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1863-Missouri-Walther, Proper Form-Calling pastor, Ordination
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1863-Missouri-Walther-Proper Form Calling pastor, Ordination; OCR'd by BackToLuther, August 16, 2015. (97k)

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Note: Ordination covered beginning bottom page 51. Last edit: 2020-05-05.

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Verhandlungen über § 21 des Referats von Herrn Prof. Walther über „die rechte Gestalt einer vom Staate unabhängigen Ev.-Luth. Ortsgemeinde."

Auf Veranlassung der St. Louiser Local - Predigerkonferenz, welche das Referat bereits besprochen hatte, war dasselbe mit den dazu gehörigen Belegen aus Gottes Wort, den Symbolen und den Schriften unsrer rechtgläubigen Lehrväter schon vor dem Zusammentritt der Synode gedruckt und möglichst verbreitet worden, damit die Synodalen sich vorläufig mit' seinem Inhalte bekannt machen, sich gewisse sehr dringliche Punkte, worüber sie gern bald Auskunft hätten, notieren und solche Puncte zuerst zur Sprache bringen möchten. Es erging daher sowohl an alle Synodalen insgemein, als auch an die Glieder der St. Louiser Konferenz insbesondere die Aufforderung, das, was sie vor allen Dingen besprochen wünschten, anzugeben. Da nun erinnert wurde, wie schon seit Jahren unsre Präsidial-berichte über verkehrte Praxis in der Einrichtung unsers Parochialwesens klagen, namentlich mancherlei Missgriffe bei Berufungen und Besetzung von Pfarrämtern rügen, und wie es darum überaus wichtig und notwendig sei, uns zu verständigen und zu einigen über das künftighin einzuschlagende Verfahren, so wies ein Mitglied der St. Louiser Local - Konferenz auf den § 21 des Referats hin, als der neben andern sehr wichtigen Punkten auch über diesen Punct Licht verbreite. Die Synode beschloß daher, diesen Paragraphen durchzunehmen, und zwar so, daß

 

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jeder einzelne darin enthaltene Punct hervorgehoben und nach dem, was sich in den Belegen auf ihn bezieht, erörtert werde. Das Ergebnis dieser Arbeit, welcher die Vormittagssitzungen gewidmet wurden, folgt nun hier.

Der erste, im § 21 enthaltene Punct ist der Grundsatz, daß die Berufung eines Predigers wohl immer mit Zuziehung schon im Amte stehender Prediger geschehen solle, doch nicht als ein Muß, sondern als eine vortreffliche Ordnung.

Dazu ward erinnert: So sehr hier hervorgehoben wird, daß die Zuziehung von Predigern nicht zum Wesen eines rechten und gültigen Berufs gehört, so sehr wird doch auf die Heilsamkeit derselben hingewiesen. Daß so viele Störungen, Unruhen und Mißstände hie und da in den Gemeinden zu Tage treten, kommt ohne Zweifel mit daher, daß die Gemeinden berufen ohne Zuziehung von erfahrenen Predigern und sonderlich der Districtspräsidenten und des Allgemeinen Präses, die doch vermöge ihrer Kenntniß der Gemeinden und Pastoren die befugtesten Männer zum Ratgeben wären, damit kein Mißgriff in der Wahl geschähe und unsre Gaben am zweckmäßigsten zum gemeinen Nutzen verwendet würden. Man hört von Beispielen, daß diese Männer gar nicht befragt werden. Allerdings kommen- solche Beispiele wohl nicht aus bösem Willen, sondern aus Mangel an Erkenntnis vor, aber doch ist zu beklagen, daß die Gemeinden (mit Ausnahme freilich) bei Berufungen ihren Blick zu wenig auf das Allgemeine und den gemeinen Nutzen richten. Weil sie in ihrer Not zunächst und hauptsächlich ihren eigenen Nutzen im Auge haben, verlieren sie den Blick auf's Ganze. Auch in solchen Fällen, da ihnen Prediger sehr wohl bekannt sind, sollten Gemeinden doch immer erfahrene Prediger und besonders die Präsides zu Rathe ziehen, da die, einer andern Gemeinde weggenommene Gabe vielleicht unheilvolle Störungen verursacht und etwa ein anderer eben so passender Mann vorgeschlagen werden kann.

Schon seit langer Zeit wird uns der Vorwurf gemacht, wir wären demokratisch gesinnt und hätten also ein weltliches Element in die Kirche herüberverpflanzt. Zum Beweis dafür führt man an, daß wir bisher so ernstlich gekämpft haben für die Rechte der Gemeinden, d.h. der gläubigen Kinder Gottes. Unsre Gegner suchen den Eindruck zu erzeugen, als ob, wenn wir von diesen Rechten an sich reden, wir die Ordnung vorschreiben, wie diese Rechte auszuüben seien. Es ist aber ein großer Unterschied, zu sagen: Die Gemeinde hat das und das Recht, oder zu sagen: In der und der Weise hat die Gemeinde zu handeln, wenn sie ihr Recht ausübt. Manche Gemeinden scheinen uns etwas mißverstanden zu haben. Sie haben gelernt, daß sie bei Berufungen das Wahlrecht haben, — und Wehe uns, wenn wir ihnen dies ihr heiliges Recht nur im Geringsten streitig machen wollten! — aber sie haben aus unsern Aussprachen geschlossen, die rechte Weise, zu berufen, sei: keinen Menschen um Rat zu fragen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen sich selbst zu helfen. — Das ist nicht recht; die Wahl eines Predigers ist eine so hochwichtige, heilige und ernste Sache, daß sie nicht ohne den Rat schon im Amte stehender erfahrner Prediger vollzogen werden sollte, nicht nur damit die Gemeinden für sich selbst den rechten Mann treffen, sondern sich

 

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auch nicht versorgen mit dem Schaden des Ganzen. Das Wichtigste zu wissen ist für uns, wie zu der Apostel Zeiten die Wahl gehandhabt wurde. Da finden wir denn, daß allenthalben den Gemeinden das Recht, zu Wählen, auf das Entschiedenste zugesprochen wird, aber wir finden nicht, daß sie dies Recht auSübten ohne Zuziehung eines Apostels oder Bischofs. Aus der im Referat angeführten Stelle Tit. 1, 5.: „Derhalben ließ ich dich in Creta, daß du solltest vollends anrichten, da ich es gelassen habe, und besetzen die Städte hin und her mit Nettesten," wollen zwar unsre Gegner beweisen, daß nicht die Gemeinde das Recht habe, sondern die Bischöfe, aber andere Stellen zeigen klar und deutlich, daß sie gewaltig irren und diesen Spruch Pauli ganz und gar falsch verstehen. Wenn Paulus dem Titus bestehlt, die Städte hin und her mit Aeltesten zu besetzen, so tragt er ihm damit nicht auf, daß er Prediger wähle, sondern daß er die Wahlverhandlungen leite. Andere Schriftstellen beweisen nämlich, daß die Apostel Bischöfe dadurch einsetzten, daß sie die Stimmen der Gemeinden ließen abgeben; denn das griechische Wort, welches mit einsetzen oder ordnen übersetzt ist, bedeutet: die Stimmen abgeben. Die Stelle Tit. 1, 5. bezeugt daher, daß die Gemeinden zwar das Wahlrecht haben, auch es ausüben sollten; aber so, daß ein Mann, wie Titus, die Wahlverhandlungen leitet. Die Ausführung dessen, was Paulus Tito aufträgt, finden wir Ap. Gesch. 1, 26., wo uns erzählt wird, auf welche Weise an die Stelle Judas Ischarioths ein anderer Apostel gewählt ward. Bei dieser Handlung vollziehen die Apostel nicht die Wahl, aber geben Rath und zeigen, wie die Wahl in rechter Weise zu vollziehen sei. Ebenso Ap. Gesch. 6, wo berichtet wird, wie zu Jerusalem Almosenpfleger erwählt wurden. Da haben die Apostel nicht gesagt: die und die müßt ihr wählen, sondern Unterricht gegeben, welche Eigenschaften die zu wählenden Männer haben müssen, und wie die Gemeinde zu einer rechten Wahl kommen könne. Wie wollen Gemeinden dem Vorwurf der Leichtfertigkeit entgehen, wenn sie Lei Wahlen pochen auf ihr gutes Recht, aber nicht vorsichtig handeln, nicht guten Rath begehren, sondern nach eigener Weisheit fahren? Wahrlich! lutherischen Gemeinden darf man, nach Apostolischem Vorgang, zwar nimmermehr das Wahlrecht nehmen, aber sie sollen auch nicht ohne guten Rat treuer Bischöfe wählen. Dies ist nicht allein biblisch, sondern wird auch in unfern Bekenntnißschriften entschieden ausgesprochen,*) sonderlich in den Schmalk. Artikeln. Keine unsrer Bekenntnißschriften betont das Wahlrecht der Gemeinden so stark,

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*) Das bei diesem Satze geäußerte Bedenken, ob damit nicht der Schein gegeben werde, als setzen wir die Symbole über die Schrift, ward dadurch gelbst, daß man aufmerksam machte, um was es sich hier handle, nämlich nicht um Apostol. Lehre, sondern um Apostol. Ordnung. Wir Lutheraner bekennen, daß die Apostol. Beispiele hinsichtlich kirchl. Ordnungen und Einrichtungen nicht bindend sind; um so wichtiger aber ist es uns, wenn unsre alte luth. Kirche in ihren besten Zeiten gewisse Apostol. Ordnungen sich zum Muster genommen hat und dieselben der Kirche empfiehlt. Nur die Lehre der Apostel bindet, nicht ihre kirchl. Einrichtungen. Es gibt jedoch gewisse, für alle Zeiten passende Apostol. Einrichtungen, wie z. B. die Ordination, die SonntagSfeier, auch die Weise, Kirchendiener zu wählen, welche unsere Kirche beibehalten hat und den Gemeinden empfiehlt, mch solche Empfehlung muß uns außerordentlich wichtig sein.

 

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als die Schmalk. Artikel, aber gerade sie betonen auch die Zuziehung von Predigern so stark, wie keins der übrigen symbol. Bücher. Damit ist nicht gesagt, daß eine Wahl ohne diese Zuziehung keine Gültigkeit habe, nein, das sei ferne! — es fragt sich nur, ob sie vorsichtig, ob sie in gottseliger Weise, ob sie weislich, ob sie in rechter Demuth sei vollzogen worden. Eine Gemeinde soll und darf aber nicht bloß im Auge haben, ob sie gerecht wähle, sondern auch ob sie weise wähle und ohne Schaden des Ganzen. Eine Menge Ilebelstäude unter uns kommen daher, daß das nicht genug erkannt und berücksichtigt wird. Die Herren Präsides sollten mit allem Ernst daraus hinwirken, daß ihr guter Rath den Gemeinden lieb und werth und mit Freuden gesucht würde. Welchen Segen könnte ihr guter Rath stiften! Wie manche tiefe Wunde, die durch Wegberufung geschlagen wird, könnte vermieden werden, wenn sich die Gemeinden immer an sie wendeten!

In Anschluß an das Letztgesagte wurde weiter erinnert: Das betrifft nicht allein die Gemeinden, die um Rath fragen, sondern auch die um Rat Angegangenen. Es ist vorgekommen, daß ein Student einer Gemeinde Rath gegeben hat, wen sie wählen solle, wodurch eine, schon im Gange befindliche Berufung Hintertrieben wurde. Ein solcher junger, unreifer, unverständiger, unerfahrener Mensch sollte sich doch nicht unterfangen, Rath zu geben. Wenn angefragt wird, wen eine Gemeinde wohl bekommen könne, sollte immer an das Präsidium verwiesen werden, indem auch wohl ein gewöhnlicher Pastor nicht weiß, wer der passende Mann ist; denn es gehört Uebersicht über einen ganzen District dazu, um recht rathen zu können. Daß man die Präsides übergangen hat, ist viel mit Schuld, daß wir über unsere Gaben und Kräfte vielfach sv übel disponirt haben; viel anders würde es stehen, wenn unsere Gemeinden von jeher daran gewöhnt worden wären, den Districtspräses zu fragen: Welcher Mann ist wohl disponibel und für uns paffend? Auch bei der Zusammensetzung der Konferenzen sollte darauf gesehen werden, daß ihre Glieder gut zusammen passen. Sind in einer Konferenz lauter gleiche Leute, so gibt es keine gute Konferenz; es müssen verschiedene Gaben zusammengebracht werden, damit die Geister sich reiben und so die Conferenzsitzungen lebendig machen. Dies ist gleichfalls wichtig für die Districtssynoden. Da könnte vielfach auch die eine entbehren, was der andern nothwendig wäre. Bei unserm Mangel an leitenden Kräften findet sich's, daß in der einen aufgehäuft ist, Was die andere schmerzlich vermißt. Jeder helfe nun, daß dies Ziel erreicht werde; auch die Herren Professoren lassen sich inskünftig auf keinen Beruf mehr ein; daß wir zum Ziele gelangen, liegt nicht an Einem, nein das Gefühl für das Anzustrebende und zu Erreichende muß das Ganze durchziehen, — Gemeinde, Pastoren und Professoren. Bisher war's nicht möglich, die angegebene Ordnung einzuhalten, es muß aber dahin kommen.

