes im Wort und gründet sich auf das Wort Gottes. Die Gewißheit der Schwärmer und Vernunftgläubigen ist eine menschliche Meinung und Täuschung, die sich auf Menschen Wahn und Vorgeben gründet. Menschen sind somit Herren des Glaubens geworden. Ich soll aber mit meinem Glauben allein an Gott, wie er sich im Wort offenbart hat, hangen.
Luther: „Das hat mich die Erfahrung allzuoft gelehrt, wenn mich der Teufel außer der Schrift ergreifet, da ich anfahe mitmeinen Gedanken zu spazieren und auf gen Himmel zu flattern, so bringet er mich dazu, daß ich nicht weiß, wo Gott oder ich bleibe. Also will er diese Wahrheit, so er im Herzen lehren soll, angebunden haben, daß man Vernunft und alle eigenen Gedanken und Fühlen hintenan setze und allein an dem Wort hange und für die einige Wahrheit halte. Regiert auch allein dadurch die christliche Kirche bis ans Ende." (Zu Johannes 16, 17. Kirchenpostille, Pfingsttag.)
Was die von den Papisten angenommene Macht der Kirche, unfern Glauben zu bestimmen, betrifft, so sagt Luther: „Die christliche Kirch« hat keine Macht, einigen Artikel des Glaubens zu setzen, hat's auch nie ge-than, wird's auch nimmermehr thun." (XIX, 1190.) Und wir bekennen in der Apologie: „Wir werden weder Pabst, Bischof noch Kirchen di,
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Gewalt einräumen, Wider aller Propheten einträchtige Stimme etwas zu halten oder zu schließen." (Art. 12. x. 178.)
Es wurde bemerkt, daß die Lehre von der Unvollkommenheit der heiligen Schrift ganz vortrefflich in den Kram der Papisten paffe. Denn, solange behauptet wird, die Schrift sei unvollkommen und bedürfe einer Ergänzung durch die Tradition und die Satzungen der Kirche, so lange kann ein Christ seines Glaubens nicht gewiß werden. Und das wollen die Diener des Pabstes gerade. Der Mensch soll seines Glaubens, seiner Seligkeit nicht gewiß werden, damit sie die geängsteten Gewissen immerfort zur Befriedigung ihrer Herrschsucht und ihrer Habgier ausbeuten können.
Die Tradition hat von Anfang an viel Unheil in der Christenheit angerichtet. Die falsche Tradition veranlaßte das erste apostolische Schreiben. Es waren nämlich falsche Lehrer ausgegangen und gaben vor: die Jünger zu Jerusalem hätten die Beschneidung als zur Seligkeit notwendig erachtet. (Apost. 15,24.) So richteten sie in der Gemeinde zu Antiochia große Verwirrung an. Um ihnen zu steuern, sandte man von Jerusalem Judas und Silas dorthin, und zwar mit einem Brief im Gegensatz zu den angeblichen mündlichen Überlieferungen. Apost. 15, 23. ff. — Papias im zweiten Jahrhundert berief sich, um seine Irrlehre vom „tausendjährigen Reich" zu beweisen auf die Tradition. Er scheint auf die mündlichen Überlieferungen förmlich versessen gewesen zu sein. Nach dem Bericht des Kirchengeschichtsschreibers Eusebius hat er geäußert: „Ich glaubte nicht so Viel Nutzen aus dem Lesen der Bücher zu schöpfen, als aus mündlichen Nachrichten noch lebender Menschen." Auf diese Weise kam Papias zu falschen Lehren; denn er ließ sich viel als Lehre der Apostel erzählen, was die Apostel doch nie gelehrt hatten, wie ihre Schriften ausweis-n. Derselbe Eusebius berichtet über Papias: „Noch andere Dinge hat eben dieser Schriftsteller erzählt, die er durch ungeschriebene Überlieferung will gehört haben, nämlich gewisse seltsame Gleichnisse und Lehren des Erlösers und andere noch fabelhaftere Dinge. Dahin gehört, daß er sagte, es werde nach der Auferstehung der Toten ein Zeitraum von tausend Jahren sein, in welchem auf dieser Erde ein leibliches Reich Christi bestehen würde."
Wohin war es mit dem Christentum zur Zeit Luthers gekommen durch die Tradition? Mußte Luther nicht den Kampf gegen die Tradition aufnehmen, damit Gottes Wort wieder in der Kirche gehört werde, und die Gewissen wieder von der Knechtschaft der Menschensatzungen befreit würden? «Nd für was für Lehren berufen sich die Papisten vornehmlich auf die «mdition! Mit der Tradition wollen sie die Lehre vom Meßopfer, Anrufung der Heiligen, Verdienstlichkeit der Werke, Oberhoheit des Pabstes, Bebete für die Verstorbenen, Ohrenbeichte, Notwendigkeit der menschlichen ^mrgthuung u. s. w. erweisen. Es handelt sich also nicht etwa um gleich-Mnge Dinge, sondern um den Grund des christlichen Glaubens, der mit
Papistischen Lehren umgestoßen wird. Ja, die Papisten behaupten.
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alle Glaubenssätze und Gebräuche, deren Ursprung man nicht genau kenne, die aber bereits Aufnahme gefunden hätten in der Kirche, müsse man als von den Aposteln überliefert ansehen. Daher sagt Chemnitz warnend : „Ich habe hier die papistischen Traditionen in einfacher Ordnung aufzählen wollen, damit der Leser desto besser erwägen könne, was für eine Sammelbüchse (psnäorüeuin) falscher Lehre und des Aberglaubens jener Beschluß des Tridentinischen Konzils sei, welcher uns ohne Schrift die Überlieferungen mit gleicher frommer Zuneigung und Hochachtung annehmen und verehren heißt, wie das Wort Gottes selbst, das in der heiligen Schrift verfaßt ist." (Dx. 86.)
Und was für Zerrüttung hat die „Geisterei" d. H., das sich Berufen auf Offenbarungen außer dem geschriebenen Wort in der Kirche angerichtet! Man gedenke nur der Zerrüttungen in der Kirche zur Zeit der Reformation! Wie hatte Luther gegen einen Karlstadt, die Zwickauer Propheten u. a. zu kämpfen, damit die Seelen, die durch seinen Dienst aus der Tyrannei des Pabstes errettet waren, nicht wieder in Menschenknechtschaft fielen, indem sie den Schwärmern glaubten, die sich „des Geistes" rühmten und Luther ob seines Haltens an dem Wort einen Knecht des Buchstabens nannten. Unser Bekenntnis dringt deshalb auf das ernstlichste darauf, daß man auf keinen Geist außerhalb des Worts höre. Damit sind von unsrer Kirche alle sogenannten unmittelbaren und Privatoffenbarungen zurückgewiesen. Diese nennt das Bekenntnis einen „Ursprung aller Ketzer".
Schmalkaldische Artikel: „Und in diesen Stücken, so das mündliche, äußerliche Wort betreffen, ist fest darauf zu bleiben, daß Gott niemand seinen Geist oder Gnade giebt, ohne durch oder mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort. Damit wir uns bewahren für den Enthusiasten, das -ist, Geistern, so sich rühmen, ohne und vor dem Wort den Geist zu haben, und dadurch die Schrift oder mündliche Wort richten, deuten und drehen ihres Gefallens, wie der Münzer thät,- und noch viel thun heutigestags, die zwischen dem Geist und Buchstaben scharfe Richter sein wollen und wissen nicht, was sie sagen oder setzen. Denn das Pabsttum auch ein eitel Enthusiasmus ist, darin der Pabst rühmt, alle Rechte sind im Schrein seines Herzens, und was er mit seiner Kirchen urteilet und heißt, das soll Geist und Recht sein, wenn's gleich über und wider die Schrift oder das mündliche Wort ist. — Das ist alles der alte Teufel und alte Schlange, der Adam und Evam auch zu Enthusiasten machte, von äußerlichem Wort Gottes auf Geisterei und Eigendünkel führet, und thäts doch auch durch andere äußerliche Wort. Gleichwie auch unsere Enthusiasten das äußerliche Wort verdammen, und doch sie selbst nicht schweigen, sondern die Welt voll plaudern und schreiben, grade als könnte der Geist durch die Schrift oder mündlich Wort der Apostel nicht kommen, aber durch ihre Schrift und Wort müßte er kommen. Warum lassen sie auch ihre Predigt und Schrift nicht anstehen, bis der Geist selber in die Leute ohn und für ihrer Schrift kommt.
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wie sie rühmen, daß er in sie kommen sei ohne Predigt der Schrift?" (kar8 III. Art. VIII. p. 321 ff.)
Dieselben: „Summa, der Enthusiasmus stecket in Adam und seinen Kindern von Anfang bis zu Ende der Welt, von dem alten Drachen in sie gestiftet und gegiftet, und ist aller Ketzerei, auch des Pabsttums und Mohammeds Ursprung, Kraft und Macht. Darum sollen und müssen wir darauf beharren, daß Gott nicht will mit uns Menschen handeln, denn durch sein äußerlich Wort und Sakrament. Alles aber, was ohn solch Wort und Sakrament vom Geist gerühmt wird, das ist der Teufel." (kars III. Art. VIII. p. 322 ff.)
Wenn wir nicht festhalten, daß Gott alle Offenbarungen, die er uns in Bezug auf die Lehre hat zukommen lassen wollen, in der heiligen Schrift hat verzeichnen lassen, wenn wir auch die neuen Offenbarungen, die dieser oder jener Schwärmer gehabt haben will, gelten lassen wollten: dann würde zuletzt jeder Schwärmer ein Päbstlein, welches sich das Recht anmaßt, neue Glaubenssätze zu bilden.
Welchen Zulauf haben in unserem Lande die sogenannten Spiritualisten! Diese wollen die Geister Verstorbener durch ein sogenanntes Medium citieren und sich durch dieselben über weltliche und geistliche Dinge unterrichten lassen. Oft liegt hier grober oder feiner Betrug vor. Manchmal indes erscheinen auch wohl Geister. Aber keine guten, sondern der Teufel, dem Gott es gestattet, daß er die Menschen, welche nicht auf sein Wort hören wollen, betrüge. Böse Geister treiben aus Gottes Verhängnis auch im Pabsttum ihr Wesen. Es heißt in den
Schmalkaldischen Artikeln: „Zum ändern ist daraus gefolgt — aus dem Greuel der Messe nämlich — daß die bösen Geister haben viel Büberei angerichtet, daß sie als Menschenseelen erschienen sind, Messen, Vigilien, Wallfahrten und andere Almosen geheischet mit unsäglichen Lügen und Schalkheiten. Welches wir alles haben für Artikel des Glaubens halten und danach leben müssen — weil sie nämlich nicht wußten, daß die heilige Schrift allein als vollkommene Quelle des Glaubens, Artikel des Glaubens zu setzen habe — und der Pabst solches bestätiget, wie auch die Messe und alle ändern Greuel." (?s.rs II. Art. II. p. 303 ff.)
Was für Unheil hat endlich auch die vernünftelnde Theologie in unserem Jahrhundert angerichtet! Man machte einen guten Anfang. Gott gab Gnade, es kam Leben in die toten Gebeine nach der Verwüstung, welche der krasse Rationalismus angerichtet hatte. Aber da fuhr der Teufel der Systembildung in die Theologen. Man begnügte sich nicht, bei den einfachen Schriftaussagen stehen zu bleiben und einfach zu sagen : „Rede, HErr, dein Knecht höret", sondern man wollte die Predigt vom Kreuz in vernunftgemäßes System bringen, um sie so unserem „wissenschaftlichen Zeitalter" annehmbarer zu machen. Das brachte man aber nur so zustande, daß man gerade in den wesentlichsten Stücken die heilige Schrift
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als Quelle des Glaubens verließ und an ihre Stelle die menschliche Vernunft setzte. Der Rationalismus ist wieder da. Es gilt wieder die Warnung des Apostels Kol. 2, 8.: „Sehet zu, daß euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen und nicht nach Christo." Die nach der Vernunft zugeschnittene Theologie hält wahrlich auch nicht Stich in der Stunde der Anfechtung. Sie befriedigt nur so lange, als man das Absehen hat, sich oder anderen gelehrt oder geistreich zu erscheinen. Anders wird es, wenn das Gewissen ernstlich erwacht. Das von Gottes Gesetz getroffene Gewissen kommt nicht zur Ruhe durch ein von der theologisierenden Vernunft angenommenes „einfachstes Prinzip" und daraus abgeleitete sogenannte notwendige Schlüsse. Das will Christum, den Fels des Heils, und ein klares Wort Gottes haben. So kommt ein Gewissen zur Ruhe. Hierher gehört auch die oben angeführte Stelle von Luther zur Erklärung von Joh. 16, 17.
*) In Bezug auf den Unterschied unserer Bekenntnisschriften und der papistischen Überlieferungen wurde bemerkt: Unsere Bekenntnisse sind mit den papistischen Traditionen gar nicht zu- vergleichen. Der Gebrauch, welchen wir von unseren Bekenntnisschriften machen, ist ein ganz verschiedener von dem, welchen die Papisten für ihre Traditionen haben. Die Papisten wollen ihre Traditionen als Quelle und Norm des Glaubens neben der heiligen Schrift angesehen haben, und zwar in dem Sinne, daß die Schrift keine hinreichende Quelle und Norm des Glaubens sei. Wir aber machen unsere Bekenntnisse nicht zu einer Quelle des Glaubens, wollen daraus nicht den Glauben schöpfen. Gerade in unserem Bekenntnis bekennen wir uns zu der heiligen Schrift „als zu dem reinen lautern Brunnen Israelis, welche allein die einige wahrhaftige Richtschnur ist, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen seien". (M. S. 569.) Unsere Bekenntnisschriften sind zunächst ein öffentliches Zeugnis, wie die lutherische Kirche die Schrift, welche die falschen Lehrer jederzeit verdreht haben, verstehe. Und weil die Lutheraner sich überzeugt haben, daß ihre Bekenntnisse die richtige Darlegung der Lehren der heiligen Schrift enthalten, so verpflichten sie alle, die Lehrer in ihrer Kirche sein wollen, auf ihre Bekenntnisschriften, nicht insofern, sondern weil sie mit der heiligen Schrift übereinstimmen. Daraus folgt, daß Lehrer und Prediger sich auch nach denselben richten lassen müssen, ohne daß sie den Vorwurf erheben könnten, wir ließen nicht die heilige Schrift die einzige Quelle und Norm des Glaubens sein. Wir fordern nicht Zustimmung zu den Lehren unseres Bekenntnisses, weil unser Bekenntnis sie enthält, sondern weil sie aus dem Worte Gottes genommen sind. So sagt auch Luther wiederholt in Bezug auf die von ihm dargelegte Wahrheit, man müsse sie nicht um des Luther, sondern um des Wortes willen annehmen.
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*) Protokoll von Pastor F. Pfotenhauer.
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Wir kommen jetzt zu der zweiten Hälfte unserer Thesen, welche von der Deutlichkeit und Klarheit der heiligen Schrift handelt. Da lautet
Thesis V.
Unter der Deutlichkeit oder Klarheit der heiligen Schrift verstehen wir diejenige Eigenschaft derselben, nach welcher sich alles, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, klar und allen verständlich ausspricht.
Wir behaupten nicht nur, daß die heilige Schrift alles, was zur Erlangung der Seligkeit notwendig ist, enthalte, sondern daß sie dieses auch klar und deutlich und allen erkennbar ausspreche. Es würde uns nichts helfen, wenn zwar die heilige Schrift alles zu wissen Nötige enthielte, dieser seligmachende Inhalt aber nicht in allen Christen verständlichen, klaren Worten der Schrift zu Tage läge. Wir hätten dann in der heiligen Schrift einen Schatz, den zu heben wir nicht imstande wären. Was würde es uns helfen, wenn in einem Buche große Schätze der Erkenntnis aufgespeicher! vorlägen, wenn das Buch aber in dunklen, abstrusen Worten geschrieben wäre, die vielleicht nur einige wenige besonders gelehrte, scharfsinnige Leute deuten und verstehen könnten? Dann lägen diese Schätze des Wissens tot, ungehoben da. Wir behaupten daher die Deutlichkeit der heiligen Schrift, müssen aber näher erklären, was wir darunter verstehen.
