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1876 Northern-Huegli, (Walther)-Articles and Analogy of Faith
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1876 Northern-Huegli, (Walther)-Articles and Analogy of Faith

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Lehrverhandlungen.

Gegenstand der Lehrverhandlungen waren von Herrn Pastor  I. A. Hügli verfaßte

Thesen über die Artikel und die Analogie des Glaubens.

Hier folgen nun dieselben in der von der Synode angenommenen Form nebst den hauptsächlich zu den angeführten Beweisstellen gemachten Bemerkungen und Erklärungen, sowie nebst Zeugnissen aus unfern Bekenntnissen und den Schrift.» unserer rechtgläubigen Väter.

Thesis 1.

Alles, was in der heiligen Schrift enthalten ist, ist um der göttlichen Offenbarung willen bei Verlust der Seelen Seligkeit zu glauben und anzunehmen; daher die ganze heilige Schrift das organische Fundament des Glaubens genannt wird.

2 Tim. 3,'16. Matth. 5, 19. Offenb. Joh. 22, 19. Ephes. 2, 20.

Diese These ist deswegen vorangestellt, damit man nicht meine, weil von Artikeln des Glaubens geredet wird, als ob nicht Alles, was in der heiligen Schrift steht, wichtig ist und angenommen werden muß. Alles, was die


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heilige Schrift enthält, ist Gegenstand des Glaubens. Um der göttlichen Offenbarung willen muß es geglaubt werden; denn Gott kann nicht lügen. Wer Ein Wort der heiligen Schrift verwirft, der verwirft d e ganze Schrift; wer Ein Wo t nicht annimmt, der nimmt Gott selbst nicht an. Ioh. 10, 35. steht geschrieben: „So er die Götter nennt, zu welchen das Wort Gottes geschah; und die Schrift kann doch nicht gebrochen werben": d. h., von der heiligen Schrift kann man doch nicht abgehen. Christus will sagen: Ihr Juden stoßt euch daran, daß ich mich Gott nenne, und doch les't ihr in der Schrift: Ich habe gesagt, ihr seit- Götter; da ihr euch nun daran stoßt, daß ich mich Gott nenne, so stoßt ihr euch an etwas, was in der S onst steht. Die Schrift kann nicht gebrochen werden, Niemand darf sich unterstehen, die Schrift corrigiren zu wollen. — Zu Eva sagte der Teufel: „Ja sollte Gott gesagt haben"; d. h., sollte das Gott gesagt haben? das ist nicht zu glauben! — Einen Jrrthum wider Gottes Wort erlauben, ist dasselbe, als -Sünde erlauben. Es ist antichristisch, wenn man sagt: Das ist ein unbedeutender Jrrthum. 5 Mos. 4, 2. heißt es: „Ihr sollt nichts dazu thun, das ich euch gebiete, und sollt auch nichts davon thun, auf daß ihr bewahren möget die Gebote des HErrn, eures Gottes, die ich euch gebiete"; also nicht etwa nur die Hauptstücke nicht, sondern nichts. — Die Secten sind immer bereit, zu sagen: Die Schrift ist von Gott eingegeben; aber in der Praxis leugnen sie es fort und fort. Entgegnet man ihnen: So steht aber doch geschrieben; so antworten sie: Seid ihr denn Buchstabenknechte; kann man denn das allemal glauben, was buchstäblich da steht? Daraus sieht man das Unchristliche d>r Secten. Darüber werden sie nicht unruhig, daß sie trotz der heiligen Schrift anders lehren! — Ephes. 2, 20. heißt es: „Erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten, da JEsus Christus der Eckstein ist"; hier wird die Schrift der Grund genannt, auf welchem alle Christen gebaut sein müssen. Die Schrift ist daher das organische oder werk-zeugliche Fundament. Man kann den Grund von verschiedenen Seiten an-sehen; daher redet man von dreierlei: 1. von einem persönlichen Grund; derselbe ist JEsus Christus; wenn dieser nicht wäre, so könnte man nicht selig werden. 2. von einem Mittelgrund oder organischen Fundament; die Schrift ist das Mittel, daß wir JE>um Christum erkennen können. 3. von einem Grund in Absicht auf die Lehre; von einem Lehrgrund. Es steht z. B. Vieles in der Schrift, was nütze ist zur Lehre, worauf man aber seine Seligkeit nicht gründet. Darauf z. B., daß in der Schrift erzählt wird, daß die Heiligen im Alten Testament Krieg geführt haben u. s. w., wird doch Niemand seine Seligkeit gründen; daß geschrieben steht, Judas habe sich er-henkt, gibt uns keinen Trost im Leben und Sterben; dennoch aber muß man das alles annehmen, weil es in der Schrift steht. Es muß aber auch in der heiligen Schrift Lehren geben, welche den eigentlichen Grund bilden. — Wenn Jacobuö schreibt (Cap. 2, 10.): „So Jemand das ganze Gesetz hält, und sündiget an Einem, der ists ganz schuldig"; so will er damit auch sagen:

Wer die ganze Bibel annimmt, will sich aber auch nur einer einzigen Stelle nicht unterwerfen, der verwirft die ganze Bibel; der ist verdammt, der nicht thut, was Gott zu thun geboten hat; aber auch der, wer nicht glaubt, was ihm Gott in seinem Wort zu glauben befohlen hat. Von Natur ist jeder Mensch ein Atheist; sobald er aber zum Glauben an Christum kommt, so hört das auf. — Die Secten haben, wenn sie richtig lehren, doch nur bestimmte Licblingslehren, z. B. von der Buße und Bekehrung, vom Leiden Christi u. s. w.; es gibt aber eine Menge anderer Lehren in der Schrift, die sie nie in den Mund nehmen, sondern mit tiefster Verachtung behandeln. Wie sollten wir doch Gott danken für die lutherische Kirche, welche als die reine sichtbare Kirche solches nicht thut. Luther bezeugt, ihm mache ein einziger Spruch die Welt zu enge; damit will er sagen, daß, wenn auch nur ein einziger Spruch wider ihn sei, er aus der Welt fliehen möchte; weil er sich aber in Demuth jedem Spruch unterwirft, so brauchts auch der Flucht nicht mehr. Die lutherische Kirche unterwirft sich dem Worte unbedingt, das ist das beste Zeugniß für sie. Luther sagt, die Schrift menkelt oder mäkelt nicht; denn der liebe Gott laßt sich nichts abhandeln; man darf daher nicht zu ihm sagen: Lieber Gott, das kann ich ja doch nicht glauben: das mußt du mir Nachlassen! — Wenn Christus Matth. 5, 18. 19. sagt: „Denn ich sage euch, wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ei» Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöset, und lehret die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber thut und lehret, der wird groß heißen im Himmelreich"; so will er damit sagen: Vom Gesetz d. h. vom Alten Testament, wird auch nicht einmal e n Tüpfelchen oder Häkchen vergehen; wer aber eins von diesen kleinsten Geboten auf-löf't, über den wird im Himmelreich das Urtheil gefällt, daß er der Unterste ist, d. h. in die Hölle gehöre. — Auf vem „menkeln" beruht die Union. — Weshalb streiten wir daher immer so viel? Antwort: Es muß sein; nicht nur ein Prediger, sondern jeder Christ soll ein Wächter der Lehre sein. Man wirft uns vor: Ihr setzt die Symbole über die Schrift; ihr treibt Symbolo-latrie; aber das sind leere Reden. Wir stellen die Symbole so hoch, weil sie sich zu Gottes Wort bekennen, weil sie damit genau übereinstimmen. Die uns schelten, sind es aber gerade, welche die wenigste Achtung vor der Schrift haben; von den Symbolen wollen sie nichts wissen, weil sie nicht an die Schrift gebunden sein wollen.

Thesis 2.

Unter Artikeln des Glaubens versteht man jedoch Stücke oder Theile der göttlichen Lehre, die uns zu glauben von Gott vorgeschrieben ist, um die ewige Seligkeit zu erlangen, die aber unter sich und mit dem ganzen Glaubensfundament unzertrennlich verbunden sind.

I Cor. 15,1—4. Ebr. 6, 1. 2. Ebr. 5,12.


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Das Wort Artikel bedeutet ein Gelenk oder Glied und ist übertragen auf gewisse Lehrsätze, die unter einander so innig verbunden sind, wie die Glieder des menschlichen Leibes durch die Gelenke. Röm. 12, 7. heißt es: „Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich." Es muß al,o in der heiligen Schrift etwas stehen, was den eigentlichen Glauben bildet; denn die Auslegung soll dem Glauben ähnlich sein. Es muß eine Menge klarer Stellen geben, in welchen der christliche Glaube enthalten ist, die auch der Einfältigste sogleich als Lehre des Glaubens erkennt, wie z. B. daß Christus uns erlässt hat. — Theil und Glied ist von einander unterschieden. Es gibt auch Theile in der heiligen Schrift, die in keiner solchen Verbindung mit dem Ganzen stehen, daß durch deren Wegnahme das Ganze verstümmelt würde. Ein Glied ist das, was mit dem Leibe so verbunden ist und zu ihm gehört, daß der Leib durch Wegnahme desselben verstümmelt wird; ein Artikel des Glaubens ist daher eine solche Lehre, die zum Lehrkörper noth-wendig gehört und so eng mit ihm verbunden ist, daß der ganze Lehrkörper verstümmelt ist, wenn ein solcher Artikel oder Glied des Glaubens hinweggenommen wird.