Hier wurde der Rath gegeben: Wollen wir schnell zum Ziele kommen, wollen wir das Unwesen an der Wurzel abhauen, so ist's das Beste, daß, da die Prediger so oft über die Göttlichkeit eines an sie kommenden Rufes ungewiß sind, wir die Anforderung stellen, daß der Präses seine Zustimmung zu einem Berufe gibt. Wir richten nichts aus, wenn die Gemeinden nicht auf diese Weise an die Präsides verwiesen werden, — jede sieht denn doch immer zu, wie sie am schnellsten sich versorgen

 

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kann. — Damit konnte jedoch die Synode nicht übereinstimmen. Es ist wahr, durch das angegebene Mittel würde ein böser Baum an der Wurzel abgehauen, aber ein guter Baum würde auch mit abgehauen. Nimmermehr dürfen und wollen wir von oben herab die Gemeinden nöthigen, zu handeln nach unfern Gedanken und Einsichten. Sie sollen nicht denken, daß wir ihnen ihr Wahlrecht nur im Geringsten schmälern wollen. Das ist allein das Uebel, daß sie nicht vorsichtig, weislich, demüthig und nach der Liebe handeln, wenn sie so ganz unabhängig nach eigenem Gutdünken und ohne Berücksichtigung des Ganzen wählen und berufen. Unsere Gemeinden müssen allein dadurch für die gute, löbliche Ordnung gewonnen werden, daß man sie von der Heilsamkeit und Notwendigkeit derselben durch Belehrung überzeugt. Wir dürfen ihnen nimmermehr Anlaß zu solchen Gedanken geben: Ja, ihr müßt euch hinter den Präses stecken, wenn ihr einen Pastor kriegen wollt, der hat allerlei gute Freunde und Vettern und kann euch einen besorgen. Nein, eine Gemeinde soll und muß wissen, sie hat nimmermehr zu fürchten, daß wir ihre Rechte antasten; sie hat zu wählen, und wir haben nichts darein zu reden; wir sagen nur: Wollt ihr vorsichtig, weislich, demüthig in so hoher Sache handeln, so bittet um den Rath der besten Rathgeber,— und das sind in der Regel die Distriktspräsidenten; aber wir sagen nicht: Ihr müßt an den Präses gehen. Im Gegenteil, wen sie für einen Mann halten, der 1) solche heilige Sache vor Gott bedenkt und 2) Erfahrung und Einsicht besitzt, guten Rath zu erteilen, den mögen sie zuziehen. Nur zu überzeugen haben wir unsere Gemeinden, daß, wenn sie so unabhängig nach eignem besten Wissen und Gewissen und ohne Rücksicht auf das Ganze wählen, dies darum vom Uebel ist, weil sie damit das innere Wachstum unserer Synode und somit des Reiches Gottes hindern, davon ja auch unsere Synode ein Theil, wenn auch nur ein kleiner, ist.

Hier wurde der Einwand erhoben: Es ist doch sonderbar, daß man der Gemeinde erst zugesteht, sie habe das Recht, zu wählen und zu berufen, und dann ihr doch die Weisheit und Gaben abspricht, das Recht auszuüben. Wo Gott ein Recht gibt, da gibt er auch Gabe und Weisheit, es auszuüben. Nur die rechte Demuth muß also die Gemeinden bewegen, Rath zu suchen.

Darauf erfolgte die Antwort: Wenn eine Gemeinde glaubt, sie hätte Weisheit genug, ihre Predigerwahl allein ohne Zuziehung von Predigern vorzunehmen, zieht aber solche hinzu aus Demut, das ist Hochmuth. Sie soll glauben, zu so hohem, heiligem Werk fehlt ihr alle Weisheit und Einsicht, dazu ist sie blind und unverständig. Dazu hat Gott das Predigtamt eingesetzt, daß Männer da seien, die zeitlebens in der Schrift suchen und forschen und daher selbstverständlich einen höhern Grad von Weisheit und Erkenntnis haben, als die Zuhörer. Nun können ja wohl hie und da Leute in einer Gemeinde sein, die an Weisheit und Erkenntnis den Prediger übertreffen, aber im Allgemeinen steht's doch so, daß die Genwinden durchaus nicht wissen, wer für sie die rechten, passenden Männer zu Predigern sind. „Wo ein Recht ist, da ist auch die Geschicklichkeit, es auszuüben," — dieser Satz muß durchaus in Abrede gestellt werden. Ein getavster Säugling von Einem Tage hat das Recht jedes erwachsenen Christen, aber nicht die Geschicklichkeit, es auSzuüben. Desgleichen ein Weib hat das Recht, und die Macht, zu

 

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wählen, aber Gott hat durch St. Paulum ihr die Ausübung ausdrücklich verboten. Es ist erschrecklich, zu sagen: Ich habe ein Recht, darum habe ich auch Weisheit und Geschicklichkeit, das Recht auszuüben. Auch in weltlichen Sachen gilt der Satz nicht. Unmündige Kinder z. B. haben dasselbe Recht an ihrer Eltern Vermögen, wie mündige; aber läßt man sie deßwegen selber über den Geldsack gehen und ihr Recht ausüben? Keineswegs! man setzt ihnen einen Vormund. Wohl ist das eine andere Sache, aber analog, d. H. ein ähnlicher Fall, nur in ganz anderm Gebiet. Der Apostel hütet sich auf's Vorsichtigste, das Recht der Gemeinden zu kränken, er befiehlt nicht, sondern bittet und ermahnte; aber auch nie lesen wir von einer Gemeinde, daß sie ohne Zuziehung eines Bischofs eine Vocation vollzogen habe. Daraus ist nicht das Geringste zu geben, wenn man sich viel Weisheit und Verstand zutraut und dabei von Demuth redet; das ist keine Demut, das nennt man nur Bescheidenheit, da Einer seine tiefe Einsicht und Überlegenheit über den Ändern wohl erkennt, sich aber gegen ihn stellt, als stünde er tief unter ihm. Aber solche Bescheidenheit kann als keine Tugend betrachtet werden, sondern ist ein schändliches, gottloses Laster. —Als trotz dieser Erläuterung obiger Einwand noch einmal wiederholt ward, sprach die Synode noch Folgendes aus: Die Weisheit, welche Christen haben, besteht hauptsächlich darin, daß sie sich für Thoren halten, sich selbst nicht trauen, so viel Rath, als nur immer möglich, einholen. Wenn ein Christ bei Menschen keinen Rat finden kann, bleibt ihm freilich nur das Eine übrig, was er ja immer zuerst und zuletzt thut: er fällt auf seine Kniee und bittet Gott um Gnade, Weisheit und Verstand. Das ist aber eine betrübte Weisheit, wenn Gemeinden sich für klug und erleuchtet genug halten, nm eine so schwere Sache, wie eine Predigerwahl, allein auszuführen. Wenn wir die Gemeinden an schon im Amte Stehende, sonderlich an den Präses um guten Rat verweisen, so wollen wir übrigens damit keineswegs sagen: Gott hilft den Kindern Gottes, wie vielmehr den Pastoren und gar dem Präsidenten der Synode! Das sei ferne! Treue Beamten einer Synode, Präsidenten und Professoren, müßten sich selbst anspeien, wenn sie glaubten, bei ihnen als solchen sei die Weisheit und der Verstand und sie wüßten Alles wohl auszurichten; sie müßten fürchten, sie wären aus der Gnade gefallen, wenn solche Gedanken bei ihnen Raum gewinnen wollten. Der Gedanke, sie als kluge, gelehrte Männer müßten doch wohl wissen, was den dummen Leuten in den Gemeinden frommt, liegt ihnen ferne und wird von ihnen tief verabscheut. Wichtige Sachen, in denen sie zu sorgen und zu rathen haben, ängstigen sie Tag und Nacht; sie stehen oft in den höchsten Nöten, fallen auf ihre Kniee in brünstigem Gebet, schlagen alte Bücher auf und forschen nach der Weisheit der Väter; treffen sie mit Amtsbrüdern zusammen, so werden die alsbald zu Rathe gezogm, oder kommen sie gar zu Konferenzen, so wird diesen sogleich die Sorgenlast mit aufgeladen;—kurz, alle mögliche Rathgeber, die nur zu haben sind, werden um Rath und Hülfe gebeten, damit ja der Wille Gottes recht erkannt und vollbracht werde. So handeln bei wichtigen und schweren Sachen alle rechte Christen, und so sollen auch rechtschaffene Gemeinden bei Prüügerwahlen handeln. Wehe uns, wenn wir darauf hinarbeiten wollten, den Gemeinden ihr Wahlrecht, ihr heiliges, köstliches Wahlrecht zu nehmen, oder zu

 

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verkümmern! Nein, das sollen sie ungeschmälert behalten, aber sie sollen auch in tiefster Demuth erkennen ihre Blindheit in so hohen, göttlichen Sachen und darum so viel und so guten Rath suchen, als sie nur immer finden können, sollen sich auch nicht so leicht zufrieden stellen mit dem Rathe nur eines benachbarten Predigers, der vielleicht nicht recht zu rathen versteht. Wer in wichtigen und schwierigen Sachen keinen Rath einholt, weil er meint, keinen zu bedürfen, der soll ja nicht glauben, daß ihm Gott Gnade und Weisheit geben werde; denn nur den Demütigen gibt Gott Gnade. Wenn daher die Gemeinden pochen wollen: Wir haben das Recht zu wählen, wir bitten Gott um Weisheit und fragen sonst nach Niemand, so wird ihnen eine schöne Weisheit gegeben werden, nämlich Gott wird sie ihre eigenen verkehrten Wege gehen lassen! Das ist ja eben Weisheit, die Gott gibt, daß man sich bei jedem wichtigen Vorhaben nach gutem Rath umsieht.

Ein anderes Bedenken sprach sich in folgender Frage aus: Wenn es im § 21 heißt: „Jedem stimmfähigen Gemeindegliede wird gestattet, einen Candidaten vorzuschlagen," ist das nicht allem bisher Gesagten widersprechend ?

Antwort: Nur dadurch kann die rechte Willigkeit der Gemeinden, Prediger bei Berufungen zu Rathe zu ziehen, bewirkt werden, wenn man die Sache mit ihnen also handelt, daß auch nicht ein Jota dieses Rechtes der einzelnen Gemeindeglieder streitig gemacht wird, aber ihnen Anleitung gibt, wie sie sich dieses ihres Rechts recht bedienen sollen. Wenn die Sache in unfern Gemeinden besprochen wird, sollten wir mit aller Macht dahin zu wirken suchen, daß dieselbe mit recht viel Liebe und Interesse seitens der Gemeinden verhandelt würde. Der Weg der Belehrung, den wir einznschlagen haben, ist folgender: Wenn wir erst selbst recht lebendig überzeugt sind und nun auch gern unsre Gemeinden überzeugen möchten, so ist ja freilich das Beste, wenn wir nicht davon ausgehen, ihnen zu Gemüthe zu führen, wie beschränkt sie sind, sondern davon, welche heilige und hohe Rechte und Pflichten sie in Beziehung auf Predigerwahl haben, und wenn wir dann fortfahren, ihnen zu zeigen, wie sie es anzufangen haben, ihre Rechte vorsichtig, weislich, demütig und zum gemeinen Nutzen auszuüben. Wenn die rechte Erkenntnis bei den Gemeinden eingeht und man sie überzeugt hat, wie ersprießlich die von uns erkannte rechte Ausübung ihres Wahlrechts ist, dann wird das rechte Vorschlägen der Einzelnen das Resultat sorgfältiger Beratung mit treuen Predigern sein; sie werden die Ueberzeugung haben, daß sie gar nicht eher Vorschläge machen können, als bis sie genau erkundet haben, ob man den oder jenen Mann auch wegnehmen kann, und ob er auch paffend ist. Es ist gewiß, jedes stimmberechtigte Gemeindeglied hat das Recht des Vorschlags und die ganze Gemeinde das Recht zu wählen; aber sie soll sich selbst nicht trauen, sondern das heilige Amt gebrauchen als eine Gabe Gottes auch dazu, um in Berufssachen guten Rath zu geben; sie soll daher einen treuen und einsichtsvollen Prediger zu ihren Verhandlungen bitten und zu ihm sprechen: Du sollst uns vorbeten, uns Unterricht geben, wie wir unsre Wahl recht anzufangen haben, welche Männer wohl die für unpassenden Gaben hätten, welche wir, ohne dem Ganzen zu schaden, wohl wählen könnten. Hat er nun das alles getan, dann hat die Gemeinde nach bestem Wissen

 

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und Gewissen vorzuschlagen und zu wählen. Wenn er dagegen vorschreiben wollte: Den und den dürft ihr nicht wählen, sondern den oder den müßt ihr wählen, dann müßte ihm die Gemeinde sagen: Gehen Sie nur Ihrer Wege; wir haben Sie kommen lassen, nicht um Ihnen unsere Rechte zu geben, sondern Ihren guten Rath zu hören. Hierher gehört auch das Wort Christi: Wo zween unter euch eins werden, um was es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren. Hier stehen sich gleichsam zwei Partheien gegenüber, eine, die Gemeinde, die spricht zur andern, dem Prediger: Sag' du auch dein Urteil, du bist in der Sache unpartheiisch.

Zu den Worten der ersten Anmerkung zu § 21: „So wichtig es übrigens ist, daß die wählende Gemeinde bereits im Amte Stehende zuziehe, so ist dies doch nicht schlechterdings oder zur Gültigkeit der Wahl nöthig," gab man folgende Erläuterung: Die Wahl ist wohl gültig und göttlich, wenn nur die Gemeinde und Niemand anders sie vollzogen hat. Wenn der Bischof allein sie vollzieht, ist sie null und nichtig, aber die Gemeinde allein kann gültig wählen; indeß eine andre Frage ist's, ob vorsichtig, weislich und mit rechter Demuth gewählt worden ist. Es kann zwar Fälle geben, da eine Gemeinde auch ohne Beratung bei bester Demuth die feste Ueberzeugung von einem ihr bekannten Pastor hat: das ist der Mann für uns; in den meisten Fällen ist es jedoch sehr wichtig, ja nothwendig, daß die Gemeinden nicht allein wählen. Wenn freilich an einer Gemeinde bereits ein Pastor steht und soll ein zweiter gewählt werden, und die Gemeinde wollte zum ersten sagen Sie haben nichts darein zu reden, wir wählen für uns, wen wir wollen, so müßte der Pastor entschieden erwiedern: Nein, liebe Freunde, ich gehöre auch dazu, ja ich gehöre vor allen dazu; denn ich habe die schwere Verantwortung für euch auf mir und muß daher dafür sorgen, daß ihr einen treuen Seelsorger erwählet; ich gehöre ferner ja auch zur Gemeinde, der Neuzuberufende wird mein Seelsorger auch, ich habe daher auch ein Wort mitzureden. Wählt eine Gemeinde einen Hülfsprediger ohne ihren Pastor, so ist die Wahl gleichfalls null und nichtig.