Wenn wir die Deutlichkeit der Schrift behaupten, leugnen wir nicht, daß in derselben Stellen und Worte Vorkommen, deren Sinn und Bedeutung auch dem sorgfältigsten Forscher und Bibelleser vielleicht zweifelhaft ist. Das müssen wir gestehen. Hierher gehören z. B. solche Stellen und Worte, in welchen es sich um Namen und deren Bedeutung handelt oder um die Zeitrechnung oder um Beschreibung der Gerätschaften und Sitten fremder Länder, und auch des jüdischen Volks. So z. B. macht Schwierigkeit, auch für die Forscher der Schrift, was eigentlich das Wort bedeute! hat, das einst Pharao vor Joseph her ausrufen ließ. 1 Mos. 41, 43. heiß! es: „Und ließ ihn auf seinem ändern Wagen fahren, und ließ vor ihm her ausrufen: Der ist des Landes Vater." Für „das ist des Landes Vater" steht im Hebräischen nur e i n Wort abrsk 0??«). Luther übersetz! „Landes Vater". Andere, auch lutherische Exegeten, meinen, es heiße nich! „des Landes Vater" sondern, da es von dem hebräischen barak (^3) abzuleiten sei, „wirf dich nieder", so daß also nicht „Des Landes Vater" ausgerufen, sondern dem Volke zugerufen worden wäre: „Wirf dich nieder", um Joseph gebührend zu ehren. Die Bedeutung dieses Wortes ist uns hier zweifelhaft, weil wir die Sprache in diesem Fall nicht genügend kennen.
So ist es auch schwierig, wenn 2 Mos. 39. die Priesterkleider beschrieben werden, sich eine genaue Vorstellung zu machen, wie die Falten und Troddeln und anderes an den Kleidern eigentlich beschaffen gewesen sei.
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Müssen wir nun etwa angesichts dieser Sachlage den Papisten recht geben, wenn sie behaupten, die Schrift sei dunkel? Keineswegs. Vergegenwärtigen wir uns, wozu eigentlich die heilige Schrift uns gegeben sei. Wir haben schon früher die Frage beantwortet, daß die heilige Schrift den Zweck habe, uns zur Seligkeit zu führen. Wenn daher die heilige Schrift alles das, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen notwendig ist, klar und deutlich beantwortet, so nennen wir sie darum klar und deutlich. Wir behaupten nun aber, daß die heilige Schrift klar und deutlich Auskunft giebt über diese und ähnliche Fragen: Wer sind wir Menschen? Wie sind wir beschaffen? Wer ist Gott? Wie ist er gegen uns gesinnt? Was hat er gethan, um uns selig zu machen? Was wird er ferner thun, um uns auf dem Wege des Lebens zu erhalten, bis wir endlich ein-gehen in die Herrlichkeit? — wir behaupten, daß diese und ähnliche Fragen in der Schrift klar und deutlich jedem verständlich beantwortet werden, daß jeder Mensch diese Antwort vernehmen kann und daß darum die Schrift mit Recht klar und deutlich zu nennen sei.
Was geht uns ab bei dem Fragen nach unserer Seligkeit, wenn wir auch nicht genau wissen, ob vor Joseph her «usgerufen sei „Des Landes Vater" oder „Wirf dich nieder", zumal beides so ziemlich dem Sinne nach auf dasselbe hinauskommt, Joseph nämlich als ein Herr in Ägyptenland bHeichnet wird? Was geht uns bei dem Fragen nach dem Wege zur Seligkeit ab, wenn wir auch nicht genau wissen, ob gewisse Teile des Kleides des Hohenpriesters von ganz gelber oder rot-gelber Seide gefertigt gewesen seien? Es leuchtet ein, daß, trotzdem wir eine Schwierigkeit für unser Verständnis an solchen Stellen zugeben, doch die heilige Schrift klar und deutlich ist, weil sie die Frage klar beantwortet: Was soll ich thun, daß ich selig werde?
Wir behaupten ferner aber auch nicht, daß an solchen Stellen der heiligen Schrift, in welchen von Glaubensartikeln die Rede ist, gar nichts Dunkles vorkomme; wir gestehen vielmehr: Auch hier ist hin und wieder einzelnes dunkel; einmal deshalb, weil hier von einer bestimmten Lehre nur im Vorbeigehen gehandelt wird, und dann, weil sich an der Stelle eine bildliche Redeweise vorfindet. Man lese z. B. 1 Tim. 4,16. Da heißt es: „Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre, beharre in diesen Stücken. Denn, wo du solches thust, wirst du dich selbst selig machen, und die dich hören." „Wirst du dich selbst selig machen, und die dich hören" — auf die Stelle könnten Papisten Hinweisen und sagen: Hier wird gelehrt, man kann sich selbst selig machen, ja, sogar noch ändern mit seinen Werken dazu verhelfen. Es ist dieses aber eine Stelle, in welcher nur im Vorbeigehen vom Seligwerden, gar nicht vom eigentlichen Grunde der Seligkeit geredet wird. Müssen wir deshalb die Dunkelheit der heiligen Schrift zugeben ? Nein; denn das, was hier dunkel ist, weil es nur im Vorbeigehen berührt wird, das ist an anderen Stellen, an welchen eigentlich über diesen
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Gegenstand gehandelt werden soll, klar und deutlich ausgesprochen. Und gerade auch deshalb nennen wir die heilige Schrift klar und hell, weil sie das, was sie an einer Stelle nicht so deutlich sagt, an anderen Stellen selbst klar ausführt, weil mit Hilfe der klaren Stellen die minder klaren sicher ausgelegt werden können. 1 Tim. 4,16. könnte diesem oder jenem nicht recht klar sein. Da vergleichen wir aber z. B. 2 Tim. 1, 9.: „Der uns hat selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo JEsu vor der Zeit der Welt." Hier handelt der Apostel eigentlich von den Ursachen des Seligwerdens und zeigt, daß wir nicht durch unsere Werke, sondern nach Gottes Vorsatz und Gnade selig werden. Indem diese Stelle von uns im Auge behalten wird, kann dann auch 1 Tim. 4,16. sicher ausgelegt werden. Es ist dort nur der Weg beschrieben, auf welchem ein Prediger des Evangeliums zum Himmel geht; auf diesem Wege verhält er sich so, daß er acht hat auf sich selbst, wie er ein Kind Gottes bleibe, und auch acht hat auf andere, auf die befohlene Herde, wie er dieselbe durch fleißiges Treiben des Wortes Gottes bei Christo erhalte. Nicht wird 1 Tim. 4, 16. Grund und Ursache der Seligkeit genannt.
Darauf muß besonders hingewiesen werden, daß wir die heilige Schrift auch deshalb klar und hell nennen, weil sie sich immer selbst auslegt, weil das an einer Stelle dunkel Gesagte an einer anderen Stelle klar ausgesprochen ist. Die Schrift selbst sagt mir auf Befragen, was das sei, das sie an einer Stelle nur kurz berührt oder bildlich ausdrückt und das mir daher nicht recht klar ist. Sie sagt mir dies in ausführlicheren und deutlicheren Parallelstellen. Finde ich daher an einer Stelle etwas den Glauben Betreffendes dunkel ausgedrückt, so bleibe ich in der Schrift und schlage solche Stellen auf, in welchen der Heilige Geist eigentlich von der betreffenden Lehre handelt. Wenn ich dann aus den klaren Stellen den Glaubensartikel gefaßt habe, so werde ich auch die dunkleren Stellen dann meistens auslegen und verstehen können. Die Deutlichkeit der heiligen Schrift kann also auch dahin beschrieben werden, daß die Schrift alles das, was zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, irgendwo wenigstens einmal mit klaren und deutlichen Worten ausspricht. Was picht mit klaren und deutlichen Worten vorgelegt ist, ist kein Glaubensartikel, gehört nicht zu dem, was zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist.
So hat man immer in unserer Kirche die Deutlichkeit der heiligen Schrift verstanden. Hierzu mögen folgende Belege dienen.
Konrad Dietrich schreibt: „Ist die heilige Schrift etwa dunkel, wie die Päbstischen behaupten, oder deutlich? Antwort: Zwar ist sie uns um unserer Unwissenheit willen an manchen Stellen dunkel und wegen ihrer Redeweise schwer zu verstehen. Doch kann dies sowohl durch deutlichere erhellt als auch erklärt werden. Aber in dem, was zur Unterweisung im Glauben und Leben gehört, ist sie so klar und deut-
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lich, daß sie von allen sowohl gelesen, als verstanden werden kann." (Katech. S. 205.)
Luther: „Darum ist das sehr närrisch und unchristlich, nachdem es ja wahr ist, daß die Hauptstücke und alles, was ein Christ wissen muß, am Hellen klaren Lichte sind, durch dürre Worte in der Schrift offenbart, daß du um etlicher Sprüche willen willst sagen: Es sind noch große verborgene Dinge dahinten, so doch nichts Größeres sein kann, denn das Erkenntnis Christi." (Luther will sagen: Was kann es Größeres geben, als daß wir in der Schrift klar ausgesprochen finden, Gottes eingeborener Sohn sei ins Fleisch gesandt, habe für uns sein Leben in den Tod gegeben und die Seligkeit erworben? Damit sei uns die Frage: „Was soll ich thun, daß ich selig werde?" vollkommen beantwortet. Das alles liege klar in der Schrift vor. Wer wolle die heilige Schrift dann noch dunkel schelten? Luther fährt fort:) „Ob auch an etlichen Orten der Schrift die Sprüche dunkel sind, so sind sie doch an ändern Orten in der Schrift klar. Das ist das einige Hauptstück oder Sache, nämlich der Glaube und Christus, der aller Welt in der Schrift wird vorgetragen: hier mit Hellen klaren Worten, dort mit verborgenen dunkeln Worten vorgelegt. Was liegt nun daran, wenn das Hauptstück der ganzen Schrift durch klare dürre Sprüche am Tage ist, als, durch die Epistel zun Römern, ob etliche Sprüche, die von derselben Sache reden, noch dunkel sind?" (Gegen Erasmus, S. 16.) Luther sagt: Es ist dieselbe Lehre, die an einer Stelle in klaren, an einer anderen in dunkleren Worten vorgetragen wird. Das müssen wir festhalten: an den Stellen, welche dunkel sind, steht nichts anderes, als an denen, welche klar sind. Es ist ein und dieselbe Sonne, welche am klaren Himmel steht und hinter Wolken verborgen ist. So ist dieselbe Sonne der göttlichen Wahrheit in dunkeln und klaren Stellen. Luther schreibt noch weiter: „Das ist wohl wahr, etliche Sprüche der Schrift sind dunkel, aber in denselben ist nichts anderes, denn eben, was an anderen Orten in den klaren, offenen Sprüchen ist. Und da kommen Ketzer her, daß sie die dunkeln Sprüche fassen nach ihrem eigenen Verstände und fechten damit wider die klaren Sprüche und Grund des Glaubens. Da haben denn die Väftr wider sie gestritten durch die klaren Sprüche, damit erleuchtet die dunkeln Sprüche, und bewiesen, daß eben das im Dunkel gesagt sei, das im Lichten.. . . Seid nur gewiß, ohne Zweifel, daß nichts Helleres ist, denn die Sonne, das ist die Schrift; ist aber eine Wolke dafür getreten, so ist doch nichts anderes dahinten, denn dieselbe Helle Sonne. Also, ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewißlich dieselbe Wahrheit dahinten, die am ändern Orte klar ist, und wer das Dunkel nicht verstehen kann, der bleibe bei dem Lichten." <Auslegung des 37. Ps. V, 456 ff.)
Chemnitz: „Viele Stellen der heiligen Schrift sind in klare und durchsichtige Worte gefaßt, welcher keiner weit hergeholten Auslegung be-
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dürfen, sondern sich selbst auslegen. Zu diesen Stellen steht, um mit Augustinus zu reden, der Zugang Gelehrten und Ungelehrten offen. Und in diesen, welche klar in der Schrift vorliegen, findet sich alles das, was zum Glauben und Leben gehört." (Oxamsa, S. 57.)
Gerhard: „Was sich in der Schrift nirgends ausdrücklich und klar vorgelegt findet (ckissrts st psrspisus sxposita dabsutnr), dessen Kenntnis ist zur Seligkeit nicht schlechthin notwendig." (O. äs 8. 8sr,'pt. 8 414.)
In unsrer Behauptung von der Deutlichkeit der heiligen Schrift liegt auch dies, daß nicht bloß eine gewisse Klasse von Menschen, etwa bloß einige wenige besonders gelehrte und erleuchtete Leute den Weg der Seligkeit aus der Schrift lernen können, sondern daß alle, die überhaupt imstande sind, etwas zu vernehmen und zu fassen, in der Schrift die klare und deutliche Antwort auf die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?" finden können. Freilich soll damit nicht gesagt sein, daß die Schrift allen in gleicher Weise und in gleichem Grade verständlich ist. Hier findet ein Unterschied statt. Der eine versteht mehr Stellen, auch gewisse Stellen gründlicher, als ein anderer, weil er die Sprache besser kennt, im Denken und Äuffassen gewandter ist, und vor allen Dingen, weil ihn Gott reichlicher durch den Heiligen Geist erleuchtet. Aber die heilige Schrift legt das, was zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, an gewissen Stellen so klar und deutlich vor, daß auch die minder Begabten daraus lernen können, wie sie der Hölle entfliehen und in den Himmel kommen können.
Um es in der Anwendung recht klar zu machen: Auch in dem Einfältigsten wird, wenn er aus der heiligen Schrift das Gesetz vernimmt, welches Gottes Zorn über die Sünde offenbart, die Erkenntnis erzeugt: Ich bin ein Sünder, Gott zürnt über mich, so wie ich von Natur und durch mein Thun bin ; ich muß verloren gehen, wenn es auf mich ankommt. Wenn hingegen nun das Evangelium demselben Menschen aus der Schrift vorgelegt wird, dann kann er aus demselben klar und deutlich erkennen, daß Gott ihm alle aus dem Gesetz erkannten Sünden um Christi willen vergeben und ihn in den Himmel nehmen wolle.
Es wurde gefragt, warum Gott es Wohl so eingerichtet habe, daß in der heiligen Schrift auch dunklere Stellen sich finden, deren Verständnis sich uns erst nach vielem Studium in der Schrift, ja, wohl gar nicht in diesem Leben erschließt? Diese Frage haben sich schon die Väter der ersten Jahrhunderte vorgelegt und gottselig beantwortet.
Augustinus schreibt: „Herrlich und heilsam hat der Heilige Geist die heilige Schrift so eingerichtet, daß er durch die klaren Stellen den Hunger stillte, durch die dunkleren aber den Überdruß verscheuchte." (De doctr. christ.. 1. 2. c. 6.)
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Auch Quenstedt. sagt: „Gott wollte nicht alles und einzelnes irr der heiligen Schrift gleich klar und deutlich vorgelegt, sondern etwas in mehr dunklerer Schreibweise gegeben haben: erstens, damit unser Fleiß im Lesen der Schrift angespornt würde; zweitens, damit der Überdruß und die Geringschätzung den göttlichen Dingen gegenüber entfernt würde (denn das leicht Erforschte achten wir meistens gering); drittens, damit die menschliche Anmaßung und Hoffart durch Arbeit gezähmt werde; viertens, damit wir der angebornen Blindheit erinnert würden; fünftens, damit wir nur mit Ehrerbietung, mit Heiligung unserer selbst und vorhergehendem Gebet uns an das Lesen der Schrift machen; sechstens endlich, damit ein lebhafteres Verlangen nach dem anderen Leben und der oberen Schule in uns entzündet würde. Denn indem wir in den Dingen, welche dunkel sind, die Unvollkommenheit der Erkenntnis in diesem Leben erkannt haben, steht unser Verlangen desto heißer auf jenes andere und selige Leben, wo das Vollkommene kommen und das Stückwerk aufhören wird." (I, 173.)
Luther sagt: Wenn der HErr Christus mit Zöllnern und Sündern redet, so redet er als mit Paulchen und Magdelenchen; wenn er aber zu den Pharisäern spricht, giebt er ihnen einen Brocken, daran sie sich die Zähne ausbeißen mögen. Nun ist jeder Christ vor Gott einerseits ein einfältiges, unmündiges Kind, und der liebe Gott redet auch mit ihm wie mit einem Kinde in der heiligen Schrift, daß er verstehen kann, was zur Seligkeit nötig ist. Jeder Christ hat aber auch noch den Pharisäer an sich, und für den ist es gut, daß er in der heiligen Schrift noch etwas zu forschen findet, damit er sich nicht einbilde, er habe Gottes Wort ausgelernt.
Zum Schluß wurde noch bemerkt: Unser Glaube, daß die heilige Schrift Gottes unfehlbares Wort sei, darf nicht darauf beruhen, daß wir imstande sind, alle Schwierigkeiten, die sich etwa in der Schrift finden mögen, aufzulösen. Wehe dem, der z. B. die heilige Schrift allein deshalb für Gottes Wort hält, weil es ihm gelungen ist einzusehen, daß alle Zeitangaben der Schrift richtig seien. Der Teufel würde ihm, wenn es zum Treffen kommt, doch wieder Stellen zeigen, die sich scheinbar widersprechen. Und dann wäre der Grund seines Glaubens dahin! Nein, unsere Überzeugung, daß die heilige Schrift Gottes Wort ist, ruht im letzten Grunde einzig und allein auf dem Zeugnisse des Heiligen Geistes; darauf, daß wir an unseren Herzen erfahren haben, wie uns das Wort der heiligen Schrift von Sünde, Tod und Teufel erlöst und Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit bringt. Da mögen nun noch so viele Stellen in der heiligen Schrift sein, die wir nicht reimen können; die lassen wir gehen. Die machen uns nicht irre daran, daß das Wort Gottes Wort sei, durch welches unsere Seele genesen ist.
