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Vorträge über die Evangelisch Lutherische Kirche, die Wahre Sichtbare Kirche
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VORTRÄGE

UBER DIE

Evangelisch Lutherische Kirche

DIE -~

Wahre Sichtbare Kirche Gottes auf Erden

VON

DR. F. PIEPER

Concordia Seminary, St. Louis, Mo.

IM ANSCHLUSS

AN DAS

REFERAT

VON

DR. C. F. W. WALTHER

SEMINARY PRESS

SAINT LOUIS

1916


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Erster Vortrag

Sie alle wollen Diener der evangelisch-lutherischen Kirche im Predigtamt werden. Vergegenwärtigen Sie sich daher, was die lutherische Kirche von Ihnen fordert und erwartet. Die lutherische Kirche erwartet von Ihnen, dass Sie nicht bloss äusserlich und durch äusserliche Verhältnisse veranlasst, sondern von Herzen ihr angehören. Sie erwartet von Ihnen, dass Sie nicht bloss mit halbem Herzen, wohl gar mit bösem Gewissen, sondern mit grosser Freudigkeit in ihrer Mitte dienen. Sie erwartet von Ihnen, dass Sie den Dienst in ihrer Mitte nicht als eine Last, sondern als eine Lust ansehen. Sie sollen dafür halten, dass Gott Ihnen eine grosse Gnade damit erwiesen habe, dass Sie das Predigtamt in der evangelisch-lutherischen Kirche verwalten dürfen. Sie erwartet von Ihnen, dass, wenn Ihnen die Wahl gelassen würde zwischuen einer kleinen, armen lutherischen Gemeinde, welche vielleicht nur aus Handarbeitern besteht und in einem stallähnlichen Gebäude sich versammelt, und einer grossen, reichen Sektengemeinde, welche aus lauter vor der Welt angesehnen Leuten besteht und in einem von Marmor und anderem Edelgestein blinkenden Gotteshaus ihre religiösen Versammlungen hält, dass Sie dann ohne Bedenken den Dienst an der armen und kleinen lutherischen Gemeinde wählen würden. Ja, die lutherische Kirche erwartet von Ihnen, dass Sie eher Leib und Leben lassen, als dem Dienst in der evangelisch-lutherischen Kirche untreu werden. Die lutherische Kirche erwartet von Ihnen, dass Sie für die lutherische Kirche eifern, nicht zwar mit fleischlichem, fanatischem, Parteigeist atmendem Eifer, sondern nuit einem Eifer, der sich auf eine rechte Erkenntis gründet und den der Heilige Geist im Herzen anfacht und erhält.

Das ist es, was die lutherische Kirche von Ihnen als zukünftigen Dienern derselben erwartet. und dass Sie dies 1eisten können, muss Ihr eigenes, sehnliches Verlangen sein, denn nur so werden Sie Gott recht dienen in der lutherischen Kirche, und werden Sie selbst im lutherischen Predigtamt sich glücklich fühlen. Aber Sie werden dies nur dann leisten können, wenn Sie durch Gottes Gnade überzeugt sind, dass die dermalen evangelisch-lutherisch genannte Kirche die rechtgläubige Kirche, oder was dasselbe ist, die wahre, sichtbare Kirche Gottes auf Erden sei. Mit diesem Nachweis wollen wir uns in diesen Abendstunden beschäftigen. Doch müssen wir noch einige Vorfragen erledigen.

Die moderne, durch und durch unionistische Theologie hält uns entgegen, dass der eben vorgeführte Schluss nicht zwingend sei. Sie sagt: “Mag die lutherische Kirche immerhin die rechtgläubige Kirche sein, so hat doch Gott auch neben ihr noch andere Richtungen in der Kirche haben wollen; daher folgt nicht, dass man sein Herz so ganz an die evangelisch-lutherische Kirche hängen müsse.”  Um diesen Einwurf zu entkräften, richte ich Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf die Wahrheit,

Dass Gott nur eine rechtgläubige Kirche auf Erden haben wol-


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le, das heisst, eine solche Kirche, welche alle in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehren glaubt und bekennt, dass dagegen irrghäubige Gemeinschaften, wehche in gewissen Stücken von der in Gottes Wort geoffenbarten Wahrheit abweichen, von Gott nur zugelassen werden, wie jede andere Sünde. Ich mache Sie auf folgende Hauptgründe dafür, dass die Rechtgläubigkeit die von Gott gewollte äussere Gestalt der Kirche sei, aufmerksam:

Erstlich, Gott befiehlt allen Predigern, welche innerhalb seiner Kirche auftreten, dass sie sein Wort und nur sein Wort predigen; die Prediger sollen weder von seinem Wort etwas abtun, noch zu demselben etwas hinzutun. — Als der Herr Christus seiner Kirche vor seiner Himmelfahrt den Befehl gab: ,,Gebet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur“, da setzte er nach dem Bericht des Evangelisten, Matthäus 28, 20 noch ganz ausdrücklich hinzu: ,,und lehret sie halten alles, was ich euch befoh-len habe.“ Gott gebietet ferner: ,,Wer mein Wort hat, der predige mein Wort recht; wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?“ Mit diesen durch den Propheten Jeremias gesprochenen Worten (Jer. 23, 28) verbietet Gott allen Predigern, mit Gottes Wort auch zugleich ihre eigenen Gedanken, also Menschenwort, zu verkündigen. Nach der heiligen Schrift ist es das grösste Lob für einen Prediger, wenn er Gottes Wort, wie es geoffenbart ist; unverkürzt und unverfälscht predigt. So sagt der Apostel Paulus von sich selbst 2 Kor. 2, 17: ,,Wir sind nicht, wie etlicher viele, die das Wort Gottes verfälschen.“ Dagegen ist es vor Gott ein Verbrechen, wenn Prediger es sich herausnehmen, das Wort Gottes zu verfälschen, das heisst, von Gottes Wort abzutun oder zu demselben etwas hinzuzusetzen. So spricht Gott durch den Propheten Jeremias (23, 31. 32): ,,Siehe, ich will an die Propheten, spricht der Herr, die ihr eigen Wort führen und sprechen: Er hats gesagt. Siehe, ich will an die, so falsche Träume weissagen, spricht der Herr, und predigen dieselben und verführen mein Volk mit ihren Lügen und losen Teidingen; so ich sie doch nicht gesandt und ihnen nichts befohlen habe.“ Matth. 5. 19 droht der Herr Christus selbst allen Lehrern: ,,Wer eins von diesen kleinsten Geboten auflöset und lehret die Leute also, der wird der Kleinste heissen im Himmelreich“, das heisst, er wird gar nicht ins Himmelreich kommen. Irrlehrer sind nach Gottes Willen in der Kirche so wenig existenzberechtigt, dass Gott im Alten Testament, wo er mit leiblichen Strafen umging, die Irrlehrer zu töten befahl. So lesen wir an der merkwürdigen Stelle 5. Mose 13, 6. ff: ,,Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn, oder deine Tochter, oder das Weib in deinen Armen, oder dein Freund, der dir ist wie dein Herz, überreden würde heimlich und sagen: Lass uns gehen und andern Göttern dienen, die du nicht kennest, noch deine Väter, die unter den Völkern um euch her sind, sie seien dir nahe oder ferne, von einem Ende der Erde bis an das andere; so bewillige nicht, und gehorche ihm nicht. Auch soll dein Auge seiner nicht schonen, und sollst dich seiner nicht erbarmen, noch ihn verbergen; sondern sollst ihn erwürgen. Deine Hand soll die


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erste über ihm sein, dass man ihn töte; und darnach die Hand des ganzen Volkes. Man soll ihn zu Tode steinigen-“ Im Neuen Testament geht Gott nicht mehr so mit leiblichen Strafen um, ja er hat es seiner Kirche ausdrücklich verboten, mit leiblichen Strafen und überhaupt mit leiblicher Gewalt gegen die Irrlehrer zu kämpfen. St. Paulus muss durch den Heiligen Geist erinnern:

,,Die Waffen unsrer Ritterschaft sind nicht fleischlich.“ Aber dennoch hat Gott auch im Neuen Testament das Gewerbe der falschen Lehrer ganz deutlich als die schwerste Sünde bezeichnet, als ein Gewerbe, das er mit seinem Fluch belegt, mit zeitlicher und ewiger Strafe bedroht. So schreibt der Apostel Paulus durch den heiligen Geist Gal. 1, 8: ,,Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht!” Nun müssen wir aber sagen: Gebietet Gottes Wort allen Lehrern, dass sie nur das Rechte in der Kirche lehren sollen, und hat Gott auf das strengste alle falsche, von Gottes Wort abweichende Lehre untersagt, so ist damit bewiesen, dass Gott nur eine rechtgläubige, nicht auch zugleich eine irrgläubige Kirche haben wolle. Dass es irrgläubige Kirchen gibt, steht lediglich unter Gottes Zulassung, wie Gott auch noch andere Sünden zulässt.

Aber weiter: Dass Gott nur eine rechtgläubige Kirche haben wolle, folgt nicht nur aus dein Gebot, welches Gott den Predigern, die in der Kirche zu lehren haben, gegeben hat, sondern das ergibt sich auch mit Notwendigkeit aus dem Gebot, welches Gott allen Christen ohne Ausnahme gegeben hat. Gott befiehlt nämlich allen Christen ohne Ausnahme, nur solche Prediger zu hören, welche Gottes Wort unverkürzt und unverfälscht predigen. ,,Meine Schafe“, sagt der Herr Christus selbst Joh. 10, 27, ,,hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir.“ ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger“, spricht er Joh. 8, 31; und von der Gemeinde zu Jerusalem heisst es lobend: Apost. 2, 42: ,,Sie aber blieben beständig in der Apostel Lehre.“ Solche Prediger hingegen, welche Gottes Wort fälschen, sollen die Christen nach Gottes ausdrücklichen und ernsten Befehl meiden. Joh. 10, 5 sagt der Herr von den Christen:

,,Aber einem Fremden folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm.“ Er selbst gebietet Matth. 7, 15: ,, Sehet euch vor vor den falschen Propheten.“ Er gebietet durch den Apostel Paulus Röm. 16, 17: ,,Sehet auf die, die da Zertrennung und Aergernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernet habt, und weichet von denselbigen.“ Er gebietet durch den Apostel Johannis: ,,So jemand zu euch kommt und bringet diese Lehre nicht (nämlich die Lehre Christi), den nehimet nicht zu Hause und grüsset ihn auch nicht (nämlich als euren Glaubensbruder).“ Den Christen wird sehr oft in der heiligen Schrift eingeschärft, an einander die Schwachheiten zu tragen, aber Sie können die ganze heilige Schrift von Anfang bis zu Ende durchlesen, und Sie werden keine Stelle finden, ,wo Gott den Christen gebietet oder es ihnen auch nur erlaubt, Irrlehrer zu tragen oder zu dulden; von Irrlehrern sollen die Chri-


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sten sich abwenden, sie meiden, sie fliehen, mit ihnen nichts zu schaffen haben. Will aber Gott von all seinen Christen haben, dass sie nur rechte Lehrer hören und alle falchen Lehrer m eiden, so ist damit wiederum bewiesen, dass Gott nur eine rechtgläubige Kirche haben wolle. Freilich, tatsächlich gibt es viele Christen auch in den irrghäubigen Gemeinschaften, es gibt also viele Christen, die tatsächlich dem Gebot des HErrn, alle Irrhehrer zu meiden, nicht nachkommen. Wir Lutheraner, die wir behaupten, dass die lutherische Kirche allein die rechtgläubige Kirche sei, gestehen mit Dank gegen Gott und auf Grund des Wortes Gottes zu, dass es auch in irrgläubigen Gemeinschaften wahre Christen, wahre Kinder Gottes gibt, insofern nämlich in irrgläubigen Gemeinschaften noch wesentliche Stücke des Wortes Gottes, wenn auch mit Irrtum vermischt, gepredigt werden. Aber dabei halten wir fest, dass für alle Christen, auch für diese Christen innerhalb der irrgläubigen Gemeinschaften das Gebot Gottes Geltung behalte, alle Irrlehrer zu meiden. Dass Christen diesem Gebot nicht nachkommen, ist und bleibt eine Sünde, die ihnen freilich vergeben wird, so lange sie aus Schwachheit und Mangel an der rechten Erkenntnisr sündigen.

Drittens:        Alle Christen sollen nach der heiligen Schrift in dem von Gott vorgegebenen Glauben durchaus .einig sein. Unter den Christen gibt es viel Verschiedenheit, und muss es notwendigerweise viel Verschiedenheit geben. Erstlich auf dem natürlichen Gebiet. Es gibt schwarze Christen, weisse Christen, gelbe Christen der Hautfarbe nach; es gibt gelehrte und ungelehrte Christen; es gibt Christen, die in Republiken leben, es gibt auch Christen die in Monarchien leben. Diese und andere Verschiedenheiten finden sich unter den Christen auf dem natürlichen Gebiet. Dann gibt es einen Unterschied unter den Christen auch auf dem kirchlichen Gebiet, nämlich in allen den Dingen, welche durch Gottes Wort nicht bestimmt sind, zum Beispiel in den kirchlichen Zeremonien. Diese Dinge mag die Kirche jedes Orts und jedes Landes ordnen wie es ihr am besten erscheint. So mag die Kirche in Amerika andere Zeremonien haben als die Kirche in Deutschland, und die Kirche in Deutschland mag andere Zeremonien haben als die Kirche in Afrika und in Asien. Aber in einem Stück sollen alle Christen, ob sie weiss oder schwarz, gelehrt oder ungelehrt, ob es Deutsche oder Amerikaner oder Chinesen oder Indier sind — in einem Stück sollen sie alle übereinstimmen, und nicht die geringste Verschiedenheit unter ihnen sich finden: Das ist der Glaube oder die Lehre. So schreibt der Apostel Pauhus l Kor. 1, 10: ,,Ich ermahne euch aber, lieben Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesu Christi, dass ihr allzumal einerlei Rede führet (7va i-~ aÖi-~ X6ytrre 7rdv1-e~), undhasset nicht Spaltungen unter eli(-lI sein, sondern haltet fest an ein-ander in einem Sinn und in einerlei Meinung ( e‘v -,-c~> a&tsi vot ca~ e‘v ~ ai‘rri3 yvdi~j ) ,,.

Christen sollen also in Bezug auf die Lehre dieselben Worte und zwar in demselben Sinn gebrauchen, das heisst, sie sollen in der


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Lehre oder im Glauben übereinstimmen. Sind verschiedene Meinungen oder Spaltungen in der Lehre vorhanden, so ist das gegen Gottes ausgesprochenen Willen. — In neurer Zeit beruft man sich für die Berechtigung der Verschiedenheit des Glaubens in der Kirche auf die Verschiedenheit der Gaben, welche die einzelnen Nationen und die einzelnen Lehrer besitzen. Man hört nicht selten die Redeweise, dass die besonderen Eigenarten der Nationen und der Lehrer notwendig auch eine Verschiedenheit im Glauben herbeiführen müssten. Das ist aber eine Weisheit, die durch Gottes Wort als Torheit bezeichnet wird. Eph. 4, wo der Apostel Pauhus von den verschiedenen der Kirche verhiehenen Gaben handelt, sagt er, dass die verschiedenen Gaben der Kirche zu dem Zweck gegeben seien, damit alle Christen zu dem einen Glauben und der einen. Erkenntnis Jesu Christi kommen möchten ( d~ r~v OT~7Ta T?7~rL‘OTeG,~ ~a‘& T,7~ e~t cv~eo~~ TOV uio~ TOU 6eo~ ). Nun machen wir wiederum den Schluss: Wenn alle Christen nur den einen in Gottes Wort geoffenbarten Glauben haben sollen, so will Gott auch nur eine rechtgläubige Kirche haben. Von verschiedenen gleichberechtigten Richtungen innerhalb der Kirche zu reden, ist wider Gottes klares Wort. Nach der Schrift ist nur eine Richtung berechtigt, nämlich die Richtung, welche in allen Stücken bei Gottes Wort bleibt; alle anderen, ob sie nun viel oder wenig von Gottes Wort abweichen, sind in Gottes Wort verboten. Alle Christen sollten zur rechtgläubigen Kirche gehören, das ist der in Gottes Wort ausgesprochene Wille Gottes. Luther, der Engel mit dem ewigen Evangelium, der Reformator der Kirche, der Wiederhersteller der rechtgläubigen Kirche, ist nach Offenb. 14 gesandt allen die auf Erden sitzen und wohnen und allen Heiden und Völkern und Sprachen und Zungen.

Und endlich: Dass Gott nur eine rechtgläubige Kirche haben wolle, geht auch hervor aus den verschiedenen Namen, welche der Kirche in der heiligen Schrift gegeben werden. Ich erinnere hier nur an einige derselben. Die Kirche heisst in der heiligen Schrift das ,,Haus Gottes“ (1. Tim. 3). Sie heisst Gottes Haus, weil sie Gott gehört und Gott in ihr als einem geistlichen Hause wohnt. Wie es in einem irdischen Haus nur dann recht steht, wenn das Wort des Hausherrn im Haus regiert, so steht es in der Kirche, in dem Haus Gottes, nur dann recht, wenn allein Gottes, des Hausherrn Wort, in der Kirche regiert. Insofern in der Kirche Menschenwort gelehrt wird, setzt man Gott, den Hausherrn, ab, und ist die Kirche nicht mehr Gottes Haus. — Die Kirche heisst ferner das ,,Reich Christi“ (Joh. 18), und zwar heisst sie das Reich Christi, weil die von Christi geoffenbarte Wahrheit in diesem Reich verkündigt wird; wird nun aber etwas anderes als Christi Wahrheit in diesem Reich gepredigt und geglaubt, so wird insofern Christus als der Herr dieses Reiches abgesetzt. So ist das Reich insofern nicht mehr Christi, sondern der Menschen Reich.—  Ferner: Die Kirche wird in der heiligen Schrift oft das ,,Himmelreich“ genannt. Die Kirche aber ist nur deshalb das Himmelreich hier auf Erden, weil in der Kirche Gottes Wort gepredigt


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wird. Als der Heiland selbst Gottes Wort auf Erden predigte, da sagte er: ,,Das Himmelreich ist nahe herbeikommen“ Wir haben von Gott hier auf Erden nur so viel, als wir aus seinem Wort von ihm erkennen. Gott tritt hier auf Erden nur in der Hülle des Worts an uns heran, nicht unmittelbar. Wo daher Gottes Wort gepredigt wird, da kommt Gott zu uns, da ist das Himmelreich auf Erden. Wo aber Mensehenwort gepredigt wird, da ist insofern nicht das Himmelreich, sondern ein Weltreich, ein Menschenreich. — Und endlich: Die Kirche wird oft die Braut Christi genannt. Die Kirche ist die Braut Christi dädurch, dass sie allein Christi Wort hört, glaubt und demselben anhängt; insofern die Kirche ihr Ohr einem anderen zuwendet und damit ihr Herz auch einem andern schenkt, fällt sie von Christo ab, wird sie zu einer geistlichen Ehebrecherin. Deshalb ermahnt der Apostel auch die Korinther, sie sollen sich ja vor allen Irrlehrern hüten, damit er die korinthische Gemeinde als eine reine Braut bei Christo erhalten könne. Kurz, wir mögen in der heiligen Schrift hinsehen, wo wir wollen, überall tritt uns die Wahrheit als eine in der Schrift geoffenbarte entgegen: Nach Gottes Willen soll es nur eine rechtgläubige Kirche auf Erden geben.

Luther schreibt zu den Worten l Pet. 4, 11:

,,So jemand redet, dass er‘s rede ahs Gottes Wort: das ist eine sehr nötige Lehre in der Kirche, und wo sie wäre bisher gehalten worden, so wäre die Welt nicht mit des Antichrists Lügen und Verführung erfüllt... . Denn es ist nicht also in der Christenheit getan, wie in der Welt Regiment und den Sachen, so äusserhich Ding und Gut betreffen, da die Menschen, nachdem sie es verstehen und ihre Vernunft lehret, mögen regieren, Gesetz und Recht stellen und densehben nach gebieten, strafen, nehmen und geben; sondern es ist hie ein geisthich Regiment der Gewissen für Gott, und was da geredet, gelehret, geheissen oder getan wird, das muss also gehen, dass man wisse, dass es für Gott gilt und bestehet, ja, dass es vor ihm hier gehet und fleusst, damit man könne sagen: das hat Gott selbst gered‘t oder getan. Denn in diesem Hause, da er regieret und wohnet, da soll und will er auch, als der rechte Hausherr, alles miteinander selbst reden und tun, ob er wohh des Menschen Mund und Hand dazu brauchet. Darum muss hie am ersten und für allen Dingen in der Lehre, beide von Predigern und Zuhörern, darnach gesehen werden, dass man klar und gewiss Zeugnis habe, dass sohche Lehre sei eigentlich das rechte Gottes Wort, vom Himmel offenbaret den heiligen ersten Vätern, Propheten und Aposteln, und von Christo selbst bestätigt und befohlen zu lehren. Denn es ist mit nichte zu leiden, dass man also mit der Lehre wollt umgehen, wie es einem Jeden gelüstet, oder ihn gut und fein däuchte, und sich reimen wolhte nach menschlichem Verstand und Vernunft oder mit der Schrift und Gottes Wort spielen und gäu-


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kein, dass sich‘s müsste deuten, henken, dehnen und flicken lassen, wie sich‘s leiden wollte um der Leute oder Friedens und Einigkeit willen; denn damit wäre kein gewisser noch beständiger Grund, darauf sich die Gewissen verlassen möchten.“ — Luther XII, 48—50, 58.

Hätte man sich immer gegenwärtig gehalten: Gott will in seiner Kirche hier auf Erden weiter nichts als sein Wort gelehrt haben, dann würde man des Antichrists Lüge und Verführung mehr Widerstand entgegengesetzt haben. Gott hat den Menschen in Bezug auf die Gesetzgebung im Weltreich Freiheit gelassen. Auch ein Christ kann sich daher den verschiedensten Ordnungen in den Reichen dieser Weht unterwerfen: Wenn ein Christ hier in Amerika ist, dann hält er sich nach amerikanischen Gesetzen, wenn er in Deutschland ist, dann hält er sich nach den ganz anders gearteten deutschen Gesetzen, wenn er in China ist, dann hält er sich wieder nach den ganz anders lautenden chinesischen Gesetzen. Hier hat Gott kein bestimmtes Gebot gegeben. Aber anders steht es in der Kirche, im geistlichen Reich Christi. Ob ein Christ sich in Amerika oder in Deutschland oder in China befindet, immer wird er als Christ nur von einem Gesetz gebunden und regiert:  das ist Gottes geoffenbartes Wort. Nach dem Gesetz und Zeugnis muss ein Christ glauben und leben, wo immer auch auf der Erde er sich befinden möge. Gott braucht in seiner Kirche sündliche Menschen als seine ,,Mundboten“, aber diese Mundboten sohlen sich nun wohl vorsehen, dass sie auch weiter nichts in der Kirche Gottes reden, als was Gott ihnen in seinem Wort geboten hat. Auch nicht einen Gedanken, auch nicht den kleinsten Teil einer Lehre, sollen sie aus sich selbst nehmen, sondern in Bezug auf jeden Gedanken, mit welchem sie vor das Volk Gottes hintreten, sollen sie sagen können: ,,So spricht der Herr." Das liegt in den Worten 1. Petri 4, 11, wenn es da. selbst heisst: ,,So jemand redet (in der Kirche Gottes), dass er es rede als Gottes Wort ( ErTL9 XaXE~ c~ Xdry&a 6E0v ) ."

Ist ein Prediger darüber noch im Zweifel, ob ein Gedanke, den er in der Predigt aussprechen möchte, auch In Gottes Wort begründet sei, dann soll er ja diesen Gedanken zunächst unausgesprochen lassen; Er soll erst dann den Mut haben, mit diesem Gedanken vor die Gemeinde hinzutreten, wenn er sich überzeugt hat:

ja, das ist göttliche Wahrheit. Ein Prediger soll, keine Meinungen verkündigen, sondern eitel unverbrüchliche Wahrheit, nämlich die in Gottes Wort geoffenbarte Wahrheit.

Das ist auch eine der Bedeutungen des Amtskleides der Prediger. Wir halten an dem Aintskleid, an dem Chorrock oder Talar der Prediger, auch deshahb fest, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Prediger, wenn er auf der Kanzel steht, für seine Person ganz zurücktritt und nur als ein Mundbote Gottes dasteht; er soll lediglich das reden, was Gott ihm aufgetragen hat. Persönliche Meinungen sind in der Predigt nicht auf den Markt zu bringen. Denselben Sinn hat es auch, wenn die Richter der Supreme Court unseres Landes mit einem Talar bekleidet sind. Dadurch ist an-


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gedeutet, dass die Richter nicht nach ihrem subjectiven Dafürhalten, sondern lediglich nach dem geschriebenen Recht, Recht sprechen sollen. Ihre Person ist bedeckt zum Zeichen, dass sie nicht als Privatpersonen mit ihren persönlichen Ansichten, sondern als Mund des Gesetzes in Betracht kommen.

Wir nennen irrgläubige Gemeinschaften Kirchen, insofern in ihnen noch Stücke, wesentliche Stücke des Wortes Gottes gepredigt werden; insofern die irrgläubigen Gemeinschaften von Gottes Wort abweichen, sind sie Sekten. Es gilt nicht, dass eine Gemeinschaft sagt: ,,Hier ist die Kirche, wir sind die Kirche.“ Dass eine Gemeinschaft die Kirche sei, das Haus Gottes, hat sie damit zu beweisen, dass in ihrer Mitte Gottes Wort erschallt.

Zweiter Vortrag

Ehe wir den Beweis, dass die evangelisch-lutherische Kirche die rechtgläubige Kirche sei, liefern, muss ich noch darauf hinweisen, was wir unter dem Ausdruck ,,rechtgläubige Kirche“ verstehen und was nicht. Dieser Ausdruck wird nämlich vielfach missdeutet. — Wenn wir bekennen, dass die Kirche der Reformation, die lutherische Kirche, die rechtgläubige Kirche sei, dann ergreift alle Unionisten unter den Sekten und unter den Namenlutheranern ein wahres Entsetzen, und was sie uns in ihrem Entsetzen zunächst entgegenhalten, ist gewöhnlich dies: Dennoch behauptet ihr, dass die lutherische Kirche die alleinseligmachmende Kirche sei, ausser welcher es kein Heil gibt. Ihr gebt zu erkennen, dass ihr den papistischen Sauerteig noch nicht ganz ausgefegt habt.

Allein das ist eine Missdeutung unseres Satzes, die entweder in Unwissenheit oder in Blosheit ihren Grund hat. Für die alleinseligmachende Kirche, ausser welcher es kein Heil gibt, halten wir nicht die lutherische Kirche, sondern die eine, heilige, allgemeine, christliche Kirche, die Kirche im eigentlichen Sinne des Worts, die unsichtbare Kirche, welche die Gesammtheit aller an Christum als ihren Heiland Glaubenden ist. Ausser dieser Kirche gibt es allerdings kein Heil, weil nur wer an Christum glaubt, das Heil oder das ewige Leben hat. Wer daher nicht von Herzen an Christum glaubt, wer nicht ein Wiedergeborener ist, der gehört nicht zu Kirche, nicht zur Gemeinschaft derer, die die Seligkeit ererben, mag er auch äusserlich im Verband der rechtgläubigen Kirche sich befinden. Nur wer von Herzen an Christum glaubt, der ist ein Glied der christlichen Kirche, wo immer auch auf Erden und in welcher äusseren Gemeinschaft auch er sich befinden möge. Nun aber geben wir Lutheraner nicht nur zu, sondern bekennen es mit Freude und Dank gegen Gott, dass es solche Leute, welche von Herzen an Christum als ihren Heiland glauben, auch noch innerhalb der irrghäubigen Gemeinschaften gibt. Wir bekennen es daher auch mit lauter Stimme, dass die christliche Kirche über die äusseren Grenzen der rechtghäubigen Kirche sich weit hinaus erstrecke und überall dort sieh befinde, wo man noch


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zum Glauben an Christum kommen kann, wo also noch wesentliche Stücke des seligmachenden Evangeliums gepredigt werden. Ja, wo der Glaube an Christum ist, da ist Vergebung der Sünden und die Seligkeit. Wer die Vergebung der Sünden und die Sehigkeit noch von etwas anderem, als vom Glauben an Christum abhängig macht, zum Beispiel von der äusseren Zugehörigkeit zur sichtbaren rechtgläubigen Kirche, der greift die Lehre von der Rechtfertigung an.

Doch, da hält man uns entgegen: ,,Wenn ihr zugesteht, dass es Gläubige auch in den irrgläubigen Gemeinschaften und Ungläubige oder Heuchler auch in der rechtgläubigen Kirche gibt, was für eine besondere Bedeutung hat dann noch die rechtgläubige Kirche?“ Wir antworten: Eine sehr grosse. Die rechtgläubige Kirche ist die sichtbare Kirchengemeinschaft, wie Gott sie haben will. Wir haben in der letzten Stunde auf Grund der heiligen Schrift erkannt, dass Gott nur eine rechtgläubige Kirche haben wolle, dass alle irrgläubige Kirchengemeinschaften von Gott nur zugelassen werden wie jede andre Sünde, dass daher auch alle Christen gebunden sind, die Gemeinschaft der rechtgläubigen Kirche zu suchen, und dass jeder Christ Vergebung der Sünden für sein Bleiben in der Gemeinschaft der Irrgläubigen haben muss. Etwas wie Grosses ist es also nun die rechtgläubige Kirche!

Zum andern: zwar gibt es solche Seelen, die zum Glauben kommen und die Sehigkeit erlangen, auch in den irrgläubigen Gemeinschaften, aber nicht durch den Irrglauben, der sich dort findet, sondern durch die Stücke der Wahrheit, die dort noch vorhanden sind, und welche die Irrgläubigen mit den Rechtgläubigen noch gemeinsam haben. Der Irrtum, wo er ist, kann immer nur zerstörend wirken. Er kann immer nur hindern, dass die Seelen zum Glauben kommen und im Glauben erhalten bleiben; durch die besondere Treue und Gnade des heiligen Geistes ist es geschehen, dass das Gift des Irrtums unschädlich blieb. Die rechtgläubige Kirche dagegen ist eine solche Gemeinschaft, in welcher, was die Lehre anlangt, die Seelen nur Förderung haben auf dem Weg des Lebens und keine Behindrung. Es ist also etwas Grosses um die rechtgläubige Kirche.

Was wollen wir also mit dem Ausdruck: ,,rechtgläubige Kirche“ besagen? Nicht wollen wir, wie bereits ausgeführt ist, damit zum Ausdruck bringen, dass wir dierechtgläubige Kirche für die allein seligmachende Kirche halten, ausser welcher kein Heil ist, sondern wir wollen damit sagen, dass die rechtgläubige Kirche die Kirchengemeinschaft ist, welche die von Gott gewollte äussere Gestalt hat, in der das Wort Gottes, wie Gott es haben will, rein gepredigt und die Sakramente nach Christi Einsetzung verwaltet werden. Wir wollen damit sagen, dass die Kirche der Reformation, die lutherische Kirche, keine Sekte sei. Eine Sekte nämlich nennt man eine solche Kirchengemeinschaft, welche in einem oder in mehreren Stücken von der in der Schrift geoffenbarten Wahrheit abweicht und auf Grund dieses Irrtums oder dieser Irrtümer sich von der rechtgläubigen Kirche absondert und von derselben


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sich getrennt hält. Das ist eine Sekte. Eine Sekte waren, in der alten Kirche, die Nestorianer und die Monophysiten, welche auf Grund einer falschen Lehre von der Person Christi sich von der Kirche trennten. Eine Sekte ist die Papstkirche, denn auf Grund der schreckhichen Irrlehre, dass alle diejenigen, welche selig werden wollen, dem Papst unterworfen sein müssen, und auf Grund aller Irrlehren, welche damit notwendigerweise zusammenhängen, halt sie eine besondere kirchliche Organisation aufrecht. Eine Sekte sind die reformierte Kirche und alle reformierten Kirchengemeinschaften. Denn alle halten sich von der rechtgläubigen Kirche auf Grund einer falschen Lehre von den Onadenmitteln getrennt, abgesehen von andern Irrtümern, die sie daneben hegen. Eine Sekte sind in unserer Zeit auch die synergistischen Synoden geworden. Diese Synoden haben nämlich nicht nur eine falsche Lehre von der Bekehrung und von der Gnadenwahl angenommen. sondern sie halten sich auch auf Grund dieser falschen Lehren von der rechtgläubigen Kirche dieses Landes getrennt. Aber die Kirche der Reformation, die lutherische Kirche, ist keine Sekte, weil sie in allen Artikeln der Lehre bei Gottes Wort bleibt.