1 Cor. 15, 1—4. heißt es: „Ich erinnere euch aber, lieben Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch stehet, durch welches ihr auch selig werdet, welcher Gestalt ich es euch verkündigt habe, so ihr es behalten habt, es wäre denn, daß ihr es umsonst geglaubt hättet. Denn ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, daß Christus gestorben sei für unsre Sünden, nach der Schrift; und daß er begraben sei, und daß er auferstanden sei am dritten Tage, nach der Schrift." Die Lehren von Christi Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen sind die großen Hauptartikel, ohne deren Kenntniß Niemand in den Himmel kommen kann; nimmt man die weg, so ist der ganze Lehrkörper verstümmelt; sie sind das eigentliche Herz; sobald man das Herz aus der Person nimmt, so nimmt man ihr Alles, wenn man ihr auch sonst alle andern Glieder läßt. Darum schreibt der Apostel: Denn ich habe euch zuvörderst gegeben; damit will er sagen: das ist das Erste, das Noth-wendige, ohne dessen Kenntniß man nicht selig werden kann. Wenn ich das Herz nicht habe, die Lehre von Christo nämlich, so hilft wir z. B. auch die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit nichts. Diese Lehre liegt in der Lehre von Christo und wird durch sie erst heilsam; denn wer nicht glaubt, daß Christus sein Heilanv ist, dem hilft der Glaube an den dreieinigen Gott nichts. Wir werden nicht selig durch den Glauben an Gott den Vater oder durch den Glauben an Gott den Heiligen Geist, sondern durch den Glauben an JEsum Christum, daß er für uns gestorben und auferstanden ist. Die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit ist sehr nöthig: gibt es keinen Vater, so gibts auch keinen Sohn u. s. w.; es kann auch Niemand selig werden, der diese Lehre nicht weiß; aber eben der Glaube an den dreieinigen Gott wird erst durch den Glauben an JEsum Christum ein seligmachender. Offenb.

Joh. 19, 10. heißt es: „Das Zeugniß aber JEsu ist der Geist der Weissagung"; das Zeugniß JEsu ist das Herz, der Hauptinhalt der Weissagung; daran soll man den Geist Gottes erkennen, daß JEsus Christus in das Fleisch gekommen ist; das ist die Hauptlehre.

Hollaz: „Zu einem wahren Glaubensartikel gehört: 1. daß er in dem geschriebenen Worte Gottes geoffenbart sei; 2. daß er die Seligkeit des Menschen betreffe; 3. daß er mit den übrigen Dogmen des Glaubens innig verbunden sei; 4. daß er inevident sei, das ist, nicht aus dem Licht der Natur, .sondern aus dem übernatürlichen Lichte der Offenbarung erkannt oder erforscht werden könne." (Lxam. krolsZom. II. 9. 14.        44.)

Wenn es in der These heißt: Unter Artikeln des Glaubens versteht man jedoch Stücke oder Theile der göttlichen Lehre u. s. w., so ist das die Definition der Glaubensartikel. Hiernach kann nur Gott selbst Glaubensartikel stellen; aber kein Mensch. Gott allein kann ja nur selig machen, daher kann er auch allein die Mittel dazu und den Weg dahin vorschreiben. Der Pabst maßt sich an, Glaubensartikel zu stellen; er ist daher der Antichrist. Verflucht aber ist, wer etwas zu den bereits gestellten Glaubensartikeln hinzuthut. — Darüber^ daß die Glaubensartikel unter sich und mit dem ganzen Glaubensfundament unzertrennlich verbunden sind, schreibt

Ouenstedt: „Das Wesen (iormu) der Artikel im Allgemeinen (an sich) besteht nicht in der Uebereinstimmung mit der geschriebenen Offenbarung Gottes, sondern in der Beziehung, in welcher die unter sich verschiedenen Hauptstücke des Glaubens sowohl zu einander, als auch, und zwar insonderheit, zu dem ganzen Lehrkörper stehen, dessen einzelne Glieder sie sind." (Iksol. äick.-xolsm. k. 1. toi. 549.)

Das Glaubensfundament desinirt folgendermaßen

I. Fecht: „Das Fundament der Seligkeit ist Christus oder die Lehre von der gnädigen Vergebung der Sünden durch das mit dem Glauben ergriffene Verdienst Christi, welches nach Ephes. 2, 20., 1 Cor. 3, 11. die wahre und keinem Trug unterworfene Vorstellung vom Fundament ist. Ein Artikel des Glaubens ist daher alles, was in diesem Fundament enthalten ist, und ohne den eben das, was im Fundament enthalten ist, weder eingesehen noch verschafft werden (xroourari) kann." (8MoZ. eontro-vsrs., x. 40.)

Rollius setzt hinzu: „Es sind hier die primären Fundamental-Artikel des Glaubens gemeint, welche unbeschadet der Seligkeit weder geleugnet werden noch unbekannt sein können." (1^. o. x. 43.)

Ebr. 6, 1. 2. redet der Apostel von Fundamentalartikeln, nämlich von der Lehre von der Buße; vom Glauben an Gott; von der heiligen Taufe; von der Lehre; vom Händeauflegen; von der Auferstehung und vom Gericht. Hier werden also hie allerprimärsten Fundamentalartikel des Glaubens aufgeführt.


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Ebr. 5, 12. wird geredet von den Elementen des Anfangs der göttlichen Worte, was Luther so schön übersetzt hat: „die ersten Buchstaben". Willst du ein Kind Gottes werden, so mußt du das zuerst lernen.

Die Glaubensartikel sind gleich einer aus vielen Gliedern bestehenden Kette, von welcher das eine äußerste Glied oben im Himmel und das andere hier auf Erden ist. Nun ist es aber nicht nöthig, gleich eine ganze Menge von Gliedern herauszunehmen, um die Verbindung zwischen Himmel und Erde zu stören, sondern die Wegnahme eines einzigen Gliedes zerreißt das Band zwischen Himmel und Erde, und wenn die Kette auch Tausende von Gliedern hätte, so wäre sie doch zerrissen, mag man das Glied herausnehmen, wo man will, in der Mitte oder nahe am Ende. Luther vergleicht sie auch mit einem Ring. Ein Ring ist eine Linie, die weder Anfang noch Ende hat; der Ring ist daher ein Bild der Ewigkeit. Bekommt nun der Ring einen Sprung, so ist er kein Ring mehr. Die Glaubensartikel bilden einen Ring: bekommt nun dieser Ring einen Sprung, so ist es kein Ring mehr; wird nämlich ein Glaubensartikel herausgenommen, so wird damit auch allen andern die Bedeutung genommen.

Thesis3.

Die einzelnen Artikel unseres Glaubens entstehen nicht erst durch eine sogenannte dogmenbildende Bewegung in der Kirche, oder durch den Consens der Kirche, sondern sie waren von Anfang an in der heiligen Schrift klar dargelegt und wurden auch von der Kirche jeder Zeit geglaubt; wiewohl sie zu einer Zeit besser erkannt und deutlicher erklärt worden sind, als zu einer anderen.

Ap. Gesch. 15, 10. 11.; 26, 22. 1 Cor. 1, 5—7.

Diese These soll der falschen Meinung entgegentreten, als ob die Glaubensartikel sich erst nach und nach bildeten. Die Jowasynode lehrt, die Lehrartikel bilden sich nach und nach durch die Thätigkeit der Kirche, namentlich im Kampf gegen die Irrlehre. So lehrt auch das Dorpater Gutachten: die Symbole sind die Marksteine der Entwickelung des Lehrgangs. — Wenn die falschen Lehrer unserer Zeit darüber gestraft werden, daß sie falsch lehren, so besteht ihre Art zu antworten darin: Man muß zwischen den Lehren unterscheiden, welche schon angenommen sind, und denen, über welche noch nicht entschieden ist, über die die Kirche noch nicht entschieden hat. Das ist aber eine schändliche Theorie; denn daraus folgt, daß das erst ein Glaubensartikel ist, was die Kirche durch ihre Entscheidung dazu gemacht hat. Das ist protestantisches Pabstthum. Gott hat alle Artikel des Glaubens durch die heilige Schrift festgesetzt, daher die Schmal-kaldischen Artikel also bekennen:

„Augustinus sagt, seine Mutter habe begehrt, daß man ihr sollt gedenken bei dem Altar oder Sacrament. Nun solches alles, ist ja nichts denn

Menschen-Andacht gewesen einzelner Personen, die keine Artikel des Glaubens, welches allein Gott zugehört, stiften. Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen, sonst Niemand, auch kein Engel." (Th. 2. Art. 2.)

Daß die Glaubensartikel erst nach und nach sich bilden sollen, streitet auch wider die Geschichte der ersten Kirche: denn sie hatte ja die Lehren schon; wie können daher dieselben erst nach und nach gemacht worden sein?

Ap. Gesch. 15, 10. 11. heißt es: „Was versucht ihr denn nun Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben mögen tragen? Sondern wir glauben durch die Gnade unseres HErrn JEsu Christi selig zu werden, gleicherweise wie auch sie." Die damaligen Gläubigen haben also.denselben Glauben gehabt, den die Väter hatten, und sind denselben Weg des Glaubens gegangen, und diesen Weg gehen auch wir.

Ap. Gesch. 26, 22. heißt es: „Aber durch Hilfe Gottes ist es mir gelungen, und stehe bis auf diesen Tag und zeuge beide, dem Kleinen und Großen; und sage nichts außer dem, das die Propheten gesagt haben, daß es geschehen sollte, und MoseS." Paulus predigte also nichts weiter, als was schon Moses und alle Propheten gepredigt hatten. Wenn die heiligen Apostel also reden, wie dürfen wir denn sagen: wir wollen neue Lehren machen? Solche neue Lehren sind dann nichts weiter als Basiliskeneier!

1 Cor. 1, 5—7. heißt es: „Daß ihr seid durch ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntniß. Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig worden ist, also daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe, und wartet nur auf die Offenbarung unseres HErrn JEsu Christi." Sie hatten also alle Lehre und alle Erkenntniß; und Ephes. 4, 5. steht geschrieben: „Ein HErr, Ein Glaube" u. s. w.