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Thesis VI.
Die Deutlichkeit der heiligen Schrift und die Vernunftmäßigkeit des in ihr deutlich Ausgesprochenen sind nicht zu verwechseln.
Manche haben, indem sie die deutlichsten Stellen der Schrift vor Augen hatten, doch über die Dunkelheit derselben geklagt. Da sind die Worte der Einsetzung des heiligen Abendmahls: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib; nehmet hin und trinket, das ist mein Blut." Die Reformierten fangen nun so zu rechnen an: Gesagt wird freilich : „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird", und danach scheint es, als ob wirklich Christi wahrer Leib im Abendmahl sein müsse; aber wie ist es denn möglich, daß wirklich Christi wahrer Leib im Abendmahl sei, erstlich damals, als Christus zum ersten Male das Abendmahl feierte, und nun, nachdem Christus gen Himmel gefahren ist? Soll denn Christi Leib, der ein wahrer Menschenleib ist, zugleich im Himmel und auf Erden, ja, auf Erden an vielen Orten zugleich gegenwärtig sein? Das ist undenkbar. Darum muß dieses eine dunkle Stelle sein, muß nicht so zu verstehen sein, wie die Worte eigentlich lauten. Was für einen Fehler macht man aber hier? Man verwechselt die Deutlichkeit einer Stelle mit der Vernunftmäßigkeit derselben. Man bemißt die Deutlichkeit der heiligen Schrift danach, wie ihr Inhalt von der menschlichen Vernunft ausgemessen werden kann.
Bei der Deutlichkeit der heiligen Schrift handelt es sich gar nicht um den Inhalt an sich, sondern wie der Inhalt vorgelegt ist, ob er klar oder nicht klar ausgesprochen ist. Alle Artikel des christlichen Glaubens sind an sich unbegreifliche Geheimnisse. Es handelt sich in unserm Glauben um Dinge, die weit, weit über alles menschliche Verstehen und Begreifen hinausgehen. 1 Kor. 2, 7. sagt Paulus: „Wir reden von der heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes"; und David bekennt, daß Gottes geoffenbartes Wort Wunderdinge enthält, wenn er ausruft: „Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetze", Ps. 119,18. Der Apostel sagt ferner, 1 Kor. 2, 9., daß das, was die Christen zur Seligkeit führe, „kein Auge gesehen, kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz kommen ist".
Dieses erkennen wir auch, wenn wir die Artikel des Glaubens einzeln betrachten. Wir glauben: Der wahre Gott ist ein einiger Gott, in einem «irrigen, ewigen, ungeteilten und unteilbaren göttlichen Wesen, „ohne Stück", wie die Augsburgische Konfession sagt; und doch glauben wir auch, daß drei unterschiedliche Personen in diesem einen, unteilbaren und ungeteilten Wesen sind. Gott ist also einmal unteilbar in seinem göttlichen Wesen und besteht dann doch in drei unterschiedlichen Personen. Das geht über alles Begreifen hinaus und steht doch so klar in der heiligen Schrift, daß jedes Kind es vernehmen kann. Die Schrift spricht: „Es ist kein
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anderer Gott, ohne der einige", 1 Kor. 8, 4.; und wiederum: „Gehet hin und lehret alle Heiden, und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Heiligen Geistes", Matth. 28, 19. Da werden ebenso deutlich drei unterschiedliche Personen genannt, als 1 Kor. 8, 4. gesagt ist, daß Gott ein einiger sei. So unbegreiflich dies für die menschliche Vernunft ist, so ist es doch ganz klar ausgesprochen. — Da ist ferner:
- Die Lehre von der Person Christi. Der Apostel nennt sie 1 Tim. 3, 16. ein „kündlich großes, gottseliges Geheimnis". Wir glauben, daß der unendliche Gott, den der Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen können, mit der ganzen Fülle der Gottheit leibhaftig in der endlichen Menschennatur wohne. Wer kann's begreifen? Und doch ist es klar in der heiligen Schrift ausgesprochen. Wir lesen Joh. 1,14.: „Das Wort ward Fleisch." „Das Wort" ist der Sohn Gottes, wie wir aus dem ersten Verse des angeführten Kapitels sehen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Dieses Wort, der Sohn Gottes, ward Fleisch, das heißt, ward ein Mensch, ganz wie wir Menschen sind; denn „Fleisch" bezeichnet die ganze menschliche Natur, Leib und Seele. Gal. 4, 4. heißt es: „Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan." Hier ist aufs klarste ausgesprochen: Gottes Sohn ist eines Weibes Sohn geworden. Wer kann aber dieses unbegreifliche Geheimnis der Menschwerdung mit der Vernunft fassen?
Nehmen wir ferner den Artikel von der Rechtfertigung und was unmittelbar mit demselben zusammenhängt. Da hören wir, daß Gott den einzigen unschuldigen Menschen, den es gegeben, gestraft hat um der schuldigen Menschen willen, s o gestraft hat, daß derselbe am Kreuze sein Leben dahingeben mußte. Und wiederum hören wir, daß Gott die schuldigen Menschen, die Tod und Verdammnis verdient haben, ansehen will, als hätten sie nichts verbrochen — um des Werkes des einigen Unschuldigen willen. Keine menschliche Vernunft kann einsehen, wie das mit unsern Begriffen von Gerechtigkeit übereinkomme. Deshalb haben die Rationalisten auch gerade die Lehre von der Rechtfertigung geleugnet und gesagt, sie sei unmoralisch, man dürfe sich nicht einen solchen Gott denken, der einen Unschuldigen straft, Schuldige freiläßt. Aber was uns so unbegreiflich, so sonderbar vorkommt, ist so klar in der heiligen Schrift ausgesprochen, daß jeder Mensch es annehmen muß, der die heilige Schrift für Gottes Wort hält. 2 Kor. 5, 21. heißt es: „Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt!
Nehmen wir ferner den Artikel von der Auferstehung. Wer kann doch das aussprechen und begreifen, wie auf Gottes Befehl einst der Staub wieder lebendig werde zu einem schönen, herrlichen Leibe? Dieser Staub ist
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wirklich in alle Winde verflogen, ja, vielleicht auch in andere Körper übergegangen. Wenn menschliche Vernunft darüber ihr Urteil abgeben soll, spricht sie: Das geht schlechterdings nicht, das ist unmöglich! Ein Beispiel hierfür finden wir in der Schrift selbst. Apost. 17, 32. heißt es von den Athenern: „Da sie höreten die Auferstehung der Toten, da hatten's etliche ihren Spott." Und doch, wie klar liegt das Das der Auferstehung in der heiligen Schrift vor uns! Joh. 5. hören wir aus dem Munde Christi: „Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören, und werden hervorgehen, die da Gutes gethan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels gethan haben, zur Auferstehung des Gerichts."
Beachten wir also: Zur Deutlichkeit der heiligen Schrift gehört nur, daß uns das Das in der heiligen Schrift klar vorgelegt wird, nicht das Wie und Warum. Hieran sollen wir immer denken beim Lesen der heiligen Schrift. Wir sollen beim Lesen der heiligen Schrift nur dahin sehen, ob es Gott gesagt habe, nicht, wie es möglich sei? Wenn wir immer mit der Frage bei der Hand sind: „Wie ist das möglich?" „Wie soll ich mir das vorstellen?", machen wir uns die heilige Schrift dunkel, obwohl alle seligmachenden Wahrheiten klar ausgesprochen vorliegen.
Quenstedt schreibt: „Man unterscheide zwischen der Begreiflichkeit der Dinge, welche in der Schrift offenbart werden, und der Deutlichkeit der Worte, mit welchen die offenbarten Dinge ausgedrückt werden; nicht um jene, sondern um diese handelt es sich nur. Wir erkennen nämlich an, daß in der heiligen Schrift viele Geheimnisse vorgelegt werden, die von der Welt her verborgen sind, Eph. 3, 9. Kol. 1, 26., die kündlich groß sind, 1 Tim. 3, 16., und welche über den Verstand, über die Vernunft, über die Natur und jegliches Begreifen hinausgehen, und welche dem menschlichen Verstände, besonders in diesem Leben, unerforschlich sind. Aber wir leugnen, daß diese Geheimnisse in dunkler Rede und zweideutigen Worten in der Schrift vorgelegt werden. ,Was himmlisch, geheim und uns verborgen ist, wird offenbar und allen klar, indem es durch die Schrift offenbart wird*, sagt Rivetus. .Deshalb gebraucht Gott des Mittels der Schrift, damit wir vermittelst dieses Auslegers erkennen, was wir von Natur nicht wissen', sagt Hülsemann." (I, 169.)
Derselbe: „Von den dunkelsten Sachen kann klar, von den erhabensten einfach, von schwierigen leicht, von verborgenen offen geschrieben werden. So ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes ein sehr großes Geheimnis, 1 Tim. 3,16. Es giebt aber über dieselbe viele Bibelstellen, die Heller als die Sonne selbst sind. Zu den Geheimnissen wird gezählt die Rechtfertigung eines Sünders vor Gott und die Auferstehung des Fleisches. Aber kann man sich etwas Deutlicheres wünschen, als was der Apostel über jene im Briefe an die Römer, über diese im 15ten Kapitel des ersten Briefes an die Korinther geschrieben hat? Man muß in Bezug auf die Geheimnisse
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zwischen dem „daß" und dem „darum" unterscheiden. Jenes spricht die Schrift deutlich genug aus ; wenn sie dieses nicht erklärt, so ist es zur Seligkeit nicht zu wissen nötig. Z. B. lese ich klar in der Schrift, daß ein Gott und drei Personen seien, daß der Sohn Gottes vom Heiligen Geiste empfangen, aus der Jungfrau Maria geboren sei. Wer aber, damit nicht zufrieden, neugierig nach der Weise und Beschaffenheit forscht, der hat keinen Grund, die heilige Schrift als dunkel zu verschreien, sondern Veranlassung, seinen Frevelmut zu verdammen. Der Glaube stützt sich nicht auf Vernunftbeweise, sondern auf das göttliche Zeugnis." (A. a. O. I, 185.)
Derselbe: „Die dunkelste Sache kann mit den einfachsten und klarsten Worten vorgelegt werden. Und wiederum : die klarste Sache kann in die dunkelsten Worte eingehüllt werden." (A. a. O. I, 184.)
Auch Luther kommt auf diesen Punkt in seiner Schrift gegen Erasmus. Letzterer äußerte sich dahin: Auch du, Luther, mußt zugeben, daß die Schrift dunkel sei. Wie dunkel ist z. B. die Lehre von der Dreieinigteil, der Menschwerdung des Sohnes Gottes u. s. w.! Darauf antwortet Luther: „Derhalben siehest du, wie unfleißig und schläfrig du dieselbigen Sprüche hast angesehen, und wie uneben dieselbigen von dir zu Markte gebracht sind, wie fast alle Sprüche und Gründe, damit du den freien Willen willst erhalten. Also reimen sich auch die Exempel gar nichts, damit du doch heimlich willst, weiß nicht was, gestochen haben, von den dreien Personen der Gottheit, 1 Joh. 5, 7.; von der Vereinigung der Menschheit und Gottheit Christi, Joh. 1,14.; von der Sünde in den Heiligen Geist, Matth. 12, 13. Welche Artikel du sagst, daß sie auch noch dunkel und unberichtet stehen. Denn so du damit willst gemeint haben der Sophisten vergebliches Gezänk, das sie bei diesen Stücken aufgebracht, was hat dir da das Wort Gottes gethan und die reine heilige Schrift, daß du der willst der heillosen Sophisten Mißbrauch schuld geben? Die Schrift redet klar genug davon, und saget, daß drei Personen ein Gott seien, 1 Joh. 5, 7.; daß Christus wahrer Mensch und Gott sei, Gal. 4, 4. Hebr. 2, 14.; daß eine Sünde Wider den Heiligen Geist sei, die nicht vergeben werde, Matth. 12, 31. Mark. 3, 28. 29. Da ist nichts Dunkles oder Finsteres. Wie aber das alles zugehe, das drückt die Schrift nicht aus, ist auch nicht not zu wissen. Die Sophisten haben da ihre Träume nach ihren Köpfen hergebracht. Die magst du schelten, die heilige Schrift ist freilich unschuldig. So du aber mit deinen Worten diese Artikel an ihnen selbst willst gemeinst haben, als seien sie dunkel, hast du aber die Schrift nicht zu schelten, sondern vielmehr die Arianer und dergleichen, denen das Helle Evangelium verdeckt ist gewesen, daß sie die klaren Sprüche von der Dreieinigkeit, von der Menschheit und Gottheit Christi durch Verblendung des Teufels nicht gesehen haben." (Dresdener Ausg. S. 17. 18.)
Ferner schreibt Luther: „Ja, nach der Weise aber, wenn mir darum
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die Schrift soll dunkel sein, daß ich viel nicht verstünde, möchte ich auch sagen, die Sonne wäre dunkel, wenn ich wollte die Augen verdecken oder aus dem Licht ins Finsternis gehen. Was zeihen aber die armen blinden Menschen die Schrift und das heilige reine Wort Gottes, daß sie um ihrer Blindheit willen soll dunkel genennet werden?... Es ist zweierlei Klarheit und zweierlei Dunkelheit der Schrift. Eine ist äußerlich an der Schrift selbst, wie sie da liegt: und daselbst ist nichts Dunkels oder Zweifelhaftiges, sondern ist alles durch die Hellen Worte der Schrift klar ans Licht gegeben der ganzen Welt, was für Hauptstücke die Schrift in sich hält. Die andere ist inwendig im Herzen, daß einer die geistlichen Sachen und Dinge, so die Schrift vorhält, erkenne und verstehe, 1 Kor. 2, 14.: und so du von derselbigen redest, so ist kein Mensch auf Erden, der den geringsten Titel von der Schrift verstehet oder siehet, ohne diejenigen, so Gottes Geist haben." (Walch XVIII, 2070 ff.)
Chemnitz: „Auch wo die heilige Schrift von den höchsten Glaubens Geheimnissen redet, redet sie doch klar und deutlich. Die Schrift redet ohne Verwirrung von der Mitteilung der Majestät. Die Schrift selbst, welche auf keinerlei Weise Verwirrung lehrt, sagt, daß Christo das lebendigmachende Leben und die Macht, das Gericht zu halten, gegeben sei, darum, daß er des Menschen Sohn ist." (Vs äuadus rmturis in Odristo.)