Aufschluß ward ferner begehrt über den Schluß des Citats der Schmalk. Artikel ans Cyprian in Anmerk. 1, wo gesagt wird, daß „in Gegenwart der ganzen Gemeinde, die eines jeden Wandel und Leben weiß, der Bischof soll gewähletj.werden." Es sei ja doch immer davon die Rede gewesen, daß die eingeladcnen Bischöfe die Gemeinden auf die rechten Männer aufmerksam machen sollen, nicht aber die Gemeinden die Bischöfe, wie Cyprians Worte geben. — Der erbetene Ausschluß wurde folgendermaßen gegeben: Daß Cyprian hier das Zeugnis der Gemeinden über die zu Wählenden fordert, erklärt sich dadurch, daß in damaligen Zeiten die Bischöfe in der Regel mitten ans den Gemeinden gewählt und berufen wurden. Weil mm die Apostel oder andere Bischöfe, wenn sie in fremden Gemeinden zur Wahl zugezogen wurden, nicht selbst wissen konnten, wer dir besten Gaben und den gottseligsten Wandel für sich hatte, so ließen sie sich dies durch die Gemeinden bezeugen.

Schließlich erfolgte über den ersten Punkt des § 21 noch folgende Aussprache: Bisher haben wir vorzüglich von den Störungen geredet, die bei Versorgung

 

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von Gemeinden, welche schon Prediger hatten, durch Neuberufungen entstehen; aber sehr wichtig ist es auch, daß wir neu entstehende Gemeinden in's Ange fassen. Bei der Versorgung solcher ist seitens der Rathgeber besonders darauf zu sehen, daß ihnen missionirende Gaben zugetheilt werden. Ferner entsteht auch mancher Uebelstand, wenn ein benachbarter Prediger von einer solchen Gemeinde aufgefordert wird, ihr zu ihrer Versorgung behülflich zu sein. Durch eine oberflächliche Kenntnißnahme von den Zuständen bildet sich der Pastor eine Anschauung, stellt nach derselben die Sache dar und wirkt die Ueberzeugung, daß die höchste Not vorhanden und die Versorgung zu beschleunigen sei, während dies doch vielleicht durchaus nicht der Fall ist. Pastoren, die in einen solchen Fall kommen, sollten ja vorsichtig sein, sich die Sache erst recht genau ansehen und ihrem Urtheil nicht zu viel zutrauen.

Nun folgte die Verlesung von Anmerk. 2 des § 21 und deren weitere Erörterung. Ueberaus wichtig ist, daß aus den angeführten Citaten hervorgeht, daß es der luth. Kirchen und Gemeinden Deutschlands eigene Schuld war, daß sie in Abhängigkeit vom Staate geblieben sind. Man spricht vielfach seine Verwunderung aus, daß Luther und seine Genossen, da sie doch über diesen Punkt recht gelehrt, gleichwohl ihre Lehre nicht in die Praxis geführt haben, und beschuldiget sie, daß sie die deutschen Kirchen ganz ruhig in der Abhängigkeit vom Staate gelassen haben; allein dem ist nicht so, sie haben die Abhängigkeit der Kirche vom Staat und die gebliebene Praxis bei Besetzung von Pfarrämtern nicht bestätigt, noch besiegelt. Luther ist nicht Schuld, daß die Gemeinden in Abhängigkeit geblieben sind, sondern die Gemeinden selber, ihr Geiz, daß sie ihr Geld lieber behalten, als sich vermittelst desselben die unabhängige Ausübung ihrer Rechte verschaffen wollten. — Wichtig ist ferner, was über frühere kirchliche Bedrückungen in Holland gesagt wird, auch für unsre Gemeinden. Wie bekannt, ist es auch in unserer Synode noch hie und da der Fall, daß man gewisse Rechte der Gemeindeglieder von Vermögensumständen abhängig macht. Es giebt z. B. noch Gemeinden, in denen man nur die ansässigen Farmer, aber nicht die Renter und Knechte als volle Glieder anerkennt und den beiden letzteren Stimm- und Wahlrecht verweigert. Das ist auch ein Uebelstand, der zu beseitigen ist.

Veranlaßt durch das vom Kanzler Pfaff über die Weise der Predigerwahl zu Rostock Gesagte, entstand die Frage, ob es wohl unter allen Umständen unrecht sei, Probepredigten zu halten; worauf die Antwort lautete, wie folgt: Es ist vor allen Dingen auszusprechen, daß es an sich nicht unrecht ist, Probepredigten zu halten. Wenn Paulus schreibt: „So Jemand ein Bischofsamt begehret, der begehret ein köstlich Werk," so geht daraus hervor, daß es unter Umständen etwas sehr Löbliches und Gott Wohlgefälliges sein kann, wenn sich ein Candidat zu einer Stelle meldet. Es kommt nämlich auf die Gesinnung an, ob er es wirklich thut aus herzlicher Liebe zu den Seelen und aus brünstigem Eifer, Gottes Wort zu verkündigen. Dies bezieht sich jedoch nur auf Solche, die noch nicht im Amte stehen. Steht einer bereits im Amte und hält Probepredigt, so will er keine Stelle (denn er hat ja eine), sondern will von seiner Gemeinde weg. Ob und wann er aber weg soll, das soll er dem Herrn Jesu überlasten, der ihn in sein Amt gesetzt hat. Trachtet er danach, wie er wegkomme,

 

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so will er nicht warten, bis der Herr Jesus ihn wegruft; denkt, der könnte ihn vergessen; seine Handlung ist also ein Werk des Unglaubens. Daß unter Umständen eine Gemeinde begehrt, den Mann, der ihr Pastor werden soll, erst zu sehen, kennen zu lernen und predigen zu hören, ist ihr durchaus nicht zu verargen und nicht unrecht; steht er indessen schon im Amte, so kann sie zwar keine Probepredigt von ihm verlangen, aber sie mag einige ihrer tüchtigsten und erkenntnisreichsten Glieder hinsenden, daß die ihn hören, was auch deßwegen das Beste ist, weil die ihn dann sehen und hören, wie er für gewöhnlich sein Amt verwaltet, während die Erfahrung lehrt, daß Probepredigten für den besonderen Zweck auch besonders zugestutzt und ausgeschmückt zu werden Pflegen, also daß schon manche Gemeinde bitter getäuscht worden ist und hintennach an dem Manne nicht gefunden hat, was die Probepredigt vermuten ließ.

Bei Anmerk. 3 wies die Synode darauf hin, wie unsre alten Lehrväter verlangen, daß bei Berufungen alle drei Stände in der Kirche, also auch der Lehrstand, und zwar dieser sonderlich beratend, sich beteiligen sollen. Daraus geht hervor, daß wir jetzt nicht etwas Neues aufbringen wollen, sondern nur darnach trachten, daß wir die herrlichen Schätze unserer alten luth. Kirche auch im Betreff der rechten Weise, Prediger zu wählen, wieder erlangen. Aber auch das sehen wir hier wiederum recht deutlich, daß unsre Kirche doch dem christlichen Volk das Wahlrecht zuspricht. Ja, die in der Anmerkung enthaltenen Citate müssen wir uns gewöhnen, als wahre Grundpfeiler der Lehre, daß das Volk, die Gemeinden zu wählen haben, anzusehen, da gerade Leute, wie Löhe, Harms u. a., die darin angeführten und ausgelegten Schriftstellen für das Gegen-theil mißbrauchen. Sie sagen: Da steht es ja, die Apostel und Bischöfe setzen Prediger, also nicht die Gemeinden.

Zu Anmerk. 4., die sie jetzt vornahm, gab die Synode folgende Erläuterungen: In unsern Tagen ist es Regel geworden, daß, wenu man spricht von deu symbolischen Büchern, man sie hinstellt als ein gräuliches Joch, welche- der Kirche aufgehalst sei und davon man sich befreien müsse. Allein man lasse sich nicht durch Redensarten täuschen! Man verheißt den Gemeinden Freiheit, wenn sie dieses Joch abschütteln; aber gerade weil man ihnen ihre Freiheit nehmen will, darum sucht man ihnen die Bekenntnisschriften zu rauben. Die Bekenntnisse sind es gerade, welche luth. Gemeinden verwahren, daß sie keine Knechte werden, keine Prediger annehmen müssen, die da predigen, was sie gut dünkt; sie sind das Palladium der Freiheit, das Bollwerk, daß Gemeinden nicht jeden beliebigen Prediger sich aufhalsen lassen und ihn hören müssen. Mit den Bekenntnissen iu der Hand können sie jedem Prediger entgegentreten und sprechen: Hier steht's geschrieben, wie in der luth. Kirche die Bibel muß ausgelegt werden; legst du sie nicht so aus, so weiche nur von und, wir wollen keinen andern Seelsorger, als der sich durch eine heilige Verpflichtung bindet, nach diesen Büchern die heil. Schrift auszulegen, weil wir zu der Erkenntnis gekommen sind, daß die Lehre, die darin niedergelegt ist, in allen Stücken mit Gottes Wort übereinstimmt und darum die himmlische, ewige Wahrheit ist. Will er sich nun diese Verpflichtung nicht auflegen lassen, so zeigt er nur damit an, daß er nicht im Sinne hat, die volle lutherische Wahrheit zu verkündigen, vielmehr sich die Freiheit

 

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sichern will, zu predigen, was ihm beliebt. Nicht nur die Generalsynode, sondern auch sogenannte strenge Lutheraner, wie z. B. die Iowa - Synode, schreiben öffentlich in die Welt hinaus: Nicht Alles, was unsere Bekenntnisse enthalten, ist darum auch Bekenntniß. Man muß die symbolischen Bücher historisch auslegen und verstehen, d. H. bedenken, wie es vor 300 Jahren ausgesehen, die ReformationSgeschichte zu Hülfe nehmen, um zu sehen, gegen welche Gegensätze Vieles gesagt ist; da wird man finden, daß um gewisser Umstände willen, die damals obwalteten, unsre Symbole Vieles aussagen, was jetzt nicht mehr gilt, da die Umstände anders geworden sind. Sie sind ein geschichtlich werthvones, ehrwürdiges Document, aber es sind jetzt andere Zeiten, andere Gegensätze. Wenn sie gegen Papst und Papstthum gewisse Ausdrücke gebrauchen, so muß uian dieselben nach dem damaligen Standpunkte der Bekenner in der Erkenntnis verstehen; als, wenn sie z. B. den Papst den Antichrist nennen, so ist zu wissen, daß man damals in den Anfängen der Lehrentwickelung stand, jetzt aber schreitet diese Entwickelung raschen Schrittes der Vollendung entgegen. Unter diesen Umständen sollten wir doch bedenken, welch köstlichen Schatz wir an den Symbolen haben, und Gott herzlich danken, daß er uns mit unserm Bekenntniß fest ans dieselben gestellt und gegründet hat. Was und wo wäre die Missourisynode, wenn wir nicht diese Bücher hätten und uns von ganzem Herzen zu denselben bekennten!

Hier gab sich das Bedenken kund: Wenn man die Pastoren auf sämmtliche symbolische Bücher verpflichte, ob man da zufrieden sein könne, wenn Gemeinden ihre Glieder bei deren Aufnahme constitutionell nur auf den kleinen Katechismus und die Augsb. Confession verpflichten, auf welches Bedenken Folgendes erwie-dert ward: Man setzt voraus, daß jeder Prediger das ganze Concordienbuch nicht nur gelesen, sondern auch sorgfältig geprüft hat, ob jeder darin enthaltene Lehrsatz mit der heil. Schrift übereinstimme. Das kann aber nicht von jedem Gemeinde-gliede verlangt werden, und es ist doch unmöglich, daß Jemand ans etwas verpflichtet werde, was er nicht kennt. Was hilft es, weun über der Pforte einer Gemeinde steht: Sie bekennt sich zu allen Symbolen, die Eintretenden kennen aber dieselben nicht? Hingegen wenn sie den kleinen Katechismus und die Augöb. Con-festron nicht nur kennen, sondern auch sich von Herzen dazu bekennen, so werden sie Stellen aus andern Bekenntnißschriften und diese selbst nicht zurückweisen, verwerfen und verachten, sondern vielmehr sich herzlich freuen, wenn ihnen dadurch Dies und Jenes in ihrem Katechismus erläutert wird. Sodann ist auch daran zu erinnern, daß die symbolischen Bücher selbst au einer Stelle sagen, der kleine Katechismus sei ausgenommen als das Laienbekenntnis, und eine andere Stelle die Augsb. Confession ein solches öffentliches Bekenntniß nennt, dazu sich alle Christen insgemein bekennen. Durch diese beiden Stellen zeigen sie selbst an, daß es genug ist, wenn gemeine lutherische Christen nur auf diese Leiden verpflichtet werden. Es ist nicht zu leugnen, es ist eigentlich etwas Gewissen-Beschwerendes, wenn man alle luth. Gcmeindegliedcr ans das ganze Coucordienbuch verpflichten will, so gut es auch gemeint und so löblich der Eifer für unsere Bekenntnisschriften ist, der sich in obigem Bedenken ausspricht. — Da vorstehende Aussprache nicht allseitige Befriedigung gewährt hatte und daher die Frage, ob es nicht doch nöthig wäre, auch die Gemeindeglieder auf alle Symbole zu verpflichten, wieder auf-

 