Musäus: „Es hat auch nichts auf sich, daß man sagt, die fundamentalen Glaubensartikel können in der Kirche nicht wachsen. Denn dies leugnen wir nicht, sondern bekennen es alle mit Einem Munde, daß alles, was zur Seligkeit zu glauben nöthig ist, schon von den Aposteln an sowohl mündlich gelehrt, als auch in die heilige Schrift ausgenommen und so schriftlich auf die Nachwelt fortgepflanzt worden ist, und daß nichts einen Platz verdient unter den nothwendigen Glaubensartikeln, außer was in der heiligen Schrift enthalten und daraus in der katholischen Kirche immer gelehrt, immer geglaubt worden ist, und wenn es ein Engel vom Himmel vorgelegt hätte, nach Gal. 1, 8. Aber etwas anderes ist es, daß die fundamentalen Artikel nicht wacksen können, etwas anderes, daß die dem Glaubens-

Fundament entgegenstehenden Ketzereien nicht wachsen können                

Die Wahrheit in jedem Glaubensartikel ist Eine und einfach, die Falschheit aber, durch welche sie entweder direct oder indirekter-


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schlittert oder umgestoßen werden kann, ist eine verschiedene und vielfache. Jene pflegte die erste Kirche mit an sich hinreichend deutlichen Worten blos darzulegen und zu lehren, ohne Rücksicht auf fremdartige und spitzfindige, damals weder vorhandene noch bekannte Auslegungen, welche aber im Laufe der Zeit die Gottlosigkeit der Menschen zur Verkehrung des wahren Schriftsinnes ausgedacht hat. Nachdem aber diese (Schriftverdrehungen) nach und nach einzudringen und daraus Ketzereien zu entstehen anfingen, fing man auch an, die Wahrheit des Glaubens distincter zu erklären und den wahren Sinn der Schriftwerke wider die erdichteten Auslegungen des menschlichen Ingeniums zu retten," (Draotut. äe eoolssiu. <I6NW, 1671. II, 370 8<z.)

I. Adam Scherzer: „Die Scholastiker sagen, die Glaubensartikel seien der bewußten Erkenntniß nach (<zuoaä ooAvitionein explioitain) gewachsen; es ist dies das Geheimniß und Arcanum zur Beförderung der scholastischen Theologie." (Agstein, tü. Dips. 1704. x. 8.)

Wenn z. B. der Ketzer Arius gefragt wurde, ob er glaube, daß Christus Gottes Sohn sei, so antwortete er: Ja! darunter aber verstand er nur einen gemachten Gott. Als daher Athanasius, welcher ein frommer und dabei zugleich kluger Mann war, und welcher wohl merkte, daß Arius etwas anderes meine, als was er sage, ihm die Frage vorlegte: Glaubst du, daß Christus dem Vater wesensgleich ist? so konnte er nicht weiter ausweichen, sondern antwortete: Nein! Darauf wurde er denn als ein Ketzer verdammt und ausgeschlossen. Durch das Wort „wesensgleich" ist nicht ein neuer Glaubensartikel gemacht worden; sondern dadurch ist nur die Lehre von der Gottheit Christi deutlicher erklärt worden. Die Ketzer sind die Ursache, daß die Lehre der Kirche viel deutlicher und bestimmter dargestellt wird. Als die Kirche mit dem Ketzer Arius handelte, mußte die Lehre so klar dargestellt werden, so daß auch der Einfältigste erkennen konnte, daß Arius die Gottheit Christi nicht glaube.

Luther: „Daß sie sagen, sie wollen warten, bis es von der Kirche beschlossen werde, da harre der Teufel auf; ich will so lange nicht warten. Denn die christliche Kirche hat schon alles beschlossen." (Zu Joh. 7, 40. VII, 2345.)

Luther: „Die christliche Kirche hat keine Macht, einigen Artikel des Glaubens zu setzen, hat's auch nie gethan, wird's auch nimmermehr thun. Alle Artikel des Glaubens sind genugsam in der heiligen Schrift gesetzt, daß man keinen mehr sehen darf." (Artikel von der christlichen Ktrchengewalt vom I. 1530. XIX, 1190.)

- ^

Sagen wir: das ist die reine Lehre von der Kirche, vom Amt u. s. w., so schreien sie in Deutschland: das ist ja noch nicht beschlossen; da sind wir ja erst noch darüber. Darauf ist aber zu antworten: Wir machen nicht die Entscheidung, sondern diese ist längst getroffen. Wir gebrauchen freilich in

der Lehre vom Amt den Ausdruck „Uebertragung"; aber dieser Ausdruck ist nur ein genauerer, um die falschen Lehrer zu entlarven. Die Alten haben denselben auch schon gebraucht. Einen solchen Ausdruck kann man wohl gebrauchen, ohne damit eine neue Lehre zu bringen, sondern die alte Lehre nur distincter darzustellen. — Es ist bei unfern Gegnern stehender Ausdruck gewesen: Bei den Missouriern ist immer alles schon fertig. Das ist ganz wahr; denn die Kirche hat nichts zu beschließen; es ist schon alles in Gottes Wort beschlossen; daher ist denn die Kirche freilich immer fert g.

Baier: „Es ist offenbar, vaß in den Conmien nicht neue Dogmen zu machen, sondern daß die alten durch entsprechende Wort- und Redeformeln zu erklären, zu bekräftigen und zu vertheidigen sein." (Oowpeuä. III, o.13. §31.1.)

Die Kirche ist dem Mond zu vergleichen. Bald nimmt der Mond ab, bald nimmt er wieder zu; hie und da tritt auch eine Mondsfinsterniß ein. So ist es auch mit der reinen Lehre. Zur Zeit der Apostel war Vollmond. Zur Zeit nach den apostolischen Vätern aber nahm das Licht schon wieder etwas ab. Als Athanasius den Ketzer Arius überwand und den christlichen Glauben so herrlich darlegte, war wieder Vollmond. Darauf aber trat, so zu reden, eine Mondsfinsterniß ein, da der Antichrist sein volles Regiment in der Kirche hatte. Als aber Gott Luthern erweckte, da ward wiever Vollmond; da ward es in der Kirche wieder so hell, wie am Tage. Zm siebenzehnten Jahrhundert aber fing es schon wieder an, sich ein wenig zu neigen. Darauf kam die Zeit des Rationalismus, da nahm der Mond so sehr ab, daß fast wieder völlige Finsterniß herrschte. Im Jahre 1817 ging der Mond wiever auf. Und wo die reine Lehre jetzt im Schwange geht, da ist nun wieder Vollmond. In einer solchen Zeit leben auch wir; wir haben das Helle Licht der reinen Lehre, doch nicht durch unser Verdienst, sondern allein durch Gottes Gnade. — Es ist wahr, daß z. B. die Lehre von der Rechtfertigung seit der Zeit der Apostel nie so herrlich geleuchtet hat, als zur Zeit Luthers; das ist aber doch keine Bildung neuer Lehren. — Die neueren Theologen lehren, daß nur der Keim des Begriffs einer Lehre in der heiligen Schrift liege, daß aber in der Kirche derselbe sich entwickele!

Thesis 4.

Die Artikel des Glaubens werden eingetheilt in fundamentale (Grundartikel) und sogenannte nicht-fundamentale.

1 Cor. 3, 10—15. heißt es: „Ich von Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein Anderer bauet darauf. Ein Jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue. Einen andern Grund kann zwar Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist JEsuS Christus. So aber Jemand auf diesen Grund bauet Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stoppeln: so wird eines Jeglichen Werk offenbar


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werden, der Tag wird es klar machen; denn eS wird durchs Feuer offenbar werden, und welcherlei eines Jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Wird Jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat; so wird er Lohn empfangen. Wird aber Jemandes Werk verbrennen, so wird er deß Schaden leiden; er selbst aber wird selig werden, so doch, als durchs Feuer."

Die Scbrift selbst macht also den in der These angegebenen Unterschied. Wenn der Apostel von Gold, Silber und Edelsteinen redet, so will er damit sagen, daß man nur das auf den gelegten Grund, JEsum Chnstum, bauen soll, was im Feuer besteht; mit Holz, Heu. Stoppeln dagegen meint er alles das, was nicht im Feuer der Trübsal, Anfechtung und Todesnoth bleibt. Ist ein Haus von Holz gebaut, so besteht es nicht im Feuer. Gold und Silber aber wird nicht durch das Feuer zerstört, sondern nur geläutert. Cyprian's Meinung von der Ketzertaufe, wie auch Athanasius' Meinung vom Mönchswesen gehört zu dem „Holz, Heu, Stoppeln", das sie auf den Grund bauten; diese Jrrthümer waren daher keine grundstürzenden. Daß aber Athanasius lehrte, daß Christus d m Vater wesensgleich sei, das war Gold, Silber und Edelstein, das blieb stehen.

Hunnius schreibt über fundamentale und nicht-fundamentale Artikel also: „Bei einem Gebäude kommt dreierlei zusammen: 1. einiges trägt und wird nicht getragen (küväant et nov kunäantur); 2. einiges trägt und wird getragen; 3. einiges wird getragen und trägt nicht. Von der ersten Claffe ist das Fundament und was dasselbe wesentlich ausmacht. Von der zweiten Claffe sind die zwischenliegenden Wände, welche auf die untern Theile sich stützen und die oberen tragen. Von der dritten Claffe ist das obere Ende, das Dach und was dazu gehört. Da nun aber die dritte Claffe in keiner Weise trägt, die zweite nur zum Theil und in gewisser Beziehung, die erste durchaus, so gehört weder der letzten, noch der mittleren, sondern allein der ersten der Name des Fundaments, auf welche Claffe die übrigen in Beziehung stehen, mag dies nun unmittelbar geschehen oder vermittelst einer andern Claffe."        § 13.)

