First Report – Synodical Conference, 1872

(German Text)

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(Page 20 Original)

Ein weiterer Gegenstand, welcher die Conferenz Lebhaft beschaeftigte, waren Thesen:

 

Ueber die Lehre von der Rechtfertigung.

 

Diesem unbedingt nothwendigen Lehrstuecke widmete die Conferenz, mit besonderer Bezugnahme auf eine zwischen der Norwegisch-lutherischen und der Augustana-Synode ausgebrochene Streitigkeit sieben ihrer Sitzungen.

 

                    Thesis 1: "Die Lehre von der Rechtfertigung ist der vornehmste Hauptartikel des christlichen Glaubens, dessen rechte Erkenntniss fuer das Heil des Einzelnen und dessen lautere Verkuendigung fuer die Wohlfahrt der Kirche im Ganzen von unvergleichbarer Wichtigkeit und unbedingter Nothwendigkeit ist".

                    Thesis 2: "Die Reformation der Kirche durch Dr. Luther hatte ihren Ausgangspunkt in einer durch Gottes Gnade wieder erneuerten Erkenntniss der reinen evangelischen Lehre von der Rechtfertigung und in demgemaesser ungefaelschter Verkuendigung dieses Glaubensartikels".

                    Thesis 3: "Bei der reinen Lehre von der Rechtfertigung, wie unsere lutherische Kirche dieselbe wieder aus Gottes Wort dargelegt und auf den Leuchter gestellt hat, handelt es sich vor Allem um die drei Punkte: 1. Um die Lehre von der allgemeinen vollkommenen Erloesung der Welt durch Christum; 2. Um die Lehre von der Kraft und Wirksamkeit der Gnadenmittel, und 3. Um die Lehre vom Glauben".

                    Diese drei Thesen sind hauptsaechlich einleitenden Charakters und wird hier hervorgehoben, dass der Artikel von der Rechtfertigung der Kern und

 


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Stern aller Lehre sei, in welchen alle andern Lehren hineingewachsen sind und aus dem sie auch wieder heraus fliessen.  Auf diesem Artikel beruht alle Seligkeit, und darum ist er fuer jeden Christen unbedingt nothwendig.  Es wuerde nichts helfen, wenn einer alle andern Lehren, zB die von der heiligen Dreieinigkeit, von der Person Christi etc genau kennen wuerde, wenn er diesen nicht wüste und glaubte.  Ein Fehler in irgend einem andern Artikel wuerde nicht so großen Schaden anrichten fuer die Seele des Christen, als ein Irrthum in dieser Lehre.  Und wie es mit dem einzelnen Christen ist, so ist es auch mit der ganzen Kirche bewandt.  Ihr ist dieser Artikel unentbehrlich, wenn sie Seelen aus des Teufels Gewalt in Gottes Reich einfuehren soll.  Reden wir von der Rechtfertigung, so reden wir von der christlichen Religion, denn die Lehre der christlichen Religion ist eben keine andere, als die Offenbarung Gottes darueber, wie man vor Gott gerecht und selig wird durch die Erloesung, so durch Christum JEsum geschehen ist.  Alle andern Religionen zeigen andere Wege, die zum Himmel fuehren sollen.  Die eine verlangt, man muesse gute Werke thun und so den Himmel verdienen; die andere, man muesse sehr tugendhaft sein, sich sehr um die Welt verdient machen, dann erlange man das Heil; die christliche Religion allein zeigt einen andern Weg zum Himmel durch ihre Lehre von der Rechtfertigung, und damit etwas fuer die ganze Welt Unerhoertes und Ungeahntes, Gedanken, die im Herzen Gottes verborgen waren vor Grundlegung der Welt.  Darum verlieren alle andern Lehren ihre Bedeutung, wenn die Lehre von der Rechtfertigung nicht recht ist.  Es kann uns gleichgültig sein, ob das Wesen Gottes in drei oder sechs Personen bestehe, so lange wir ihn fuerchten muessen als den eifrigen Gott ueber uns Suender.  Erst dann, wenn wir wissen und glauben, dass wir armen Suender aus Gnaden durch Christum mit Gott dem Vater versoehnt sind und allein durch den Glauben, den der Heilige Geist allein wirkt, die Gerechtigkeit erlangen, die vor Gott gilt, wird die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit eine Lehre voll Trostes und Seligkeit.  Wer und darum jene Lehre angreift, der tastet uns die ganze Lehre, die ganze Bibel, die ganze christliche Religion an. So lang diese Lehre bei uns ganz rein ist, kann kein Irrthum in andern Punkten bei uns haften.  Es ist so, wie Luther wiederholt sagt: "Diese Lehre leidet keinen Irrthum".  Sie ist die Sonne am Himmel der Kirche und wo sie aufgeht. da muessen alle Schatten verschwinden.  Unser Concordienbuch sagt hierueber in der Apologie Artikel 4: "Dieweil aber solcher Zank ist ueber dem hoechsten fuernehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, also, dass an diesem Artikel ganz viel gelegen ist, welcher auch zu klarem richtigen Verstande der ganzen heiligen Schrift fuernehmlich dienet, und zu dem unaussprechlichen Schatz und dem rechten Erkenntniss Christi allein den Weg weiset, auch in die ganze Bibel allein die Thuer aufthut, ohne welchen Artikel auch kein arm Gewissen einen rechten bestaendigen gewissen Trost haben oder die Reichthuemer der Gnaden Christi erkennen mag: - so bitten wir ---- Denn dieweil die Widersacher gar nichts verstehen noch wissen, was durch

 

 


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diese Worte in der Schrift zu verstehen, was Vergebung der Suenden sei, was Glauben, was Gnade, was Gerechtigkeit sei, so haben sie diesen edlen, hochnoethigen, fuernehmsten Artikel, ohne welchen niemand Christum erkennen wird, jaemmerlich besudelt und den hohen, theuern Schatz des Erkenntniss Christi, oder was Christus und sein Reich und Gnade sei, gar unterdrueckt und den armen Gewissen einen solchen so edlen großen Schatz und ewigen Trost, daran es gar gelegen, jaemmerlich geraubet".  Diese Worte muessen wir zu unserer Zeit wiederholen.  Nicht nur die Papisten haben damals diesen Brunnen des Heils schaendlich besudelt, sondern dasselbe haben alle Secten wieder gethan, die nach der Reformation aufgekommen sind.  Man glaubt das freilich heut zu Tage vielfach nicht mehr.  Allein wir muessen der Unionisterei unserer Zeit kraeftig entgegen treten, da man sich so leicht verfuehren laesst, zu glauben: In der Lehre von der Rechtfertigung seien wir doch mit den Methodisten, Presbyterianern etc einig, wenn auch freilich nicht in der Lehre vom Abendmahl, von der Person Christi etc.  Wir muessen es bezeugen, dass sich kein Schatten der rechten Lehre von der Rechtfertigung in den den Secten eigenthuemlichen Lehrsystemen findet. Freilich, die Worte sprechen sie auch aus: Wir werden gerecht aus Gnaden allein durch den Glauben; aber kaum haben sie das gesagt, so weisen sie den Menschen auf seine Busse, sein Ringen und Kaempfen, seine Heiligkeit, und es tritt so zu Tage, dass sie den Menschen doch durch sich selbst in den Himmel bringen wollen.  Wer aber das thut, der nimmt uns das goettliche Licht, das uns allein noch leuchten kann in der Suendennacht dieser Welt und laeßt uns in greulicher Finsterniss. Darum: "Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden und was nicht bleiben will.  Denn es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch wir koennen selig werden, spricht Petrus Ap Gesch 4,12.  Und durch seine Wunden sind wir geheilet, Es. 53,3.  Und auf diesem Artikel steht alles, was wir wider den Pabst, Teufel und Welt lehren und leben.  Darum muessen wir des gar gewiss sein und nicht zweifeln, sonst ist es alles verloren und behaelt Pabst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht".  (Schmalk. Artikel 2 Theil.) .  Diese Worte sollten wir alle auswendig koennen.  Um dieses Artikels willen nennt uns der Pabst Ketzer und die Secten Sprechen, wenn wir denselben predigen, wir halten die Bekehrung auf und machen die Leute sicher.  Sie behalten daher Recht wider uns, so bald wir ihnen in diesem Artikel weichen.  Die Concordienformel sagt im Artikel von der Rechtfertigung:  "Dieser Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens (wie die Apologie sagt) ist der vornehmste der ganzen christlichen Lehre, ohne welchen kein arm Gewissen einigen bestaendigen Trost haben, oder den Reichthum der Gnaden Christi recht erkennen mag, wie auch Dr. Luther geschrieben:  Wo dieser einig Artikel rein auf dem Plan bleibet, so bleibet die Christenheit auch rein und sein eintraechtig und ohn alle Rotten; wo er aber nicht rein bleibet, da ists nicht moeglich, dass man einigem Irrthum

 

 

 


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oder Rottengeist wehren möge.  Und von diesem Artikel sagt Paulus insonderheit, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig versäuere.  Darum er die particulas exclusivas, das ist die Worte (nämlich ohne Gesetz, ohne Werk, aus Gnaden), dadurch die Werke der Menschen ausgeschlossen, in diesem Artikel mit so großem Eifer und Ernst treibet, damit anzuzeigen, wie hoch es vonnöthen sei, daß in diesem Artikel neben reiner Lehre die antithesis, das ist, alle Gegenlehre dadurch abgesondert, ausgesetzt und verworfen werde." –  Erst dann gewinnt der Streit gegen die falsche Lehre für den einzelnen Christen praktische Bedeutung, wenn er sieht, wie durch die Fälschung anderer Stücke auch diese Lehre nicht rein bleiben kann.  Gar schön weisest Luther nach in seiner Schrift von Conciliis und Kirchen, daß zB bei der Nestorianisch - Zwinglischen Lehre von der Person Christi die von der Rechtfertigung unmöglich rein bleiben könne.*).  So weisest er nach, daß die Lehre von der Rechtfertigung in der That vernichtet wird durch die gottlose reformirte Lehre, daß nicht Gott am Kreuz gestorben sei, sondern nur der Mensch Christus.  Tröste sich doch einer, wenn er diesem Irrthum anhängt, in Todesnoth des Blutes eines bloßen Menschen!  Da gibt nichts Trost, als das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes, für die Sünden der Welt vergossen, wovon ein Tröpflein mehr werth ist, als alles Geld, Gut und Werk der Menschen, ja, mehr als Himmel und Erde.  Wie aber an diesem, so könnte man es an allen Artikeln nachweisen, daß, wo einer angegriffen wird, da zugleich die Lehre von der Rechtfertigung angetastet werde.  Man nennt diesen Artikel auch oft articulus stantis et cadentis ecclesiae (den Artikel der stehenden und fallenden Kirche), und er ist das auch.  Dr. Luther redet darüber also:  "Dieses ist der höchste Artikel unsers Glaubens.  Wenn man nun denselben entweder hinweg

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*).  "Wir Christen", schreibt er, "müssen das wissen: wo Gott nicht mit in der Waage ist und das Gewicht gibt, so sinken wir mit unserer Schüssel zu Grunde.  Das meine ich also:  wo es nicht sollte heißen:  Gott ist für uns gestorben, sondern allein ein Mensch so sind wir verloren.  Aber wenn Gottes = Tod und Gott = gestorben in der Waageschüssel liegt, so sinket Er unter und wir fahren empor als eine leichte ledige Schüssel."  (XVI, 2728). . Aehnlich schreibt Luther von der Zwinglischen Allöosis, nach welcher in der Schrift die Gottheit genannt und die Menschheit gemeint sein soll:  "Hüte dich, hüte dich, sage ich, vor der Allöosi; sie ist des Teufels Larve; denn sie richtet zuletzt einen solchen Christum zu, nach dem ich nicht gern wollte ein Christ sein, nemlich daß Christus hinfort nicht mehr sei, noch thue mit seinem Leiden und Leben, denn ein anderer schlechter Heiliger.  Denn wenn ich das gläube, daß allein die menschliche Natur für mich gelitten hat, so ist mir Christus ein schlechter Heiland; so bedarf er wohl selbst eines Heilands. .  Dahin führet ihn sein Dünkel und die verdammte Allöosis, daß er die Person Christi zertrennet und läßt uns keinen andern Christum bleiben, denn einen lauteren Menschen, der für uns gestorben und uns erlöset habe.  Welches christliche Herz kann doch solches hören oder leiden?  Ist doch damit der ganze christliche Glaube und aller Welt Seligkeit allerdings weggenommen und verdammt.  Denn wer allein durch Menschheit erlöset ist, wird auch nimmermehr erlösest."  (Großes Bekenntniß XX 1180 1206 f)

 

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nimmt, wie die Juden thun, oder aber verfälschet, wie die Papisten, so kann weder die Kirche bestehen, noch Gott seine Ehre behalten.  Welche Ehre die ist, daß er gnädig und barmherzig ist, und daß er uns um seines Sohnes willen die Sünde vergeben und uns selig machen will."  (Ueber 1 Mose 21, 17).  Weiter:  "So lange die Kirche diesen Artikel bekennet hat, ist sie im Glauben geblieben; und der Glaube ist zu einer Zeit heller, zu einer andern dunkler gewesen.  Er spricht selber Matth 28, 20:  Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende; ohne diesen Artikel stehet die Kirche nicht.  Mahomet hat zwar die Kirche verwüstet und der Pabst die Lehre vom Glauben verdunkelt, aber wo dieser Artikel geblieben ist, daselbst hat Gott seine Kirche erhalten."  (Walch VI, 1156).  Ferner:  "Diesen Artikel wollen sie (die Papisten) schlecht nicht leiden; so können wir sein nicht gerathen.  Denn wo der Artikel weg ist, so ist die Kirche weg und mag keinem Irrthum widerstanden werden, weil außer diesem Artikel der Heilige Geist nicht bei uns sein will und kann, denn er soll uns Christum verklären.  Ueber diesem Artikel ist die Welt so oft zu scheitern gegangen, durch Sündfluth, Wetter, Gewässer, Krieg und alle Plagen.  Ueber diesem Artikel ist Abel erwürget und alle Heiligen und müssen auch alle Christen drüber sterben.  Dennoch ist er blieben und muß bleiben und die Welt immerdar darüber zu Grunde gehen.  Also soll sie jetzt auch herhalten und über dem Artikel gestürzt werden; und sollte sie toll und thöricht werden, so soll sie den Artikel lassen stehen und sie darüber in der Höllen Grund fallen.  Amen" (XVI, 2015).  Ferner zu Ies 42, 22:  "Derowegen soll man den Artikel von der Gerechtfertigung, welchen wir heutzutage allein lehren, fleißig lernen und behalten.  Denn wenn wir diesen verloren haben, so werden wir keiner Ketzerei, keiner falschen Lehre, wenn sie auch noch so lächerlich und eitel wäre, widerstehen können; wie es unter dem Papstthum hergegangen ist, da wir solche Dinge gegläubet haben, deren wir uns anjetzo schämen und die uns gereuen.  Hinwiederum, wenn wir bei diesem Artikel bleiben, so sind wir sicher vor Ketzerei und behalten die Vergebung der Sünden, die uns die Schwachheit im Wandel und Glauben zu Gute hält." (VI, 827).  Ferner schreibt Luther an Brenz:  "Dieser Punct ist das Hauptstück und der Eckstein, der allein die Kirch Gottes gebieret, stärket, erbauet, erhält und schützet; und ohne den kann die Kirche Gottes nicht eine Stunde bestehen."  (XIV, 191).  Daß der Artikel von der Rechtfertigung der der stehenden und fallenden Kirche haben.  Denn was ist doch die Kirche?  Sie ist die gesammtheit der gläubigen Christen.  Da also ist die Kirche, wo Christus in Gnaden herrscht und regiert; er regiert aber innerlich im Menschen, also daß er ihm Gnade anbietet und darreicht.  Wo er nun ein Herz erobert hat, da ist sein Reich.  Wo daher wiedergeborene, lebendige Christen sind, da ist seine Kirche.  Nun aber wird kein Mensch ein wahrer, wiedergeborner Christ ohne diese Lehre von der Rechtfertigung.  Jede andere Lehre kann wohl große

 


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Pharisäer machen, aber keine Christen.  Ein solcher wird man allein dadurch, daß durch den Heiligen Geist im Herzen offenbar wird, man sei durch Christum wirklich erlösest, habe Vergebung der Sünden, einen versöhnten himmlischen Vater, Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und kann sich darum getrost auch aufs Sterbebett legen.  Alles Andere, was einen Menschen nicht zu dieser Zuversicht des Herzens führt, erzeugt Heuchelei und Gottlosigkeit.  Darum ist nicht hohe Kunst menschlicher Weisheit nöthig, den Leuten den Weg zum Himmel zu zeigen, sondern vor allem das treue Festhalten an diesem Artikel.  Wenn nur der, der auf der Kanzel steht, diesen Artikel rein behält, wenn nur seine ganze Predigt von diesem Gedanken beherrscht wird, man müsse allein durch Christum selig werden:  wenn er es dann auch hie und da in der Form oder selbst im Ausdruck versähe, würde das keinen Schaden thun; während ein Anderer, der nicht in diesem Artikel lebt, der Form nach ganz schön und regelrecht predigen kann, aber bringt dennoch seine Gemeinde nicht zu rechtem Trost, zu der nöthigen Freudigkeit.  Vielleicht wundert er sich selbst und die Gemeinde mit ihm, daß die Frucht nicht folgen will; allein es fehlt gewiß Christus, da sind Christen, da ist Christi Kirche, wo er nicht ist, da ist auch keine Kirche.

                    In der zweiten Thesis wird darauf hingewiesen, wie gerade die Lehre von der Rechtfertigung es war, von der aus Gott sein Werk der Reformation durch Luther begonnen habe.  Luther wäre nie der Reformator der Kirche geworden, wenn er nicht zur rechten Erkenntniß  gerade dieses Artikels gekommen wäre.  Vor ihm lebten viele, die auch die Kirch reformiren wollten, aber man merkt wohl, es fehlte ihnen gerade an diesem Grunde, von dem aus die Kirche allein reformirt werden kann, und so hatten sie keinen Erfolg.  Es gefiel aber Gott, Luther dieses Licht aufgehen zu lassen und ihn von da aus hindurchzuführen zu immer größerer Klarheit.  Er bewirkte in ihm ein Verzagen an seinem Verdienst und führte ihn nach und nach theils durch das Lesen der heiligen Schrift, theils durch die Schriften Augustins zur Ergreifung des Verdienstes Christi, und auf diesem Wege zur Erkenntniß davon, welch eine höllische Finsterniß im Pabstthum herrsche; wie da im geraden Gegensatz zur Lehre von der Rechtfertigung durch Christum gelehrt werde, der Mensch solle durch des Gesetzes Werk gerecht werden, und das Evangelium zu einer neuen Art des Gesetzes gemacht werde.  Der Gang, welchen Gott mit Luther eingehalten hat, geht aus folgender Stelle in seinen Schriften hervor:  "Ich hatte in der That eine herzliche Begierde und Lust, St. Pauli Epistel an die Römer eigentlich zu verstehen, und hatte mich daran bisher nichts anderes gehindert, denn allein das einzige Wörtlein justitia Dei (Gerechtigkeit Gottes) im ersten Capitel Vers 17, da Paulus spricht:  die Gerechtigkeit Gottes Werde im Evangelio offenbaret. Diesem Wort "Gottes Gerechtigkeit" war ich sehr feind und war nach Gebrauch und Gewohnheit aller Lehrer nicht anders berichtet und

 


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unterwiesen, denn daß ichs philosophischer Weise von solcher Gerechtigkeit verstehen müßte, in welcher Gott für sich gerecht ist, recht thut und wirket und alle Sünder und Ungerechten strafet, welche Gerechtigkeit man die wesentliche (formalem) oder wirkliche (activam) Gerechtigkeit nennet.  Nun stund es um mich also: ob ich gleich als ein heiliger und unsträflicher Mönch lebte, befand ich mich doch einen großen Sünder vor Gott und dazu eines ängstlichen und unruhigen Gewissens, getraute auch nicht mit meiner Genugthuung und Verdiensten Gott zu versöhnen.  Derowegen liebte ich diesen gerechten und zornigen Gott gar nicht, welcher die Sünde strafet, sondern ich hassete denselbigen und (so dieses keine Lästerung gewesen oder zu achten ist) zürnete heimlich und mit rechtem Ernst wider Gott; Sagete oftmals:  Genüget denn Gott an diesem nicht, daß er uns arme, elende Sünder und durch die Erbsünde zum ewigen Tod allbereit Verdammte mit allerlei Jammer und Trübsal dieses Lebens neben des Gesetzes Schrecken und Bedräuung beleget, daß er noch muß durchs Evangelium dieses Jammers und Herzeleids mehr machen und durch desselbigen Predigt und Stimme seine Gerechtigkeit und ernsten Zorn ferner dräuen und verkündigen?  Hier ergrimmete ich oftmals in meinem verwirrten Gewissen; hielt aber dennoch mit mehrerem Nachdenken bei dem lieben Paulo an, was er doch an demselben Ort meinete, und hatte herzlichen Durst und Begierde, dasselbige zu wissen.  Mit solchen Gedanken brachte ich Tag und Nacht zu, bis ich durch Gottes Gnade merkete, wie die Worte an einander hingen, nehmlich also:  Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelio offenbaret, wie geschrieben stehet:  Der Gerechte lebet seines Glaubens.  Hieraus habe ich dieselbige Gerechtigkeit Gottes, in welcher der Gerechte durch Gottes Gnade und Gabe allein aus dem Glauben lebet, verstehen lernen, und gemerket, daß des Apostels Meinung diese wäre: es würde durchs Evangelium die Gerechtigkeit offenbaret, die vor Gott gilt, in welcher uns Gott aus Gnaden und eiteler Barmherzigkeit durch den Glauben rechtfertiget, welche man zu Latein Justitiam passivam nennet, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens.  Hie fühlete ich alsbald, daß ich ganz und neu geboren wäre und nun gleich eine weit aufgesperrte Thür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte; sahe mich auch die liebe heilige Schrift nunmals viel anders an, denn zuvor geschehen war; lief derhalben bald durch die ganze Bibel, wie ich mich derselbigen erinnern konnte, und sammelte auch in andern Worten nach dieser Regel alle ihre Auslegungen zusammen, als:  daß Gottes Werk dies heiße, das Gott in uns selbst wirket; Gottes Kraft, damit er uns kräftig und stark machet; Gottes Weisheit, damit er uns weise machet; also die andern:  Gottes Stärke, Gottes Heil, Gottes Herrlichkeit und dergleichen.  Wie ich nun zuvor dieses Wörtlein "Gottes Gerechtigkeit" mit rechtem Ernst hassete, so fing ich auch dagegen an, dasselbe also mein allerliebstes und tröstlichstes Wort theuer und hoch zu achten und war mir derselbige Ort in