Diesen Fehler der Verwechselung der Deutlichkeit der Schrift und Begreiflichkeit ihres Inhalts begehen auch fortwährend unsere Gegner im gegenwärtigen Lehrstreit. Sie haben sich schon dahin drängen lassen, daß sie diejenigen Stellen der Schrift, welche eigentlich von der Wahl handeln, für dunkel erklären. Die Schrift sagt klar und deutlich genug, daß die Christen die geistlichen Güter, welche ihnen in der Zeit zu teil werden, ihre Berufung, Bekehrung, Rechtfertigung, Erhaltung und schließliche Einführung in das ewige Leben Gottes ewigem Erbarmen zuschreiben sollen, dem Umstande, daß Gott sie schon von Ewigkeit mit all diesen Wohlthaten bedacht hat. Wie kann man anders die Stelle Eph. 1, 3. ff. verstehen? Der Apostel Paulus heißt da die Christen Gott also preisen: „Gelobet sei Gott und der Vater unseres HErrn JEsu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum." Und gleich im folgenden Verse heißt es weiter: „Wie er uns denn erwählet hat durch denselbigen, ehe der Welt Grund geleget war." Jeder, der die Stelle ohne Vorurteil liest, sieht: der heilige Apostel will die Christen anleiten, den geistlichen Segen, der ihnen in der Zeit zu teil geworden ist, auf Gottes ewige Wahl in Christo zurückzuführen. 2 Tim. 1, 9. heißt es: „Der uns hat selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unfern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo JEsu vor der Zeit der Welt." Uns, uns Christen, sagt hier der Apostel, hat Gott aus der Welt durch seinen Gnadenruf herausgenommen und in den Gnadenstand, in welchem wir selig werden, versetzt. Was ist die Ur-
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sache? Der Apostel sagt: „Nicht nach unfern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade." Man muß ja blind sein, wenn man nicht sieht, in welches Verhältnis die ewige Wahl zu unserem Zustande, in welchem wir die Seligkeit haben, hier gesetzt werde, nämlich daß wir die Seligkeit haben infolge der Wahl, nicht der Werke. Aber nun erklärt man, daß die Stellen, welche so speziell von der „Personen-Wahl" handeln, dunkel seien. Warum denn sollen sie dunkel sein? Man sagt, man könne nicht einsehen, wie sich diese Stellen mit ändern Stellen heiliger Schrift reimen, wo gesagt wird: Gott will, daß allen Menschen geholfen werde. Man meint : Hat Gott von Ewigkeit die Erwählten, die doch nur einen Teil der Menschen ausmachen, zur Berufung, Bekehrung u. s. w. erwählt, so muß er die Verlorengehenden nicht haben selig machen wollen. Um begreifen zu können, wie die Lehre von der Wahl nicht der Lehre von der allgemeinen Gnade widerspreche, dürfe man die Wahl nicht eine U r -sache der Berufung, des Glaubens u. s. w. bestimmter Personen nennen. Die Stellen, welche von der „Personenwahl" handeln, seien dunkle Stellen. Aber die Schrift sagt beides, sowohl daß Gott alle Menschen ernstlich selig machen wolle, als auch, daß die Seligwerdenden infolge ihrer ewigen gnädigen Erwählung zur Berufung, Bekehrung und schließlich zur Seligkeit kommen. Wir dürfen daher nicht leugnen, daß die Wahl eine Ursache des Glaubens der Erwählten sei, wenn unsere Vernunft auch nicht begreifen kann, wie diese Lehre zu der Lehre von der allgemeinen Gnade paffe. Indem unsere Gegner leugnen, daß Gott uns durch die ewige Wahl mit dem Glauben und der Erhaltung im Glauben bedacht habe, machen sie auch einen herrlichen Trost der Christen zu nichts, auf welchen Trost unser Bekenntnis mit den Worten aufmerksam macht: „ES giebt auch also diese Le.hre den schönen herrlichen Trost, daß Gott eines jeden Christen Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit so hoch ihm angelegen sein lassen, und es so treulich damit gemeinet, daß er, ehe der Welt Grund geleget, darüber Rat gehalten und in seinem Fürsatz verordnet hat, wie er mich dazu bringen und darinnen erhalten wolle. Item, daß er meine Seligkeit so Wohl und gewiß habe verwahren wollen, weil sie durch Schwachheit und Bosheit unseres Fleisches aus unfern Händen leichtlich könnte verloren, oder durch List und Gewalt des Teufels und der Welt daraus gerissen und genommen werden, daß er dieselbige in seinem ewigen Vorsatz, welcher nicht feilen oder umgestoßen werden kann, verordnet, und in die allmächtige Hand unseres Heilandes JEsu Christi, daraus uns niemand reißen kann, zu bewahren geleget hat, Joh. 10., daher auch Paulus saget Röm. 8.: Weil wir nach dem Fürsatz Gottes berufen sind, wer will uns denn scheiden von der Liebe Gottes in Christo?" (M. S. 714.)
Unser Glaube stützt sich nicht darauf, daß wir einsehen, wie ein Artikel des Glaubens mit dem ändern vernunftgemäß Zusammenhänge, sondern
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ruht auf den klaren Aussagen des Wortes Gottes über jeden Glaubensartikel. Hier gilt auch nicht die Ausflucht: „Die Vernunft ist doch auch eine Gabe Gottes, man muß sie daher auch in der Theologie bei dem Urteil, ob etwas wahr oder falsch sei, gebrauchen." Es giebt viele herrliche Gottesgaben, aber man kann und soll sie nicht zu allem ohne Unterschied gebrauchen. Die Hände z. B. sind eine schöne Gabe Gottes; wenn ich nun aber jemand aus den Händen laufen sähe, würde ich ihm doch sagen, er sei närrisch. Und er kann mir nicht erwidern, die Hände seien eine herrliche Gabe Gottes. Das bezweifelt niemand. Aber man soll die Gaben Gottes auch so gebrauchen, wie Gott sie gebraucht haben will. So ist auch die Vernunft ein herrlich Licht, wie Luther wiederholt sagt, aber nur in zeitlichen, irdischen Dingen, in Dingen, die dieses Leben betreffen. Aber in geistlichen Dingen, in Dingen, die das geistliche und ewige Leben betreffen, hat sie nichts zu sagen, das heißt, hat sie kein Urteil zu fällen, ob etwas wahr oder nicht wahr sei. Und das aus dem einfachen Grunde, weil sie von diesen Dingen nichts versteht. Wie denn Gottes Wort sagt 1 Kor. 2, 14.: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Thorheit und kann es nicht erkennen." Die menschliche Vernunft in geistlichen Dingen urteilen lassen, ist ebenso thöricht, als einen Blinden zum Beurteilen von Farben anzustellen.
Wir reden hier natürlich von der menschlichen Vernunft als Rich -terin und Urteilerin in geistlichen Dingen. Den sogenannten werk -zeuglichen Gebrauch der Vernunft verwerfen wir nicht. Vermöge des werkzeuglichen Gebrauchs der Vernunft fassen wir äußerlich das Wort der Schrift auf, durch welches dann der Heilige Geist das geistliche Verständnis des Glaubens wirkt. Wie das Ohr des Menschen das Werkzeug ist, den äußeren Schall aufzunehmen, so dient die Vernunft oder das Vernünftigsein des Menschen dazu, das Wort Gottes äußerlich zu vernehmen. Wie aber nicht das Ohr, sondern der Geist des Menschen den Schall innerlich auffaßt, so faßt die geistlichen Dinge, den geistlichen Sinn des Wortes Gottes nicht die menschliche Vernunft, sondern der Glaube.
Viel Unfug wird in unseren Tagen mit der sogenannten erleuchteten Vernunft getrieben. Man meint, wenn der Mensch wiedergeboren sei, dann werde die natürliche Vernünftigkeit des Menschen befähigt, geistliche Dinge zu verstehen und zu beurteilen. Doch das ist ein großer Irrtum! Auch dem Wiedergeborenen sind die Artikel des christlichen Glaubens, z. B. die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit, von der Menschwerdung des Sohnes Gottes, von der Rechtfertigung u. s. w., unbegreifliche, ja, widerspruchsvolle Dinge, soweit das Urteil seiner Vernunft in Betracht kommt. Mit der Vernunft versteht auch der Wiedergeborene nichts von diesen Dingen. Das einzige Organ, daß man sich so auSdrücke, womit auch nach der Wiedergeburt geistliche Dinge ausgenommen und festgehalten werden, ist der Glaube. Die rechte Handhabung
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der Vernunft von seiten des Wiedergeborenen besteht darin, daß er sie immer in ihre Schranken weist, indem er ihr sagt : die geistlichen Dinge sind solche Dinge, welche nicht in dein Gebiet gehören und in welchen du daher nichts zu sagen hast; bleibe du bei den Dingen, die dieses Leben betreffen. Gerade wie man den alten Adam nicht kultivieren, sondern „ersäufen" soll, wie Luther redet, so soll man die Vernunft in geistlichen Dingen nicht erleuchten, sondern gefangen nehmen.
Es wurde noch auf einige Stellen hingewiesen, die man gegen die Deutlichkeit der heiligen Schrift angeführt hat. Die Papisten berufen sich auf 1 Kor. 13, 12., um die Dunkelheit der heiligen Schrift zu beweisen. Es heißt daselbst: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkennet bin." Die Papisten sagen: Hier nennt die Schrift selbst das Wort, durch welches göttliche Lehre vorgestellt wird, ein dunkles Wort; also ist die Schrift nicht klar und hell, wie ihr Lutheraner behauptet. Man achte jedoch auf den Zusammenhang, in welchem 1 Kor. 13, 12. das Wort ein „dunkles Wort" genannt wird. Es findet hier eine Gegenüberstellung der Erkenntnis, die wir in diesem Leben durchs Wort haben, und der Erkenntnis, die wir in jenem Leben haben werden, statt. Diese Gegenüberstellung ist durch das „jetzt" und das „dann" bezeichnet. „Jetzt" bezieht sich auf dieses Leben, „dann" auf das ewige Leben. Wenn wir nun die Erkenntnis, die wir Von den himmlischen Dingen in diesem Leben durch den Glauben an das Wort haben, mit der Erkenntnis, die wir einst in jenem Leben durch das Schauen haben werden, vergleichen, dann ist die Erkenntnis, die wir jetzt haben, allerdings nur dunkel. Wir erkennen hier nicht die Dinge, wie sie an sich selbst sind, sondern eingehüllt in menschliche Worte. Melanchthon hat zu dieser Stelle bemerkt: „Das Wort ist gleichsam eine Hülle des Verborgenen und Wunderbaren, das wir im himmlischen Leben mit Augen schauen werden." Dann ist noch zu bemerken, daß an ändern Orten der Schrift, wo kein Vergleich mit dem ewigen Leben stattfindet, diese Erkenntnis, welche wir durch das Wort haben, eine Helle genannt wird. Vergl. 2 Kor. 4, 6.: „Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervor leuchten, der hat einen Hellen Schein in unsere Herzen gegeben." Zudem beweisen die Papisten zu viel, wenn sie aus 1 Kor. 13. die Dunkelheit der Schrift beweisen wollen. Denn der Apostel schließt sich auch selbst mit ein, wenn er schreibt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort." Folgte aus diesen Worten, daß die Schrift dunkel sei, so wäre sie auch dem Apostel Paulus dunkel gewesen. Und das wollen doch die Papisten selbst nicht. Oder sie müßten annehmen, daß der Pabst bester die Schrift verstehe, als Paulus.
2 Petr. 3, 15. 16. heißt es: „Und die Geduld unsers HErrn achtet für eure Seligkeit, als auch unser lieber Bruder Paulus, nach der Weis-
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heit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat. Wie er auch in allen Briefen davon redet, in welchen sind etliche Dinge schwer zu verstehen, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen, wie auch die ändern Schriften, zu ihrer eigenen Verdammnis." Aus dieser Stelle wollen die Papisten ebenfalls die Dunkelheit der heiligen Schrift beweisen. Doch Petrus redet hier gar nicht davon, daß in Pauli Briefen manches dunkel aus gedrückt sei, sondern davon, daß etliche Dinge, von denen er redet, von solcher Beschaffenheit seien, daß sie schwer verstanden werden können. Er redet also nicht von der Dunkelheit der Worte, sondern von der Unbegreiflichkeit der Sachen. Und diese unbegreiflichen Sachen werden von den „Ungelehrigen und Leichtfertigen" verwirrt. Daß eine Verwirrung entsteht, ist also nicht Schuld der Schrift, sondern der thörichten Menschen, was auch daraus hervorgeht, daß sie nicht bloß die schwerverständlichen Dinge, sondern „auch die ändern Schriften" verwirren. An dieser Stelle steht also gerade das Gegenteil von dem, was die Papisten aus derselben beweisen wollen. Die Papisten sägen, die Briefe seien dunkel; Petrus aber sagt, etliche Dinge in den Briefen seien schwer zu verstehen. Die Papisten sagen, daß diese Dinge die Leute verwirren, daß also die Dinge schuld daran seien, daß die Leute verworrene Vorstellungen bekommen; Petrus aber sagt: Die Leute nehmen die hohen Dinge her und bringen sie in Verwirrung. Auch steht da, die Leute, welche die schwerverständlichen Dinge verwirren, sind nicht weise, kluge, fromme Kinder Gottes, sondern Leute, die nichts lernen können und doch Meister sein wollen, und endlich, daß sie ob ihrer Thätigkeit nicht zu loben sind, wie die Papisten gerne möchten gelobt sein, sondern ob derselben der Verdammnis anheimfallen. Also gerade in der Stelle, womit die Papisten uns die Dunkelheit der heiligen Schrift beweisen wollen, wird ihre schändliche Lehre widerlegt.
Auch in unserer Zeit tragen die Papisten die Lehre von der Dunkelheit der Schrift frech vor. Ein Jesuit predigte kürzlich zu Z. über die Bibel. Dabei sagte er unter anderem: Die Bibel! — die Bibel! Seht mich an, ich bin ein gelehrter Mann, und doch verstehe ich einige Dinge in derselben nicht, und nun ihr ungelehrten Handwerker, was wollt ihr verstehen? Ich will euch was sagen: Nehmt alle Bibeln, die euch die Lutheraner anbieten, und werft sie ins Feuer! Das ist der rechte Gebrauch! —
Gerhard schreibt über die Stelle 2 Petr. 3.: „Wenn man die Worte genau ansieht, so sagt Petrus nicht, die Briefe Pauli seien dunkel, sondern in denselben würden einige Dinge vorgelegt, die schwer zu begreifen sind, in den Dingen nämlich, von welchen der Apostel Paulus geschrieben hat. Es redet aber Paulus, wie aus dem Zusammenhänge hervorgeht, von dem jüngsten Tage und von dem Untergange der Welt. Demnach gehört jenes ,in welchen' (,S„.,!?') nicht zu dem Worte »Briefes sondern zu dem Worte »davon' (,7rx/>) 7-<iÜ7-ü->,')." (I,. äs Kcript. s. § 426.)
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Thesis VII.
Daß diese Deutlichkeit der heiligen Schuft zukomme, sagt sie selbst, indem sie
a. sich diese Eigenschaft selbst beilegt,
b. sich als Gottes Wort darstellt, der klar reden wollte und konnte,
6. alle Christen in sich das Heil suchen und alle falsche Lehre durch sich abweisen heißt.
*) Wir haben in der fünften These gesagt, was wir unter der Deutlichkeit der heiligen Schrift verstehen, und in der sechsten These sonderlich darauf aufmerksam gemacht, daß man Deutlichkeit und Vernunftmäßigkeit der Schrift nicht verwechseln dürfe. In der siebenten These folgt der Schriftbeweis für die Deutlichkeit der heiligen Schrift.
Luther sagt in seinem Buch gegen Erasmus, es sei eigentlich ungehörig, noch erst zu beweisen und viel Worte darüber zu machen, daß die Schrift klar und deutlich sei. Die Schrift sei das primuw xrincixium, der oberste Grundsatz, durch welchen man alles andere in der Christenheit beweise; sie selbst und speziell ihre Deutlichkeit brauche demnach nicht erst bewiesen zu werden. Aber Luther giebt zu, daß man die Deutlichkeit der Schrift einschärfen müsse, „dieweil die Leute durch die teuflischen Lehren des Pabstes und der Papisten eines ändern überredet wären, nämlich daß die Schrift dunkel sei und mancherlei Verstand habe".
Die Papisten behaupten allerdings aufs ausdrücklichste die Dunkelheit und Undeutlichkeit der heiligen Schrift. Die einen von ihnen sagen, die ganze Schrift sei dunkel und zweideutig; die ändern, wenigstens einige Artikel, die man, um selig zu werden, glauben müsse, seien in der heiligen Schrift nicht deutlich offenbart.
Die kölnischen Jesuiten schrieben im Jahre 1560: „Alles und jedes, was in der heiligen Schrift verfaßt ist, ist in so große Dunkelheit eingehüllt, daß auch nicht einmal die Gelehrten eine sichere Erkenntnis aus derselben gewinnen können, wenn sie dieselbe nicht anderswoher entnehmen." (Osu-sura u. s. w. Bei Gerhard, 1^. 6s 8. 8. § 423.)
Der Jesuit Canisius: „Die heilige Schrift ist in den Dingen, welche sie enthält und vorlegt, einer wächsernen Nase gleich und gewährt keine sichere und unerschütterliche Erkenntnis, sondern eine solche, welche auf jede Auslegung gezogen werden kann." (Bei Gerhard, 1. c.) Ja, die Papisten entblöden sich nicht, zu behaupten, es sei ein ketzerischer Irrtum, wenn man lehre, die Schrift sei klar und aus sich selbst verständlich. Eine wahre Gotteslästerung!
Auch die Schwärmer erklären die Schrift für dunkel. Sie nennen
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*) Protokoll des Herrn k. H. Schulze.
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sie einen toten Buchstaben, von welchem nicht die rechte Erleuchtung ausgehen könne. Sie wollen ja die geistliche Erkenntnis unmittelbar aus dem Geist holen. So können sie keine Helle und klare Schrift brauchen; es ist ihnen nicht Wohl bei einer Hellen und klaren Schrift; denn ihr Geist verträgt sich nicht mit der Schrift. So muß die Schrift dunkel sein. — Alle Jrr-lehrer bedienen sich gern dieses Kunstgriffs, daß sie wenigstens gewisse Stellen -er Schrift, die ihnen unbequem sind, das heißt, die ihren Irrtum strafen, für dunkel erklären. So erklärte man auch in dem gegenwärtigen Lehrstreit gewisse Stellen, die eigens von der Gnadenwahl handeln, für dunkel.