D. Walther sagt in seinem Referat über die lutherische Kirche:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche ist nicht die Ei-ne heilige christliche Kirche, ausser welcher kein Heil und keine Seligkeit ist, obwohl sie sich von derselben nie getrennt hat,‘ sondern sich zu ihr allein bekennt.“ (These XI).

Schon im 16. Jahrhundert wurde der lutherischen Kirche der Vorwurf gemacht, dass sie, wenn sie sich für die rechtgläubige Kirche erkläre, damit auch zugleich die Erklärung abgebe, dass in allen irrghäubigen Gemeinschaften nur Gottlose wären, oder dass Gläubige nur innerhalb der lutherischen Kirche zu finden seien. Dagegen erklärt sich die Concordienformel, und zwar in der Vorrede. Es heisst da:

,,Was denn die Condemnationes - - betrifft, so .. gesetzt werden müssen - ., ist unser Wille und Meinung nicht, dass hiemit die Personen, so aus Ein falt irren und die Wahrheit des göttlichen Wortes nicht lästern, viel weniger aber ganze Kirchen in- oder ausserhalb des heiligen Reiches deutscher Nation gemeinet . ., sintemal wir uns ganz und gar keinen Zweifel machen, dass viel frommer unschuldiger Leute auch in den KIRCHEN, die sich bisher mit uns nicht allerdings verglichen, zu finden sein.“

Merken Sie sich wohl diese Stehle aus der Vorrede des Concordienbuchs. Wenn Ihnen also entgegengehalten wird, dass die lutherische Kirche lehre, sie sei die alleinseligmachende Kirche, ausser welcher es kein Heil gebe, dann verweisen Sie auf diese Stelle in unserm Bekenntnis. So ernst es der lutherischen Kirche ist mit der Verwerfung aller Irrtümer, aller Lehren, die- dem Worte Gottes widerstreiten, so hält sie doch auf der andren Seite


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durchaus fest, dass es innerhalb der Gemeinschaften, welche falsche Lehre in ihrem öffentlichen Bekenntnis haben, viele Seelen geben kann und tatsächlich gibt, welche in Einfalt irren, die, obwohl sie in manchen Stücken nicht die rechte Erkenntnis haben, dennQch im Grunde ihres Herzens an Christo als an ihrem einigen Heiland festhalten. Deshalb werden diesen einfältigen Seelen, wie alle Schwachheiten in der Lehre um Christi willen vergeben.— Wie kommt es aber, dass noch Kinder Gottes auch in den irrgläubigen Gemeinschaften sich finden? Darauf antwortet Luther in folgenden Worten:

,,Müssen wir doch bekennen, dass die Schwärmer die Schrift und Gottes Wort haben in andern Artikeln, und wer es von ihnen hört und glaubt, der wird selig, wiewohl sie (nämlich die halsstarrigen Verführer), unheilige Ketzer und Lästerer Christi sind.“ (Brief von der Wiedertaufe vom Jahre 1528. XVII, 2675).

So wird in den reformierten Gemeinschaften die rechte Lehre vom heiligen Abendmahl und von der Taufe .verworfen, aber daneben wird doch noch gepredigt, das Christus der Heiland der Welt sei, und dass, wer an Christum glaubt, selig werde. Das ist göttliche Wahrheit, und die so gepredigte göttliche Wahrheit wirkt auch an den Herzen, denn die Kraft des Wortes Gottes ist nicht von der Person dessen, der das Wort verkündigt, abhängig, sondern das Wort ist in sich selbst kräftig. So können mitten in der irrgläubigen Gemeinschaft Seelen sowohl zur Erkenntnis ihres Sündenelends, als auch zur Erkenntnis Jesu Christi, ihres Heilands, kommen. Luther führt aus, wie selbst im Papsttum noch Kinder Gottes sich finden, ja dass unter dem Papsttum der ,,Ausbund“ der Christen sei. Das meint er so: Die Christen, welche trotz der schrecklichen Irrlehren, die im Papsttum im Schwange gehen, nicht verführt werden, müssen ganz besonders von Gott begnädigt sein. Luthers Worte lauten: -

,,Ich sage, dass unter dem Papst die rechte Christenheit ist, ja, der rechte Ausbund der Christenheit und viel frommer grosser Heiligen.“ -

Wie-können Seelen im Papsttum noch zum Glauben kommen? Nun, im Papsttum ist noch die rechte Taufe. Alle im Papsttum getauften Kindlein sind Gläubige und bleiben Gläubige so lange bis~ sie durch die im Schwange gehenden Irrlehren verführt werden. Aber auch trotz den im Schwange gehenden Irrlehren werden doch noch manche Seelen im Glauben erhalten. Da predigt zwar der Priester von Maria als der eigentlichen Retterin aller Sünder, aber4 daneben werden doch auch noch Texte der heiligen Schrift gelesen und eingestreut, und durch Gottes Gnade kann es geschehen, dass eine Seele nur an das nebenbei erwähnte Gottes-wort sich hält und den hauptsächlich gepredigten Irrtum nicht annimmt. Luther sagt:

,,Demnach gläube ich, dass Eine heilige christliche Kirche sei auf Erden, das ist, die Gemeine und Zahl oder Versammlung aller Christen in aller Welt. - - Und diesel-


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bige Christenheit ist nicht allein unter der römischen Kirche oder Papst, sondern in aller Welt; wie die Propheten verkündigt haben, dass Christi Evangelium sollte in alle Weht kommen. Ps. 2. Ps. 19, 5. Dass also unter Papst, Türken, Persen, Tariarn und allenthalben die Christenheit zerstreuet ist leiblich aber versammelt geistlich in Einem Evangehio und Glauben unter Ein Haupt, das JEsus Christus ist.“ (Grosses Bekenntnis vom Abendmahl Christi vom Jahre 1528. XX, 1381 .f.)

Wir Lutheraner glauben, dass die Christenheit leiblich über die ganze Erde zerstreut ist aber die so leiblich zerstreuten Christen bilden doch eine Einheit, eine so innige Gmeinschaft, wie sie sonst nicht mehr auf Erden zu finden ist. Die Christen, die über die ganze Erde zerstreut sind, sind mit einander inniger verhunden als leibliche Geschwister, als Eltern und Kinder. Warum? In den Herzen aller Christen wohnt trotz aller äusseren Verschiedenheit der eine Heilige Geist, denn nur welche der Geist Gottes treibt sind Gottes Kinder. Die Christen, wo sie sich auch finden mögen, sind alle durch den einen Heiligen Geist wiedergeborene Menschen. Es haben auch ahle ein und denselben Glauben; alle Christen, ob sie sich in Afrika oder Australien oder in Amerika befinden mögen, die glauben erstlich: wir sind in uns selbst vor Gott fluchwürdige Sünder. Zweitens glauben sie: Unsere Sünden werden uns von Gott aus Gnaden um Christi willen vergeben. Das glauben alle. Dieser Glaube macht das Wesen des Christentums aus. Wer nicht diesen Glauben hat, ist kein Christ. Wer aber diesen Glauben hat, der ist ein Christ, und wenn er daneben auch manche Irrtümer hegt. Alle Christen haben auch genau dieselbe Hoffnung, nämlich die Hoffnung, dass sie durch dies Leben in das ewige Leben eingehen. Wie sie alle auf Erden dieselben Erfahrungen machen, nämlich dass sie arme Sünder sind, und ihnen um Christi willen Gnade zu teil wird, so werden sie auch einst alle in Ewigkeit dieselbe Erfahrung machen, sie werden nämlich Gott schauen von Angesicht zu Angesicht, und ewig in der Gesell schaft der heiligen Engel sein. Eine so innig verbundene Gemeinschaft ist die Christenheit, wiewohl sie leiblich über die ganze Erde zerstreut ist. Luther schärft auch ein, dass man ja nicht eine sichtbare Kirche, also auch nicht die lutherische, für eine Eine, allgemeine christliche Kirche ausgebe, oder was dasselbe ist, er warnt vor der Vorstellung, als ob die rechtgläubige Kirche sämmtliche Gläubige in sich befasse.

,,Wo der Schall und die Worte des Geistes Christi sind, da ist auch ohne Zweifel die wahre Kirche Christi; denn der Geist Christi redet nirgends, als in seiner Kirche. Derowegen, da hier (Ps. 19, 5.) der Text offenbar ist, dass der Schall der Apostel in alle Lande ausgegangen sei, und an keinem Ort gelesen wird, dass er widerrufen worden, so haben wir uns zu besorgen, dass wir uns nicht etwan mit den gottlosen Donatisten, es sei mit diesen oder jenen, mit den alten oder neuen, allein für Gläu-


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        bige rühmen.“ (Ausfegung von Ps. 19. vom Jahre 1521.IV,. 1487. f.)

Luther nennt es also einen donatistischen Irrtum, wenn eine Partikularkirche behaupten sollte, sie sei die Kirche, das heisst, die Gemeinschaft, ausser welcher es keine Gläubige gibt. Wie steht es nun aber mit dem Irrtum der Kinder Gottes in den irrgläubigen Gemeinschaften? Gott hat doch das Abirren von seiner im Wort geoffenbarten Wahrheit verboten. Wie kann bei diesem von Gott verbotenen Abirren noch der Glaube bestehen? Darauf antwortet Luther: Die Christen in den irrgläubigen Gemeinschaften irren aus Schwachheit, ihr Herz bleibt dabei doch an Christo, dem Grund des Heils, bangen. Luther schreibt:

,,Es geschieht noch ohne Zweifel, viel frommen Christen, dass sie in einem einfältigen Glauben ihres Herzens Messe halten und achten es für ein Opfer. Aber dieweil sie sich auf das Opfer nicht verlassen, ja, sie haltens davor, dass alles, was sie tun, Sünde sei, und hangen allein an der lautem Barmherzigkeit Gottes: so werden sie erhalten, dass sie in diesem Irrtum nicht verderben. Wenn nun die Messpfaffen denselben ohne diesen Glauben nachfolgen, ihr Opfer hoch erheben und sicher verkaufen, so verdienen sie, dass ihnen dieser Irrtum zugerechnet wird und in dem, dass sie den Heiligen nachfolgen, ewighich verderben. Denn Gott siehet an, erforschet und richtet die Herzen und Nieren, Ps. 7, 10, das ist, innerliche Begierhichkeit. Daher kommt, dass Gott einem einen Irrtum nachlässt und vergibt, welchen er in einem andern verdammt, darum dass sie ungleiche Herzen im Glauben und Demut haben. .. Du kannst (darum doch) nicht sprechen: Ich will christlich irren. Ein christlicher Irrtum geschieht aus Unwissenheit, die der Apostel Röm. 14, 1 uns befiehlet, dass wir sie in ihrer Schwachheit leiden und dulden sollen, also, dass uns nicht gebührt, die, welche den Irrtum noch nicht wissen oder erkennen (so sie doch der Barmherzigkeit Gottes leben), zu verachten oder verdammen, so lange, bis sie den Irrtum erkennen. Das soll man aber fun, den Irrtum Jedermann offenbaren.“ (Vom Missbrauch der Messe, vom Jahre 1521. XIX, 1382. f.)

Luther redet hier von solchen einfältigen Christen im Papsttum, die auf die Frage, ob die Messe ein Opfer sei, mit dem Munde zwar ,,Ja“ antworteten, aber in ihrem Herzen doch auf Gottes Barmherzigkeit in Christo und nicht auf das Opfer in der Messe vertrauten. Freilich, hängt das Herz nicht an Christo, so kann garnicht die Rede davon sein, dass jemand ein Glied der christhichen Kirche sei. Das haben sich auch alle wohl zu merken, die innerhalb der rechtgläubigen Kirche sich befinden: es kommt auf die Stellung des Herzens an. Wenn jemand auch innerhalb der rechtgläubigen Kirche aufgewachsen ist und bis an seinen Tod in-


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nerhalb der rechtgläubigen Kirche bleibt, wenn er auch alle Lehren des Wortes Gottes kennt und mit dem Munde bekennt, hängt dabei sein Herz nicht an Christo als seinem Heiland, ist er nicht durch Wirkung des Heiligen Geistes ein armer Sünder geworden un4 zum Glauben an Christum als seinen Heiland gekommen, so gehört er nicht zur Kirche, wird er nicht selig, erreicht er nicht das Ziel, das doch viele innerhalb der irrgläubigen Kirche erreichen.

Sollte nun aber jemand sagen: ,,Steht es so, dass viele innerhalb der irrgläubigen Kirche und bei Irrtümern selig werden, dann will ich auch in einigen Irrtümern bleiben und dabei selig werden,“ so antwortet Luther: Es kann niemand sagen: ,,Ich will christlich irren.“ Wer irren will, der irrt nicht christlich, sondern gottloserweise, heidnisch; wer bei aufleuchtender besserer Erkenntnis innerhalb einer irrgläubigen Gemeinschaft bleibt und somit irren will, der fällt sicherlich aus dem Glauben. Ferner:

Wie Luther die Schwachen tragen heisst, so schärft er auch die Pflicht ein, ,,den Irrtum jedermann zu offenbaren.“ So haben auch wir die Pflicht der Belehrung, wenn Gott uns mit Christen zusammenführt, die sich innerhalb einer irrgläubigen Gemeinschaft befinden.

Auch die späteren lutherischen Lehrer haben die Wahrheit festgehalten, dass keine Partikularkirche die Kirche sei, das heisst, die Kirche in dem Sinne, dass sie alle Gläubigen in sich befasse. Sie behaupten und beweisen, dass die lutherische Kirche die wahre, in allen Stücken rechtgläubige sichtbare Kirche sei. Aber da. neben bekennen sie, dass die lutherische Kirche nur einen Teil der Gläubigen, nicht die Gesamtheit der Gläubigen in sich fasse.

So schreibt Carpzov:

,,Keine Partikularkirche kann von sich rühmen, dass sie jene Eine Kirche sei. Denn etwas anderes ist es, die Eine Kirche, sein, etwas anderes, von der Einen Kirche sein. Die ganze Kirche ist die Eine, unsere Kirche ist VON der Einen. . . . Wir geben zu, dass unsere Kirche eine Partikularkirche sei, dass sie aber allein die wahre Kirche sei, sagen wir nicht. Denn mag es immerhin, was die sichtbare Versammlung betrifft, keine andere reine und von Flecken in der Lehre freie geben, als die lutherische, so leugnen wir doch nicht, dass es eine andere Partikularkirche gebe, was die rechtschaffenen und Gott allein bekannten Glieder betrifft, die unter einem andern sichtbaren Haufen, und zwar auch unter einem unreinen, verborgen liegen, in denen die wahre Kirche eigentlich besteht.“ (Isagoge in libros eccl. luth. symb. Ed. 2. 1675. Seite 303. 876.)

Hören wir auch Bechmann:

,,Die Streitfrage, ob die Kirche der Lutheraner die wahre und reine Kirche sei, wird sonderlich zwischen uns und den Päpstlern getrieben. Damit aber der eigentliche Streitpunkt richtig festgestellt werde, ist zu bemer


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ken, dass nicht die Frage von der allgem einen Kirche sei, wie die Papisten alberner Weise von den Unsrigen verlangen, nehmhich dass sie erweisen, die Kirche der Lutheraner sei (in diesem Sinne) die wahre Kirche, das ist jene Eine allgemeine Kirche; denn dies haben die Unsrigen niemals behauptet dass die lutherische Kirche die wahre, das ist, die allgemeine Kirche sei. Es handelt sich daher um die Partikularkirche, ob unter so vielen Partikularkirchen die lutherische Kirche eine wahre und reine, nehrn lich Partikularkirche, sei.“ (Theol. polem. 1702. 4. Seite 781.)

Dritter Vortrag

Wollen Sie, die vorhandenen sichtbaren Kirchengemeinschaften richtig beurteilen, so müssen Sie den rechten Massstab anlegen. Dieser ist die Stellung der einzelnen Gemeinschaften zu der in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehre. Die Kirche Christi ist erbaut und soll stehen auf dem Grund der Apostel und Propheten, das heisst, sie soll alle in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehren grauben und bekennen. Bei der Wertung der einzelnen Kirchengemeinschaften müssen Sie daher fragen, ob diese Gemeinschaft auch in allen Stücken. Gottes Wort bekenne. Legen Sie einen andren Massstab an, so gehen Sie irre. Würden Sie zum Beispiel als Massstab die sogenannte kirchliche Tätigkeit zu Grunde legen, die Tätigkeit in der Mission, die Tätigkeit in der Errichtung und Erhaltung von Wohltätigkeitsanstalten, so würden Sie betrogen werden. Sie würden bei diesem Massstab vielleicht die antichristische Papstsekte für die rechte Kirche halten. Denn es ist ja bekannt, dass gerade die papistische Sekte einen grossen Eifer entwickelt in ihrer Mission und in der Errichtung und Erhaltung von Erziehungs- und Wohltätigkeitsanstalten. Aber schon von den Pharisäern und Schriftgelehrten sagt der Herr Christus Matth. 23, dass diese Sekte Land und Wasser umziehe um einen Proselyten und aus demselben ein Kind der Hölle zu machen. Freilich! die rechte Kirche soll sich im Eifer für die Mission und andre Werke der Liebe nicht übertreffen lassen. Es ist eine Schande für sie, wenn dies der Fall ist. Aber ein sicheres Kennzeichen der rechten Kirche sind diese Werke nicht. Auch die rechten kirchlichen Werke lassen sich äusserlich nachmachen. Aber vor allen Dingen haben wir festzuhalten: Das, was Gott zunächst vor allen andren Werken von jedem Christen fordert, das ist die gläubige Annahme der ganzen in der heiligen Schrift geoffenbarten Wahrheit und das Bekennen dieser Wahrheit. Dies will —ich wiederhole es noch einmal — Gott zunächst von jedem Menschen haben, und dies ist es auch; was allen Gott wohlgefälligen Werken zu Grunde liegen soll. Hierher gehört das Wort: ,,Gehorsam (das heisst, Gehorsam gegen Gottes geoffenbartes Wort


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und Gebot) ist besser denn Opfer.“ Und der Herr Christus selbst sagt: ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.“ Niemand soll meinen, dass er die Beiseitesetzung des geoffenbarten Wortes Gottes durch sogenannte kirchlichen Werke decken oder gut machen könne. Sie müssen daher allerdings bei der Wertung der vorhandenen sichtbaren Kirchen-gemeinschaften die Stellung derselben Gottes geoffenbartem Worte gegenüber im Auge behalten. Hiernach teilen sich nun aber alle vorhandenen Gemeinschaften, die man Kirchen nennt, in drei

Klassen:

Erstlich gibt es Gemeinschaften, die zwar auch Kirchen genannt werden, aber ihrer Lehre nach gar nicht mehr auf dem Fundament, welches der Kirche gegeben ist, stehen. Sie haben den Grund der Apostel und Propheten gänzlich verlassen. Das sind Gemeinschaften, die zwar auch im landläufigen Sprachgebrauch Kirchen genannt werden, aber alle Lehren, die das Wesen des christlichen Glaubens ausmachen, leugnen. Diese stehen tatsächlich ausserhalb der christlichen Kirche, und man nach dem Sprachgebrauch der Schrift ,,Götzentempel“ (1. Joh. 5, 20. 21), ,,Satansschulen“ (Offb. 2, 9) und so weiter nennt.

Zweitens gibt es kirchliche Gemeinschaften, die mit ihrer Lehre nur teilweise auf dem Grund der Apostel ünd Propheten stehen. Das sind Gemeinschaften, welche tatsächlich Hauptstücke der geoffenbarten Lehre vortragen, aber daneben auch in klar geoffenbarten Lehren Irrtümer bekennen. Diese Gemeinschaften stehen allerdings innerhalb der christlichen Kirche, aber sie heissen, insofern sie von dem geoffenbarten Wort Gottes abweichen, ,,Sekten.“

Drittens sind die kirchlichen Gemeinschaften der Art, dass sie ganz auf dem Grund der Apostel und Propheten stehen, keine anderen Lehren führen als die in der heiligen Schrift geoffenbarten und auch unter den Schriftlehren nicht eine Auswahl treffen, liegen bekennen. Diese Gemeinschaften sind, auf das Lehrbekenntnis gesehen, so beschaffen, wie Gott sie haben will sie heissen daher ,,rechtgläubige Gemeinschaften.“

Zur ersten Klasse gehören in unserer Zeit zum Beispiel, die Unitarier, Universalisten und Andere. Diese nennen sich zwar auch christliche Gemeinschaften, aber sie leugnen alle Lehren, welche das Wesen des Christentums ausmachen; sie leugnen die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit und von der Gottheit Christi, sie leugnen daher auch das Erlösungswerk oder die stellvertretende Genugtuung Christi; sie haben daher auch kein Evangelium. In diesen Gemeinschaften kann daher auch, soweit ihre Lehre in Betracht kommt, kein Mensch zum Glauben an Christum kommen und somit selig werden. Die Unitarier und alle diesen ähnlichen Gemeinschaften sind daher extra ecclesiam.

Zur zweiten Klasse gehören die Sekte des Papstes und die zahlreichen reformierten Sekten: die Episkopalen, Presbyterianer, Kongregationalisten, Baptisten, Methodisten, und so weiter. Diese alle halten in ihren Lehrbekenntnissen Hauptstücke der in


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der heiligen Schrift geoffenbarten Lehre fest, andrerseits aber bekennen sie auch Irrtümer in solchen Lehren, die mit dem Fundament des Heils zusammenhängen und in der heiligen Schrift klar geoffenbart sind. Wir nennen diese Gemeinschaften ,,Kirchen“ insofern sie noch Stücke der geoffenbarten Wahrheiten festhalten, ,,Sekten“ aber insofern sie Irrtümer lehren und auf Grund dieser Irrtümer eine gesonderte Gemeinschaft der recht. gläubigen Kirche gegenüber aufrechterhalten.

Die dritte Klasse endlich ist, soweit unser Kenntnis der kirchlichen Gemeinschaften zu unsrer Zeit reicht, nur durch eine Gemeinschaft vertreten, durch die Kirche der Reformation, die evangelisch-lutherische Kirche, deren Lehren in den im Lauf der Zeit kontrovers gewordenen Artikeln wir in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche dargelegt finden. Die Lehren der lutherischen Kirche erweisen sich bei genauer Prüfung als in vollkommener Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift stehend. Wir werden uns mit der Führung dieses Beweises später beschäftigen.

In unsrer Zeit und sonderlich auch in unserm Lande redet man von ,,Orthodoxenlehrern“ und Gemeinschaften noch in einem eigentümlichen Sinn. Man hat nämlich das Merkmal der Rechtglaubigkeit auf die Annahme einiger christlichen Hauptlehren eingeschränkt. In unserer Zeit ist der Unitarismus in die christliche Kirche eingedrungen. Man will bei der Leugnung der heiligen Dreieinigkeit, der Gottheit Christi, der Erlösung durch Christum, der Autorität der heiligen Schrift, der Ewigkeit der Höllenstrafen und so weiter, noch christlich sein. Diesem völligen Umsturz gegenüber hat man Lehrer und Gemeinschaften ,,orthodox“ genannt, welche die Lehren von der Inspiration der heiligen Schrift, von der Goftheit Christi, von der Notwendigkeit der Wiedergeburt und des Glaubens an Christum zur Seligkeit, von der Ewigkeit der Hollenstrafen noch festhalten wollen. Nun ist es ja erfreulich, dass bei dem allgemeinen Umsturz noch christliche Hauptwahrheiten festgehalten werden. Aber das kann uns doch nicht bewegen, diese Gemeinschaften orthodox oder rechtgläubige Gemeinschaften zu nennen. Nach Gottes Wort sind wir nur berechtigt, die kirchliche Gemeinschaft eine rechtgläubige Gemeinschaft zu nennen, das heisst, eine Gemeinschaft wie Gott sie haben will, welche nicht bloss in einigen Lehren, sondern in allen Lehren bei Gottes Wort bleibt. In diesem Sinn ist die lutherische Kirche eine rechtgläubige Kirche, wie wir mit Gottes Hilfe nachweisen wollen.

Nur im Vorbeigehen mache ich noch darauf aufmerksam, dass man neben der rechtgläubigen Kirche und den irrgläubigen Gemeinschaften auch noch von schismatischen oder separatistischen Gemeinschaften redet. Das sind solche Gemeinschaften, die sich ohne triftigen Grund, zum Beispiel, nur auf Grund kirchlichen Zeremonien, von der Kirche getrennt halten. Doch davon wollen


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wir heute Abend nicht weiter reden. Hören wir noch einige Zitaten zur Bestätigung der Wahrheit, dass der Charakter einer christlichen Gemeinschaft nach ihrer Stellung zu Gottes Wort zu beurteilen sei.

,,Gemeinschaften, welche sich zwar christlich nennen, aber Gottes Wort nicht als Gottes Wort anerkennen und daher den dreieinigen Gott verleugnen, sind nach Gottes Wort nicht Kirchen, sondern Schulen des Satans und Götzentempel.“ (These VII.)

Dazu der Schriftbeweis:

,,Indem Christus diejenigen, welche in seine Kirche aufgenommen sein wollen, auf den Namen des drei ei nigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, taufen heisst (Matth. 28, 19.), so sind alle diejenigen Gemeinschaften, welche das Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit leugnen, ausserhalb der Kirche.“

Wenn alle diejenigen, welche in die Kirche aufgenommen werden wollten, ihren Glauben an Gott den Vater, Sohn und heiligen Geist bekennen müssten, so sind alle diejenigen, welche diesen Glauben nicht bekennen wollen, nicht in die christliche Kirche aufzunehmen, sondern als solche anzusehen, welche ausserhalb der christlichen Kirche stehen.

Und was die Gottheit Christi betrifft:

Wenn ferner Johannes schreibt: ,,Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht“ (Joh. 2, 23.), so ist alle religiöse Verehrung derjenigen, welche leugnen, dass JEsus Gottes wahrer Sohn sei, mit demselben gleiches Wesens und gleicher Herrlichkeit, kein Gottes- sondern ein Götzendienst. Nachdem daher Johannes geschrieben hat: ,,Christus ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben,“ setzt er sogleich hinzu: ,,Kindlein, hütet euch vor den Abgöttern.“ (1 Joh. 5, 20. 21).

Wer nicht von Christo bekennt, dass er der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei, stellt sich einen Gott vor, den es gar nicht gibt. Er stellt sich nämlich einen Gott vor, welcher den Menschen ohne Christi des Sohnes Gottes unendliches Verdienst, ohne Christi des Sohnes Gottes stellvertretendes Leben, Leiden und Sterben gnädig sei. Einen solchen Gott aber gibt es nicht, derselbe ist ein reines Gedankending; und wer einen solchen Gott anbetet, betet einen Götzen an. Die Leugner der wahren Gottheit Christi sind daher, wenn sie auch viel von dem einen Gott, der alles erschaffen hat, reden, geradeso extra ecclesiam,wie die Heiden mitten in Afrika. Wer nicht durch Christum, den Heiland, der Gott und Mensch ist, zu Gott kommt, der kommt überhaupt nicht zu Gott, und wenn er meint zu Gott zu kommen, so trifft er, wie Luther sagt, nicht den wahren Gott, sondern einen Götzen. Wir müssen unverrücklich festhalten: ohne die Gottheit Christi gibt es keine Erlösung, denn wir sind erlöst durch das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Da mag jemand noch so viel von Gott und


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göttlichen Dingen reden, er hat nicht mehr das Objekt des seligmachenden Glaubens. Denn warum macht der Glaube selig? Nicht weil der Glaube an sich eine so grosse Tugend wäre, sondern weil der Glaube das vollkommene Verdienst dessen ergreift, der als Gott und Mensch in einer Person für uns das Gesetz erfüllt und des Gesetzes Fluch getragen hat.

In Bezug auf die Juden steht die Sache so: Die Juden waren eine Kirche vor der Erscheinung Christi im Fleisch, insofern die rechten Juden auf die Erscheinung des Sohnes Gottes im Fleisch im Glauben warteten, aber nachdem nun der Messias gekommen ist und die Juden Christum verworfen haben, so sind sie nun auch keine Kirche mehr, sondern ein Kaufe extra ecclesiam.

In der Apologie finden Sie die Erklärung unseres Bekenntnisses, dass alle Unitarier nicht zur christlichen Kirche gehören.

.Apologie: ,,Den ersten Artikel unseres Bekenntnisses lassen ihnen die Widersacher gefallen, in welchen angezeigt wird, wie wir gläuben und lehren, dass da sei ein ewiges, einiges, unzerteilt göttlich Wesen, und doch drei unterschiedene Personen in Einem göttlichen Wesen, gleich mächtig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist. Diesen Artikel haben wir allezeit also rein gelehret und verfochten, halten auch und sind gewiss, dass derselbige so starken, guten, gewissen Grund in der heiligen Schrift hat, dass niemands möglich, den zu tadeln oder umzustossen. Darum schliessen wir frei, dass alle diejenigen Abgöttische, Gotteslästerer und ausserhalb der Kirche Christi sein, die da anders halten oder lehren.“ (Artikel 1.)

Warum sind unitarische Gemeinschaften als ausserhalb der christlichen Kirche stehend zu betrachten? Die Antwort darauf hat zu lauten: weil in diesen Gemeinschaften kein Evangelium und keine Sakramente sind, und somit auch nicht Menschen zum Glauben an Christum als ihrem Heiland kommen können. Wo aber keifie Gläubigen sind, da ist auch keine Kirche. Wo suche ich den Weizen? Da, wo er gesät ist. So kann ich die Kirche auch nur da suchen, wo die Kirche gesät ist und gesät wird. Wodurch wird die Kirche gesät oder was ist der Same der Kirche? Das Evangelium von Christo Jesu, dem Sünderheiland, wie es in der öffentlichen Verkündigung des Wortes und in der Verwaltung der Sakramente im Schwange geht. Wo daher dies Evangelium nicht mehr ist, da kann ich auch keine Kirche suchen, und die Gemeinschaften, welche kein Evangelium haben, sind ausserhalb der christlichen Kirche. Darüber, dass die Unitarier nicht die christliche Taufe haben, schreibt Calov

,,Von den Samosatenianern ist aus Epiphanius bekannt, dass sie von der alten Kirche wegen der Gräulichkeit ihrer Glaubenslehre für Gottesmörder, Christustödter und Gottesleugner erklärt und gehalten worden sind, weil sie die göttliche Natur Christi umstie8sen und

        


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daher Gott, so viel sie betraf, töten und verleugnen. Weit entfernt, dass sie für Christen gehalten worden sind, so ist vielmehr durch das allgemeine nicänische Concilium im 21. Kanon festgesetzt worden, dass sie in der allgemeinen Kirche wieder zu taufen seien. . . Mit Recht wird daher auch auf die socinianische Sekte der Ausspruch Tertullians im Buch von der Taufe angewendet: ,Weil wir und sie nicht denselben Gott, nicht Einen Christus, nehmlich nicht einen und denselben, haben, daher haben wir auch nicht Eine Taufe.‘ Auch jener Ausspruch Cyprians über die zu taufenden Ketzer: ,Daher können wir und die Ketzer nicht Eine Taufe haben, mit denen die Kirche weder Gott den Vater, noch Christum den Sohn, noch den heiligen Geist, noch den Glauben selbst gemein hat.‘ Es hat auch der Diakonus der römischen Kirche, Hilarius, nach dem Zeugnisse des Hieronymus (gegen die Luciferianer) die von der Arianern Getauften zur Taufe zugelassen. Unser selige Aegidius Hunnius schreibt in seiner 41. Disputation: ,Wir sagen, dass eine von einem Antitrinitarier (der die Dreieinigkeit leugnet) oder von einem Arianer erteilte Taufe nichtig sei, wenn sowohl der Diener, als die Kirche den Artikel der hochheiligen Drei-einigkeit (in deren Namen das Sakrament der Taufe verrichtet wird) nicht glaubt.‘ Wie und aus welcher Ursache das Altertum dafür gehalten hat, dass die Arianer vielmehr zu den Heiden, als zu den Christen, zu rechnen seien ist oben gesagt worden (weil sie nehmlich einen erdichteten Christus anbeten, von dem sie sagten, dass er nicht von Natur Gott sei) . Athanasins schreibt an Epiktetus: ,Wie mögen Diejenigen Christen genannt werden wollen welche sagen, dass das Wort in den Menschen Jesu wie in einen Propheten gekommen und nicht selbst Mensch geworden sei‘ aus der Jungfrau Maria? Fulgentius schreibt in der Schrift an den Donatus vom rechten Glauben: ,Werden sie (die Arianer) wagen, zu behaupten, dass sie Christen seien, da ja ein Christ seinen Namen von Christo empfangen hat, aber durchaus niemand ein Christ sein könnte, wer nicht bekennt, dass Christus der HErr sein Gott sei?‘ Da es nun mit den Socinianern dieselbe Bewandtnis hat, so muss auch über dieselben dasselbe Urteil gefällt werden.“ (Socinismus profligatus. 1668. 4. Seite 33. f.)