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tauchte, so sah sich die Synode veranlaßt, sich noch weiter dahin zu erklären: Zuvörderst würde, so man das für nöthig erachtete, die praktische Folge sein, daß ein Pastor, wenn er von einer Gemeinde berufen würde, sagen müßte: Ich kann euch nicht eher annehmen, als bis ich überzeugt bin, daß ihr alle die Symbole kennet, ich muß also erst eine gehörige Aeitlang mit euch die symbolischen Bücher treiben. Sodann ist, was von den Gemeinden verlangt wird, eigentlich doch nicht eine Verpflichtung auf die Symbole, sondern ein Bekenntniß zu denselben. Wenn nun eine Gemeinde sich zu dem kleinen Katechismus und der Augsburgischen. Konfession bekennt, so bekennt sie sich ja zu den Lehren, die in den übrigen Symbolen nur ihre weitere Ausführung finden. Es ist in einem gewissen Sinne wahr, das ganze Concordienbuch ist nicht für jeden wahren Christen. Damit wollen wir jedoch nur sagen: Nicht jeder wahre Christ hat Geschick und Gabe, es zu verstehen und recht zu gebrauchen. Unsere Kirche hat daher verschiedene Symbole; sie hat welche für die Kinder und ganz Einfältigen, als den kleinen Katechismus; sie hat auch welche für Gefördertere, als die Augsb. Confession; sie hat endlich welche für sehr Kenntnißreiche und Begabte, sonderlich ihre Prediger und Lehrer, wie die Concordienformel. Damit ist nun nicht gemeint, daß die Gemeinden die symbolischen Bücher als Ganzes nicht cmerkeuneten, nein; denn es giebt immer Leute unter ihnen, welche sie über die Symbole belehren und unterrichten können und zu welchen sie Zutrauen haben. Wenn nun eine Gemeinde hört, ihr Pastor wird auch noch aus andere Bücher, als den kleinen Katechismus und die Augsb. Confession, verpflichtet, so traut sie ihm dennoch, weil sie sieht, der Mann streitet immer für unsern Katechismus, damit stimmt Alles, was er aus den andern Bekenntnissen bringt, immer so herrlich überein. Gesetzt den Fall, eine luth. Gemeinde will einen Mann zu ihrem Pastor berufen, merkt aber im Gespräch mit ihm, daß er allerlei Tadel über Luther und seine Schriften ausspricht, — was wird geschehen? Sie wird denken und sagen: Das ist nicht der rechte Mann für eine rechtschaffene luth. Gemeinde, den wählen wir nicht. Noch viel mehr wird dies geschehen, wenn er das Concordienbuch angreift; denn die Gemeinde weiß, Luther, Chemnitz, Arndt, Heinrich Müller u. a. haben alle so fest an den Bekenntnißschriften gehalten und sich verpflichtet, streng nach ihnen zu lehren, und waren doch alle rechtgläubige Gottesmänner, die sich auch durch ihre Schriften bereits vielfach als rechte Wegweiser nach dem ewigen Leben an ihnen bewiesen Hatzen. — Wenn von uns ein Candidat an eine neue, noch rohe Gemeinde gesendet worden ist, so ist er bisher immer instruiert worden, nichts weiter zu verlangen, als dies, daß Niemand Mitglied sein und werden könne, als welcher glaubt, der kleine Katechismus enthalte die lautere christliche Wahrheit. Als wünschenswert solle er es hinstellen, daß außerdem auch noch das Bekenntniß zur Augsb. Confession verlangt werde. Hätte die Gemeinde aber Bedenken, dies Zweite zu thuu, weil sie die Confession nicht kennt, so soll er getrost mit dem Ersten zufrieden sein, das genüge vollkommen. Aus dem Katechismus kann ja die Gemeinde durch alle übrigen Bekenntnisse hindurchgeführt werden, und wenn dies seitens des Pastors recht geschieht, wird die Gemeinde von selbst in einigen Jahren das Bekenntniß zur Augsb. Confession, Md in zehn Jahren vielleicht das Bekenntniß zu allen Sym-

 

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bolen begehren. Ein analoger Fall ist, was wir Pastoren bei der Confirmation thuu; wir verlangen nämlich von Wenig-Begabten, daß sie zum wenigsten den Text des kleinen Katechismus als ihr Bekenntniß wissen, womit nicht gesagt ist, daß sie sich nicht auch zur Auslegung bekennen sollen.

Hier entstand die Frage: Wenn wir also verlangen, daß sich unsere Gemeinden zu allen Symbolen (wenigstens indirect) bekennen, wenn unsere Kirchendiener auf alle Symbole verpflichtet werden, halten wir damit für nothwendig, daß auch in andern Kirchen, wie z. B. in der Norwegischen, die gleiche Verpflichtung geschehen müsse, wenn wir sie als rechte luth. Kirchen anerkennen sollen? — Antwort: Jeder von uns wird damit übereinstimmen, daß, wenn das von der Verpflichtung auf sämmtliche Symbole Gesagte in's Protokoll kommt, wir damit nicht sagen wollen, daß eine Kirche nicht wahrhaft lutherisch .sei, wenn sie nicht das ganze Convolut unserer Symbole als ihr Bekenntniß proklamiert. Die Dänisch-Norwegische Kirche hat nicht den großen Katechismus, nicht die Schmalk. Artikel, nicht die Concordienformel als ihr Bekenntniß offiziell angenommen und ist doch allezeit als eine rechtschaffene luth. Kirche anerkannt worden. Dies Land war so glücklich, daß in der Kirche daselbst keine Kryptocalvinisten, Kryptopapisten und andere Schwärmer, gegen welche in Deutschland die Concordienformel aufgestellt werden mußte, Unruhen stifteten, wiewohl es an einzelnen heimlichen Calvinisten auch dort nicht fehlte. Hätte die Dänisch-Norwegische Kirche diese Bekenntniß-schrift im Lande einführen wollen, so wäre sie Gefahr gelaufen, die schlimmsten Streitigkeiten und Unruhen in sich selbst hervorzurufen. Dies ist denn auch Ursache gewesen, warum diese Bekenntnisschrift in jener Kirche nicht offiziell angenommen ward. Es ist falsch und verkehrt, wenn man so oft liest, die Norwegische Kirche sei nicht konfessionell durchgebildet, wie die Deutsche; denn wenn auch dort die Symbole nicht alle offiziell angenommen worden sind, so beweisen doch theologische Männer, wie Brockmann, Lassenius u. a., daß trotzdem das Concordienbuch in Norwegen als das Buch lutherischen Glaubens und Bekenntnisses je und je angesehen gewesen ist. Uebrigens trachten jetzt nicht nur die hiesigen treuen Norwegischen Lutheraner danach, das ganze Concordienbuch anzunehmen, sondern es wird dasselbe auch in Norwegen selbst eben in die Landessprache übersetzt.

Nun kam die Synode darauf zu sprechen, wie wichtig es sei, daß wir unsere Gemeinden zu einer immer bessern und gründlicheren Kenntniß der Symbole führen.— Vor Alters war das luth. Christenvolk mit dem Inhalt der Bekenntnisse besser bekannt und vertraut und darum auch über die Bedeutung und den Werth der Verpflichtung besser unterrichtet, als heutzutage. Es ist Tatsache, daß unsre jetzigen luth. Gemeinden lange nicht so, wie die früheren, diese Schätze unserer Kirche kennen. Wenn wir nun bedenken, welchen Schatz uns Gott in diesen Schriften anvertraut hat, so muß den lieben Brüdern im Amte das neue Anreizung geben, ihre Gemeinden aufmerksam darauf zu machen und fleißig zu belehren, wie xe durch rechten Gebrauch der Symbole auf's trefflichste in der reinen Lehre gegründet, wie sie geschickter gemacht werden, das Wort Gottes je länger je mehr mit rechtem Nutzen zu lesen und zu hören, sich selbst und Andere vor Verführung zu allerlei Irrtümern zu bewahren, wenn sie fleißig in den Bekenntnisschriften forschen.

 

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Wenn wir erfahren, wie wenig bekannt mit den Symbolen unsere Gemeinden im Allgemeinen noch sind, so muß das uns einestheils tief demütigen, anderntheils aber auch ein mächtiger Antrieb sein, dieselben mehr unter die Leute zu bringen und sie zum fleißigen Lesen darin zu ermuntern und in ihr rechtes Verständniß einzuführen. Je älter und erfahrener unsere Gemeinden werden, desto ernster und eindringlicher sollen wir sie auch dazu ermahnen. Wünschenswert ist es, eine genauere Kenntniß der Symbole wenigstens bei ihren Leitern und Kirchenrathen voraussetzen zu können. Um nun das Gewünschte in Gang und Schwung zu bringen, wäre es sehr wichtig, wenn in allen Gemeinden Erbauungsstunden eingeführt würden, in welchen man die symbolischen Bücher durchnähme. Diese Concordienstunden, welche bereits hie und da bestehen, müssen jedoch nicht so eingerichtet werden, daß man in einer Stunde viel vorlies't, — das ist höchst uninteressant und macht, namentlich des Abends, zum Schlafen geneigt, — nein, es werde nur wenig auf einmal vorgelesen und darüber recht lebendig gesprochen. Mau zeige bei jedem einzelnen Stück, wie es ein Jeder anwenden soll zunächst auf sein inneres Leben und sodann auf das kirchliche Wesen und Gemeindeleben. Daß man von den Kirchenratsgliedern eine genauere Kenntniß der Symbole verlange, ist ein vortrefflicher Gedanke, und es wäre zu wünschen, daß dieselbe zu einem Erfordernis für ihre Wahlfähigkeit gemacht werde. Um dies Letztere jedoch nicht mißzuverstehen, bedarf es doch vielleicht einiger Beschränkung. Einige möchten dies Erfordernis zu früh und voreilig stellen; denn es gehört ein gewisser Grad der Reife einer Gemeinde dazu, ehe sie solche Bestimmung machen kann. Es ist ja gewiß herrlich und köstlich, wenn eine Gemeinde so weit gefördert ist, das Genannte zu thun, und sollte dies allen Gemeinden als das Ziel vorschweben; allein man übereile die Sache nicht. Sodann müßten doch wohl auch Ausnahmen statuiert werden. Kommt so eine Bestimmung iu die Kirchenordnung, so weiß man ja, wie die Gemeinden gewöhnlich mit Händen und Füßen sich darauf stützen und stemmen — leider Gottes! oft mehr, als auf Gottes Wort, — und es ist doch viel daran gelegen, daß solche Männer in den Kirchenvorstand kommen, welche die Gabe haben, auf's Leben der Gemeinde einzuwirken, wenn ihnen auch die andere Gabe, Bücher zu lesen und zu studiren und in das Gelesene tief einzudringen und sich's zu eigen zu machen, mangelte. Wenn obige Bestimmung in die Kirchenordnung kommt, tritt die Gefahr ein, daß viele vortreffliche Leute von der Gemeindeleitung ausgeschlossen werden, während manche eitle Menschen das Concordienbuch durchlesen würden, um wählbar zu sein. — Auf die Frage, ob es nicht wünschenswerth wäre, daß unsere Professoren eine Auslegung der Augsb. Confession lieferten, erfolgte die Antwort: Das wäre allerdings wünschenswerth; allein wer will's unfern Professoren, die so schon von ihren Arbeiten fast erdrückt werden, zumuthen? Aber vielleicht könnten sie die Herausgabe nnd Verbreitung irgend einer alten Auslegung veranlassen. Auch wurde daran erinnert, daß die allgemeine Conferenz bereits einen guten Anfang zu solcher Auslegung gemacht und schöne Sachen zu Tage gefördert habe; ferner daß es vortrefflich wäre, wenn die Pastoren nach Vorgang unserer Alten in Wochenpredigten die Augsburg. Confession, und zwar recht gründlich, auslegen würden.

Hierauf sprach sich die Synode über das im letzten Citat der 4. Antnerkung, Seite 81 Gesagte, daß der Eid auf die Symbole kein Hindernis

 

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des Fortschritts in der himmlischen Lehre sei, dahinaus: Es wird hier ausdrücklich bezeugt, daß diese eidliche Verpflichtung die wahre Lehrentwickelung nicht hindere. Die Geschichte beweist, daß gerade innerhalb der Grenzen der Bekenntnisse die schönste und ausführlichste Lehrentwickelung stattgefunden hat. Daß dem sogen. Fortschritt der heutigen Zeit damit auf das Entschiedenste gewehrt wird, ist freilich gewiß; aber was ist auch dieser Fortschritt? In heutiger Zeit werden von den Gelehrten ihre Irrtümer in die Symbole hineingetragen, und dann suchen sie uns weis zu machen, sie lägen darin, wie z. B. Christus sei der Ideal-mensch oder der Urmensch u. dgl. Der Einmischung der Vernunft mit ihren Verkehrtheiten in die göttliche Lehre wird allerdings gewehrt, aber dem wahren, rechten Fortschritt in der Lehre soll keiuesweges gewehrt werden, nur soll derselbe dem Bekenntniß unterworfen sein. Um klar zu werden, welcher Unterschied eigentlich ist zwischen dem, Was die modernen Theologen, und was w i r Fortschritt nennen, ist Folgendes zu merken: Wenn man jetzt so viel von Fortschritt in der Lehre redet, will man eigentlich nichts anders, als dies, sagen: Die Lehre ist so, wie sie die Alten in den Bekenntnissen niedergelegt haben, eigentlich nicht richtig. Zwar enthalten die Symbole 5kei me für die Wahrheit, zwar haben die Alten einiges Wichtige schon erkannt; das eigentlich Wahre ist aber das, was wir lehren. W i r dagegen sagen: Unsere Bekenntnisse enthalten nichts, als die ewige, unvergängliche göttliche Wahrheit. Wer's leugnet und etwas anderes, als die göttliche Wahrheit drinnen findet, wohlan, der beweise es! Damit wollen wir jedoch nicht sagen, daß Alles, was über die einzelnen Glaubenslehren gesagt werden kann, schon zu Tage gefördert sei. Nein, es giebt keine Lehre, die nicht einer unendlichen Entwickelung fähig wäre; jede Lehre ist vielmehr ein Keim, der sich unendlich entfalten kann. Wenn die Welt noch Tausend und aber Tausend Jahre stünde, und Gott gäbe immer wieder solche Leute, wie Luther, so würden doch immer neue Herrlichkeiten der Lehre ans Tageslicht treten. Die Kirchengeschichte giebt uns hiefür die Belege. In den drei ersten Jahrhunderten hat man nicht geahnt, was in der Lehre von der Person Christi und der Vereinigung seiner göttlichen und menschlichen Natur alles liegt. Zwar hat man alles geglaubt, was später entwickelt ward, man hat es aber bei weitem nicht so klar und tief erkannt. Dasselbe gilt von der Lehre von der Rechtfertigung. Alle Christen haben es zu allen Zeiten klar erkannt, daß sie an Jesum Christum glauben müssen, oder sonst nicht vor Gott gerecht und selig werden können; aber welchen Reichtum von Gedanken über diese Lehre hat Luther zu Tage gefördert! Wie viel Tausend Stellen hat er uns zum Beweise vorgehalten, daß der Sünder allein aus Gnaden durch den Glauben vor Gott gerecht werde! Er weist uns hin und spricht: Seht ihr, schon Jesaias im Alten Testament hat dies gelehrt, ja schon im ersten Buch Mose mußte so und so geschrieben stehen, um es deutlich anzuzeigen, daß allein der Glaube gerecht mache. Wer konnte ferner vor dem Streit mit Zwingli und Oekolampad sehen, welche reiche Waffen in der Schrift für die reine lutherishce Lehre vom heiligen Abendmahle und zur Abwehr aller falschen Lehren darüber niedergelegt sind! Luther