Ein Haus hat 1. einen Grund; dieser trägt dasselbe; entfernt man den Grund, so stürzt das ganze Haus zusammen. Der Grund trägt nur und wird nicht getragen. 2. hat ein Haus Wände, diese tragen das Dach und alles, was auf den Wänden ruht; die Wände aber werden wiederum von dem Grunde getragen; entfernt man den Grund, so stürzen die Wände zusammen und was auf ihnen ruht. 3. hat ein Haus auch ein Dach; dieses trägt gar nichts, sondern wird getragen. Die primären Fundamentalartikel sind daher solche, die den Grund bilden. Nun gibt es aber auch solche Lehren, die nicht den Grund bilden; z. B. bild.t die Lehre von den göttlichen Eigenschaften, die Christo nach seiner menschlichen Natur mit-getheilt worden sind, nicht den Grund; wohl aber trägt diese Lehre wiederum andere. Die Lehre von den Engeln bildet auch nicht den Grund. Alles, was nicht nothwendig aus den Grundlehren folgt, das ist nicht fundamental.

Inder Apologie, Artikel von der Kirche, heißt es also: „In dem Haufen, welcher auf den rechten Grund, d. i. Christum und den Glauben, gebaut ist, sind viel Schwache, welche auf solchen Grund Stroh und Heu bauen, d. i. etliche menschliche Gedanken und Opinionen, mit welchen sie doch den Grund, Christum, nicht umstoßen noch verwerfen; derhalben sie dennoch Christen sind und werden ihnen solche Fehl vergeben, werden auch etwa erleuchtet und besser unterrichtet."

Die da menschliche Gedanken und Meinungen auf den Grund bauen, die nehmen damit den Grund selbst nicht hinweg; wer aber z. B. leugnet, daß Christus wahrer Gott ist, der nimmt den Grund hinweg. Es gibt Fundamentallehren, die ein Mensch nicht wissen und dabei doch auf dem Grund der Seligkeit stehen kann. Solche Lehren sind z. B. die Lehre von Kirche und Amt; die Lehre vom heiligen Abendmahl. Diese Lehren sind nicht der Grund selbst.

Thesis 5.

Die fundamentalen sind diejenigen, auf welche unser Glaube gebaut ist, die den Glauben erzeugen und durch welche der Glaube erhalten wird.

ICor. 15, 1—4. Ebr. 6,1. 2. Ebr. 5, 12.

Welches ist der Glaube, der da selig macht? Es ist der, daß ich glaube, daß ich durch Christum einen gnädigen Gott habe. Wer diesen Glauben nicht hat, der mag glauhen, was er will, er hat nicht den seligmacherrden Glauben. Es genügt nicht, daß man recht viel aus der Bibe- glaubt, denn solcher Glaube ist ein Werk. Es kann Jemand viel aus der Bibel für wahr halten, er h-t aber doch nicht den seligmachenden Glauben und kann dabei zur Hölle fahren. Der seligmachende Glaube besteht darin, daß ich nicht nur für wahr halte, was in der Bibel steht, sondern daß ich mich auch mit fester Zuversicht des He.zens daran halte; daß ich zuversichtlich glaube, daß Christus mich erlös't hat, daß er mein Heiland ist u. s. w. Wodurch kommt man zu di.sein Glauben, und wodurch wird man in demselbrn erhalten? Antwort: Durch die L hre von Christo. Es muß immer gepredigt werden, daß es einen Heiland gibt, welcher Gottes Sohn ist, durch welchen ein armer Sünder selig werden kann. Aus der Lehre von Christo folgt z. B. die Lehre, daß ich meiner Seligkeit gewiß sein soll u. s. w. Diese Artikel sind das Fundament, die immer gepredigt werden müssen, damit in den Herzen der s.ligmachende Glaube erzeugt werde. Das Fundament muß ^ der haben, welcher selig werden will.

Ouenstedt: „Und weil Fundament zuweilen so viel als Ursache ist, dah.r ist ein Fundamentalartikel ein Glaubenssatz (äoZwa), der vou solcher Beschaffenheit ist, daß er den Glaub.« und die ewige Seligkeit verursacht und begründet oder daß er irgend eine Ursache des Glaubens und der Seligkeit darlegt." (Itwol. äiä.-xolßin. k. 1. 6. 5. s. 1. Ivl. 360.)


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Thesis 6.

Auch unter den Fundamentalartikeln ist ein Unterschied zu machen und zwar nennt man 1. primäre diejenigen, welche zur Erlangung der Seligkeit zu wissen so nöthig sind, daß der, der keine Kenntniß davon hat, nicht zum Glauben kommen und selig werden kann.

1 Cor. 15, 1—4. Joh. 17, 3. Ebr. 11, 7. 1 Joh. 2, 23. Gal. 5, 4. Ap. Gesch. 8, 36. ff.

Joh. 17, 3. heißt es: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, daß du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, JEsum Chr stum, erkennen."

In diesem Spruch werden primär? Fundamentalartikel angegeben. Wer diese nicht glaubt, der kann nicht selig werden. Von dem wahren Gott und dem Heilande JEsu Christo muß ein Mensch Kenntniß haben, sonst kann er nicht zum wahren Glauben und zur Seligkeit kommen.

Ebr. 11, 6. heißt es: „Aber ohne Glauben ists unmöglich, Gott gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde." In diesen Worten ist ein primärer Artikel des Glaubens angegeben; denn wer das nicht glaubt, was diese Worte lehren, der kann Gott nicht gefallen, daher auch nicht selig werden.

I Joh. 2, 23.: „Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vatr nicht."

Gal. 5, 4.: „Ihr habt Christum verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen." Die Lehre von der Rechtfertigung ist demnach ein primärer Fuudamentalartikel.

Ap. Gesch. 8, 36. 37.: „Und als sie zogen der Straße nach, kamen sie an ein Wasser; und der Kämmerer sprach: Siehe, da ist Wasser, was hindert's, daß ich mich taufen lasse? Philippus aber sprach: Glaubst du von ganzem Herzen, so mags wohl sein. Er antwortete und sprach: Ich glaube, daß JEsus Christus Gottes Sohn ist." Philippus will also ren Kämmerer nicht taufen, er habe denn zuvor diesen Glauben von JEsu Christo bekannt. Er fragt ihn aber nicht: Glaubst du, daß Christo nach seiner menschlichen Natur göttliche Eigenschaften mitgetheilt sind? sondern nur, ob er glaube, daß Christus Gottes Sohn sei. Daß ein Mensch die primären Glaubensartikel nicht weiß, das ist nicht die Ursache, daß er verdammt wird; sondern daß er sie nicht glaubt; seine Unwissenheit zeigt daher, daß er ein noch verdammter Mensch ist.

Ouenstedt: „Folgendes ist das allen Menschen zu glauben nothwendige Glaubensdogma: Gott, einig im Wesen, dreieinig in Personen, vergibt aus unermeßlicher Liebe gegen das gefallene menschliche Geschlecht jedem sündigen Menschen, der seine Sünden erkennt, durch und um Christi des Mittlers und seines Verdienstes willen, das im Wort verkündigt und im Glauben ergriffen wird, die Sünden, rechnet die Gerechtigkeit Christi zu und schenkt das ewige Leben        Darnach gibt es noch andere Glaubensartikel, welche nicht schlechterdings fundamental oder die Ursache der Seligkeit sind, jedoch zum Fundament gehören, deren Verneinung nur verdammt und zum Ketzer macht; als die Dogmen von der Schöpfung, von der Wahl, von der Kirche, von den Sakramenten u. s. w. Es gibt ferner Artikel des Glaubens, die dies in geringerem Grade sind (minus priueipalss), welche zwar in der Schrift zu glauben vorgelegt sind, jedoch nicht bei Verlust der Seligkeit; deren Verneinung nicht an sich, sondern vermöge einer nicht eben zu Tage liegenden Schlußfolgerung wider einen fundamentalen Glaubensartikel anstößt und denselben umstößt, und diese Verneinung macht zum Schismatiker, z. B. daß die Sünde nicht des Menschen Substanz, die Gnadenwahl nicht eine allgemeine ist u. s. w. Endlich gibt es mit dem Glauben in Verwandtschaft stehende Nebenfragen (yusöstioues uäuatW), welche unter den Gelehrten über schwierigere Schriftstellen verhandelt werden." (Ilieol. äiä.-poleiu. 1. e. 5. s. 1. kol. 355.)

Hier wird mit wenigen Worten angegeben, welche Lehren ein Mensch wissen muß, wenn er selig werden will. — Wenn Gott z. B. Alle liebt, so braucht mein Name nicht'in der Bibel zu stehen, und es ist dennoch gewiß, daß er auch mich liebt. Wie schrecklich ist daher die calvinistische Lehre, daß Gott nicht die ganze Welt liebt! — Die Lehre vom Wesen Gottes, von der Versöhnung Christi, von der Vergebung der Sünden, von der Gerechtigkeit Christi, vom ewigen Leben, muß ein Mensch wissen, wenn er selig werden will. Es kann ein Mensch durch wenige Lehren selig werden, damit soll aber nicht gesagt sein, daß er nicht mehr zu wissen brauche, daß er in der Er-kenntniß nicht gefördert werden müsse.

Athanasianischeü Symbolum: „Wer da will selig werden, der muß vor allen Dingen den rechten christlichen Glauben haben. Wer denselben nicht ganz und rein hält, der wird ohne Zweifel ewiglich verloren sein. Dies ist aber der rechte christliche Glaube, daß wir einen einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einiger Gottheit ehren rc. Es ist aber auch noth zur ewigen Seligkeit, daß man treulich glaube, daß JEsus Christus, unser HErr, sei wahrhaftiger Mensch." (S. 30. f.)