Achten Sie darauf, dass Calov zwischen einem unitarischen Pastor und einer unitarischen Gemeinde unterscheidet. Der Umstand, dass ein Prediger für seine Person ein Antitrinitarier sei, genügt noch nicht eine Gemeinde zu einer antitrinitarischen zu machen. Es kann ja so stehen, dass der ungläubige Prediger seinen Unglauben entweder gänzlich für sich behält oder denselben doch nicht deutlich ausspricht, und dass die Gemeinde, welche ein solcher bedient, an der Lehre von dem dreieinigen Gott und der


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Gottheit Christi noch festhält. In diesem Fall ist der Standpunkt der Gemeinde zu beurteilen nach der Gemeinde selbst, nicht nach dem Prediger. Wenn zum Beispiel, die Gemeinde noch einen Katechismus hätte, in welchem die Dreieinigkeit und die Gottheit Christi gelehrt wird, so würde man die innerhalb dieser Gemeinde vollzogene Taufe als eine christliche Taufe anerkennen. Anders aber steht es, wenn eine Gemeinde einen Prediger, der offen seinen Unglauben bekennt, als Prediger duldet und wohl gar einen antitrinitarischen Katechismus angenommen hat, wie es zum Beispiel der Fall ist bei den St. Loniser Gemeinden der ,,Freien Protestanten.“ In diesem Falle muss man sagen: Hier ist die Verwerfung aller wesentlichen Stücke der christlichen Lehre auch bereits in die Gemeinde übergegangen, die Gemeinde ist daher auch ausserLalb der christlichen Kirche und die innerhalb dieser Gemeinde Getauften sind erst noch zu taufen, wenn sie zur christlichen Kirche kommen. .

Hören wir nun auch eine Definition einer wahren sichtbaren oder rechtgläubigen Kirche.

,,Zwar nennen die kirchlichen Schriftsteller zuweilen auch alle diejenigen Gemeinschaften, welche Gottes Wort noch wesentlich behalten, im Gegensatz zu den Nichtkirchen, wahre, das ist, wirkliche Kirchen; eine wahre sichtbare Kirche aber in einem uneingeschränkten Sinne, im Gegensatz zu den falschgläubigen Kirchen oder Sekten, ist nur diejenige, in welcher Gottes Wort rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden. (These VIII.)

Dazu der Schriftbeweis:

Christus spricht: ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger, und werdet die Wahrhcit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Joh. 8, 31. 32. ,,Die Schafe hören seine (des Hirten) Stimme . . folgen ihm nach . . einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm.“ Joh. 10, 3—5. Da nun die Kirche die Gesammtheit der Jünger Christi und die Heerde seiner Schafe ist, so ist auch nur die eine wahre sichtbare Kirche in einem uneingeschränkten Sinne oder wie sie sein soll, welche in allem bei Christi Rede bleibt, auf seine Stimme hört, ihm in allem folgt und vor den Fremden, die ein andere Lehre bringen, flieht.

St. Paulus ermahnt: ,,Seid fleissig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Ein Leib und Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs, Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch alle, und durch euch alle, und in euch allen.“ Ephes. 4, 3—6. Eine wahre Kirche, wie sie sein soll, ist daher nur die, in welcher nicht verschiedener Glaube, falscher und rechter, sondern in Glauben und Leben, in Wort und


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Sakrament Einigkeit im (kiste herrscht.

Endlich schreibt derselbe Apostel: ,,Ich ermahne euch aber, lieben Brüder, durch den Namen unseres HErrn JEsu Christi, dass ihr allzumal einerlei Rede führet und lasset nicht Spaltung unter euch sein, sondern haltet fest an einander in Einem Sinn und in einerlei Meinun g.“ 1 Kor. 1, 10. Eine Kirche, wie sie sein soll, ist daher auch nur die, die in Betreff der geoffenbarten Lehre nicht nur einerlei Rede führt, sondern dies auch tut in Einem Sinn und in einerlei Meinung."

Wir halten also fest, dass die Kirche allein die wahre, sichtbare Kirche genannt zu werden verdient, welche nicht bloss in einigen, sondern in allen Artikeln bei dem geoffenbarten Wort bleibt.

Wenn und insofern eine Kirchengemeinschaft ihre eigene und nicht Christi Lehre führt, hat sie nicht die von Christo gewollte Gestalt, ist sie nicht eine wahre sichtbare Kirche in einem uneingeschränkten Sinne.

Nach Gottes Wort ist, wie schon früher erinnert wurde, nur eine Richtung in der Kirche berechtigt, nicht zwei oder drei oder mehrere, nämlich die Richtung allein ist berechtigt, welche in allen Stücken bei der geoffenbarten Wahrheit bleibt. Alle Richtungen, welche in einem oder mehreren Stücken von der geoffenbarten Wahrheit abweichen, sind von Gott nicht gewollt, sondern nur zugelassen, sie sind, insofern sie von Gottes Wort abweichen, nicht existenzberechtigt. Gott will nach seinem Wort nur eine rechtgläubige Kirche haben. Die Rechtgläubigkeit der Kirche ist die von Gott gewollte äusserliche Gestalt der Kirche. Das spricht unsere Kirche auch im siebenten Artikel der Augsburgischen Konfession aus, der also lautet:

,,Es wird auch gelehret, dass allezeit müsse Eine heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein geprediqt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden.“

Man hat uns gerade auf Grund des siebenten Artikels der Augsburgischen Konfession den Vorwurf gemacht, dass nach lutherischer Lehre die Kirche nur innerhalb der lutherischen Kirche zu finden sei, oder dass die lutherische Kirche sich für die alleinseligmachende Kirche, die Kirche, ausserhalb welcher es keine Gläubigen gebe, erkläre, denn hier werde die Kirche definiert als die ,,Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rem gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden.“ Weil nun nach unserer Lehre in den Sekten das Evangelium nicht rein gepredigt und die Sakramente nicht durchaus nach der Einsetzung verwaltet werden, so könnten daselbst laut dieses Artikels auch keine Christen mehr sein. Es ist aber zu beachten: Unser lutherisches Bekenntnis beschreibt hier die Kirche, wie sie nach Gottes Willen beschaffen und in Erscheinung treten soll — auch im Gegensatz zu falschen papistischen


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Beschreibungen der Kirche. Gott will allerdings, dass sein Wort rein gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden, denn dazu hat er sein Wort gegeben, dass es recht gelehrt werde, dazu auch seine Sakramente eingesetzt, dass sie recht verwaltet werden nach seiner Einsetzung. Das ist, was unsere Kirche hier bekennt. Unser Bekenntnis definiert daher die Kirche gerade so, wie Christus selbst, wenn er Joh. 10 sagt: ,,Die Schafe hören seine Stimme . . folgen ihm nach . . einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm.“ Es ist auch im natürlichen Leben so, dass man ein Ding nach den Merkmalen beschreibt, die zu seiner rech ten Beschaffenheit gehören. Wenn man mir aufgibt, einen Menschen zu beschreiben, so beschreibe ich den Menschen nicht nur als aus Leib und Seele bestehend, sondern sage auch wei ter von ihm zum Beispiel, dem Leibe nach, dass er zwei Arme und zwei Beine habe. Damit leugne ich aber nicht, dass diejenigen auch noch Menschen seien, welche bloss einen Arm und ein Bein haben; aber es sind nicht Menschen, wie sie sein sollen oder Menschen von der rechten Beschaffenheit. Daher nehme ich das fehlende Bein und den fehlenden Arm auch nicht in die Beschreibung eines Menschen auf und etwa sagte: ,,Ein Mensch ist ein Wesen, welches teils zweiarmig, teils einarmig ist“ und so weiter. So nimmt auch die Augsburgische Konfession in die Beschreibung der Kirche, oder der Christen den Umstand nicht auf, dass es Christen gibt, welche von Irrlehrern verführt, in einigen Stücken Christi Wort nicht hören. Damit stimmt auch die Beschreibung welche die Concordienformel von der rechten Gestalt der Kirche gibt:

,,Solchergestalt werden die Kirchen von wegen Ungleichheit der Zeremonien, da in christlicher Freiheit eine weniger oder mehr derselben hat, einander nicht verdammen, wann sie sonst in der Lehre und ALLEN derselben Artikeln, auch rechtem Gebrauch der Sakramente mit einander einig sind.“ (Wiederholung Artikel 10.)

Hier wird sowohl negativ als positiv gesagt, worin die rechte äussere Gestalt der Kirche Gottes auf Erden besteht: Ersthich nicht darin, dass die Kirche allenthalben dieselben kirchlichen Zeremonien habe. Da können in der Missouri-Synode andre Zeremonien sein, als in der Wisconsin-Synode und in der MinnesotaSynode, und in diesen drei Synoden wieder andre, als in der sächsischen Freikirche; dadurch wird die rechte äussere, von Gott gewollte Gestalt dieser kirchlichen Gemeinschaften nicht aufgehoben, denn die kirchlichen Zeremonien sind in Gottes Wort weder geboten noch verboten. Aber worin müssen alle kirchlichen Gemeinschaften übereinstimmen, die den Anspruch erheben, dass sie rechtgläubige Gemeinschaften seien, solche Gemeinschaften, wie Gott sie haben will? Sie müssen übereinstimmen ,,in der Lehre und allen derselben Artikeln,“ nicht nur in einem oder mehreren Artikeln. Hier haben Sie in unserm Bekenntnis eine Definition, was rechtgläubige Gemeinschaften seien.


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Vierter Vortrag

Nach dem Sündenfall weiss kein Mensch aus sich selbst, wie er selig werden könne. Dass unter den Menschen in Bezug auf diesen Punkt eine völlige Unwissenheit herrsche, bekunden sie tatsächlich dadurch, dass sie allesamt, wenn sie aus ihrer eigenen Weisheit schöpfen, einen ganz verkehrten Weg zur Seligkeit einschlagen, nämlich den Weg der Werke. Aber Gott hat sich in Gnaden der Menschen erbarmt; er hat den im Dunkeln tappenden Menschen eine Offenbarung gegeben, und diese Offenbarung liegt den Menschen vor in dem geschriebenen Wort der Apostel und Propheten, in der heiligen Schrift. .

Aber Gott hat nun auch die Menschen an diese Offenbarung, welche er ihnen gegeben hat, auf das strengste gebunden. Gott schärft nun auch den Menschen ein, dass sie in geistlichen Dingen nicht mehr und nicht weniger lehren und glauben als in der Schrift geschrieben steht. ,,Ihr sollt nichts dazu tun, das ich euch gebiete, und sollt auch nichts davon tun“, sagt er 5 Mose 4, 2; uhd abermal: ,,Haltet und tut alles was geschrieben steht im Gesetzbuch Mose, dass ihr nicht davon weichet, weder zur Rechten noch zur Linken.“ Gott schärft nun auch den Menschen ein, dass sie aus keiner andren Quelle als aus seinem geschriebenen Wort die geistliche Erkenntnis schöpfen. Nun heisst es für die Menschen:

,,Ja, nach dem Gesetz und Zeugnis! Werden sie das nicht sagen, so werden sie die Morgenröte nicht haben.“ ,,Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören.“ Gott schärft nun den Menschen ein, dass seine Offenbarung, wie sie in der heiligen Schrift vorliegt, eine vollkommen ausreichende Erkenntnisquelle und Norm aller christlichen Lehre in geistlichen Dingen sei. Er sagt von seinem Wort, dass es unterweisen könne zur Sehigkeit, dass es auch einen Menschen Gottes, (das heisst, einen Lehrer der Kirche) vollkommen mache, zu allem guten Werk geschickt (2 Tim. 3,15—17).

Daher ist denn nur die Kirchengemeinschaft eine solche Gemeinschaft, wie sie sein soll oder eine rechtgläubige Gemeinschaft, welche die heilige Schrift, oder das geschriebene Wort der Propheten und Apostel, als die alleinige und ausreichende Quelle und Norm aller christlichen Lehre anerkennt. Der Apostel sagt von der Kirche: ,,erbauet auf dem Grund der Apostel und Propheten“, das heisst: die Kirche hält sich in ihrem Glauben einzig und allein an das Wort, das inspirierte Wort der Apostel und Propheten. Insofern eine Kirchengemeinschaft dies nicht tut, insofern sie aus einer andern Erkenntnisquelle schöpft, insofern sie Menschenwort oder menschliche Gedanken zum Grund ihrer Lehre und ihres Glaubens macht, insofern ist diese Gemeinschaft von dem Grund, welchen Gott der Kirche gegeben hat, abgefallen, insofern ist sie nicht eine rechte Kirche, sondern eine Sekte.

Daher ist keine rechtgläubige Kirche die reförmierte Kirche.


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Zwar sagt auch diese im allgemeinen, dass die heilige Schrift die Quelle und Norm aller Lehre sei, aber tatsächlich setzt sie in gewissen Lehren zum Beispiel, in den Lehren von der Person Christi und vom Abendmahl an die Stelle der heiligen Schrift die menschliche Vernunft. In der Lehre von der Person Christi bestreiten die reformierten Lehrer die Mitteilung der Eigenschaften mit dem philosophischen Axiom: ,,Finitum non est capax infiniti“ (Das Endliche ist des Unendlichen nicht fähig); und da mag nun die heilige Schrift sagen: ,,Das Wort ist Fleisch geworden“, Joh. 1, 14. ,,In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, Kol.

2, 9. — die reformierten Lehrer bleiben dabei: ,,Finitum non est capax infiniti.“ Gegen die wesentliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl führen die reformierten Lehrer das philosophische Axiom ins Feld: ,,Omne corpus verum est in loco pliysice et visibiliter“ (Jeder wahre Leib ist an einem Ort räumlich und sichtbar zugegen ) . Ist daher keine lokale und sichtbare Gegenwart des Leibes Christi da, so ist der Leib Christi überhaupt nicht gegenwärtig. Mag nun die Schrift so viel sagen wie sie will, dass das Brot im heiligen Abendmahl der Leib Christi sei, sie bleiben dabei: ,,Omne corpus verum in loco physice et visibiliter.“ So kommen die reformierten Lehrer in die Lage, dass sie, um ihre Vernunftprinzipien zu retten, die hellen Schriftworte in das gerade Gegenteil verkehren. Ja, nicht die demütige, glii ubige Unterwerfung unter das Schriftwort, sondern der Rationa lismus ist das Charakteristikum der reformierten Kirche, soweit sie von der lutherischen Kirche abweicht. Das haben einzelne reformierte Lehrer ganz grob ausgesprochen. So zum Beispiel Zwingli beim Kolloquium zu Marburg im Jahre 1529. Als Zwingli bewiesen wurde, dass auf Grund der Einsetzungsworte im heiligen Abendmahl Christi Leib und Blut gegenwärtig sei und genommen werde, da sagte er: Gott lege uns Menschen nicht so unbegreifliche Dinge zu glauben vor, ein Wort, woriiber Melanchton dazumal noch von Herzen erschrocken war. Andre reformierte Lehrer haben geradezu gesagt, die Vernunft sei wenigstens das zweite oder sekundäre Prinzip in der Theologie. Die reformierte Kirche kann nicht eine Schwesterkirche der lutherischen Kirche genannt werden. Dass es eine reformierte Kirche neben der lutherischen Kirche gibt, ist nicht das Resultat einer ,,notwendigen geschichtlichen Entwickelung“, wie man sich heutzutage ausdrückt, sondern ist das Resultat des Umstandes, dass die reformierte Kirche neben Gottes Wort in den Lehren, durch welche sie sich von der lutherischen unterscheidet, die menschliche Vernunft zu dem Prinzip der Theologie macht. Das rationalistische Prinzip, welches durch die Reformierten in der Theologie eingeführt ist, kommt zur vollständigen Ausbildung bei den Socinianern, Unitariern und den Neu-Protestanten, welche einfach sagen: Die heilige Schrift ist Quelle und Norm der Theologie insofern und soweit, als sie mit der menschlichen Vernunft übereinstimmt.

Diese Einführung der menschlichen Vernunft als Quelle und Norm der Theologie verurteilt Gottes Wort noch ganz speciell,


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indem es sagt, dass die menschliche Vernunft selbst dann, wenn die göttliche Offenbarung ihr vorgelegt ist, garnicht fähig ist, dieselbe zu verstehen. So 1 Kor. 1, 21: Dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben“; 1. Kor. 2, 14: ,,Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich gerichtet sein.“ Der Apostel Paulus warnt ausdrücklich vor der menschlichen Vernunft als Quelle und Norm der Theologie, indem er sagt: 1 Kor. 2, 4. 5: ,,Mein Wort und meine Predigt war nicht in vernünftigen Worten menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft; auf dass euer Glaube bestehe nicht auf Menschen Weisheit, sondern auf Gottes Kraft.“ Die heilige Schrift sagt, dass die menschliche Vernunft, wenn es sich um die Beurteilung der geoffenbarten Wahrheit handelt, nicht um Rat zu fragen, sondern vielmehr gefangen zu nehmen sci unter dem Gehorsam Christi, 2 Kor. 10, 5. Ja, die Schrift sagt auch, dass, wenn dies nicht geschieht, wir uns durch Philosophie oder Menschenweisheit die geoffenbarte Wahrheit rauben lassen. Kol. 2, 8: ,,Sehet zu, dass euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, und nickt nach Christo.

Eine rechtgläubige Kirche ist ferner nicht die Papstkirche. Diese macht erstlich neben der inspirierten heiligen Schrift, auch die Apokryphen, also menschliche Bücher, zur Quelle und Norm der christlichen Lehre. Sodann stellt sie ganz ausdrücklich neben die heilige Schrift die Tradition als Quelle der christlichen Lehre. Zwar sagt die Papstkirche, auch die Tradition sei Gottes Wort, teils das Wort Christi und der Apostel, welches mündlich durch Ueberlieferung fortgepflanzt sei, teils das Wort Gottes, welches Gott der heilige Geist durch die Konzilien und sonderlich durch die Päpste geredet habe. Aber wir wissen, was das für ,,Wort Gottes“ ist! Die papistische Tradition ist weiter nichts, als Menschenlehre. Die heilige Schrift selbst sagt, dass in ihr alle christlichen Lehren enthalten seien, dass sie daher keiner Ergänzung durch eine sogenannte Tradition bedürfe. Was die Apostel geschrieben haben, deckt sich mit dem, was sie mündlich gelehrt haben, 1 Joh. 1, 3. 4. Darum gilt in Bezug auf (lie Papstkirche das Wort Christi Matth. 15: ,,Vergeblich dienen sie mir, dieweil sie lehren sollen Lehren, die nichts denn Menschengebot sind.“ Ja, die Papstsekte, als solche, steht schliesslich ganz und gar auf Mensclienautorität. Da nach papistischer Lehre der Papst vermöge seiner Unfehlbarkeit allein die angebliche dunkle heilige Schrift auslegen, sowie auch allein ausschlaggebend bestimmen kann, was echte Tradition sei und was nicht, so bleibt als einzige Quelle und Norm der papistischen Theologie schliesslich iibrig die erdichtete Unfehlbarkeit des Papstes, der Papst selbst.


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Endlich sind auch keine rechtgläubige Gemeinschaften alle diejenigen, welche sich auf neue Offenbarungen ausser und neben der heiligen Schrift berufen, und diese zur Quelle und Norm der christlichen Lehre machen wollen. Dazu gehören zum Beispiel die Quäker, ferner die Spiritualisten, die gegenwärtig viel von sich reden machen. Freilich sagen nun auch diese Schwärmer ihre neuen Offenbarungen seien Gottes Offenbarungen; Gott rede in ihren Herzen, Gott lasse sie Gesichte sehen, Gott sende die Geister zu ihnen, damit dieselben ihnen Mitteilungen machten. Aber das ist grosser Betrug! Einmal sagt die heilige Schrift ganz ausdrücklich, dass alle Lehroffenbarungen abgeschlossen seien mit der Erscheinung Christi, Hagg. 2, 7; Ebr. 17, 26— 28; Joh. 17, 20. Zum andern warnt uns die heilige Schrift auch noch besonders vor neuen Offenbarungen, die angeblich durch das Erscheinen von Toten geschehen. Darauf bezieht sich Luk. 16, 29: ,,Sie haben Mosen und die Propheten; lass sie dieselbigen hören“ und Jes. 8, 19, 20: ,,Ja, nach dem Gesetz und Zeugnis.“ Darmn verlassen alle diejenigen, welche sogenannte neue Offenbarungen zur Quelle und Norm der Theologie machen, das der Kirche gegebene Fundament des Glaubens.

Dagegen ist nun eine rechtgläubige Kirche die lutherische Kirche. Diese weist alle falsche Erkenntnisprinzipien und Normen, als die menschliche Vernunft und menschliche Weisheit, Menschensatzungen und die sogenannte Autorität der Kirche, neue Offenbarungen der Schwärmer u. s. w. ab, und hält mit Worten und in der Tat fest, dass das geschriebene Wort der ins piri erten Apostel und Propheten, die heilige Schrift, die einzige und ausreichende Quelle und Norm aller christlichen Lehre sei.. Dafür lassen Sie uns nün diesen Abend einige Belege ansehen.

In der Concordienformel heisst es (Seite 517):

,,Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilt werden sollen, sein allein die pro phetischen und, apostolischen Schriften A ltes und Neues Testaments; wie geschrieben stehet:

Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Wege, Ps. 119. Und St. Paulus: Wenn ein Engel vom Himmel käme, und predigte anders, der soll verflucht sein, Gal. 1. Andere Schriften aber der alten oder neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der heiligen Schrift nicht gleich gehalten, sondern alle zumal mit einander derselben unterworfen und anders oder weiter nicht angenommen werden, denn als Zeugen, welchergestalt nach der Apostel Zeit und an welchen Orten solche Lehre der Propheten und Apostel erhalten worden.“

Hier macht unsere Kirche einen Unterschied zwischen der heiligen Schrift und allen andern menschlichen Schriften. Wir unterscheiden alle menschlichen Schriften durchaus von dieser einen, von dem heiligen Geist eingegebenen Schrift, der heiligen Schrift. Die heilige Schrift allein ist der Richter und wird von


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niemand gerichtet; alle andren Bücher aber sind der heiligen Schrift als der Richterin unterworfen. — Zu welchem Zweck berufen wir uns denn bei Lehrstreitigkeiten auch auf menschlichen Schriften? Wir berufen uns auf dieselben, sagt unser Bekenntnis hier, als auf Zen gen der rechten Lehre. Wir berufen uns auf menschliche Schriften nicht zu dem Zweck, um die Lehre als göttliche Lehre zu erweisen, sondern um darzutun, dass diese göttliche Lehre zu allen Zeiten auch Bekenner gehabt haben. Auch die Schmalkaldischen Artikel sagen:

,,Gottes Wort soll Artikel des Glauben stellen und sonst niemand, auch kein Engel.“ (II, 2.)

Wir brauchen für unsern Glauben göttlichen Grund. Göttlichen Grund aber für unsern Glauben kann uns kein Engel und Erzengel geben. Göttlichen Grund für unsern Glauben haben wir allein in dem inspirierten Wort Gottes. Aus diesem Prinzip, dass der Glaube allein an Gottes Wort sich zu halten habe, ist die Reformation geboren.

Luther, als er von Worms entlassen wurde, bezeugte feierlich: ,,Er danke vor allen Dingen kaiserlicher Majestät, Kurfürsten und Ständen des Reichs aufs allerdemütigste und untertänigste, als er immer könnte, dass sie ihn so gnädiglich gehört. . . Denn er hätte nichts anders darinnen begehrt, denn dass eine Reformation aus der heiligen Schrift, darum er so fleissig gebeten, vorgenommen und gemacht würde; sonst wollte er um kaiserlicher Majestät und um des Reichs willen alles gern tun und leiden, Leben und Tod, Ehre und Schande, und ihm gar nichts vorbehalten, denn allein das einige Wort Gottes, dasselbe frei zu bekennen und zu bezeugen.“ (XV, 2318. f.)

Ja, Luther erkennt nur das als seine Lehre an, was sich mit der Schrift deckt. Wovon ihm nachgewiesen werden könne, dass es sich nicht mit der Schrift deckt, das will er gar nicht als seine Lehre anerkennen, sondern von vornherein als unlutherisch verworfen wissen.

Er sagt 1528 (XXI, 234):

∙        ,,So will der Luther selbst nicht lutherisch sein, ohne sofern er die heilige Schrift rein lehret.“

Dieser Erklärung Luthers folgen auch unsere lutherischen Gemeinden, wennsie in ihre Gemeinde-Konstitution gewöhnlich die Bestimmung aufgenommen haben, dass jeder Gemeindebeschluss von vornherein nicht als ein gültiger Beschluss der Gemeinde anzusehen sei, wenn er wider Gottes Wort wäre. Das ist echt lutherisch. Ueberaus stark drückt dies Luther in den folgenden Worten aus (XV, 1988 f):

,,Das ist ein Zeugniss dass sie (die rechten Christen) nicht um der Menschen willen, sondern um des Worts selbst willen gläuben. Viel sind ihr, die um meinetwillen gläuben, aber jene sind allein die Rechtschaffenen, die darinne bleiben, ob sie auch hörten, dass ich es selbst (da Gott für sei) verleugnete und abträte. Das sind die, die


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nicht darnach fragen, wie Böses, Greuliches, Schändliches sie hören von mir und den Unsern. Denn sie glauben nicht an dcn Luther, sondern an Christum selbst. Das 1 Fort hat sie, und sie haben das Wort; den Luther lassen sie fahren, er sei ein Bube oder heilig. Gott kann sowohl durch Balaam als durch Jesajam, durch Kaipham als durch Petrum, ja durch einen Esel reden. Mit denen halte ichs auch. Denn ich kenne selbst auch nicht den Luther, will ihn auch nicht kennen; ich predige auch nichts von ihm, sondern von Christo. Der Teufel mag ihn holen, wenn er kann; er lasse aber Christum mit Frieden bleiben, so bleiben wir auch wohl.“ (Missive an Hartmuth von Kronberg von Jahre 1522) .

Luther braucht zuletzt den sehr starken Ausdruck, um recht einzuschärfen, (lass man mit seinem Glauben nicht an einer menschlichen Person, sondern allein an Gottes Wort bangen müsse.

Hören wir einige Zeugnisse, welche dartun, dass die lutherische Kirche sich von der menschlichen Vernunft als Quelle und Norm der Theologie lossagt. Die menschliche Vernunft tappt, wenn sie aus ihrer Weisheit in Bezug auf den Weg zur Seligkeit schöpft, gänzlich im Finstern; sie gerät auf falschen Weg, den Weg der Werke. Daher wollen von Natur alle Menschen den Weg der Werke gehen, nicht den Weg des Glaubens. Jenen hält der natürliche Mensch für Weisheit, diesen für Torheit . Dem gegenül)er halten wir Lutheraner den Weg des Evangeliums, den Weg des Glaubens fest; weil (hie heilige Schrift diesen bezeugt und wir der Vernunft gar kein Urteil in geistlichen Dingen zugestehen. Es heisst in der Apologie (Artikel 4 nach dem lateinischen Text):

,,Menschliche Weisheit si eht auf das Gesetz und sucht in demselben Gerechtigkeit. Daher prei,sen auch die scholastischen Lehrer, grosse und scharfsinnige Leute, das höchste Werk des Gesetzes; diesem Werke legen sie die Rechtfertigung bei. Aber sie sind (lurch menschliche Weisheit betrogen; sie haben ,das Angesicht- Mosis nicht aufgedeckt gesehen, sondern zugedeckt, wie (hie Pharisäer, Philosophen, Mahometisten. Aber wir predigen die Torheit des Evangeliums, in wehchem eine andere Gerechtigkeit geoffenbart ist, nehmlich, dass wir um Christi des Versöhners willen für gerecht angesehen werden, wenn wir glauben, dass Gott um Christi willen mit uns versöhnt sei. Wir wissen auch recht wohl, wie sehr diese Lehre dem Urteil der Vernunft und des Gesetzes zuwider läuft. Wir wissen auch recht wohl, dass die Lehre des Gesetzes von der Liebe viel scheinbarer ist. Denn sie ist Weisheit. Aber wir schämen uns der Torheit des Evangeliums nicht. Wir verteidigen dies um der Ehre Christi willen, und bitten Christum, dass er uns beistehe durch seinen heiligen Geist, dass wir dies klar machen und offenbaren können.“


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In Bezug auf denselben Punkt heisst es ebendaseibst:

,,Die Werke fallen den Menschen in die Augen. Diese bewundert von Natur die menschliche Vernunft. Und weil sie nur die Werke sieht, versteht sie den Glauben nicht und beachtet sie ihn nicht. Daher träumt sie, dass diese Werke Vergebung der Sünden verdienen und rechtfertigen. Dieser Gesetzeswalin haftet von Natur in allen Seelen der Menschen und kann nicht ausgetrieben werden, man werde denn von Gott gelehrt. Aber der Geist ist von solchen fleischlichen Meinungen zu Gottes Wort zurückzurufen.“

Jeder nicht von Gott gelehrte, das heisst, unbekehrte Mensch verlässt sich vor Gott auf seine guten Werke, wenn er sich überhaupt noch die Frage vorlegt: Was soll ich tun, dass ich selig werde? Das tut auch jeder Unbekehrte innerhalb der äusseren Grenzen der lutherischen Kirche. Dieser verlässt sich darauf, dass er in der äusseren Gemeinschaft der Kirche steht, dass er die Predigt hört, zum Abendmahl geht, ja, dass er vielleicht ein Lehrer oder Prediger in der Kirche ist, der die rechte Lehre verteidige und bekenne. Erkennt denn die menschliche Vernunft gar nichts von den Dingen, die in der heiligen Schrift steben? Darüber beisst es in der Concordienformel (Seite 589):

,,Des Menschen Vernunft oder natürlicher Verstand, ob er gleich noch wohl ein dunkel Fünklein des Erkenntnisses, dass ein Gott sei, wie auch (nach) Röm. 1 von der Lehre des Gesetzes hat, ist dennoch also unwissend, blind und verkehrt, dass, wann schon die allersinnreichsten und gelehrtesten Leute auf Erden das Evangelium vom Sohne Gottes und Verheissung der ewigen Seligkeit lesen oder hören, dennoch dassehbige aus eigenen Kräften nicht vernehmen, fassen, verstehen, noch gläuben und für Wahrheit halten können, sondern je grössern Fleiss und Ernst sie anwenden und diese geistlichen Sachen mit ihrer Vernunft begreifen wollen, je weniger sie verstehen oder glauben, und solches alles allein für Torheit oder Fabein halten, ehe sie durch den heiligen Geist erleuchtet und gelehrt werden.“

Allerdings weiss die menschliche Vernunft etwas von der Leh . re des Gesetzes, wie ein Mensch sich in seinen Werken halten solle, aber damit weiss sie noch rein nichts von der Seligkeit; denn auf dem Wege der Werke wird kein Mensch selig. Und wie stehts mit der menschlichen Vernunft, wenn ihr nun das Evangelium, dieser ganz entgegengesetzte Weg, vorgelegt wird, dass wir nämlich gerecht werden ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, durch den-Glauben an das, was Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, für die Menschen getan hat? Dann sagt die menschliche Vernunft, solange sie nach ihrem eigenen Verständnis urteilt: ,,Torheit !,, Und die menschliche Vernunft kommt auch durch Kultur und Bildung zu keinem andern Urteil, sie bleibt dabei: ,,Es ist eine Torheit !,, Die weltlich Gelehrten kommen mit ihrer Ge-


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lehrsamkeit dem Evangelium nicht näher, sondern je mehr sie sich bemühen, füit ihrer Vernunft das Evangelium zu begreifen, desto weiter kommen sie vom Evangelio ab. Daher auch die Tatsache, auf welche schon der Apostel hinweist: dass nicht viel Weise nach dem Fleisch u. s. w. berufen sind, sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwäblet, 1 Kor. 1, 26 ff.

Unsere Kirche sagt sich auch los von Vätern, Konzilien und Satzungen der Kirche als einer Quelle und Norm der christlichen Lehre. Apologie (Seite 178):

,,Ich meine je, wenn alle heilige Propheten einträchtig zusammenstimmen (nachdem Gott auch einen einigen Propheten für einen Weltsatz achtet), dies solle je auch ein Dekret, eine Stimme und einträchtiger starker Beschluss sein der gemeinen, katholischen, christlichen, heiligen Kirche und billig dafür gehalten werden. Wir werden weder Pabst, Bischof, noch Kirchen die Gewalt einräumen, wider aller Propheten einträchtige Stirn me etwas zu halten oder zu schliessen.“

Hier wird die Frage beantwortet: Was haben wir eigentlich für einen Beschluss oder Dekret der Kirche zu halten? Darauf antwortet unser Bekenntnis: Das ist ein Dekret oder Beschluss der Kirche, was aus dem Wort der Propheten und Apostel, aus der Schrift, genommen wird. Die Kirche als Kirche redet das, was in Gottes Wort geoffenbart vorliegt; was nicht äns Gottes Wort geredet wird das ist für kein Dekret der Kirche zu balten und wenn alle Päpste alle Gelehrten und Doktoren zusammen kämen und über Gottes Wort hinaus Beschlüsse fassten.