 


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St. Paulus in der Wahrheit die rechte Pforte des Paradieses."  (XIV, 460 bis 462).  Auch mit den Worten:  "In meinem Herzen herrschet allein und soll auch herrschen dieser einige Artikel" (VIII, 1529), hat es Luther deutlich genug ausgesprochen, daß ihn bei der Reformation nichts anderes geleitet hat, als diese Lehre.  Auch in andern Ländern und zu andern Zeiten ist es diese Lehre gewesen, welche die Kirche wieder erneuert hat.  Wohl hatte Dr. Luther gar bald viele Gräuel des Pabstthums erkannt, aber dabei hatte er noch die falsche Lehre von der Kirche und meinte darum, was sei er, daß er sich unterstehen sollte, sich aufzulehnen gegen die heilige Kirche?  Dies dürfe er nimmermehr; er müsse sich vielmehr ducken.  Erst als ihm klar wurde, daß die Gerechtigkeit, die im Evangelio offenbart wird, die sei, welche Gott gibt und damit er den Sünder gerecht macht, da öffneten sich ihm die Pforten des Paradieses und nun konnte er auch wie ein Held dem Pabstthum und allen seinen Verführungen entgegen treten.  Wie es aber dann geht, wenn man diese Lehre nicht mehr rein hat, sehen wir hier zu Lande mit Augen.  Welch gräuliche und unsinnige Irrthümer kommen hier auf die Bahn und finden Anhänger!  Warum?  Darum, weil, wenn Jemand nicht mehr den rechten Maßstab für Wahrheit und Irrthum hat, er wohl oft erst denkt:  die Stellen, auf welche sich die Irrlehrer gründen, können das wohl nicht sagen, was ihnen untergelegt wird; fällt er indeß einem schlauen Fuchs in die Hände, der ihm die Sache plausibel zu machen versteht, so fällt er dem Irrthum doch zu.  Wir müssen darum einen Maßstab haben, der es uns, wenn wir uns nach ihm richten, unmöglich macht, einen Irrthum aufzunehmen, dieser Maßstab ist aber die Lehre von der Rechtfertigung.  Wer dir erkannt hat, der lacht aller gelehrten ungläubigen und halbgläubigen Professoren mit aller ihrer Beredsamkeit und Gelehrsamkeit, wenn sie falsch lehren; stimmt, was sie setzen und sagen, nicht mit seinem Kindersprüchlein:  "Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von allen Sünden", so tritt es, mag es noch so großes Schein der Weisheit oder Heiligkeit haben, auch der Einfältigste mit Füßen und nennt es Teufelsd . . ck [devil's dung - RL]. .  Das ist die Ursache gewesen, weshalb Luther ein so unüberwindlicher Reformator wurde.  Hätte es da gefehlt, so hätte ihn freilich schon ein Mann wie Erasmus umstoßen können.  Da er aber auf diesem Felsen stand, so lachte er über des Pabsts Gelehrte und über Zwingli dazu.  Wenn ihm immer neue verführerische Geister entgegentraten, so prüfte er sie nach diesem Artikel, und stimmten sie damit nicht, so sprach er:  Hebet euch hinweg zu dem, der euch gesandt hat.  Es muß aber diese Lehre so von uns aufgenommen werden, daß sie das Princip unsers Glaubens, unseres Lebens und unserer ganzen Amtsführung wird, dann werden auch unsere Gemeinden getrost und fröhlich.  Denn wenn sie merken, daß wir sie ihrer Seligkeit gewiß machen, dann sind wir ihre besten Freunde.  Was hilft ihnen das, wenn wir sehr beredte Leute, sehr populäre Prediger, sehr würdevolle Pfarrer sind?  Gewiß sehr wenig.  Wenn sie aber sagen können:  Unser Pastor hat uns unserer Seligkeit gewiß gemacht, wir wissen

 


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jetzt, an wen wir glauben:  dann haben sie das beste Theil für Zeit und Ewigkeit; dann halten sie auch Kirchen und Synoden nicht mehr für Pfaffen - Institute, die viel verbrauchen, aber Niemanden nützen, sondern sie wissen dann, daß es sich immer darum handelt, ihnen und der ganzen Welt die frohe Botschaft zu bringen:  Ihr seid erlösest und selig gemacht!  Glaubt es nur, nehmt es nur an!  Und willig helfen sie dann zur Verbreitung dieser Botschaft mit ihren Gaben.  So überaus wichtig nun diese Lehre ist, so kann sie doch gepredigt werden in ihrer Fülle und ganzen Kraft, in ihrer Helle und ihrem Trostesreichthum auch von weniger Begabten.  Als die Reformation anfing, was für Prediger hatte man da? Also was für Truppen, um sie dem Teufel und seinem Reich entgegen zu stellen?  Es sah damit ärmlich genug aus, so daß man nach menschlicher Ansicht hätte sagen müssen:  Du armer Luther, geh in deine Zelle und verkrieche dich, denn mit deinen armen banquerotten Priesterlein wirst du nichts ausrichten.  Allein, siehe da, sie hatten den Artikel rein, daß der Mensch gerecht werde aus Gnaden allein durch den Glauben, und damit waren sie eine unüberwindliche und sieghafte Macht.  Aehnlich steht es auch jetzt bei uns.  Wie viel auch armer junger Studenten aus unsern Anstalten hervorgehen, die so schwach sind, daß, wenn man sie mit denen vergleicht, welche vor 200 Jahren entlassen wurden, man verzagen möchte, so brauchen wir doch nicht zu verzagen; denn auch der Allerschwächste, wenn er nur die Lehre, daß die Gnade Gottes in Christo Jesu für alle Menschen erschienen ist und durch den Glauben ergriffen wird, erfaßt hat, kann den Leuten so predigen, daß sie ihrer Seligkeit gewiß werden; und das wiegt alle Weisheit und alle Gaben und alle Schätze der Welt auf.  Solchen Predigern wird es auch nie an Stoff fehlen.  Sie werden immer von dem zu reden wissen, was Gott aus Gnaden an uns gethan hat und das wird ihnen immer neue Freudigkeit geben.  Was ist denn alle Gelehrsamkeit, so nöthig sie ja ist an ihrem Platze, gegen die Weisheit Gottes, welche dann verkündigt wird, wenn auch nur der Spruch ausgelegt wird:  "Also hat Gott die Welt geliebet" etc?  Darüber freuen sich die armen Sünder, darüber wundern sich alle heiligen Engel, davor sollte die ganze Welt auf die Kniee sinken und Gloria und Halleluja rufen.  Wenn unsere angehenden Kirchendiener das predigen, dann sind sie die Leute, welche eine Reformation auch in diesem Lande anfangen können; wie denn ja auch bereits auf diesem Wege ein kleiner Anfang gemacht ist.  Denn das macht wirklich lebendige Gemeinden, nicht solche, die ein großes Geschrei machen von ihrem Leben und ihren Thaten, sondern solche, die, in dieser Lehre lebend, Gott williglich opfern im heiligen Schmuck.  Summa: lernen wir es an Luther, daß wir hier keine Reformation anrichten können, wenn wir nicht diese Lehre fest glauben, mit göttlicher Gewißheit verkündigen und festhalten und bewahren.

                    In der dritten Thesis wird die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf drei Punkte gelenkt:  1 auf die Lehre von der allgemeinen Erlösung der Welt, 2 auf die Lehre von den Gnadenmitteln, und 3 auf die Lehre vom Glauben.

 


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Man spricht nämlich, wenn man die ganze Lehre von der Rechtfertigung darstellen will, ein der Regel von drei Ursachen, wenn man nämlich vermittelst des Ursachprincips die ganze Lehre beschreiben will.  Man fragt dann erstlich, was ist die bewirkende, was die Bewegende und endlich, was die Mittel - Ursache, wodurch das, was die bewirkende mir zugedacht hat, in meinen Besitz kommt?  Jene erste Ursache der Rechtfertigung nun ist der dreieinige Gott; das aber gibt Jedermann, der noch von Rechtfertigung reden will, zu; darum wollen wir hier gar nicht weiter davon sprechen.  Die zweite Ursache ist eine zweisache, eine innerliche und eine äußere.  Die innerliche ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit; die leugnet wieder Niemand, selbst der Pabst nicht.  Nun aber kommt eine neue Frage, nämlich:  welche ist die äußere Bewegursache?  Da sagen wir nun:  Das ist die Erlösung Jesu Christi, die bewegt den lieben Gott, uns arme verfluchte Sünder gerecht zu erklären.  Der Mittelursachen gibt es wieder zwei Arten, die einen sind die von Seiten Gottes, die andere von Seiten des Menschen.  Von Seiten Gottes sind es Wort und Sacrament.  Da gehen denn schon alle Parteien auseinander.  Von Seiten des Menschen ist es der Glaube, und hier ist eine wahrhaft babylonische Verwirrung unter den Secten, wenn es nämlich dazu kommt, zu erklären, was Glaube sei.  Dem einen ist es etwas im Verstand Vorgehendes, dem andern das, was er im Gemüth empfindet etc.  Wollen wir uns darum unserer Einigkeit bewußt werden, so wird es sich also zunächst um die äußere bewegende Ursache der Rechtfertigung, um die Erlösung, und um die Mittelursachen, dI um Wort und Sacrament und um den Glauben, handeln.  Sind wir in diesen Punkten findet sich aller Unterschied in der Christenheit.  Zwar kann man diese Lehre nicht betrachten, ohne das gänzliche Verderben des Menschen, um dessen willen derselbe ein Kind des Zorns und der Verdammniß ist von Natur, mit zu betrachten, allein der Blick muß vor allem darauf gerichtet bleiben, wie der verlorne und verdammte Mensch gerecht und selig wird.

                    Thesis 4:  "Wie in Adam alle Menschen gefallen und unter den Zorn Gottes und die ewige Verdammniß als Strafe der Sünden gerathen sind, so sind auch in Christo als dem zweiten Adam alle Menschen von Sünde, Tod, Teufel und Hölle wahrhaftig erlösest worden und Gott ist mit ihnen allen wahrhaftig versöhnt."

                    In dieser Thesis wird ausgesagt, daß gleichwie in Adam der Fall und seine Folgen über alle Menschen gekommen sei und also alle an diesem Fall Theil haben, so sei auch die Erlösung, welche durch Christum Jesum geschehen ist, nicht nur für einige wenige, sondern schlechthin für alle Menschen, also auch für die, welche verloren gehen, geschehen.  Dies beweisest die heilige Schrift, wenn sie von der Erlösung durch Christum ohne Einschränkung redet und ihr eine solche Allgemeinheit zuschreibt, wie dem Fall Adams.  "Christus", sagt der Apostel, "ist Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für

 


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unsere, sondern auch für der ganzen Welt Sünde." 1 Joh. 2.2.  Und Joh. 1, 29 wird er genannt "Das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt."  Es heißt von ihm 2 Cor. 5, 19. : "Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu" etc, und Col. 1, 20.: "daß alles durch ihn versöhnet würde zu ihm selbst", und daß "er von Gottes Gnaden für alle den Tod geschmeckt" habe.  Ebr. 2, 9.  Alle diese Stellen lehren, daß die Erlösung, welche durch Christum geschehen ist, für alle geschah.  Zur Erklärung der Worte: Christus ist der zweite Adam, dient, was die Apologie sagt: "Die ganze Welt aber wird darum Gott unterthan, unterworfen durchs Gesetz; denn durch das Gebot des Gesetzes werden wir alle angeklaget, aber durch die Werke des Gesetzes wird niemands gerecht, denn durch das Gesetz wird die Sünde erkannt, aber die Schuld wird aufgelöset durch den Glauben, und es scheinet wohl, als hätte das Gesetz Schaden gethan, denn es all zu Schanden gemacht hat; aber der Herr Christus ist kommen und hat Handschrift durch Vergießen seines Blutes ausgelöscht.  Und das ist, das Paulus sagt zu den Römern Cap. 5, 20. : Die Sünde ist mächtig geworden durchs Gesetz, aber die Gnade ist noch mächtiger worden durch JEsum.  Denn dieweil die ganze Welt ist schuldig worden, so hat er der ganzen Welt Sünde weggenommen, wie Johannes zeugt: Siehe, das ist das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde wegnimmt."  (Symb. BB. von Müller S. 106.)  Zwar muß man den Parallelismus nicht zu weit führen zwischen Adam und Christo, denn in einer Art ist es anders mit der Gnade, als mit dem Fluch.  Sobald ein Mensch ein Mensch ist, ist er freilich im Besitz des Fluches, nicht so aber ist er auch gleich im Besitz des Verdienstes Christi.  Der Schatz ist freilich für alle Menschen da, die Schuld aller ist bezahlt, so daß im Blute Christi aller Menschen Gerechtigkeit, leben und Seligkeit wieder gebracht ist; damit aber der Mensch in persönlichen Besitz dieser Güter komme, muß er das Werk Christi anerkennen, seine Gnade annehmen, glauben, und insofern ist ein Unterschied zwischen Adam und Christo.  Adam war nicht ein Mittler, sondern ein Stammvater, welcher den Tod fortpflanzte in seinen natürlichen Kindern.  Christus aber pflanzt nicht das Leben fort durch natürliche Nachkommenschaft, sondern geistlich, wenn der sündige Mensch sein Werk anerkennt und sein Heil annimmt, welches durch den Glauben geschieht.  So müssen wir die Bezahlung Christi, welche für alle dargelegt ist, als unser Eigenthum annehmen und uns derselben trösten, so daß sie uns als Einzelnen zugerechnet wird.  Es steht ja nicht da: Wie durch einen wieder alle gerecht gezeugt, sondern so steht da: "Wie durch eines Sünde die Verdammniß über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen.  Denn gleichwie durch eines Ungehorsam

 


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gehorsam viel Sünde geworden sind, also auch durch eines Gehorsam werden viele gerecht."  Röm. 5, 18. 19.  Die Vergleichung besteht also darin : Wie Sünde und Verdammniß über alle gekommen ist durch Adam, so ist Gerechtigkeit und Seligkeit über alle gekommen durch Chrisum, wie der Tod über alle gekommen ist durch Christum.  Die Allgemeinheit der Erlösung ist aber so anzusehen, wie man etwa von einer Anzahl Sclaven, die losgekauft wurden, so bald das Geld für sie bezahlt ist, sagt: die sind alle frei, obwohl sie, wenn sie die Lösung nicht annehmen, nicht frei sind als einzelne Personen.  Sie sind frei nach der Absicht dessen, der sie losgekauft hat, aber gefangen wegan ihres bösen Willens.  So hat Christus die Sclaven des Todes, des Teufels und der Hölle, alle frei gemacht, denn er hat alles bezahlt, was von ihnen zu fordern war, so daß keiner mehr ein Sclave sein muß; aber trotzdem bleiben doch die meisten in der Gefangenschaft liegen, weil sie sein Lösegeld nicht für vollgiltig halten.  Darum verdammt jetzt nach Christi Tod und Auferstehung nicht sowohl mehr die und jene Sünde, als der Unglaube, welcher die Sünde aller Sünden ist.  So sagt darum auch der Herr : "Der Heilige Geist wird die Welt strafen um die Sünde"  und setzt gleich hinzu:"Um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich", anzuzeigen, daß, nachdem er, der Sohn Gottes, uns Menschen frei gemacht hat, auch die Schuld der ganzen Welt wahrhaftig getilgt sei.  Dies Bezeugt auch insonderheit die Auferstehung Christi.  Was war die Auferstehung Christi?  Sie war eine That Gottes, durch, durch welche Christus für gerecht erklärt wurde.  Christus war aber in den Tod gegangen, beladen nicht mit eigenen, mit den Sünden der ganzen Welt und mit aller ihrer Ungerechtigkeit.  Um dieser Süden willen wurde er vom Vater verurtheilt, und dies Urtheil wurde ihm an ihm vollstreckt; darum sank er in den Tod.  Als nun der Vater ihn wieder auferweckte, erklärte er damit: Die Schuld ist getilgt, er ist gerecht.  So wenig aber Christus es war, der für seine Person verdammt wurde, sondern die Menschheit, deren Sünde er trug, so wenig ist Christus für seine Person durch die Auferstehung erst gerecht geworden; gerecht wurde aber dadurch die Menschheit, für die er starb und auferstand.  Wenn gefragt wird, wie das zu reimen sei, daß einerseits die heilige Schrift lehre, daß durch Christi Auferweckung die ganze Welt absolvirt sei, und daß sie doch andererseits bezeuge, daß die Schuld auf den Ungläubigen bleibe, so lange sie im Unglauben verharren, so ist zu antworten: Man muß zweierlei Weise unterscheiden, wie Gott die Menschen ansieht. Wenn Gott die Welt in Christo, seinem Sohne, ansieht, so sieht er sie an mit der innigsten Liebe; sieht er aber die Welt an außer Christo, so kann er sie nicht anders ansehen, als mit brennendem Zorn.  Wer also nicht an Christum glaubt, ja, Christum verwirft, über dem Bleibet der Zorn Gottes, trotzdem daß er den selben, wenn er ihn in seinem Sohn anschaut und gedenkt, wie der auch für ihn genug gethan habe, mit Augen voll Liebe anschaut; wie denn die Schrift sagt Joh. 3, 16.: "Also hat Gott die

 


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Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab."  Demnach that Gott zweierlei, er zürnte über die Sünder, und zu gleicher Zeit liebte er sie so brennend, daß er seinen eingebornen Sohn für sie hingab.  Liebte er nun die Welt schon von Ewigkeit, wie gewiß wird er sie jetzt noch lieben, nachdem ihn genug gethan ist!  Sieht nun Gott die Welt an so, wie für sie genug gethan und ihre Schuld durch seinen Sohn bezahlt ist, so sieht er sie an als eine versöhnte Welt.  Jetzt kommt aber der Einzelne und stößt diese Versöhnung von sich: den kann er nicht anders ansehen, da derselbe ohne Christum ist, als mit ewigen brennenden Zorn.  Nach der Erwerbung des Heils zu reden, zürnt er mit keinem Menschen mehr, aber nach der Zueignung zu reden, zürnt er mit jedem, der nicht in Christo ist.  Man kann also sagen: Insofern der Mensch ein Theil der gesammten erlösten Menschheit ist, zürnt Gott nicht über ihn, insofern er aber für seine Person ein Ungläubiger ist, zürnt mit ihm.  Doch liegt hier ein unaussprechliches und unergründliches Geheimniß.  In Gott sind ja nicht Bewegungen, wie in uns Menschen, die wir bald so gesinnt sind, bald anders, bald diese Empfindungen haben, bald jene.  Von ihm steht ja geschrieben: "Du bleibest wie du bist."  Mit seinem Wesen eins ist aber alles, was Gott denkt und will.  Gerade diese Einheit und Unveränderlichkeit Gottes bei dem, was ihm die heilige Schrift gegen den Sünder, wenn er nicht glaubt, und dann, wenn er glaubt, zuschreibt, ist uns ein undurchdringliches Geheimniß, weshalb wir auch nicht im Stande sind, uns davon einen klaren Begriff zu machen, wie Gott die ganze Welt lieben, und doch zugleich mit dem einzelnen Ungläubigen zürnen kann; aber beides lehrt die heilige Schrift klar.  Nun ist es lutherische Weise: finden wir in Gottes Wort zweierlei, das wir nicht reimen können, so lassen wir eben beides stehen und glauben beides so, wie es lautet.  Ein Widerspruch ist indessen nicht darin, daß die heiligen Schrift dies beides lehrt: Gott liebt die Welt und haßt die Ungläubigen; es muß eben hinzugedacht werden: in anderer Beziehung.  Es ist damit ähnlich, wie wenn wir sagen: der Mensch ist sterblich und er ist auch nicht sterblich.  Sterblich ist er in Rücksicht seiner leiblichen Beschaffenheit, und er ist nicht sterblich in Bezug seiner geistigen Beschaffenheit.  Christus hat sich an die Stelle der ganzen Welt gestellt und für sie genug gethan.  So stellt sich nun auch der große Gott die Welt vor, und sofern er dies thut, so ist sein Vaterherz allen zugeneigt; aber freilich nicht außer Christo; wenn er die ungläubige Welt außer ihm betrachtet, so flammt das Feuer seines Zornes über sie in Ewigkeit.  Ja, wenn es möglich wäre, so müßte sein Zorn jetzt noch größer sein, als da er durch die Uebertretung des Gesetzes angezündet wurde.  Fragt man nun, ob man sagen könne, die Gesammtheit sei wohl losgesprochen, aber nicht die Einzelnen? so ist zu antworten: Gott ist durch Christum mit allen und mit jedem Einzelnen versöhnt.  Jedoch über jede einzelne Person muß ein Gericht ergehen entweder der Absolution oder der Verdammniß.  Luther sagt hierüber: "Die allerliebste und trostreichste Lehre des Evangeliums redet gar