 

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hat diese Waffenrüstung aus der Rüstkammer des Worts herausgeholt und uns hinterlassen. Wer hätte nach den Kämpfen der ersten Kirche mit Arius und Eutyches geahnt, daß noch viel Großes und Wichtiges über das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in der Person Christi an's Licht gebracht werden könnte? Und doch liegt in der Concordienformel noch ein so gewaltiger Reichtum von Gedanken darüber vor uns entfaltet! Das ist Lehrentwickelung! So ist die Kirche fortgeschritten! Aber dabei hat sie nicht ein einziges Wort der alten Kirche, das in ihren Bekenntnissen ausgesprochen war, fahren gelassen. Auch unsere Väter haben die alten Symbole für solche köstliche Schätze gehalten, daß sie auch das Allergeringste davon nicht vergeben wollten und sich von ganzem Herzen dazu bekannten. Wollen wir fortentwickeln, haben wir die Gabe, die göttliche Lehre weiter zu entfalten, wohlan, so ist uns das unverwehrt, ja ein köstlich Werk; aber der Beweis, daß unsere Fortentwickelung die rechte und wahre sei, ist, daß wir bleiben bei dem, was uns von Gott durch die Kirche bereits gegeben ist, und nur weiter zeigen und darlegen, wie viel darin liegt und wie viel daraus folgt. Demnach betrifft denn der Fortschritt eigentlich nicht die Lehre, sondern die Erkenntnis der Lehre. Was falscher Fortschritt ist, zeigt uns das Exempel der Iowaer. Sie lehren: Was die Symbole vom Antichrist sagen, bedarf der Entwickelung, und kommen mit ihrer sogen. Entwickelung zu der Behauptung, daß der Papst nicht der eigentliche Antichrist sei, als welcher erst noch auftreten werde in der Zukunft. Das ist aber keine Fortentwickelung, sondern eine Correctur (d.h. ein Verbessernwollen, wobei eine ganz andere Lehre herauskommt) der symbolischen Lehre. Daß der Papst der rechte, eigentliche Antichrist sei, haben unsere Bekenner nicht nur geglaubt, sondern auch so klar und entschieden in den Bekenntnissen ausgesprochen und gelehrt, daß entweder schändliche Bosheit oder grenzenlose Dummheit dazu gehört, zn sagen, man könne diese Lehre nicht in den Symbolen finden. Ist es nun nicht ein schändlicher Betrug und nichtswürdiger Diebstahl an der Kirche, wenn man ihr diese Lehre raubt? Ebenso ist es mit dem Chiliasmus. Unsere Bekenntnisse haben ihn nicht nur verdammt, sondern auch ganz genan seinen Charakter bezeichnet, daß er nämlich eine jüdische Meinung sei. Nun ist aber aller eigentliche Chiliasmus jüdisch, d. H. immer eine jüdische Vorstellung von einem herrlichen Reiche Christi, welches zeitlich, irdisch, weltlich sein soll, und wenn er daher in die Kirche gebracht werden soll, so ist das nicht Fortentwickelung symbolischer. Lehre darüber. — Bei uns hat in den Kämpfen gegen den Chiliasmus ein Wenig rechte Lehrentwickelung stattgefunden; wir haben nämlich klar gezeigt, daß die Augsb. Confession auch den neuesten und feinsten Chiliasmus verwirft, und warum sie das thut.

Nun wurde darauf hingewiesen, daß wir auf das, Seite 78 und 79 Gesagte recht Acht haben sollen. Dort wird nämlich erinnert, daß unsre Symbole auch deswegen ein so großer Schatz der Kirche seien, weil sie allerlei Lehrdisputationen mit Irrgeistern innerhalb der Kirche einmal für allemal abschneiden. Daß über die Lehren, welche in den Bekenntnissen ausdrücklich niedergelegt und in ihrem rechten

 

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Verstände ausgeführt sind, zwischen Lutheranern schlechtweg nicht mehr disputirt Werden soll, dies dünlt wohl Viele eine salsche und oerlehrte Behauptung zu sein ; allein man bedenke nur: Wir hätten gar keine luth. Kirche, wenn wir eine solche hätten, die über gewisse Lehren niemals in's Klare gekommen wäre und ihr Bekenntnis darüber als Lehrnorm ein für allemal festgesetzt hätte. Daß dem so sei, darüber kann durchaus kein Streit sein. Nun ist es erschrecklich, wenn Theologen, die Lutheraner sein wollen, sich zur Lehre der luth. Kirche bekennen, auf die Symbole verpflichtet sind, doch einzelne Lehren derselben auf's Neue in Zweifel ziehen, wenn sie sagen: Das ist noch nicht so gewiß, ob Christus Gottes Sohn, ob im H. Abendmahl Christi Leib und Blut wirklich gegenwärtig, ob der Gnadenschatz des H. Abendmahls Christi Leib und Blut, oder die Vergebung der Sünden sei, u. dgl. Wer über eine, im Concordienbuche klar ausgesprochene und festgesetzte Lehre der luth. Kirche von neuem disputieren will, der gebe erst den Namen Lutheraner auf, da er ja doch nicht mehr lutherisch ist, und dann wollen wir mit ihm aus der Schrift disputieren.

Hier entstand die Frage: Was ist davon zu halten, wenn jetzige Theologen sagen: Wir nehmen wohl die Lehre der symbolischen Bücher an, aber wir weisen ihre Begründung der Lehre zurück? Kann man zugeben, daß eine unrichtige Begründung der Lehre Vorkommen und man die zurückweisen könne? — Antwort: Darauf erwiedern wir den gelehrten Herren Theologen: Wir wissen recht gut, daß ihr das nur saget, weil ihr die Lehre der Kirche nicht mehr glaubt. Es ist lauter Lug und Trug, wenn ihr vorgebet, ihr nehmet die Lehre der Symbole an, aber die Begründung der Lehre verwerfet ihr. Trotzdem geben wir die Möglichkeit zu, daß hie und da eine Lehre nicht richtig' begründet sein könnte; allein darum kann man nicht sagen, daß die Beweisführer geirrt haben; denn ihre Auslegung ist immer „dem Glauben ähnlich." Man zeige uns Stellen in den Symbolen, die nicht „dem Glauben ähnlich" ausgelegt wären! Aber Trotz sei geboten allen In geistern und Feinden unserer Bekenntnisse, daß sie uns eine einzige solche Stelle brächten! Wir geben zu, die Concordia ist ein menschliches Buch, es kleben ihr menschliche Schwachheiten an, aber richtig ist sie in der Lehre, und zwar in allen Stücken. Es ist schändlich, wenn Theologen den jungen Leuten, die sie zu künftigen Kirchenlehrern ausbilden sollen, weis machen, sie stimmten mit der luth. Lehre und wichen blos ab in der Beweisführung, und nun durch ihre sog. bessere Begründung der Lehre die Armen in die gräulichsten Irrthümer verführen. So wenn z. B. ein Hofmann spricht: Ich bin in allen Punkten lutherisch, ich beweise nm die luth. Lehre anders, als die alten Theologen; die Lehre der Symbole von der Person Christi, dem Verhältniß der Naturen, der Mittheilung der Eigenschaften ist ganz richtig, aber die Art der Beweisführung muß eine andere und richtigere sein, und nun doch in seine Beweisführung auf die scheußliche Irrlehre kommt: Die Gottheit war in Christo bei seiner Empfängniß und Geburt nur ein Keim, der sich allmälich zur vollen Gottheit entwickeln konnte; im Stande der Erniedrigung lag die Gottheit in ihm gleichsam verpuppt, bei seiner Auferstehung hatte sie sich schon bedeutend entwickelt und bei seiner Himmelfahrt hat sich der Schmetterling endlich vollständig entfaltet. Man bedenke auch, auf welche schänd-

 

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liche, gotteslästerliche Lehre Kahnis durch solche Beweisführung gerathen ist! Derselbe sagt geradezu: Nicht Gottheit dürfe man Christo zuschreiben, sondern nur Göttlichkeit. Das ist ja der vollständigste, ausgebildetste Arianismus.

Auf Erfordern erklärte weiter die Synode, was „dem Glauben ähnlich" auslegen heiße, nämlich: Auslegen der Glaubenslehre ähnlich, welche aus ganz klaren, sonnenhellen Schrift stellen hervorgeht und unwidersprechlich gewiß ist. Dabei wurde hingewiesen auf das bekannte Beispiel Luthers, welcher in der Kirchenpostille laugnet, daß das Wort Johannis des Täufers: „Er war eher denn ich," die Gottheit Christi beweise, während er es in der HauSpostille als einen Beweis für Christi Gottheit gebraucht. Mau sieht, erst glaubte Luther, der Beweis läge nicht darin, später änderte er seine Meinung, aber in beiden Fällen ist seine Auslegung „dem Glauben ähnlich." Wer würde nun sagen: Weil's aus dieser Stelle nicht bewiesen werden kann, daß Christus Gott ist, darum ist Christus nicht Gott? Tausend andere Stellen lehren das ja klar und deutlich, ja es ist bezeugt durch die ganze heilige Schrift.—Gott verlangt nicht, daß der Ausleger immer den Einen, besondern Sinn des Heilige Geistes ganz genau treffe, sondern nur, daß die Auslegung nicht streite gegen die Analogie des Glaubens. Es ist daher keine Ketzerei, wenn ein und dieselbe Stelle zwar verschieden, aber doch „dem Glauben ähnlich" ausgelegt wird. Ein Laie soll darum nicht gleich ängstlich sein, wenn sein Prediger einmal anders auslegt, als Luther; er sehe nur zu, ob die Auslegung stimmt mit seinem Katechismus; streitet sie nicht mit den klaren, Hellen Katechismuslehren, so kann die Stelle wohl unrichtig ausgelegt und verkehrt angewandt sein, aber der Pastor hat darum nicht falsche Lehre geführt.

Ferner ward erinnert: Man beschuldiget uns einer Verengerung der Glaubensregel. Diese Beschuldigung kann nur durch bestimmte Beispiele, daß wir etwas als Glaubensartikel hingesteüt hätten, was keiner ist, bewiesen werden; aber bloßes Anklagen ist kein Beweis. Es ist gewiß, nicht Alles, Was in der Bibel steht, sind Glaubensartikel; es ist Wohl Alle-wahr, was die Heilige Schrift sagt, aber ein Glaubensartikel ist ein Glied am Leibe der Lehre, so daß, wenn Ein Artikel fehlt, der Leib nicht mehr ganz und vollkommen ist. Ein menschlicher Leib ohne Hand ist kein vollkommener Leib mehr; so oft man ihn ansieht, wird das Auge beleidiget und man fühlt, es fehlt etwas an ihm. So darf auch an der Lehre kein Artikel, d. i. kein Glied fehlen. Man sage uns, wo wir etwas zum Glaubensartikel gemacht hätten, was kein Glaubensartikel wäre! Oder ist etwa unsere Lehre von den letzten Dingen so etwas? Nimmermehr! Christen wissen, was sie zu hoffen haben. Das wären schöne Christen, die nicht wüßten, was sie zu hoffen hätten! Und das ist ein trauriger Christ, der da hoffet auf Zeitliches, Weltliches, Irdisches, Fleischliches! Gerade in dem chiliastischen Streit unter uns ist es recht zu Tage getreten, wie klar in der Schrift ausgesprochen ist, was die Christen zu hoffen haben und wie gewiß ihre Hoffnung ist. Zur Rechtfertigung unsrer Synode wegen des Standpunktes, den sie in diesen

 

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Streitigkeiten eingenommen hat, muß noch Folgendes erwähnt werden: Wir haben ausdrücklich erklärt, daß wir Niemanden verketzern, der noch eine allgemeine Bekehrung der Inden erwartet. Dieselbe wäre ja nichts Unmögliches. Wer kann sagen, wie schnell Gott die Bekehrung Vieler von einem Volke in's Werk setzen kann! Zwar wir alle hegen wohl nicht diese Hoffnung; aber wenn sie Jemand hegte, so würden wir ihn darum nicht verketzern, weil dieselbe den Glauben nicht umstößt. Die Lehre dagegen von einem tausendjährigen Reiche haben wir entschieden verworfen und verdammt als eine gefährliche Ketzerei, weil dadurch den Christen geradezu genommen wird, was Christus ihnen auflegt. Christen werden vom HErrn in der Schrift allenthalben ernstlich gewarnt und vermahnt, die Sicherheit zu fliehen und alle Stunden auf seine Erscheinung zum Gericht zu warten; die Lehre vom tausendjährigen Reich verführt aber geradezu zur Sicherheit; sie lehrt die Christen, anstatt jeden Augenblick des jüngsten Tages gewärtig zu sein, zu denken: „Mein Herr kommt noch lange nicht," zerstört also geradezu alle christliche Wachsamkeit.