Wie stehen wir denn zu den heiligen Vätern? Wir ehren sie, Wir folgen ihrem Leben nach, wenn sie uns ein gutes Vorbild hinterlassen haben, aber nun und nimmer hassen wir auch nur im geringsten Punkt von heiligen Vätern unsern Glauben bestimmen.

Es heisst in den Schmalkaldischen Artikeln (Seite 303):

,,Es gilt nicht, dass man aus der heiligen Väter Werk oder Wort Artikel des Glaubens machet.“

Das hat Luther auch zu Worms bekannt. Als er zum Widerruf aufgefordet wurde, antwortete er schliesslich (XV, 2307):

,,Weil denn eure kaiserliche Majestät, Kur- und Fürstliche Gnaden eine schlechte, einfältige, richtige Antwort begehren, so will ich die geben, so weder Hörner oder Zähne haben soll, nehmlich also: Es sei denn, dass ich mit Zeugnissen der heiligen Schrift, oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen überwunden und überweiset werde (denn ich gläube weder dem Papst, noch den. Konzilien alleine nicht, weil es am Tage und offenbar ist, dass sie oft geirrt haben und ihnen selbst widerwärtig gewesen sein), und ich also mit den Sprüchen, die von mir angezogen und eingeführt sind, überzeugt und mein Gewissen in Gottes Wort gefangen sei, so kann und will ich nichts widerrufen; weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun.


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Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen !"

Was Luther damals bekannt hat in Worms, muss jeder von uns auch bekennen. Unser Gewissen muss allein durch Gottes Wort gefangen sein; ist unser Gewissen gefangen auch durch Menschenlehre oder Menschen gebot, dann sind wir in diesem Stück schon von Gott, von unserm Heiland als unserm einzigen Meister abgefallen. Luther sagt von der Macht der christlichen Kirche. Glaubensartikel zu stellen (XIX, 1190):

,,Die christliche Kirche hat keine Macht, einigen Artikel des Glaubens zu setzen, hats auch nie getan, wirds auch nimmer tun,“

Das sind klassische Worte. Was tut denn die Kirche in Bezug auf die Glaubensartikel? Die Kirche tut weiter nichts, als dass sie die bereits in der heiligen Schrift geoffenbarten, also bereits vorliegenden Artikel des Glaubens bekennt. Die Kirche ist gleichsam eine Säule, an welcher die in der heiligen Schrift geoffenbarten göttlichen Wahrheiten zu lesen sind. Wenn also eine Gemeinschaft sich herausnimrnt, selbst Artikel des Glaubens dekretieren zu wollen, dann tut diese Gemeinschaft das nicht als Kirche, sondern als Sekte, als eine Gemeinschaft, die sich wider Christum erhebt; denn Christus will allein durch sein Wort Artikel des Glaubens stellen. Die Kirche kann und soll weiter nichts tun, als dass sie die von Christo offenbarten Artikel (les Glaubens bekennt zum Besten der Welt. Endlich sagt sich die lutherische Kirche auch los von allen neuen Offenbarungen ausser und neben der heiligen Schrift. So heisst es in den Schmalkaldischen Artikeln (Seite 321):

,,In diesen Stücken, so das mündliche äusserliche Wort betreffen, ist fest darauf zu bleiben, dass Gott niemand seinen Geist oder Gnade gibt, ohne durch. oder mit dem vorgehenden äusserlichen Wort. Damit wir uns bewahren vor den Enthusiasten, das ist, Geistern, so sich rühmen, ohne und vor dem Wort den Geist zu haben, und darnach die Schrift oder mündliche Wort richten, deuten und dehnen ihres Gefallens, wie der Münzer tät und noch viel tun heutiges Tages, die zwischen dem Geist und Buchstaben scharfe Richter sein wollen, und wissen nicht, was sie sagen oder setzen. Denn das Papsttum auch ein eitel Enthusiasmus ist, darinnen der Papst rühmet, alle Rechte sind im Schrein seines Herzens, und was er mit seiner Kirchen urteilt und heisst, das soll Geist und Recht sein, wenn‘s gleich über und wider die Schrift oder das mündliche Wort ist. Das ist alles der alte Teufel und alte Schlange, der Adam und Eva auch zu Enthusiasten machte, vom äusserlichen Wort Gottes auf Geisterei und Eigendünkel führet, und tät‘s doch auch durch andere äusserliche Worte! . . Darum sollen und müssen wir darauf beharren, dass Gott nicht will mit uns Menschen


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handeln, denn durch sein äusserlich Wort und Sakrament, alles aber, was ohne solch Wort und Sakrament vom Geist gerühmet wird, das ist der Teufel.“

Das äusserliche Wort ist bei Luther das‘ Wort der heiligen Schrift. Die Schwärmer freilich sagten, der heilige Geist brauche keinen Wagen, auf welchem er in die Herzen der Menschen komme, er brauche also auch nicht das äussere Wort der heiligen Schrift. Wir aber bekennen mit Luther, dass der heilige Geist nur auf diesem ,,Wagen“ des Worts der Schrift komme.

Luther weist auch auf den Widerspruch hin, in dem sich die Schwärmer bewegen, wenn sie sagen: Der Geist kommt nicht durchs äussere Wort, während sie doch auch äussere Worte reden und mit diesem äusseren Wort die Welt zu belehren suchen. Wenn nun der Geist nicht durch das äussere Wort kommt, dann sollen sie auch ihr Reden anstehen lassen.

Ueber das angebliche Erscheinen von Menschenseelen heisst es in den Schmalkaldischen Artikeln (Seite 303):

,,Die bösen Geister haben viel Büberei angerichtet, dass sie als Menschenseelen erschienen sind, Messen, Vigilien, Wallfahrten und andere Almosen geheischet, mit unsäglichen Lügen und Schalkheiten. Welches wir alle haben für Artikel des Glaubens halten und darnach leben müssen, und der Papst solches bestätiget, wie auch die Messe und alle andere Greuel. Hie ist auch kein Weichen oder Nachlassen.“

Wenn die Spiritualisten zu unserer Zeit Geister der Abgeschiedenen erscheinen lassen, so ist ein doppeltes möglich: entweder betrügen sie uns grob, und die Geister, die sie uns vorführen, haben Fleisch und Bein an sich, und dieser Betrug liegt wohl in den meisten Fällen vor; oder es steht so, — auch der Fall ist nicht ausgeschlossen — dass der Teufel unter Gottes Zulassung erscheint und die Spiritualisten und deren Auditorium betrügt. Gott hat das Befragen der Toten ausdrücklich in der Schrift verboten. Wer das dennoch tut, der kann auch der Strafe gewärtig sein, dass Gott ihn durch böse Geister betrogen werden lässt.

Fuenfter Vortrag

Die alten Kirchenlehrer haben den Teufel einen Tansendkünstler genannt, und das mit Recht. Der Teufel verfiihrt nämlich, wenn er die Menschen verführen und sie um ihre Seligkeit bringen will, mit grosser List. Er lässt Hauptwahrheiten scheinbar unangefochten stehen, verführt aber daneben die Menschen zu Meinungen, durch welche jene Rauptwahrheiten unbrauchbar, nützlos werden. So zum Beispiel lässt er im Papsttum jene Hauptwahrheit stehen, dass Christus wahrer Gott und Mensch sei, macht aber durch Einführung der Werklehre diese Wahrheit vollkommen unbrauchbar, so dass die armen Sünder von der Mensch


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werdung des Sohnes Gottes keinen Nutzen mehr haben. Die armen Sünder, welche unter dein Papsttum gefangen sind, mühen sich zeitlebens durch ihre Werke ab, sich einen gnädigen Gott zu schaffen, als ob der Sohn Gottes nie Mensch geworden wäre und mit seinem gottmenschlichen Werk den Sündern die Gnade zuwege gebracht bitte. Die armen Sünder, welche unter deni Papsttum gefangen sind, gehen zeitlebens dahin mit einem unruhigen Gewissen und kommen schliesslich, soweit die Lehre des Papstes in Betracht kommt, in Verzweiflung um, gerade als ob nicht der Sohn Gottes ein Mensch geworden wäre und für alle Menschen den Frieden mit Gott erworben hätte.

So ist es nun auch, wenn jemand zwar zugibt, (lass die heilige Schrift Gottes Wort und die Quelle und Norm der christlichen Lehre ist, daneben aber sich zu dem Wahn verführen lässt, dass die heilige Schrift dunkel sei. Da nützt uns die heilige Schrift nichts mehr; dann kann sie uns tatsächlich auch nicht Quelle und Norm der christlichen Lehre sein. Denn ist die heilige Schrift in Bezug auf die Glaubenslehren dunkel, das heisst, ist die heilige Schrift in Bezug auf alle Lehren des christlichen Glaubens nicht so hell und klar, dass dieselben von allen Christen aus der heiligeh Schrift entnommen und heurteilt werden können, müssen vielmehr erst Menschen mit ihrem Licht, mit ihrer Kunst, mit ihrer Weisheit die an sich dunkle Schrift hell machen, dann käme unser Glaube doch wieder schliesslich und ausschlaggebend auf Menschenautorität zu stehen.

Darum ist nur die Kirchengemeinschaft eine rechtgläubige Kirche, eine Kirche, wie Gott sie haben will, welche durchaus an der Klarheit der heiligen Schrift festhält.

Die Papst kirche erklärt die Schrift für dunkel und sagt, dass die an sich dunkle Schrift erst durch die Auslegung der Kirche, dass heisst, schliesslich des Papstes, verständlich gemacht werde. Darum ist die Papstkirche eine falsche Kirche. Auch die Schwärmer erklären die Schrift für dunkel, indem sie behaupten, dass die Schrift durch Offenbarungen ausser und neben der heiligen Schrift verständlich gemacht werde. Die lutherische Kirche dagegen hält allen Einwürfen gegenüber, die wir kennen lernen werden, an der vollkommenen Klarheit der heiligen Schrift fest. Die lutherische Kirche hält das von der Schrift, was die Schrift nach . ihrer eigenen Aussage von sich selbst gehalten haben will. Die heilige Schrift nennt sich ja ,,unsres Fusses Leuchte und ein Licht auf unserem Wege“ (Ps. 119) . Sie nennt sich ,,ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort“ (2 Petr. 1). Sie nennt sich ein solches Zeugnis, welches nicht nur die Gelehrten, sondern auch die Ungelehrten, die Einfältigen, die Albernen weise macht, nach Ps. 19. Ja, sie nennt sich ein solches Buch, aus welchem nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Kinder den Weg zur Seligkeit, den Glauhen an Jesum Christum lernen können, nach 2 Tim. 3. Ja, sie sagt, dass sie nur denen verdeckt sei, die durch Wirkung des Fürsten der Finsternis ihre Augen verschliessen vor dein Licht, das in ihr leuchtet. So bekennt denn auch unsre teure


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lutherische Kirche: es gibt keine Lehre des christlichen Glaubens, welche nicht an irgend einer Stelle in der heiligen Schrift mit klaren unzweideutigen Worten geoffenbart wäre. Alle Artikel des christlichen Glaubens sind an solchen Stellen der heiligen Schrift geoffenbart, zu welchen Gelehrten und Ungelehrten gleicher Weise der Zugang offen steht, wie schon Augustinus sagt. Danken Sie Gott, dass er Sie in eine Kirchengemeinschaft. geführt hat, welche diese Stellung zur heiligen Schrift einnimmt, in eine Kirchengemeinschaft, die wirklich Ernst macht mit der Wahrheit, dass die heilige Schrift eine Leuchte sei unsers Fusses und ein Licht auf unserm Wege.

Sie fragen vielleicht: Nehmen denn diese Stellung nicht alle protestantischen Gemeinschaften ein? Nein! lind wenn wir uns in der Gegenwart umsehien, so müssen wir leider sagen: die Signatur auch der modernen lutherischen Theologie ist: Verzweiflung an der Klarheit der Schrift. Man erstrebt zu unserer Zeit eine Eini gung in der Kirche unter Absehung von der Einigkeit in der Lehre, ja, man erklärt es geradezu für unmöglich, dass eine Einigung auf Grund der Uebereinstimmung in der Lehre zu stande kommen könne. Wie kann man so reden? Nun, weil man kein Zutrauen hat zur heiligen Schrift, weil man nicht ghubt, dass Gott uns eine klare Schrift gegeben hat, weil man nicht glaubt, dass alle Lehren des christlichen Glaubens aus der heiligen Schrift mit Sicherheit entnommen werden können. Darum will man eine Einigkeit in äusseren Dingen oder in einigen ,,Hauptlehren“, aber keine Uebereinstimmung in allen Artikeln der christlichen Lehre. Das tritt weiterhin daran zu Tage, dass man in der Kirche heutzutagc nicht sowohl gewisse Glaubensüberzeugungen, als vielmehr nur ,,Ansichten“ kennt, und diejenigen, welche über Ansichten hinaus zu sein und zur Erkenntnis der Wahrheit auf Grund der Schrift gekommen zu sein behaupten, die erklärt man anmassende Leute mit römischen Unfehlbarkeitstendenzen. Diesen Vorwurf hät man noch vor einigen Monaten von Deutschland uns Lutheranern von der Missourisynode gemacht, weil wir erklären, dass wir auf Grund der Schrift die göttliche Wahrheit erkannt haben. Diesen Vorwürfen, wenn sie einen Sinn haben sollen, und sie sollen-doch einen Sinn hahen, liegt die Annalune zu Grunde, dass es unmöglich sei, aus der Schrift mit Sicherheit die Glaubenslehren zu erkennen. Mit andren Worten: man nimmt an, die heilige Schrift sei nicht klar. Man hat denn auch schon von seiten der modernen lutherischen Theologie ausdrücklich behauptet, der altkirchhiche Satz von der Klarheit der heiligen Schrift müsse eine ,,Einschränkung“ erleiden.

Aber lassen Sie sich, um Gottes willen, durch die moderne Theologie und durch den Unionismus, der die Kirche überflutet, nicht die heilige Schrift verdächtig machen. Halten Sie durch Gottes Gnade wie an der Inspiration, das heisst, an der Göttlichkeit der heiligen Schrift, so auch an der vollkommenen Klarheit der heiligen Schrift fest. Nur so können Sie eine rechte Freude


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an der heiligen Schrift haben, nur so werden Sie mit immer steigender Begierde das Wort Gottes lesen und durch Gottes Gnade ein festes Herz gewinnen, und nur bei der Ueberzeugung, dass die heilige Schrift klar ist, sind Sie rechtgläubige Christen, wahre Lutheraner.

Achten wir darauf, wie die Römischen die Schriftstellen, in denen die Klarheit der Schrift ausgesagt wird, zu beseitigen suchen. Sie sagen, man könne in gewisser Beziehung die heilige Schrift ein Licht und klar nennen, nämlich insofern und weil durch die Auslegung der Kirche oder des Papstes Licht über die Schrift verbreitet werde. Die alten lutherischen Theologen antworten auf diese Definition von der Klarheit der Schrift etwa so:

Wenn die Schrift deshalb hell ist, weil von der Kirche über die Schrift Licht verbreitet wird, dann sind auch die Rätsel des Sphynx überaus klar gewesen, weil es einen Oedipus gab, der sie auflösen konnte. Oder sie sagen: dann war auch die ägyptische Finsternis ganz hell und licht. Weshalb? Weil sie durch Gottes Allmacht vertrieben werden konnte.

Hören wir Luther über die Deutlichkeit der heiligen Schrift. Er schreibt (XVIII, 2137):

,,Also sagen wir, dass die Schrift soll Richter sein, alle Geister in der Gemeine zu prüfen, 1 Thess. 5, 14; denn das müssen alle Christen vor allen Dingen für wahr halten und wissen, dass die heilige Schrift ein geistlich Licht ist, viel heller, denn die &nne, Ps. 119, 105. 2 Pet. 1, 19, sonderlich in den Sachen, die da nötig einem Christen sind zu wissen und dienlich zur Seligkeit. Dieweil aber die Leute durch die obgedachten teuflischen Lehren des Papstes und der Papisten eines andern überredet, nehmlich dass die Schrift dunkel sei und mancherlei Verstand habe: so müssen wir das hier als unsern Hauptgrund, auf Latein primum principium, durch welchen wir alles andere beweisen werden, erst auch beweisen, das bei den Philosophis wäre für ganz ungeschickt und unmöglich angesehen.“

Den Christen wird 1 Thees. 5, 14 aufgetragen: ,,Prüfet alles.“ Nun sollen sie aber die Prüfung nicht nach ihrem eigenen Kopf, sondern nach de

klar sein.        r heiligen Schrift anstellen. Diese muss daher Achten Sie darauf, dass Luther von der Klarheit der Schrift

sagt: ,,Das müssen alle Christen vor allen Dingen für wahr halten.“ Der Artikel von der Klarheit der heiligen Schrift ist nicht bloss ein Artikel neben anderen, sondern der grundlegende Artikel, der Artikel, auf dem alle andren stehen. Luther sagt: ,,primum principiuin“, ,,unser Hauptgrund.“ Kein Christ könnte gewiss sein, dass es einen dreieinigen Gott gibt, dass Christus Gott und Mensch und der Erlöser der Menschen ist, dass wir allein durch Glauben vor Gott gerecht werden, wenn nicht die heilige Schrift, die diese Lehren offenbart, klar wäre. Es wird eingewendet:

,,Kommen in der heiligen Schrift nicht auch dunkle Stellen vor,


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Stellen, die bisher noch kein Mensch mit vollkommener Sicherheit hat auslegen können? Sicherlich! Und doch halten wir auf Grund der heiligen Schrift, die sich ein Licht nennt, fest, dass die Schrift vollkommen klar sei. Wir fassen nämlich den Zweck ins Auge, zu welchem Gott uns die heilige Schrift gegeben hat. Der Zweck ist der, uns Menschen zur Seligkeit zu führen. So nennen wir die heilige Schrift deshalb klar, weil sie vollkommen klar alles das vorlegt. was ein Mensch wissen muss, um zum Glauben zu kommen, im Glauben zu bleiben, und so selig zu. werden. In Dingen, die diesem Zweck nicht unmittelbar dienen, können Dunkelheiten vorkommen.

Was sind denn das für Dinge? Das sind zum Beispiel solche Dinge, welche sich auf in der Schrift vorkommende Namen, auf die Zeitrechnung u. s. w. beziehen. Hierher gehören auch die Beschreibungen von Sitten und Gerätschaften fremder Völker, audi des jüdischen Volkes. Es kommen in diesen Dingen Ausdrücke und Redeweisen vor, deren Bedeutung wir nicht mehr mit Sicherheit bestimmen können, weil jene Zeiten weit von uns entfernt sind. Ich erinnere an 1 Mose 41, 43. Da wird uns berichtet, dass Pharao Joseph auf seinem ,,andren Wagen“ fahren und vor ihm herausrufen liess: ~ . Hier hat Luther übersetzt: Das ist des Landes Vater.“ Andre auch lutherische Exegeten, leiten dieselbe Form: -~-~< von dem hebräischen j~ ab, finden hier einen Imperativ Hifil und übersetzten: ,,wirf dich nieder“, so dass also Pharao vor Josephs Wagen nicht hätte ausrufen lassen: ,,Das ist des Landes Vater,“ sondern ,,Wirf dich nieder,“ wodurch die Egypter aufgefordert worden wären, Joseph die gebührende Ehre zu erweisen. Ferner erinnere ich Sie an die Beschreibung der Priestqrkleidung, 2 Mose 39. Es ist schwer, sich von dieser Kleidung in allen ihren Teilen nach der Beschreibung, die dort gegeben ist, ein klares Bild zu machen. Namentlich ist es auch schwer, einzelne der genannten Farben genau zu bestimmen. An solchen Stellen werden Dunkelheiten für unser Verständnis bleiben. Aber sollen wir nun den Papisten Recht geben und mit ihnen sagen: ,,Die Schrift ist dunkel?“ Nein, die Schrift wird dadurch nicht dunkel, wenn ich nicht ganz genau erkennen kana, obvor Josephs Wagen ausgerufen worden ist: ,,Dies ist des Landes Vater“ oder ,,Wirf dich nieder,“ oder ob ein Teil eines Priesterkleides von gelber Seide oder von rötlich-gelber Seide angefertigt gewesen sei. Die heilige Schrift ist und bleibt klar, wenu sie uns klar die Frage beantwortet, die sie uns beantworten will:

,,Was muss ich tun, dass ich selig werde.“ Diese Frage aber beantwortet die heilige Schrift klar und umfassend. Sie sagt, wer wir Menschen seien, wie wir vor Gott beschaffen seien, wer Gott sei, wie Gott gegen uns gesinnt sei, und wie wir zu Gott kommen. Und weil die heilige Schrift diese Frage uns beantwortet, so halten wir sie für klar. So sagt hier Luther, dass die heilige Schrift hell sei, ein Licht, klärer denn die Sonne in den Sachen, die da nötig einem Christen sind ,,zu wissen und dienlich zur Seligkeit.“


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Achten Sie auch darauf, dass auch bei Luther ,,Dunkel sein“ und ,,mancherlei Verstand haben“ auf dasselbe hinauskommt. Denn hat ein und dasselbe Wort der heiligen Schrift an einer und derselben Stelle mancherlei ,,Verstand“ und nicht nur einen ,,Verstand,“ dann weiss niemand, wie er bei diesen Worten dran ist. Luther geht ferner auf die Gründe ein, weshalb vielen die klare Schrift dunkel ist und bleibt.

Er schreibt (X, 551 f)

,,Die Sophisten haben gesagt, die Schrift sei finster; haben gemeinet, Gottes Wort sei von Art so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, dass aller Mangel liegt an den Sprachen; sonst wäre nichts leichters je geredet, (lenn Gottes Wort, wo wir die Sprachen verstünden. Ein Türke muss mir wohl finster reden, welchen doch ein türkisch Kind von sieben Jahren wohl vernimmt, dieweil ich die Sprache nicht kenne;“

Man muss vor allen Dingen die Sprache, in welcher die heilige Schrift uns vorliegt, kennen. Wollen Sie die heilige Schrift in der Grundsprache verstehen, dann müssen Sie vor allen I)ingen die Grundsprachen der Schrift lernen, und zwar nicht etwa so lernen, dass Sie mit Mühe und Not, mit Hilfe eines Lexikons, eine Stelle übersetzen können, sondern so müssen Sie die Sprachen lernen, dass sie Ihnen geläufig werden. Werden Ihnen die Grund-sprachen nicht geläufig, dann ist Ihnen auch die Schrift in den Grundsprachen nicht klar. Aber dann dürfen Sie auch nicht die Schrift der Dunkelheit anklagen, sondern müssen Sie die Schuld bei sich selbst suchen. Dies gilt auch in Bezug auf das Lesen der heiligen Schrift in Uebersetzungen. Viele, auch lutherische Christen, klagen in ihrem Herzen die heilige Schrift der Dunkel~ heit an. Wenn sie den Satz aussprechen hören: ,,Die heilige Schrift ist vollkommen klar,“ so stimmen sie demselben wohl äusserlich bei, aber im Herzen setzen sie hinter die Klarheit der Schrift ein Fragezeichen. Woher kommt das? Es kommt dies aber daher: sie lesen die heilige Schrift nicht fleissig. ,,Sie sind die Schrift nicht gewohnt,“ wie Luther sagt; sie lesen vielleicht alle acht Tage einmal in der heiligen Schrift, und da bleibt ihnen die heilige Schrift ungewohnt und dunkel. Man muss sich in die Schrift ,,einlesen.“ Wer ein fleissiger Leser der heiligen Schrift ist, der wird auch mit immer grösserer Zuversicht in das Urteil; welches die heilige Schrift über sich selbst fällt, einstimmen, nämlich dass sie ein Lieht auf unserm Wege sei.

Luther schreibt ferner (V, 456 ff)

,,Wenn euch aber jemand von ihnen antastet und spricht: Man muss der Väter Auslegen haben, die Schrift sei dunkel — sollet ihr antworten, es sei nicht wahr. Es ist auf Erden kein klärer Buch geschrieben, denn die heilige Schrift; die ist gegen alle andere Bücher gleichwie die Sonne gegen alle Lichter. Sie reden solch Ding nur ,darum, dass sie uns aus der Schrift führen und


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sich selbst zu Meistern über uns erheben, dass wir ihre Traumpredigten glauben sollen. Es ist eine greuliche grosse Sch mach und Laster wider die heilige Schrift und alle Christenheit, so man sagt, dass die heilige Schrift finster sei und nicht so klar, dass sie jedermann möge verstehen, seinen Glauben zu lehren und zu beweisen. Das merke dabei: Sollte es nicht grosse Schande sein,dass ich oder du ein Christ genennet wäre, und wüsste nicht, was ich glaubte? Weiss ich aber, was ich gläube, so weiss ich, was in der Schrift steht, weil die Schrift nicht mehr, denn Christum und christlichen Glauben, in sich hat. Darum wenn der Glaube die Schrift nur höret, so ist sie ihm so klar und lichte, dass er ohne aller Väter und Lehrer Glossen spricht: Das ist recht; das gläube ich auch. . . Das ist wohl wahr, etliche Sprüche der Schrift sind dunkel, .aber in denselben ist nichts anders, denn eben was an andern Orten in den klaren offenen Sprüchen ist. Und da kommen Ketzer her, dass sie die dunkeln Sprüehe fassen nach ihrem eigenen Verstande und fechten damit wider die klaren Sprüche und Grund des Glaubens. Da haben denn die Väter wider sie gestritten durch die klaren Sprüche, damit erleuchtet (lie dunkeln Sprüche, und bewiesen, (lass eben das im Dunkel gesagt sei, das im Lichten. . . Seid nur gewiss, oh ne Zweifel, dass nichts helleres ist, denn die Sonne, das ist, die Schrift; ist aber eine Wolke dafür getreten, so ist doch nichts anders dahinten, denn dieselbe helle Sonne. Also, ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewisslich dieselbe Wahrheit dahinten, die am andern Orte klar ist, und wer das Dunkel nicht verstehen kann, der bleibe bei dem Lichten.“

Wir verwerfen bei der Klarheit der Schrift nicht den Dienst der Ausleger. Das wäre verkehrt. Aber der Dienst, den uns die Ausleger leisten, besteht nicht darin, dass sie selbst die Schrift auslegen, sondern lediglich darin, dass sie zeigen, wie die heilige Schrift sich selbst auslegt.

Der Papst hält deshalb an dem Satz von der Dunkelheit der Schrift so fest, weil er selbst die Schrift auslegen, die Rolle des Oedipus spielen will. Liesse der Papst seinen Fundamentalsatz von der Dunkelheit der heiligen Schrift fahren, dann könnte er abdanken. Dann könnte er auch nicht mit der ,,Tradition“ sein Reich bauen. Mit der klaren Schrift in der Hand würden die Christen alle Tradition, die der Schrift widerspricht, zurückweisen. So muss der Papst den Christen die Schrift dunkel machen, damit sie es nicht wagen, mit der Schrift gegen die Tradition zu streiten. Ja, auch seine sogenannte ,,Unfehlbarkeit“ würde ihm nichts hel- fen, wenn er den Satz von der Klarheit der heiligen Schrift stehen liesse, denn dann würden die Christen mit der Schrift auch über ihn urteilen. Dann könnte er mit seinen Dekreten gegen die Schrift aufkommen, dann ginge es ihm, wie es dem Gott Dagon


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ging, welcher neben die Bundeslade Israels gestellt umfiel. Neben der klaren Schrift kann sich kein Irrtum halten, auch das Papsttum nicht. Darum liegt für den Papst alles daran, dass die Schrift für dunkel gehalten werde. Ich habe bereits Ihre Aufmerksamkeit auf die Klasse von dunklen Stellen gelenkt, in welchen nicht direkt von Glaubenslehren die Rede ist, sondern geschichtliche Ereignisse, chronologische Angaben enthalten sind. Nun gibt es aber auch solche Stellen der heiligen Schrift, die von Glaubens-lehren handeln, und doch Schwierigkeit bieten für die Auslegung. Wie bleibt dem gegenüber die Schrift klar?

Da sagt Luther:

Gibt es Stellen der heiligen Schrift, die, obwohl sie von Glaubeuslehren handeln, doch dunkel sind, so steht an diesen Stellen nichts anders, als was an klaren Stellen geoffenhart vorliegt. Dieselbe Lehre, die zum Beispiel an fünfundzwanzig Stellen mit ganz klaren Worten geoffenbart ist, ist vielleicht an fünf Stellen etwas verhüllt vorgelegt, und zwar absichtlich, nämlich zu dem Zweck, wie Augustinus sagt, um dem Ueberdruss vorzubeugen, um zum fleissigen Lesen der Schrift, und zum anhaltenden Nachdenken über die Worte der Schrift anzureizen. Man könnte sagen: Ist das nicht eine willkÜrliche Annahme? Durchaus nicht! Diese Annahme gründet sich auf die Schrift selbst. Weil die heilige Schrift sich ein Licht t nennt, so klar, dass auch die Ein faltigen, die Albernen sie verstehen können, so müssen alle Lehren der Schrift an Stellen geoffenbart sein, welche auch für die Ungelehrten, und für die minder geübten keine Schwierigkeiten bieten. Daher charakterisiert Luther die rechten und die falschen Lehrer also: Die rechten Lehrer verfahren so, dass sie die klaren Stellen gegen die dunkeln halten und im Licht, dass diese klaren Stellen über Lehren verbreiten, die dunkeln Stellen auslegen. Die Irr-geister machen es umgekehrt; sie suchen möglichst dunkle Stellen der heiligen Schrift auf, legen ihre eigenen Meinungen da hinein, und suchen von dort aus, nun die klaren Stellen zu verkehren. Hierfür haben wir ein Beispiel an den Chiliasten. Wenn die Chiliasten ihren Chiliasmus beweisen wollen, gehen sie mit Vorliebe in die Offenbarung St. Joliannis, welche nach ihrer ganzen Beschaffenheit, als ein Buch der Weissagung, Schwierigkeit für die Auslegung haben muss. Nach der Offenbarung St. Johannis suchen sie dann die ganze heilige Schrift auszulegen.

Luthers Stellung ist die, wie schon erinnert wurde: die ganze christliche Lehre ist in solchen Schriftstellen geoffenbart, die garnicht der Auslegung, das heisst, der Beseitigung von Dunkelheiten, bedurfen, sondern beim blossen Hören und Lesen verstanden werden. So schon Augustinus, und so auch Luther auch Chemnitz und die späteren Theologen, die Luthers Geist hatten. In unserer Zeit hat sich unter Hand die Ansicht festgesetzt, dass die Schrift erst ,,exegetisch bearbeitet“ werden müsse, ehe man ihr eine christliche Lehre mit Sicherheit entnehmen könne. An diesem Punkt tritt klar zutage, wie weit man sich selbst unter lutherischen Namen von Luther und der lutherischen Kirche entfernt


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hat. Man wagt es kaum, sich der Schrift ohne Kommentare zu nahen. Und doch liegt auf der Hand, dass die Schrift nicht zunächst fur Kommentare, sondern für das Verständnis beim blossen Hören und Lesen bestimmt ist. Die apostolischen Briefe wurden, wie aus Kol. 4, 16; 1 Thess. 5, 27 hervorgeht, beim blossen Hören und Lesen verstanden. Luther sagt daher: ,,Wenn der Glaube die Schrift nur hört, so ist sie ihm so klar und lichte, dass er ohne aller Väter und Lehrer Glossen spricht: Das ist recht; das glaube ich auch.“ Es kommt nur darauf an, dass man die Sprache der Schrift versteht und sich geläufig macht. Sodann weist Luther immer wieder darauf hin, dass die Schrift nach ihrer eigenen Aussage ,,nicht mehr, denn Christum“ enthält. Christus ist der Skopus und der eigentliche Inhalt der ganzen Schrift (Apost. 10, 43; 1, Kor. 2, 2). Da nun Christus in seiner Person und in seinem Erlösungswerk ,,durch klare, dürre Sprüche am Tage ist,“ was liegt daran, ,,ob etliche Sprüche, die von derselben Sache handein, noch dunkel sind?“ Woran liegt es denn, dass die klare Schrift vielen dunkel ist und bleibt? Darauf sagt Luther: 1. Es fehlt an der Kenntnis der Sprache oder doch daran, dass man sich die Sprache der Schrift nicht geläufig macht. ,,Sonst wäre nichts leichteres je geredet, denn Gottes Wort.“ ,,Es ist auf Erden kein klärer Buch geschrieben, denn die heilige Schrift.“ Wir miissen auch für unsere Zeit festhalten: würden die Leute zu unserer Zeit die Schrift so fleissig lesen, wie sie Zeitungen und andere Schriften lesen, so würden sie die Schrift nicht der Dunkelheit anklagen.