Die Worte: „Wer denselben nicht ganz und rein hält", beziehen sich auf die Substanz des Glaubens. Die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit, von dem Werk und der Person Christi sind primäre Fundamentallehren. Die neuern Theologen glauben, daß die Heiden ebensowohl selig werden können, als die Christen; auch die Rationalisten. Wir aber wissen von keinem Heil und Seligkeit der Heiden, jetzigen Juden, Türken, Rationalisten, Unitariern, Socinianern, Universalisten. Sie haben keinen Gott; sie beten wohl zu Gott, aber nicht zu dem wahren Gott; sondern zu einem Wesen, das sie sich selbst gemacht haben, das ein Geschöpf ihres eigenen Herzens ist. Es gibt gar keinen solchen Gott, zu dem sie beten; sie beten zu einem Unding. Daher heißt es denn in der


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Apologie: „Den ersten Artikel unseres Bekenntnisses lassen ihnen die Widersacher gefallen, in welchem angezeigt wird, wie wir glauben und lehren, daß da sei ein ewiges, einiges, ungetheilt göttlich Wesen und doch drei unterschiedene Personen in Einem göttlichen Wesen, gleich mächtig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Diesen Artikel haben wir allezeit also rein gelehrt und verfochten, halten auch und sein gewiß, daß derselbige so starken, guten, gewissen Grund in der heiligen Schrift hat, daß niemands möglich den zu tadeln oder umzustoßen. Darum schließen wir frei, daß alle Diejenigen abgöttisch, Gotteslästerer und außerhalb der Kirche Christi sein, die da anders halten oder lehren." (Artikel 1. S. 77.)

Wer also leugnet, daß ein dreieiniger Gott ist, daß Christus dem Vater wesensgleich ist, der ist nicht in der Kirche. Um äußerlich in der Kirche zu sein, ist nöthig, daß man bekenne, daß es einen dreieinigen Gott gibt. So tief ist man in der lutherischen Kirche gefallen, daß ein Kahnis leugnet, daß Christus wahrer Gott ist. Er nennt ihn zwar Gott; lehrt aber, er sei nicht von Ewigkeit gewesen; Christus habe zwar göttliche Natur, aber die Natur des Vaters sei nicht des Sohnes Natur. — Wir aber glauben: Es gibt nur Ein göttliches Wesen, und dasselbe hat der Vater, der Sohn und der Heilige Geist; nicht nur der Art nach, sondern auch der Zahl nach haben alle drei Personen Ein Wesen; es ist ein ungetheiltes, göttliches Wesen. Man darf nicht denken, daß jede Person etwa nur ein Stück davon habe; nein, derselbe Gott, der der Vater ist, derselbe ist auch der Sohn. Christus spricht: „Wer mich stehet, der stehet den Vater." Es steht geschrieben: „In ihm (Christo) wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." — Des Vaters Wesen ist in JEsu Christo, der in Bethlehem geboren ist; auch des Heiligen Geistes Wesen. Die Heiden glauben auch, das göttliche Wesen sei vertheilt; daraus aber werden bei ihnen auch so viele Götter, als Wesen sind. Aus den drei göttlichen Personen aber werden keine drei Götter. Wenn in Einem Körper zwei Seelen wären, so würden zwei Seelen nur Einen Körper haben, und jede könnte sagen, der Körper ist mein Körper. Jede göttliche Person kann sagen: das ist mein Wesen. Der Vater kann sagen: das ist mein Wesen; der Sohn kann sagen: das ist mein Wesen; der Heilige Geist kann sagen: das ist mein Wesen. Deshalb sagen unsere Alten: das göttliche Wesen ist ein ungetheiltes Wesen. — Die Christen glauben, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist der wahre, lebendige Gott sei. Es heißt: diese drei sind Eins. Es ist also Ein göttliches Wesen. Ist es nicht erschrecklich, daß Kahnis sagen kann, der Sohn sei dem Vater unterworfen?— Wie tief diese Gottmacherei auch in das Volk eingedrungen ist, beweis't ja, daß die Leute glauben, wenn die Logenbrüder zu dem großen Geist beten, daß sie zu Gott beten. Wenn es aber wahr wäre, daß die, welche nichts von Gottes Wort wissen wollen, dennoch auch zu Gott beten, muß man da nicht gleichgiltig werden gegen die reine Lehre? Was das

Gebet des Hauptmanns Cornelius betrifft, so hat er gewiß den Glauben an den dreieinigen Gott gehabt, indem er an den Gott Israels glaubte. Er hatte ja das Alte Testament. Wenn er nur das erste Capitel der Bibel glaubte, so glaubte er an den dreieinigen Gott. Da heißt es ja: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde; und Gott sprach; der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Wenn er nun darüber nachdachte — und das thut ja ein gläubiger Mensch —, und damit andere Stellen heiliger Schrift verglich, z. B. Ps. 33, 6.: „der Himmel ist durchs Wort des HErrn gemacht, und all sein Heer durch den Geist seines Mundes"; so mußte er doch wenigstens erkennen, daß in Gott mehrere sein müssen; wie denn ja auch geschrieben steht: Laßt uns Menschen machen; der HErr ließ regnen vom HErrn rc. Die gläubigen Juden haben das Alte Testament ganz anders gelesen, als unsere heutigen neuern Tbeologen. Cornelius war ein alt-testamentlicher Christ; er glaubte an den Messias; nur wußte er noch nicht, daß der Messias schon gekommen sei. Er wurde daher nun nur darin unterrichtet, daß in dem JEsu von Nazareth, den die Juden gekreuzigt hatten, der verheißene Messias schon gekommen sei. Er kam aus Glauben in Glauben. — Jeder Heide, an den die Stimme des Evangeliums gelangt ist, dadurch die vorlaufende Gnade an ihm thätig ist, und der daher gebetet hat, hat den Zug des Vaters zu dem Sohne durch das Evangelium erfahren. Kein Heide kann auf andere Weise selig werden; denn wer den Sobn nicht hat, der hat auch den Vater nickt. Würden die Heiden ohne das Evangelium selig werden können, wozu wollte man dann noch Mission treiben? Wenn es wahr ist, daß die Heiden auch ohne Christum selig werden, wozu ist Christus alsdann in die Welt gekommen? Wer da meint, auch die Heiden würden selig werden, wenn sie nur ein frommes Leben führen, ohne an Christum zu glauben, der glaubt selbst nicht von Herzen an Christum. So schrecklich der Gedanke ist, daß so viele Millionen verloren gehen, so muß man doch auch bedenken, daß Gott auch gerecht ist, und daß er einst sich schon wird rechtfertigen können. — Es wurde auch bemerkt, daß sogar in solchen Gemeinden, die in der Erkenntniß schon ziemlich gefördert sind, es noch vorkomme, daß man nicht einsehen könne, ja für irrthümlich finde, wenn der Prediger predigt, daß alle drei Personen die Welt erschaffen haben, alle drei Personen uns erlüs't haben, und alle drei Personen uns heiligen.

Im Athanasianischen Glaubensbekenntniß kommen zunächst primäre, aber auch secundäre Fundamentalartikel vor. Luther bezeugt, es sei seit der Apostel Zeit nichts Schöneres gemacht worden, als dieses Bekenntniß. Unsere neueren Theologen aber wollen davon gar nichts wissen. Wir aber wollen uns daran halten; es ist ein ökumenisches Bekenntniß, welches Alle angenommen haben, nicht blos eine Particularkirche; das auch die Secten angenommen haben bis auf unsere Zeit. — Gegen folgenden Satz aus Lut Hardt: „Der ganzen Theorie" (von den Glaubensartikeln) „liegt in dieser Form (aä sulutkin nkesssarii — zur Seligkeit nöthige) eine Verwechs-


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lung des subjektiven Heilsglaubens (üä68 Hua, oreäitur — Glaube, vermöge dessen geglaubt wird) mit der objektiven Glaubenslehre (üäe8 yuas ereäi-lur — der Glaube, der geglaubt wird) zu Grunde" (Compendium. 3. Aufl. S. 27.), wurde bemerkt:

Zch kann gar keinen Glauben im Herzen tragen, wenn ich ihn nicht erhalten habe durch die Lehre; denn dadurch wird der Glaube erzeugt. Die neueren Theologen sagen, daß der Glaube auch ohne die Lehre im Herzen sein könne. Nicht einen einzigen Artikel des Glaubens halten sie für noth-wendig. — Die Lehre von den primären Glaubensartikeln zeigt uns, daß auch unter den Secten noch Seelen sind, welche selig werden.

Thesis 7.

Zweitens, sekundäre nennt man diejenigen, die zwar zur Erlangung der ewigen Seligkeit zu wissen nicht unbedingt nöthig sind, die aber nicht geleugnet werden dürfen, wenn man selig werden will.