Jetzt kam zur Sprache, in wiefern die Symbole den Gemeinden Ruhe garantieren, und wurde zunächst hingewiesen auf das Beispiel, das unsre Synode selbst erfahren hat. Wäre wohl in Altenburg Ruhe geworden, wenn nicht die Gemeinde aus den Symbolen gewußt hätte, daß der Chiliasmus eine antilutherische Schwärmerei sei?—-Aber das wußte sie und konnte darum ihren schwärmerischen Pastor mit fröhlichem Gewissen absetzen. Ferner, wie viel Hundert Schurken von Predigern sind mit ihren Ketzereien, die sie heimlich hegten, hübsch zu Hause geblieben, weil sie wußten, daß man ihnen sogleich mit den Bekenntnissen auf das Entschiedenste entgegentreten und sie absetzen würde. Die ganze Geschichte der verflossenen drei Jahrhunderte unserer luth. Kirche wird uns erst recht klar werden in der Ewigkeit; da werden wir mit Erstaunen sehen, wie viel Zündstoff in der Kirche aufgehäuft gewesen, wie viel unlautere Menschen die Predigtstühle eingenommen, wie viel falsche Vorstellungen vom Wege zur Seligkeit ihre Köpfe erfüllt haben! Wäre nicht das Band der Symbole gewesen, so würden die wilden Thiere losgebrochen sein und den Weinberg Gottes gräulich verwüstet haben! Und so sind denn die Bekenntnisse auch heute noch das Mittel, durch welches das lutherische Christenvolk sich solcher Schurken erwehren kann. Würde z. B. ein Prediger kommen und predigen, die Auferstehung der Todten sei nichts, so würde ihn eine luth. Gemeinde sogleich fortschicken, ohne sich weiter mit ihm in Disputation emzulassen. Die Gemeinde hat gar keine Pflicht, mit ihm zu disputieren, sie sagt ihm einfach: Du weißt, Was die Symbole lehren, bist darauf verpflichtet, weißt, was in deiner Vocation steht; aber du glaubst nicht mehr die luth. Wahrheit, darum hebe dich von dannen! O wie viel ist das Werth, wie gewaltig sichert das die Ruhe in den Gemeinden, wie viele Seelen werden dadurch vor dem ewigen Verderben bewahrt; denn wo Schlachten geliefert werden, auch Geistes-Schlachten, da fallen auch Manche! Darum hat auch unsre Kirche offenbar gewordene Ketzer niemals öffentlich disputieren lassen, damit nicht viele Schwache geärgert, verführt und geistlich gemordet würden.

Auf die Frage, wer denn die „kleinen Füchse" seien, die das Citat aus Joh. Gerhard nenne, erfolgte die Antwort: Das sind auch allerlei unruhige Geister und falsche Lehrer, die aber nicht ordentlich mit der Sprache herausgehen,

 

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sondern heimlich ihr Gift, wie Luther sagt, herausblasen, während Wölfe offenbar gewordene Ketzer sind. Wären die Symbole nicht, so könnte der gemeine Mann diese kleinen Füchse nicht Herauskriegen; nun aber, wenn er hiugeht und spricht: Herr Pastor, so und so steht in den symbolischen Büchern geschrieben, glauben Sie das? siehe, so kommt der kleine Fuchs aus seinem Loch heraus, zeigt sich, was er ist, und sagt: Ja, das steht wohl drin, aber in unsrer Zeit ist man weiter vorgeschritten.

Auf eine zweite Frage, inwiefern denn die Symbole die christliche Freiheit wahren, antwortete die Synode: Christliche Freiheit ist hiervor allen Dingen dieS, daß kein Mensch mein Gewissen binden kann; Christus allein ist mein König. Nun wahren die Symbole die christliche Freiheit, indem sie dieselbe fürs erste so klar und herrlich lehren; für's andere, wo keine symbolischen Bücher wären und der Prediger keine eidliche Verpflichtung darauf abgelegt hätte, also in seiner Gemeinde lehren könnte, was ihm beliebte, und an ihr hantieren könnte, wie er wollte, so müßte das arme Volk sein Knecht und Sclav sein.

Endlich wurde zu Anmerk. 4. noch Folgendes ausgesprochen: Ueberaus wichtig ist es, zu erkennen, inwiefern es uöthig sei, die Kirchenlehrer zu verpflichten, daß sie nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Redeweise nicht von den Symbolen abweichen. Wohl keine Zeit beweist so, wie unsere Zeit, wie nöthig es ist, daß die öffentlichen Lehrer in der Kirche die rechte Redeweise beobachten. Neuere Theologen führen eine Sprache, die absolut nicht nur den Laien, sondern auch den meisten Predigern unverständlich ist. Nicht nur kann solche gräuliche, monströse Sprache die Erläuterung der Wahrheit nicht befördern, sondern sie muß auch noth-wendig Irrthum erzeugen. Unsere alten Theologen, auch wenn sie noch so wichtige und schwierige Lehrpuucte behandeln, bedienen sich einer Sprache, die Jedermann verständlich ist; unsere heutigen hohen und gelehrten Theologen hingegen achten sich's für eine Schande, wenn sie in theologischen Sachen nicht eine solche Sprache führen, welche nur von Ihresgleichen, so zu sagen, von ihrer Gelehrteninnung verstanden werden kann. Damit offenbare» sie nicht nur einen gräulichen Gelehrtenhochmuth und Kastengeist, sondern dabei haben sie auch den jesuitischen Gedanken, ihre eigenen abweichenden Lehrmeinungen so einzuhüllen, daß nur hochgelehrte Gesinnungsgenossen vernehmen können, was sie eigentlich wollen. Dadurch aber, daß sie junge Studenten gewöhnen, so zu reden, wie sie, hoffen sie, ihre neue Lehre in die Kirche zu bringen, auf die Kanzeln und zuletzt auf alle Lehrstühle zu setzen.

Ueberaus wichtig ist auch das Zeugnis Melanchthons betreffs des Zwecke-und der Notwendigkeit der Verpflichtung auf die Symbole, und zwar eben weil es aus der Feder eines Melanchthon geflossen ist. In der neuen Zeit wird oft behauptet, zwei theologische Strömungen hätten sich in der luth. Kirche gebildet, welche sich bis auf die Reformationszeit, und zwar die eine auf Luther, die andere auf Melanchthon, zurückführen ließen. Die eine nennt man die Lutherische fanatische, die andere die Melanchthonische milde, liebevolle. Die Fanatiker, sagt man, hätten die schönen Bekenntnisse zu einem gewissenbeschwereuden Kirchengesetze gemacht, die Melanch. thonianer aber hätten gar nicht daran gedacht, daß die Kirchenlehrer gebunden sein sollten, gerade so zu lehren, wie die Symbole lehren. An dergleichen zu denken,

 

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gar mit einem Eide zu verpflichten, wäre Luther» und Melanchthon gar nicht eingefallen, am wenigsten Melanchthon. Das ist aber eine offenbare Unwahrheit. Gerade Melanchthon ist für die Verpflichtung zuerst in die Schranken getreten, und gerade so ein elender Mensch, wie Andr. Osiander, war der erste, der sich gegen dieselbe auflehnte. Osiander war ein ausgezeichneter Theolog, grundgelehrt, genial, überhaupt einer der bedeutendsten Geister seiner Zeit, aber ein Mann, der ungemein viel von sich selbst hielt. Bei dem Colloquium zu Marburg, wo er gegenwärtig war, hielt er eine Predigt, so hochgelehrt und so glänzend, daß Alles verwundert war über die außerordentliche Begabung und enorme Gelehrsamkeit des Mannes. Niemand wagte es, sich ein Urtheil zu erlauben; nur Luther sagte: Ich kann doch besser predigen. Als man sich verwunderte über diese hochmüthige Aeußerung und Luthern fragte: Hochw. Herr Doctor, wie ist das zu verstehen? gab er zur Antwort: Ich predige einfältig, und das ist das Beste. Heimlich sagte er zu Mehreren, er fürchte sehr, dieser Mensch werde in der Kirche viel Not und Unruhe anrichten, obgleich derselbe damals noch ganz lutherisch war; denn er hatte eine sogen. Augsb. Confession für Nürnberg geschrieben, die ganz ausgezeichnet ist. Gar bald aber sing dieser Mann an, zu deuteln an der luth. Lehre, namentlich der Grundlehre von der Rechtfertigung; denn er ärgerte sich, daß er die zweite Geige unter Luthern spielen sollte, wagte sich jedoch nicht sogleich heran-, sondern wartete auf Luthers Tod. Kaum war Luther gestorben, da jubilierte er: Der Löwe ist todt, mit den Füchsen will ich schon fertig werden! Nun kam er mit seiner falschen Lehre von der Rechtfertigung hervor. Er lehrte nämlich, wir würden gerechtfertiget dadurch, daß in uns die Gerechtigkeit gewirkt, nicht daß sie uns zugerechnet würde. Christus habe uns die Gerechtigkeit erworben nicht nach seiner menschlichen, sondern nach seiner göttlichen Natur; denn wenn die heil. Schrift von der Gerechtigkeit Christi rede, so rede sie von der Gerechtigkeit, welche Christus nach seiner Gottheit von Ewigkeit habe. Nach der Schrift aber ist Christi Gerechtigkeit, durch welche wir gerecht werden, nicht das Gerechtsein, welches ihm mit dem Vater und heil. Geist von Ewigkeit eigen ist, sondern das Verdienst, welches uns Christus durch Thun und Leiden erworben hat. Ein solcher arger, scheußlicher, hoffärtiger Irrlehrer war es, der zuerst sich gegen die Verpflichtung auf die Bekenntnisse auflehnte. Er sagte, in Wittenberg herrsche schändliche Gewissenstyrannei; so wie die Iowaer gegen unsere Synode, so beklagte er sich gegenüber der Wittenberger Kirche über Verengerung der Glaubensregel. Melanchthon nun, trotz seiner sonstigen Schwachheiten, trat ganz entschieden gegen ihn auf; denn er sähe wohl ein, der Teufel wolle der Kirche das Kleinod der Lehre von der Person Christi und der Rechtfertigung rauben. Damals schrie man auch: Freiheit! man wollte aber Anarchie, d. i. einen solchen Zustand in der Kirche, da jeder lehren kann, was er will, und doch in der luth. Kirche als berechtigt angesehen werden soll. Was Melanchthon von den unruhigen Geistern seiner Zeit sagt: „man nehme sich eine unumschränkte Freiheit, alles richtig Ueberlieferte zweifelhaft zu machen," gilt jetzt auch von denen, die behaupten, Vieles in den Symbolen sei noch offene Frage; denn wenn das wahr ist, so ist natürlich auch der Zweifel berechtigt. Und was er dann hinzusetzt vom Zweck der Verpflichtung, das suchte man nicht bloß durch die symbolischen Bücher zu erreichen, sondern auch durch eine andere Einrichtung. Wenn nämlich ja einen

 

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öffentlichen Lehrer Zweifel an der Lehre der Symbole anfochten, so hatte er doch kein Recht, damit ohne Weiteres in die Oeffentlichkeit zu treten, sondern er mußte sich nach Wittenberg wenden an die theologische Fakultät und deren Gutachten einholen. Damit war er freilich nicht gezwungen, sich mit der Entscheidung der Fakultät zu begnügen, aber es war doch ein gewaltiger Damm aufgeführt, daß der Zweifelnde durch öffentliches Heraustreten nicht alsbald eine Menge anderer Christen in seine Zweifel mit Hineinreißen konnte; sonst verstand sich's von selbst, daß wenn die Fakultät Einen nicht befriedigen konnte, er das Recht behielt, nach seinem Gewissen zu handeln. - Die weitere Angabe Melanchthons, daß die Gelobung schon vor zwanzig Jahren Gewohnheit geworden sei, mögen sich unsere Unierten und die Leute von der Generalsynode merken, welche oft behaupten, diese Sitte sei erst später aufgekommen. Nach Melanchthon ist sie vielmehr schon Anno 1533, also drei Jahre nach Uebergabe der Augsb. Confession, eingeführt worden, jedoch nicht in dem Sinne, daß die Symbole ein Gesetz sein sollten, was Jeder zu glauben habe, sondern die Gelobung war ein frisches, fröhliches Bekenntniß zu der himmlischen Wahrheit, die man von ganzem Herzen glaubte. Man wirft uns vor, weil wir so streng und starr auf den Symbolen bestünden, würden wir Zerbröckelung und vollständige Auflösung der Kirche verursachen; allein das Gegentheil ist wahr, wir befördern dadurch vielmehr den Frieden der Kirche, indern, wie Melanchthon sagt, durch die Verpflichtung die Jüngeren und Rechtschaffenen der Bescheidenheit erinnert werden. Zerbröckelung und Auflösung verursachen nur die wilden, frechen, von Bewunderung ihrer selbst aufgeblasenen Jrrgeister, die sich weder durch die Bande der Symbole, nock durch andere Bande wollen binden lassen. Uebrigens wissen wir gar wohl, daß durch die bloßen Symbole nimmermehr die reine Lehre erhalten werden kann; denn wenn das möglich wäre, so müßte ja die Lehre immer rein geblieben sein. Aber die Ketzer in der Kirche treten ja gerade immer gegen die reine Lehre in den Symbolen auf und fälschen sie. — Wichtig ist auch, daß Melanchthon sagt, gute Ingenia sollten der Bescheidenheit erinnert werden, d. H. Reichbegabte. Solche können gar leicht durch den Reichtum ihres Geistes verführt werden, mit tausenderlei wunderlichen Gedanken, die ihnen durch den Kopf fahren, herauszugehen und das arme Volk zu verführen. Luther sagt, wen« er Alles hätte wollen drucken lassen, was ihm durch den Kopf gegangen, wären wohl alle Druckereien der Welt nicht genug gewesen. — Aufmerksam zu machen ist endlich auf die boshafte List unserer Feinde, daß sie sagen, die Symbole seien unser papierner Papst. Was für Lutheraner Freiheit ist, schelten sie Zwang und Papstknechtschaft. Das macht aber, der Ausdruck des luth. Glaubens, zu dem wir uns mit Freudigkeit bekennen, ist ihnen ein Joch, weil er ihrer Zügellosigkeit wehrt. Wenn nun ja Einfältige durch solche Reden in Zweifel betreffs der Verpflichtung auf die Symbole gerathen, so ist das Allerbeste, daß man fragt: Weißt du nichts vom Apostvl. Symbolum? Siehe, das war das allererste Bekenntnis dazu in der Apostvl. Zeit Jeder sich bekennen mußte, sogar ehe er die heil. Taufe empfangen konnte; unsere Verpflichtung ist also nichts Unapostolisches, sondern die Apostel sind uns mit ihrem eigenen Beispiele vorangegangen.