2. Man muss in der Schrift unterscheiden zwischen dem ,,Dass“ und dem ,,Wie.“ Die Schrift offenbart klar, dass Gott dreieinig und Christus Gott und Mensch in einer Person ist, dass Christus uns durch sein stellvertretendes Tun und Leiden mit Gott versöhnt hat und wir nun durch den Glauben an Christum ohne des Gesetzes Werke Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit haben. Aber wie das alles zugehe und möglich sei, offenbart die Schrift nicht und ist uns auch nicht Not zu wissen. 3. Die Irrlehrer haben die klaren Schriftstellen sich selbst und andern dadurch dunkel gemacht, dass sie immer die Fragen nach dem Wie? in die Schrift gemengt haben. Da fällt den treuen Lehrern die Aufgabe zu, die Fragen nach dein Wie? auszuscheiden und die Christen zu dem Schriftwort zurückzuführen und dabei zu erhalten. 4. Es gibt in Bezug auf das Verständnis der Schrift auch eine Verblendung durch Gottes gerechtes Gericht. Wer nicht Gott in seinem Wort glauben, sondern seine eigenen Gedanken Gottes Wort gegenüber festhalten, also eigentlich Gott belehren will, bei dem tritt ein, was Christus mit den Worten ausdrückt: ,,dass sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören“ (luk. 8, 10) und: ,,Ich preise Dich, Vater und HErr Himmels und der Erde, dass Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den IJnmündigen geoffenbaret“ (Matth. 11, 25) .

5.        Alle Menschen sind nach ihrer natürlichen Beschaffenheit in Bezug auf das heilsame Verständnis der Schrift blind. Daher gilt es bei allem Hören und Lesen der Schrift zu beten: ,,HErr,


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öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.“ Ueber diesen Hauptpunkt spricht sich Luther auch in den folgenden Worten aus (XVIII, 2068 ff)

,,Ist irgend eine Dunkelheit in der Schrift, das ist an etlichen Orten der Worte und Sprache halben, und dass ich‘s auf Lateinisch-Griechisch nenne, der Grammatik halben, und ist gemeiniglich eine solche Dunkelheit, die da nichts hindert, die fürnehmste Zahl und die ganze Hauptsache der Schrift zu erkennen. Denn was kann für ein grösser, höher oder tiefer Geheimnis sein, denn Christus? Dieweil nun die Siegel sind aufgetan, Offb. 6, 1, und der Stein vom Grabe gewälzet, Matth. 28, 2, und das höheste Geheimnis hervorgetan ist, dass Christus, der ewige Gottes Sohn, Mensch sei, Ebr. 2, 14. 16, dass ein ewiger Gott sei in drei Personen, 1 Joh. 5, 7‘, dass Christus für unsere Sünde gestorben ist, Röm. 4, 25, und ewig im Himmel regieret, Mark. 16, 19; wie denn das öffentlich in aller Welt gepredigt wird, dass es auch die Kinder hören und wissen: was kann denn für ein grösser, verborgener Ding oder Geheimnis sein, denn Christus ist? Und wenn man Christum aus der Schrift wegnimmt, sage, was bleibet für Geheimnis? Darum ist das sehr närrisch und nuchristlich: nachdem es je wahr ist, dass die Hauptstücke und je alles, was ein Christ wissen muss, am hellen klaren Lichte sind, durch dürre Wort der Schrift offenbart, dass du um etlicher Sprüche willen willst sagen: ,Es sind noch grosse verbot-gene Dinge dahinten‘; so doch nichts grössers sein kann, denn das Erkenntnis Christi. Ob auch an etlichen Orten der Schrift die Sprüehe dunkel sind, 80 sind sie doch an andern Orten in der Schrift klar. Und ist das einige Hauptstück oder Sache, nehmlich der Glaube und Christus, die aller Welt in der Schrift wird vorgetragen, hier mit hellen klaren Worten, dort mit verborgenen dunkeln Worten vorgelegt. Was liegt nun dran, wenn das Hauptstück der ganzen Schrift durch klare dürre Sprüche am Tage ist, als durch die Epistel zun Römern, ob etliche Sprüche, die von derselbigen Sache reden, noch dunkel sind? . . Dass aber Etliche sind, als die Sophisten und Andere, denen auch die Hauptsache der Schrift und Gottes Wort verborgen ist, das ist nicht der Dunkelheit der Schrift Schuld, sondern vielmehr ihrer Blindheit, dass sie so verstockt sind, dass sie die öffentliche Wahrheit nicht erkennen oder begehren zu erkennen, wie St. Paulus von den Juden sagt 2 Kor. 3, 15: ,Auf den heutigen Tag ist die Decke vor ihnen gehänget‘; und aber, da er sagt Cap. 4, 3: ,Ist unser Evangelium verdeckt, so ists in denen, die verloren werden, verdeckt.‘ Ja, nach der Weise aber, wenn mir darum die Schrift soll dunkel sein, dass ich viel nicht verstünde, möchte ich auch sagen, die Sonne wäre dunkel,


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wenn ich wollte die Augen verdecken oder aus dem Licht ins Finsternis gehen. Was zeihen aber die armen blinden Menschen die Schrift und das heilige reine Gottes Wort, dass sie um ihrer Blindheit willen soll dunkel genennet werden? . . Also reimen sich auch die Exempel gar nichts, damit du doch heimlich willst, weiss nicht was gestochen haben, von den drei Personen der Gottheit, 1 Joh. 5, ,7., von der Vereinigung der Menschheit und Gottheit Christi, Joh. 1, 14., von der Sünde in den heiligen Geist, Matth. 12, 13; welche Artikel du sagst, dass sie auch noch dunkel und unberichtet stehen. Denn so du damit willst gemeinet haben der Sophisten vergeblich Gezänk, die sie bei diesen Stücken aufbracht haben, was hat dir da das Wort Gottes getan und die reine heilige Schrift, dass dii der willst der heillosen Sophisten Missbrauch Schuld geben? Die Schrift redet klar genug davon, und saget, dass drei Personen Ein Gott sein, 1 Joh. 5, 7, dass Christus wahrer Gott und Mensch sei, Gal. 4, 4. Ebr. 2, 14, dass eine Sünde wider den heiligen Geist sei, die nicht vergeben wird, Matth . 12, 31. Mark. 3, 28. 29. Da ist nichts Dunkels oder Finsters. Wie aber (las altes zu-gehe, das drückt die Schrift nicht aus, ist auch nicht not zu wissen. Die Sophisten haben da ihre Träume nach ihren Köpfen herbracht; die magst du schelten, die heilige Schrift ist freilich unschuldig. So du aber mit deinen Worten diese Artikel an ihnen selbst willst gemeinet haben, als sein sie dunkel, hast du abermals die Schrift nicht zu schelten; sondern vielmehr die Arianer und dergleichen, denen das helle Evangelium verdeckt ist gewesen, dass sie die klaren Sprüche von der Drei-einigkeit, von der Menschheit und Gottheit Christi durch Verblendung des Teufels nicht gesehen haben. Und dass ich kurz davon rede: Es ist zweierlei Klarheit und zweierlei Dunkelheit der Schrift: eine ist äusserlich an der Schrift selbst, wie sie da liegt; und daselbst ist nichts dunkles oder zweifelhaftiges, sondern ist alles durch die hellen Worte der Schrift klar ans Licht gegeben der ganzen Welt, was für Hauptstücke die ganze Schrift in sich hält; die andere ist inwendig im Herzen, dass einer die geistlichen Sachen und Dinge, so die Schrift vorhält, erkenne und verstehe, 1 Kor. 2, 14. Und so du von der selbigen redest, so ist kein Mensch auf Erden, der den geringsten Tuttel von der Schrift verstehe oder siehet, ohne diejenigen, so Gottes Geist haben. Denn da sind alle Menschen von Art und Natur blind und haben ein verfinstert Herz, dass, ob sie wohl viel lesen oder reden von der Schrift, doch gar nichts der Sachen merken, sehen oder erkennen, gläuben auch nicht ernstlich oder wahrlich, dass ein Gott sei oder dass sie von Gott Leib und Leben haben oder geschaffen sind; wie denn von der


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angebornen Blindheit der 14. Psalm Vers 1. sagt: ,Der Gottlose sprach in seinem Herzen, Gott ist nichts, es ist kein Gott.‘ Denn die Schrift oder auch das Geringste in der Schrift wird ohne den heiligen Geist ,freilich niemand auf Erden erkennen oder verstehen.“

Wenn wir Lutheraner den Unterschied zwischen rechtgläubiger Kirche und Sekte aufrecht erhalten und sag~n, dass nur die Kirche eine rechtghäubige sei, welche in ahlen Stücken bei Gottes Wort bleibt, und die Kirchengemeinschaft dagegen eine irrgläubige, eine Sekte zu nennen sei, welche in Lehren des Glaubens von Gottes Wort abweicht, so wird uns von unionistischer Seite auch dies entgegengehalten: ,,Wer will denn so bestimmt sagen, ob eine Kirchengemeinschaft bei Gottes Wort geblieben sei oder nicht; es kommt auf die Auslegung der Schrift an.“ Man will nicht sagen, dass die Reformierten keinen Schriftgrund für ihre Sonderleh-ren hätten; Zwingli und Calvin und die ihnen nachfolgen hätten die Schrift nur anders ausgelegt als Luther und die Seinen. Ja, forschen wir genauer nach der Grundlage des Unionismus, so tritt uns als ~ p ~ o v e So ~ entgegen: ,,Man kann eigentlich nicht genau wissen, wer auf der Schrift stehe, denn es kommt nicht sowohl auf die Schrift, als auf die Auslegung der Schrift an, und diese Auslegung ist bei den verschiedenen Menschen naturgemäss verschieden.

Dass es nicht sowohl auf die Schrift selbst, als auf die Auslegung derselben ankommt, ist ein Satz, den nicht nur die Papst-kirche bekennt und praktiziert, sondern ein Satz, der auch die ganze moderne Theologie beherrscht, ja, der selbst für manchen einfähtigen Christen zunächst einen Schein der Wahrheit hat.

Dagegen müssen Sie unter allen Umständen festhalten, dass auf die menschliche Auslegung der Schrift rein gar nichts ankommt. Was geht es mich als Christen, der ich meinen Glauben auf Gottes Wort gründen soll, schliesslich an, wie dieser oder jener Lehrer in der Kirche Gottes Wort ausgelegt habe. Ja, liegt es klar zu Tage, dass ein Lehrer eigene Schriftauslegung darbietet, so soll kein Christ einem solchen Ausleger glauben.

Sechster Vortrag

Wie ist denn das zu verstehen? Gibt Gott nicht einzelnen Personen in der Kirche eine besondere Gabe der Schriftauslegung und will er daher nicht auch, dass die Christen diese Gabe, die Einzelnen verliehen ist, zum Verständnis der Schrift gebrauchen? Allerdings! Und doch bleibt dabei fest stehen, dass es auf die menschliche Auslegung der Schrift gar nicht ankommt.

Was für Leute sind nämlich Ausleger der Schrift? Menschliche Ausleger, wenn sie wirklich Ausleger sind, bringen nie ihre eigene Auslegung, sondern immner nur die Auslegung der Schrift. Rechte Ausleger zeigen immer, dass die von ihnen vorgebrachte Auslegung nicht ihre eigene, sondern die der heiligen Schrift selbst


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sei. Wenn wir daher zum Beispiel von Luthers oder Chemnitzens oder Gerhards Auslegung der Schrift reden, so tun wir das in dem Sinn, dass Luther, Chemnitz und Gerhard uns aus der &hrift selbst gezeigt haben, wie eine Stelle der heiligen Schrift zu verstehen sei.

Das müssen Sie durchaus festhalten. Halten Sie das nicht fest, dann kommt der Glaube der Christen anstatt auf Gottes Wort doch wieder auf Menschenwort und Menschenwitz zu stehen. Käme es auf die menschliche Auslegung der Schrift an, wären wir an die Auslegung gewisser Personen, um ihrer Gelehrsamkeit oder um ihres Amtes willen, gebunden, dann würde unser Glaube nicht sowohl auf Gottes Wort als auf Menschen Autorität ruhen. 1Darum müssen wir durchaus festhalten: Keine Person, keine Anzahl von Personen, wie hoch angesehen oder gelehrt sie auch sein mögen, keine Synode, keine ganze Kirche kann dekretieren, wie eine Stelle der heiligen Schrift zu verstehen sei, sondern alle miteinander haben nachzuweisen, wenn sie die Schrift auslegen, dass die Auslegung, welche sie bieten, nicht ihre Auslegung, sondern Aushegung der heiligen Schrift selber sei.

Daher. ,,erkennt die evangelisch-lutherische Kirche keinen menschlichen Ausleger der heiligen Schrift an, dessen Auslegung um seines Amtes wilhen für untrüghich und bindend anzusehen wäre,

a.        nicht einen einzelnen Menschen,

b.        nicht einen besonderen Stand,

c.        nicht ein Partikular- oder Universal-Konzilium,

d.        nicht eine ganze Kirche.“

Weil die lutherische Kirche dies bekennt, darum ist sie eine rechtgläubige Kirche. Die Papstkirche dagegen sagt, dass die Schrift nur nach der Auslegung der Kirche oder des Papstes verstanden werden müsse. Darum ist die Papstkirche eine falsche Kirche. Sie schiebt Menschenautorität zwischen Gottes Wort und den Glauben der Christen. Wie die Papstkirche bei der Frage: ,,Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ zwischen den Sünder und die Gnade Gottes Menschenverdienst einschiebt, so schiebt sie auch bei der Frage: ,,Was ist Wahrheit?“ zwischen Gottes Wort und den Glauben der Christen Menschenwort und Menschenautorität ein. Und die moderne Theologie wandelt in diesem Stück wesentlich in den Wegen des Papsttums, wenn und insofern sie behauptet, dass die Glaubensartikel nicht unmittelbar aus der Schrift selbst, sondern aus dem sogenannten Glaubenbewusstsein zu schöpfen seien. Nach dieser Weise kommt schliesslich auch alles auf die menschliche Auslegung der Schrift zu stehen. Wir bleiben bei der Weise der Kirche der Reformation.

Dass niemand mit eigener Auslegung die Schrift auslegen dürfe, sagt die Schrift selbst 2 Pet. 1, 20.


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Luther schreibt in seinem Kommentar zu dieser Stelle:

,,Hier greifet nun Petrus die falschen Lehrer an. Weil ihr da wisset, spricht er, dass wir Gottes Wort haben, so bleibet darauf und lasset euch nicht verführen durch andere falsche Lehrer, ob sie gleich kommen und furgeben, dass die auch den heiligen Geist haben. ,Denn das sollt ihr aufs erste wissen‘ (denn das apdere wird er hernach sagen), ,dass keine Weissagung in der Schrift durch eigene Auslegung geschieht‘; da richtet euch nach, und denket nicht, dass ihr die Schrift auslegen werdet durch eigene Vernunft und Klugheit. Hiermit ist nun niedergelegt und geschlagen aller Väter eigene Auslegung der Schrift, und ist verboten, auf solche Auslegung zu bauen. Hat es Hieronymus oder Augustinus oder irgend der Väter einer selbst ausgelegt, so wollen wir sein nicht. Petrus hat verboten, du sollst nicht selbst auslegen; der heilige Geist soll es selbst auslegen, oder soll unaus gelegt bleiben. Wenn nun der heiligen Väter einer beweisen kann, dass er seine Auslegung aus der Schrift hat, die da bewähret, dass es also solle ausgelegt werden, so ist‘s recht; wo nicht, so soll ich ihm nicht gläuben. Also greifet Petrus auch die tapfersten und besten Lehrer an; darum sollen wir gewiss sein, dass niemand zu glauben sei, wenn gleich einer die Schrift vorleget, wo er sie selbst deutet und ausleget. Denn es kann kein rechter Verstand durch eigene Auslegung troffen werden. Hier haben nun alle Lehrer und Väter, so viel ihr vorhanden sind, die die Schrift ausgelegt haben, gestrauchelt. Als, wenn sie den Spruch Christi Matth. 16, 18: ,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine GeGemeinde‘, auf den Papst deuten: das ist eine menschliche, selbsterdachte Auslegung; darum soll man ihnen nicht gläuben. Denn sie können es nicht aus der Schrift beweisen, dass Petrus irgend der Papst heisse. Aber das können wir beweisen, dass der Fels Christus ist und der Glaube, wie Paulus sagt. Diese Auslegung ist recht. Denn dess sind wir gewiss, dass es nicht von Menschen erdacht ist, sondern aus Gottes Wort gezogen." (IX, 857 — 859).

Wohl kommt die menschliche Vernunft und allerlei menschhiches Wissen bei der Auslegung der heiligen Schrift zur Anwendung, aber nie als Prinzip sondern immer nur als Instrument. Es werden von dem Menschen als einem vernünftigen Wesen die Auslegungsmittel gehandhabt, aber aus der Schrift selbst ist das Licht herzubringen, welches nötig ist, um eine dunkle Stelle zu erhellen. Das ist durchaus festzuhalten.

        Stellen, die nicht mit Hilfe der Schrift, das heisst äns der Schrift selbst, ausgelegt werden können, müssen unausgelegt blei-


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ben. Nehme sich niemand heraus, eine Stelle zu deuten, venn er nicht diese Deutung aus der Schrift selbst nehmen kann! Glaube ich einem Ausleger, wenn er seine eigne Auslegung brhgt, so falle ich insofern von Gottes Wort ab. Der Christ soll mit seinem Glauben einzig und allein an Gottes Wort und Autorität hangen, und darum soll er auch nicht dem Ausleger glauben, wenn derselbe sein eigenes Wort und seine eigene Autorität auf den Plan bringt.

Legt jemand eine Stelle der heiligen Schrift vor und sagt:

das heisst, dann muss das, was hinter dem ,,das heisst“, kommt, die Deutung der Schrift sein; ist es nicht die Deutung der Schrift, dann legt er selbst aus, und dann soll ich ihm nicht glauben. Eigene Auslegung ist auch unmöglich. Es kann kein Mensch die Schrift selbst auslegen. Warum nicht? Nun weil es keinn Menschen gibt, der aus sich selbst auch nur ein Iota von den Dingen weiss, die unsre Sehigkeit betreffen. Nimmt also jemand sich heraus, selbst die Schrift zu deuten, so führt er sich und andere irre; er prätendiert ein Wissen, das er garnicht hat. Es könnte uns ebenso gut ein Unsinniger etwas vorreden. Ein Unsinniger würde gerade so gut die Schriftworte deuten, als wenn ein sonst vernünftiger Mensch mit eigener Auslegung die Schrift deuten wollte. Luther kommt auf die römische Auslegung von Matth. 16, 18. Die Papisten müssen einen doppelten Menschengelanken einführen, um diese Stelle auf den Papst ziehen zu können. Erstens steht an dieser Stelle nicht, dass die Kirche auf nfrpo~ gegründet sei, sondern in absichtlicher Abwandlung der Form, dass sie gegründet sei auf 7T4TpCt~ (,7r~ TßI1~

o4coSo~&i5e rjv eicXv>a~av 1uov Und zweitens: selbst zugegeben, dass die Kirche auf ~re‘~po‘; gegründet wäre, was in aller Welt geht denn Petrus den Papst an? Zwischen Petrus und dem Papst besteht nicht die geringste Gemeinschaft oder Verwandschaft.

Gerhard verwirft (Harmonia ev. zu Luk. 24, 27) eigene Schriftauslegung mit den folgenden Worten:

,,Die Schrift ist nicht eigener Auslegung 2 Pet. 1, 20, sondern der heilige Geist, von welchem die heiligen Mnscheu Gottes inspiriert geredet haben, ist der höchste und diese Vollmacht habende (authentische) Ausleger derselben: Derselbe hat seinen Sinn in klaren und hellen Stellen deutlich ausgelegt, aus denen die Aehnlichkeit des Glaubens (analogia fidei) zusammengefasst wird, nach welcher die Auslegung der dunkleren beurteilt wird.“

Das tridentinische Konzil hat den folgenden Kanon für die Schriftauslegung:

,,Um freche Geister in Zaum zu halten, hat das Konzillum festgesetzt, dass niemand, auf seine Klugheit sich


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verlassend, in Sachen des Glaubens und der Sitten, die zur Erbauung der christlichen Lehre gehören, die heilige Schrift nach seinem Sinne verdrehe oder sich unterstehe, die heilige Schrift auszulegen wider denjenigen Sinn, welchen die heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, deren Amt es ist, über den wahren Sinn und Auslegung der heiligen Schriften zu richten, oder auch wider den ein mütigen Konsens der Kirchenväter."

Hier verwirft die Papstkirche ein falsches Auslegungsprinzip, nämlich die Auslegung nach der eigenen Klugheit und nach dem eigenen Sinn, um ein anderes ebenso falsches Auslegungsprinzip dafür einzusetzen, nämlich die Auslegung im Sinne der sogenannten Kirche und nach dem einmütigen Konsens der Kirchenväter. Letzterer ist garnicht vorhanden. Es‘ gibt keinen einmütigen Konsens der Kirchenväter; derselbe ist ein non-ens und nach diesem non-ens soll nun die Schrift ausgelegt werden. Nur was die ,,heilige Mutterkirche“ betrifft, so versteht darunter in letzter Instanz der Papst sich selbst.

Chemnitz legt in seinem Examen Konzil. Trid. Genf 1667 p. 57 ff. das Verkehirte des papistischen Auslegungskanons so dar:

,,Die Gabe der Auslegung ist nicht ausserhalb der Kirche in den Unwiedergeborenen, denn sie ist ein in den Herzen. der Frommen angezündetes Dicht des heiligen Geistes, und von den Unwiedergeborenen sagt Paulus 1 Kor. 2: ,Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit; der Geistliche aber richtet alles‘. .. Und auch das ist gewiss, dass niemand in Auslegung der Schrift sich auf seine Klugheit verlassen dürfe, selbst nicht in klaren Stellen. Denn‘ das steht klar geschrieben 2 Pet. 1, dass die Schrift nicht eigener Auslegung sei. .. Wir bedienen uns auch dankbar und ehrerbietig der Arbeiten der Kirchenvater, welche viele Stellen der Schrift durch ihre Kommentare nützlich aufgehellt haben. Wir bekennen auch, dass wir durch die Zeugnisse der alten Kirche im wahren und gesunden Sinne der Schrift nicht wenig bestärkt werden. Denn wir billigen es nicht, wenn jemand einen Sinn sich erdichtet, der mit dem ganzen Altertum streitet und für welchen es durchaus keine Zeugnisse der Kirche gibt. Da nun dem so ist, was ist es also, was an dem Kanon des tridentinischen Konziliums von der Auslegung der Schrift ausgesetzt werden könnte? Ich antworte: Allerdings ist der Kanon trüglicherweise in allgemeine Ausdrücke gefasst. Aber es sind namentlich vier Hauptpunkte in diesem Locus, über welche zwischen uns Streit ist, welche man hier in trügliche Allgemeinheit eingehüllt hat, anderwerts aber aufs deuthichste erklärt. Erstlich behaup


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ten sie, dass die Gabe der Auslegung an die ordentliche Amtsfolge der Bischöfe so gebunden sei, so dass die Auslegung eines jeden, welcher auf den Bischofsstuhl erhoben wird, wie sie auch sein mögen, sogleich -als rechtmässige, wahre und gesunde anzunehmen und zu verehren seien, indem sie vermöge eines Privilegiums gälten, welches die Stelle habe, die sie einnehmen. So sagen sie, dass der Papst alle Rechte im Schreine seines Herzens habe, wenn er auch ein ganz unwissender Mensch (idiota) und so vergesslich wäre, dass er von sich selbst nichts wüsste .. Und von dieser Beschaffenheit ist auch die Ueberzeugung des Konziliums, dass nehmhich, wenn darin alle Bischöfe versammelt sind, wie in der Arche Noahs reine und unreine Tiere versammelt waren, jede von denselben gegebene Auslegung ohne Beweis angenommen werden müsse, darum, weil, wie sie erdichten, die Gabe der Auslegung an die Bischofsstühle untrennbar gebunden sei. Aber dies ist falsch. Denn Paulus sagt 1 Kor. 12, wo er von der Gabe der Auslegung handelt, ausdrücklich: ,Dies alles wirket derselbige einige Geist, und teilt einem jeglichen seines zu, nachdem er will.‘ Und die ganze Geschichte des Alten Testaments zeigt, dass Gott oft mit Uebergehung der ordentlichen Hohenpriester und Priester anderwartsher und oft aus anderen Stämmen Propheten, Ausleger seines Willens erweckt habt. ,Und was für Ausleger unsere Bischöfe sind, sieht jetzt die ganze Welt. Zum anderen machen sie aus der Gabe der Auslegung gleichsam eine diktatorische Autoritat, so dass es nicht nötig sei, dass sie ihre Auslegung durch gewisse und feste Gründe und Anslegungsgrundsätze erweisen; sondern sie wollen, dass wir ohne Prüfung, ohne Untersuchung und Beurteilung ohne weiteres auf jenen Sinn schwören, den uns diejenigen aufdringen, welche sich das Recht der Auslegung ohne Beweisung des Geistes anmassen. Nun aber setzt Paulus 1 Thess. 5, wo er spricht: ,Den Geist dampfet nicht, die Weissagung verachtet nicht,‘ sogleich hinzu: ,Prüfet alles ünd das Gute behaltet.' So forschen die Beroenser Apostg. 17, als Paulus die Schrift auslegte, erst in der Schrift, ob sichs also verhalte, und da sie einsehen, dass die Auslegung der Schrift gemäss sei, billigen und nehmen sie dieselbe an. Auch der Kämmerer beschreibt die Auslegung mit dem wohlgewählten Worte ci&rydz‘ (anleiten, den Weg weisen) - Er fragt, Philippus antwortet; und auf diese Weise werden die Grundlagen der wahren Auslegung gezeigt, so dass der Kämmerer aus jener Wegweisung des Philip pus selbst erkennt und einsieht, was die Meinung jener Stelle sei, die er las. So beschreibt Pau-


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lus 1 Kor. 14, wie fromme Lehrer in dunklen Stellen die wahre Auslegung mit gegenseitigem Austausch der Meinung erforschen sollen: ,Die Weissager aber lasset reden, zween oder drei,‘ und setzt hinzu: ,Die andern, las-set richten. So aber eine Offenbarung geschiehet einem andern der da sitzt, so schweige der erste.‘ Wenn Augustinus in seiner Schrift von der christlichen Lehre und anderwärts andere lehrt, da gebraucht er selbst keine diktatorische Autorität der Auslegung, sondern zeigt, wie aus den helleren Stellen die dunkleren auszulegen seien, wie aus der Redeweise der Schrift, aus den Umständen, aus Vergleichung anderer Stellen und aus der Analogie oder Aehnlichkeit der Glaubens die einfache, gesunde und wahre Auslegung zu suchen sei. Und weil der natürliche Mensch nichts vom Geiste Gottes vernimmt, es ihm eine Torheit ist, der Geistliche aber alles richtet, 1 Kor. 2, daher ist zum Auffinden und Beurteilen des wahren Sinnes der Schrift die Erleuchtung des heiligen Geistes nötig. Der himmlische Vater aber wird den heiligen Geist geben denen, die ihn darum bitten, Luk. 11, und so wünscht denn auch Paulus den Gemeinden den Geist der Erleuchtung Ephes. 1, 3. Phil. 1. Kol. 1. .. In der Kirche‘ gibt es also keine diktatorische oder päpstliche Ausiegungsvollm acht, sondern es gibt gewisse Regeln, nach welchen sie geschehen und nach denen sie geprüft werden soll. Denn die Kirche hat Recht und Freiheit zu urteilen. Aber die Papisten nehmen sich ein solches Recht der Auslegung, dass sie mit Einem Schlage sich der Mühe des Beweisens entheben und der Kirche die Freiheit zu urteilen nehmen. Und das ist es, was wir an jenem Kanon bestreiten. .. Zum Dritten, wenn die Päpstler irgend einen Ausspruch der Schrift auf ihre Irrtümer verdreht haben, so suchen sie in den Schriften der Kirchenväter sorgfältig umher, um daraus einige Sätze zusammenzuraffen, die auf irgend eine Weise ihrer Absicht günstig sind. Und dann behaupten sie, dass solche bei irgend einer Gelegenheit irgendwie überlieferten Auslegungen der Alten schlechthin ohne Unterschied und Prüfung anzunehmen seien, mögen sie nun mit den Worten der Schrift übereinstimmen oder von denselben abgehen; während doch die Väter selbst den Leser nicht so an sich gebunden haben wollen, dass derselbe meine, er müsse etwas deswegen glauben weil es von den Vätern gesagt wird, sondern das, wovon ihre Aussprüche entweder durch die kanonischen Schriften, oder durch andere annehmbare Gründe, dass sie der Wahrheit nicht widersprechen, überzeugen können. Denn dies sind


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Augustins Worte im Briefe 112 an Paulina. .. Und Hieronymus schreibt an Augustinus: ,Diese Freiheit in den Auslegungen ist durchaus in der Kirche festzuhalten, dass die Auslegung- aller, wer sie auch sein mögen, mit Ueberlegung gelesen und frei nach den Quellen und Gründen geprüft werden.‘ - . Zum vierten massen sich die Päpstler auch dieses Recht an, dass sie selbst in den hellsten Stellen der Schrift von dem einfachen und echten Sinne, welchen die eigentliche Bedeutung der Worte darbietet, frei abgehen und eine andere durch eine solche diktatorische Vollmacht anflicken können, so dass man glauben müsse, nicht was die Schrift einfach, eigentlich und offenbar sagt, sondern was sie selbst und kraft ihrer Obergewalt und Autorität auslegen. Denn durch diesen Kunstgriff machen sie die klarsten Artikel, vom rechtfertigenden Glauben, von den Ueberbleibseln der Sünde in den Wiedergebornen, von der Unvollkommenheit der guten Werke in diesem Leben, vom freien Willen, von der Fürbitte Christi u. s. w. zu nichte. Wenn Christus sagt: ,Trinket alle daraus,‘ so dichten sie diesem ihre Auslegung an: Nicht alle, sondern nur die Priester. .. Paulus nennt das ,Lehren der Teufel,‘ wenn man verbietet ehelich zu werden, und zu meiden die Speise, die Gott geschaffen hat, zu nehmen mit Danksagung. Aber dieses so helle Licht hilft nichts. Denn sie behaupten, jene Worte seien zu verstehen, nicht wie sie lauten, sondern wie sie dieselben auslegen. Und damit sie dieses Spiel in Auslegung der Schrift ferner ungestraft und zwar mit Autorität spielen können, darum ist jener Kanon so gestellt worden. .. Eine solche Auslegung der römischen Kirche ist: ,Hie sind zwei Schwerter,‘ das heisst: der römische Papst hat die Verwaltung beider Schwerter, so-wohl des geistlichen, als des politischen! . . Andradius wundert sich, dass diejenigen, welche die Gabe der Auslegung selbst nicht haben, über die Auslegungen sollen urteilen können und wollen. Nun wissen wir zwar, dass es in der Kirche Grade der Einsicht gibt und dass nicht alle dieselbe haben; wir wissen auch, dass niemand weiser sein dürfe, als sichs gebührt; es ist jedoch bekannt, was die Väter dem Urteile des Volkes in ihren Predigten, in denen sie die Schrift auslegten, zugemessen haben. Denn es ist die Pflicht und Sache ein es Auslegers, die Ursachen und Gründe seiner Auslegung so klar und bestimmt anzuzeigen, dass dieselben auch andere einsehen und durchschauen können, welche die Gabe der Auslegung selbst nicht haben. Denn so erkannte der Kämmerer, dass Phihippi Auslegung wahr sei. Apost. 8.“


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Chemnitz gesteht also ein dreifaches zu: 1. Dass die Schrift von der Kirche ausgelegt werde. Inwiefern? Nun, die Leute, welche die Kirche bilden, die Wiedergebornen, die den heiligen Geist haben, nur die können die Schrift verstehen und auslegen. Ausserhalb der Kirche gibt es kein Schriftverständnis und auch keine Schriftauslegung. Das ist natürlich nicht der Sinn, den die Papisten mit ihrem Kanon verbinden wollen; 2. allerdings darf niemand die heilige Schrift deuten nach seinem eigenen Sinn. Jeder Christ hat zwar das Privilegium der Schriftauslegung, aber keiner darf sie auslegen nach seinem eignen Sinn, sondern nach dem Sinn, den die Schrift an die Rand gibt; 3. wir bedienen uns auch bei der Auslegung der Schrift der Arbeiten der Kirchenväter; wir lesen ihre Kommentare. Wir lassen uns durch ihre Kommentare den Sinn der Schrift aufzeigen, oder wir lassen uns durch sie in dem bereits gefundenen rechten Sinn noch gewisser machen. Sodann deckt Chemnitz den Irrtum der Papisten in Bezug auf die folgenden Punkte auf: 1. dass sie die Schriftauslegung an das bischöfliche Amt binden. Seit 1870 ist sie offiziell an die Person des Papstes gebunden, auch wenn die andern ,,Bischöfe“ nicht zustimmen; 2. dass die bischöfliche Auslegung nicht nach der Schrift auf ihre Richtigkeit zu prüfen sei; 3. dass sie sich auf die Kirchenväter wider deren eigene Meinung berufen; 4. dass sie sich bei ihrer Schriftauslegung nicht an den Wortlaut und Kontext der Schrift gebunden erachten. — Chemnitz lässt ein Beispiel papistischer Schriftauslegung folgen: Luk. 22, 28 sagen die Jünger: ,,Hier sind zwei Schwerter.“ Auf diese Stelle berief sich Bonifacius VIII. in der berüchtigen Bulle unam sanctum, um zu beweisen, dass der Papst der Alleroberste sowohl in der Kirche als im Staate sei, dass er sowohl das weltliche als das geistliche Schwert habe. Nun haben freilich lutherische Lehrer auf Joh. 18, 11 verwiesen, wo der Herr sagt: ,,Stecke dein Schwert in deine Scheide.“ Gegen die Behauptung des Andradins, dass die Christen nicht imstande seien, die Auslegung eines Lehrers zu prüfen, der die besondere Gabe der Schriftauslegung habe, führt Chemnitz aus: Jeder Christ kann die Auslegung eines Schriftauslegers prüfen, solange dieser ein Ausleger bleibt. Ein Ausleger ist ein Mann, der den Sinn der Schrift denen aufzeigt, die nicht die besondere Gabe der Auslegung haben. Wer das nicht kann, ist kein Ausleger. Wer bloss so auslegt, dass er es selbst versteht, der hat seinen Beruf verfehlt. Also das ist gerade das Charakteristikum eines rechten Auslegers der heiligen Schrift, dass er auch den Einfältigen, die nicht die besondere Gabe der Auslegung haben, zeigt, dass seine Auslegung die Auslegung der Schrift sei. Es steht also fest: wiewohl nicht alle Christen die Gabe der Auslegung haben, so können sie doch alle Auslegungen kontrollieren, ob sie den Sinn der Schrift treffen oder nicht. Nur sind die Ausleger selbst oft Schuld daran, dass ihre Aus-


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legung nicht als die rechte erkannt wird. Wir sind nicht sorgfältig genug im Ausdruck oder in der ganzen Beweisführung, so dass unsere Zuhörer nicht immer klar erkennen, dass unsre Auslegung die Auslegungder Schrift sei. Aber dieser Mangel kommt dann daher, dass wir nicht recht und in jeder Beziehung unsres Amtes als Ausleger der Schrift warten. Es ist das menschliche Schwäche, die mit unterläuft. Auch Gerhard schärft ein: Weil die christliche Kirche auf den Grund der Apostel und Propheten, das heisst, auf die heilige Schrift erbaut ist, so nehmen wir die Auslegung der Vater nur dann an, wenn sie sich als Auslegung der Schrift selbst erweist. Gerhard sagt (de interpret. S. S. § 97):

,,Wir verwerfen die Praxis der Kirche, die Meinungen der Väter, die Beschlüsse der Konzilien nicht, wenn sie nur ihre Kraft aus der Schrift haben, denn unser Glaube darf nicht schliesslich gestützt sein auf die Meinung entweder der Väter, oder der Konzilien, sondern auf die heilige Schrift. Denn wir sind erbaut auf dem Grunde der Apostel und Propheten, Ephes. 2, 20 und wir erkennen einzig Christum für den höchsten und authentischen Meister des Glaubens an, Matth. 23, 8 dessen Stimme in der Schrift erschallt.“

Siebenter Vortrag

Es gibt mancherlei Ursachen, weshalb auch solche, die die heilige Schrift haben, sie gebrauchen, und auch fleissig studieren, dennoch nie ihres Glaubens, das ist, der christlichen Lehren, gewiss werden, sondern immer im Zweifel bleiben. Eine Ursache kann die sein, dass sie entweder öffentlich oder heimlich der Sünde dienen oder doch nicht Ernst machen wollen mit dem christlichen Leben, sondern in ihrem Herzen vielmehr immer noch nach der Welt hinüberschielen.