1 Cor. 15,16.17.

Ein sekundärer Glaubensartikel ist z. B. die Lehre von der Erbsünde. Wer da glaubt, daß er ein armer Sünder ist, der muß nicht absolut auch etwas von der Erbsünde wissen; wer aber leugnet, daß es eine Erbsünde gibt, der kann nicht selig werden. — Der Hauptbeweis für diese These liegt in der Geschichte der heiligen Apostel. Sie waren Kinder Gottes auch vor der Ausgießung des Heiligen Geistes. Christus spricht ja zu ihnen: Ihr seid rein um des Wortes willen; freuet euch, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind; ihr seid meine Freunde. Er ermahnt sie, zum himmlischen Vater zu beten. Er bezeugt ihnen: Ihr seid rein, aber nicht alle, womit Judas Jscharioth gemeint war. Sie waren also wahre Christen, sie hatten den wahren Glauben, den Heiligen Geist. Am Pfingstfest sollten sie den Heiligen Geist nicht dazu empfangen, damit sie erst Christen werden möchten, sondern daß sie Apostel würden. Wie viele Jrrthümer haben sie aber noch gehabt! Z. B. den Jrrthum vom Reiche Christi. Vor der Himmelfahrt fragen sie Christum: HErr, wirst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? Hiernach waren also noch jüdische Gedanken, etwas vom Chiliasmus in ihnen. Was gab ihnen aber Christus zur Antwort? Er sprach: Es gebühret euch nicht, zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht Vorbehalten hat; sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird; und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem, und in ganz Judäa und Samaria, und bis an das Ende der Erde. — Christus weis't sie also auf die Ausgießung des Heiligen Geistes. Er wußte wohl, daß, wenn er es ihnen jetzt auseinander gesetzt hätte, sie es doch nicht verstanden hätten, daß sie es aber nach der Ausgießung des Heiligen Geistes, wenn sie seine Zeugen in der ganzen Welt sein würden, wohl verstehen würden. Daß der obigen Frage der

Jünger, die nach der Auferstehung Christi geschah, noch chiliastische Vorstellungen zu Grunde gelegen hätten, wurde von anderer Seite jedoch nicht zugegeben. — Es kann Jemand die secundären Glaubensartikel nicht wissen und doch dabei ein Kind Gottes sein. Die lieben Apostel haben auch in Jrrthum gesteckt und waren doch Kinder Gottes. Petrus hat noch nicht einmal nach der Ausgießung des Heiligen Geistes gewußt, daß auch den Heiden nur das Evangelium gepredigt zu werden brauchte, schon jetzt, ohne daß sie durch die Beschneidung erst Juden geworden sein müßten. Er mußte erst eine besondere Offenbarung empfangen, um die alttestamentlichen Vorstellungen vom Reiche Gottes los zu werden. Gott hat es auch gar nicht gewollt, daß sie das vorher wissen sollten. Die Jünger Christi standen eben vor der Ausgießung des Heiligen Geistes noch im Alten Testament. Sie glaubten wohl, daß Christus die Erlösung ausführen werde, sie erkannten aber nicht, daß es durch Leiden und Sterben geschehen müsse; sie wußten noch nicht, wie er die Weissagungen von seinem Leiden und Sterben ausführen werde. Uns geht es jetzt ebenso in Absicht auf manche Weissagungen, die von zukünftigen Dingen handeln; wir wissen nicht, ob dieselben schon erfüllt sind, oder ob sie erst noch erfüllt werden. — Von Nathanael bezeugt Christus, daß derselbe ein rechter Jsraeliter und ohne Falsch sei; und dennoch sagte Nathanael: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Daß Christus auch aus Nazareth kommen werde, das zu wissen, war damals noch nicht absolut noth-wendig. — Es liegt ein großer Trost darin, daß die Jünger Christi auch noch Jrrthümer gehabt haben, und daß Christus dennoch so groß von ihnen redet. Auch unter den Secten gibt es daher noch Christen. Es ist auch gar tröstlich um unserer Gemeindeglieder willen, die gar viele Jrrthümer noch haben, die aber doch, weil sie an Christum glauben, selig werden.

Ap. Gesch. 15,1. heißt es: „Und Etliche kamen herab von Judäa und lehreten die Brüder: Wo ihr euch nickt beschneiden lasset nach der Weise Mofls, so könnt ihr nickt selig werden." Diese stellten also die Beschneidung als zur Seligkeit nothwendig neben die Taufe. Sie waren also in dem schrecklichen Jrrthum, daß ein Heide dann noch nicht selig werden könne, wenn er an Christum glaube, sondern daß er sich dazu auch beschneiden lassen müsse. Als nun diese Brüder solches lehrten, und sich deshalb ein Aufruhr erhob, und Paulus und Barnabas nicht einen geringen Zank mit ihnen hatten, wurde angeordnet, daß Paulus und Barnabas nach Jerusalem ziehen und daselbst die Apostel und Nettesten darüber befragen sollten. Was thaten nun die Apostel in dieser Sache? Sie thaten jene Brüder, welche den Jrrthum von der Nothwendigkeit der Beschneidung hegten, nicht deshalb in den Bann, sondern urtheilten einfach: Es solle den gläubigen Heiden keine Beschwerung mehr auferlegt werden.

Gal. 4, 10. 11. heißt es : „Ihr haltet Tage und Monden und Feste und Jahreszeiten. Ich fürchte euer, daß ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet." Da hiernach also die Galater meinten, sie wären verbun-


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den, Tage, Monden, Feste und Jahreszeiten zu halten; so schreibt der Apostel: Ich fürchte euer, daß ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet, d. h., daß ich euch umsonst das Evangelium gepredigt habe. Hieraus ist aber auch zugleich klar, daß wer da irrt, in großer Gefahr seiner Seligkeit stebt. Der Jrrthum daher, daß der Sonntag göttlich verbindlich sei, ist sehr gefährlich. Es bleibt aber doch auch merkwürdig, daß der Apostel nur sagt: Ich fürchte. Wir Lutheraner sollen daher die rechte Lehre, wie wir sie haben, ja festhalten. Die Lehre vom Sonntag daher für eine offene Frage erklären, ist ein schrecklicher Jrrthum.

2 Tim. 2, 17. heißt es: „Und ihr Wort frißt um sich wie der Krebs, unter welchen ist Hymenäus und Plnletus." Diese lehrten, die Auferstehung sei schon geschehen; dieselbe sei nämlich die Wiedergeburt der Seelen. Diese falsche Lehre von der Auferstehung, die aber doch nur einen sekundären Glaubensartikel betrifft, frißt um sich, wie der Krebs; der Krebs aber ist nicht nur eine ansteckende Krankheit, sondern er bringt auch den Tod. — Die unter der These angeführte Stelle: 1 Cor. 15, 16. 17. soll nur zeigen, daß ein sekundärer Glaubensartikel mit dem Grund Zusammenhänge. Wer z. B. die Auferstehung der Todten leugnet, der muß damit nothwendig den Grund umstoßen. Darum ist denn ein sekundärer Glaubensartikel so wichtig, weil, wenn er geleugnet wird, dadurch in der Folge der ganze Grund umgestoßen wird.

Aeg. Hunnius: „Ein wider das Fundament der Seligkeit anstoßender Jrrthum ist, wenn jemand einen Hauptartikel der Religion verneint, wie der Apostel Ebr. 6. solche Artikel, deren Verneinung wider das Fundament anstößt, aufzählt. Wenn daher jemand leugnet, Laß Christus wahrer Gott sei, wenn er den Artikel von der Schöpfung oder Menschwerdung leugnete, oder wenn jemand in dem höchsten Artikel von der Rechtfertigung irrte, von einem solchen sagt man, daß er im Fundament des Heils irre. Es gibt außerdem geringere Jrrthümer, welche wider solche Artikel anstoßen, die weniger principale sind, welche Jrrthümer der Apostel Stoppeln vergleicht, die im Feuer der Anfechtung verbrennen, doch also, daß der Irrende selbst selig wird, indem er da» Fundament der Seligkeit festhält, den Felsen ergreift, nämlich Christum, und seines Werkes, das er auf das Fundament gebaut hatte, Schaden leidet. Etwas anderes ist es, wenn jemand aus Verachtung sagte: mir genügt das Fundament der Seligkeit, und ich habe genug daran, daß ich in diesem Artikel recht glaube, und indessen in den übrigen Stücken keine bessere Unterweisung annehmen wollte; ein solcher irrte zwar in Betreff geringerer Artikel, aber nicht vermöge eines einfachen Jrrthums, sondern eines mit Verachtung des göttlichen Wortes verbünde neu." (OollvH. Ratisbonas kab. a. 1601. exous. DauinZue. Kess. 14. x. 433. Sy.)

Es kann Jemand selig werden, auch wenn er z. B. nicht weiß, daß

Christus nach seiner menschlichen Natur alle göttlichen Eigenschaften hat. Wenn man aber zu ihm sagt: Du glaubst, daß Christus wahrer Gott und Mensch ist: so mußt du auch glauben, daß Christus allgegenwärtig ist; denn er hat ja gesagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Zst nun derselbe ein wahrer Christ, so wird er antworten: Ich habe immer geglaubt, daß Christus der Gottmensch ist, daher kann ich auch nicht leugnen, daß er allgegenwärtig ist. Zst aber derselbe ein falscher Christ, ein Sectirer, so wird er das alles nicht annehmen, sondern leugnen, und eben damit den Grund des Glaubens umstoßen; denn dadurch bezeugt er, daß er gar nicht glaubt, daß Christus in Einer Person Gott und Mensch zugleich ist.