 


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nichts von Werken, die in Gottes Gesetz oder von Menschen geboten werden; sondern allein prediget und lehret sie von der unbegreiflichen, unaussprechlichen Barmherzigkeit und Liebe Gottes, die er gegen uns unwürdigen und verdammten Sündern erzeiget hat: nämlich da er, der allergütigste, barmherzigste Vater, gesehen hat, daß wir durch den Fluch des Gesetzes so jämmerlich unterdrückt und darunter so gewaltig gehalten wurden, daß unmöglich war, daß wir uns durch unsere eigenen Kräfte in Ewigkeit heraus hätten können wirken, oder uns davon erlösen und frei machen, hat er deshalb seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt, alle Sünden aller Menschen auf ihn geworfen und also zu ihm gesagt: Du sei Petrus, der da verleugnet hat, Paulus, der da verfolget, gelästert und alle Gewalt geübt hat, David der die Ehe gebrochen etc, item der Sünder, der den Apfel in Paradiese gegessen, der Mörder, der am Kreuz gehangen hat, in Summa, den sollst sein, das alle Menschen sind, als hättest du aller Menschen Sünde allein gethan; darum denke nun, wie du für sie bezahlest und genug thust.  Da kommt so bald das Gesetz, klaget ihn an und saget: Da finde ich diesen unter den Sündern, ja, der aller Menschen Sünden auf sich genommen hat und sie trägt, und sehe sonst in der ganzen Welt keine Sünde mehr, denn auf ihm allein; darum soll er herhalten und des Todes am Kreuz sterben; dringet also das Gesetz mit seinem Anklagen und Schrecken mit aller Gewalt auf ihn und erwürget ihn.  Durch solchen unschuldigen Tod Christi ist die ganze Welt von Sünden gereiniget und entlediget und derohalben erlöset von dem Tod und von allem Uebel.  Weil denn nun durch diesen einigen Mittler zwischen Gott und Menschen, JEsum Christum, die Sünde und der Tod weggenommen sind, wäre die ganze Welt wohl allerdings so rein, daß unser HErr Gott darinnen nichts anders sehen könnte, denn eitel Gerechtigkeit und Heiligkeit, wenn wir es nur gläuben könnten.  Und ob auch gleich etwas von Sünden noch übrig bliebe, könnte doch Gott solche Sünden vor dieser klaren hellen Sonne, welche Christus ist, nicht sehen.  Auf jener Seite ist kein Mangel; denn Christus hat der ganzen Welt Sünde getragen, dafür genug gethan; an uns aber mangelt es, die wir es schwächlich glauben.  Wenn wir es völlig gläubten, so wären wir schon allerdings selig und im Paradies; aber der alte Sack, der uns noch am Halse hänget, der läßt uns zu solchem gewissen Glauben nicht kommen.  Darum ist hoch vonnöthen, daß wir den Artikel von der Gerechtigkeit, so wir in Christo haben, ohne Unterlaß treiben, groß und herrlich machen wider die Gerechtigkeit, so aus dem Gesetz und Werken kömmt; wie wohl kein Sprache und Redekunst in der ganzen Welt ist, die seine Größe und Herrlichkeit genugsam begreifen, will geschweigen, ausreden könne.  Und eben dies Argument, das St Paulus hier handelt, ist sehr trefflich und gewaltig wider allerlei Gerechtigkeit des Gesetzes, will der ströhernen Gerechtigkeit menschlicher Satzungen geschweigen.  Denn der zweier muß gewißlich und unwidersprechlich eins wahr sein: Nämlich, so aller Welt Sünden

 


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auf dem einigen Menschen JEsu Christo liegen, wie der Heiligen Geist durch Iesaiam Capitel 53,6 zeuget, so liegen sie freilich auf der Welt nicht; liegen sie aber auf ihm nicht, so kann es nicht fehlen, sie müssen gewißlich noch auf der Welt liegen. Item so Christus aller unserer Sünden, die wir je gethan haben, selbst schuldig worden ist, so sind ja wir von allen Sünden absolviret, frei und losgesprochen; doch ist solches nicht geschehen durch uns selbst, unsere Werke oder Verdienst, sondern durch ihn; so er aber unschuldig ist und unsere Sünden nicht träget, so müssen wir sie selbst tragen und darunter, als unter einer schweren und unerträglichen Last, sterben und immer und ewiglich verderben.  Gott aber sei Lob und Dank, der uns den Sieg und Ueberwindung gegeben hat durch Jesum Christum, unseren lieben HErrn, Amen." (Erkl des Galaterbriefs VIII, Seite 2172 ff.). .  Die Schwärmer denken sich die Sache gewöhnlich so, daß unser lieber HErr JEsus Christus deswegen gelitten habe, gestorben und auferstanden sei und überhaupt das, was die Schrift Versöhnung, nennt, zuwege gebracht habe, damit der liebe Gott jetzt einen Menschen blos um seiner Bekehrung willen doch noch in den Himmel nehmen könne.  Sie glauben nicht. daß durch Christum alles ohne Ausnahme geschehen sei, was geschehen mußte, damit uns Gott selig machen und das ewige Leben schenken kann; das aber, daß durch Christum alles geschehen sei und daher ohne unser Zuthun Gott uns den Himmel frei umsonst schenke, das glauben sie nicht.  Etwas, meinen sie, bleibe doch auch für den Menschen noch zu thun, und dieses Etwas, meinen sie, sei die Bekehrung.  Die Schrift aber lehrt, daß Christus alles gethan und Versöhnung mit Gott, Gerechtigkeit, Anrecht an die Kindschaft Gottes uns schon erworben habe, daß es da nur bereit liege und ausgetheilt werde in der heiligen christlichen Kirche durch das Evangelium.  Nun hat niemand etwas weiter zu thun, als das Heil anzunehmen.  Denn die Gerechtigkeit ist ja da, die Aussöhnung Gottes mit allen Menschen geschehen und ist nun nichts weiter zu thun, als daß sich der Mensch dessen, was Christus gethan hat, tröste.  Das ist es, was wir sagen wollen, wenn wir von einer vollkommenen Erlösung reden.  Nicht daß der Mensch schon etwas habe und Gott das übrige erstatte, auch nicht, daß Gott etwas gethan habe und der Mensch das Fehlende dazu thue, sondern daß Gott alles schon ganz allein gethan habe.  Wenn Lutheraner, die doch sonst lutherische Redensarten brauchen, leugnen, daß Gott mit der ganzen Welt versöhnt sei, so müssen sie fort und fort wieder leugnen, was sie zugegeben haben.  Der zürnende Gott kann doch keine Vergebung anbieten, sondern nur der Gott, der, wie er es im Evangelio offenbart hat, alle in Christo liebt, weil sie durch ihn erworben sind.  Freilich muß sich der Mensch, der Selig werden soll, bekehren, aber diese Bekehrung ist es nicht, wofür Gott selig macht, sondern der Weg, auf welchem der Mensch zum Glauben kommt, der nichts thut, als daß er die vollkommene und bereits geschenkte Erlösung annimmt.

 


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                    Die Wohlthaten des Reiches Gottes sind nicht nur für die da, die in diesem Reiche sind, sondern sie sind für alle da und allen erworben.  Platz ist für alle da, aber nicht alle kommen in Besitz dieses Platzes.  Diejenigen, welche gegen die Lehre von der Vollkommenheit der Erlösung Christi sind, sagen gewöhnlich: Ja, erlösest hat uns Christus alle, aber vollkommen sind wir erst dann erlösest, wenn wir glauben.  Die aber das sagen, bedenken gar nicht, was sie behaupten.  Denn wenn ich dadurch selig werden soll, daß ich glaube, ich bin erlösest, ich bin mit Gott versöhnt, meine Sünden sind mir vergeben, so muß das alles doch schon vorher da sein.  Es wird doch kein Mensch so thöricht sein, zu denken, dadurch, daß er glaube, es geschehe etwas, bewirke er, daß es wirklich geschehe; wer so dächte, der würde ein abergläubischer Mensch sein.  Das ist aber ein Christ nicht, darum glaubt er, was geschehen ist.  So gewiß uns nun Gottes Wort zusagt, wir sollen durch den Glauben gerecht, mit Gott versöhnt und selig werden, so gewiß müssen alle diese Dinge schon vor meinem Glauben da sein, und sie harren nur, daß ich sie annehme.  Wenn wir behaupten: Was du glauben sollst, muß schon vorher da sein, so wollen wir den Leuten nicht etwa damit den Trost geben: Wenn ihr auch nicht glaubt, so schadet das nichts, ihr könnt deshalb doch in den Himmel schlüpfen, denn es ist schon für euch genug gethan.  Nein, sondern wir bezeugen ihnen, daß ihre Verdammniß, so sie nicht glauben, darum eine um so schrecklichere sein werde, weil Gott den Tisch schon gedeckt und alles bereitet hatte, aber sie wollten nicht kommen; darum soll keiner der Verächter sein Abendmahl schmecken.  Daß aber der Mensch durch den Glauben allein gerecht wird, ist deshalb möglich, weil das, was zum Seligwerden nöthig ist, bereits da und geleistet ist, so daß von meiner Seite nur das Annehmen nöthig ist.  Dieses Annehmen aber nennt eben die Schrift glauben.  Der gerechte Gott könnte keinen Menschen in den Himmel nehmen, wenn er nicht erst mit ihm versöhnt wäre; da er nun in den Himmel nimmt alle, die da glauben, so muß Gerechtigkeit und Versöhnung schon da und geschehen sein.  Das hat Christus uns erworben durch sein Leben, Leiden und Sterben, und Gott hat es bestätiget dadurch, daß er ihn auferweckt hat, denn es war die Auferweckung unseres Bürgen.  Die Schwärmer sehen den Glauben nicht als eine bloße Hand an, sondern als eine Bedingung, die der Mensch erfüllt und um deren willen Gott den Menschen in den Himmel aufnimmt, während der Glaube ja nichts ist, als eine leere Hand, die ich ausstrecke, damit Gott sie fülle.  Wenn ich also weiter nichts hätte, als den Glauben, und nicht Christum (was freilich nicht möglich ist), so würde ich mitsammt meinem Glauben zur Hölle fahren, denn nicht die That des Glaubens ist es, die mich Gott angenehm macht, sondern Christus ist es und seine Gerechtigkeit, die ich mit der Hand des Glaubens erfasse.  Das ist es aber, was alle Schwärmer übersehen.  Sie wollen noch irgend einen Platz finden für die Thätigkeit des Menschen; so setzen sie dieselbe bald in seinen Glauben, bald in seine Buße, bald in seine Bekehrung, bald in seine Heiligung.  Freilich

 


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kann, wie gesagt, kein Mensch in den Himmel kommen, der nicht bekehrt ist und ein neues Herz hat, aber nicht um der Bekehrung oder dieses neuen Herzens willen wird er selig, sondern er muß erst vor Gott erscheinen als ein armer Sünder, der gar nichts hat, das Gott gefallen könnte, und der werth wäre, daß er in Abgrund der Hölle käme, dann apellire er an Gottes Barmherzigkeit und tröste sich der vollgiltigen Erlösung JEsu Christi und ergreife sein ganzes Verdienst, so wird er gerecht.  Es muß mit ganzem Ernst betont werden, daß Gottes Zorn durch Christi Thun und Leiden von allen Menschen gewandt ist und daß durch das Evangelium jeder eingeladen wird: Nun nimm die Gnade hin! Müßte ein Prediger mit dem Gedanken vor eine Zuhörerschaft hintreten: Auf denen ruht Gottes Zorn noch, und die müssen bewogen werden, daß sie ihn versöhnen - - es wäre erschrecklich; aber weil er weiß, die Erlösung ist schon für alle geschehen, Gottes Zorn gegen alle ausgelöscht, darum kann er getrost reden: "Lasset euch versöhnen mit Gott", nehmt seine Gnadenhand nur an.  Die Concordienformel deutet darum auch an, daß selbst Pharao nicht verdammt worden sei, weil er von Gott nach einem unbedingten Rathschluß verworfen war, sondern weil er in der Verstockung gegen die Gnadenzüge Gottes beharrte.  Wenn im Verhältniß Gottes zu den Menschen durch Christi Leiden und Sterben keine Veränderung eingetreten wäre, welche Bedeutung hätte dann das Wort Versöhnung?  Wir müßten es ausstreichen aus der Bibel, wenn Gott, nachdem das Werk der Versöhnung geschehen ist, noch denselben Zorn gegen das Menschengeschlecht hielte, als ob es nicht vollbracht wäre.  So gewiß in der Bibel steht: "Gott war in Christo und versöhnete die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu", so gewiß muß in seinem Herzen kein Zorn mehr sein, sofern er sich die Welt in Christo vorstellt.  Das aber, daß Gott die Welt so ansehe, ist nicht eine leere Einbildung, denn in der That hat ja Christus die Sache der Welt auf sich genommen und damit auch ihre Strafe und den Zorn Gottes, hat alles gethan, was ein Stellvertreter thun muß, und alles bis auf den letzten Heller bezahlt.  Wie wäre es denn nun möglich, daß Gott nach dem allem die Menschen aufs neue mit Zorn und Haß ansehen könnte?  So kann man sich die Welt vorstellen als die Gesammtheit derer, für die Christus genug gethan hat, und so angesehen ist lauter Liebe, lauter Gunst, lauter Gnade über ihr.  Nun sieht sich aber Gott auch in der Welt um, wie die Leute sich zu dieser Erlösung Christi verhalten, und da sieht er viele, die wollen nicht so erlösest sein, sie wollen diese Versöhnung nicht annehmen; sie wollen in neuester Zeit lieber Abkömmlinge von Affen sein, lieber zum Vieh gehören.  Nun freilich, gegen die ist ein bis in die unterste Hölle hinunter brennender Zorn Gottes in seinem Herzen.  Dabei ist kein Widerspruch.  Wohl aber widerspricht sich das, wenn man behauptet, Gott werde erst durch unsern Glauben versöhnt.  Gott ist nicht mehr der Feind, der zu versöhnen ist, sondern der Mensch ist es; aber sobald er anfängt zu glauben, nimmt er die Hand Gottes an, und das thut er

 


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wieder durch lauter göttliche Gnade, denn ohne sie kommt er auch nie zum Glauben.  Diese Doppelseite der Betrachtung müssen wir in anderer Weise auch üben.  Wir sagen zB von Christo am Kreuz: er hängt da als ein Sünder und zugleich als ein Gerechter.  Ist er nun ein Sünder, oder nicht?  Für seine Person nicht, denn er hat keine Sünde gethan, und insofern ist er ein Gerechter; für die Welt aber, deren Stellvertreter er ist, ist er ein Sünder, ja, wie die Schrift redet, "die Sünde", so daß er der allergrößte Sünder, der je auf Erden gewesen ist, sein muß, weil ihm aller Sünder Sünden zugerechnet werden.  Also ist Christus, nach seiner Person betrachtet, der Gerechte, nach seinem Mittleramte, der Sünder.  So ist es auch mit den Gläubigen.  Wenn man sie nach ihrer Person ansieht, so sind sie Sünder, "denn wir täglich viel sündigen und wohl eitel Strafe verdienen"; weil sie aber zugleich durch den Glauben in Christo JEsu sind, also die Gerechtigkeit, die Christus ihnen erworben und geschenkt hat, bei ihnen herrscht und regiert, so werden sie als Kinder Gottes ins Himmelreich aufgenommen.  So ist es aber auch in gewisser Beziehung mit der Welt: An sich liegt sie im Argen, unter dem Fluch und in der Verdammniß, aber als durch Christum erlösest, weil er für sie genug gethan hat, ist Gott mit ihr versöhnt.  Insofern gilt es, daß in der Welt keine Sünde mehr vorhanden ist.  Christus hat sie ja hinweggenommen und getragen bis ins Grab hinein; insofern ist auch die ganze Welt frei, los und ledig vom Tod, Teufel und Verdammniß.  Und das soll nicht verschwiegen, sondern gepredigt werden.  Die Furcht, die Leute möchten dadurch sicher werden, darf uns nicht abhalten.  Es mag schon sein, daß einer denkt, wenn er solche Predigt hört: Ist schon alle Sünde getilgt, so hat es mit mir keine Noth, so bin ich auch selig ohne Glauben, und mißbraucht also das Gnadenwort zu seinem Verderben.  Allein die Frage ist jetzt nicht, wie diese Lehre mißbraucht werden kann, sondern, was zu unserer Seligkeit geschehen ist.  Nun sollen wir den ganzen Rath Gottes verkündigen, also dürfen wir auch diese Lehre nicht aus Furcht, daß sie mißbraucht werden könnte, verschweigen.  Diese Furcht ist es gerade, welche die Schwärmer zurückhält, daß sie nicht die Erlösung Christi ohne alle Einschränkung verkündigen.  Sie meinen immer, wenn sie freihin jedermann die Gnade Gottes verkündigten, so möchten sie die Leute sicher machen.  - - Die Concordienformel redet von dieser ganzen Sache so: "Von der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott gläuben, lehren und bekennen wir einhellig--, daß ein armer Sünder vor Gott gerechtfertiget, das ist absolviret, los und ledig gesprochen werde von allen seinen Sünden und von dem Urtheil der wohlverdienten Verdammniß, auch angenommen werde zur Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens ohne einig unser Verdienst oder Würdigkeit, auch ohne alle vorgehende, gegenwärtige oder auch folgende Werke aus lauter Gnaden, allein um des einigen Verdienstes, des ganzen Gehorsams, bittern Leidens, Sterbens und Auferstehung unsers HErrn Christi willen, des Gehorsam uns zur Gerechtigkeit zugerechnet wird.  Welche Güter uns in der Verheißung des heiligen

 


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Evangelii durch den Heiligen Geist fürgetragen werden, und ist allein der Glaube das einige Mittel, dadurch wir sie ergreifen, annehmen und uns appliciren und zueignen, welcher ist eine Gabe Gottes, dadurch wir Christum unsern Erlöser im Wort des Evangelii recht erkennen und auf ihn vertrauen, daß wir allein um seines Gehorsams willen aus Gnaden Vergebung der Sünden haben, für fromm und gerecht vor Gott dem Vater gehalten und ewig selig werden.  Demnach für eins gehalten und genommen, wenn Paulus spricht, daß wir durch den Glauben gerecht werden, Römer 3, oder daß der Glaube uns zur Gerechtigkeit zugerechnet werde, Römer 4. .  Und wenn er spricht, daß wir durch des einigen Mittlers, Christi, Gehorsam gerecht werden, oder daß durch eines Gerechtfertigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen komme,  Römer 5. .  Denn der Glaube macht gerecht nicht darum und daher, daß er so ein gut Werk und schöne Tugend, sondern weil er in der Verheißung des heiligen Evangelii den Verdienst Christi ergreift und annimmt; denn derselbe muß uns durch den Glauben applicirt und zugeeignet werden, wenn wir dadurch gerecht sollen werden, daß also die Gerechtigkeit, die vor Gott dem Glauben oder den Gläubigen aus lauter Gnade zugerechnet wird, ist der Gehorsam, Leiden und Auferstehung Christi, da er für uns dem Gesetz genug gethan und für unsere Sünde bezahlet hat.  Denn weil Christus nicht allein Mensch, sondern Gott und Mensch in einer unzertrennten Person, so ist er eben so wenig unter dem Gesetz gewesen, weil er ein Herr des Gesetzes, als daß er für seine Person leiden und sterben sollte.  Darum uns denn sein Gehorsam nicht allein im Leiden und Sterben, sondern auch daß er freiwillig an unserer Statt unter das Gesetz gethan und dasselbige mit solchem Gehorsam erfüllet, uns zur Gerechtigkeit zugerechnet, daß uns Gott um solches ganzen Gehorsams willen, so er im Thun und Leiden, im Leben und Sterben für uns seinem himmlischen Vater geleistet, die Sünde vergibt, uns für fromm und gerecht hält und ewig selig machet.  Solche Gerechtigkeit wird durchs Evangelium und in den Sacramenten von dem Heiligen Geist uns fürgetragen und durch den Glauben applicirt, zugeeignet und angenommen, daher die Gläubigen haben Versöhnung mit Gott, Vergebung der Sünden, Gottes Gnade, die Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens." .  (Seite 612, 613). .  Ferner: "Weil der Gehorsam (Christi) der ganzen Person ist, so ist er eine vollkommene Genugthuung und Versöhnung des menschlichen Geschlechts, dadurch der ewigen unwandelbaren Gerechtigkeit Gottes, so im Gesetz geoffenbaret, genug geschehen, und also unsere Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, so im Evangelio geoffenbaret wird, darauf sich der Glaube vor Gott verläßt, welche Gott dem Glauben zurechnet, wie geschrieben steht Römer 5: Gleich wie durch eines Menschen Ungehorsam viel Sünder geworden sind, also auch durch eines Gehorsam werden viel Gerechte, und 1 Johann 1: Das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes,

 


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reiniget uns von allen Sünden.  Item: Der Gerechte wird seines Glaubens leben, Gal. 2." .