Es hat nämlich mit der christlichen Gewissheit eine ganz eigentümliche Bewandtnis. Dieselbe wohnt nie in einem Herzen, in welchem des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffärtiges Leben, kurz, die Sünde herrscht. Weshalb nicht? Die christliche Gewissheit ist nie ein Erzeugnis des natürlichen Herzens, auch nie ein Erzeugnis des bloss menschlichen Fleisses, und des bloss menchlichen Studiums, sondern eine Wirkung Gottes des heiligen Geistes. Wo daher dem heiligen Geist Wohnung und Wirksamkeit durch Sündendienst verwehrt wird, da kann nie eine christliche Gewissheit entstehen über die Lehre. Was Wunder also, dass bei den Sündendienern keine Gewissheit über die christliche Lehre wohnt, wiewohl sie die heilige Schrift in Händen haben und sie auch fleissig studieren! 0 wie viele gibt es, und wie viele hat es


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gegeben, welche an der rechten Lehre zweifelten, und schliesslich von derselben abfielen aus dem Grunde, weil sie Sundendiener waren, und nicht aufhören wollten, Sündendiener zu sein.

In dieser Wahrheit liegt nun für Sie, als Studenten der Theologie und angehende Theologen, eine überaus ernste Mahnung; die Mahnung nämlich, sich eines ernsten, christlichen Wandels vor Gott und allen Menschen zu befleissigen, ängstlich jede Betrubung des heiligen Geistes durch Sünde zu vermeiden, sonst würden Sie,  trotz alles Umgehens mit der heiligen Schrift, trotz fleissigen Studierens, doch nie dies köstliche Ding: ,,ein festes Herz“ in Bezug äuf die Lehre erlangen, sondern stets im Zweifel bleiben.

Aber es gibt auch noch andre Ursachen des Zweifels. Manche kommen auch deshalb nie zu einer freudigen Gewissheit auf Grund der heiligen Schrift, weil sie ganz falsche Vorstellungen haben von der Auslegung der heiligen Schrift. Sie meinen, man könne erst durch besondere menschliche Auslegungskünste hinter den Sinn der heiligen Schrift kommen; man müsse allerlei Licht von aussen herzutragen, um das Licht in der Schrift leuchten zu sehen. So sind solche Leute eigentlich immer in der Fremde, sie sind nämlich immer auf der Suche nach Auslegungsmitteln ausserhalb der heiligen Schrift. So wagen sie sich eigentlich nie in die heilige Schrift selbst hinein, und lassen eigentlich nie das Wort der Schrift selbst auf sich wirken. Was Wunder, dass sie da nie zu einer Gewissheit in der Lehre kommen auf Grund der heiligen Schrift! Die Methode, welche sie befolgen, ist aber ganz verkehrt. Es steht vielmehr so: alle Mittel der Schriftauslegung finden sich in der Schrift selbst. Ja, der Grundsatz muss durchaus festgehalten werden: die heilige Schrift legt sich selbst aus, und nur die Kirche ist eine wahre Kirche, das heisst, eine rechtgläubige Kirche, welche Gottes Wort so annimmt, wie es sich selbst auslegt. Das ist die Stellung der lutherischen Kirche dem Papsttum, den Reformierten, und allen Schwärmern gegenüber, und darum ist die lutherische Kirche die rechtgläubige Kirche. Lassen Sie uns über diesen Gegenstand weiter nachdenken auf Grund der 16. These.

,,Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt Gottes Wort an, wie es sich selbst auslegt.“

Dass dies die von der heiligen Schrift gebotene Stellung sei, haben wir bereits bei der Besprechung von 2 Pet. 1, 20 gesehen. Auch Luthers Ausführungen über diesen Punkt haben wir uns bereits vergegenwärtigt. In demselben Sinne reden auch die lutherischen Dogmatiker. Kromayer schreibt (Theol. pos-pol. II, 15):

,,Die Schrift legt sich selbst aus, entweder unmittelbar oder mittelbar (vel actu, vel potentia). Unmittelbar, wenn sie die Erklärung sogleich hinzufügt. Wenn zum Beispiel, Christus Job. 2, 19 sagt: ,Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten,‘ so wird Vers


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21 hinzugesetzt: ,Er redete aber von dem Tempel seines Leibes.‘ Wenn ferner der Heiland Joh. 12, 32 spricht: ,Ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen‘, so wird die Erklärung dieser Worte sogleich Vers 33 hinzugefügt: ,Das sagte er aber, zu deuten, welches Todes er sterben würde.‘ So wird Offb. 5, 8 das Räuchwerk in den goldenen Schalen für die Gebete der Heiligen erklärt. Mittelbar, wenn sie uns die Auslegungsmittel, welches sind die Ursprache, das Vorhergehende und Folgende, der Zweck, die Parallelstellen, die Aehnlichkeit des Glaubens, der allgemeine Zweck der ganzen heiligen Schrift, darreicht, welche sich in der Schrift befinden, obgleich der Gebrauch derselben von aussen hinzukommt. .. Der heilige Geist ist der beste Ausleger seiner Worte.“

Joh. 2, 18 ff. fordern die Juden von Christo ein Zeichen als Legitimation dafür, dass Christus Macht habe, sie aus dem Tempel zu treiben, und der Herr verweist sie auch auf ein solches Zeichen. Er sagt: ,,Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten.“ Diese Worte vom Abbrechen und Wiederaufbauen verstanden die Juden nicht, denn sie sprachen verwundert: ,,Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“ Die Jünger selbst haben auch wohl Christi Worte nicht verstanden. Aber nun legt die heilige Schrift selbst diese Worte des Herrn aus, indem sie hinzufügt (Vers 21): ,,Er redete aber von dem Tempel seines Leibes.“ Christus redete also von seinem Sterben und von seiner Auferstehung. Und diese Auslegung, muss nun jeder als die richtige Auslegung annehmen, wenn er nicht die Autorität der Schrift verwerfen will.

Unter den Auslegungsmitteln ist das erste die Kenntnis der Grundsprache. Diese ist nötig, wenn die heilige Schrift nach dem Grundtext ausgelegt werden soll. Aber die Kenntnis der Ursprache schöpfen wir auch aus der Schrift selbst. Ja, wir müssen sagen: keine grammatische Regel darf bei der Auslegung der heiligen Schrift nach dem Grundtext in Anwendung kommen, welche nicht aus der Schrift selbst abstrahiert ist. Eine Regel, welche nur Homer oder Herodot, entnommen ist, darf nicht in der Auslegung der heiligen Schrift entscheidenden Charakter haben. Nun steht es ja so, dass im allgemeinen dieselben Regeln bei der Auslegung des Neuen Testaments in Anwendung kommen, die auch bei der Auslegung der griechischen sogenannten ,,Klassiker“ gelten. Aber dass wir diese Regeln bei der Auslegung der heiligen Schrift mit Sicherheit anwenden, kommt daher, dass wir diese Regeln in der Schrift Neuen Testaments ebenfalls angewendet finden. Würde jemand eine grammatische Regel bei der Auslegung der heiligen Schrift in Anwendung bringen, die nicht von


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der Schrift selbst adoptiert ißt, so käme ein falsches, rationallstisches Prinzip in die Schriftauslegung hinein. Daß ist ganz selbstverständlich. Ich kann den Homer nicht auslegen nach den Regeln, die nur bei Herodot vorkommen, und umgekehrt. Jeder Schriftsteller muss aus sich selbst verstanden werden. — Als ein zweites Mittel der Schriftauslegung haben wir das Vorhergehende und Folgende, das ist, den Zusammenhang. Der Zusammenhang bestimmt nämlich die Bedeutung der einzelnen Wörter und Redeweisen. Ausserhalb des Zusammenhangs sind die meisten Wörter und Redeweisen mehrdeutig, sowie aber ein Wort oder eine Redeweise in einem bestimmten Zusammenhang steht, hört die Mehrdeutigkeit auf. Zum Beispiel, Joh. 3, 16 heisst es: ,,Also hat Gott Welt ( 1<. du ~ ~ ) geliebet, dass er seinen eingebornen Sohn gab.“ K du ~& o ~. hat ausserhalb des Zusammenhangs mehrere Bedeutungen. K du >& o ~ kann das Universum, das Weltall und auch die Menschenwelt bedeuten. Der Zusammenhang hier entscheidet sofort für die letztere Bedeutung des Wortes an dieser Stelle, denn es heisst: ,,auf dass alle, die an ihn glauben nicht verloren werden. ,,Glauben“ kann nur der Menschenwelt zugeschrieben werden, nicht dem Universum. — Ferner dient die Erwägung des Zweckes oder des Skopus, wie wir gewöhnlich in der Hermeneutik sagen, der Auslegung. Wenn es zum Beispiel, 1 Tim. 4, 16 in den Worten des Apostels an Timotheum heisst: ,,Wenn du solches tust, wirst du dich selbst selig machen, und die dich hören,“ so klingt das, ausserhalb des Zusammenhangs angesehen, papistisch, als ob ein Mensch gerecht und selig werde durch Werke. Aber wenn wir auf den Skopus sehen, so schwindet sofort jeder Missverstand. Es will der Apostel hier nicht lehren, wie die Rechtfertigung zu stande kommt, sondern eine Anweisung geben in Bezug auf das Leben eines Dieners des Evangeliums; ein solcher wandelt nur dann auf dem Weg zur Seligkeit, wenn er seines Amtes wartet, Wenn er anhält im Lehren, Ermahnen u. s. w. — Parallelstellen nennt man die Stellen der heiligen Schrift, welche von ein und derselben Sache handeln. Man kann daher, was an einer Stelle dunkel oder kurz gesagt ist, aus anderen Stellen der Schrift, wo dasselbe deutlicher und ausführlicher gesagt ist, erklären. — Die Aehnlichkeit des Glaubens ist auch nicht etwas ausserhalb der Schrift, sondern die Schrift selbst. Wir verstehen darunter die Summa der in der Schrift geoffenbarten Lehren, wie sie in allen durchaus klaren Schriftstellen vorgelegt sind. So werden die Chiliasten durch die Aehnlichkeit des Glaubens widerlegt. Die heilige Schrift sagt überall, wo sie den Zustand der Christen hier auf Erden bis an den jüngsten Tag beschreibt, dass die Christen durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen müssen, dass Christus bei seiner Wiederkunft kaum Glauben finden werde auf Erden, dass vor der Wiederkunft Christi der Abfall allgemeiner sein werde als vorher. So kann der Chiliasmus nicht


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Wahrheit aussagen, wenn er Offenb. 20 dahin missbraucht, dass tausend Jahre vor der Wiederkunft die Kirche auf Erden in einem herrlichen Zustande sich befinden werde. Auch der allgemeine Zweck der heiligen Schrift ist ein Mittel der Auslegung. Der allgemeine Zweck der heiligen Schrift ist Christum zu offenbaren und die Menschen durch den Glauben an Christum zur Seligkeit zu führen. Wenn daher eine Auslegung der Schrift vorgebracht wird, die diesem Skopus widerspricht, so stellt -sie sich eo ipsu das Zeugnis aus, dass sie falsch sei.

Gerhard redet so über das Scriptura Scripturam interpretatur (De interpret. S. 5. § 126):

,,Da die Schrift 1. vollkommen ist, das heisst, alles enthält, was zum Glauben, zu den Sitten, zum Gottesdienst und also zur Erlangung der Seligkeit gehört, so dass es nicht nötig ist, ihr fremde Lehren anzuflicken; 2. da sie deutlich ist, das heisst, eigentliche, klare und helle Worte gebraucht in der Darlegung der Glaubensartikel,so dass sie keines Lichtes von aussen bedarf, indem das Uebrige aus dem helleren Licht empfängt; 3. da endlich die Regel des Glaubens, die Verqleichung der Stellen, die Berücksichtigung des Vorhergehenden und Nachfolgenden, das Nachsehen der Quellen u. s. w. nicht etwas ausser der Schrift ist: daher ist die rechtmässige Auslegung der Schrift die, welche aus ihr selbst und durch sie selbst geschieht.“

Beachten Sie: Wer eine Auslegung bringt, die nicht aus der Schrift selbst genommen ist, der tut etwas zur heiligen Schrift hinzu; der stösst also die Vollkommenheit der heiligen Schrift um. Darum muss jede Auslegung wiederum Schrift selbst sein, nicht etwas ausser der Schrift Ersonnenes. Ferner: wenn jemand eine Auslegung bringt, die nicht aus der heiligen Schrift selbst genommen ist, so bringt er Licht hinzu, das nicht in der Schrift selbst enthalten ist; so leugnet er damit tatsächlich, dass die Schrift hell und klar sei. So gewiss nun aber die Schrift klar ist, so gewiss muss sie, wo eine Dunkelheit sich findet, mit ihrem eigenen Licht erleuchtet werden können, so gewiss muss alle Auslegung aus ihr selbst genommen werden.

Hieraus ergibt sich nun aber eine sehr wichtige Regel, die wir namentlich auch der modernen Theologie gegenüber festzuhalteü haben. Legt die heilige Schrift sich selbst aus, so müssen wir auch jede Auslegung, welche die heilige Schrift gibt, als unfehlbar richtig annehmen. Dies setzt freilich die Annahme der Inspiration der heiligen Schrift voraus, den Glauben, dass die ganze heilige Schrift nicht Menschenwort, sondern Gotteswort sei und dass daher auch, wenn die heilige Schrift sich selbst auslegt, diese Auslegung nicht eines Menschen, sondern die Auslegung Gottes selbst sei. Die moderne Theologie hat ja die Lehre von der In-


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spiration als eine veraltete Lehre fahren lassen, als eine Lehre, die sich beim besten Willen nicht mehr halten lasse. Infolgedessen redet man von der Auslegung, welche der Apostel Panlus Gal. 3, 16 von 1 Mos,. 22, 18 n. s. w. gibt, als von rabbinischer Exegese. Ja, manche Neuere sind so weit gegangen, dass sie gesagt haben, der Herr Christus selbst habe nicht richtig das Alte Testament ausgelegt, sondern sei in Zeitirrtümern gefangen gewesen. Von diesen Greueln sagen wir uns los. Wehe uns! wenn der Geist unter uns aufkommen sollte, dass man nicht mehr die Auslegung, welche die Schrift selbst uns gibt, als unfehlbar richtig annehmen wollte. Es ist ein wahrer Jammer, dass die Leute welche die Auslegung des Alten Testaments im Neuen Testament nicht mehr als unfehlbar richtig annehmen, jetzt daran sind, uns eine revidierte Bibelübersetzung geben zu wollen.

Hören wir noch Luther, Brenz und Rambach darüber, dass eine Auslegung, welche die Schrift selbst gibt, ohne Disput als unfehlbar richtig gelten müsse.

Luther schreibt (V, 1086):

,,Hieronymus meldet unter anderen neben diesem Psalm, dass in Psalmen dieser steter Brauch sei, dass allewege zehen nach einander folgende Psalmen dem Autor zustehen, des Name in vorhergehendem Psalm ausgedrückt stehet. Solches hat er vielleicht aus der Rabbinen Tradition genommen. Ich aber zweifle nicht, dieser (90.) einige Psalm sei Mosi zuzueignen und nicht die folgenden, so keinen Titel haben. Denn die Epistel zun Ebräern Cap. 4, 7 redet öffentlich von 8. Vers des 95. Psalms: ,Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet‘ u. s. w., dass Gott solches durch David geredt habe; darum müssen wir es dafür halten, Hieronymus habe hierinnen der Jüden Gedichten nachgefolget“

Brenz sagt (zu Ps. 18):

,,Wenn Paulus diesen (18.) Psalm von Christo auslegt, so ist keine andere Auslegung, selbst nicht eines Engels anzuerkennen.“

Röm. 15, 9 nämlich ist Ps. 18, 50 auf Christum bezogen. Es sind die Worte: ,,Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ Es ist im 18. Psalm zunächst auch von David die Rede, wie aus dem 1. Vers hervorgeht, aber schliesslich werden solche Dinge von David ausgesagt, welche nur in Christo, dem Sohne Davids, Wahrheit sind. Die Anführung Röm. 15, 9 nimmt uns jeden Zweifel. Brenz sagt ferner (zu Ps. 2):

,,Da wir apostolische Zeugnisse haben, welche der Grund der Kirche sind, dass dieser (2.) Psalm von Christo, dem Sohne Gottes, zu verstehen sei, so ist selbst kein Engel, geschweige ein gottloser Rabbiner, der etwas anderes lehrt, zu -hören.“ (Tom. III. f. 199).


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Der zweite Psalm gehört -zu den direkt messianischen Psalmen. Im zweiten Psalm ist nur von Christo die Rede und von David in keiner Beziehung. Des sind wir ganz gewiss, weil der zweite Psalm an fünf Stellen des Neuen Testaments von Christo ausgelegt wird, Apost. 4, 25; 13, 35 u. s. w. Freilich kann man auch schon aus dem zweiten Psalm selbst erkennen, dass derselbe nur auf Christum zu beziehen sei. So zum Beispiel, wenn im achten Vers diesem König ein Reich, welches über die ganze Welt sich erstreckt, zugeschrieben wird: ,,Ich will dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigentum.“ Das kann von keinem irdischen Könige gesagt werden. Die Rationalisten haben aie ganze Reihe der israelitischen Könige von David an bis zu Alexander Jannäus durchgeraten, aber sie haben nirgends gefunden, wo ihr Fuss ruhen konnte, und mussten dann noch, wenn sie eine geeignete Persönlichkeit unter den israelitischen Königen gefunden zu haben glaubten, den einzelnen Worten des Psalms Gewalt antun, zum Beispiel, den Worten von der allgemeinen Herrschaft. Am Schluss des Psalms werden alle selig gepriesen, die auf diesen König ihr Vertrauen setzen. Es heisst:

,,Wohl allen, die auf ihn trauen.“ Nun wird aber in der heiligen Schrift gesagt, dass niemand sein Vertrauen auf einen Menschen setzen soll. Wenn daher im Psalm alle Menschen aufgefordert werden, auf diesen Königssohn ihr Vertrauen zu setzen und ihn als ihren Herren zu küssen, so ist dieser Königssohn kein anderer als der Sohn Gottes, als der Heiland. So geht auch schon aus dem Psalm selbst hervor, dass derselbe von Christo handle.

Rambach sagt, (Instit. herm. II, 4 §6):

,,Ein Ausleger der Schrift muss-darauf bedacht sein, sich geschickte Wegführer zu erwählen, deren Fusstapfen er sicher und zuversichtlich folgen könne. Geschicktere wird er aber nicht finden, als Christum selbst und seine untrüglichen Apostel, welche indem sie sehr viele Aussprüche des Alten Testaments, die nach der Absicht des heiligen Geistes selbst von Christo reden, im Neuen Testament auslegen, zum rechten Verständnis unzähliger anderer den Schlüssel darreichen.“

Seien Sie überzeugt: wer die im Neüen Testament ausgelegten Stellen des Alten Testaments studiert, der hat dadurch so viel Licht über das -Alte Testament bekommen, dass er nun auch die andren Stellen des Alten Testaments versteht, welche nicht unmittelbar im Neuen Testament ausgelegt sind. Darum ist mein Rat an Sie dieser: wollen Sie sich recht fruchtbringend mit dem Alten Testament beschäftigen, wollen Sie recht eingeführt werden in das Verständnis des Alten Testaments, so studieren Sie zunächst alle die Stellen des Alten Testaments, welche im Neuen Testament ausdrücklich ausgelegt werden. Eine beträchtliche Anzahl! Haben Sie so diese bestimmten Stellen des Alten Testa


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ments im Lichte des Neuen Testaments verstanden, dann wird Ihnen das ganze Alte Testament licht sein.

Achter Vortrag

Alles was christlich sein will, beruft sich auf die heilige Schrift. Es gibt keine Sekte, welche sich nicht schliesslich für ihre Lehren, und zwar gerade fiir ihre Sonderlehren, auf die hei‘ lige Schrift beriefe. Sowohl die Papstsekte, als auch die zahlreichen reformierten Sekten erheben den bestimmten Anspruch, dass ihre Lehren direkt oder indirekt in der heiligen Schrift enthalten seien. Wir stehen also vor der Tatsache, dass man sich in der Christenheit für die verschiedensten Lehren auf ein und dieselbe heilige Schrift beruft.

Ist das nicht eine überaus befremdliche Tatsache? Ja, ist das nicht zum Verzweifeln? Haben da am Ende doch nicht die Jesuiten recht wenn sie die heilige Schrift mit einer wächsernen Nase verglichen, die sich nach jeder Richtung drehen, das heisst, auf jede Lehre deuten lasse? An dieser befremdlichen Tatsache, an dem offen vorliegenden dissensus der christlichen Gemeinschaften bei gleicher Berufung auf die heilige Schrift, haben sich auch schon viele geärgert. Viele sind am christlichen Glauben ganz und gar irre geworden, indem sie sagten, es müsse mit der Bibel und mit dem Christentum überhaupt nichts sein, wenn man darüber in der Christenheit selbst so uneins sei. Noch andre haben sich dem Papsttum in die Arme geworfen, um durch einen salto mortale aus dem Konflikt der menschlichen Meinungen herauszukommen, indem sie es noch für das sicherste hielten, sich der christlichen Gemeinschaft anzuschliessen, welche äusserlich am grössten da steht und am festesten gefügt zu sein scheint. Auch mancher in unserer eigenen Mitte hat sich durch die äussere Zerrissenheit der Kirche wenigstens zeitweilig das Zutrauen zur heiligen Schrift nehmen lassen, nämlich das Zutrauen, dass sie ein helles Licht sei, eine solche Schrift, in welcher Gott uns alle Lehren des christlichen Glaubens klar und unmissverständlich geoffenbart habe.

Doch, wenn wir aus dieser Veranlassung uns das Zutrauen zur heiligen Schrift rauben lassen wollten, würden wir sehr töricht handeln und der heiligen Schrift unrecht tun. Es ist wahrlich nicht Schuld der heiligen Schrift, sondern einzig und allein die Schuld der Menschen, wenn sie verschiedene Lehren aus ein und derselben Schrift herauslesen. Klar und unmissverständlich offenbart die Schrift alle christlichen Lehren, und gegen falsche Lehre in der Kirche erhebt sie ebenso klar und unmissverständlich Protest. Zwar Gott schlägt nicht mit Donner und Blitz dreln, wenn in der Kirche ein Mensch auftritt und falsche Lehre führt. Aber unge-


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rügt lässt Gott das auch in dieser Zeit nicht hingehen. Er er-liebt Protest gegen jede falsche Lehre. Er tut dies durch sein klares, unmissverständliches Wort. Ja, Gott hat die heilige Schrift so eingerichtet, dass man aus derselben die Wahrheit nicht bloss entnehmen kann, sondern so, dass man aus der heiligen Schrift die Wahrheit entnehmen muss, so lange man überhaupt bei den Worten der Schrift bleibt.

Aber da fragen Sie: Wie kommt es denn, dass so viele bei der Auslegung der heiligen Schrift irre gehen? Nun, da antworte ich Ihnen, und da antwortet Ihnen unsre ganze lutherische Kirche:

Das kommt daher, dass die Menschen die Schrift auslegen, anstatt die heilige Schrift sich selbst auslegen zu lassen; dass die Menschen die Worte der Schrift deuten, anstatt die Worte der Schrift von der Schrift selbst deuten zu lassen. Wo man die Worte der Schrift sich selbst deuten lässt, da gibt es keinen dissensus, sondern einen völligen consensus in allen Lehren.

Darunt warnt die lutherische Kirche so ernstlich vor aller eigenen Schriftauslegung und schärft sie so angelegentlich diesen Grundsatz ein, dass die heilige Schrift nur nach ihrer eignen Auslegung zu verstehen und anzunehmen sei. Was nun das in sich begreife: die heilige Schrift legt sich selbst aus, und was dabei besonders zu beachten sei, das wollen wir uns noch weiter vorführen.

Zunächst halten wir fest:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche lässt den Grund-text allein entscheiden.“ (A).

Es ist hiermit nicht gesagt, dass die ganze christliche Lehre nicht auch aus einer Uebersetzung der heiligen Schrift mit Sicherheit entnommen werden könne. Es ist hiermit auch nicht gesagt, dass nicht jeder Christ aus seiner Uebersetzung alle Lehren göttlich gewiss werden könnte. Gott hat die heilige Schrift wunderbar eingerichtet. Er hat sie nämlich so eingerichtet, dass alle Lehren (les Glaubens in so klaren und einfältigen Worten zum Ausdruck kommen im Grundtext, dass jede Uebersetzung, die überhaupt noch den Namen einer Uebersetzung verdient, auch sänuntliche Lehren der Schrift zum Ausdruck bringen muss. Das finden wir bestätigt, wenn wir (larauf hin die vorhandenen Uebersetzungen ansehen. In der Vulgata zum‘ Beispiel, kommen sämmtliche Lehren der heiligen Schrift klar zum Ausdruck, ebenso in der englischen Uebersetzung. Darum kann auch jeder Christ, der der Grundsprachen nicht mächtig ist, aus der Uebersetzung den ganzen christlichen Glauben mit Sicherheit entnehmen. Ferner: weil die Wirkung des heiligen Geistes, das Zeugnis desselben, nicht etwa bloss mit den Worten des Gruudtextes, sondern auch mit den entsprechenden Worten der Uebersetzung, die denselben Sinn haben, verbunden ist, so kann auch aus jeder Uebersetzung ein Christ das Zeugnis der Heiligen von der Richtigkeit der Lehre haben.


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Warum halten wir dennoch an diesem Satz fest: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche lässt den Grundtext allein entscheiden ?,, Wenn Streit entsteht über die Auslegung gewisser Stellen, wenn es sich zum Beispiel, darum handelt, ob gewisse Worte zu betonen seien oder nicht, ja, wenn Streit darüber entsteht, ob eine Uebersetzung wirklich den ursprünglichen Sinn wiedergibt, dann müssen wir auf den Grundtext zurückgreifen. Dass der Papst dekretiert hat, es dürfe nicht auf den Grundtext zurückgegangen werden, sondern die Vulgata sei absolut kanonisch, das ist antichristisch, das heisst die ursprünglich inspirierten Worte Gottes aus der Kirche schaffen und eine menschliche Uebersetzung zur absoluten Norm machen.

Hören wir Luther in seiner Schrift an die Ratsherren aller Städte Deutschlands, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen, von Jahre 1524 (X, 547 ff). Luther dringt in dieser Schrift auf die Kenntnis der Grundsprachen der Schrift, um die Schrift aus der Grundsprache erklären zu können, wiewohl er zugesteht, dass man den Weg der Seligkeit aus jeder Uebersetzung lernen, ja, auch ohne Kenntnis der Grundsprache der heiligen Schrift ein guter Prediger und Lehrer in der Kirche sein könne. Auch wir haben ja in unserer Synode Prediger und Lehrer, die der Grundsprachen der heiligen Schrift nicht mächtig sind, und dieselben sind tüchtige Lehrer und tüchtige Prediger, aber dem öffentlichen Kampf gegen die Irrlehrer, die aus der heiligen Schrift nach dem Grundtext argumentieren, sind sie nicht gewachsen.