Baier: Die fundamentalen Artikel zweiter Classe pflegen also beschrieben zu werden, daß sie Theile der christlichen Lehre seien, die, obgleich sie unbeschadet des Grundes der Seligkeit unbekannt sein können, jedoch unbeschadet desselben nicht geleugnet werden können; weil nämlich die Leugnung eines solchen Artikels nothwendiger Weise und allezeit einen Jrrthum in sich schließt, welcher dem Grund des Glaubens und der Seligkeit entgegensteht und durch welchen dieser Grund oder Etwas, ohne das derselbe nicht unverletzt sein kann, vermöge einer Schlußfolgerung umgestoßen wird... Obgleich nämlich die bewußte (expliolta) Erken ntniß derselben nicht allen einfältigen Gläubigen zukommt, so kann doch die Leugnung derselben von Seiten des Leugnenden nicht mit dem Glauben und der Seligkeit bestehen, wenn nicht eine überaus große Einfältigkeit und Unkenntniß der Schlußfolgerung, vermöge welcher jene Leugnung dem Fundament des Glaubens folgerichtig entgegensteht, und ein vor geradezu grundstürzendem Jrrthum sich scheuender und zur Annahme b.fferen Unterrichts bereiter Sinn dazwischen tritt. Denn da die Leugnung eines Artikels zweiter Classe dem Fundament des Glaubens nur kraft einer Schlußfolgerung entgegen ist, derjenige aber, welcher jenen Artikel aus Einfalt verneint, die Schlußfolgerung nicht faßt, darum kann jene Verneinung in einer solchen Person mit dem Fundamente selbst bestehen. Und weil die bewußte Erkenntniß hes Artikels, welcher verneint wird, zur Erzeugung des Glaubens und znr Verursachung der Seligkeit nicht schlechterdings nothwendig ist, daher kann eine Verneinung desselben, die aus bloßer Unwissenheit und Einfalt entsprungen ist, mit der Erkenntniß des Uebrigen bestehen, was zu dem Fundament selbst, insoweit dasselbe zur Verursachung des Glaubens und der Seligkeit zu wissen nöthig ist, gehört, und wird daher auch der Glaube und das Heil selbst nicht aufgehoben und verhindert. Hierin stimmt der selige Hülsemann überein, welcher den Grundsatz aufstellt: Nicht jeder Glaubenssatz, welcher seiner Natur nach etwas, was dem Glauben nothwendig zur Voraussetzung dient oder demselben folgt, behauptet oder verneint, wirkt dasselbe auch in jedes Menschen


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Gem üth. Und indem Hülsemann erinnert, daß man hier auf die Frage von der Einsicht in die Schlußfolgerungen zurückkommt, so meint er, daß inan zwischen den Verführten und der Belehrung Offenen, und den Verführern und Halsstarrigen unterscheiden müsse, und weis't dies an dem Beispiel des Artikels von der Mittheilung der Eigenschaften nach." (Oonrxenä. kroleZ. I. § 33.)

Vorrede zum Concordienbuch: „Was dann die eonäenmatio-nes, Aussetzung und Verwerfung falscher und unreiner Lehre, besonders im Artikel von des HErrn Abendmahl betrifft, . . ist gleichergestalt unser Wille und Meinung nicht, daß hiermit die Personen, so aus Einfalt irren und die Wahrheit des göttlichen Worts nicht lästern..., geineinet, sondern daß allein damit die falschen und verführischen Lehren und derselben halsstarrige Lehrer und Lästerer. . . eigentlich verworfen werden.. . Sintemal wir uns ganz und gar keinen Zweifel machen, daß viel frommer, unschuldiger Leute auch in den Kirchen, die sich bisher mit uns nicht allerdings verglichen, zu finden sind, welche in der Einfalt ihres Herzens wandeln, die Sache nicht recht verstehen und an den Lästerungen wider das heilige Abendmahl . . gar keinen Gefallen tragen und sich ver-hoffentlich, wenn sie in der Lehre recht unterrichtet werden, durch Anleitung des Heiligen Geistes zu der unfehlbaren Wahrheit des göttlichen Wortes mit uns und nnsern Kirchen und Schulen begeben und wenden werden." (Ausgabe von Müller S. 16. f.)

Hieraus ist also klar, daß wir nicht alle Reformirten verdammen, die in dem Jrrthum stecken, daß Christi Leib und Blut nicht im heiligen Abendmahl sei; nur die können wir nicht für Christen halten, die darüber lästern. Die einfältigen Leute, die darüber gar nicht Nachdenken, welche von Jugend auf nichts anderes gehört haben, glauben aber von Herzen an JEsum Christum, die werden selig; freilich begehen sie eine Schwachheitssünde, daß sie nicht besser Nachdenken und in der heiligen Schrift nachforschen; aber die Rädelsführer in den Secten, bei denen es keine Schwachheitssünde ist, die sind auch nicht für Christen zu halten.

Hülsemann: „Von den Unsrigen ist längst erwiesen, daß der Heilige Geist sowohl vom Sohne, als vom Vater ausgehe. Wenn jedoch jemand aus Schwachheit des Verstandes die Kraft dieser Schlußfolgerungen nicht empfindet und bei dem bloßen Buchstaben des Spruchs Joh. 15, 26. bleiben zu müssen dafür hält, sonst aber rechtgläubig ist, so sprechen wir ihm um der aus bloßer Unwissenheit hervorgegangenen Leugnung willen weder die Seligkeit ab, noch glauben wir ihn unter die Ketzer rechnen zu müssen; im Gegensatz zu Bellarmin, Alphonsus a Castro, Sander und anderen, welche die griechische Kirche, weil dieselbe das Ausgehen des Heiligen Geistes vom Sohne leugnet, mit dem Namen einer Secte schänden." (kruelset. in I'orw. Oovo. urt. 3. s. 1. e. 5. ß 10. p. 282.)

Hülsemann will hiernach also die griechische Kirche nicht deshalb für eine Secte gehalten haben, weil sie das Ausgehen des Heiligen Geistes vom Sohne nicht glaubt, indem sie sich darauf beruft, daß nur geschrieben steht: „der vom Vater ausgehet". Daß der Heilige Geist auch vom Sohne ausgehe, ist ja daraus klar, daß die Schrift sagt, daß er von Christo gesandt wird; daß Christus spricht: „Ich und der Vater sind Eins." Darum muß der Heilige Geist von beiden, also auch vom Sohne, ausgehen. Wer aber aus Schwachheit des Verstandes den Schluß nicht machen kann, sondern sich an den bloßen Buchstaben des Spruchs Joh. 15, 26. hält, dem kann die Seligkeit nicht abgesprochen werden. Hülsemann will sagen: Es ist nur etwas, wodurch die Einigkeit im Geist getrübt wird, nicht aber etwas, wodurch der Grund geradezu umgestoßen wird. Logisch wird er freilich dadurch umgestoßen, wenn man die Schlußfolgerung erkennt. — Es ist nothwendig, daß wir uns dies immer Vorhalten, daß wir mit den Resormirten nicht auf Einem Grunde steben. In der Resormirten Kirche wird gar Vieles gelehrt, was den Grund umstößt, daher wir denn auch keine Union mit ihr eingehen können.

Luther: „Die Schwärmer heutiges Tages . . . sagen: Wir verkündigen euch Gnade und Barmherzigkeit durch Christum und verwerfen nicht den Artikel des ersten Gebots; und sagen, ich, Lutherus, lüge sie an. Aber siehe ihnen darauf: sie bekennen den gestorbenen Christus, der am Kreuz gehangen und uns selig gemachet, das ist wahr; aber sie leugnen das, dadurch wir ihn bekennen, das ist, das Mittel, den Weg, die Brücke und den Steig, den brechen sie ein. Die Juden glauben auch, daß ein Gott sei, aber den Weg, wie man zu Gott komme, nemlich durch Christum, durch Christi Menschheit, verleugnen sie. Der Türke bekennt auch Gott, aber er verleugnet den ÄZeg, das Mittel, die Brücke, daraus man zu Gott kömmt, das ist, die Gnade Gottes. Christum wollen sie nicht haben, auch keine Sacramente, dadurch man zu der Gnade kömmt. Es ist gleich und gehet mit ihnen, als wenn ich Einem predigte: Da habe ich einen Schatz, und hielte ihm doch den Schatz nicht vor die Nase, gäbe ihm auch nicht die Schlüssel dazu: was hülfe ihm dieser Schatz? Sie schließen uns den Schatz zu, den sie uns sollten vor die Nase stellen, und führen mich auf einen Affenschwanz; den Zutritt und die Ueberreichung, den Brauch und Besitzung des Schatzes weigert und nimmt man mir. Darum sagen die Schwärmer auch viel von Gott, von Vergebung der Sünden und der Gnade Gottes, auch daß Christus gestorben sei, aber wie ich Christum erlange und wie die Gnade zu mir kommt, daß ich sie kriege, daß wir zusammen kommen, da sagen sie: ,der Geist muß es allein thun<; führen mich auf den Affenschwanz; sagen, das äußerliche, mündliche Wort, die Taufe und Sacrament sei kein nütze, und predigen doch von der Gnade. Das beißt mir, den Schatz verkündigen und fein davon sagen, aber den Schlüssel und die Brücke weggenommen, daraus ich zum Schatz kommen soll. Nun hat es Gott also geordnet, daß dieser Schatz durch die Taufe, das Sacrament des


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Abendmahls und äußerliche Wort uns gegeben und dargereicht wird. Denn das sind die Mittel und Instrumente, dadurch wir zu Gottes Gnade kommen. Das verleugnen sie. . . Du mußt, sagen sie, den Geist haben; aber wie ich den Geist haben kann, das wollen sie mir nicht lassen.

Nun, wie kann ich den Geist überkommen und glauben, wenn man mir nicht predigt das Wort Gottes und die Sacramente reichet? Ich muß das Mittel haben ; denn der Glaube kommt aus dem Gehör das Gehör aber durch das mündliche Wort." (Auslegung einiger Kapitel des 5. B. Mosis vom Jahre 1532. III, 2500—2503^)

Wenn die Reformirten in der Lehre von der Rechtfertigung mit uns einig wären, so würden wir auch bald in andern Lehren mit ihnen einig werden; abtr sie zeigen dem armen Sünder einen ganz andern Weg zur Seligkeit. Die Lehre von der Rechtfertigung aus Gnaden um Christi willen ist ja die Lehre, die die Welt verachtet; die dem Menschen alle Ehre nimmt; die da verkündigt, daß Gott alles erworben hat, daß der Glaube das empfängt, und daß er das ergreift durch die Gnadenmittel. Das sind die Hauptstücke, die uns von den Reformirten scheiden. Wort und Sacrament bildet die Brücke für uns zu Gott; wer darauf nicht geht, kann nicht in den Himmel kommen. Den Neugläubigen ist diese Lehre ganz zuwider; wer aber selig werden will, der darf sich dieser Lehre nicht schämen; daher denn Paulus schreibt: „Ich schäme mich des Evangelii nicht."