                    Heißt nicht Christi Lehre Evangelium, auf deutsch: eine frohe Botschaft?  Warum heißt sie aber so?  Darum, weil, wenn ich das Evangelium predige, ich nichts weiter predige, als was den Menschen schon erworben und geschenkt ist und was sie darum annehmen und dessen sie von Herzen froh werden sollen.  Das Evangelium ist die frohe Botschaft, daß Christus das Werk gethan habe, welches wir hätten thun sollen und es doch nicht thun konnten, und daß der himmlische Vater durch die Auferweckung unseres Versöhners ein Zeichen vom Himmel gegeben hat, daß er dadurch vollkommen befriedigt sei.  Wer sich nun darüber wundert, daß Gott jetzt den Leuten immer sagen läßt: Seid doch froh, denn eure Schuld ist getilgt und völlig bezahlt, warum bekümmert ihr euch denn noch?  - - wer sich daran stößt, der stößt sich an Christo und an seinem Evangelio; und wer da denkt, daß er damit den Leuten zu viel Trost predige und sie sicher mache, der offenbart damit, daß er selbst von diesem Manna noch nicht gekostet habe.  Wer selbst den Trost des Evangeliums erfahren hat, der wird sagen müssen: das ist es, daß ich gekommen bin als der verlorne Sohn, zerrissen und voller Schmerzen und Krankheit, daß ich sagte zu meinem Gott: da bin ich, handle nun mit mir nach deiner Gnade.  Da hat er mich angenommen und mich geküßt mit dem Kuß seines Mundes und hat mich bekleidet mit den Kleidern des Heils und einen Fingerreif an meine Hand gegeben und hat die Nachbarn und Freunde zusammengeholt und ein Freudenmahl angerichtet.  Wer das Evangelium nicht so predigen will, der kann den Koran oder Talmud oder des Pabsts Recht oder was er sonst will, predigen; will er aber fröhliche Christen machen, dann predige er diese frohe Botschaft.  Es sind ohnedies noch genug sondere Sachen, die gepredigt werden müssen.  Muß ja doch mit dem Gesetz vorgearbeitet werden, und dies muß so gepredigt werden, daß die Hörer erzittern und beben, daß sie denken: Ei, der wirft uns ja alle in die Hölle; da ist kein Rath, kein Rettung, wir sind verloren; dann aber zeigt man aus dem Evangelio das gerade Gegentheil.  Wer so predigt, der stellt die Leute auf einen festen Grund, daß sie nicht wieder ins Gesetz zurück wollen.  Die Schwärmer haben von der Erlösung die Gedanken: Dadurch, daß Christus Mensch geworden ist, gelebt und gelitten hat, hat er es den Menschen möglich gemacht, daß sie nun selbst das leisten und so thun und leben können, was und wie es zu ihrer Seligkeit nöthig ist.  Wenn sie darum auch viel vom Glauben reden, so steckt das doch in ihnen, und selbst der Glaube wird dann bei ihnen zu einem verdienstlichen Menschenwerk.  Es ist das auch die rechte Pabstlehre, denn wenn die Römischen auch sagen, Christus sei gestorben für die Sünden der Welt, so glauben sie doch nicht, daß durch Christi Tod Schuld und Strafe abgethan sei, sondern lehren, der Mensch müsse durch sein Reuen, Büßen und andere gute Werke die Seligkeit schaffen, Christus mache das freilich erst verdienstlich und Gott helfe nach.  So mengen die Schwärmer des Menschen Werk hinein in

 


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diesen Handel von der Rechtfertigung; darum hassen sie die Lehre vom stellvertretenden thätigen Gehorsam Christi (wie die Methodisten schon seit Jahren dagegen öffentlich geschrieben haben) und von seiner vollkommenen Erlösung und meinen, wenn sie durch Christum nur der vergangenen Sünden los seien, dann wollten sie schon so heilig werden auch in ihrem eigenen Leben, daß sich der liebe Gott darüber verwundern soll.  Wir dagegen bekennen uns als verlorne und verdammte Sünder und sagen, Gott muß zu unserer Seligkeit Alles thun und uns eine Gerechtigkeit schenken, über die sich alle heiligen Engel, ja über die sich Gottes Sohn selbst wundert.  Ja, es ist dies nicht zu viel gesagt; er hat es gethan, denn Joh. 3, 16 spricht er selbst:  "Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab", als wollte er sagen:  Nein, wer hätte so etwas gedacht, also, so sehr, so brünstig hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen Sohn einem solchen Haufen von schändlichen Sündern schenkte, und zwar in dem Sinn, daß er sagt:  Da habt ihr ihn, nun macht mit ihm, was ihr wollt; gibt seinen Sohn in die Rappuse und so völlig preis, daß sie ihm Schmach und Schande anthun, in ihn stechen, ja, ihn schlachten können, und das thut Gott, damit die Welt erlösest würde.  Darüber wundert sich Gottes Sohn mit den Worten:  "Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab."  Darum sagt auch der Apostel Römer 8, 3 4:  "Das dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächet ward), das that Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde.  Auf daß die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllet würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist."  Weil er unser Bruder, Fleisch von unserem Fleisch geworden ist, so ist also die Gerechtigkeit in uns erfüllet; nicht zwar in jeder einzelnen Person, aber in unserer Menschheit.  Daher ist es so wichtig, daß Christus nicht eine Menschheit vom Himmel mitgebracht hat, sondern daß er dieselbe von Maria der Jungfrau an sich nahm, denn nun ist wahrhaftig unsere Menschheit gerechtfertigt in ihm.  Das nun sollen wir predigen, und wer das ergreift, dem ist geholfen und der ist ein seliger Mensch.  Unglückselig dagegen der, dem das nicht zusagt, denn Gott schreit es hinaus in die Welt:  "Es ist alles bereit", nun geschwind kommt und nehmt Gnade, Heil und Leben an, aber ach, der stolze Mensch will von dieser allerköstlichsten Gabe Gottes nichts wissen, die er im Evangelio anbietet und darreicht, ja, recht verstanden, auch der ganzen Welt mittheilt.  Es ist jedoch besser, das Wort mittheilen von der allgemeinen Rechtfertigung der Welt nicht zu gebrauchen, weil es fast immer in unserer deutschen Sprache nicht nur ein Darreichen von Gottes Seite, sondern auch schon ein Annehmen von des Menschen Seite anzeigt.

                    Thesis 5:  "Wie durch den stellvertretenden Tod Christi die Sündenschuld der ganzen Welt getilgt und die Strafe derselben erduldet worden ist, so ist auch durch die Auferstehung Christi Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit

 


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für die ganze Welt wieder gebracht und in Christo als dem Stellvertreter der ganzen Menschheit über alle Menschen gekommen."

                    Diese Thesis ist der vorhergehenden hinzugefügt, um zu zeigen, wie die Auferstehung Christi der Grund und Eckstein der Rechtfertigung sei.  Bei seinem Sterben hat Christus sein Blut als Lösegeld für die Sünden der Welt vergossen, durch die Auferstehung des Sohnes gibt Gott der Vater Zeugniß, daß er das Sühnopfer seines Sohnes als ein voll giltiges angenommen habe.  Sehr häufig stellt die Schrift Tod und Auferstehung Christi zusammen und die heiligen Apostel nennen sich, um das Wesen ihres Amtes zu bezeichnen, geradezu Zeugen der Auferstehung Christi, um dadurch zugleich die große Wichtigkeit derselben recht hervorzuheben.  So schreibt z.B. der Apostel Paulus Römer 4, 25:  "Christus ist um unserer Sünden willen dahin gegen und um unserer Gerechtigkeit willen auferwecket."  Ist nun Christus um unserer (wie es nach dem Urtexte heißt) Rechtfertigung willen auferweckt, so muß ja gerade die Auferstehung der Grund sein, auf dem sie ruht, ohne welche sie unmöglich wäre.  Solche Rechtfertigung aber ist eine allgemeine, für alle Menschen erworbene, denn Römer 5, 18 heißt es:  "Wie durch eines Sünde die Verdammniß über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit dir Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen."  Mit der Sünde, die durch einen über alle gekommen war, beladen, ging Christus in den Tod, von dieser Sünde aller ist er durch die Auferweckung absolvirt, und ist das, was Gott der Vater hiermit an Christo gethan hat, nicht dem Sohn zu gut geschehen, sondern für die ganze Menschheit.  Darum ists nach Römer 8, 33 34 nicht genug, daß Christus gestorben ist, sondern "viel mehr" ist die Auferweckung der letzte und höchste Grund der Rechtfertigung, denn durch sie hat es der Vater besiegelt, daß er das Opfer seines Sohnes für die Sündenschuld der Menschheit angenommen habe.  Darum schreibt auch der Apostel 1 Cor 15,17:  "Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden, so sind auch die so in Christo entschlafen sind, verloren."  Also wäre das ganze Erlösungswerk von Gott für ungiltig  erklärt, wenn er Christum nicht auferweckt hätte.  Viele, selbst unter den Predigern, wissen nicht recht, was sie mit der Auferstehung Christi anfangen sollen.  Sie lesen einmal, Christus habe sich selbst auferweckt, dann wieder, der Vater habe ihn auferweckt, und das wissen sie nicht recht zu reimen, so meinen sie denn einmal, Christus sei auferstanden, um damit seine Gottheit zu erweisen, ein anderes Mal, er sei auferweckt, damit die Möglichkeit und Gewißheit unserer Auferstehung bewiesen würde.  So wahr aber nun beides ist, so ist doch beides nicht die Hauptsache.  Nur um seine Gottheit zu beweisen, wäre Christus nicht gestorben und dann wieder auferstanden, und die Möglichkeit unserer Auferstehung war ja auch schon durch die Auferweckung Anderer vor Christo bewiesen; die Hauptsache bleibt, daß Gott durch Christi Auferweckung erklärte:  Christus hat jetzt für die Sünden der ganzen Welt

 


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bezahlt, sie ist darum nun frei von ihrer Schuld; jetzt kann die ganze Welt Victoria rufen; denn ihre Freiheit von der Sünde und ihre Gerechtigkeit ist gewonnen.  Damit steht nicht im Widerspruch, daß der Mensch durch den Glauben gerecht wird, denn wenn vom Glauben die Rede ist, so wird damit die persönliche Aneignung von Seiten des Menschen und die Zurechnung der erworbenen Gerechtigkeit von Seiten Gottes hervorgehoben.  Sie aber wäre nicht möglich, wenn nicht erst durch Christi Tod und Auferstehung die Welt gerechtfertigt wäre, wenn der Verurtheilung im Tode nicht die Lossprechung in der Auferstehung gefolgt wäre.  Dr. Luther sagt zu den Worten Gal 1,2:  "Und Gott den Vater, der ihn auferwecket hat von den Todten", Folgendes:  "Es läßt sich schier also ansehen, als hätte St Paulus diese Worte wohl mögen außen lassen; aber wie ich zuvor gesagt habe, weß ihm das Herz voll ist, deß gehet der Mund über.  Das Herz, Sinn und Muth ist ihm entbrannt, daß er gerne wollte alsbald in der Unterschrift den unbegreiflichen Schatz der Gnaden Christi ausschütten und von der Gerechtigkeit Gottes, die da heißt die Auferstehung der Todten, predigen.  Denn Christus, der da lebet und von Todten auferstanden ist, der redet selbst durch ihn und treibet ihn also; darum sagt er nicht ohne Ursache dazu, er sei traun auch ein Apostel durch Gott den Vater, der Jesum Christum hat von den Todten auferwecket. Gleich ob er sagen wollte:  Es gilt hier wider den Satan und das giftige Otterngezücht, des Satans Werkzeug, zu handeln, als die mir wollen umstoßen die Gerechtigkeit meines Herrn Christi, durch Gott den Vater von Todten auferwecket, durch welche Gerechtigkeit allein wir vor Gott auch fromm gemacht und von den Todten zum ewigen Leben auferweckt werden sollen.  Weil sie sich aber solche Gerechtigkeit Christi umzustoßen unterstehen, widerstehen sie beide dem Vater und Sohn und dem, das dieser beider Werk ist.  Also lässet er ihm, sobald er nur den Mund aufthut, den ganzen Handel und Hauptsache dieser Epistel auf einmal heraus entfahren.  Die Hauptsache aber ist die Auferstehung Christi, welcher um unserer Gerechtigkeit willen auferstanden ist, Römer 4, 25, und dadurch überwunden hat das Gesetz, die Sünde, Tod und alles Unglück.  Derhalben seine Ueberwindung eine Ueberwindung des Gesetzes, der Sünden, unsers Fleisches, der Welt, des Teufels, Todes, der Höllen und allerlei Uebels und Unglücks ist.  Und solchen seinen Sieg und herrliche fröhliche Ueberwindung hat er uns geschenkt und zu eigen gegeben.  Darum hat es, Gott Lob, keine Noth mit uns.  Denn ob uns die Tyrannen und Feinde wohl anklagen und schrecken mögen, können sie uns dennoch in keine Verzweiflung oder Verdammniß bringen, sintemal Christus, der von den Todten auferstanden ist und sie allesammt überwunden hat, unsere Gerechtigkeit ist.  Darum sagen wir Gott Lob und Dank in Ewigkeit, der uns solchen fröhlichen Sieg und Ueberwindung gegeben hat durch JEsum Christum, unsern Herrn. Amen."

                    Auf eine Anfrage der Glieder der ehrwürdigen "Norwegischen Synode",

 


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welche Erklärung die Synodal - Conferenz abgebe in Bezug auf die Vorwürfe, welche ihnen die Iowa-Synode darüber macht, daß sie die allgemeine Rechtfertigung vertreten hätten, wurde geantwortet:  Es ist diese Lehre geradezu ausgesprochen in der Stelle Römer 5, 18 und ist es darum nicht blos eine biblische Lehre, sondern auch ein biblischer Ausdruck, daß die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen sei.  Nur eine calvinistische Exegese könnte diese Stelle dahin erklären, daß nur die Auserwählten gerechtfertigt seien.  Auch rechtgläubige ältere Theologen unserer Kirche reden darum von der allgemeinen, für alle erworbenen und dargereichten Rechtfertigung.  Gerhard sagt, Christi Auferstehung sei die allgemeine Absolution; Absolution ist aber nichts anderes, als Rechtfertigung.*).  In Christo ist eben die sündige Welt zu Tod verdammt und in seiner Auferstehung ist eben diese Welt gerecht erklärt worden.  Wenn nun der Prediger absolvirt, so theilt er einen Schatz aus, der schon vorhanden ist, nämlich die schon erworbene Vergebung der Sünden.  Wäre der Schatz nicht vorhanden, so könnte auch kein Prediger absolviren, ja, wir könnten auch gar nicht von der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben reden, denn glauben heißt ja hinnehmen, was da ist.  Wäre nun die Welt nicht schon gerechtfertigt, so müßte glauben heißen, ein Werk zur Rechtfertigung vollbringen.  Die ganze Predigt des Evangeliums aber ist eine Botschaft Gottes von einer Gerechtigkeit, die vor ihm schon erworben und da ist für alle.  Deshalb hat die Rede, daß in Christo die Rechtfertigung der ganzen Welt schon geschehen ist, nicht nur nichts Verfängliches, sondern sie ist auch ganz biblisch.  Diejenigen, welche sagen, daß Gott die ganze Welt gerecht gemacht, aber nicht gerecht erklärt habe, leugnen damit eigentlich wieder die ganze Rechtfertigung, denn die Gerechterklärung des Vaters ist von der Gerechtmachung des Sohnes nicht zu trennen, da er Christum auferweckt hat von den Todten.  Freilich hilft das alles noch keinem Menschen zum Besitz der Gerechtigkeit und Seligkeit, wenn er die Rechtfertigung nicht auch annimmt.  Wenn ein König einen Haufen Verbrecher begnadigt, so sind dieselben von Seiten des Königs alle freigesprochen von Schuld und Strafe, wer aber von ihnen die Begnadigung nicht annimmt, der muß für seine Schuld weiter büßen; ebenso verhält es sich auch mit den Sündern in der Rechtfertigung, die durch Christi Tod und Auferweckung geschehen  ist.  Ja, hätte Gott den Begnadigungsbrief nicht geschrieben und besiegelt, so wären wir Prediger Lügner und Verführer der Leute, wenn wir ihnen sagten: Glaubt nur, so seid ihr gerecht; nun aber Gott durch die Auferweckung seines Sohnes den Gnadenbrief für die Sünder unterzeichnet und mit seinem göttlichen Siegel versehen hat, so können wir getrost predigen: die Welt ist gerechtfertigt,

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                    *).  Die Concordienformel sagt:  “Wir gläuben, lehren und bekennen, daß nach Art heiliger Schrift das Wort, rechtfertigen in diesem Artikel heiße absolviren.” (Art 3 Seite 528).

 


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die Welt ist mit Gott versöhnt; welchen letzteren Ausdruck man auch nicht brauchen dürfte, wenn das Erstere nicht wahr wäre.  Unsere alten Dogmatiker würden den Ausdruck selbst auch mehr gebraucht haben, da sie die Sache glaubten und lehrten, wenn nicht kurz vor Gerhard's Zeit Huber gelehrt hätte, daß Gott alle Menschen nicht nur bereits gerechtfertigt, sondern auch zum ewigen Leben erwählt habe; um den Schein der Uebereinstimmung mit dieser Irrlehre zu vermeiden, brauchten sie die Redeweise nur selben.  Schon im Jahre 1593 hatten die Würtembergischen Theologen (Heerbrand, Gerlach, Hafenreffer, Osiander, Bidenbach ua) dem Huber in Betreff der Lehre von der Rechtfertigung zugestanden, daß er von ihnen darin zwar abzugehen scheine "in phrasi tamen magis ac loquendi modo, quam reipsa", dh, "mehr jedoch im Ausdruck und in der Redeweise, als in der Sache selbst." (Löscher's Unschuldige Nachrr. 1730.  Seite 567). .  Die Wittenberger Theologen (Gesner, Leyser, Hunnius u.a.) wollten Huber's Ausdruck: "Christus contulit proprie redemtionem toti generi humano", das heißt, "Christus theilte im eigentlichen Sinne die Erlösung dem ganzen menschlichen Geschlechte mit", nicht dulden, weil die eigentliche Mittheilung, "wie sie in theologischen Schulen genommen" werde, auf die Zueignung gehe.  (S. Wittenbergische Consilien I, 642 ff). .  Nichts desto weniger finden wir nicht wenige unverdächtige Theologen, welche von einer allgemein Rechtfertigung oder Absolution reden.  Johann Quistorp (gestorben 1648 als Professor zu Rostock) schreibt in seinen Anmerkungen zu 2 Cor 5:19: "Das Wort Rechtfertigung und Versöhnung wird in zweifacher Weise gebraucht, (1.) rücksichtlich des erworbenen Verdienstes, (2.) rücksichtlich des angeeigneten Verdienstes.  So sind alle gerechtfertigt, und einige gerechtfertigt.  Alle, in Rücksicht auf das erworbene Verdienst; einige, in Rücksicht auf das angeeignete Verdienst."  Johann Gerhard, nach Luther und Chemnitz ohne Zweifel der größte Theologe unsrer Kirche (gestorben 1637 als Professor Jena), sagt in seinem Commentar zu Römer 4,25: "Wie Gott unsere Sünden an Christo gestraft hat, weil sie auf ihn gelegt und ihm als unserem Bürgen zugerechnet waren, so hat er ihn in gleicher Weise, indem er ihn von den Todten auferweckte, eben durch diese That von unseren Sünden, die ihm zugerechnet waren, absolvirt, und somit hat er in ihm auch uns absolvirt." .  Gottfried Olearius (gestorben 1715 als Professor zu Leipzig) sagt in einer Abhandlung über Christi Auferstehung, daß Christus bezahlt hat, was er zu zahlen sich verpflichtete, und daß seine Bezahlung hinreichend war, das hat seine Auferstehung bewiesen, indem sie zeigt, daß unser Bürge losgesprochen worden ist, weil die von ihm übernommene Verbindlichkeit durch seine Genugthuung abgetragen worden ist, und somit sind wir sammt ihm im Gerichte Gottes gerechtfertigt.  Daher schreibt sich das Wort des Glaubens: Wer will verdammen?  Christus ist hier, der gestorben ist, ja viel mehr, der auch auferwecket ist." .  Johann Jakob Rambach schreibt zu Römer 4,25: "Christus wurde in seiner Auferstehung