Luther schreibt:

,,Darum ist‘s gar viel ein ander Ding um einen schlechten Prediger des Glaubens und um einen Ausleger der Schrift oder, wie es St. Paulus nennet, einen Propheten. Ein schlechter Prediger, ist wahr, hat so viel heller Sprüche und Texte durchs Dolmetschen, dass er Christum verstehen, lehren und heiliglich leben und andern predigen kann. Aber die Schrift auszulegen und zu handeln vor sich hin, und zu streiten wider die irrigen Ein-führer der Schrift, ist er zu gering; das lässet sich ohne Sprachen nicht tun. Nun muss man je in der Christenheit solche Propheten haben, die die Schrift treiben und auslegen und auch zum Streit taugen, und ist nicht genug am heiligen Leben und recht lehren. Darum sind die Sprachen stracks und allerdinge vonnöten in der Christenheit, gleichwie die Propheten und Ausleger; obs gleich nicht not ist, noch sein muss, dass ein jeglicher Christ oder Prediger sei ein solcher Prophet, wie St. Paulus sagt 1 Kor. 12, 8. 9. Ephes. 4, 11..; Wie die Sonne gegen den Schatten ist, 80 ist die Sprache gegen aller Vater Glossen. .. Es soll uns auch nicht irren, dass


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etliche sich des Geistes rühmen, und die Schrift geringe achten; etliche auch, wie die Brüder Waldenses, die Sprachen nicht nützlich achten. Aber, lieber Freund, Geist hin, Geist her! ich bin auch im Geist gewesen, und habe auch Geist gesehen (wenn‘s je gelten soll, von eigenem Fleisch rülimen), vielleicht mehr, denn eben dieselbigen noch im Jahr sehen werden, wie fast sie auch sich rühmen. Auch hat mein Geist sich etwas beweiset, so doch ihr Geist im Winkel gar stille ist, und nicht viel mehr tut, denn seinen Ruhm aufwirft. Das weiss ich aber wohl, wie fast der Geist alles alleine tut. Wäre ich doch allen Büschen zu ferne gewesen, wo mir nicht die Sprachen geholfen und mich der Schrift sicher und gewiss gemacht hätten. Ich hätte auch wohl können from m sein und in der Stille recht predigen, aber den Papst und die Sophisten mit dem ganzen endechristisehen Regiment würde ich wohl haben lassen sein, was sie sind. Der Teufel achtet meinen Geist nicht so fast, als meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm nichts, denn mich allein; aber die heilige Schrift und Sprachen machen ihm die Welt zu enge und tut ihm Schaden in seinem Reiche.“

Hierzu die Erinnerung, dass zum Lehren der Schrift aus den Grundsprachen eine gute Kenntnis der Grundsprachen gehört. Wer nur eine geringe Kenntnis der Grundsprachen besitzt, so dass er nicht auf Grund dieser Kenntnis selbständig urteilen kann, der ist elendiglich verkauft an die Kommentare, die der Auslegung der heiligen Schrift nach dem Grundtext dienen wollen. Wenn ein solcher ,,Exeget“ — um nur bei den Neueren stehen zu bleiben

— Philippi liest, dann stimmt er Philippi bei; liest er Hofmann, so stimmt er Hof mann bei, liest er Meyer, so stimmt er diesem bei, liest er Keil, so gibt er auch diesem Recht, weil er nicht den Grund-text selber beherrscht. Darum lassen Sie sichs ernst sein mit dem Studium der Grundsprachen der heiligen Schrift, auch hier auf dieser Anstalt.

Der zweite Punkt, welcher festzuhalten ist, wenn wir die Schrift sich selbst auslegen lassen wollen, ist dieser, dass wir bei der Auslegung der heiligen Schrift den Sprachgebrauch festhalten müssen. Wie These B lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche hält in der Auslegung und Sätze den- Sprachgebrauch fest.“

Wer bei der Auslegung der heiligen Schrift nicht den Sprachgebrauch festhält, der geht notwendig irre. Warum? Warum muss sich die Nichtbeachtung des Sprachgebrauches der Schrift zum Irrtum führen? Deshalb, weil Gott seine Offenbarung uns nicht in einer neuen und himm lischen Sprache gegeben hat, die wir, nebenbei bemerkt; äuch gar nicht verstehen würden, sondern in


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der Sprache, welche damals die Leute redeten, welchen er die heilige Schrift vertraute. Gott hat die damals im Gebrauch sich befindende Sprache zum Träger seiner Offenbarung gemacht. Wie man unter Israel redete, im Haus, auf der Gasse, im handel und Verkehr, so hat Gott in der heiligen Schrift audi zu Israel geredet, und nun zur ganzen Welt. Ferner: wie man damals zur Zeit Christi redete auf der Strasse, in der Familie, im Verkehr, in derselben Sprache redet Gott zu uns im Neuen Testament. Bei der Auslegung der heiligen Schrift muss man daher diesen bestimmten Sprachgebrauch beachten. Lässt man denselben unbeachtet, dann geht man irre, dann legt man die heilige Schrift nicht durch die Schrift selbst aus, sondern nach Willkür, dann bestimmt man die Bedeutung der Worte nicht ans der heiligen Schrift, sondern nach seinen eignen Gedanken. Kurz, dann lässt man sich nicht von der heiligen Schrift meistern, son(lern meistert man die heilige Schrift. Darum ist es auch nötig, dass Sie ganz genau den Sprachgebrauch der heiligen Schrift kennen lernen. Sie können keinen usus loquendi zum Massstab machen, der von aussen herbeigebracht ist. Sie müssen bei der Auslegung der Schrift eine Grammatik in Anwendung bringen, welche aus der heiligen Schrift selbst genommen ist. Ebenso müssen Sie jedes Lexikon, das Sie gebrauchen, darauf hin prüfen, ob es bei den einzelnen Worten die Bedeutungen registriert, welche (hie Worte in der heiligen Schrift haben.

Die alten Lehrer haben daran erinnert, (lass, wie der Sohn Gottes eine wahre, wirkliche menschliche Natur an sich genommen hat, so hat Gott in der heiligen Schrift wirkliche menschliche Rede, wie sie damals im Gebrauch war, an sich genommen, so dass, wenn wir nun die heilige Schrift verstehen und auslegen wollen, wir uns nach dem menschlichen Sprachgebrauch richten müssen. Es ist hier hinzuweisen auf eine merkwürdige Stelle des Alten Testaments, die das zu beweisende schlagend beweist. Wir lesen 5 Mos. 30, 11— 14: ,,Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen, noch zu fern, noch im Himmel, dass du möchtest sagen: Wer will uns in den Himmel fahren, und uns holen, dass wir‘s hören und tun? Es ist auch nicht jenseit des Meeres, dass du möchtest sagen: Wer will uns über das Meer fahren, und uns holen, dass wir‘s hören und tun? denn es ist dein Wort fast

nahe bei dir (        ~        ) in deinem Munde,

und in deinem Herzen, dass du es tust.“ So antwortet Gott hier den Israeliten, welche etwa sagen wollten: Gottes Gebot, das er uns gegeben hat, ist ein himmlisches Gebot! Können wir es denn überhaupt fassen und verstehen, so dass wir es auch halten können? Gott antwortet, dass das Israel gegebene Gesetz nicht in eine himmlische oder fremdländische Sprache gekleidet sei, sondern in der Sprache, die das Volk im Hause und im Verkehr gebraucht, vorgelegt werde.


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In unserer Kirche hat man daher gesagt: Die wahre Kirche, das heisst, die rechtgläubige Kirche, sei grammatisch, das heisst, die wahre Kirche verstehe das Wort der heiligen Schrift nach dem Sprach gebrauch, welcher in der Schrift vorliegt. Wenn eine Kirehe ungrammatisch wird, wenn sie den biblischen Sprachgebrauch nicht beachtet, dann bringt sie andre Lehren aus der Schrift heraus, als daselbst geoffenbart sind und sie hört somit auf eine recht-gläubige Kirche zu sein. So eng hängt die Grammatik mit der Orthodoxie zusammen. Daher mein ceterum censeo: Befleissigen Sie sich der Grammatik, mit unserem Bekenntnis zu reden:

,,der natürlichen Art“ der Sprache. Luther und unsere Dogmatiker treten dafür ein, dass bei aller Schriftauslegung der Sprachgebrauch festgehalten werden müsse. Apologie (Seite 185, 9):

,, Die Widersacher machen aus der Schrift schwarz und weiss, wenn und wie sie wollen, wider alle natürliche Art der klaren Worte an dem Ort: Cognosce vultum pecoris (,Auf deine Schafe habe Acht‘, Sprüchw. 27, 23). Da muss cognoscere Beichte hören heissen, Vieh oder Schafe muss da Menschen heissen; stabulum (Stall), achten wir, heisst auch eine Schule, da solche doctores und oratores innen sein. Aber ihnen geschieht recht, die also die heilige Schrift, alle gute Künste verachten, dass sie so grob in der Grammatica fehlen.“

Ferner (Seite 107, 108)

,,Wo denken doch die armen Leute hin? Meinen sie, dass die Schrift ohne Ursachen einerlei so oft mit klaren Worten erholet? Meinen sie, dass der heilige Geist sein Wort nicht gewiss und bedächtiglich setze, oder nicht wisse, was er rede?“ Im lateinischen Text heisst es:

,,Num arbitrantur, excidisse Spiritui Sancto non animadvertenti has voces?“ das ist, ,,Meinen sie, dass sei dem heiligen Geiste entfahren, weil er auf diese Worte nicht Acht gehabt hätte“, aus Uebereilung, aus einem Versehen?

Luther (XVIII, 2271 f)

,,Man soll allenthalben bleiben bei den einfältigen dürren Worten der Schrift und ihrer natürlichen Art und Bedeütung, welche der Buchstabe oder die Grammatik (grammatica et usus loquendi — die Grammatik und der Sprachgebrauch) und natürliche Weise zu reden niitbringt, wie Gott die Sprache untern Menschen geschaffen hat.“

C.        G. Hofmann (Just. th. exeg. 1754. p. 298 sq):

,,Mit vollem Rechte hat einst Ph. Melanchthon erinnert, dass die Schrift nicht theologisch verstanden werde, wenn sie nicht vorher grammatisch verstan den wird. Martin Chemnitz lehrt mit höchstem Ernst, dass die


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Kirche nur grammatisch sein dürfe, das heisst, dass sie nichts Neues erdichten oder neue Glaubenssätze erzeugen dürfe, sondern das, was vom heiligen Geiste überliefert ist, aus der wahren grammatischen Bedeutung der Worte lernen müsse; denn wenn die wahre Grammatik verloren gegangen sei, werde auch sogleich das Licht der reinen Lehre ausgelöscht, wie, als zu Luthers Zeit die wahre Grammatik wiederhergestellt wurde, auch die Reinheit der Lehre wieder zurückgebracht worden ist.“

Man hat seitens der Schwärmer eingewendet: Wie kann die Offenbarung Gottes, dessen Weisheit unendlich ist, nach den Regeln menschlicher Sprache beurteilt werden? Torheit! Gott hat in seiner Herablassung sich der menschlichen Sprache als eines Mittels seiner Offenbarung bedient, und darum müssen wir Gottes Offenbarung auch nach dem Sprachgebrauch der menschlichen Sprache verstehen.

Weiter müssen wir festhalten, dass nur der buchstäbliche Sinn der heiligen Schrift der wahre Sinn ist. Unsere Thesis lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche erkennt nur den buchstäblichen Sinn für den wahren Sinn an.“ (C) .

Was verstehen wir denn unter dem buchstäbliehen Sinn oder dem sensus litteralis, wie unsere Theologen sich ausdrücken? Das ist der Sinn, welcher vom heiligen Geist durch die inspirierten Worte ausgedrückt ist, und also in den Worten ausgedrückt vorliegt. Gibt man zu, dass es noch einen anderen Sinn der Schrift gebe, als den in den Worten zum Ausdruck kommenden, dann geht das Raten los, dann ist aller Willkür Tür und Tor geöffnet, dann kann jeder aus der Schrift herauslesen, was er will. Darum sagt unsre Kirche: Willst du hinter den Sinn des heiligen Geistes, hinter den Sinn Gottes kommen, dann musst du darauf achten, was in dem Buchstaben der Schrift, in den vom heiligen Geist eingegebenen Worten ausgedrückt vorliegt. Nehmen Sie als Beispiel den ersten Vers in der heiligen Schrift: ,,Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ In diesen Worten ist die Weltschopfung von Gott ausgesagt und weiter nichts. Daneben hat man an dieser Stelle noch eine andere Offenbarung entdeckt. Die Rabbinen zum Beispiel, sagten, hier sei offenbart, dass die Welt 6000 Jahre stehen werde. Wie denn? Sie sagen, wenn man nicht beim buchstäblichen Sinn stehen bleibe, sondern auf den geheimen Sinn achte, so komme heraus, dass die Welt 6000 Jahre stehen werde. Im Hebräischen nämlich kommt im ersten Vers der Genesis sechsmal ein Aleph vor, ~-i~n n~ ~t~zn rt~ ~ wi~ ~,wi~ und weil ~ mit einer Linie oben den Zahlenwert ,,tausend“ hat, so lesen sie aus dem ersten Verse der Bibel heraus, dass die Welt 6000 Jahre stehen werde. Wenn solche Exegese erlaubt ist, dann kann


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ich alles aus der Schrift beweisen, dann wird mir die ganze heilige Schrift unzuverlässig. Darum bekennt unsre Kirche: ,,Nur der buchstäbliche Sinn ist der wahre Sinn der Schrift.“ Es gibt an gewissen Stellen der Schrift auch einen sensus rerum oder mysticus, aber der Sinn ist nur dann für einen Sinn der heiligen Schrift zu balten, wenn Worte der Schrift uns diesen Sinn auf schliessen. UTm an ein bekanntes Beispiel zu erinnern: Exod. 12 wird Israel in Bezug auf das Osterlamm befohlen: ,,Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.“ Da ist der buchstäbliche Sinn, der auch Israel klar war zu der Zeit des Alten Testaments, der, dass das Osterlamm nicht zerstückelt werden durfte. Nun erfaliren wir aber aus andren Worten der heiligen Schrift, dass durch diesen Vorgang im Alten Testament schon etwas im Voraus abgebildet war, nämlich dies, dass Christo am Kreuz die Beine nicht gebrochen werden sollten. Das erfahren wir aus Joh. 19, 36. Wenn wir aber nicht diese bestimmten Worte der heiligen Schrift hätten, dann könnte kein Mensch wissen, was dieser Vorgang im Alten Testament mystisch bedeutet habe. Kurz, wir müssen für jede Lehre, die wir für eine Lehre der Schrift ausgeben, eine Stelle der heiligen Schrift haben, in deren Worten die Lehre ausgedrückt ist. Sonst wagen wir es nicht, eine Lehre für Lehre des Wortes Gottes anzugeben. Dies schärft die Apologie (Seite 256, 35)

,,Auch so ziehen die Widersacher an das juge sacrificium, das ist das tägliche Opfer, und sagen, wie im Gesetz Mosi sei gewesen ein täglich Opfer, also sei die Messe juge sacrificium des Neuen Testaments. Wenn die Sache mit A llegorieen auszurichten wäre, so würde jederman Allegorieen finden, ihm dienlich. Aber alle Verständige wissen, dass man in solchen hochwichtigen Sachen für Gott gewiss und klar Gottes Wort haben muss, und nicht dunkele und fremde Sprüche herzuziehen mit Gewalt; solche ungewisse Deutungen halten den Stich nicht für Gottes Gericht.“

Ferner Luther (III, 2047 f):

,,Das ich sonst oft ermahnt habe und gewarnet, will ich wiederum warnen, und abermals ermahnen, dass der christliche Lehrer den grössten Fleiss anwende, zu suclien den Sinn (wie man ihn nennet), den der Buchstabe anzeiget, welcher allein das ganze Wesen des Glaubens und christlicher Theologie ist, der da auch in Trübsal und Anfechtung alleine bestehet und die Pforten der Höllen sammt Sünde und Tod überwindet und gefangen führet zum Lobe und Herrlichkeit Gottes. Aber der verborgene, fremde Verstand (so man auf griechisch Allegoria nennt, das ist, eine fremde Rede, die der Buchstabe nicht gibt) ist oft ungewiss und taugt nicht, den Glauben zu stärken, und ist ganz unsicher, als die da gar oft in


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menschlicher Willkür und Wahn stehet, auf die so sich jemand verlässet, lehnet er sich auf den Rohrstecken Egypti.“

Wollen wir nicht Mensehengedanken in die Schrift eintragen, so müssen wir ferner beachten, dass der buchstäbliche Sinn nur einer sei. Unsere Thesis lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche hält fest, dass der buchstäbliche Sinn nur Einer sei.“ (D).

Ausserhalb des Zusammenhangs haben die meisten Worte mehrere Bedeutungen; sobald aber die Worte in einenl bestinimten Zusammenhang stehen, haben sie immer nur einen einzigen Sinn. Hätten die Worte der heiligen Schrift an einer bestimmten Stelle einen mehrfachen Sinn, dann hätten sie für uns gar keinen Sinn, weil keinen bestimmten Sinn. Richten Sie an Kinder in der Katechese eine Frage, die einen zweifachen Sinn oder einen dreifachen Sinn haben kann, so ist Ihr Fragen fehlerhaft, so weiss das Kind nicht, was es eigentlich antworten soll. Es ist so gut, als ob Sie, gar nicht gefragt hätten. Kurz, alle Worte, die der Verständigung dienen sollen, auch im gewöhnlichen Verkehr, müssen einen bestimmten Sinn haben. Dass jemand Reden führt mit einem mehrfachen Sinn, kann eine doppelte Ursache haben: Entweder ist der Redende nachlässig, und das kommt oft vor; aus Nachlässigkeit drücken wir uns zweideutig aus, oder aber es steckt Trug dahinter; es redet jemand mit Absicht zweideutig um zu täuschen. So redete ja, wie Sie wissen, das delphische Orakel. Es gab absichtlich einen solchen Bescheid, mit dem man einen mehrfachen Sinn verbinden konnte, um sich für alle Fälle sicher zu stellen. Krösus, der König von Lydien befragte, als er gegen die Perser ziehen wollte, das Orakel in Bezug auf die Rätlichkeit des Kriegszuges. Das Orakel antwortete: ,,Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein grosses Reich zerstören.“ Krösus überschrritt den Halys, bekriegte die Perser und wurde total geschlagen. Als er sich hinterher beim delphischen Orakel beklagte, wurde ihm die Antwort: ,,Wir haben gemeint du würdest dein. Reich zerstören, nicht das Reich der Perser.“ Das ist ein Beispiel von Reden, die einen mehrfachen Sinn haben. Solche zweideutige Reden soll man nicht in der Schrift suchen, denn weder aus Unachtsamkeit noch aus Betrug können zweideutige Reden in der heiligen Schrift vorkommen. Die Worte der heiligen Schrift sind Worte des heiligen Geistes. Darum halten wir fest mit unserer Kirche: l)er buchstäbliche Sinn ist nur einer. Reformierte haben behauptet, dass die ,Worte: ,,Esset“ und ,,trinket“ in den Worten der Einsetzung des heiligen Abendmahls einen doppelten Sinn hätten. Das ,,esset“ heisse einmal ,,essen“ in Bezug auf das Brot und dann heisse es auch ,,glauben“ in Bezug auf aen abwesenden, im Himmel sich befindenden Leib Christi. Das ist Torheit! In den Worten, ,,nehmet hin und esset“, hat das Wort, ,,essen“ nur


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einen Sinn, nämlich den des Essens mit dem Munde. Zum Essen mit dem Munde fordert der Herr seine Jünger auf, indem er ihnen das Brot reicht und spricht: ,,Das ist mein Leib, ,der für euch gegeben ist.“ Zum glauben wird in den Einsetzungsworten auch aufgefordert, aber nicht in dein ,,esset“, sondern in den Worten: ,,der für euch gegeben ist“, und in den ,Worten: ,,solches tut zu meinem Gedächtnis.“ Nicht eins bedeuten heisst überhaupt nichts bedeuten.

Gewaltig schärft Luther ein, dass die Schriftworte immer nur einen Sinn haben, zum Beispiel, (XVIII, 1602 f)

,,Der heilige Geist ist der allereinfältigste Schreiber und Redner, der im Himmel und Erden ist; darum auch seine ,Worte nicht mehr denn Einen ein fältigsten Sinn haben können, welchen wir den schriftlichen oder buchstabischen Zungensinn nennen. J)ass aber die Dinge, durch seine einfältige Worte ei nfältiglich bedeutet, etwas weiter und ander Ding und also ein Ding das andere bedeutet, da sind die Worte a us und hören die Zungen auf. Tun doch das alle andere Dinge, die nicht in der Schrift genennet werden; sintemal alle Gottes-Werke und Kreaturen eitel lebendige Zeichen und Worte Gottes sind, wie Augustinus sagt und alle Lehrer. Aber darum soll ,man nicht sagen, dass die SCHRIFT oder GOTTEs WORT mehr denn Einen Sinn haben. Dass ein gemalet Bild einen lebendigen Menschen bedeutet ohne Wort und Schrift, soll darum nicht machen, dass du sagest, das Wörtlein ,Bild‘ habe zween Sinn, einen schriftlichen (buchstäblichen), der das Bild, einen geistlichen, der den lebendigen Menschen bedeutet. Also obwohl die Dinge, in der Schrift beschrieben, etwas weiters bedeuten, soll nicht darum die Schrift zwiespältigen Sinn haben, sondern den einigen, auf welchen die Worte lauten, behalten und darnach den Spaziergeistern Urlaub geben, aus den Worten die manchfältige Deutung der angezeigten Dinge zu jagen und suchen; doch dass sie zusehen und sich selbst nicht verjagen noch versteigen, wie den Gemsensteigern geschieht, als auch Origeni geschehen ist. Es ist viel gewisser und sicherer, an den Worten und einfültigen. Sinn bleiben; da ist die rechte Weide und Wohnung aller Geister.“

Neunter Vortrag

Die heilige Schrift ist, wie ich schon erinnert habe So beschaffen, dass aus ihr die rechte Lehre nicht nur entnonnuen werden kann, sondern entnommen werden muss, so lange man bei den Worten der heiligen Schrift bleibt. Man muss erst die klaren


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Worte der Schrift beiseite setzen, oder denselben doch Gewalt antun, ehe man in irgend einer Lehre auf Irrtum kommen kann.

Das bestätigt auch die Geschichte der christlichen Kirche, speziell die Geschichte der einzelnen Irrlehren, welche im Lauf der Zeit in der Kirche auf die Bahn gebracht worden sind. Es ist tatsächlich -keine Irriehre und keine Ketzerei dadurch entstan den, dass man die Worte der Schrift, in welchen die einzelnen Lehren geoffenbart sind, missverstanden hätte. Die Genesis jeder irriehre ist vielmehr diese: man liest die klaren und deutlichen Worte der heiligen Schrift und vernimmt ihren Sinn sehr wohl; aber man vernimmt einen Sinn, der einem nicht zusagt, einen Sinn, der den eignen Interessen zuwider ist, den Interessen der eingebi Ideten menschlichen Weisheit, den Interessen eines behaglichen Lebens und des Geldbeutels. Auch das Vorurteil macht sich in vielen Fällen gegen den deutlich vernommenen Sinn geltend, wenn jemand in einer irrgläubigen Gemeinschaft aufgewachsen ist. So sucht man nun einen anderen Sinn, als den aus den Worten der Schrift vernommenen, einen Sinn, der sich mit den Privatinteressen verträgt. Kurz, man macht sich, unter Absehung von den Worten der heiligen Schrift, eine Lehre nach den eigenen Gedanken zurecht. Nun gilt es aber, der aus den eigenen Gedanken geschöpften Lehre bei sich selbst und bei anderen Kredit zu verschaffen. Wie? Das geht nicht so, dass man sich und anderen sagt: ,,Hier habe ich eine Lehre, die steht nicht in der Schrift, die habe ich rein aus mir selbst geschöpft“, sondern das geht nur so, dass man nach Schriftstellen sucht, in die man die erfundene Lehre mit einigem Schein hineinschieben kann, und von hier aus verkehrt man dann sich selbst und anderen die eigentlichen sedes doctrinae. Nach diesen Manipulationen stellt man sich endlich so, als ob man seine Lehre rein aus der Schrift geschöpft habe und um der heiligen Schrift willen nicht von derselben weichen könne. Das ist die Genesis aller Jrrlehren über deren Entstehung wir ausfuhrlichere Nachricht haben.

Lassen Sie mich das kurz an zwei Beispielen zeigen. Auf diese Weise ist die reformierte Lehre vom Abendmahl enstanden. Zwingli und seine Anhänger konnten sich dem klaren Sinn der Worte: ,,Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“ und ,,nehmet hin und trinket, das ist das Blut, das für euch vergossen wird“, nicht entziehen. Sie erkannten: Diese Worte lauten dahin, dass im heiligen Abendmahl Christi Leib und Blut wesentlich gegenwärtig sei. Dass sie diesen rechten Sinn erkannten, geht daraus hervor, dass sie denselben loszuwerden suchten. Sie argumentierten: ,,Wie ist es nur möglich, dass Christi Leib und Blut im Abendmahl gegenwärtig sei?“ Ja, sie fragten weiter: ,,Wozu is die wesentliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi nütze?“ Nachdem sie so bei sich beschlossen hatten,


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dass die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl weder möglich, noch nützlich sei, suchten sie Behelf für ihre Lehre in der Schrift. Sie beriefen sich auf die Stelle Joh. 6: ,,Fleisch ist kein nütze“, wo weder vom Abendmahl noch vom Fleisch Christi die Rede ist, und auf die Stelle 1 Kor. 10: ,,Christus ist ein Fels“, wo Christus ausdrücklich der geistliche Fels genannt wird, während in den Worten vom heiligen Abendmahl Christi Leib nicht als ein geistlicher Leib, sondern als der wahre, wirkliche Leib beschrieben wird, in den Worten: ,,Der für euch gegeben wird.“ — Ebenso ist der Synergismus, die Lehre von einer Mitwirkung des Menschen bei der Bekehrung, entstanden. Melanchthon, der Vater des Synergismus innerhalb der lutherischen Kirche, ist nicht durch Missverstand der klaren Worte der Schrift. welche von der Bekehrung handeln, sondern durch Geltendmachung seiner eigenen Gedanken auf seine Lehre gekommen. Die heilige Schrift sagt, dass jeder natürliche Mensch tot in in Sünden sei, so dass von einer Mitwirkung des Menschen im Werk der Bekehrung so wenig die Rede sein kann, als es möglich sei, dass ein leiblich Toter bei seiner Auferweckung mitwirke. Ferner schreibt die heilige Schrift überall, wo sie von den Ursachen der Bekehrung redet, die Bekehrung der göttlichen Gnade und Allmacht zu, Eph. 2, 5. 6; Eph. 1, 20; Phil. 2, 13; 2 Kor. 4, 6. Wie kam denn nun Melanchthon auf die Mitwirkung bei der Bekehrung? So: Wenn man das annimmt, was die heilige Schrift von der Bekehrung sagt, entsteht eine gewisse Schwierigkeit für die menschliche Vernunft. Hält man fest, dass Gott allein die Bekehrung wirkt und der Mensch in keiner Weise zum Zustandekommen derselben mitwirkt, so begreift man bei der Allgemeinheit der Gnade Gottes nicht, warum nicht alle Menschen bekehrt werden. Luther wollte die Lösung dieser Schwierigkeit auf das ewige Leben versparen. Ebenso die Concordienformel im 11. Artikel. Melanchthon glaubte nicht so lange warten zu sollen. Er nahm deshalb gegen die klaren Worte der Schrift eine Mitwirkung des Menschen bei der Bekehrung an. So gibt er selbst die Genesis seiner Lehre an: ,,Weil die Verheissungen allgemein und in Gott nichtzwei einander widersprechende Willen sind, so muss notwendig in uns eine Ursache sein, warum ein David angenommen, ein Saul verworfen wird.“ Sie sehen: nicht durch ein Missverständnis der Worte der heiligen Schrift, sondern durch seine eigene Klugheit ist Melanchthon auf seinen Synergismus gekommen.

Wollen wir daher auf der rechten Bahn und rechtschaffene Glieder der rechtgläubigen Kirche bleiben, so müssen wir uns vorsehen, dass wir die Schrift nie nach unsrem menschlichen Gedanken über ,,Möglichkeit“, ,,Nützlichkeit“, ,,Erkenntniswürdigkeit“ u. s. w. denken. Auch scheinbare Lücken in der göttlichen Offenbarung dürfen wir nicht ausfüllen wollen. Eingeschobene Men-


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schengedanken wirken wie Dynamit, wie wir an Melanchthons Synergismus sehen. Achten wir noch weiter darauf, wie die heilige Schrift sieh selbst auslegt. Eine weitere Thesis lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche richtet sich in der Auslegung nach dem Zusammenhang und Zweck.“ (E).

Wir haben schon früher gehört: durch den Zusammenhang werden die einzelnen Worte und Redeweisen in ihrer Bedeutung bestimmt, während sie ausserhalb des Zusammenhangs meist mehrdeutig sind. Durch Zusammenhang und Zweck ist daher auch die Bedeutung der Worte und Redeweisen der Schrift bestimmt. Wer bei der Auslegung der Schrift den Zusammenhang ausser acht lässt, der deutet die Schrift willkürlich, anstatt sie sich von der Schrift selbst deuten zu lassen. Darum müssen Sie alle Stellen der heiligen Schrift, die Sie zum Beweis einer Lehre anführen, in ihrem Zusammenhang ansehen; aus deni Zusammenhang gerissene Worte beweisen nichts. Der Beweis, (len man mit aus dem Zusammenhang gerissenen Worten zu führen sucht, ist immer nur ein Scheinbeweis, womit man sich und andre täuscht. Es gilt daher beim Lesen der Schrift immer, auf (len Zusammenhang zu achten. Deut. 28, 66 lesen wir von den unter die Völker zerstreuten Juden: ,,Dein Leben wird vor dir schweben.“ Diese Worte hat Augustinus auf den gekreuzigten Christus bezögen, als oh hier ausgesagt wäre: überall, wo die Juden sich befinden würden, da würde in der Predigt des Evangeliums auch Christus, der Gekreuzigte, ihr Leben vor ihnen sein. Das ist ein Sinn, welcher der Analogie des Glaubens nicht widerspricht. Ueberall, wo das Evangelium ist, da ist Christus, der Gekreuzigte, mit dem Leben, das er uns erworben hat. Aber das steht nicht an dieser Stelle. Der Zusammenhang zeigt, dass hier von etwas ganz anderem die Rede ist. Sie lautet im Zusammenhange: ,, Der Herr wird dir daselbst (unter den Völkern) ein bebendes Herz geben, und verschmachtete Augen, und verdorrete Seele, dass dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten, und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen:  Ach, dass ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst dii sagen: Ach, dass ich den Morgen erleben möchte! ,,Nach dem Zusammenhang haben also die Worte: ,,Dein Lehen wird vor dir schweben“, den Sinn: Dein Leben wird stets in Gefahr, du wirst desselben keinen Augenblick sicher sein. Noch ein Beispiel aus der Gegenwart, wie jemand durch Nichtbeachtung des Zusammenhangs die ganze christliche Lehre in Frage stellte. Der bekannte Pfarrer Blumhardt in Bad Boll bemerkte zu den Worten Christi Luk. 10, 25: ,,Tue das, so wirst dii leben“, aus dieser Stelle gehe hervor, dass bei der Frage nach der Seligkeit nicht allein der Glaube, sondern auch die Werke in Betracht kämen, denn hier antwortet der Herr dem Schriftgelehrten auf die Frage: ,,WTas iiiuss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ tue das, so wirst du


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leben. Dass diese Deutung ganz falsch ist, geht auch schon aus dein Zusammenhange hervor. Der Schriftgelehrte fragt nämlich als ein Selbstgerechter: Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? und der Herr gibt dem Selbstgerechten eine Antwort aus dein Gesetz; nicht um ihm zum sagen, wie ein armer Sinder selig wird, sondern um diesen Selbstgerechten, der da mein, dass er dies Gesetz halten könne, zur Erkenntnis seiner Sünder zu führen. So steht auch diese Stelle nicht in Widerspruch mit der Stelle Apost. 16, 30, wo der Kerkermeister zu Philippi Paulus und Silas die Frage vorlegt: ,Was muss ich tun, dass ich selig werde? und die Antwort erhielt: ,,Glaube an den Herrn Christum.“ Den Weg des Glaubens nennt hier der Apostel Paulus, weil er es mit einem armen Sünder zu tun hat. So sagt die Apologie:

Loci integri prolati plerumque secum afferun interpretationem“ (das ist wenn man die Stellen ganz in ihrem Zusammenhange vornimmt, so bringen sie gemeiniglich die rechte Auslegung schon mit sicht). (Art 4).

Gerhard (De Script. 5. § 535):

,,Die Auslegung jeder Stelle nmuss mit dem Zueck, mit den Umständen der Glieder und mit der Ordnung derselben übereinstimmen. Wie die Juristen sagen es sei eines Bürgers unwurdig, über gewisse Worte dnes Gesetzes urteilen wollen, ohne dass er vorher das ganze Gesetz erwogen hat, so kann über die echte Auslegung eines Ausspruchs nicht geurteilt werden, wenn nicht auf den Zweck, die Umstände und die Reihenfolge des Textes Rücksicht genommen wird."