Doch, daß die heilige Schrift deutlich sei, geht erstlich daraus hervor, daß sie sich selbst diese Eigenschaft beilegt, 5 Mos. 30,11—14.: „Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen, noch zu ferne, noch im Himmel, daß du möchtest sagen: Wer will uns in den Himmel fahren und uns holen, daß wir's hören und thun? Es ist auch nicht jenseit des Meers, daß du möchtest sagen: Wer will uns über das Meer fahren und uns holen, daß wir's hören und thun? Denn es ist das Wort fast nahe bei dir in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es thust." Der Sinn dieser Stelle ist offenbar dieser: Ihr wißt, was Gott von euch haben will. Die Rede, in welche mein Gebot, meine Offenbarung gefaßt ist, ist euch nicht etwas Fremdes, Unbekanntes, Unverständliches, sondern es ist die Sprache deiner Heimat., In einer Rede, wie ihr sie täglich im Munde führt, ist euch Gottes Wille offenbart. Die Papisten wenden ein: es sei hier nicht vom leichten Verstehen, sondern vom leichten Thun der Gebote Gottes die Rede. Doch was die Menschen thun können, müssen sie auch vorher verstehen. Was man nicht verstehen kann, kann man noch viel weniger thun. —
2 Petr. 1, 19.: „Wir haben ein festes prophetisches Wort" u. s. w. Das prophetische Wort ist zunächst das Alte Testament. Darauf sollen die, an welche Petrus schreibt, achten. Warum? „Es ist ein Licht, das dascheinet an einem dunklen Ort." Der dunkle Ort ist der Zustand der Menschen in diesem Leben, weil sie aus sich selbst in geistlichen Dingen nichts wissen. In diesem Zustand aber ist die Schrift ein Licht, welches das Dunkel erhellt. Also ist die Schrift an sich klar; sonst könnte sie der Heilige Geist nicht ein Licht nennen.
Ps. 119,105.: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege." Das Wort ist das Wort der Schrift. Der Weg ist der Weg des Lebens, den wir zu gehen haben, um das himmlische Jerusalem zu erreichen. Dieser Weg ist uns, wie wir von Natur sind, in Nacht und Dunkelheit gehüllt. Durch Gottes Wort aber wird die Nacht und Dunkelheit verscheucht. Was einem Wanderer, der in der Nacht einen Weg zurüchulegen hat, ein Licht ist, durch welches er den rechten Weg erkennt und den falschen meidet, das ist einem Menschen in Bezug auf den Weg zur Seligkeit Gottes geoffenbartes Wort.
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Was sagen denn wohl die Papisten zu solchen Stellen, welche äufs klarste die Deutlichkeit der Scbrift lehren? Ihre Einwendungen sind oft geradezu kindisch. Sie sagen z. B.: Die Schrift ist freilich ein Licht, aber ein solches, welches nicht durch sich selbst, sondern erst durch die Auslegung des Pabstes und der Kirche leuchtet. Was aber nicht durch sich selbst leuchtet, kann nicht schlechthin ein Licht genannt werden, wie doch die Schrift selbst sich in einem uneingeschränkten Sinne ein Licht nennt. Ein Licht, das nicht durch sich selbst leuchtet, ist ein Unbegriff, wie wenn man sagt: Hier ist Eisen, das aus Holz besteht. Ein Licht hat gerade den Namen davon, daß es leuchtet. Die Papisten dichten hier dem Heiligen Geist wirklich eine Redeweise an, nach welcher lueus a non lueeuäo benannt wird. Danach wäre auch die ägyptische Finsternis ein Licht zu nennen, weil sie durch Licht von Gott wieder erhellt wurde.
Quenstedt: „Die Papisten halten uns entgegen, die Schrift würde zuweilen von den Vätern leicht verständlich, klar und deutlich genannt wegen des klaren und deutlichen Auslegers. Ich antworte: Auf diese Weise konnten auch die Rätsel der Sphynx klar und deutlich genannt werden, weil Ödipus sie auflösen konnte. Wer sieht nicht, daß so nur zugegeben wird, die Schrift sei zufälligerweise klar (per ascriäsnL)? Auf diese Weise wäre zwischen den geschriebenen Aussprüchen Gottes und den delphischen Orakeln kein Unterschied, und die Schrift wird dann die Sphynx, und der Pabst Ödipus sein." (I, 183.)
Wenn die Papisten sagen, das Wort Gottes würde durch das Licht der Kirche hell, so kehren sie das Verhältnis gerade um. Denn nicht ist das Wort Gottes hell, insofern die Kirche es erleuchtet, sondern die Kirche ist hell, insofern Gottes Wort sie erleuchtet. — Die heilige Schrift ist, das da leuchtet. Durch sie können wir uns selbst erkennen, die Hölle, die Welt, den Himmel, Gott und sein väterliches Herz. Wie die Weisen durch den Stern, wie die Kinder Israel durch die Feuersäule geführt wurden, so wir durch die Schrift.
Wir haben in der ersten These gesehen: Die Schrift ist Gottes Wort. Kein anderer, als Gott, redet durch Menschen zu uns in der Schrift. Damit ist auch die Klarheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift erwiesen. Menschen wollen oft klar reden, aber es gelingt ihnen nicht oder doch nur teilweise infolge der menschlichen Gebrechlichkeit. Aber der Redende in der Schrift ist Gott, der Allweise und Allwissende. So kann in der Schrift kein Irrtum, kein Versehen, kein ungereimter Ausdruck, der die darzustellende Sache nicht klar ausdrückt, Vorkommen. Dem rechten Gedanken ist immer der rechte, entsprechende Ausdruck gegeben; kurz: die auszudrückenden Gedanken sind auch immer wirklich klar und deutlich ausgedrückt. Die Werkzeuge, durch, welche Gott in der Schrift mit uns redet, waren ja freilich auch menschlich, gebrechlich. Sie hätten, wenn sie sich selbst überlassen gewesen wären, sicherlich nicht immer recht und klar
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geredet. Aber Gott überließ sie nicht sich selbst, sondern legte seine Worte in ihren Mund. 5 Mos. 4,10. klagt Moses: „Ach, mein HErr, ich bin je und je nicht wohl beredt gewesen, denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge." Und was antwortet ihm Gott? „Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst." Was Gott hier an Mose that, war auch der Fall bei den heiligen Schreibern. Ferner: Bei Menschen kommt es auch vor, daß sie nicht deutlich reden wollen, wenn sie auch können. Die Furcht z. B. bindet ihnen oft die Zunge, so daß sie nicht klar heraussagen, was sie meinen, oder sie haben einen ändern Beweggrund, weshalb sie ändern nicht ihr Herz, ihre Gesinnung offenbaren wollen. Aber Gott wollte mit uns durchaus deutlich reden in der heiligen Schrift. Er wollte den Menschen rückhaltslos ihren verlorenen Zustand offenbaren durch das Wort des Gesetzes. Durch das Gesetz sollte Erkenntnis der Sünden kommen. Er wollte aber auch den Menschen die Fülle des Trostes erschließen durch das Evangelium von der Vergebung der Sünden durch Christum. Joh. 20, 31.: „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, JEsus sei Christ, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen." Ja, Gott wollte deutlich reden und hat uns somit aufs klarste offenbart, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen not ist. So deutlich hat Gott seine gnädige Gesinnung offenbart, daß sich die Christen rühmen können : Wir wissen Gottes Sinn, wir wissen, was uns von Gott gegeben ist. 1 Kor. 2,11.12.
Hoffmann: „Ein betrügerischer, kein ehrlicher Mensch bedient sich zweideutiger Aussprüche nach Art des berüchtigten delphischen Orakels. Wenn aber jemand unabsichtlich falscher Rede sich bedient, die zweideutig ist und auf mancherlei Sinn gezogen werden kann, so verrät das Unwissenheit und wenig Umsicht. An nichts derart aber kann bei den heiligen Schreibern gedacht werden." (1-soI. ex. p. 15.)
Wenn man also wirklich glaubt, die Schrift ist Gottes Wort, so versteht sich die Deutlichkeit der heiligen Schrift von selbst.
Lactantius: „Sollte derselbe nicht deutlich und verständlich genug reden können, welcher die Menschen lehret alles, was sie wissen, der Zunge und Verständnis den Menschen gegeben hat?"
Daß die heilige Schrift deutlich sei, ist endlich auch damit ausgesagt, daß sie alle Christen in sich das Heil suchen und alle falsche Lehre durch sich abweisen heißt. Die Schrift heißt alle Christen in sich das Heil suchen. Das haben wir schon früher aus Joh. 5, 39. und Luk. 16, 29. bewiesen. Ist dies aber der Fall, so muß es für alle Christen dort zu finden sein, es muß in der Schrift klar und deutlich von dem Heil geredet sein. Und zwar klar und deutlich für alle, für Gelehrte und Ungelehrte, für jung und alt. Das sagt denn die Schrift auch noch mit ausdrücklichen Worten. Ps. 19, 8.: „Das Zeugnis des HErrn ist gewiß und macht die Albernen weise." Die Albernen sind die Unerfahrenen, der Weisheit
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Ermangelnden. 2 Tim. 3, 15.: „Weil du von Kind auf" u. s. w. Hier sagt Paulus, daß Timotheus von Kind auf die heilige Schrift wisse. Die Schrift offenbart demnach das Heil so deutlich, daß es selbst von Kindern aus derselben gefaßt werden kann. Luther: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben. 2 Tim. 3,16. Was nun zur Lehre gegeben ist, das muß deutlich sein." (Wider Erasmus. S. 16 Dresdener Ausg.) — Alle falsche Lehre heißt die Schrift durch sich abweisen. 1 Joh. 4,1. heißt es: „Glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind." Und St. Paulus schärft den Christen ein Röm. 16,17.: „Ich vermahne euch aber, lieben Brüder", u. s. w. Und der HErr selbst spricht: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten." Nach welchem Prüfstein, nach welcher Regel aber sollen die Christen diese Prüfung anstellen ? Etwa nach ihrem eigenen Kopf, nach ihren eigenen Gedanken, die sie sich von Gott und göttlichen Dingen machen? Nein, nach dem Gesetz und Zeugnis, nach der heiligen Schrift soll diese Prüfung angestellt werden. Soll aber das geschehen, so muß die heilige Schrift deutlich sein. Denn sonst würden die Christen durch sie nicht die falsche Lehre erkennen und zurückweisen können. Nur nach einer klaren-Regel kann man urteilen und prüfen.
Leider stellen wir uns selbst auch oft so, als ob die Schrift dunkel sei. Wir haben oft so wenig Mut, zu sagen : „Es stehet geschrieben." Wir sind oft recht kleinmütig, den Glauben, den wir aus der Schrift geschöpft haben, zu bekennen. Warum? In uns lebt nicht genug die Wahrheit: „Dein Wort ist wahr, dein Wort ist klar." Wenn wir uns immer lebendig gegenwärtig hielten: Die Schrift ist klar, ich weiß ja, was ich glauben und bekennen soll, so würde es mit dem Glauben und Bekennen durch Gottes Gnade oft besser gehen.
Es wurde noch bemerkt: Auch in Predigten über die Perikopen haben wir Veranlassung, diesen Gegenstand zu berücksichtigen. Z. B. im Evan -gelium am 3ten Weihnachtsfeiertage, Joh. 1, 5. und 9. Die Erleuchtung, von welcher hier die Rede ist, geschieht durchs Wort. Dasselbe kann daher nicht selbst dunkel sein.
Im Evangelium am Fest Johannis des Täufers. Luk. 1, 78. heißt Christus der Aufgang aus der Höhe. Derselbe besucht uns nicht anders, als durch sein Wort. Das ist das Helle Licht. Dadurch geht der Morgenstern auf in unserm Herzen.
Im Evangelium am 25sten Sonntag nach Trinitatis. Matth. 24, 15.: „Wer das liefet, der merke drauf." Dürfen wir dem HErrn JEsu zutrauen, daß er uns in die Finsternis, in ein dunkles Wort hineinschicken wollte?
In der Epistel am 5ten Sonntag nach Epiphanias. „Lasset das Wort Christi reichlich unter euch wohnen" u. s. w. Das wäre nichts als bitterer Spott, wenn die heilige Schrift dunkel wäre.
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Thesis VIII.
Indem wir behaupten, daß die heilige Schrift klar sei, erklären wir weder die Dienstleistung der Menschen zum Verständnis derselben für unnütz, noch das sorgfältige Forschen und die Erleuchtung des Heiligen Geistes für überflüssig.
Neben anderen Gaben giebt Gott in der Kirche auch die Gabe des besonderen Schriftverständnisses. So heißt es Apost. 18,24. von Apollo: Er war „mächtig in der Schrift". Damit ist doch ausgesprochen, daß Apollo vor ändern die Gabe hatte, die Schrift zu verstehen und auszulegen. — Nun sagen die Papisten, diese Gabe der Schriftauslegung, die sich bei einzelnen findet, erklärten wir für unnütz, wenn wir behaupteten, die Schrift sei so klar, daß jedermann aus derselben den Weg zur Seligkeit erkennen jönne. Sie verweisen uns auch auf solche Stellen der Schrift, in welchen wir Beispiele der Schriftauslegung haben. Apost. 8, 27. ff. wird berichtet, daß Philippus dem Kämmerer aus dem Mohrenlande das 53. Kapitel des Propheten Jesaias auslegte. — Luk. 24, 27. heißt es von Christo selbst, als er mit den Emmausjüngern wandelte: „Und fing an von Mose und allen Propheten, und legte ihnen alle Schrift aus, die von ihm gesagt war." Hieraus soll die Dunkelheit der Schrift folgen. Oder wir sollen zugestehen, daß nach unserer Lehre von der Klarheit der Schrift die Gabe der Schriftauslegung überflüssig sei. — Was die angeführten Beispiele betrifft, so folgt aus denselben durchaus nicht, daß die Schrift dunkel sei. Christus legte freilich den Jüngern, die nach Emmaus gingen, die Schrift aus; aber sagte er etwa dabei: „O, welch eine Dunkelheit der Schrift!"? „Die Schrift ist wirklich so dunkel, daß ihr aus derselben den Artikel von meinem Leiden und Sterben nicht erkennen konntet" ? Nein; er sagt: „O ihr Thoren und träges Herzens zu glauben alle dem, das die Propheten geredet haben." Der HErr spricht damit aus, daß sein Leiden und Sterben in der Schrift, im Alten Testament, klar ausgesprochen sei. Es fehlte den Jüngern nur an der Annahme des klar Ausgesprochenen, an dem Glauben an das Wort. Es lag also nicht an der Schrift, daß die Jünger aus derselben noch nicht erkannt hatten, daß Christus leiden und sterben müsse, sondern an der Jünger vorgefaßter Meinung. Diese hatten noch die Idee von einem irdischen, herrlichen Messias im Kopf, und so sahen sie, wie man zu sagen pflegt, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der HErr schilt deshalb, daß sie das, was die Propheten geredet hatten, was also klar ausgesprochen vor ihnen lag, nicht glackbten. Sein Auslegen bestand darin, daß er ihnen zeigte, was klar geschrieben stand. — Dasselbe ist von Philippus und dem Kämmerer zu sagen. —
Hieraus sehen wir auch zugleich, wozu ein Ausleger uns nütze ist, obwohl die in Frage kommenden Schriftstellen klar genug sind. Wir sind oft in gewissen vorgefaßten Meinungen befangen. Andere oder wir selbst
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haben uns Gedanken in den Kopf gesetzt, wie eine Lehre beschaffen sein müsse. Und weil wir unsere Lieblingsgedanken in den Schriftsteller: nicht finden, so erscheinen sie uns dunkel und unverständlich. Da können nun Schriftausleger uns zurechthelfen, indem sie uns nachdrücklich zur Schrift zurückrufen und die klaren Gedanken der Schrift zeigen, die wir übersahen. — Ferner: Es giebt ja allezeit Irrlehrer in der Kirche. Diese verdrehen auch die klarsten Stellen der heiligen Schrift und bringen durch ihre Sophistereien, die sie sich mit der Schrift erlauben, die Christen in Verwirrung. Da soll die Gabe der Schriftauslegung uns dazu dienen, daß der klare Sinn der Schrift gegenüber den Verdrehungen der Irrlehrer gerettet werde.
Es giebt aber auch, wie wir gesehen haben, solche Stellen in der Schrift, deren Sinn nicht sogleich jedermann in die Augen springt. Obwohl nun dem, der diese Stellen nicht sicher auszulegen weiß, nichts von dem seligmachenden Glauben abgeht, indem in den dunkleren Stellen nichts anderes steht, als in den klaren: so sollen doch auch diese dunkleren Stellen nicht ganz vergeblich in der Schrift stehen. Und hier findet nun die Gabe der Schriftauslegung ihre gottgewollte Verwendung. Was wir selbst nicht so bald oder so klar erkannt hatten, wird «ns durch die Dienstleistung; anderer alsbald erschlossen. — Endlich werden wir durch die rechte Schriftauslegung anderer sehr in der eigenen richtigen Auslegung bestärkt. Wir werden der rechten Auslegung um so gewisser. Daher gebrauchen wir mit Dank gegen Gott die Hilfeleistung anderer. —
Chemnitz: „Dankbar und mit Ehrfurcht gebrauchen wir die Arbeit der Väter, die viele Stellen der Schrift durch ihre Kommentare nützlich erklärt haben. Und wir bekennen, daß wir durch die Zeugnisse der alten Kirche nicht wenig in dem wahren und gesunden Sinn der Schrift bestärkt werden." (lLxamsu p. 57.)