 


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zuförderst selbst für seine Person gerechtfertiget, Iesaias 50,5, 1 Tim. 3,16, da die Gerechtigkeit Gottes declarirte, daß sie von diesem unseren Burgen vollkommen bezahlet und befriediget sei, und ihm gleichsam eine Quittung darüber ausstellete, und das geschah in seiner Auferstehung, da er aus seinem Schuldthurme gelassen und auf freien Fuß gestellet wurde.  Da nun aber der Bürge gerechtfertigt worden, so sind in ihm auch alle Schuldner mit gerechtfertigt worden." (Ausführliche Erklärung der Epistel an die Römer.  Seite 322). .  Derselbe zu Römer 5,19: "Die Rechtfertigung des menschlichen Geschlechts ist zwar auch in Absicht auf die Erwerbung in einem Moment geschehen, in dem Moment, da Christus auferstanden und also für gerecht declarirt worden; aber in Absicht auf die Zueignung geht sie noch fort bis an den jüngsten Tag."  (A.a.O.  Seite 386). .  Adam Struensee schreibt: "Was Paulus 2 Cor 5,15 von dem Tode Christi saget: "Wir halten dafür, daß da einer für alle gestorben, so sind wir alle gestorben", solches kann auch auf die Auferstehung Christi gezogen werden: Ist einer für alle auferstanden, so sind sie alle auferstanden und gerechtfertigt worden; weil Gott in Christo gewesen ist und die Welt mit ihm selber versöhnet hat und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, denn er hat sie Christo zugerechnet." .  (Zeugnisse der Wahrheit zur Gottseligkeit.  VIII Forts. Halle 1741.  Seite 30 f.) .  Ph D Burk: "Zwar ist nicht zu leugnen, daß die Schrift an manchen Orten von der Rechtfertigung als einer allgemeinen Gnadenwohlthat Gottes über alle Menschen redet; z. Ex. Römer 5,18: "durch Eines Gerechtigkeit ist die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen." .  Item 2 Cor 5,19: "Gott versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu." .  Und ein Zeuge der Wahrheit hat in allewege das Evangelium also zu treiben, daß er den allgemeinen Gnadenantrag Gottes an alle Menschen sein Hauptwerk sein lasse.  Und eine jede Seele, die zum Glauben kommen soll, muß den Grund in der Erkenntniß dieser allgemeinen Rechtfertigung über alle Menschen leben." .  (Die Rechtfertigung.  Stuttgart, 1763.  Seite 62 f.) .  Die Iowaer wissen rechtgut, daß die Leute, welche sie gegen die Norwegische Synode in Schutz zu nehmen sucht, falsch stehen in der Lehre von der Rechtfertigung, von der Absolution, von den Gnadenmitteln; da sie nun trotzdem diejenigen, welche in der Augustana - Synode also lehren, vertheidigen, so zeigen sie damit genugsam an, wes Geistes Kinder sie seien, und wie viel ihnen an der reinen Lehre gelegen sie.  Daß es ihnen überhaupt in dieser Sache mehr um das Streiten, als um die Sache selbst, zu thun sei, sieht man auch daraus, daß sie kein Wort gegen eine Schrift von Dr Weber gesagt haben, der mit klaren Worten dasselbe gelehrt hat.  Dr Weber aber ist eben einer der Ihrigen und Pfarrer Löhe's Nachfolger.  Nun die Norweger dasselbe sagen, fallen die Iowaer hitzig über sie her als über schreckliche Irrlehrer.  Und was ists schließlich, das sie anzufechten im Stande sind?  Daß Christus die

 


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Sünden der ganzen Welt getragen habe und Gott der Vater Christum auferweckt hat von den Todten, können auch sie nicht in Abrede stellen, also müssen sie sich an einige Ausdrücke hängen, die vielleicht etwas unbequem sind.  Es gewinnt dadurch sehr den Schein, daß sie den ganzen Eifer nur deshalb anwenden, um die Aufmerksamkeit der Kirche von ihren eigenen Schäden abzulenken und die Leute mit den vermeintlichen Schäden anderer Körperschaften derweilen zu beschäftigen.  Es ist zB durchaus pelagianisch, wenn sie behaupten, daß die letzte Entscheidung bei der Bekehrung Sache des Menschen sei.  Und auch in diesem Handel, obgleich sie sich den Schein der Rechtgläubigkeit geben wollen, gelingt es ihnen doch nicht ganz; denn wenn G. Fritschel behauptet:  "Im Evangelio zeige Gott dem Sünder einen Ausweg, der ihn aus Tod und Verdammniß erlösen und die Vergebung seiner Sünden zu Wege bringen kann", so leugnet er damit, daß die Rechtfertigung durch Christum schon vollbracht und also die vor Gott geltende Gerechtigkeit schon vorhanden sei.  So aber lehren wie die Schrift, so auch die Bekenntnisse unserer Kirche, als im 6 Art der Augsburgischen Confession, wo es nach dem Lateinischen heißt:  "die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung wird durch den Glauben ergriffen" (Müller Seite 40) und "Gnade, Vergebung der Sünden und Rechtfertigung wird durch den Glauben ergriffen."  (Seite 45).  So auch die Apologie:  "Der Glaube nimmt die Vergebung der Sünden an." (Seite 98).  Ferner:  "die Rechtfertigung ist ein Ding allein um Christi willen umsonst verheißen, daher sie immer allein durch den Glauben vor Gott angenommen wird."  (Seite 123).  Diese Stellen zeigen ja klar an, daß erst eine Rechtfertigung vorhanden sein muß, die der Glaube annehmen kann, daß sie nicht der Glaube erst bewirken müsse, sondern daß er sie als schon vorhanden ergreife.  Wollte aber Jemand sagen:  die Vergebung der Sünden ist wohl schon da, aber nicht die Rechtfertigung, der müßte wieder unsere Bekenntnisse nicht kennen, welche ausdrücklich lehren, daß Rechtfertigung und Vergebung der Sünden dasselbe sei.  "Wir gläuben, lehren und bekennen, daß nach Art heiliger Schrift das Wort rechtfertigen in diesem Artikel heiße absolviren, das ist, von Sünden ledig sprechen."  (Concordienformel Art 3 Seite 528).  Denke Niemand, es handle sich bei dieser Sache um ein Wortgezänk.  Nein, es ist hier die hochwichtigste Sache gegen Angriffe und Irrthum fest zu halten.  Namentlich haben wir in diesem Lande der Secten und Schwärmerei die Lehre von der allgemeinen Rechtfertigung ernstlich zu treiben, denn sie lehren wohl noch, daß der Mensch durch den Glauben gerecht werde, aber reden dann in solcher Weise vom Glauben, daß man bald merkt, sie machen den Glauben wieder zur bewirkenden Ursache der Rechtfertigung, wodurch sie dem Herrn Christo seine Ehre rauben.  Denn was thut der anders, welcher sagt, der Glaube mache deshalb gerecht, weil er Kraft zu guten Werken, zum Beten und Ringen gebe, als daß er Christi Verdienst auf die Seite schiebt?  Auch das Zeugniß eines Scandinaven, des Schweden Andreas Rohrberg

 


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(gestorben 1767 als königl. Schwedischer Hofprediger zu Stockholm) mag hier einen Platz finden.  Er schreibt:  "Hätte Gott unsern Mittler nicht auferweckt, so hätte er damit zu erkennen gegeben, daß er noch nicht mit uns zufrieden sei; jetzt aber, da Jesus auferstanden ist, so hat Gott dadurch erklärt, daß er zufrieden gestellt worden ist, weshalb Jesus auch in seiner Auferstehung als Mittler an der Sünder Statt gerechtfertigt worden ist.  Und insofern das ganze Menschengeschlecht, wenn es im allgemeinen und als eine Person betrachtet wird, zu derselben Zeit mit ihm gerecht - fertiget worden ist, wurde es auch als eine Frucht dieser Rechtfertigung in den Friedensbund Gottes aufgenommen, und so wurde der Friede, welcher in Adam verloren worden war, zwischen Gott und den Menschen wieder aufgerichtet."  (Ordnung der Seligmachung des gefallenen Menschen Seite 103).  Derselbe:  "Es bleibt uns in dieser Betrachtung noch übrig, hievon eine Anwendung auf uns selbst zu machen, wobei sogleich die Frage entsteht, ob alle Menschen mit Christo gerechtfertiget worden sind, da er an ihrer Statt gerechtfertiget wurde.  Dies schlechthin vornweg zu leugnen, würde dasselbe sein, als uns Menschen einen großen Trost rauben, und es würde zugleich gegen Gottes Wort streiten, welches ausdrücklich so lehrt.  Wenn man aber auf der andern Seite diese Frage so bejahen würde, daß daraus der Schluß gezogen werden sollte, daß nun der Mensch keiner Rechtfertigung mehr bedürfe, nachdem er einmal in und mit Christo gerechtfertigt worden ist, so streitet dies ebenfalls wider Gottes Wort und legt den Grund zu einer fleischlichen Sicherheit.  Hier wird also Vorsicht erfordert, daß man den rechten Mittelweg halte, so daß die Wahrheit auf keiner Seite Abbruch leidet.  Der Apostel Paulus gibt uns in dieser Sache Licht, wenn er zwischen Adam und Christus, den zwei Häuptern des Menschengeschlechts, einen Vergleich anstellt.  Was Adam betrifft, so stand er bei der Prüfung nicht nur für sich selbst; sondern in seiner einen Person stellte er das ganze Menschengeschlecht vor, dessen Sache auf ihm lag, entweder dieselbe zu bewahren oder zu verderben, so daß, was er that und was als Folge davon über ihn erging, später dem ganzen Geschlechte zugerechnet werden und über dasselbe ergehen sollte, Römer 5, 18 19.  Was nun dieser erste Adam verderbt hatte, das übernahm unser Heiland, Christus, der der zweite Adam und der andere Mensch (1 Cor 15, 45-47) genannt wird, es wieder aufzurichten, und der Apostel zeigt, daß es sich mit ihm auf dieselbe Weise verhält, nur umgekehrt.  Jesus stellte so auch in seiner einen Person unser ganzes Geschlecht dar, welches unter ihm als ein Leib, eine Person, ein Haufen, dessen Haupt er war angesehen wurde.  Und da nun die ganze Sündenschuld der Welt auf Jesum gelegt wurde, so konnte die Schuld nicht mehr auf der Welt liegen bleiben denn es konnte dieselbe nicht zugleich an zwei Orten sein.  Die Welt wurde so durch Christi Leiden und Tod für frei und aller Schuld entbunden angesehen.  Als Jesus, auf dem die ganze Sündenmenge lag, sich so hindurch gekämpft hatte, daß Gott nach seiner strengsten Gerechtigkeit es gerecht fand, die Schuld von

 


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ihm wegzunehmen und ihn zu rechtfertigen, so war es ja klar, daß die Schuld mit aller ihrer Verdammung nicht nur von JEsu weggenommen war, sondern auch von der Welt; denn die Schuld konnte da nicht wieder auf die Welt zurück fallen, insofern deren Bevollmächtigter, auf welchem alle ihre Schuld lag, dieselbe getilgt hatte.  So sehen wir, daß auch über die Welt eine Rechtfertigung erging in derselben Stunden, als JEsus gerechtfertigt wurde, und zwar zugleich mit ihm.  Römer 5,18." .  (Seite 116). . Wenn in der heiligen Schrift gesagt wird: Wäre Christus nicht auferstanden, so wäre euer Glaube eitel, so wäret ihr noch in euren Sünden, wenn der Artikel von der Auferstehung Christi von den Vätern der allerchristlichste Artikel genannt wird, wenn die Kirche in ihren Osterliedern lauter Jubel darüber ausdrückt, so müssen gewiß der Heilige Geist, die heiligen Apostel, die durch den Heiligen Geist geschrieben haben, die Kirche und die Väter Ursache gehabt haben, warum sie eine solche Sprache führten, warum eine so hohe Bedeutung der Auferstehung Christi beigelegt worden ist.  Nun sagt die Schrift: Er ist um unserer Sünde willen dahingegeben etc.  Was heißt das?  Christus ist um unserer Sünde willen dahingegeben, der HErr stirbt am Kreuz nicht mit eigener Sünde, sondern beladen mit der Schuld der Welt, deren Bürge er war.  Als er gestorben war, war die Schuld bezahlt, da konnte die ganze Welt rufen: Für mich, für mich ist genug gethan nach dem Recht der Bürgschaft.  Christus ist aber nicht im Tode geblieben, er ist auferstanden, auferweckt vom Vater.  Was ist damit bezeugt worden?  Mit Recht kann man sagen, die Auferstehung Christi verbürgt uns seine wahrhaftige Gottheit; sie lehrt, daß wahrhaftig eine allgemeine Auferstehung der Todten erfolgen werden; aber sie bedeutet noch mehr: der Apostel sagt: Christus ist um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt worden.  Durch die Herrlichkeit des Vaters wurde Christus für gerecht erklärt.  Der Bürge ist losgelassen worden, weil er alle Schulden bezahlt hatte, für die er seine Bürgschaft gegeben hatte.  Nun geschah aber seine Bezahlung für die Menschen, also sind diese damit auch frei und los.  Wie Christus als Heiland gestorben ist, so ist er auch als Heiland auferweckt von den Todten.

                    Thesis 6:  "Diese durch Christi Erlösungswerk für alle Menschen wieder erworbene Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit bringt Gott den Menschen in den Gnadenmitteln.  Denn die evangelische Verheißung, welche im Wort des Evangeliums und in den heiligen Sacramenten enthalten ist, ist nicht ein leerer Schall oder ein inhaltsloses Versprechen, sondern eine kräftige Darreichung und Schenkung aller der Güter, welche Gott in diesem Wort seiner Gnade verheißt."

                    In diesem Paragraphen wird die Lehre von den Gnadenmittel zusammengefaßt, wie sie in dieser Beziehung in Betracht kommt, daß nämlich der ganze Schatz, wie er durch Christi Thun und Leiden erworben und durch seine Auferstehung besiegelt worden ist, in den Gnadenmitteln niedergelegt und gebracht wird, damit die Menschen in diesen Gnadenmitteln den Schatz

 

 


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ergreifen und desselben theilhaftig werden können.  Es ist besonders hervorzuheben, daß die Verheißung Gottes nicht ein leerer Schall ist, sondern eine Darreichung der Güter, so daß Gott wirklich in den Gnadenmitteln das auch bringt, was er im Evangelio versprochen hat, und ebenso ists mit den Sacramenten.  Dadurch unterscheiden wir uns von allen, die nicht glauben, daß es Gnadenmittel gibt, durch welche uns Gott wirklich das anbietet, darreicht und schenkt, was uns Christus durch sein Leiden und Sterben erworben hat.  Wenn Jemand die Schwärmer in der Angst über seine Sünden fragt: Was soll ich thun, daß ich selig werde, daß ich die Gnade und Gewißheit der Gnade Gottes bekomme, daß mir meine Sünden vergeben werden? Da sagen die Schwärmer: Bete, bete; falle auf deine Kniee und ringe nun so lange mit Gott, bis ers dir ins Herz gibt.  Und wenn sie dann fühlen, als habe es ihnen Gott ins Herz gegeben, so springen sie auf und rufen: Gloria, jetzt habe ich Gnade!  Nun sei es ja ferne von uns, zu leugnen, daß der Geist der Gnaden sich auch bemerklich mache im Sünderherzen, wenn der Mensch sich seinen Wirkungen nicht muthwillig verschließt; aber eine entsetzliche Verwechslung ist es, wenn man dieses Gefühl, welches sich in den Schwärmern durch ihr Beten und Ringen regt, für diese Gnade selbst hält.  Im besten Falle (denn gar oft ist dieses Gefühl ja noch von ganz andern Ursachen bewirkt, nicht durch den Heiligen Geist) ist es eine Gnadenwirkung des Heiligen Geistes, was die Schwärmer Gnade nennen.  Die Gnade ist ja etwas außer, nicht in uns, wie auch die Gerechtigkeit etwas außer uns ist.  Darum wenn ein armer Sünder zu einem lutherischen Prediger kommt und sagt: Wo soll ich denn Gnade finden?  Ich habe jetzt erkannt, daß ich ein armer verlorener und verdammter Sünder bin, daß ich darum vor dem gerechten Gott nicht bestehen kann!  So antwortet der lutherische Prediger: Tröste dich der Gnade Gottes.  Diese Gnade aber ist im Evangelio und in den heiligen Sacramenten.  Glaube dem, was Gott dir da gesagt hat, und tröste dich der Gnade, die dir damit geschenkt ist.  Tröste dich deiner Taufe und daß dir in ihr die Gnade schon geschenkt wurde.  Gebrauche die Absolution, gehe zum heiligen Abendmahl, denn da ist es, wo dir Gott Gnade und Vergebung aller deiner Sünden anbietet, darreicht, schenkt und versiegelt.  Das aber ist es gerade, was die Schwärmer leugnen.  Sie wissen wohl von einer Gnade, aber sie wissen nicht, wo diese Gnade zu finden ist; so wollen sie denn dieselbe auf ihren Knieen erbeten.  Es wäre ja freilich schrecklich, etwas wider das Gebet zu sagen; denn wir wissen, Gott hat es befohlen, und verheißen, daß er uns wolle erhören; aber ebenso schrecklich ist es, zu meinen, daß das Gebet ein Gnadenmittel sei.  Beten kann ja nur der recht, der schon Gnade hat.  Gott um Gnade anrufen kann und soll ich wohl im Gebet, aber die Gnade mittheilen, geben, bringen kann es nicht.  Darinnen aber irren alle Secten.  Sie sagen alle vom Worte Gottes, daß es eine Bezeugende und allenfalls auch eine bewirkende Kraft habe, aber die mittheilende Kraft sprechen sie ihm ab.  Es ist aber zu unterscheiden zwischen der vis et

 


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Virtus operativa et collativa, der wirkenden und der mittheilenden Kraft.  Johann Benedict Carpzov schreibt: “Die Augsburgische Confession handelt hier im 5 Artikel vom Wort und den Sacramenten, sofern sie wirkende Mittel und nach Art physischer Wirkung thätig sind, da an diesem Orte die Frage ist: Woher der Glaube sei? Und ob Wort und Sacramente denselben bewirken?  Denn außer dieser Wirkungsweise kommt dem Wort und den Sacramenten noch eine andere zu, welche moralischer Art ist und in Gebung, Darreichung oder Anbietung, Mittheilung und Versiegelung des gerechtmachenden Gutes besteht.  Denn man darf, was Wort und Sacramente thun, sofern sie den Glauben erzeugen, nähren oder erwecken, und was das Wort thut, sofern es zur Rechtfertigung zunächst beiträgt (concurrit), nicht mit einander verwechseln.  Denn während im ersten Falle Wort und Sacrament sich wie Werkzeuge verhalten, welche nicht nur die übernatürlichen Kräfte zum Glauben bewirken (effectiva), sondern auch die geistlichen Bewegungen des Glaubens erwecken (excitativa); so sind sie im anderen Falle, nämlich in der Rechtfertigung, nur das gerechtmachende Gut, welches Christi Gehorsam ist, gebende, mittheilende und versiegelnde (dativa, collativa et obsignativa) Werkzeuge.  (Kurz,) Wort und Sacramente werden zweifach betrachtet: (1.) als wirkende und erweckende (effectiva et excitativa) Werkzeuge, sofern sie den Glauben bewirken; (2.) als gebende, mittheilende und versiegelnde (dativa, collativa et obsignativa) Werkzeuge, sofern sie zunächst zur Rechtfertigung beitragen.” .  (Isagog. In libros symbol. Lips. 1675.  Seite 251.) .  Die gebende und mittheilende Kraft, meinen die Secten, habe das Wort nicht.  Darum glauben sie nicht, daß die Gnadenmittel die Hand Gottes seien, durch welche uns alles, was wir zur Seelen Seligkeit brauchen, übergeben wird.  Wer aber das nicht glaubt, der glaubt auch überhaupt nicht, daß es Gnadenmittel gibt.  Wer von Gnadenmitteln reden will, der muß erst glauben, daß die Gnade schon erworben sei, welcher man durch solche Mittel theilhaftig wird, durch welche sie Gott als mit seiner Hand austheilt: denn wenn es Mittel gibt, die Gnade darreichen, so kann das nur deshalb sein, weil die Gnade schon da ist.  Nachdem wir aber die fünfte Thesis betrachtet und angenommen haben, sit vorauszusetzen, daß wir alle davon überzeugt sind: die Gerechtigkeit ist schon erworben, die Gnade schon da, und nun können wir getrost weiter gehen und sagen: Wort und Sacrament sind die Hand Gottes, durch welche uns dargereicht wird, was Christus uns erworben und aus dem Grabe mitgebracht hat.  Wenn darum bei uns von der Kraft und Wirksamkeit der Gnadenmittel geredet wird, so ist das die Meinung: daß Wort und Sacrament nicht nur eine Anzeige und Verkündigung, auch nicht nur eine den Glauben erzeugende Kraft, sondern eine Gebung, Mittheilung und Versiegelung der Güter selbst sind, die sie anzeigen und verkündigen.  Römer 1,16 wird das Evangelium eine Kraft Gottes, die da selig macht, genannt. Also nicht nur ein Zeugniß von der Seligkeit, nicht nur eine Anweisung, wie man Gerechtigkeit erlangen