Ueber die 5. Anmerkung zu § 21, die Ordination betreffend, sprach sich

 

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die Synode folgendermaßen aus: Dadurch, daß wir von vornherein ganz entschieden aufgetreten sind gegen die Lehre, daß die Ordination von Gott gestiftet sei, haben wir uns dem Verdacht ausgesetzt, als ob wir gegen diese herrliche Ordnung wären. Die Buffalo-Synode hat alles Mögliche getan, in der lutherischen Kirche, namentlich der in Deutschland, den Gedanken zu erzeugen, als wären wir gegen alle gute und strenge Ordnung. Allein dem ist nicht so; wir achten vielmehr die Ordination außerordentlich hoch und würden den luth. Prediger, der sie nicht begehrte, obgleich er sie erlangen könnte, für einm elenden Schwarmgeist halten. Ganz falsch ist aber die Lehre der Buffalo-Synode von der Ordination. Sie behauptet: Wer nicht ordiniert ist, der ist kein wahrer Pastor; denn nur etwas thut die Vocation dazu, daß Einer das Amt überkommt; soll Einer ein voller, wahrer Pastor werden, so gehört dazu auch die Ordination. Nun bedenke man: Gehört dazu, daß das Wort recht geprediget, die Sacramente richtig verwaltet, die Absolution kräftig ertheilt werde, die Ordination, so wird die Hauptlehre, der Artikel von der Rechtfertigung, uns geraubt; denn weiß ich nicht gewiß, daß, wenn das Wort in mein Herz schallet, die Sacramente mir gereicht werden, die Absolution mir ertheilt wird, dies jederzeit Gültigkeit hat und es nur darauf ankommt, daß ich's glaube, so bin ich ein armer Mensch und stehe in großer Gefahr, Schaden zu nehmen an meiner Seele. Ist noch was anders nöthig, als daß ich glaube: diese Predigt der evangelischen Verheißungen gilt mir, die Heilige Sakramente — dies Wort mit dem äußerlichen Zeichen — versiegeln mir die Gnadenverheißungen Gottes, die Absolution spricht mich von der Sünde los, ohne daß noch etwas dazukommen muß, diese Gnadenmittel kräftig zu machen, so weiß ich nicht, ob ich wirklich recht getauft, recht absolviert bin, das rechte Abendmahl empfangen habe. Ist zugültiger Verwaltung des öffentlichen Predigtamts die Ordination nöthig, so kann ich nie wissen, ob mein Pastor ein rechter Pastor ist; denn will ich das wissen, so muß ich wissen, ob er richtig ordiniert ist; will ich wissen, ob er richtig ordiniert ist, so muß ich wissen, ob sein Ordinator richtig ordiniert war, und so fort bis aus die Apostel zurück. Und so könnte ich nie gewiß werden, ob ich richtig getauft, richtig absolviert, richtig communicirt wäre, es sei denn, daß von meinem Pastor bis hinauf zu den Aposteln eine ununterbrochene Kette richtiger Ordinationen nachgewiesen werden könnte. Wäre diese Kette einmal zerrissen, so hätte ich keine rechte Taufe, keine rechte Predigt, kein rechtes Abendmahl. Findet wirklich, wie die Römischen und Episcopalen lehren, eine Amtsfortpflanzung vermittelst der Ordination statt, so muß Einer genau wissen, ob das Amt durch eine ununterbrochene Kette gültiger Ordinationen von der Apostel Zeiten her auf uns gekommen ist, wenn er seines Glaubens an die Kraft der Gnadenmittel gewiß sein will. Das wird aber einem ewigen Streit erregen, ob auch die Kette nicht etwa einmal unterbrochen worden sei. Noch heute streiten sich ja die Römischen und die Episcopalen, welche von beiden Kirchen die bessere Gewißheit habe, daß die Ordinationenkette nie sei unterbrochen worden; beide können eine absolute Gewißheit nicht Nachweisen; ist aber keine solche absolute Gewißheit da, so heißt es ja Christum verläugnen und den armen Seelen alle Gewißheit

 

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des Glaubens nehmen, wenn man die Gewißheit, daß wir das rechte Amt haben und die Gnadenmittel gültig und kräftig unter uns verwaltet werden, von der Ordination abhängig macht. Die Lehre der Römischen und Bischöflichen Kirche von der Ordination in ununterbrochener Reihenfolge der Bischöfe ist darum eine gottlose, verfluchte und verdammte Teufelslehre. Gott läßt es freilich nach seiner Gnade bei seinen Kindern in diesen Kirchen nicht zu, daß diese gottlose Lehre ihre seelenverderblichen Früchte bringe, aber es ist klar, sobald Jemand die Kraft der Gnadenmittel von der in ununterbrochener Reihenfolge hergebrachten Ordination abhängig macht, so hat er schon die Gewißheit seines Glaubens verloren. Um dies durch ein grobes Beispiel zu erläutern, so denke man sich, es werde ein Telegraphendraht von New York bis nach San Francisco gezogen,—das ist eine ungeheuer lange Linie. Nun denke man sich ferner, der Draht würde etwa in der Mitte mit einer Scheere durchgeschnitten; da sollte man zwar wohl meinen, ein solcher kleiner Schnitt wäre von keiner Bedeutung, aber Jeder, der die Sache kennt, weiß, wie viel er zu bedeuten hat; nun mag man nämlich in New York noch so viel telegraphiren,—in San Francisco vernimmt man nichts. Warum? Es ist die Leitung durchschnitten und hört am Schnitte ganz auf. So auch wenn die Ordination durch Handauflegnng das Amt fortpflanzt,—ist die Reihenfolge der Handauflegungen von der Apostel Zeiten her auch nur einmal unterbrochen, so hat vom Uuterbrechungspnnkte au die Fortpflanzung des Amtes aufgehört. Ebenso treffend veranschaulicht das die Wirkung der Electrisirmaschine. Wenn Tausende und aber Tausende in langer Reihe sich einander die Hände reichen und die letzte Hand hält den Leitungsdraht, so fühlen Alle den electrischen Schlag; läßt aber eine Hand, etwa in der Nähe der Maschine, loS, so fühlen von dem Unterbrechungspunkte an Alle nichts. —

Grabau lehrt: Ein Pastor mag gottlos sein, wenn er nur recht prediget und die Sacramente richtig verwaltet, so ist seine Amtsverwaltung doch gültig und kräftig. Das ist soweit gauz richtige Lehre, daran ist kein Zweifel. Aber erschrecklich ist es, wenn er als Grund angibt: Das rechte Amt ist doch noch da, die Gnadenmittel, die der Gottlose verwaltet, sind kräftig um des Amtes willen. Wir dagegen lehren: Mag der Prediger noch so gottlos sein, so verliert darum seine Taufe, seine Predigt, seine Absolution, sein Abendmahl die Kraft nicht; denn er ist es ja nicht, der da tauft, predigt, absolviert, sondern Jesus Christus, an dessen Statt er handelt, wiewohl er unwürdig ist. Ich kann wohl fragen, ob mein Pastor recht ordiniert sei, jedoch nicht, weil ich mich von der Gültigkeit seiner Amtshandlungen überzeugen will, sondern nur, weil ich mich nicht an unordentlicher Amtsverwaltung betheiligen will. Gesetzt, ich bin in einer Gemeinde und habe bisher geglaubt, mein Pastor wäre ordentlich in sein Amt eingesetzt und ordiniert, und hinterdrein finde ich aus, er hat sich eingedrängt, eingeschlichen, eingekauft, so bin ich trotzdem gewiß, mein Kind ist recht getauft, ich habe das rechte Abendmahl empfangen; denn ob ich das Wort und die Sacramente richtig und kräftig empfange, liegt daran, ob die Handlungen des Pastors nach Christi Befehl richtig vollzogen werden, der Prediger sei, wer er wolle, ordiniert oder nicht

 

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ordiniert, vocirt oder nicht vocirt, fromm oder gottlos, — Luther sagt: Der Teufel oder seine Mutter.

Hier wurde gefragt: Da nach unserer Lehre die Ordination die Bestätigung der Vocation ist, die von ihrer ersten an andere Gemeinden Berufenen aber nicht auf's Neue ordiniert werden, ist deren Ordination als die Bestätigung auch ihrer späteren Vocationen anzusehen, oder sind sie als Nicht-Ordinierte zu betrachten? Worauf die Antwort erfolgte: Die Ordination ist von Seiten der Kirche das Zeugnis: Dieser Mann ist recht berufen, ist kein Schleicher, kein Landstreicher, nicht selbst gelaufen, sondern gesendet. Es wäre gar nichts Unrechtes, wenn ein Prediger bei jeder neuen Berufung noch einmal ordiniert würde; aber unsere Kirche hat es —ohne Zweifel zu Ehren des H. Predigtamts—unterlassen. In der Apostolischen Kirche ist es übrigens geschehen; Paulus und Barnabas z. B. werden ordiniert, da sie nur Geld überbringen sollen, auf daß sie das richtig auSführen; später hat man es fallen lassen, wie zu fürchten, um der aufkeimeuden falschen Lehre willen vom unvertilgbaren Charakter. Wer einmal ordiniert ist und damit das Zeugnis der Kirche empfangen hat, den hat man auch in der luth. Kirche nicht für nöthig gehalten, noch einmal zu ordinieren, weil das Zeugnis der Kirche für zeitlebens gilt. Uebrigens geschieht es auch wirklich noch hie und da, daß die Ordination wiederholt wird, und man möchte fast wünschen, daß diese Sttte allgemein geblieben wäre; sie würde viel deutlicher vor Augen stellen, daß die Ordination weiter nichts, als die Bestätigung der Vocation ist, und verhüten, daß Solche, die aus dem Pfarramt herausgegangen sind, sich nicht unterfingen, noch als Prediger zu gelten; denn das ist gewiß, wer keine Gemeinde mehr hinter sich hat, kann nicht mehr sagen: „Kraft meines Amtes." Wenn daher es bei uns noch zuweilen geschieht, daß Professoren Ordinationen vollziehen, taufen, Absolution sprechen, so ist das ein alter Schlendrian, welchen wir ablegen sollten, um der Verkehrtheiten willen unsrer Zeit, die an folgenden Beispielen nachgewiesen wurden: 1) Unser Volk betrachtet den Pastor, der außer Amt ist, doch immer noch als etwas mehr, denn einen gewöhnlichen Laien, verlangen in Notfällen Taufen von ihm und geräth in die höchste Verwunderung, wenn er sich weigert, weil er das nicht mehr berufen sei zu thun; wiewohl auch nicht zu verkennen ist, daß solch Begehren bei unserm Volk ohne Zweifel auch vielfach daraus fließt, daß man sich scheut, die Handlung selbst zu verrichten, und da man keinen Pastor haben kann, doch wenigstens Jemanden nehmen will, der sie ordentlich und recht zu vollziehen versteht. — 2) Ein Superintendent in Deutschland übertrug Einem, der sein Amt niedergelegt hatte, zeitweilig sein Amt mit allen Funktionen, darum, weil derselbe doch einmal Pastor gewesen war.—3) Eine Konferenz in Hannover sprach als ihre Ueberzeugung aus, daß die Ordination die Kraft erteile, Sünden zu vergeben, und eine andere beantwortete die Frage, warum mit Handauflegung absolviert werde, dahin, daß durch die Hände vermöge der Kraft, die durch die Ordination dem Pastor innewohne, die Vergebung mitgetheilt werde.

Einwand: Wenn ein Pastor in einer fremden Gemeinde im Aufträge seines Amtsbruders Amtshandlungen verrichtet, so thut er das auch nicht kraft seines Berufes, sondern kraft des Berufes seines Amtsbruders, — darf nun nicht ebensowohl ein Professor kraft des Berufes eines Pastors taufen und andere Amts-

 

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Handlungen verrichten? Antwort: Das ist wenigstens wider die Ordnung, die unsre Kirche befolgt. Dieselbe hat es niemals erlaubt, das ganze Amt zu übertragen an Jemanden, der nicht selbst das ganze Amt hat. Auch kann das zeitweilige Uebertragen des Amtes überhaupt niemals geschehen ohne Zustimmung der Gemeinde. Die Verwaltung der Sacramente setzt Seelsorger voraus, was die bloße Predigt nicht thut, darum kann die letztere einem Professor über-tragen werden, aber der ersteren sollte er sich enthalten. Selbst ein Pastor sollte ohne Not nicht Beichte in einer andern Ortsgemeiude halten, am wenigsten Privatbeichte, weil hier sogar Privatseelsorge vorausgesetzt wird.