Thesis 8.

Die sogenannten nicht-fundamentalen Glaubensartikel sind Theile der christlichen Lehre, die man auch nicht wissen oder auch leugnen kann, ohne dadurch das Glaubensfundament an und für sich zu verletzen.

^ 1 Cor. 3,12. 15. Ap. Gesch. 19, 1—6.

In der angeführten Stelle 1 Cor. 3, 12.15. wird unterschieden zwischen dem Grund und zwischen den Lehren, die auf den Grund gebaut werden; es muß daher auch Lehren geben, die geleugnet werden können, ohne daß der Grund dadurch Schaden leidet. Eine solche Lehre ist z. B. die Lehre von den Engeln. — Unter nicht-fundamentalen Glaubenslehren sind solche Schriftlehren zu verstehen, welche in keiner nothwendigen Verbindung mit solchen Lehren stehen, die den seligmachenden Glauben erzeugen; wie z. B. die Lehre vom Antichrist, vom Stand der Unschuld, von der Sünde in den Heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann, von der christlichen Freiheit in Gebräuchen. Was freilich in der heiligen Schrift steht, das muß auch geglaubt werden. Wer da weiß, daß es in der heiligen Schrift steht, glaubt es aber nicht, der geht verloren. — Die Jowaer sagen: Wenn ihr zugebt, daß etwas keine Fundamentallehre ist, so müßt ihr es auch frei geben. Das ist aber ganz verkehrt; nichts darf geleugnet werden, was in der heiligen Schrift steht; wer das thut, der kann nicht selig werden.        ;

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Ouenstedt: „Man muß unlerschriden zwischen fundamentalen Ar-^        titeln des Glaubens, welche zum seligmachend n Glauben eeh,ören, und

zwischen den Ar'ikeln, welche nul t fundamental sind, deren Erkenntniß auch in Gottes Wort gelehrt wird, und diese gehören zu dem dogmatischen oder (sivs) historischen Glauben. Zu dieser Classe rechnen wi> die Lehre vom Antichrist wegen der Weissagungen der Sännst, welche bei dem Propheten Daniel, bei Et. Paulus und in der Offenbarung 4        St. Job nnis und , om Heiligen Geiste offenbart sind. W>r sagen aber

nicht, daß diese den Antichrist betreffende Frage eine solche sei, deren Ent-s > eidung allen Christen zur Seligkeit zu wissen nötbig oder deren Nichtwissen an sich verdammlich sei, da es auch in früheren Jahrhunderten Leute gegeben hat und heute noch viele Christen g bt welche den papistischen Jrrttmmern durchaus nicht ergeben sind und ohne di Er-kenntniß dieser Wahrheit ohne Zweifel selig werd-n. Denn viele Kirchenväter haben widersprechende Meinungen vom Antichrist ausgesprochen; weil sie zu entkernt von der Erfüllung dieser Weissagungen waren, haben sie allzu frei ihren Ansichten sich hingegeben oder ungewisse Meinungen Anderer ziemlich unvorsichtig ergriffen und verbreitet." (Dlisol. älä.-polem. ?. IVr o. 16. s. 2. ürl. 1688.)

Ouenstedt redet vom dogmatischen oder historischen Glauben, welcher Ausdruck weit besser ist als: nicht fundamental. Die Lehre vom Antichrist ist eine Lehre, deren Nichtwissen oder Leugnen den Grund des Glaubens an un für sich nicht verletzt. Viele Millionen haben nichts davon erfahren, und sind doch selig geworden. Dennoch aber steht es klar in der heiligen Schrift offenbart. So lange der Antichrist noch nicht da war, machte man sich wunderliche Vorstellungen von demselben; da er aber nun da ist, so sehen wir, daß alles, was in der heiligen Schrift vom Antichrist offenbart ist, auf den Pabst zutrifft. Die heilige Schrift beschreibt uns den Antichrist auf's deutlichste, damit wir ihn erkennen sollen; nach dieser Beschreibung ist es der Pabst zu Rom; wäre er es nicht, dann ist die Schrift ein Verführungsbuch. — Gleichwie derjenige, welcher keinen Teufel glauben will, in großer Gefahr steht, von demselben überlistet zu werden, so steht auch der in großer Gefahr, überlistet und zu Fall gebracht zu werden, welcher nicht glauben will, daß ^ der Pabst zu Rom der Antichrist sei, und daher meint, die Katholiken wären auch seine lieben Brüder.

Hüllemann: „Obgleich wir die Art der Nothwendigkeit der Erkenntniß des Antichrists schon auseinander gesetzt haben, daß dieselbe nemlich eine bedingte, nicht absolute sei; ist aber die Bedingung erfüllt, ist nemlich der Antichrist vorhanden und daher die Gefahr der Verführung da, so ist die Lehre von der Unterscheidung des Antichrists von den wahren Lehrern heutzutage nicht weniger nöthig, als die Lehre von der Bosheit und den Nachstellungen des Satans. Hierher sind zu ziehen die ernsten Ermahnungen Christi und der Apostel Matth. 7, 15., Luc. 12, 42. 17, 35. 21, 8., 2 Thess.


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2, 2 Tim. 2. 3., 2 Pet. 2., 1 Zoh. 4, 1., Offenb. 11, 12. ff., daß man sich vor den Nachstellungen des Antichrifts hüten solle, welchen Ermahnungen man ohne klare Erkenntniß des Antichrifts nicht Folge leisten kann." (krso-leet. aä Vreviur. o. 22. p. 1229.)

Aeg. Hunnius: „Etwas anderes ist es, wenn etwas als eine gewisse Geschichte geglaubt wird, welcher keinen Glauben beizumeffen unrecht wäre; etwas anderes hinwiederum ist es, wenn etwas als ein Dogma und Artikel der Religion geglaubt wird. Ich will die Sache durch ein bekanntes Beispiel erklären. 1 Mos. 38. wird die Geschichte von Juda's Blutschande mit Thamar, seiner Schnur, gelesen; wenn nun jemand jene Geschichte lies't, so ist er verbunden, vermöge des Glaubens zu glauben, daß die Geschichte wahr sei. Wenn aber jemand sagt, daß diese Geschichte ein besonderer Glaubensartikel sei, so thut er nicht recht... Alle Glaubensartikel müssen nothwendig allen Christen bekannt sein. Aber die Geschichte von der Blutschande Juda's und der Thamar ist nicht durchaus allen Christen zu wissen nöthig. Denn es gibt unzählige Christen, welche diese Geschichte nicht kennen. Also ist jene Geschichte kein Artikel des Glaubens, obgleich sie, als eine Sache des Glaubens, und als eine Erzählung des Heiligen Geistes selbst von denen geglaubt werden muß, welche diese Geschichte aus der Bibel hören und lesen. . . . Allerdings ist derjenige ein Ketzer, welcher einen Artikel des Glaubens leugnet, aber nicht nur dieser, sondern auch derjenige, welcher eine geschichtliche Erzählung des Heiligen Geistes leugnet." <D. o. 8ess. 11. x. 350. 351. 354.)

Alle Geschichten der Heiligen in der Schrift mit Ausnahme der Geschichte Christi sind nicht-fundamentale Glaubensartikel. Etwas anderes sind die Probleme, darüber, unbeschadet der Glaubenseinigkeit, die Theologen verschiedener Meinung sein können. Auch wenn jemand eine Stelle heiliger Schrift anders auslegt, als sie gewöhnlich ausgelegt wird, wenn er damit nicht wider die Analogie des Glaubens anftößt, so kann man ihn deshalb noch nickt für einen falschen Lehrer halten. Die offnen Fragen erkennen wir an, nur müssen dieselben nicht wider Gottes Wort beantwortet werden. Eine offene Frage ist z. B. die, ob der Mensch seine Seele durch Fortpflanzung oder durch Schöpfung erhalte. Der Mensch wird in Sünden empfangen und geboren. Es entsteht nun die Frage: wie mag er wohl seine Seele bekommen? bekommt er sie von seinen Eltern oder gießt sie Gott jedesmal ein? Darüber ist viel discutirt worben. Die Einen sagen, es sei undenkbar, daß man sie von den Eltern bekomme. Gott müsse jedem Kinde die Seele anschaffen; die Andern aber sagen wiederum, die Seele werde von den Eltern auf die Kinder fortgepflanzt.' Zn der Bibel steht weder von der einen noch von der andern Meinung etwas. Daher ist d.eses ein Problem oder offene Frage. Die meisten rechtgläubigen Lehrer glauben, daß die Seele von den Eltern fortgepflanzt werde; wer aber anders glaubt, den kann man deshalb nicht verdammen. Es ist freilich nicht wohl denkbar, daß


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Gott dem Kinde eine Seele eingießt; er müßte ja dann eine reine Seele in einen unreinen Körper thun, damit sie auch nun verunreinigt werde. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, daß die Seele durch Schöpfung, dagegen wahrscheinlicher, daß sie durch Fortpflanzung erlangt wird. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn ein Licht das andere anzündet; wie aber die anzündende Flamme dadurch nicht verringert wird, so verhält sichs auch mit der Fortpflanzung der Seele. Es kann jedoch weder die eine noch die andere Meinung aus der Bibel bewiesen werden. Gott hat es nach seiner Weisheit verborgen. Die Lösung eines Problems dürfen wir für keine rechte Lösung halten, die nicht mit Gottes Wort übereinstimmt; es folgt jedoch nicht daraus, daß das Problem richtig gelös't ist, weil die Lösung nicht wider die Schrift ist. — Die Zowaer sagen: offene Fragen sind das, was nicht kirchentrennend ist; das ist aber genau dasselbe, als ob man sagte: ein Mensch ist der, welcher ein wirklicher Mensch ist.