 


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solle, sondern Mittheilung derselben wird hier dem Evangelio zugeschrieben.  Es ist eben streng zu unterscheiden zwischen bewirkender und mittheilander Kraft; denn das Wort Gottes ist ein Wort des Geistes, welches göttliche und himmlische Wirkungen in uns hervorbringt, in uns Buße, Glauben und Heilung wirkt, es bringt uns aber nicht nur die Botschaft, daß alle Güter der Gnade da und uns zugedacht sind, sondern es bringt uns auch die Güter selbst.  Es ist nicht eine solche Botschaft, wie sie ein Gefangener von einem zufällig Kommenden durch sein Kerkergitter erfährt, sondern eine solche, wie sie der vom König bevollmächtigte Botschafter mit seinem besiegelten Begnadigungsschreiben bringt.  Ein solcher Bevollmächtigter ist nun nach Christi Tod und Auferweckung, nachdem Gott die Begnadigungsbotschaft in alle Welt ausgesandt hat, jeder gläubige Christ.  Will man es ihm nicht glauben, so nimmt er die Bibel her und sagt: Hier steht es, da nimm es nur heraus: Also hat Gott die Welt geliebet, oder: Gott war in Christo etc, Also wenn ein Prediger hintritt vor sein Volk und verkündigt: Gott war in Christo etc, so ist das nichts anderes, als wenn der Bevollmächtigte vor den verurtheilten Verbrecher hintritt und sagt: Sei ohne Sorgen, du sollst nicht umgebracht werden; ich erkläre dir hiemit im Namen seiner Majestät, des Königs: du bist begnadigt.  Und wenn der Prediger auf das Wort Gottes und die Sacramente hinweißest, so thut er, wie der Bevollmächtigte, wenn der Verbrecher ihm nicht glauben will, der dann auf den besiegelten Begnadigungsbrief weisest und sagt: da stehts, lies es selbst.  So sagt der Prediger zum ängstlich Zagenden: Hier lies Gottes Gnadenbrief, mit Christi Blut versiegelt und durch den Heiligen Geist bezeugt, und glaube es, so wird es auch durch denselbigen Geist bestätigt werden in deinem Herzen.  Also man unterscheide zwischen der Kraft der Gnadenmittel, nach der sie den Glauben und alles, was in einem Menschen vorgehen muß, damit er ein Kind Gottes bleibe, wirken können, und der Kraft und Wirkung, da sie das auch wirklich mittheilen und übergeben, was die Worte sagen und wie sie lauten.  Die erstere Kraft geben die meisten, welche noch Christen sein wollen, noch zu; Zwingli freilich hat es nicht zugegeben; der sagte, Gott brauche keinen Wagen, und das Sinnliche habe gar keine Kraft im Geistlichen.  Weit entfernt aber, daß alle, welche in der reformirten Kirche sind, das glauben, so ist es im Gegentheil also, daß alle Einfältigen unter den Secten Christi Worte glauben, der da sagt: Meine Worte sind Geist und sind Leben, und sie nicht so erklären: Meine Worte bringen die Botschaft vom Geist und Leben.  Aber das leugnen alle, daß das Wort das mitzutheilen die Kraft habe, wovon es redet.  Sie meinen eben, es würde dadurch die Lehre von der Bekehrung umgestoßen.  Nun muß sich ja freilich ein jeder bekehren, wenn er in den Himmel kommen will, aber durch die Bekehrung kommt er nicht in den Himmel und in den Besitz der Gnadengüter, sondern dadurch, daß Gott sie ihm gibt.  Freilich bekommt er sie nicht, wenn er sie nicht nommt, aber sein Nehmen macht die Güter nicht, sondern Gottes Gnade und die Erlösung JEsu Christi.

 


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Sie sind darum da und giltig auch ohne sein Nehmen, aber er hat die Hand noch nicht ausgestreckt und sie noch nicht genommen, ja, er hat Gott, der seine Hand ausstreckte und sie ihm darreichte, auf die Gnadenhand geschlagen und die Güter von sich geworfen und mit Füßen getreten.  Dennoch hat ihm Gott im rechten Ernst und wahrhaftig die Güter hingehalten und dargereicht, wie hätte er sie sonst können mit Füßen treten?  Was aber Gott darreicht, das gibt er für immer.  Wer darum zB getauft ist, der hat durch dieses Gnadenmittel für immer empfangen Vergebung der Sünden, Erlösung vom Tod und Teufel und das ewige Leben.  Wohl geschieht es ja leider, daß Einer viele Jahre dahin geht und lebt in Sünd und Schanden, tritt darum diese ganze Zeit Gottes hohe Güter mit Füßen, dennoch sind und bleiben sie ihm gegeben.  Daher er jeden Augenblick zu seiner Taufe zurückkehren und alle die lang verachteten und verschmähten Güter ergreifen und brauchen kann, ohne einen Diebstahl zu begehen.  Es wird da oft und auch von lutherischen Predigern verwechselt das glauben dürfen und glauben können.  Wir behaupten nach Gottes Wort, daß es keinen Menschen gibt, der nicht glauben dürfe, zugleich geben wir aber zu, daß es nur zu viele gibt, die nicht glauben können.  Darum muß das Gesetz in all seiner Schärfe gepredigt werden, damit die Leute erst ihr Sündenelend erkennen und fühlen lernen, und dann das Evangelium in seiner ganzen Süßigkeit, damit Gott sie durch dasselbe gnädiglich bewegt, daß sie auch glauben können; denn das Dürfen versteht sich von selbst. .  Die Schwärmer aber sagen einem Menschen, dem das Gesetz das Herz getroffen hat: Di bist wohl jetzt erschrocken über deine Sünden, und Gottes Gnade muß dir helfen, aber nun sieh auch zu und greif ja nicht zu schnell zu.  Geh erst ins Kämmerlein, bete und ringe mit Gott, bis du dich zum Gefühl der Gnade hindurchgearbeitet hast; dann darfst du glauben, daß di sie hast.  Das ist eine gottlose Weise, mit den Seelen umzugehen.  So kann man sie zur Verzweiflung, aber nicht zu rechter Gewißheit ihrer Seligkeit bri8ngen.  Darum soll man so zum Sünder sagen: Bekennst du denn, daß du ein Sünder bist, und bist du von Herzen darüber erschrocken, daß du unter Gottes Zorn liegst?  Steht es so mit dir, dann glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du selig.  So hat der Apostel zum Kerkermeister gesagt: Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Haus selig.  Und man bedenke: das sagt er zu einem, der sich eben mit eigener Hand hatte ermorden willen, der aber nun in Angst über seine Sünden war und fragte: “Was soll ich thun, daß ich selig werde?” .  Was würde dem ein Methodist geantwortet haben?  Der würde wohl gesagt haben: Ja, das geht nicht so schnell.  Versuchs einmal, bete und ringe; aber es kann lange dauern, bisbei dir die Gnade zum Durchbruch kommt, und bis du merkst, daß dich der liebe Gott angenommen hat.  Paulus war aber eben kein Methodist, das sehen wir an seinem Verhalten gegen den Verbrecher, den Kerkermeister.  Und warum konnte er so mit ihm reden?  Weil er wüßte, daß das Wort das Gnadenmittel sei, mit welchem er Leben und Seligkeit zugleich darreiche.

 


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Von ihm sollen wir Lutheraner lernen.  Dies lehrt die Apologie, wenn sie sagt: “Derohalben so oft wir reden von dem Glauben, der Gerecht macht oder justificante, so sind allezeit diese drei Stücke oder Objecta bei einander: Erstlich, die göttliche Verheißung; zum andern, daß dieselbe umsonst, ohne Verdienst Gnade anbeut; zum dritten, daß Christi Blut und Verdienst der Schatz ist, durch welchen die Sünde bezahlt ist.  Die Verheißung wird durch den Glauben empfangen; daß sie aber ohne Verdienst Gnade anbeut, da geht all unser Würdigkeit und Verdienst unter und zu Boden und wird gepreiset die große Gnade und Barmherzigkeit.  Der Verdienst Christi aber ist der Schatz, denn es muß ja ein Schatz, ein edles Pfand sein, dadurch die Sünden aller Welt bezahlt sind.  Die ganze Schrift Alten und Neuen Testaments, wenn sie von Gott und Glauben redet, braucht sie viel dieses Worts: Güte, Barmherzigkeit, misericordia, und die heiligen Väter in allen ihren Büchern sagen alle, daß wir durch Gnade und Güte, durch Vergebung selig werden.  So oft wir nun das Wort Barmherzigkeit in der Schrift oder in den Vätern finden, sollen wir wissen, daß da vom Glauben gelehrt wird, der die Verheißung solcher Barmherzigkeit fasset.  Wiederum so oft die Schrift vom Glauben redet, meinet sie den Glauben, der auf lauter Gnade baut, denn der Glaube nicht darum für Gott fromm und gerecht macht, daß er an ihm selbst unser Werk und unser ist, sondern allein darum, daß er die verheißene angebotene Gnade ohne Verdienst aus reichem Schatz geschenkt nimmt.” . (Seite 96-97). .  Es ist diese Stelle deshalb hier wichtig, weil sie zeigt, daß das Concordienbuch etwas ganz anderes unter den Gnadenmitteln verstehe, als die Schwärmer.  Sie meinen immer, es sei mit den göttlichen Verheißungen, wie es mit Menschenwort ist, da das angezeigte Ding noch nicht im Wort liegt; allein bei Gott ist die Sache ins Wort eingewickelt.  Daher bedienen sich die symbolischen Bücher der Sprache der Bibel, welche oft das Abstractum nennt und das Concretum meint; so Paulus, welcher unter Verheißung immer das Verheißene versteht.  So werden in den Schmalkaldischen Artikeln die Sacramente genannt “Mittel, welche die Verheißung sollen denen mittheilen, die sie begehren”. .  Hieher gehört auch, was im großen Katechismus gesagt ist: “Darnach weiter glauben wir, daß wir in der Christenheit haben Vergebung der Christenheit haben Vergebung der Szunden, welches geschiehet durch die heiligen Sacramente und Absolution, dazu allerlei Trostsprüche des ganzen Evangelii. . . .  Außer der Christenheit aber, da das Evangelium nicht ist, ist auch keine Vergebung nicht, wie auch keine Heiligkeit da sein kann.  Darum haben sich alle selbst da ausgeworfen und gesondert, die nicht durchs Evangelium und Vergebung der Sünden, sondern durch ihre Werke Heiligkeit suchen und verdienen wollen.  Indeß aber, weil die Heiligkeit angefangen ist und täglich zunimmt, warten wir, daß unser Fleisch hingerichtet und mit allem Unflath bescharret werde, aber herrlich herfür komme und auferstehe zu ganzer und völliger Heiligkeit in einem neuen Leben.  Denn jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig,

 


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Auf daß der Heilige Geist immer an uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austheile bis in jenes Leben, da nicht mehr Vergebung wird sein, sondern ganz und gar reine und heilige Menschen, voller Frommkeit und Gerechtigkeit, entnommen und ledig von Sünde, Tod und allem Unglück in einem neuen unsterblichen verklärten Leibe.” . (Seite 458-459). .  Ferner: “Daß solch Verdienst und Wohlthaten Christi durch sein Wort und Sacrament uns sollen vorgetragen, dargereicht und ausgetheilt werden.” .  (Seite 708). .  Hier hören wir, wie es unsere Bekenntnisse bezeugen, daß durch die Sacramente die Wohlthaten Christi auch dargereicht und ausgetheilt werden.  Die Alten, wenn sie von denen reden, welche noch nicht glauben, bedienen sich meist des Wortes offerre == vortragen und anbieten.  Von einer Mittheilung (conferre) ist nur in dem Sinne die Rede, daß es die Zueignung von des Menschen Seite einschließt.  Von Gottes Seite aber theilen die Sacramente die Güter so gewiß mit, so gewiß Gott nicht lügt.  Wenn darum Gott einem Menschen sagt: Deine Sünden sind dir vergeben, so hat er damit auch gewißlich gegeben, was die Worte sagen und wie sie lauten.  Wenn wir hier vom Mittheilen reden, so reden wir gar nicht davon, was unter Umständen stattfinde, sondern daß überhaupt den Gnadenmitteln eine mittheilende Kraft nicht abzusprechen sei.  Freilich dem, der nicht glaubt, wird durch sie nichts mitgetheilt, wenn man im stricten Sinn von der Bedeutung dieses Wortes reden will.  Wir reden aber davon, welche die Gnadenmittel an sich haben, und da sagen wir: Diese Kraft besteht nicht nur darin, daß sie anzeigen, was Gott für uns gethan, noch darin nur, daß Gott durch sie anklopft an dem Herzen des Sünders, sondern sie haben auch die wunderbare Kraft, daß sie geben, was das Wort enthält.  Wenn Gott sagt: Du bist mein Kind, so bin ich durch dies Wort auch sein Kind geworden, wie der Heiland sagt: Ihr seid rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.  Wie das Wort bei der Schöpfung die Macht hatte, alle Dinge aus dem Nichts ins Dasein zu rufen, so auch bei der Rechtfertigung des Sünders, nur daß da der Mensch die schreckliche Macht hat, dem Wort zu widerstehen.  Fragt man nun aber: Wie kann denn das Wort Gottes etwas wirken, ohne zugleich die Gnade mitzutheilen? So ist zu antworten: Es ist zweierlei, darreichen und mittheilen.  Wenn das Wort die Vergebung der Sünden darreicht, das ist ein Stück, wenn es aber den Glauben im Herzen wirkt, daß der Sünder die dargereichte Gnade nun auch ergreift, das ist das andere Stück.  Die Besseren unter den Reformirten geben das erste zu, die andern leugnen beides.  Sie leugnen zum Theil nicht, daß das Wort den Glauben entzünde, aber nun geht er nach ihnen spazieren und sieht zu, wo er Gott findet.  Gottes Wort aber lehrt und ein Lutheraner glaubt das auch, daß im Wort schon Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit ist, und der Glaube erfaßt das auch.  Wenn die Reformirten auch zuweilen zugeben, daß das Wort Gottes auch eine bewirkende, eine bekehrende Kraft habe, so meinen sie doch alle, aber vom Himmel müsse man die Vergebung der Sünden holen.

 


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Dagegen sagen wir, daß uns das Wort nicht nur verändert und für die Güter geschickt macht, sondern daß es uns dieselben auch bringt und gibt, so daß ein Mensch nicht zu sagen braucht, wenn er die himmlischen Gaben im Wort genannt und beschrieben hört: Ja, wie bekomme ich sie aber? Sondern daß er sagen kann: Da im Wort sind sie ja und in der Taufe sind sie mir übergeben.  Spricht er: Ich bin aber gefallen nach der Taufe, so antwortet man ihm: Di bist freilich gefallen, aber die Taufe ist nicht gefallen; die steht noch mit all den Gütern, die Gott in sie gelegt hat; greif nur wieder zu und nimm die Güter, welche dir schon damals gegeben wurden, als du getauft wurdest.  Das glauben die Secten aber nicht.  Sie meinen, die Bekehrung sei es, welche einem Menschen wieder die Gnade verschaffe, daß sein Herz verändert werde, und diese Veränderung sei es, um welcher willen man wieder glauben könne, daß man Vergebung der Sünden habe.  Das heißt die Pferde hinter den Wagen spannen; denn baue ich meinen Gnadenstand auf mein neues Herz, so baue ich die Ursache auf die Wirkung.  Daraus geht hervor, daß sie einen ganz andern Begriff vom Glauben haben, als der biblische ist; sie meinen, Glaube sei eine neue Empfindung des Herzens, die aber noch nichts hat, sondern erst etwas sucht.  Wie ganz anders redet unser Katechismus von der Wirkung der Gnadenmittel; zB auf die Frage: Was gibt oder nützt die Taufe?  Antwortet er: “Sie wirket Vergebung der Sünden, erlösest vom Tod und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die es glauben, wie die Worte und Verheißung Gottes lauten.” .  Und auf die Frage: “Wie kann Wasser so große Dinge thun?” antwortet er: “Wasser thuts freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Wort Gottes im Wasser trauet.” .  Ebenso auf die Frage: “Wie kann leiblich Essen und Trinken so große Dinge thun?” – “Essen und Trinken thuts freilich nicht, sonder die Worte, so da stehen . . . und wer denselbigen Worten glaubet, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich Vergebung der Sünden.” .  Sowie also das Wort erschallt, so habe ich auch schon alles da, was es anzeigt; während die, welche ihm nur die bewirkende Kraft (vis effectiva) zuschreiben, es als ein Samenkörnlein betrachten, woraus das alles erwachsen muß.  Allein im Wort liegt eben beides, sowohl die Gnadengeschenke, als die Kraft, solche Geschenke anzunehmen.  Die nöthige Veränderung, welche mit jedem Menschen vorgehen muß, wenn er selig werden soll, wirkt Gott, und er wirkt sie durch die Gnadenmittel, durch welche des Menschen Herz verändert wird.  Das wird die Gnadenordnung genannt; da nemlich Gott einen Menschen durch das Evangelium beruft, mit seinen Gaben erleuchtet und ihn im rechten Glauben heiligt und erhält.  Außer dem muß der Mensch aber auch etwas bekommen, was nicht in ihm gewirkt werden kann: Gnade, Vergebung der Sünden, die Rechtfertigung.  Dieses letztere geht in Gott vor und ist sein, also kann es nicht im Menschen gewirkt, sondern es muß ihm gegeben werden.  Das ist dann die mittheilende Kraft der Gnadenmittel (vis collativa).  Die symbolischen

 


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Bücher beschreiben darum auch die Gnadenmittel bald als Mittel, welche den Glauben im Herzen des Menschen hervorbringen, bald als Gefäße, in denen Gott seine himmlischen Gutter darreicht.  Wenn nemlich Gott zum Menschen kommt, so findet er ihn (1.) bettelarm und (2.). todt; darum muß nun Gott durch seine Gnadenmittel beides an ihm thun: Er muß nun Gott durch seine Gnadenmittel beides an ihm thun: ER muß ihn (1.) aus dem Tode erwecken und (2.) mit den Gütern seines Hauses beschenken.  So ist Gott unser Arzt und unser großmüthiger Begaber, und sein Wort ist theils Arznei, theils Träger des himmlischen Schatzes.  Wenn wir die Kraft zum Glauben in uns selbst hätten, dann wäre es freilich genug, daß uns das Wort die Schätze einfach enkündigte, aber wir haben nicht einmal die Kraft zu wollen, zu suchen, zu ergreifen, darum ist diese zweifache Kraft der Gnadenmittel zu unserer Seligkeit nöthig, daß es uns aufweckt zum neuen Leben, und daß es uns gibt, was wir nicht haben.

                    Thesis 7: “Das Evangelium ist daher nicht eine bloße historische Erzählung von dem geschehenen Werke der Erlösung, sondern vielmehr eine kräftige Friendenserklärung und Gnadenverheißung Gottes an die durch Christum erlöseste Welt und so allezeit ein kräftiges Gnadenmittel, in welchem Gott die durch Christum erworbene Sündenvergebung und Gerechtigkeit seinerseits bringt, darreicht, austheilt, gibt und schenkt, obgleich nicht alle, an welche Gott seinen ernstlichen Gnadenruf ergehen läßt, diese Einladung des versöhnten Gottes annehmen, und also auch der mitfolgenden Güter nicht theilhaftig werden.”