Chemnitz: „Außerdem aber" (nämlich außer den klaren Stellen, welche alles enthalten, was uns zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist) „giebt es viele schwierige und dunkle Sprüche (ssntsutias) in der Schrift, deren Sinn nicht von jedermann sogleich auf den ersten Blick gefunden werden kann. Damit diese jedoch nicht vergeblich in der Schrift stünden oder eine Handhabe für den Irrtum abgäben, wollte Gott, daß in der Kirche die Gabe der Schriftauslegung da sei, welche — wie auch die Gabe, gesund zu machen, Wunder zu thun, in Sprachen zu reden — nicht allen gemeinsam ist. Wie Paulus 1 Kor.: ,Dem einen wird durch den Geist gegeben die Gabe, gesund zu machen; einem ändern, Wunder zu thun; einem ändern, mancherlei Sprachen; einem ändern, die Sprachen auszulegen? Und Gott will jene Gabe nicht verachtet oder fortgeworfen, sondern ehrerbietig gebraucht wissen als ein Mittel und Hilfsmittel, den wahren und gesunden Sinn der Schrift zu finden und zu verstehen. Wie der Kämmerer der Königin Kandace, Apost. 8., sagt: ,Wie kann ich es verstehen, so mich nicht jemand anleitet?' Und da er merkte, daß Philippus, der die Gabe
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der Auslegung hatte, ihm von Gott zugeführt sei, so nimmt er dankbarlich jenen zu sich auf den Wagen und spricht mit ihm über den Sinn der Stelle aus Jesaias." (1^. o.) —
Aber wird ein Christ dadurch, daß er den Dienst eines Auslegers in Anspruch nimmt, nicht ein Sklave des Auslegers? Keineswegs! Der Ausleger hat nicht zu sagen: „Dies ist meine Auslegung, ich aber bin «in gelehrter und frommer Mann, darum mußt du meine Auslegung der Schrift annehmen", sondern er hat aus der Schrift nachzuweisen, daß die Schrift selbst seine Auslegung giebt. Darin besteht eigentlich die Thätigkeit eines Auslegers, zu zeigen, wie die Schrift sich selbst aus lege. Und daraus erhellt nun gerade, daß die Schrift klar sei. Der Ausleger zeigt uns ja, wie die Schrift aus sich selber verstanden Werden könne. Ich bin durch den Dienst des Schriftauslegers imstande, zu sagen: „Die Schrift selbst giebt diese Auslegung und keine andere." Wir sind so auch, obwohl wir selbst nicht die besondere Gabe der Schriftauslegung haben, befähigt, über die Ausleger zu urteilen; zu prüfen, ob eine uns vorgelegte Auslegung recht sei. —
Chemnitz: „Andradius wundert sich, daß diejenigen, welche die Gabe der Auslegung selbst nicht haben, über die Auslegungen urteilen können und wollen. Wir wissen wohl, daß es Grade giebt und nicht alle in der Kirche denselben Scharfsinn besitzen. Wir wissen auch, daß jedermann mäßiglich von sich halten soll. Es ist jedoch bekannt, was die Väter -em Urteil des Volkes in ihren Homilien, in welchen sie die Schrift auslegten, zugeschrieben haben. Einem Ausleger nämlich kommt es zu, die Gründe und Grundlagen seiner Auslegung so klar und sicher aufzuzeigen, daß auch andere, welche selbst nicht die Gabe der Auslegung besitzen, sie verstehen und durchschauen können. So erkannte der Kämmerer, daß Philippus' Auslegung recht sei. Apost. 8." (Lxamsu p. 60.)
Wenn ein Ausleger dies nicht leisten will, wenn er nicht beweisen will, daß das, was er als Sinn einer Stelle angiebt, wirklich in den Worten der Schrift ausgesprochen vorliegt, so braucht er sich nicht Ausleger zu nennen, sondern kann sich sofort für den Pabst ausgeben, dem man auf sein Wort auch ohne Schrift zu glauben habe.
Gerhard: „Erklärungen werden nicht zu dem Zweck geschrieben, um in die klaren Stellen der Schrift, in welchen die Artikel des Glaubens vorgelegt werden, anderswoher Licht zu bringen, sondern damit der wahre Sinn aus der Schrift selbst herausgeholt, der einfältige Glaube gegen die Verfälschungen der Irrlehrer verteidigt und aus der Vergleichung anderer Schriftstellen mehr bestätigt werde." (Doo. äs 8e. § 430.)
So gebrauchen wir dankbar die Dienstleistung der Menschen zum Verständnis der heiligen Schrift, ohne daß wir damit zugeben müßten, die Schrift sei dunkel, und ohne daß wir zu Sklaven des Auslegers würden.
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Aber wir erklären mit dem Satz, daß die Schrift deutlich sei, auch nicht das fleißige und sorgfältige Forschen in der Schrift für überflüssig. —
Im 119. Psalm spricht der Psalmist: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege." Damit ist, wie wir schon früher gesehen haben, ausgesagt, daß die heilige Schrift deutlich sei. Und doch heißt es im 1. Psalm von dem Frommen, daß er von Gottes Gesetz rede Tag und Nacht. — St. Paulus schreibt einmal an Timotheus, daß derselbe von Kind auf die heilige Schrift wisse. Womit, wie wir auch schon früher gesehen haben, ausgesagt ist, daß die Schrift klar genug sei, um schon von einem Kinde verstanden zu werden. Trotzdem schreibt Paulus im 1. Briefe an Timotheus (Kap. 4, 12.): „Halt an mit Lesen" — nämlich mit dem Vorlesen der heiligen Schrift. So folgt also daraus, daß die heilige Schrift klar ist, nicht, daß man sie nur selten und obenhin zu lesen brauche. Man soll nicht denken: Du hast aus klaren Stellen der Schrift den Weg des Lebens verstanden, nun brauchst du dich nicht mehr sonderlich um die Schrift zu bekümmern, sie hat ihren Dienst an dir gethan. Wer so sprechen wollte, der versteht nichts von geistlichen Dingen, oder er würde doch die Erkenntnis, welche er hat,bald wieder verlieren. Denn erstlich ist die geistliche Erkenntnis nicht etwas, das man wie ein Geldstück in die Tasche steckt, um es so sicher und für immer zu besitzen. Die geistliche Erkenntnis, welche durch das klare Wort Gottes angezündet ist, muß Vielmehr durch immerwährende Betrachtung und Erwägung desselben Wortes Gottes erhalten werden. Sonst wird sie bald schwinden. Diese Erkenntnis wurzelt ja nicht in uns, sondern ihr Quell ist das Wort Gottes. Geistliches Licht strömt nicht aus unfern Herzen von Natur, sondern kommt nur aus dem Worte Gottes in dieselben hinein. Unser Herz und Sinn ist von Natur „ein dunkler Ort". Soll er erleuchtet bleiben, dann müssen wir immerfort das Helle Licht des Wortes in denselben hinein stellen. Und das geschieht durch eifriges Lesen und Forschen, nicht aber, indem man die Bibel auf dem Bücherbrett oder unterm Kopfkissen liegen hat. — Ein Licht muß in der Nacht immer scheinen, sonst wird es dunkel. So muß auch die Schrift, das Licht auf unserm Wege, immer in unser Herz scheinen, d. H., wir müssen immer mit derselben umgehen, sonst tritt Finsternis bei uns ein. Wenn es sich auch nicht sogleich zeigt, so doch mit der Zeit. So thöricht es ist, zu sagen: Das Licht hat nun eine Stunde gebrannt, ich will es auslöschen, die Helle wird schon im Zimmer bleiben; ebenso thöricht ist es, zu sagen: Das Licht des Wortes Gottes hat mich nun eine Zeitlang erleuchtet, nun kann es fortgenommen werden, die Erleuchtung wird schon bleiben. Nein, immer wieder und wieder muß Gottes Wort in unser Herz scheinen. Hört dies auf, dann tritt Finsternis ein.
Es ist ein Unterschied zwischen natürlichen und geistlichen Wahrheiten. Die ersteren haften in uns, wenn sie einmal recht gefaßt sind. Weshalb? Es ist nichts in uns, was ihnen widerspricht, sie sind uns natürlich. Anders
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ist es mit den geistlichen Wahrheiten. Alles in uns setzt sich gegen sie. „Fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott." Sollen sie deshalb nicht verschwinden, so müssen sie immer von neuem in uns hineingebracht werden. Und das geschieht durch fleißiges Betrachten des Wortes Gottes. —
Zumandern: Wir müssen fleißig weiterforschen, um in der Erkenntnis zu wachsen. Wir sollen nicht Kinder am Verständnis bleiben, sondern zum Mannesalter heranwachsen. Einmal deshalb, damit wir zur Zeit der Verführung standhalten können und uns nicht wägen und wiegen lassen durch allerlei Wind der Lehre, durch Schalkheit der Menschen und Täuscherei, damit sie uns erschleichen zu verführen, Eph. 4, 14. Sodann auch deshalb, damit wir ändern mit unserer Erkenntnis dienen können. „Arbeite und schaffe mit deinen Händen etwas Gutes, auf daß du habest zu geben dem Dürftigen", findet auch Anwendung auf das Geistliche. Gott könnte ja jeden Christen in den Himmel aufnehmen, sobald er zur seligmachenden Erkenntnis Christi gekommen ist. Doch Gott läßt Christen auch deshalb noch in diesem Leben bleiben, damit sie dem Nächsten mit ihrer geistlichen Erkenntnis dienen, ihm aus ihrem geistlichen Schatze Handreichung thun.
Hier wurde bemerkt: Wenn man Gemeindegliedern vorhält, daß sie die brüderliche Bestrafung üben sollen, dann sagen sie oft: Ich kann nicht, ich bin zu unerfahren in geistlichen Dingen. Ja, warum steht es so mit dir? Mit diesem Bekennntnis beschuldigst du dich selbst! Warum liest du nicht fleißig in der heiligen Schrift und vermehrst dadurch deine Erkenntnis, so daß du imstande bist, den Irrenden aus Gottes Wort zu ermahnen? —
Endlich erklären wir auch mit der Deutlichkeit der heiligen Schrift nicht die Erleuchtung des Heiligen Geistes für überflüssig. Ja, wir sagen: Ohne die Erleuchtung des Heiligen Geistes versteht kein Mensch auch nur einen Buchstaben der Schrift heilsamlich. Wir unterscheiden zwischen dem äußeren grammatischen Sinn der Schrift und dem eigentlichen vom Heiligen Geist gemeinten Sinn, den man mit dem Worte der Schrift verbinden soll. Die Schrift ist so klar, daß auch ein Unwiedergeborner, wenn er sich die Mühe giebt und den nötigen Fleiß anwendet, aus der Schrift zusammenstellen kann, was die Lehre der Schrift vom Wege der Seligkeit sei. Aber damit steht er noch nicht in der seligmachenden, lebendigen Erkenntnis des Wortes Gottes. Dabei ist er noch fern vom Reich Gottes. Den Spruch Joh. 3,16. versteht z. B. auch ein Unwiedergeborner einigermaßen, indem er mit den Worten „Gott", „lieben" „Dahingabe des Sohnes", „glauben" die Begriffe verbindet, welche sie in natürlichen, irdischen Verhältnissen haben. Aber die geistliche, heilsame Erkenntnis dieses Spruches hat nur der Mensch, welcher seine Sünden erkannt hat. Wenn durch Wirkung des Heiligen Geistes im Gesetz seine Sünden vor ihm stehen wie unübersteigbare Berge, dann wird er durch Gottes Gnade auch die Liebe
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Gottes, von der hier die Rede ist, erkennen, und einsehen, welch unendlicher Trost in diesem Spruch enthalten ist. Ohne Erleuchtung des Heiligen Geistes ist ein heilsames Verständnis der Schrift unmöglich. Hier gilt: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes." Deshalb sollten wir immer mit Gebet um Erleuchtung des Heiligen Geistes an das Lesen der Schrift gehen. In unserem Gebetsschatz findet sich das folgende Gebet: „Allersüßester JEsu! der du mit freundlichen Worten gesprochen: Suchet in der Schrift ; denn ihr meinet, ihr habt das ewige Leben darinnen, und sie ist's, die von mir zeuget; laß dir gefallen die Begierde meines Herzens zu deinem Wort und segne selbst mein jetziges Beginnen. Ohne dich kann ich freilich nichts thun, so vernimmt auch der natürliche Mensch nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Thorheit, und kann es nicht erkennen: darum so öffne du mir selbst das Verständnis, daß ich die Schrift verstehe und deine Wunder sehen möge in deinem Gesetz. Gieb mir den Geist der Weisheit und der Offenbarung zu deiner selbst Erkenntnis und erleuchtete Augen meines Verständnisses, damit ich möge erkennen die Hoffnung unsers Berufs, und welches sei der Reichtum deines herrlichen Erbes an deinen Heiligen. Laß mich gefangen nehmen alle Vernunft unter dem Gehorsam Christi und hingegen glauben alle dem, was hierinnen die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist; damit ich wachsen möge in der Erkenntnis Gottes und gestärkt werde mit aller Kraft nach deiner herrlichen Macht: bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und deiner Erkenntnis, und ein jeder ein vollkommener Mann werde, der da sei in der Maße deines vollkommenen Alters, um dein selbst willen." (Gebetsschatz S. 261.)
Quenstedt schreibt: „Wir behaupten so die Deutlichkeit der heiligen Schrift, daß wir dabei nicht ausschließen das andächtige Gebet um die Erleuchtung des Verstandes und um das heilsame Verständnis, die Anwendung des gläubigen und täglichen Forschens im Lesen und Bedenken der Schrift, im Vergleichen der dunklen Stellen mit den klaren, den Eifer und die Erleuchtung des Heiligen Geistes, insonderheit, was das heilsame Verständnis anbelangt. Denn es ist notwendig, daß wer die Schrift liest, von demselben Geist, von welchem sie eingegeben ist, in anhaltendem Gebet sich das Verständnis erbitte, daß er gläubigen und andächtigen Herzens lese. Deshalb sagt Augustinus: Die heilige Schrift sei so eingerichtet, daß jedermann aus derselben schöpfen könne, soviel er bedarf, wenn er nur andächtig und gläubig, wie es die wahre Gottesfurcht fordert, zum Schöpfen komme. Daß er aufmerksam und fleißig lese, »nicht nachlässig und oberflächlich'. Dazu ermahnt Paulus aufs ernstlichste : »Halte an mit Lesen', 1 Tim. 4, 13., und Christus: »Suchet in der Schrift.' Joh. 5, 39." (I, 172.)
Aus der Notwendigkeit der Erleuchtung des Heiligen Geistes zum Verständnis der Schrift folgt nicht die Dunkelheit derselben, sondern nur die
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Geistlichkeit und Göttlichkeit ihres Inhalts. Der Heilige Geist bringt mit seiner Erleuchtung nicht Licht in die Schrift, sondern in uns hinein. Psalm 119,18. bittet David: „Offne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz." Er betet nicht: Mache dein Gesetz hell, sondern: Mache meine Augen hell, damit ich die dort klar ausgesprochenen wunderbaren Dinge erkenne. David kannte den äußeren Sinn des Gesetzes ganz genau; er erbittet sich hier aber die innere heilsame Erkenntnis.
Quenstedt: „Jenes Gebet Davids (Ps. 119, 18.) beweist nicht die Dunkelheit der heiligen Schrift, sondern die Hoheit der Geheimnisse und die Unwissenheit und Schwachheit des menschlichen Verstandes. Denn er bittet nicht, daß dem Gesetz, sondern daß ihm Licht zu teil werde. Nicht die Finsternis der Schrift, sondern die seines eigenen Verstandes klagt er an und bittet, daß sie durch das göttliche Licht verscheucht werde. »Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz', sagt et und klagt somit nicht über die Dunkelheit des Gesetzes selbst, sondern über die der verborgenen Dinge und seines Verstandes." (I, 179.)
Gerhard: „Wenn wir behaupten, die Schrift sei klar, so wollen wir weder M innere Erleuchtung des Heiligen Geistes, noch die äußere Hilfeleistung des Predigtamtes bei der Auslegung der Schrift ausgeschlossen wissen, sondern wir wollen nur dies, daß die Lehren, welche allen zur Seligkeit zu wissen nötig sind, so klar und deutlich in der Schrift vorgelegt werden, daß man nicht deshalb die Schrift verlassen und zu den Traditionen, zum Urteile der römischen Kirche, zu den Aussprüchen der Väter, zu Beschlüssen der Konzilien u. s. w. seine Zuflucht nehmen müsse, sondern daß allein aus der Schrift über jene Lehren etwas Gewisses gelehrt werden könne und solle, und daß auch die Laien die Schrift lesen können und sollen." (I^oous 6e 8o. 8. § 430.) —
ThrsiS IX.