Weiter wurde noch erinnert an Joh. Gerhards früher einmal in „Lehre und Wehre" veröffentlichte Auseinandersetzung, warum die Ordination nur einmal ertheilt werde, nämlich darum, weil durch dieselbe Zeugnis gegeben werde, daß diese Person lebenslänglich für den Dienst der Kirche ausgesondert werde, und hierbei darauf hingewiesen, daß der Beruf, so oft er sich auch wiederholen möge, doch immer auf Lebenszeit ausgestellt werde; weil man aber doch bei neuen Vocationen ein Zeugnis des Kirchenamts gewünscht, habe man an die Stelle der Ordination die Einführung treten lassen. In weiterer Debatte erklärte man zwar einerseits: Durch spatere Wegberufung geschieht nicht, Was durch den ersten Beruf, die Person wird nicht erst jetzt für den Kirchendienst ausgesondert. Der erste Beruf ist 1., ein Beruf an die Kirche überhaupt, daß man ihr Diener sein solle; 2., ein Beruf, an einem bestimmten Orte der Kirche zu dienen, so lang' es Gott gefällt; allein andererseits wurde, und zwar mit voller Beistimmung der Synode, dagegen ausgesprochen: Jene Erklärung Joh. Gerhards ist eine „dem Glauben ähnliche," aber allerdings ingeniöse. Die Sache bleibt einfältiger, wenn die Ordination einfach angesehen wird als die Bestätigung der Vocation an die Einzelgemeinde. Waltet nun darin, daß die Ordination nicht bei jeder neuer! Vocation wiederholt wird, eine Inkonsequenz ob, so bedenke man: Was liegt daran? Es handelt sich ja nur um ein Adiaphoron. Man sieht auch daran recht deutlich, wie wenig unsere Kirche die Ordination für ein Sacrament hält, sonst würde sie sich viel klarer und bestimmter darüber ausgesprochen haben.

Man erwähnte ferner die Schwierigkeit, den Unterschied zwischen Ordination und Einführung festzustellen, und bemerkte, es sei doch wohl eigentlich kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden; worauf erwiedert ward: Darin liegt eben die Schwierigkeit, sie zu unterscheiden, weil kein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen ist und man nur in der Praxis einen gemacht hat. Mau hat nämlich bei der Einführung die mit Handauflegung zu sprechende Amtsübertragungsformel weggelassen, die Handauflegung aber gehört ja gerade zum wesentlichen Charakter der Ordination, daher sie auch öfters geradezu Handauflegung genannt wird. Auf die hier ausgesprochene Frage: Warum wir denn nicht bei jeder Vocation eines und desselben Pastors immer wieder ordinieren, da dies doch ausgesprochener Maßen in gewisser Beziehung wünschenswert sei und wir uns nicht konsequent bleiben, wenn wir's nicht thun, antwortete die Synode: Darum, weil wir dem Vorbilde unsrer Kirche folgen und nicht auf eigene Hand etwas Sonderliches anfangen wollen. Und auf den sodaun geäußerten Wunsch, daß man doch

 

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nachweisen möge, daß ein Pastor nicht zum Dienste an der gesamten Kirche, sondern nur an der Einzelgemeinde berufen werde, ließ sich die Synode über diesen Punct in folgender kurzen Aussprache vernehmen: Sehr einleuchtend zuvörderst ist der praktische Beweis. Man darf's nur einmal probieren, anderwärts, als wo man angestellt ist, als Pastor aufzutreten, zu predigen, Sakramente zu verwalten, so wird man's recht handgreiflich gewahr werden, daß man nicht an die gestimmte Kirche berufen ist. Ferner: Die einzelne Gemeinde kann mich nur berufen, ihr zu predigen; wollte sie mich berufen, andern Leuten zu predigen, so würde sie ja sich zum Papst andrer Leute aufwerfen. Jeder Christ hat das Recht und die Pflicht, das Evangelium in der Welt zu bezeugen; durch seinen Beruf gibt er mir nur das Recht, das er selbst mir übertragen kann, nämlich i h m zu predigen; somit habe ich nur in der Gemeinde das Recht, zu predigen, die mich berufen hat. Darum sagt denn auch Gottes Wort: „Weidet die Heerde, die euch befohlen ist," und abermals: „So habt nun Acht auf die Heerde, unter welche euch der heil. Geist gesetzt hat."

Die vorstehende Auseinandersetzung über Anmerk. 5 rief eine lange und lebhafte Debatte betreffs unserer Reiseprediger hervor. Es wurde gesagt: Die Reiseprediger gehen aus ohne Berns zu einem Pfarramt, und darum ohne Ordination; ihr einziger Beruf ist der Beruf der Liebe. Wenn sie nun zu den verlassenen Leuten kommen und predigen, so gerathen sie oft in große Gewissensnot, wenn sie aufgefordert werden, Kinder zu laufen; in noch größere Anfechtung kommen sie, wenn sie hie und da in Notfällen das heil. Abendmahl verwalten sollen. Die Verwaltung der Taufe ist ihnen bisher gestattet worden, nicht so die Verwaltung des heil. Abendmahls, das Letztere, nicht, weil sie kein Recht dazu hätten, sondern weil im Betreff des Abendmahls kein solcher Notfall vorhanden sein kann, wie im Betreff der Taufe. Hier erhob sich nun ein Kampf zweier verschiedener Meinungen über die Sache, der nicht völlig zum Abschluß gebracht werden konnte. Die Einen behaupteten: Unter Umständen kann ein Reiseprediger alle Amtshandlungen verrichten, wenn nämlich einestheils in kein fremd Amt gegriffen, anderntheils nicht ein unordentlich Wesen angerichtet wird. Komme ich als Reiseprediger an einen Ort, wo mich die Leute auffordern, Amtshandlungen zu verrichten, so geben sie mir einen Beruf. Da ich es mit Leuten zu thun habe, die in großer Not sind, so handle ich, wenn ich ihnen helfe, wie Jemand, der einen Ertrinkenden aus dem Wasser zieht. — Dagegen erwiederte man andrerseits: Nur muß man dabei nicht vergessen, daß das Predigtamt eine göttliche Ordnung ist und nicht eine menschliche. Ist es eine göttliche Ordnung, so darf ich sie nun und nimmermehr übertreten, außer im höchsten Notfälle, da des armen Sünders Seligkeit auf dem Spiele steht. Allerdings hat der Herr Jesus diese Ordnung gemacht nicht zum Verderben der Seelen, sondern zu ihrer Rettung, also darf im Notfalle der Reiseprediger taufen, ja auch das heil. Abendmahl verwalten, aber dies kann eben nur gerechtfertigt werden durch den Notfall. Ein Reiseprediger ist ohne Amt; wenn er es zur Regel macht, zu taufen, wo man es nur verlangt, und Abendmahl zu halten, wo man es nur begehrt, so begeht er eine schwere Versündigung an Gottes Ordnung. Daß man sagt: Er ist ja berufen, das ist nichts; die Leute berufen ihn ja nicht, sondern tragen ihm nur eine ein-

 

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zelne Amtshandlung auf. Luther sagt: „Es folget auch nicht, daß darum ein jeder Bürger eine Pfarre auftickten wolle in seinem Hause, denn solches ist keinem erlaubt; dazu ist ein großer Unterschied zwischen einer gemeinen und öffentlichen Versammlung und zwischen einem Hausgesind; denn was ein Bürger in seinem Haus handelt, heißt heimlich gehandelt." Der Auftrag einzelner Hausväter, diese oder jene Amtshandlung zu vollziehen, ist also keine Berufung in's Predigtamt. Wird er aufgefordert, zu laufen, so soll er sagen: Siehst du, ich bin kein Pfarrer, habe darum nicht den Beruf, zu taufen; mm weiß ich zwar wohl, daß im Notfälle jeder Christ taufen darf, aber es ist besser, du thust es selber, ich möchte sonst in den Ruf eines Landstreichers kommen. Erwiedert man darauf: Ja, einen Pfarrer kann ich nicht haben, der ist zu weit entfernt, und selber möchte ich die Taufe nicht gern verrichten, ich kann nicht gut lesen, bin zu ängstlich, mache es am Ende nicht recht,—so ist das ein Notfall und der Reiseprediger mag laufen. Hierauf fragte man: Wenn ick nicht taufen darf, wie darf ich da öffentlich predigen ohne ordentlichen Beruf?— Antwort: Es ist ein großer Unterschied zwischen Taufen und Predigen. Wenn die Leute eben so gut selbst predigen könnten, wie sie selbst taufen können, so wäre das freilich eine Gottlosigkeit, wenn ich als Nicht-Berufener ihnen öffentlich predigen wollte; denn dann griffe ich in ein fremdes Amt und mit Recht könnten die Leute sagen: Geh nur deiner Wege, wir brauchen dich nicht zum Predigen, das können wir selbst! Das können sie aber nicht und stehen darum in großer Gefahr, verloren zn gehen. Da bitten wir denn einen Bruder, daß er sich die Liebe dringen lasse, die armen Leute aufzusuchen und ihnen das Evangelium zu bringen. Etwas anderes ist es mit der Taufe, die können und sollen sie im Notfälle selbst verrichten. Wenn freilich auch in Beziehung auf sie die Leute sagen: Wir sind zu ungeschickt dazu, dann taufe man, nur lasse man Notfall Notfall sein und ein Reiseprediger gerire sich nicht als Pfarrer, sonst Übertritt er Gottes Ordnung. — Dagegen ward weiter erinnert: Wir senden Reiseprediger aus, um die armen verlassenen und verwahrlosten Leute selig zu macken; sie kommen in eine Ansiedlung; da wohnen Leute, die sollen Gottes Wort hören; da sind Kinder, die sollen getauft werden. Sagt man ihnen: Ich bin kein Pfarrer, thut's selber, so werden sie die Augen aufreißen und davon laufen; denn sie sind unwissend und unverständig. — Antwort: Aber ich soll den Unverstand nicht besiegeln, sondern die unwissenden Leute nnterichten; ich würde mich schwer versündigen, wenn ich ihnen nicht sagte: Lieben Leute, ihr seid zwar getauft, wisset aber gar nicht, was ihr dadurch für einen großen Schatz erlangt habet ; um euch das zu zeigen, darum bin ich gekommen. Wenn sie nun aus Gott sind, werden sie freilich wohl große Augen machen, aber auch desto begieriger den Unterricht annehmen. Werde ich unter den schon erwähnten Notumständen aufgefordert, zu taufen, so sage ich: Wohlan, ich will's tun, wie du selbst, oder dein Nachbar es auch thun könnte. — Neue Entgegnung: Es bleibt unklar, warum ich außerhalb geordneter Gemeindeverhältnisse nicht tun könnte, was im Notfall ein gewöhnlicher Bürgers- oder Bauersmann auch tun kann, wenn er die Gaben dazu hat. — Antwort: Taufe und Abendmahl setzen Gemeinden voraus, da das gepredigte Wort seinen Zweck bereits erfüllt hat. Wichtig ist ein geschichtliches Beispiel. Unsre Kirche hat mit großem Ernst Zeugnis abgelegt gegen die Calvinisten, welche in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts

 

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Reiseprediger in ganz Frankreich umher schickten, um die Leute zu ihrer Kirche zu bekehren; sie hat diese Reiseprediger nicht als Prediger angesehen, sondern entschieden behauptet, sie haben keinen Beruf, seien keine Diener Gottes, sondern Emissäre; sie haben auch Frankreich der luth. Kirche gestohlen. — Einwurf: Das war etwas ganz Anderes; ganz Frankreich war kirchlich geordnet und Predigern zugeteilt, da griff man also in fremde Aemter. Was die Augsb. Couf. sagt, daß Niemand in der Kirche öffentlich lehren solle ohne ordentlichen Beruf, bezieht sich auf Länder, wo die Kirchen- und Gemeinde-Verhältnisse geordnet waren; aber hier in Amerika sind ganz eigentümliche Verhältnisse, wie sie wohl in unsrer Kirche noch nie da waren, hier greift Niemand in fremde Aemter, wenn er zerstreute Glaubensgenossen aufsucht und bedient. Es ist zu fürchten, daß wir verkehrt handeln, wenn wir diese Verhältnisse nach den früheren, bereits geordneten Verhältnissen beurteilen und auf sie das in der Conf. Gesagte anwenden. — Antwort: Das Gesagte trifft nicht die Sache. Daß unsre Reiseprediger predigen sollen, darüber sind wir ja alle einig; nur nicht taufen, nur kein Abendmahl halten sollen sie ohne die dringendste Not. Wenn ich als Reiseprediger den Leuten geprediget habe, darm wasche ich meine Hände in Unschuld; denn ich habe getan, sie zu retten, was ich konnte und durfte. Was das Taufen betrifft, so ist es ganz dasselbe, ob ich ein Kind hier in Fort Wayne oder in Oregon taufe, — immer darf ich es nur im Notfall, wenn entweder Sterbensgefahr oder sonstige Notstände dazu drängen. Es wird also zugegeben: Wenn ein Reiseprediger fremd an einen Ort hinkommt, so mag er taufen, wenn die, so zunächst dazu berufen sind, und zwar zuallernächst die Väter, sich's nicht selbst getrauen, ja er mag in gewissen dringenden Notfällen auch das Abendmahl verwalten; aber er sehe sich wohl vor und prüfe genau, ob auch solche Notfälle vorliegen, sonst könnte ihm seine Handlungsweise noch in der Todesstunde große Gewissensqual verursachen.

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 Hiermit wurden — am Schlusse der 9. Sitzung — die Lehrverhandlungen in den Vormittagssitzungen einstweilen suspendirt, um erst die vorliegenden vielen dringenden Geschäftssachen zu erledigen, welche letztere indeß die ganze noch übrige Zeit so sehr in Auspruch nahmen, daß die ersteren für diesmal leider nicht wieder aufgenomemen werden konnten.

Bevor nun zum Bericht über die Geschäfte der Synode geschritten wird, gehe noch Einiges voran über die Bethätigung er Glaubens- und Liebes-Gemeinschaft zwischen uns und der

Synode der Norwegisch= ev. Luth. Kirche in America.

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