                    Eine Hauptfrage in diesem ganzen Handel ist: Was ist Evangelium?  Als Antwort ist festzuhalten: Es ist der Pardon Gottes an die Welt.  Weil er durch Christum versöhnt worden ist, so will er das nun auch predigen lassen, damit die ganze Welt bewogen werde, sich auch mit ihm versöhnen zu lassen.  Die Concordienformel sagt: “Wir müssen in alle Wege steif und fest darüber halten, daß, wie die Predigt der Buße, also auch die Verheißung des Evangelii universalis, das ist, über alle Menschen gehe, Luc 24. .  Darum Christus befohlen hat, zu predigen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern.” (Seite 709.). . So wird auch in den symbolischen Büchern das Evangelium kurzweg Absolviren genannt: “Das Wort der Absolution verkündet uns Frieden und ist das Evangelium selbst.” .  Die Reformirten meinen, das Evangelium sei eine Erzählung, ein historischer Bericht von dem, was Gott gethan hat; daß aber Gott in diesem Wort auch Gnade darreiche, das leugnen sie.  Unsere Kirche aber lehrt, daß, wer dem Evangelio zuhört und glaubt, gerecht wird.  Wenn darum das Evangelium verkündet wird, so ist es Absolution, und die nicht daran glauben, hören sie sich selbst zum Gericht.  Die Gegner dagegen meinen, das Evangelium bringt nur für die Bußfertigen einen Schatz.  Sie verwechseln da die zwei Dinge: Die Art und Natur der Absolution und die rechte Anwendung durch die Kirchendiener.  Denn die sollen das Evangelium so predigen, daß es auf die Bußfertigen angewandt wird.  Was sie vom Evangelio sagen, das ist eine jämmerliche Lehre, und mit den Hörern ists bestellt, wie mit den Leuten, die in die Lotterie gesetzt,

 


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haben; gehören sie zu den Gläubigen, dann verkündet das Evangelium auch ihnen die Gnade Gottes; wenn nicht, dann gilt die Botschaft ihnen nicht.  Sie glauben eben nicht, daß Gott mit der Welt schon versöhnt ist, und daß das Evangelium nichts anderes ist, als die Verkündigung davon auf Gottes Berehl und eine Mittheilung nach seiner Ordnung.  Wenn ein Mensch zum Tode verurtheilt ist und der Richter spricht ihn los, so besteht ja die Begnadigung nicht darin, daß er ihn eigenhändig vom Galgen losschneidet, sondern darin, daß er ihn losspricht, und solch Lossprechen begreift alles andere in sich.  So, wenn Gott losspricht, dann hat er durch das Wort auch gerechtfertigt.  Wer darum leugnet, daß das Evangelium eine Absolution der Welt sei, der leugnet überhaupt das Evangelium Christi; dann ist es nicht eine frohe Botschaft, sondern ein Unterricht davon, was ein Mensch selbst thun solle, damit ihm Gott gnädig sei.  Ausdrücklich sagt der HErr, das Evangelium soll gepredigt werden in aller Welt “zu einem Zeugniß über sie”; die frohe Botschaft soll also verkündigt werden, sie werde nun angenommen, oder nicht, oder wie der Apostel sagt, dem einen als ein Geruch des Todes zum Tode.  Bei der Gegenlehre muß der Mensch immer erst den Glauben haben, ehe ein Gut da ist, während Gottes Wort sagt: Glaube, so hast du es.  Es ist darum die Gegenlehre eine gottlose Lehre,vor der man erschrecken soll.  Was nützt bei ihr alle Aufforderung zum Glauben? Was soll ich denn glauben, wenn noch nichts vorhanden ist?  Doch es gehört zu dieser Thesis gleich die nächste von der Absolution.

                    Thesis 8:  “Die heilige Absolution ist eine Predigt des Evangeliums an eine oder mehrere bestimmte Personen, welche den Trost des Evangeliums begehren.  Es ist dieselbe daher auch allezeit an sich selbst giltig und kräftig, denn Gott erklärt sich darin durch seines Dieners Mund für einen durch Christi Blut und Tod wahrhaft versöhnten Gott und theilt so seinerseits die Gabe der Vergebung und Gerechtigkeit an alle, welche absolvirt werden, aus, obgleich viele der im Evangelio dargebotenen Gnadengaben nicht theilhaftig werden um ihres Unglaubens willen.”

                    Wenn ich Beichte halte und absolvire, so bin ich nur dann ein rechter lutherscher Prediger, wenn ich deß gewiß bin: Die da waren, die habe ich alle gelösest in dem Augenblick, als ich ihnen das Wort der Absolution sagte, und die nur sind rechte Lutheraner, welche glauben, daß sie wahrhaftig von Gott losgesprichen wurden.  Es soll keiner denken: Wüßte nur der Prediger, was ich für ein Mensch bin, er würde mich nicht absolviren; nun weiß ich es aber, und darum gilt seine Absolution nichts.  Vielmehr soll jeder mit dem Gedanken aus der Kirche gehen: Nun hat Gott uns alle begnadigt und die Schuld vergeben.  So kann man aber freilich nur glauben, wenn man glaubt, die Welt ist erlösest; denn glaube ich das, so ist die Absolution nur die Mittheilung der Thatsache an die Beichtenden, daß sie vor 1800 Jahren erlösest wurden, und die Bitte: Glaubt das nun, so seid ihr alle selig.  Wie schlimme Menschen müßt ihr sein, so ihr das nicht glaubt!  Nun sollte wohl jemand denken:

 


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Demnach muß man auch alle erklärt verruchten Menschen absolviren, selbst Leute, wie den Affen = Vogt; allein dagegen steht Christi Ordnung: “Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben und die Perle nicht vor die Säue werfen.” .  Auch Affen – Vogt wäre freilich wirklich absolvirt, wenn er das Evangelium hörte; aber er würde seinen Scherz damit treiben und das Gut unter die Füße treten, wie die Sau eine edle Perle.  Weil wir nun das von den bekannten Ungläubigen zum Voraus wissen, deshalb absolviren wir sie nicht, aber nicht, weil wir glaubten, sie seien nicht erlösest.  Ach, wenn das die Ungläubigen müßten und bedächten, so würden sie uns nicht als pfäfsische, aufgeblasene Leute ansehen, die es nicht gut mit ihnen meinten.  Sie meinen nämlich, wir absolviren in dem Sinn, weil wir ordinirte Herren seien, denen in der Ordination wie durch einen elektrischen Strom die Macht verliehen sei, Sünden zu vergeben, so daß, wenn wir sagen: Ich vergebe dir die Sünden, diese vergeben seien kraft unserer Absolution.  So lehren aber nicht wir, sondern die Papisten; die binden die Kraft der Absolution an das beschorene Priesterthum.  Wir aber sagen: Das ist keine Kunst, jemanden zu absolviren; das kann jeder gewöhnliche Chistenmensch, jede Frau, jedes Kind auch, wenn es nur erzählen kann, daß der HErr JEsus für alle gestorben sei und wer an ihn glaube, Vergebung der Sünden empfange.  Denn die Absolution beruht ja nicht in der Qualität des Sprechenden, sondern in dem Wort des Evangeliums von der geschehenen Versöhnung.  Deshalb steht auch in der Apologie, wer die Absolution verwerfe, der wisse nicht, was Evangelium sei; und Luther sagt, er halte darum so über der Absolution, damit die Leute das Evangelium erkennen.  Das Evangelium ist aber die Botschaft, welche der verlornen Welt gebracht werden soll, sie sei erlösest - - eine Botschaft, nicht wie wir eine andere Nachricht überbringen, sondern als vom großen Gott im Himmel ausdrücklich übersandt.  Dazu macht er seine Boten getrost und spricht: Predigt es nur getrost, ich werde kein Lügner sein, sondern das Wort, welches ich in euren Mund gebe, wahr machen.  Darum sagt Luther: “Ein Prediger kann den Mund nicht aufthun, er muß eine Absolution sprechen”, denn sobald er nur des HErrn Christi Erwähnung thut, ists lauter Absolution.  Darum ist es gar keine Anmaßung, wenn ein lutherischer Pastor sagt, daß er absolviren könne, denn er will damit nicht sagen, ihm sei die Kraft dazu durch die Weihe zum Amt mitgetheilt worden, als etwas Sonderliches, sondern die Kraft sei die des Wortes, welches zu predigen das ihm übergebene Amt berechtige.  Durch das Erzählen und Verkündigen aber will der liebe Gott alles austheilen, und unser Absolviren in der Beichte ist nur ein bestimmter Ausdruck, eine kurze Summa dessen, was man in der Predigt verkündigt, und zwar mit dem Unterschied, daß man sich jetzt an den Einzelnen wendet.  Kraft des Amtes heißt hier kraft des Evangeliums, das ich zu predigen berufen bin; so daß Luther sagt, daß mit den Worten: Welchen ihr die Sünden erlasset etc “nicht wird eingesetzt die Gewalt des, der da spricht; sondern deren, die da glauben”. . (XI, 1002). .  Darum soll man nicht zu dem

 


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Beichtenden sagen: Bedenke, was du bist, erkennst du deine Sünden nicht alle, hast du nicht den und den Grad der Reue über sie, so bekommst du keine Absolution; sondern so soll man sagen: Ich absolvire dich jetzt, damit wird dir die Vergebung aller deiner Sünden geschenkt; du bist daher ein verfluchter Mensch, wenn du das nicht glaubst.  Darum ists eine so große Sünde, zur Beichte gehen und doch dem Worte der Aboslution nicht glauben.  Wenn ich auch der größte Sünder wäre, so soll ich doch bei Gottes Ungnade dieser Absolution glauben.  Freilich, so lang einer ein verstockter Sünder ist, kann er dem Worte eben nicht glauben, aber dann ist die Schuld nicht da zu suchen, daß die Absolution nicht kräftig gewesen wäre.  Weil die Absolution nichts anders ist, denn das Evangelium, so haben sich unsere Väter auch durchaus nicht an bestimmte Absolutionsformeln gebunden; welche sie indeß auch immer gebraucht haben mögen, das leuchtet immer daraus hervor, daß sie dem Sünder das Evangelium verkündigen und es auf ihn anwenden wollten.

                    Es sind besonders zwei Dinge hiebei zu betonen, erstlich, daß das Evangelium ein Gnadenantrag Gottes sei, sowie daß von Seiten des Menschen nichts hinzukommen müsse, um solchen Antrag giltig zu machen.  Wenn man das Evangelium seinem Wesen nach davon abhängig macht, daß der Mensch glaubt, so hat der Glaube nichts, woran er sich halten kann.  Der Mensch muß aber doch etwas haben, was er glauben könne, sonst kann er überhaupt nicht glauben; ist nun das Evangelium nicht giltig, es sei denn, der Mensch glaube es erst, was soll er denn glauben?  Man wird so, wie Luther sagt, auf einen Affenschwanz geführt.  Das heißt die Leute, welche in Angst stehen und Zweifel an ihrer Seligkeit haben, in die Zwickmühle führen.  Ganz anders lehrt unsere Augsberg Confession Artikel 25: “Dabei wir das Volk fleißig unterrichten, wie tröstlich das Wort der Absolution sei, wie hoch und theuer die Absolution zu achten; denn es sei nicht des gegenwärtigen Menschen Stimme oder Wort, sondern Gottes Wort, der da die Sünde vergibt.  Denn sie wird an Gottes Statt und aus Gottes Befehl gesprochen.  Von diesem Befehl und Gewalt der Schlüssel, wie tröstlich, wie nöthig sei sei den erschrockenen Gewissen, wird mit großem Fleiß gelehret; darzu, wie Gott fordert, dieser Absolution zu glauben nicht weniger, denn so Gottes Stimme vom Himmel erschölle, und uns derselben fröhlich trösten, und wissen, daß wir durch solchen Glauben Vergebung der Sünden erlangen.” .  Also ist die Absolution ein Gegenstand für unsern Glauben und nicht ein bloßer Wegweiser zum Glauben.  Immer soll uns vor Augen stehen die Verheißung, und in ihr sollen alle erschrockenen Seelen Trost und Vergebung suchen und sich daran aufrichten.  Dagegen wenn der Glaube erst da sein soll, so wird er zu etwas ganz anderm gemacht, als er eigentlich ist; er ist dann nicht mehr ein Ergreifen und Annehmen der vorhandenen Güter.  Die Apologie lehrt: “Wir aber setzen das andere Stück der Buße dazu, nämlich den Glauben an Christum, und sagen, daß in solchem Schrecken den Gewissen soll vorgehalten werden das Evangelium von Christo, in welchem verheißen ist Vergebung der Sünden aus Gnaden durch

 


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Christum.  Und solche Gewissen sollen gläuben, daß ihnen aus Gnaden um Christus willen Sünde vergeben werde.  Derselbig Glaube richtet wieder auf, tröstet und macht lebendig und fröhlich solch zerschlagene Herzen, wie Paulus Röm 5 sagt:  “So wir nun gerechtfertigt sein, so haben wir Frieden mit Gott.  Derselbe Glaub zeiget recht an den Unterschied unter der Reue Judä und Petri, Sauls und Davids.  Und darum ist Judä und Sauls Reue nichts nütz gewest, denn da ist nicht Glaube gewest, der sich gehalten hätte an die Verheißung Gottes durch Christum.  Dagegen sind Davids und St Peters Reue rechtschaffen gewesen, denn da ist der Glaube gewest, welcher gefaßt hat die Zusage Gottes, welche anbeut Vergebung der Sünden durch Christum.”  (Seite 172).  Und im Großed Katechismus:  “Daß aber unsere Klüglinge, die neuen Geister, fürgeben: Der Glaube macht allein selig, die Werk aber und äußerlich Ding thun nichts dazu, antworten wir, daß freilich nichts in uns thut, denn der Glaube, wie wir noch weiter hören werden; das wollen aber die blinden Leiter nicht sehen, daß der Glaube etwas haben muß, das er gläube, das ist, daran er sich halte und darauf er stehe und füse. . .  Nun sind sie so toll, daß sie von einander scheiden den Glauben und das Ding, daran der Glaube haftet und gebunden ist, ob es gleich äußerlich ist.  Ja es soll und muß äußerlich sein, daß mans mit Sinnen fassen und begreifen und dadurch ins Herz bringen könne, wie denn das ganze Evangelium eine äußerliche und mündliche Predigt ist.  Summa, was Gott in uns thut und wirket, will er durch solche äußerliche Ordnung wirken.”

(Seite 489).

                    Wenn Jemand zu den Schwärmern sagen würde: Hier ist Brod, das hat aber nur dann eine nährende Kraft, wenn es von dem genossen wird, der Hunger hat, oder:  diese Arznei hat ihre Heilkraft nur, wenn sie ein Kranker nimmt, so würden sie selbst  einsehen, daß dies Thorheit sei.  So hat aber auch das Evangelium nicht nur da seine Kraft, wo es ein Bußfertiger und Gnadenhungriger hört, sondern auch wenn es dem Gottloßen verkündigt wird.  Das aber ist wahr:  Wer das Brod nicht ißt, den nährt es nicht; wer die Arznei nicht nimmt, den heilt sie nicht; und wer dem Evangelio nicht glaubt, den tröstet es nicht; aber das sollte doch auch ein Schwärmer ensehen, daß die Kraft des Wortes nicht im Menschen liegt, so wenig als die nährende Kraft des Brodes in ihm liegt.  Aus der Behauptung, das Evangelium und die Absolution sei beim Unbußfertigen nicht kräftig, ergeben sich die allerschrecklichsten Schlußfolgerungen:  Dadurch wird geleugnet Christi allgenugsames Verdienst, die Erlösung und Versöhnung der Welt, denn dann müßte immer der Glaube gefaßt werden als ein Werk, das noch hinzukommen muß, damit im Evangelio eine Vergebung sei.  Dann folgt daraus, daß Christi Verdienst nicht allgenugsam sei.  Ist aber Christi Verdienst nicht allgenugsam, so ist Christus auch nicht wahrer Gott.  Man könnte auch keinem Menschen mit gutem Gewissen das Evangelium predigen und ihn zum Abendmahl lassen, von dem man nicht gewiß

 


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wäre, daß er glaubt.  Nun soll zwar, was das Letztere betrifft, Keiner zum Sacrament gelassen werden, er sei denn verhöret und bekenne, daß er glaube; ob er aber die Wahrheit redet oder heuchelt, das kann ich nicht wissen, denn ich kann ihm nicht ins Herz sehen; so thue ich, was mir Gott befohlen hat, und bin gewiß, daß ich alle wahrhaftig absolvire; ob sie dessen genießen, das weiß ich nicht.  Es ist eben nicht nur eine Rechtfertigung ermöglicht, sondern erworben und geschehen.  Wie darum wir vom Wesen des Evangeliums und der Absolution reden, so redet  Gottes Wort selbst davon, daß Gott gebe und schenke, ohne Rücksicht darauf, ob die Sache angenommen werde, oder nicht.  Wir halten uns einfach, den Gegnern dieser Lehre gegenüber, an das Wort:  “Glauben wir nicht, so bleibet er treu, er kann sich selbst nicht leugnen”, 2 Tim 2, 13; “daß etliche nicht glauben, was liegt daran? Sollte der Menschen Unglaube Gottes Glauben aufheben?  Das sei serne”, Röm 3, 3 4.  Nach der Gegner Lehre müßte ich alles verwerfen, was ich je bekommen habe, sobald ich zweifelhaft würde, ob ich damals auch recht geglaubt habe.  Ließe ich mich heute taufen, und übers Jahr kämen mir Zweifel, ob ich auch recht geglaubt habe, so müßte ich mich wieder taufen lassen.  Aber, Gott sei Dank, wir dürfen uns gewiß deß trösten:  was Gott an uns gethan hat, das hat er für immer an uns gethan und macht es von seiner Seite nicht wieder ungeschehen; wir sollens nur glauben.  Verflucht aber sei die Lehre, welche von meinem Glauben die Würdigkeit, Kraft und Giltigkeit der Absolution abhängig macht.  Denn das ist gerade des armen Sünders Trost, daß er weiß: der liebe Gott betrügt mich nicht, wenn er mit mir redet.  War ich also bisher nicht in der rechten Verfassung, so will ich mich jetzt dessen trösten, daß Gottes Gaben und Berufung ihn nicht gereuen.  So ist meine Taufe giltig, auch wenn ich falle und die Gnade derselben verwerfe.  Wohl bin ich dann aus dem Schiff gefallen ins Meer des Verderbens, aber das Schiff ist noch da mit allem, was mich zum Himmel bringen kann; ich soll nur wieder ins Schiff zurück und mich aufs Neue meiner Taufe trösten.  Ja, wäre es möglich, daß einer gottlos sein und seine Taufe behalten könnte, er käme richtig im Himmel an; aber es ist das eben eine Unmöglichkeit.  Es ist das eine gar tröstliche Lehre für den geängsteten Sünder; denn sie zeigt ihm, der Teufel habe kein Recht und keine Macht an ihn, wenn er nur das Wort nicht wegwerfe.  Wir können nicht genug betonen, was in der Augsburgischen Confession gesagt wird:  Die Absolution, die mir gesprochen wird, ist allemal Gottes Wort.  Damit soll nicht nur gesagt werden: die Worte sind aus der Bibel genommen, sondern:  Wenn dich der Prediger absolvirt, so ist das allemal Gottes Wort an dich, du kannst glauben, daß es Gott ist, der durch den Mund eines armet Sünders zu dir spricht:  Wie du glaubst, so geschehe dir.  So gottlos es wäre, wenn du hörst:  “Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde” und du wolltest da nicht glauben, eben so gottlos ist es, wenn du absolvirt wirst, und du sagst:  Das ist nicht wahr, daß mir da Vergebung geschenkt wird, ich bin ja ein großer Sünder,

 


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ich stehe ja nicht im Glauben u dergl.  Wäre die Lehre der Gegner wahr, dann hätten die Ungläubigen Recht, wenn sie sagen:  “Ba, was geben wir darum, was der Pfaff sagt!”  Denn dann wäre es eben wirklich ein leeres Wort; nun aber sind ihre Reden deshalb so schrecklich, weil es Gottes Absolution ist, die sie verachten und verhöhnen.  Wie das Gold Gold bleibt, auch wenn es gestohlen oder in den Koth getreten wird, so bleibt die Absolution Absolution, auch wenn sie von Ungläubigen verachtet wird.  Wie die Gefangenen, welche hören, sie seien begnadigt und sagen:  Uns gefällt es aber im Gefängniß, deshalb doch begnadigt sind, so sind die absolvirt, welche auch das Wort und was es bringt, nicht annehmen.  Denn der große König, Gott der HErr, hat die Welt begnadigt und seine Diener ausgesandt, um den Menschen diese Botschaft zu bringen.  Gar herrlich schreibt daher Luther:  “Darum muß in den Schlüsseln Christi verborgen liegen sein Blut, Tod und Auferstehen, damit er uns den Himmel eröffnet hat, und theilet also durch die Schlüssel den armen Sündern mit, was er durch sein Blut erworben hat. . .  Darnach denke, daß die Schlüssel oder Vergebung der Sünden nicht stehet auf unsrer Neue Oder Würdigkeit, wie sie lehren und verkehren; denn das ist ganz velagianisch, türkisch, heidnisch, jüdisch, wiedertäuferisch, schwärmerisch und endechristisch (antichristlich):  sondern wiederum, daß unsere Neue, Werk, Herz und was wir sind, sollen sich auf die Schlüssel bauen, und mit ganzem Erwägen getrost drauf verlassen, als auf Gottes Wort, und bei Leibsverluft und Seelenverlust ja nicht zweifeln, was dir die Schlüssel sagen und geben, es sei so gewiß, als rede es Gott selber: wie ers denn gewißlich selbst redet; denn es ist sein Befehl und Wort und nicht eines Menschen Wort oder Befehl.  Zweifelst du aber, so lügenstrafest du Gott, verkehrest seine Ordnung, und bauest seine Schlüssel auf deine Neue und Würdigkeit.  Neuen sollst du, das ist wahr; aber daß darum die Vergebung der Sünden sollte gewiß werden, und des Schlüffels Werk bestätigen, das heißt den Glauben verlassen und Christum verleugnet.  Er will dir die Sünde nicht um deinetwillen, sondern um sein selbst willen, aus lauter Gnaden, durch den Schlüssel vergeben und schenken . . .  Laß dich hie nicht irren das pharisäische Geschwätz, damit sich etliche selbst närren, wie ein Mensch möge Sünde vergeben, so er doch die Gnade nicht geben kann, noch Mensch möge Sünde vergeben, so er doch die Gnade nicht geben kann, nocht den Heiligen Geist.  Bleibe du bei den Worten Christi, und sei du gewiß, daß Gott keine andere Weise hat, die Sünde zu vergeben, denn durch das mündliche Wort, so er uns Menschen befohlen hat.  Wo du nicht die Vergebung im Wort suchest, wirst du umsonst gen Himmel gassen nach der Gnade oder (wie sie sagen) nach der innerlichen Vergebung.  Sprichst du aber, wie die Rottengeister uns Sophisten auch thun:  Hören doch Viele der Schlüssel Binden und Lösen, kehren sich dennoch nicht daran, und bleiben ungebunden und ungelöset; drum muß etwas anders da sein, denn das Wort und die Schlüssel: der Geist, Geist, Geist muß thun.  Meinst du aber, daß er nicht gebunden sei, der dem Bindeschlüffel nicht glaubet? Er solls wohl erfahren