Die Deutlichkeit der heiligen Schrift wird nicht umgestoßen durch die Thatsache, daß dieselbe so verschieden ausgelegt worden ist und noch so verschieden ausgelegt wird.
Papisten und Schwärmer halten uns entgegen: Wenn die Schrift alle Artikel des christlichen Glaubens klar und deutlich offenbart — wie ihr behauptet —: wie kommt es denn, daß gerade die Stellen, welche eigentlich die Glaubensartikel darlegen, so ganz verschieden von den verschiedenen Kirchenparteien ausgelegt worden sind und noch ausgelegt werden? Die Stellen, welche von dem erbsündlichen Verderben, der Bekehrung, der Recht-fertigung handeln, versteht der Papist ganz anders, als der Lutheraner. Die Stellen, welche von den Gnadenmitteln, vom Wort, von der Taufe, vom Abendmahl und von der Gnade Gottes handeln, verstehen die Refor-
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mierten und die reformierten Sekten ganz anders, als die Lutheraner. Da muß man doch annehmen, daß die Schrift dunkel sei. Sonst könnte man sich diese verschiedenen Auslegungen nicht erklären. Solche Gedanken finden sich auch unter uns.
Doch was für ein verkehrter Schluß wird hier gemacht! Daß ein Buch so verschieden ausgelegt wird, ist an sich durchaus noch kein Beweis, daß das Buch dunkel geschrieben sei. Da wäre nichts mehr klar geredet und geschrieben. Quenstedt sagt mit Recht: „Wenn nur das klar geredet ist, was von niemand verkehrt aufgefaßt und verdreht werden kann, so wird überhaupt nichts mehr klar und deutlich geredet werden können." (I, 180.) Nehmen wir ein Beispiel aus unserem hiesigen Gerichtsleben. Da mag ein Gesetz noch so klar gefaßt sein, schlaue und gewissenlose Advokaten suchen einen ganz fremden Sinn in dasselbe hineinzulegen und bestreiten öffentlich, daß das der Sinn der Worte des Gesetzes sei, den jeder verständige Mensch auf den ersten Blick darin findet. Und sehr oft gelingt es einem das Recht verdrehenden Advokaten, eine ganze Versammlung von Geschworenen in Verwirrung zu setzen. Und wie solche Advokaten mit dem Gesetz umgehen, so gehen auch viele sogenannte Ausleger der heiligen Schrift mit Gottes Wort um. Der Papist will durchaus in die Schrift hinein haben, daß der Pabst ein Gott auf Erden sei, und daß der Mensch nicht allein aus Gottes Gnaden um des Verdienstes Christi willen durch den Glauben gerecht und selig werde. Wie es sich bei den Advokaten um irdische Vorteile handelt, so handelt es sich auch bei den Papisten ums Brot und um die Herrschaft über das Volk. Sie müssen die Schrift verdrehen, wenn sie als Papisten weiter existieren wollen. Denn geben sie zu, daß kein Mensch, sondern allein Gottes Wort Herr unsers Glaubens sei, und daß der Mensch aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde, so ist's mit der ganzen Pabstherrlichkeit aus. Ist es da zu verwundern, daß die Papisten einen ändern Sinn in der Schrift finden, als wir?
Der echt reformierte Ausleger geht mit dem Grundsatz an die Auslegung der Schrift, daß, was die Schrift sagt, auch mit der Vernunft stimmen müsse. Er weist daher das klar in gewissen Worten der Schrift Ausgesprochene als falsch zurück, weil er das Ausgesprochene nach seiner Vernunft für unmöglich hält, und erdichtet sich einen ändern Sinn, der seiner Vernunft genehm ist. Was Wunder daher, daß die Reformierten z. B. die Stellen, welche vom Abendmahl handeln, falsch auslegen? Wie klar steht auch in der Schrift, daß Gott alle Menschen selig machen wolle, daß Christus aller Menschen Sünde getragen habe! Joh. 3, 16. 1 Tim. 2, 4. Joh. 1, 29. 1 Joh. 2, 1. Die Calvinisten machen dagegen den Einwurf : Gott habe doch vorausgesehen, daß nicht alle Menschen selig würden. So würde er auch nicht so unnötige Auslagen gemacht haben, seinen Sohn auch für diejenigen in den Tod zu geben, die desselben doch nicht genießen würden. Ferner könne man, wenn man annehme, daß Gott alle Menschen
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ernstlich selig machen wolle, auch nicht verstehen, wie Röm. 7,18. wahr sei. So muß denn in den Worten: „Also hat Gott die Welt geliebet", „Welt" so viel als Gläubige, Auserwählte heißen, obwohl das Wort „Welt" das sonst nie in der Schrift bedeutet. Der Grund der verschiedenen falschen Auslegungen ist also nicht die Dunkelheit der Schrift, sondern die Verkehrtheit der Menschen. Diese suchen ihre eigenen fleischlichen Interessen bei der Auslegung der Schrift, oder sie wollen ihre eigenen thörichten Gedanken, die sie sich ohne Gottes Wort von geistlichen Dingen gemacht haben, nicht fahren lassen. Sie fragen bei der Auslegung der Schrift nicht allein danach, was Gott geredet habe — wie es doch sein sollte —, sondern vornehmlich danach, ob es auch der Vernunft und dem fleischlichen Sinn genehm sei. Den wahren Grund der falschen Auslegungen deckt uns Gottes Wort selbst auf in Stellen wie 2 Kor. 4, 3. 2 Petr. 3, 16. In der ersten Stelle heißt es: „Ist unser Evangelium verdeckt, so ist's in denen, die verloren werden, verdeckt, bei welchen der Gott dieser Welt der Ungläubigen Sinne verblendet hat, daß sie nicht sehen das Helle Licht des Evangelii von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes." Und in der ändern Stelle schreibt Petrus: „Wie er auch in allen Briefen davon redet, in welchen sind etliche Dinge schwer zu verstehen, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen, wie auch die ändern Schriften, zu ihrer eigenen Verdammnis."
Luther: „Daß aber etliche sind, als die Sophisten und andere, denen auch die Hauptsache der Schrift und Gottes Wort verborgen ist, das i st nicht der Dunkelheit der Schrift Schuld, sondern vielmehr ihrer Blindheit, daß sie so verstockt sind, daß sie die öffentliche Wahrheit nicht erkennen oder begehren zu erkennen, wie St. Paulus von den Juden sagt 2 Kor. 3, 15.: »Auf den heutigen Tag ist die Decke vor ihnen gehänget.' Und aber, da er sagt 2 Kor. 4, 3.: »Ist unser Evangelium verdeckt, so ist's in denen, die verloren werden, verdeckt.' Ja, nach der Weise aber, wenn mir darum die Schrift soll dunkel sein, daß ich viel nicht verstünde, möchte ich auch sagen, die Sonne wäre dunkel, wenn ich wollte die Augen verdecken, oder aus dem Licht ins Finsternis gehen. Was zeihen aber die armen blinden Menschen die Schrift und das heilige reine Gottes Wort, daß sie um ihrer Blindheit willen soll dunkel ge-nennet werden?" —
Quenstedt: „Die Worte Christi: »Das ist mein Leib', welche anders von den Calvinisten, anders von den Papisten, anders von den Lutheranern ausgelegt werden, sind als Worte eines Testaments in sich durch « us klar. Die Verschiedenheit aber der Auslegung kommt daher, oaß viele, den buchstäblichen und eigentlichen Sinn beiseite liegen lassend, "nt Fleiß einen fremden suchen und nicht sowohl Christo als Lehrer folgen, als dem Rat und Gebot ihrer blinden ernunft. Man begeht also eine Verwechselung der Ursachen, wenn
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man die Verschiedenheit der Auslegungen der Dunkelheit der Schrift zuschreibt, da die Ursache derselben entweder die Verkehrtheit (pervsrmtss) oder die Schwachheit der Menschen ist. Die Dunkelheit, welche im Subjekte ist (in subjsoto, im Ausleger), muß man nicht in das Objekt (— in die Schrift) übertragen." (I, 160.)
Es kommt freilich auch vor, daß rechtgläubige und aufrichtige Ausleger manche Stellen der Schrift verschieden auslegen. Aber auch dieser Umstand beweist nicht die Dunkelheit der Schrift. Manchmal sind diese Auslegungen nur scheinbar verschieden und widersprechen sich in der That nicht. Sodann aber lassen sich auch rechtgläubige Ausleger oft Unachtsamkeit zu schulden kommen, indem sie nicht genau die Worte und den Zusammenhang erwägen. Ein einfältiger Christ sieht oft auf den ersten Blick, daß eine ihm vorgelegte Auslegung nicht die richtige sei. Sodann finden sich verschiedene Auslegungen an Stellen, die Schwierigkeiten darbieten, wo in Wirklichkeit aber nichts anderes steht, als in ändern klaren Stellen.
Thesis X.
Für dunkel erklären die heilige Schrift alle diejenigen, welche das Licht zur Erklärung der Schrift nicht aus der Schrift selbst nehmen, sondern dieselbe nach der Tradition oder durch ein unfehlbares Lehramt, oder nach dem sogenannten innem Licht, oder nach der menschlichen Vernunft auslegen wollen.
Wir müssen an dem Grundsatz festhalten, daß die Schrift nur durch die Schrift zu erklären sei. Wie ist dies zu verstehen? So: Jedesmal, wenn sich die Frage erhebt, wie ich diese oder jene Stelle, dieses oder jenes Wort zu verstehen habe, so darf man die Frage nicht dadurch entscheiden wollen, daß man sagt: Diese Auslegung ist früher immer gegeben worden, oder dies ist die Auslegung dieses oder jenes großen Mannes, oder diese Auslegung scheint mir die einzig richtige zu sein; sondern ich muß mir die Antwort auf die Frage: Wie habe ich dieses Wort, diesen Satz, diesen Abschnitt zu verstehen ? von der Schrift selbst geben lassen, entweder aus dem Zusammenhang der Stelle oder aus ändern verwandten Stellen der Schrift. Schlage ich dieses Verfahren nicht ein, so erkläre ich damit, daß die Schrift mir über diesen Punkt keinen Aufschluß giebt, daß ich den Aufschluß anderswoher nehmen muß, daß also die Schrift dunkel sei.
Die Papisten sagen ganz offen, daß die Schrift dunkel sei. Wolle man die Schrift recht verstehen, so müsse man sich das Licht zum Verständnis aus den Auslegungen der Väter und aus dem unfehlbaren Lehramt in der Kirche (das ist, vom Pabst) holen. Das Tridentinische Konzil bestimmt, „daß niemand die Schrift gegen den Sinn, welchen annahm und annimmt die heilige Mutter Kirche, der es zukommt, über dev
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wahren Sinn und die Auslegung der heiligen Schrift zu urteilen, oder auch gegen die einhellige Übereinstimmung der Väter auszulegen wage, und wenn solche Erklärungen nie und nimmer veröffentlicht werden sollten. Die dagegen Handelnden sollen durch die Ordinarien angezeigt und mit den von Rechts wegen festgesetzten Strafen belegt werden." (Vierte Sitzung. Smets, S. 15.)
Dagegen sagt Luther: „Wenn euch aber jemand von ihnen antastet und spricht: Man muß der Väter Auslegung haben, die Schrift sei dunkel: sollt ihr antworten: Es ist nicht wahr. Es ist auf Erden kein klärer Buch geschrieben, denn die heilige Schrift; die ist gegen alle ändern Bücher gleichwie die Sonne gegen alle Lichter.... Es ist eine greuliche, große Schmach und Laster wider die heilige Schrift und alle Christenheit, so man sagt, daß die heilige Schrift finster sei und nicht so klar, daß sie jedermann möge verstehen, seinen Glauben zu lehren und zu beweisen." (Ausl, des 37. Psalms. V, 456.) Und
Dorscheus: „Wie wir ein Licht an einem dunkeln und mit dichter Finsternis bedeckten Ort nicht anders als durch das Licht selbst leuchten sehen; das Licht selbst teilt das Licht mit, so daß man es leuchten sieht: so auch verstehen wir nicht die Schrift durch ein anderes, fremdes Licht, sondern durch das Licht, welches sie selbst giebt." (Bei Quenstedt, I. 176.)
Quenstedt: „Weil die Schrift ein Licht ist, so wird sie auch durch sich selbst leuchten (manitsstabit) und wird nicht zu ihrer Erleuchtung eines fremden und geborgten Lichtes bedürfen, wie die Sonne mit ihrem eigenen Licht sich selbst und anderes beleuchtet (manitsstat)." (I. 176.)
Auch manche Schwärmer sagen offen, daß die Schrift dunkel und zweideutig sei. Man müsse anderswoher das Licht zum Verständnis der Schrift nehmen, aus dem sogenannten innern Licht.
Weigel schrieb: „Die Schrift ist in beide Fäust; man kann sie zu beiden Seiten brauchen. Es sei einer so unrecht er wolle, dennoch kann er die Schrift führen gegen seinen Widerpart." (Güldengriff, S. 55.) „Die am Buchstaben der Schrift hangen, können nimmermehr miteinander Übereinkommen ; denn er ist ein Beidenhändler, und ein jeder kann ihn gebrauchen für sich, wie er will. Daher auch so viele Sekten und Spaltungen sind entstanden." (Bei Gerhard I^osi. I,. äs 8. s. § 436.)
Aber auch solche, die, um ihre Meinung befragt, ob die Schrift klar und deutlich sei, antworten: „Ja, die Schrift ist deutlich", verfahren doch so, als ob sie dunkel wäre. So die Reformierten und auch manche, die sich Lutheraner nennen. Indem sie nämlich die einzelnen geoffenbarten Lehr-artikel vernunftgemäß zustutzen oder doch durchaus vernunftgemäß verknüpfen wollen, erklären sie damit thatsächlich die Schrift für dunkel. Gerhard weist dies schlagend nach in Bezug auf die Reformierten, wenn er schreibt: „Die Calvinisten bekennen mit uns den Worten nach die Deutlich-
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keit der heiligen Schrift, ja, in ganzen Kapiteln und Büchern verfechten sie dieselbe gegen die Papisten; indes können sie, wenn sie bei ihren Lehrsätzen bleiben, nicht umhin, die heilige Schrift in den höchsten Glaubensartikeln der Dunkelheit zu beschuldigen. Der Artikel von der Taufe und ihrer Wirksamkeit ist bekanntlich einer von den hauptsächlichsten. Von demselben lehren die Calvinisten, die Taufe sei nicht ein wirksames Mittel (etksax msäium) der Wiedergeburt, der Vergebung der Sünden und der Seligkeit, sondern nur ein Zeichen. Aber in der ganzen Schrift wird nie mit eigentlichen, klaren und deutlichen Worten gelehrt, die Taufe sei nur ein Zeichen der Wiedergeburt, durch die Taufe werde die Abwaschung der Sünde nur bezeichnet; sondern so oft die Schrift von dem Zweck und der Frucht der Taufe redet, sagt sie, wir würden durch die Taufe von den Sünden gereinigt, aus dem Wasser wiedergeboren, die Taufe sei ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung. (Joh. 3, 5. Ep H. 5, 26. Tit. 3, 5.) So sind sie gezwungen zu sagen, daß die Schrift nirgends iy eigentlichen klaren und deutlichen Worten von der Wirkung und Frucht der Taufe rede. ... So ist der Artikel vom Abendmahl einer von den Hauptartikeln. Die Calvinisten lehren: das gesegnete Brod sei nicht das Mittel, durch welches der gegenwärtige Leib Christi ausgeteilt werde, sondern ein Zeichen des abwesenden Leibes; der gesegnete Wein sei nicht das Mittel, durch welches das gegenwärtige Blut Christi ausgeteilt werde, sondern ein Zeichen des abwesenden Blutes Christi. Die Schrift aber redet nirgends so: das gesegnete Brod ist ein Zeichen des Leibes; sondern sagt: es sei die Gemeinschaft des Leibes. Christus sagt bei der Einsetzung nicht: Das ist ein Zeichen meines Leibes; sondern : Das ist mein Leib. So sind sie wiederum gezwungen anzunehmen, die Schrift gebrauche in der Darlegung dieses Hauptartikels unserer Religion nicht eigentliche und deutliche Worte. ... Was werden wir sagen von dem Unterschied zwischen dem offenbaren und heimlichen Willen (inter voluntatsm siZni et deneplaeiti), von der Beschränkung der evangelischen Verheißungen, welche nirgends in der Schrift mit klaren Worten gelehrt, sondern von den Calvinisten hinzugethan wird? Sie müssen also durchaus annehmen, daß die Schrift in Darlegung der Glaubensartikel dunkel sei." (1^. äs 8. s. §431.)
Daß die Neulutheraner, mit welchen wir jetzt im Kampfe stehen müssen, auch die Schrift der Sache nach für durchaus dunkel erklären, kann man z. B. an ihrer Lehre von der Bekehrung Nachweisen. Die Schrift sagt von dem natürlichen Menschen, er sei tot in Sünden (Eph. 2,1. 5.), halte das Evangelium von Christo für eine Thorheit (1 Kor. 1, 2. 3. 2, 4.), sei seiner natürlichen Gesinnung nach eine Feindschaft wider den geoffenbarten Gott (Röm. 8, 7.). Damit spricht die Schrift klar und deutlich aus, daß der natürliche Mensch zu seiner Bekehrung weder irgendwie Mitwirken noch auch sich auf dieselbe vorbereiten könne. Denn wer geistlich
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tot ist, das Evangelium für eine Thorheit hält, den göttlichen Dingen feindlich gesinnt ist, wird nimmer bei der Arbeit des Heiligen Geistes, der er feindlich gegenübersteht, Mitwirken oder sich auf dieselbe vorbereiten. Deshalb schreibt die Schrift die Bekehrung auch ganz der gnädigen Wirkung Gottes zu. (Phil. 2, 13. 1, 29. Eph. 1, 19.) Aber nun kommen unsere Neulutheraner her und meinen, wenn Gott im Werke der Bekehrung alles thue und der Mensch gar nichts, wenn Gott allein alles Widerstreben gegen die Wirkung des Heiligen Geistes in dem Herzen wegnehmen oder Niederhalten müsse: dann müsse man annehmen, daß Gottes Gnade nicht eine allgemeine sei, da ja nicht alle Menschen bekehrt würden. Darum müsse man annehmen, daß der Mensch das sogenannte mutwillige Widerstreben, von dessen Dasein oder Nichtdasein die Bekehrung abhänge, aus sich selbst unterlassen, beziehungsweise aufgeben könne. So nimmt man in der Lehre von der Bekehrung einen Satz zur Hilfe, von dem die heilige Schrift nichts weiß. Man behauptet damit der Sache nach nicht nur, daß die Schrift unvollkommen, sondern auch daß sie dunkel sei. Denn nach der Gegner Meinung legte die Schrift die Lehre von der Bekehrung ganz unklar dar. In der Schrift wäre dann gerade das nicht offenbart, was nach der Auffassung dieser Neulutheraner zu einem richtigen Verständnis der der Lehre von der Bekehrung notwendig ist, und was man notwendig annehmen muß, um nicht in falsche Lehre zu geraten. Darum fort mit aller Deutung der Schrift nach der blinden Vernunft. Sie beschuldigt die heilige Schrift der Dunkelheit, die doch allein eine Leuchte unseres Fußes und ein Licht auf unserm Wege ist. Die Vernunft wird zum Licht gemacht, die doch weiter nichts als ein Irrlicht ist.
Thesis XI.
An der Deutlichkeit der heiligen Schrift müssen wir fefthalten, damit wir unseres Glaubens gewiß seien und nicht Menschen zu Herren unseres Glaubens werden.
*) Daß wir unseres Glaubens gewiß sein sollen, und was für ein Kleinod diese Gewißheit sei, haben wir bereits bei der Besprechung der vierten These gesehen. Dieses Kleinod büßen wir aber sofort ein, wenn wir die Dunkelheit der heiligen Schrift zugeben. Denn Wäre die heilige Schrift dunkel und zweideutig, so könnten wir nicht gewiß sein, ob der Sinn, den wir aus den Worten nehmen, wirklich der Sinn der heiligen Schrift sei. Dunkle und zweideutige Worte geben ja keine Gewißheit; deren Art ist es vielmehr, daß man aus ihnen keinen gewissen Sinn entnehmen kann; wir müßten uns anderswohin um eine Auslegung wenden. Da bieten uns die Papisten die Traditionen und den Pabst, die Schwär-
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*) Protokoll des Herrn k. Friedrich Pfotenhauer.
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mer ihre neuen Offenbarungen und innern Gefühle, die Rationalisten die Forderungen der menschlichen Vernunft als Mittel an, um zum rechten Sinn der Schrift zu gelangen. Aber wohin geraten wir, wenn wir diese Anerbietungen annehmen! Diese sogenannten Ausleger sagen uns nun, was wir zu glauben haben, lassen nicht die Schrift selbst reden, wollen ihre Auslegung nicht aus der Schrift beweisen. Wir wären somit gänzlich in die Macht der Menschen gegeben.
Das weiß der Pabst und seine Helfershelfer auch sehr wohl. Darum halten sie den Satz, daß die Schrift dunkel sei, fest als einen Fundamentalsatz der christlichen Kirche. Denn geben die Papisten zu, daß die heilige Schrift klar sei, daß sie die Glaubensartikel so vorlege, daß ein Christ sie verstehen und fassen könne, dann kann den Papisten all ihre Tradition nichts helfen. Ist die Schrift klar, dann weist ein Christ mit der Schrift in der Hand alle Traditionen, welche der Schrift widersprechen, zurück, dann bleibt die Schrift Richterin in den Sachen des Glaubens; dann kann man keine schriftwidrigen Lehren unter dem Vorwande, sie seien überliefert, in die Kirche einschmuggeln. Giebt man zu, die Schrift sei klar, lege alles erkennbar vor und erkläre sich,selbst, dann braucht man auch keinen unfehlbaren Pabst, um uns die Schrift zu erschließen. Der Pabst kann dann sein Amt aufgeben und auf ehrliche Weise sein Brod verdienen. So hängt das Sein und Nichtsein das Pabsttums daran, ob die Schrift klar oder dunkel sei. Die klare Schrift leidet neben sich kein Pabsttum. Neben der klaren Schrift ergeht es dem Pabsttum, wie es dem Götzen Dagon zu Asdad erging. Als neben ihn die Bundeslade des wahren Gottes gestellt wurde, wurde er gestürzt.
Hieraus sehen wir, wie wichtig es ist, daß wir an diesem Satze, die Schrift sei klar und deutlich, fefthalten. Lassen wir diesen Satz fahren, dann kann es durch Gottes Verhängnis dahin kommen, daß alle die Pabst-Greuel wieder bei uns zur Geltung kommen.
Luther schreibt darüber, was die Folgen davon gewesen seien, daß sie den Satz von der Klarheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift verloren hätten, folgendes: „Also ist uns geschehen im Pabsttum (dadurch nämlich, daß man nicht allein Gottes Wort hörte), da haben wir den Teufel hören müssen, ... bis wir endlich Evangelium, Taufe, Sakrament, und alles verloren haben. Danach sind wir hingelaufen gen Rom, gen Compostel zu St. Jakob, und haben alles gethan, wie uns des Pabsts Geschwärm geleitet und geführet hat, bis wir auch ihre Läuse und Flöhe, ja auch ihr Hinterkleid angebetet haben." (Hauspostille, 8. Sonnt, nach Trin.)
Oder aber wir würden, wenn wir die Deutlichkeit der heiligen Schrift aufgäben, Schwärmern in die Hände fallen. Diese treten ja mit einem großen Schein der Heiligkeit auf, was für manche viel Bestechendes hat. So, von einem Heiligenschein umflossen, kommen sie mit ihren neuen Offenbarungen, die sie innerlich durch den Heiligen Geist oder durch ^ngel oder
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durch abgeschiedene Geister empfangen haben wollen. Wäre nun die Schrift dunkel, müßte von außen her Licht in sie hinein gebracht werden, so könnten wir nicht den Mut haben, den Aufschluß, welchen man uns durch sogenannte Privatoffenbarungen zukommen lassen will, ohne weiteres zurückzuweisen, wir würden in ihre Gewalt geraten. Darum müssen wir an der Klarheit und Deutlichkeit der heiligen Schrift fefthalten, wenn wir nicht eine Beute der Sekten und Schwärmer werden wollen.
Oder aber wir würden die Diktate der menschlichen Vernunft annehmen. Ist die Schrift nicht klar, legt sie nicht alles deutlich vor, was zum seligmachenden Glauben gehört, so würden wir dahin kommen, daß wir uns Sätze gefallen lassen, die die menschliche Vernunft meint zu Hilfe nehmen zu müssen, um einer Lehre erst den rechten Zuschnitt zu geben. Und mit der aus dem unveränderlichen Schriftwort geschöpften Gewißheit unseres Glaubens wäre es dann aus. Wir wären an die Satzungen des oornmon senss verkauft, und die wechseln und sind in beständigem Fluß. Wie der Pabst bald dieses bald jenes aus dem weiten Sack der Tradition oder aus dem unkontrollierbaren Schrein seines Herzens hervorbringt; und wie die Schwärmer bald diese bald jene funkelnagelneue Offenbarung aufs Tapet bringen: so verkündigt die menschliche Weisheit, die sich über Gottes Sachen ein Urteil anmaßt, bald dieses bald jenes als eine notwendige Forderung der menschlichen Vernunft, um diese oder jene scheinbare Ungereimtheit aufzuhellen. Es ist da gar kein Ende des Umsturzes abzusehen. Wenn es der Vernunft erlaubt sein soll, die Artikel des christlichen Glaubens zuzustutzen, dann bleibt schließlich kein Glaubensartikel stehen, da sie alle, wie wir gesehen haben, der Vernunft unbegreiflich sind.
Wir bleiben daher dabei: Die Schrift ist hell und klar, sie legt sich selbst aus; wir sind zufrieden mit dem Lichte, das sie selbst giebt. So wollen wir. denn auch durch Gottes Gnade unseres Glaubens gewiß sein und nicht Menschen, sei es der Pabst, Schwärmer oder Rationalist, zu Herren unseres Glaubens werden lassen. Christus allein soll unser Herr und Meister sein, der allein soll über uns herrschen in seinem vollkommenen, klaren Worte.
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'Luther schreibt darüber, welche Folgen es haben muß, wenn wir nicht fefthalten, daß alles zur Seligkeit zu wissen Notwendige in der Schrift klar vorgelegt sei, folgendes: „Es hat Satan die Leute also" (nämlich durch die Behauptung, daß die Schrift dunkel sei) „von dem reinen lauteren Gottes Wort und die Bibel zu lesen abführen und schrecken wollen, damit er die heilige Schrift unterdrückete und seine Teufelslehre, seinen wüsten Greuel, durch die Philosophie und andere Menschen -lehre vorgezogen, als eine große Sündflut alles Irrtums einführet e." (Daß der freie Wille nichts sei. Dresd. Ausg. S. 15.)
Wir müssen, was Luther so oft betont, für unfern Glauben immer ein klares Schriftwort haben. Luther schreibt: „Ich will die Worte
haben und den Glauben auf sie, wie sie lauten, setzen, daß ich nicht will glauben den Leib, den Christus meint, außer und ohne sein Wort, sondern den Leib, den seine Worte meinen, wie sie dastehen und lauten. Denn das ist seine rechte Meinung, und er hat seine Meinung in den Worten und durch die Worte uns gesagt und angezeigt. Außer seinem Wort und ohne sein Wort wissen wir von keinem Christo, viel weniger von Christus Meinung. Denn der Christus, der uns ohne Christus Wort seine Meinung fürgiebt, das ist der leidige Teufel aus der Hölle, der Christus heiligen Namen führet und darunter seine höllische Gift Verkauft." (Warnungsschrift an die zu Frankfurt a. M. VI, 113.) So allein sind wir rechte Lutheraner. Und mögen dann auch die vornehmsten Lehrer abfallen, die uns große Dienste gethan haben, daß wir zur rechten Erkenntnis der Schrift kommen: gründen wir uns allein auf die Schrift, so werden wir nicht irre werden, wenn selbst die Großen fallen. Solche Christen wollte auch Luther haben. Er schreibt: „Das ist das Zeugnis, daß sie (die wahren Christen) nicht um der Menschen, sondern um des Worts selbst willen gläuben. Viel sind ihr, die um meinetwillen gläuben; aber jene sind allein die Rechtschaffenen, die darinne bleiben, ob sie auch höreten, daß ich es selbst (da Gott für sei) verleugnete und abträte. Das sind sie, die nichts danach fragen, wie Böses, Greuliches, Schändliches sie hören von mir und den Unseren. Denn sie gläuben nicht an Luther, sondern an Christum selbst. Das Wort hat sie, und sie haben das Wort; den Luther lassen sie fahren, er sei ein Bube oder heilig. Gott kann sowohl durch Balaam als durch Jesaiam, durch Kaipham als durch Petrum, ja durch einen Esel reden. Mit denen halte ich's auch. Denn ich kenne selbst auch nicht den Luther, will ihn auch nicht kennen, ich predige auch nicht von ihm, sondern von Christo. Der Teufel mag ihn holen, wenn er kann; er lasse aber Christum mit Frieden bleiben, so bleiben wir auch wohl." (XV, 1988 f.) Solche Christen können wir aber nur dann sein und bleiben, wenn wir uns immer vergegenwärtigen: wir haben eine vollständige und klare heilige Schrift, die uns alles zur Seligkeit Notwendige und zwar in klaren, jedermann verständlichen Worten offenbart.
Luther giebt mit Fleiß zu bedenken, daß der Pabst durch seine- Behauptung, die Schrift sei dunkel, sich zum Herrn unseres Glaubens mache und dadurch die Welt verführt habe. Er schreibt: „Nun muß ich aber einen Block aus dem Wege stoßen, ehe ich zu dem Evangelio greife. Das Evangelium führen auch unsere Feinde, und wollens dahin ziehen, daß sie uns das Evangelium zuschließen, und sagen, das Evangelium und Schrift sei finster und dunkel; derhalben soll man's liegen lassen, und einen gemeinen Mann nicht lassen lesen, daß er nicht einen irrigen Verstand herausziehe; sondern man soll es allein verstehen, wie es der Pabst, Augustinus, Hieronymus, Gregorius, Ambrosius und die heiligen Väter auslegen. Also haben sie uns ihren Geifer, Gift und Träume eingeschenket
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und die Schrift unter die Bank geschoben. — Aber darauf sollt ihr merken, wenn man auch saget, die Schrift ist finster, und man müsse der Väter Sprüche haben, dieselbige zu erleuchten, so glaubet es nicht, sondern kehret das Blatt um und saget: Der Väter Sprüche sind dunkel, und aller Menschen Lehre ist finster, die bedürfen, daß sie durch die Schrift erleuchtet werden ; der gebt auch allein das Licht und den Sprüchen der Väter die Finsternis, und lasset euch beileibe nicht beibringen ihren Gift. Denn also sagt von ihnen Jesaias (Kap. 5, 20.): ,Wehe euch, die ihr heißet das Böse gut, und finster, das da Licht ist, und sauer, das da süße ist. Also, die Schrift, die das Licht ist, haben sie finster genannt, und ihr Ding, das die Finsternis ist, das haben sie das Licht genannt; damit sie alle Welt betrogen und verführet haben. ...
„Also haben sie uns umgeführet mit verworrenen und widerspenstigen Sprüchen und Lehren, damit haben sie uns die Schrift zugethan, und ihren Geifer, Gift und Dunkelheit eingegeben, anstatt der heilsamen Lehre, das haben wir fressen müssen; speie aus, wer da speien kann! Darum, wenn sie sagen: Die Väter, Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und andere haben die Schrift erleuchtet, da lügen sie an; denn sie haben sie nicht erleuchtet, sondern die Schrift mit ihrem eigenen Lichte klar gemacht und einen Spruch zum ändern gehalten, daß einer den ändern fein hell und klar gemacht hat. Also ist die Schrift ihr selbst ein eigen Licht. Das ist denn fein, wenn sich die Schrift selbst ausleget. Darum gläubet nicht des Pabsts Lügen, und haltet frei für finster, was nicht bewähret wird mit klaren Sprüchen der Biblia. Also haben wir zuvor diesen Irrtum aus dem Wege müssen thun; denn er fast tief eingerissen ist, daß;die Schrift dunkel sei, und müsse durch Menschenlehre erleuchtet werden. Welches ein trefflicher Irrtum ist und eine Gotteslästerung, und heißt eigentlich den Heiligen Geist zur Schule führen, oder ihn erst lehren reden." (In der Predigt Jakobi des Apostels. W. XI, 3105 ff.)
Mit diesem Citate wurden die Besprechungen der Thesen beendet.
Es waren gewiß Tage und Stunden reichen Segens vor dem Angesicht des HErrn, in denen wir aufs neue gestärkt sind in der Wahrheit. Nun sollten wir uns vor allen Dingen gesagt sein lassen, daß es nicht genug ist, diese herrliche Lehre aufs neue erkannt und betrachtet zu haben, sondern daß wir sie nun auch anwenden auf unfern Glauben und unser Leben, im Lichte wandeln, weil es scheinet, und des Lichtes Kinder bleiben, und was wir so oft schon mit unserer singenden Kirche bekannt haben, auch von Grund des Herzens meinen:
„Dein Wort, o HErr, laß allweg' sein
Die Leuchte unfern Füßen rc." (St. Louis Gesangb. 178, 9.)
und:
„Mein'n Füßen ist dein heilig Wort
Ein' brennende Lucerne rc." (St. Louis Gesangb. 236, 9.)