 


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zu seiner Zeit, daß um seines Unglaubens willen das Binden nicht vergeblich gewesen ist, noch gefehlet hat.  Also auch, wer nicht glaubet, daß er los sei und seine Sünden vergeben, der solls mit der solls mit der Zeit auch wohl erfahren, wie gar gewiß ihm seine Sünden jetzt vergeben sind gewesen, und ers nicht hat wollen glauben.  St Paulus spricht Röm 3,3:  Um unsers Unglaubens willen wird Gott nicht fehlen.  So reden wir auch jetzt nicht, wer den Schlüsseln glaubt oder nicht, wissen fast wohl, daß wenige glauben; sondern wir reden davon, was die Schlüssel thun und geben.  Wers nicht annimmt, der hat freilich nichts; der Schlüssel fehlet darum nicht.  Viele glauben dem Evangelio nicht; aber das Evangelion fehlet und leuget darum nicht.  Ein König gibt dir ein Schloß: nimmst du es nicht an, so hat der König darum nicht gelogen noch gefehlet, sondern du hast dich betrogen und ist deine Schuld; der König gibt dir ein Schloß: nimmst du es nicht an, so hat der König darum nicht gelogen noch gefehlet, sondern du hast dich betrogen und ist deine Schuld; der König hats gewiß gegeben.  Ja, spricht du, hie lehrest du selbst den Fehlschlüssel; denn es geschieht nicht alles, was die Schlüssel schaffen, weil es etliche nicht glauben noch annehmen.  Ei Lieber, wenn das gefehlet soll heißen, so fehlet Gott mit allen seinen Worten und Werken.  Denn wenige glaubens oder nehmens an, was er doch gegen alle ohne Unterlaß redt und thut.  Das heißt gar die Zungen verkehret und aus der Sprache gegangen.  Denn solches heißt nicht gefehlet oder geirret, wenn ich etwas thue oder rede, und ein andrer verachtets oder läßts anstehen.  Aber des Pabsts Fehlschlüssel ist also gelehret, verstanden und gehalten, daß er selbst, der Schlüssel an ihm selbst, irren mag, obs gleich ein Mensch gern glauben und annehmen wollte; denn es ist ein conditionalis Clavis, ein Wankelschlüssel, der uns nicht auf Gottes Wort, sondern auf unsere Reue weiset, spricht nicht frei:  Ich löse dich gewißlich, das sollst du glauben; sondern so spricht er:  Bist du bereuet und fromm, so löse ich dich; wo nicht, so fehle ich, das heißt Clavis errans, und kann selbst nicht drauf fußen noch sagen:  Ich weiß gewiß, daß ich dich für Gott gelöset habe, du glaubest oder glaubest nicht, wie Peters Schlüssel sagen kann; sondern muß also sagen:  Ich löse dich auf Erden, weiß aber wahrlich nicht, ob du für Gott drum los seiest.  Denn sie haben den Glauben nicht gelehret bei den Schlüsseln, wie man siehet in allen Ablaßbullen, da Reue und Beichte und Pfennige gefordert werden, und gar nichts vom Glauben gemeldet wird.  Auch kann mans dabei wohl merken; denn sie bereuen und strafen solchen ungewissen Wahn weder an ihnen selbst, noch an andern, gehen fein sicher dahin, als wäre solcher Zweifel gar keine Sünde, und denken:  Habe ich getroffen, so habe ich getroffen, habe ich gefehlet, so habe ich gefehlet, ist gleich viel; haben also solches Unglaubens weder Gewissen noch Sorge: so es doch eine greuliche Sünde ist des Unglaubens auf beiden Theilen, beiden des, der da bindet oder löset, und des, der gebunden oder gelöset wird.  Denn es ist Gottes Befehl und Wort, das jener spricht und dieser höret: sind beide schuldig bei ihrer Seelen Seligkeit, solches so gewiß und fest zu glauben, als alle andern Artikel des Glaubens.  Denn wer da bindet und löset, glaubet aber nicht, sondern zweifelt, ob ers

 


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getroffen, gebunden oder gelöset habe, oder denkt so leichfertig dahin:  Oh triffts, so triffts; der lästert Gott, verleugnet Christum, tritt die Schlüssel mit Füßen, und ist ärger denn ein Heide, Türk oder Jude.  Desgleichen thut er auch, so gebunden oder gelöset wird, wo er nicht glaubet, zweifelt oder geringe achtet:  denn man soll und muß Gottes Worten glauben, mit ganzem Ernst und mit aller Zuversicht.  Wer nicht glaubet, der lasse die Schlüssel mit Frieden; er möchte sonst lieber mit Judas und Herodes in der Hölle sein: denn Gott will ungeschmäht sein durch unsern Unglauben.  Es ist wahrlich nicht jedermanns Ding, der Schlüssel wohl brauchen.  Wiederum, wer da glaubt, oder je gern glauben will, daß die Schlüssel gewiß sind, der sei fröhlich und brauche ihrer getrost.  Du kannst Gott in seinen Schlüsseln nicht größere Ehre thun, denn so du ihnen glaubest.  Darum lehren wir die Unsern also:  Wer durch den Schlüssel gebunden oder gelöset wird, der soll solchem Binden und Lösen so gewiß glauben, daß er leiber zehnmal sterben sollte, denn daran zweifeln.  Es ist Gottes Wort und Urtheil, dem keine größere Unehre geschehen kann, denn so man des nicht glaubt.  Welches eben so viel gesagt ist, als:  Gott, du leugest, es ist nicht wahr, was du sagest, ich glaubs nicht, und muß also Gott sein Lügner sein.  Eben so gewiß soll der auch sein, so da bindet oder löset; oder ist gleicher Greuel schuldig.  Wo hat man aber solches jemals im Pabstthum gelehret oder gehöret?  Ja wo mans hätte gelehret, die Fehlschlüssel und seine Gesellen wären nimmermehr aufkommen, wären wohl diese zween Schlüssel allein und fein rein blieben.  Wie viel sind wohl Bischöfe und Officiale, die der Schlüssel also brauchen?  Sie glauben nicht, daß Gottes Wort sei, was die Schlüssel urtheilen, sinds also gewohnet, wie eines alten weltlichen Herkommens.  Sollten sie aber denken, daß es Gottes Urtheil wäre, dem sie selbst zuvor glauben müßten bei der Seelen Seligkeit, sie würden nicht so leichtfertig, sondern mit Zittern und Furcht damit umgehen.” (XIX, 1126 1172 1175 ff).

                    Thesis 9:  “Das Mittel, durch welches allein der Mensch in wirklichen Besitz der durch Christum erworbenen und im Wort und Sacrament dargereichten Gabe der Gnade kommt, ist der Glaube, welcher die Gnadenverheißung Gottes glaubt und also die in dieser Verheißung Gottes dargebotene Gabe des Verdienstes und der Gerechtigkeit Christi sich zueignet und der Wohlthat Christi als seines Sündentilgers und Seligmachers sich tröstet.”

                    Hierzu ist eine köstliche Stelle Röm 4, 16:  “Derohalben muß die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf daß sie sei aus Gnaden, und die Verheißung fest bleibe allem Samen.”  Damit bezeugt der Apostel Paulus, der Glaube sei nicht etwa eine Bedingung, die von unserer Seite erfüllt werden müsse, wenn wir der Seligkeit, die Christus uns erworben hat, theilhaftig werden sollen; nein, will er sagen, wenn Gott von uns den Glauben fordert, so spricht er damit nicht:  Wohl hat mein Sohn für euch genug gethan und die Welt erlösest, aber nun müßt ihr auch etwas thun; im Gegentheil steht es so:  Weil wir eben gar nichts

 


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mehr zu unserer Seligkeit zu thun haben, darum ist der Glaube nöthig; wenn die Gerechtigkeit freilich nicht aus Gnaden wäre, dann müßte etwas anderes zu ihrer Erlangung erfordert werden, nun sie aber aus Gnaden ist, so ist der Glaube genug, denn der ist eben nur ein Annehmen. – Wenn mir Jemand etwas verheißt, oder verspricht, mir etwas zu geben, was kann ich da anders machen, als daß ichs glaube?  Die Liebe hilft da nichts dazu, das Nachdenken hilft auch nichts, die Heiligung auch nichts, das alles entspricht nicht der Natur eines freien Geschenks, daß dasselbe nemlich in meinen Besitz komme, sondern allein das, daß ich es annehme.  Das ist aber aben der Glaube.  Da halte ich fürwahr, diese Verheißung hat Gott mir, mir, mir gegeben.  Zu Dr. Luther kam eine Frau in großer Anfechtung und sagte, sie könnte nicht glauben, daß sie selig würde; sie müßte verloren gehen.  Da ließ er ihr den zweiten Artikel des kleinen Katechismus hersagen und fragte dann, ob sie das glauben könne? Und als sie das bejahte, da ließ er sie gehen und sagte:  So du das glaubest, so stehts wohl mit dir.  In der That, wer das sagen kann:  “Ich glaube an Jesum Christum . . .  der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels”, der hat Leben und Seligkeit. - - Mit jenem Spruch wird auch der papistische Wahn zurückgewiesen, als sei der Glaube eine Art Tugend neben der Liebe und Hoffnung, und der schwärmerische Wahn, als mache der Glaube als eine Veränderung im Herzen des Menschen Gott angenehm, daß also Gott um des Glaubens willen am Menschen ein Wohlgefallen habe.  Nein, nicht der Glaube gibt dem Menschen Werth vor Gott, sondern Christus, den der Glaube ergreift.  Es ist damit wie mit einem einfachen Ring, in den ein Diamant gefaßt ist.  Woher hat der nun seinen hohen Werth?  Er liegt nicht im Ring, sondern im Edelstein, der darein gefaßt ist.  So ists auch mit dem Glauben, der Christum erfaßt und damit einen beseligenden Schatz in sich hat.  Die Concordienformel redet davon so:  “Welche Güter uns in der Verheißung des heiligen Evangelii durch den Heiligen Geist fürgetragen werden und ist allein der Glaube das einige Mittel, dadurch wie sie ergreifen, annehmen und uns appliciren und zueignen; welcher ist eine Gabe Gottes, dadurch wir Christum unsern Erlöser im Wort des Evangelii recht erkennen und auf ihn vertrauen, daß wir allein um seines Gehorsams willen aus Gnaden Vergebung der Sünden haben für fromm und gerecht von Gott dem Vater gehalten, und ewig selig werden. . . . .  Denn der Glaube macht gerecht, nicht darum und daher, daß er ein so gut Werk und schöne Tugend, sondern weil er in der Verheißung des heiligen Evangelii den Verdienst Christi ergreift und annimmt; denn derselbige muß uns durch den Glauben applicirt und zugeeignet werden, wenn wir dadurch gerecht sollen werden, daß also die Gerechtigkeit, die vor Gott denn Gläubigen oder dem Glauben aus lauter Gnaden zugerechnet wird, ist der Gehorsam, Leiden und Auferstehung Christi, da er für uns dem Gesetz genug gethan und für unsere Sünde bezahlet hat. - - Solche Gerechtigkeit

 


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wird durchs Evangelium und in den Sacramenten von dem Heiligen Geist uns fürgetragen und durch den Glauben applicirt, zugeeignet und angenommen, daher die Gläubigen haben Versöhnung mit Gott, Vergebung der Sünden, Gottes Gnade, die Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens.” (Seite 611 612).  Wir werden durch den Glauben gerecht ist also eine metonymische Rede, d h es wird hier das Enthaltende für das Enthaltene genannt; es soll also damit gesagt sein:  Wir werden gerecht durch Christum, den der Glaube ergreift.  Wie man sagt, es wird Jemand durch das Essen gesättigt, und doch ists die Speise, die ihn sättigt, nicht das Essen so sagen wir dem, der geistlich hungert:  Willst du selig werden, so mußt die nehmen, was der Herr dir anbietet, aber das Nehmen stillt seine Seele nicht sondern die Gnade; so ist der Glaube ohne Christum gar nichts werth und nur der Glaube an Christum ists, der gerecht macht.  Hiezu kommt nur noch dieses, was in neuerer Zeit noch mehr zu betonen sein wird, daß auch der Glaube ein lauteres Gnadengeschenk Gottes ist.  Der Mensch, sagt die Concordienformel, verhält sich in seiner Bekehrung mere passive d h nur leidend; er thut nichts, sondern es wird etwas an ihm gethan, und erst wenn der liebe Gott den Glauben in uns erzeugt hat, dann kann er anfangen mitzuwirken.  In neuerer Zeit aber haben die Iowaer offen die Lehre auf gesprochen, die letzte Entscheidung beim Seligwerden stehe schließlich beim Menschen.  Sie sagen, es sei freilich wahr, daß der Mensch aus Gnaden selig werde, aber wenn Gott die Gnade anbiete, dann könne der Mensch vorläufig so viel Gnade haben, daß er nun mitwirke und sich selbst entscheide.  Durch die Gnade werde nämlich der Wille des Menschen so weit befreit, daß er sich frei entscheiden könne für Annahme oder Verwerfung der Gnade, so daß also der Mensch dadurch selig werde, daß er die angebotene Gnadenkraft trebenutze.  Wir können freilich nach unserer Vernunft nicht anders schließers als: Wenn die einen die Gnade annehmen und andere nicht, während alle in gleicher Ohnmacht und Schuld liegen, so muß das daran liegen, daß ist ersteren besser sind, weil sie sich für Annahme der Güter entscheiden.  Allein Gottes Wort erklärt, daß die Verdammniß aus Schuld des sich selbst vorstockenden Menschen über ihn komme, dagegen daß der Glaube ein freich Gnadengeschenk Gottes sei, wodurch der Mensch die Gerechtigkeit Christi sie zueignet.

                    Thesis 10:  “Der Glaube an Christum macht also gerecht und selig nicht weil er als ein ausgezeichnetes Werk des Menschen ein so überschwäng liches Verdienst bei Gott erwürbe, und als Genugthuung für die Sünden Gott mit den Menschen aussöhnte, sondern weil er auf Seiten des Menschens die Nehmehand ist, welche den Schatz des Verdienstes Christi und also hat Vergebung, Gerechtigkeit und Seligkeit, welcher in der Gnadenverheißung dargeboten und geschenkt wird, wirklich ergreift und annimmt.  Der Glauben macht auch nicht deshalb vor Gott gerecht und selig, weil Gott aus frei Gnade und Liebe willig wäre, ihn als ein verdienstliches Werk der Gerechtigkeit

 


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keit und des Gehorsams gegen Gottes Wort gelten zu lassen, sondern deshalb, weil der Schatz des Verdienstes Christi, welchen auch der schwächste Glaube in der Verheißung des Evangeliums ergreift, wirklich eine vollgiltige Genugthuung für alle Schuld und Strafe der Sünden, sowie einen vollkommen Gehorsam gegen alle Forderungen des Gesetzes Gottes in sich begreift.”

                    Dieser Satz ist dem vorigen noch hinzugefügt worden, weil neben der falschen Lehre, daß der Glaube ein so hohes, verdienstliches Werk sei, noch eine weitere falsche Lehre der Arminianer zurückzuweisen ist, welche sagen: die Gnade Gottes bestehe gerade darin, daß er diesen Glauben so viel gelten lassen wolle, daß auch der schwächste Glaube, und wäre es nur ein Fünklein, sofern er nur Glaube ist, Christum hat mit seinem ganzen Verdienst, weil er eben Christum ergreift, der ja einen so vollkommen Gehorsam geleistet und eine so vollständige Erlösung durch sich selbst zuwege gebracht hat, daß wer ihn hat, auch vollkommen selig ist.  Nun bleide es sich aber ganz gleich, ob Jemand einen Edelstein mit der starken Hand eines gefunden Mannes oder mit dem schwachen Finger eines kranken Kindes hält, wenn er ihn nur hält.

                    Thesis 11:  “Der Glaube des Einzelnen bewirkt auch nicht durch seine Kraft, daß die evangelische Gnadenverheißung, welche Gott im Wort des Evangeliums oder der Absolution auspricht, wirklich giltig, kräftig und wahr wird, sondern hält sich einfach an die Verheißung der Gnade und Vergebung als eine göttlich wahre und kräftige, und indem er so die Verheißung Gottes annimmt, ergreift er darin zugleich die Gabe der Gerechtigkeit und Seligkeit und hat, was die Worte sagen und wie sie lauten.”

                    Die Sache, welche hier ausgedrückt wird, haben wir bereits bei den vorigen Thesen eingehend besprochen, daß nämlich der Glaube dem Evagelio und der Absolution nicht erst den Gehalt gibt.  Des Glaubens Amt ist nicht, Inhalt zu geben, sondern den Juhalt, welchen Gott in die Gnadenmittel gelegt hat, heraus zu nehmen, daher nie in der heiligen Schrift die Rede zu finden ist, wegen oder um des Glaubens willen, sondern immer:  “durch oder aus dem Glauben.”  Hieher gehören auch alle Stellen des Concordienbuches, in welchen gesagt wird, daß das Evangelium ohne Glauben nichts nütze, obwohl der Schatz überschwänglich sei.  Denn ein ander Ding ist es, daß der Schatz da ist, und ein anderes, daß er etwas nütze.

                    Thesis 12:  “Wenn ein Einzelsünder durch den Glauben die Verheißung des Evangelii im Wort oder Sacrament ergreift, und sich so den Schatz des Verdienstes Christi zu seiner Rechtfertigung und Seligmachung zueignet, wird derselbe auch von Gott als in einer gerichtlichen Handlung vor dem Richterstuhl Gottes für einen solchen angesehen, gerechnet und erklärt, der nun für seine eigene Person des Verdienstes und der Gerechtigkeit Christi zu seiner Seiligkeit theilhaftig und also durch den persönlichen Besitz der Wohlthat Christi auch persönlich gerecht und ein Erbe des ewigen Lebens ist.”

 


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                    Die Absicht dieser Thesis ist, darzuthun, daß, obgleich wir so lehren, daß allen Menschen Vergebung der Sünden erworben und der Erwerbung nach Gerechtigkeit und Seligkeit für alle Menschen vorhanden ist, und obgleich wir zum andern auch das lehren, daß im Wort und Sacrament dieser Schatz auch allen angeboten und vorgetragen wird, wir dennoch nicht leugnen, daß Gott den Einzelnen, wenn er nur diesen Schatz annimmt, in Christo und durch Christum für einen solchen hält, der diese Gerechtigkeit hat, und daß er in derselben Stunde, so zu sagen, ins Buch des Lebens eingeschrieben wird, und daß das die Rechtfertigung sei, welche im kirchlichen Sprachgebrauch schlechthin die Rechtfertigung eines armen Sünders genannt wird, weil da jeder Einzelne vor Gott im Gericht steht und für seine Person von ihm losgesprochen wird.  Dieser actus forensis d i gerichtliche Handel geht durch das ganze Leben des Menschen hindurch, denn immer aufs Neue erklärt Gott den Menschen frei von Sünde, Tod und Gericht.  So lehren wir: wenn der einzelne Gläubige des Schatzes, welchen Christus erworben hat, theilhaftig ist, so lasse Gott in seinem Gericht das gelten, da er in Christum eingegangen ist, wie der Apostel sagt:  “So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind”; nun hat er Theil an der Erlösung, die Christus erworben hat.  Vor dem Glauben ist der Sünder vor Gott gerecht nur der Erwerbung und der göttlichen Absicht nach, aber wirklich (actu) gerecht, für seine Person gerecht, thatsächlich gerecht ist er erst, wenn er glaubt.  Es ist eben hiemit ähnlich, wie mit der Versöhnung.  Gott ist mit uns versöhnt, ehe wir glauben, wenn wir noch Feinde sind; wenn wir aber zum Glauben kommen, werden wir auch mit Gott versöhnt.  So sagt zB Quenstedt: Wie Christus uns mit Gott versöhnt hat durch sein Sterben, so versöhnt er uns mit Gott kraft seines Todes, indem er uns bekehrt durch das Wort vom Kreuz.  Denn darin besteht ja eben die Bekehrung eines Menschen, daß er zum Glauben gebracht wird.  Dadurch werden wir mit Gott versöhnt, nachdem Gott mit uns versöhnt ist durch Christi Tod.  In der Concordienformel heißt es daher:  “Das Blut Christi reiniget uns von allen Sünden, 1 Joh 1,7, nicht allein nach dem Verdienst, welches am Kreuz einmal verrichtet, sondern Johannes redet an demselben Ort davon, daß uns im Werk oder Handlung der Rechtfertigung nicht allein die göttliche Natur in Christo, sondern auch sein blut per modum efficaciae, das ist, wirklich reiniget uns von allen Sünden.” (Art 8 Seite 686).