Pfeiffer (Thesaurus X § 2, 5):

,,Wenn ein Zweifel über den Sinn eines Wortes, einer Redensart oder einer Satzverbindung im Texte entsieht, so muss man zu den vorhergehenden und nachfolgenden Versen, ja, auch nach Umständen bis auf frühere Kapitel des Buches zurückgehen, und zusehen, welche Bedeutung des in Frage stehenden Wortes oder der Redensart zi jenen Umständen passe und mit der Absicht des Schreibers ubereinkomme. Es fordert dies 1. die naturgemässe Methode der Auslegung, welche lehrt, dass jeder sdbst der beste Ausleger seiner Worte sei und dass keine Bedeutung im Texte angenommen werden dürfe, welche das Vorhergehende und Nachfolgende aufhebt, und bewirkt, dass der Schreiber sich selbst widerspricht (vorausgesetzt, dass über die Irrtumslosigkeit des Schreibers kein Zweifel ist). Es fordert dies 2. jene Auslegungsregel: Die heilige Schrift muss aus der heiligen Schrift erklärt werden. .. Sind zum Beispiel unter den Kindern Gottes 1 Mos. 6, 2 die Engel oder die Menschen zu verstehen? Antwort: Das Letztere geht aus dem Zusam


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menhange hervor. Denn hier wird nicht von den Engeln gehandelt, sondern von der Vermehrung des menschlichen Geschlechtes. Da die Menschen auch anderwärts Kinder Gottes heissen, wie ist es daher nötig, die Engel zu verstehen und nicht vielmehr nach Massgabe des vorliegenden Gegenstandes die Menschen? Ist der, welcher von der Wahrsagerin zu Endor vorgestellt wurde, 1 Sam. 28, 12 ff, der wahre oder wieder lebendig gewordene Samuel, oder aber ein Gespenst unter seiner Gestalt gewesen? Antwort: Das Letztere geht aus dem Zusammenhange hervor, da dasjenige, was Vers 6. 19 ff gesagt wird, dem wahren Samuel nicht entspricht.“

Der Sicherstellung der Selbstauslegung der Schrift dient auch die These:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche erkennt an, dass der buchstäbliche Sinn sowohl der uneigentliche, als eigentliche sein könne; sie geht aber von der eigentlichen Bedeutung eines Wortes oder Satzes nicht ab, es zwinge sie denn die Schrift selbst dazu: entweder nehmlich die Umstände des Textes selbst, oder eine Parallelstelle, oder die Aehnlichkeit des Glaubens. (F).

Der buchstäbliche oder der vom heiligen Geist intendierte Sinn einer Stelle kann sowohl in eigentlich als auch in uneigentlicli zu verstehenden Worten ausgedrückt sein. Zum Beispiel, Joh. 4 ist der buchstäbliche Sinn in eigentlich zu verstehenden Worten ausgedrückt, wenn es heisst: ,,Christus, der Welt Heiland.“ Wenn es dagegen 1 Kor. 10 heisst: ,,Christus ist ein Fels“, dann ist das Wort ,,Fels“ uneigentlich zu nehmen. Im eigentlichen Sinn bedeutet das Wort ,,Fels“ einen Stein. Christus ist nicht ein Stein. Christus ist aber ein ,,Fels“ in der uneigentlichen oder übertragenen Bedeutung des Wortes, er ist ein Grund, ein Fels des Heils, ein geistlicher Fels, wie im Text auch hinzugeführt ist.

Wer hat nun zu bestimmen, wann die Worte an einer Stelle im eigentlichen oder im uneigentlichen Sinn zu nehmen seien? Darauf kommt alles an. Da sagen wir Lutheraner: Die Bestimmung darüber hat kein Mensch, kein Gelehrter, kein Papst, nicht die ganze Kirche, überhaupt keine Kreatur, sondern einzig und allein die Schrift selbst. Die Schrift selbst aber trifft diese Bestimmung auf dreierlei Weise: entweder durch den Zusammenhang, (Kontext) oder den Parallelismus, oder durch die Aehnlichkeit des Glaubens. Durch den Kontext: Jes. 51, 1 lesen wir die Worte: ,, Schauet den Fels an, davon ihr gehauen seid, und des Brunnens Gruft, daraus ihr gegraben seid.“ Sind die Worte ,,Fels“ und ,,Brunnens Gruft“ hier eigentlich oder uneigentlich zu verstehen? Uneigentlich. Das sagt sogleich der folgende Vers, welcher deD vorhergehenden erklärt .,,Schauet Abraham an, eu


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ren Vater, und Sarah, von welcher ihr geboren seid.“ Unter Fels ist hier also Abraham zu verstehen, unter des Brunnens Gruft Sarah.

Ferner entscheidet die heilige Schrift die Frage, ob die Worte an einer Stelle eigentlich oder uneigentlich zu verstehen seien, durch den Parallelismus.

An vielen Stellen der heiligen Schrift werden Gott ,,Augen“, eine ,,Hand“ u. s. w. zugeschrieben. Sind die Worten ,,Auge“ und ,,Hand“ eigentlich oder uneigentlich zu nehmen? Kein Mensch hätte ein Recht, diese Worte uneigentlicli zu verstehen, wenn nicht die heilige Schrift in den Parallelstellen selbst uns dazu nötigte. Das tut sie nun aber. Die heilige Schrift sagt nämlich: ,,Gott ist ein Geist.“ So nennt die Schrift Gott im Gegensatz zur Körperlichkeit. Daraus sehen wir, dass alle Stellen, wo Gott menschliche Glieder zugeschrieben werden, uneigentlich zu nehmen seien. Gottes ,,Auge“ ist Gottes Allwissenheit, seine ,,Hand“ seine Allmacht. Wenn wir diese Stellen nicht so verstehen wollten, würden wir die Auslegung der Schrift nicht annehmen, in den Irrtum der Anthropomorphiten fallen, welche Gott einen Leib und Glieder nach Art des menschlichen Leibes zuschreiben. Die Aehnlichkeit des Glaubens zwingt uns, die Worte uneigentlich zu nehmen. Matth. 5 und Matth. 18 befiehlt der Herr Christus das Abhauen der Hand und des Fusses und das Ausreissen des Auges. Die Worte sind nicht eigentlich, sondern uneigentlich zu verstehen. Warum? Weil die Schrift es uns verbietet. Die Schrift verbietet es, dass ein Mensch sich selbst verstümmele. Ausserdem lehrt die Schrift, dass die Sünde, von deren Ausrottung hier die Rede ist, nicht durch körperliche Verstümmelung, sondern durch tägliche Reue und Busse bekämpft werde.

Die Wahrheit, dass die Analogie des Glaubens uns zwinge, Worte uneigentlich zu verstehen, kann jedoch gemissbraucht werden. So erinnert unsere Kirche ferner daran, dass man die Analogie des Glaubens ganz annehmen müsse, und nicht einen Teil derselben einem andren Teil entgegensetzen dürfe. So haben zum Beispiel die Reformierten gesagt, dass die Worte vom heiligen Abendmahl nicht eigentlich zu verstehen seien, weil Christus einen wahren menschlichen Leib habe und es wider die Natur eines wahren menschlichen Leibes sei, an mehreren Orten zugleich gegenwärtig zu sein. Wir sagen aber: Die Schrift lehrt beides klar, sowohl dass Christus einen wahren menschlichen Leib habe, als auch dass derselbe überall wesentlich gegenwärtig sei, wo das Abendmahl gefeiert wird. Beide Aussagen gehören somit zur Analogie des Glaubens, sind im einfältigen Glauben anzunehmen und einander, nicht entgegenzustellen. Joh. Gerhard sagt (De interpret. (5. 5. § 154):

,,Wenn man sagt, die Glaubensregel zwinge uns, von dem buchstäblichen Sinne (in. den Worten des heiligen


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Abendmahls) abzugehen, weil nehmlich nach der Glaubensregel behauptet werden müsse, dass Christi Leib ein wahrer und natürlicher Leib sei, ferner, dass Chrstus mit. seinem Leib gen Himmel gefahren sei, dann kommt die Bemerkung zu Hilfe, dass die Regel des Glaubens ganz anzunehmen und die Teile derselben nicht einander entgegenzusetzen seien. Die heilige Sch rift lehrt beides, dass Christi Leib ein wahrer menschlicher Leib sei, und dass derselbe dennoch wirklich und wahrhaftig im heiligen Abendmahle ausgeteilt werde; beides muss daher geglaubt und nicht ,das eine dem anderen entgegengesetzt werden. Denn Christi Leib ist nicht nur ein wahrhaft menschlicher Leib, sondern auch des Sohnes Gottes eigener Leib, und Christus ist nicht nur gen Himmel gefahren, sondern sitzt auch zur Rechten Gottes.“

Bekannt ist wie gewaltig Luther sowohl wider Erasmus als in den. Abendmahlsstreitigkeiten (lie Wahrheit einschärft, dass nie der menschliche Ausleger, sondern nur die Schrift selbst Tropen“ in der Schrift machen könne XVIII, 2270; XIX, 1601. 1598 f; XX, 1131 ff.

Wir halten ferner die Regel fest:

,, Die evangelisch-lutherische Kirche legt die dunklen Stellen nach den klaren aus. (G).

Dass die dunkeln Stellen nach den klaren auszulegen seien, ist eine sehr selbstverständliche Regel. Aber, wie es gewöhnlich geht, dass das Selbstverständliche nicht beachtet wird, so auch hier. Alle Irrlehrer befolgen nämlich die Weise, dass sie nach den dunkeln Stellen die klaren auszulegen oder vielmehr durch die dunkeln die klaren Stellen zu verkehren suchen. Die Chiliasten machen zu ihrer sedes doctrinae das dunkelste Buch, das im Neuen Testament es gibt, nämlich die Offenbarung St. Johannes. Da legen sie ihre Träume hinein, finden alles ganz klar und von dieser angeblichen Klarheit aus suchen sie nun den Sinn der ganzen Schrift zu bestimmen. Luther (XI, 3108 f)

,,Wenn sie sagen, die Väter, Augustinus, Ambrosius, Hieronymus, und andere haben die Schrift erleuchtet, da lügen sie an; denn sie haben sie nicht erleuchtet, sondern die Schrift mit ihrem eignen Lichte klar gern achet und einen Spruch zum andern gehalten, dass einer den andern fein hell und klar gemachet hat. Also ist die Schrift ihr selbst ein eigen Licht. Das ist denn fein, wenn sich die Schrift selbst auslegt. Darum gläubet nicht des Papstes Lügen, und haltet frei (das) für finster, was nicht bewähret wird mit klaren Sprüchen der Biblia. Also haben wir zuvor diesen Irrtum aus dem Wege müssen tun; denn er fast tief eingerissen ist, dass die Schrift dunkel sei und müsse durch Menschenlehre erleuchtet werden. Welches


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ein trefflicher Irrtum ist und eine Gotteslästerung und heisset eigentlich den heiligen Geist zur Schule führen oder ihn erst lehren reden. Dass uns aber die Schrift dunkel dünket, machet, . . dass wir sie auch nach unserm Kopf wollen auslegen, das will sich in keinem Wege reimen.“

Dasselbe, nur unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet. kommt in der folgenden Regel zum Ausdruck:

Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt die Glanbensartikel aus denjenigen Stellen, in welchen dieselben ihren Sitz haben, und beurteilt hiernach alle beiläufigen Aussprüche uber (lieselben.“ (H).

Die Glaubensartikel sind aus den sedes doctrinae zu nehmen. nicht aus Stellen, die garnicht oder doch nur beiläufig und dunkel von der betreffenden Lehre handeln. Wenn das nicht beachtet wird, dann werden die einzelnen Lehren nicht aus der Schrift genommen, sondern aus der menschlichen Einbildung geschöpft. Sucht jemand zum Beispiel die Lehre vom heiligen Abendmahl aus einer Stelle zu nehmen, wo garnicht vom heiligen Abendmahl die Rede ist, zum Beispiel, so macht er sicht seine eigenen Gedanken vom Abendmahl, denn an der Stelle steht nichts vom Abendmahl. Ferner: sucht jemand zum Beispiel, aus Joh. 3, 16 eine Lehre von der Gnadenwahl zu konstruieren, so gewinnt er eine Lehre, die nicht der Schrift, sondern den eigenen Gedanken entstammt, denn Job. 3, 16 ist garnicht von der Gnadenwahl, sondern von dem allgemeinen Gnadenwillen die Rede. Wollen Sie daher das Schriftprinzip festhalten, wollen Sie eine Lehre aus dem lauteren Brunnen Israels schöpfen, dann müssen Sie dieselbe den Schriftstehlen entnehmen, welche diese Lehre offenbaren. Freilich, die moderne Theologie nennt dieses Verfahren mechanisch und unwissenschafthich. Sie will (hie Konstruktion der Lehren aus einem Prinzip, aus einem allgemeinen Gedanken. So zum Beispiel will Sartorius aus dem Begriff der ,,Liebe“ die Dogmatik konstruieren. Das ist durchaus verkehrt, und zwar deshalb, weil wir Menschen aus uns selbst von geistlichen Dingen nichts wissen, darum aus uns selbst auch nichts herauskonstruieren können. Es steht nicht so, dass, wenn Gott uns nur A vorsagt, wir dann B und C u. s. w. selbstständig nachsagen könnten. Nein, wir Menschen wissen aus uns selbst nichts von geistlichen Dingen und können nur das aussagen, was in der Offenbarung Gottes vorliegt. Vom Abendmahl können wir nur das aussagen, was uns die heilige Schrift vom Abendmahl sagt; von der Bekehrung nur das, was uns die heilige Schrift von der Bekehrung sagt u. s. w. Jeder von uns ausgesprochene Gedanke, der nicht im Wort der Schrift ausgedrückt ist, ist ein Menschengedanke, eine falscher Gedanke. Würden wir diesen Satz preisgeben, dass die Glaubensartikel aus den sedes doctrinae zu schöpfen seien, so würden wir aufhören, eine


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rechtgläubige Kirche zu sein. Wir Christen haben nicht bloss ern allgemeines Prinzip für unseren Glauben. Wenn ein allgemeines Prinzip fiir uns genug wäre, dann hätte uns Gott auch nur ein Prinzip in der Schrift geoffenbart. Nun hat uns Gott aber eine ganze Schrift gegeben. Wir haben daher so viele Prinzipien, als wir klare Stellen in Gottes Wort haben. Die Neueren werfen ein: ,,Bildet denn die christliche iLehre nicht eine geschlossene Einheit, ein System, so dass von einem Punkte aus das Andere mit Notwendigkeit folgt?“ Antwort: ,,Die christliche Lehre bildet sicherlich eine festgeschlossene Einheit, ein festgefiigtes Ganzes. Nur können wir Menschen diese Einheit a l)riori nicht erkennen. Wir müssen uns Schritt für Schritt, ja Zoll für Zoll von Gottes Wort führen lassen. Wir erkennen von der christlichen Lehre nur so viel, als uns Gott ausdrücklich in seinem Wort offenbart. Was das einheitliche ,,System" im Sinne der menschlichen Erkenntnis betrifft, so ist wohl das Bekenntnis des Apostels Paulus zu beachten. Das Bekenntnis nämlich, dass er es nicht zu einer einheitlichen Anschauung in der christlichen Lehre gebracht habe, sondern nur fragmentarisch in diesem Leben erkenne. Er sagt 1 Kur. 13, 12: c~prt r>#wc~xa, ~x pipou~

(Jetzt, in diesem Leben, erkenne ich nur stückweise, teilweise). Darum ist es lauter Einbildung mit der Konstruktion der christlichen Lehre aus einem einheitlichen Gedanken und ihrer Entfaltung zu einem sogenannten wissenschaftlichen System. Wenn der Apostel von sich bekennen musste:

6K b4EpOV~ VLVWffKW , so werden auch wir Christen nicht über eine stückweise Erkenntnis hinauskommen. Und diese rechte stückweise Erkenntnis der christlichen Lehre in ihren einzelnen Artikeln wird uns vermittelt durch die Schriftstellen, in welchen von den einzelnen Lehren ausdrücklich geredet wird. Luther (XX, 285 f):

,,Darum ist das unser Grund, wo die heilige Schrift etwas gründet zu gläuben, da soll man nicht weichen von den Worten, wie sie lauten, noch von der Ordnung, wie sie da stehet, es zwinge denn ein ausgedrückter Artikel des Glaubens, die Worte anders zu deuten oder zu ordnen. Was wollt sonst die Bibel werden ?,,

Gerhard (De interpret. 5. 5. § 212):

,,Jeder G lau bensartikel hat glei chsam seinen gewissen und eigentlichen Sitz irgendwo in der Schrift, anderwärts aber wird er nur berührt. Von jedem Glaubensartikel muss man daher aus (leni eigentlichen Sitz desselben urteilen; jene Stellen aber, in denen nur wie im Vorbeigehen, beiläufig und zufällig von demselben geliandelt wir(l, sind nicht gegen <hie im eigentlichen Sitze gegebene Behandlung hervorzuheben. So wird die Lehre vonder Rechtfertigung absichtlich (ex professo) und wie in


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ihrem eigenen Sitze behandelt Röm. 3 und 4; Ephes. 2; Gal. 2 und 3; die übrigen Stellen, welche von der Rechtfertigung handeln, sind daher nach demselben abzuwägen. Der eigentliche Sitz des Artikels von Abendmahle ist Matth. 26; Mark. 14; Luk. 22; iKor. 10 und 11; aus diesen Stellen ist daher die Lehre vom Abendmahl zu schöpfen, nicht. aus frenid artigen Stellen.“

Endlich ist noch in Bezug auf die Schriftauslegung zu beachten:

,,Die evangelisch -lutherische Kirche verwirft von vornherein jede Auslegung, die mit der Aehnlichkeit des Glaubens nicht im Einklang steht.“ Röm. 12, 7. (1).

Wir müssen festhalten, dass jede Auslegung der Schrift von vornherein zu verwerfen sei, die der Analogie des Glaubens widerspricht. Was ist die Analogie des Glaubens? Die Analogie des Glaubens ist die Summa der Lehre, welche an allen klaren Stellen der heiligen Schrift geoffenbart vorliegt Darum ist keine Auslegung einer dunkeln Stelle zuzulassen, welche allen diesen klaren Stellen der heiligen Schrift widerspricht. Liessen wir eine Auslegung einer dunkeln Stelle zum, die diesen klaren Stellen widerspricht, dann würden wir damit t (las, was uns dunkel ist, also unsere menschliche Mein ung an die Stelle der klaren Schriftlehre setzen. So zum Beispiel ist jedem Christen auf Grund der heiligen Schrift über allen Zweifel erhaben, dass ein Mensch durch den Glauben an Christum, und nicht durch seine eigenen Werke vor Gott gerecht und selig werde. So muss nun jede Auslegung dunkler Schriftstellen von vornherein als falsch zurückgewiesen werden, die die klar geoffenbarte Wahrheit aufhebt. Besonders weist die Apologie (5. 284 ff) darau.f hin, dass wir das, was uns über (las Lehen einzelner Personen in der Schrift berichtet wird, nicht wider die klare Lehre der Schrift deuten dürfen:

,,Die Verständigen und Gelehrten wissen wohl, dass man alle Exempel nach der Regel, (las ist, nach der klaren Schrift, und nicht wider die Regel oder Schrift soll auslegen oder einführen.“

Concordienformel (Seite 724, 92)

,,Wie der Apostel zeuget (Röm. 15, 4), alles was geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost dei Schrift Hoffnung habeui: da uns aber durch die Schrift solcher Trost und Hoffnung geschwächet oder gar genommen, so ist gewiss, dass sie wider des heiligen Geistes Willen und Meinung verstanden und ausgelegt werde.“


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Zehnter Vortrag

Eine Hauptkrankheit in der Kirche unserer Zeit ist die, dass man gewisse in der Schrift geoffenbarte Lehren für unwichtig, ja für überflüssig erklärt. Einige Hauptlehren, sogenannte Funda-mentallehren, erklärt man festhalten zu wollen, andre Lehren dagegen ist man bereit preiszugeben, und zwar unter der Begrün-dung, dass von diesen Lehren die Seligkeit nicht abhänge. Dieser Gedanke beherrscht die Kirche unserer Zeit. Er herrscht nicht nur da, wo kirchenregimentliche Union durchgedrungen ist, sondern er herrscht auch allgemein unter den Sekten und in der modernen Theologie. Auch die im Jahre 1846 in London ins Leben gerufene sogenannte ,,Evangelische Alliance“ ist auf diesen Gedanken gegründet, dass man auf die Annahme nur einer Anzahl Fundamentallehiren zu dringen habe, alle audren Lehren sich aber gegenseitig schenken könne. Und diese Gesinnung und dieses Verfahren rühmt man als eine Errungenschaft einer besseren, im christlichen Geiste fortgeschrittenen Zeit. Aber es ist dies, nüchtern, im Lichte des Wortes Gottes betrachtet, wahrhich keine Frömmigkeit.

Zwar ist das wahr: nicht alle Lehren der heiligen Schrift sind ihrer Natur nach von gleicher Notwendigkeit, und insofern auch nicht von gleicher Wichtigkeit zur Erlangung der Seligkeit. Einige Lehren der heiligen Schrift sind nämlich derart, dass jeder Mensch, der selig werden will, sie wissen und glauben muss, andre dagegen sind von solcher Beschaffenheit, dass ein Mensch aus Schwachheit sie nicht weiss und nicht glaubt und doch dabei selig werden kann. Aber darum zu sagen, die letzteren Lehren seien unwichtig, ja überflüssig, und sich und anderen gestatten wollen, dieselben nicht zu glauben und anzunehmen, das ist wider die Schrift. Das ist, prinzipiell angesehen, der Greuel des Antichrists, welcher von Gottes Wort und Gebot nach seinem Gefallen dispensiert.

Bedenken Sie: die ganze heilige Schrift ist von dem heiligen Geist eingegeben und darum nicht Menschen-, sondern Gottes Wort. Wer darf es nun wagen, das fÜr unnötig, für unwichtig, ja, für überflüssig zu erklären, was der heilige Geist doch für nötig und wichtig genug geachtet hat, den heiligen Schreibern einzugeben? Und wer darf das für unwichtig erklären und demgemäss behandehn,was doch das Wort des grossen, majestätischen Gottes selbst ist? Darum, wer nur an der Inspiration der heiligen Schrift fest-hält, der muss schon den Unionismus unserer Tage als das Gegenteil von Frömmigkeit erkennen.

Aber dazu kommt noch dies, dass die Schrift in ausdrücklichen Worten solche Gesinnung und solches Verfahren verdammt.


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Lesen Sie die ganze heilige Schrift durch von Anfang bis zu Ende: Sie werden keine einzige Stelle finden, an welcher Gott vom Lehren und Glauben irgend eine Lehre dispensierte. Im Gegenteil, Gottes Wort sagt Matth. 5, 18. 19 selbst von dem Gesetz Gottes: ,,Ich sage euch, wahrlich, bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tütteh vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöset und lehret die Leute also, der wird der Kleinste heissen im Himmelreich, wer es aber tut und lehret, der wird gross heissen im Himmelreich.“ Ja‘ Gottes Wort soll nicht preis gegeben, sondern es soll festgehalten werden, wie der Herr Christus selber sagt: ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.“

Daraus sehen Sie: nur die Kirche ist eine rechtgläubige Kirche, eine Kirche, wie Gott sie haben will, die das ganze Wort Got tes annimmt. Die Kirche, welche von gewissen Lehren dispensieren will, charakterisiert sich dadurch als eine Sekte, als eine irrgläubige Gemeinschaft.

Unsere teure lutherische Kirche, die Kirche der Reformation, hat auch in diesem Stück das Kennzeichen der rechtgläubigen Kirche. Sie häht nicht nur fest, dass die ganze heilige Schrift, ahs vom heiligen Geist eingegeben, Gottes majestätisches Wort sei, sondern sie nimmt auch auf Gottes Geheiss das ganze Wort Gottes an, und erklärt keine Lehre des Wortes für unwichtig, sondern alle Lehren vielmehr für wichtig und notwendig. Daher hat die wahre huthem-ische Kirche auch immer gegen alle Unionisterei sicht erklärt, in der Erkenntnis, dass es keinemn Menschen, auch keiner Anzahl von Menschen, zustehe, von der Annahme irgend einer Lehre des Wortes Gottes, mag sie noch so geringfügig erscheinen, zu dispensieren. Gott gebe, dass diese Wahrheit auch in uns lebendig bleibe, und dass unsre ganze Praxis nach dieser Wahrheit eingerichtet sei. Würden wir nicht so gesinnt sein und demgemäss handeln, dann wären wir nicht mehr die reine apostolische Kirche, die Kirche der Reformation, und davor wolle uns Gott bewahren. Unsere Thesis hautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt das geschriebene Wort Gottes (als Gottes Wort) ganz an, achtet nichts darin Enthaltenes für überflüssig oder gering, sondern alles für notwendig und wichtig, und nimmt auch alle die Lehren an, welche aus den Schriftworten notwendig folgen.“ (XVII).

Als Beweisspruch ist zunächst angeführt Matth. 5, 18. 19:

,,Ich sage euch wahrlich: bis dass Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alhes geschehe. Wer nun Eins von diesen kleinsten Geboten auf löset, und Ich ret die Leute also, der wird der Kleinste heissen im


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Himmelreich; wer es aber tut und lehret, der wird gross heissen im Himmelreich.“

Man kann nicht einwerfen, hier sei nur vom Gesetz die Rede. Was von einem Teil gilt, das gilt auch von dem gleichartigen Ganzen; was also von dem inspirierten Wort des Gesetzes gilt, das gilt auch von dem inspirierten Wort des Evangeliums. Ja, es wäre vielmehr ein Schluss a minori ad maius am Platz: soll schon nicht ein Tüttelchen vom Gesetz preisgegeben werden, wie viel weniger vom Evangelium, das das eigentlich seligmachende Wort Gottes ist! Sodann sagt Christus ausdrücklich von seinem Wort im allgemeinen oder von allen seinen Worten: ,,Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben‘s angenommen“ (Joh. 17, 8); ,,So meine Worte in euch bleiben“ (Joh. 15, 7; ,,Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Matth. 28, 20). Achten Sie auch darauf, dass an diesen Stellen gerade auf die Worte der heiligen Schrift gedrungen ist. Man hat gesagt: an dem Inhalt der Schrift muss man zwar festhalten, aber so auf die einzelnen Worte zu dringen, ist Buchstabendienst. Der Herr Christus schärft gerade das Festhalten an seinen Worten ein.

Ueberdies, der Inhalt der Schrift kommt ja in den Worten derselben zum Ausdruck. Wer daher die Worte beiseite wirft, der wirft; damit den Inhalt beiseite. Weiter ist eine Stelle aus der Offenbarung angeführt:

,,Ich bezeuge aber allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So jemand dazu setzt, so wird Gott zusetzen auf ihn .die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen, lind so jemand davon tut von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil vorn Buch des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, das in diesem Buch geschrieben ist.“ Offb. 22, 18. 19.

Die Worte beziehen sich allerdings zunächst nur auf die Offenbarung St. Johannis. Aber Christus sagt Joh. 8 von seinem Wort im allgemeinen: ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.“ Wer als ein rechter Jünger Christi sich erweisen will in diesem Leben, der muss an Christi Wort bleiben, an Christi Wort festhalten. Wollte er einen Teil der Worte Christi preisgeben, so würde er nicht ein rechter Jünger Christi sein.

Hören wir Luther über die Notwendigkeit, Gottes Wort ganz anzunehmen und nichts daran ahs gering oder überflüssig beiseite zu schieben (XX, 965 f)

,,Es hilft sie (die Sakramentirer) auch nicht, dass sie wollten sagen: sie hielten sonst allenthalben viel und gross von Gottes Worten und dem ganzen Evangelio, ohne allein in diesem Stück (vom heiligen Abendmahle). Lieber, Gottes Wort ist Gottes Wort, das darf nicht viel


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menkelns. Wer Gott in Einem Wort lügenstraft und lästert, und spricht: es sei geringe Ding, dass er gelästert und gelügenstraft wird, der lästert den ganzen Gott und acht geringe alle Lästerung Gottes. Es ist Ein Gott, der sich nicht teilen lässt, oder an einem Ort loben, am andern Ort schelten, an einem Ort ehren, am andern verachten. Die Jüden gläuben dem Alten Testament, und weil sie an Christum nicht gläuben, hilft sie es nichts. Siehe, die Beschneidung Abrahii ist doch nun ein alt, tot Ding und nun nicht not noch nütze; noch, wenn ich wollt sagen: Gott hätte sie zu der Zeit nicht geboten, hülfe mich nichts, ob ich gleich dem Evangelio gläubte. Das meinet St. Jakobus: Wer in Einemn anstösst, der ist an allen Stücken schuldig. Jak. 2, 10.“

Halten Sie fest: Weil die ganze heilige Schrift Gottes Wort ist, so ist nun Gottes Majestät auch in jedem Wort, und wer darum nur ein Wort der heiligen Schrift vem-achtet, was tut der? Der verachtet damit Gottes Majestät, die hinter jedem Wort steht. Nehmen wir ein Beispiel. Ein König hat einen Diener, welchem er aufträgt, eine Botschaft in seinem Namen auszurichten. Der Diener tut es, weil er diese Verrichtung für wichtig hält. Dann befiehlt dem- König dem Diener, eine Türe zu schliessen. Das zu tun, weigert sich der Diener, unter der Begründung, das wäre nur ein geringes Ding, es käme nicht viel darauf an, ob die Türe offen stehe oder geschlossen werde. Es ist wahr, an und für sich mag es ein geringfügiges Ding sein, ob eine Türe offen oder geschlossen wird. Aber hinter diesen Worten: ,,Du sollst die Türe schliessen“, steht des Königs Majestät, des Königs Autorität, und indem der Diener diesem Befehl nicht nachkommt, setzt er die ganze Autorität des Königs beiseite- Dass er früher die Botschaft ausgerichtet hat, kam nicht daher, weil ihm des Königs Majestät so hoch gestanden hätte, sondern weil es ihm gefiel, weil er jene Verrichtung für wichtig hielt. Dadurch dass er dem Befehl des Königs in dem ihm gering scheinenden Ding nicht nachkam, gab er zu erkennen, dass der König ihm nichts gilt, dass er im Grunde sein eigener Herr sein will. Gerade so steht es auch zwischen- Gott und den Menschen. Gott ist der Herr, wir sind Gottes Untergebene. Gott hat uns seine Befehle, seinen Willen in seinem Wort kundgetan. Wenn wir nun von einem Wort unseres Königs im Himmel sagen: ,,Das tue ich nicht“, oder: ,,Das glaube ich nicht“, dann setzen wir damit die ganze Autorität des himmlischen Königs beiseite; dann ist nicht seine Autorität bestimmend für uns, sondern unsem- eigen Gutdünken. - Darum ist gewiss wahr, was Luther sagt: ,,Gott lässt sich nicht teilen, oder an einem Ort loben, am andern Ort schielten, an einem Ort ehren, am andern verachten.“ Wer Gott an einem Ort in der heiligen Schrift verachtet, der verachtet Gott überhaupt, der sagt: ,,Gott


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ist für mich keine Autorität.“ Darum müssen wir sagen: Alles in der heiligen Schrift ist von durchaus gleicher Wichtigkeit, insofern es Gottes Offenbarung ist. Wenn jemand die Zentral-wahrheit des Christentums vorgehalten wird: ,,So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werk, ah-hein durch den Glauben“, und er sagt: ,,Das ist nicht wahr!“ dann lästert er Gott. Und wenn jemand die Schri ftstelle vorgehalten wird, wo berichtet wird, dass Biheams Eselin geredet hat, und er sagt: ,,Das ist nicht wahr!”, so lästert er eben falls Gott, denn er erklärt damit ebenfalls Gottes Wort für Lüge. Also, es kommt hier nicht darauf an, ob eine Offenbarung der Schrift unter allen Umständen einem Menschen zur Erlangung der Seligkeit bekannt sein müsse, sondern es kommt hier darauf an, ob etwas in Gottes Wort überhaupt geoffenbart ist und ob man Gott in seiner Offenbarung lügenstraft oder ihm glaubt.

Luther schreibt ferner (XX, 982)

,,Wenn sie nicht so leichtfertige Verächter wären der Schrift, so sollte sie Ein klarer Spruch aus der Schrift so viel bewegen, als wäre die Weht voll Schrift; wme es denn wahr ist. Denn mir ist also, dass mir ein jeglicher Spruch die Welt zu enge macht.“

Ebenso (XX, 2216 f):

,,Gewiss ist‘s, wer Einen Artikel nicht recht gläubet oder nicht will (nachdem er vermahnet und unterrichtet ist), der gläubt gewisslich keinen mit Ernst und rechttem Glauben. Und wer so kühne ist, dass er darf Gott leugnen oder lügenstrafen an Einem Wort und tut solches mutwilliglich wider und über das, so er eins oder zweimal vermahnet oder unterweiset ist, der darf auch (tut‘s auch gewisslich) Gott in allen seinen Worten leugnen und hügenstrafen. Darum heisst‘s: rund und rein, ganz und alles gegläubt, oder nichts gegläubt. Der heilige Geist lässt sich nicht trennen, noch teilen, dass er Ein Stück sollte wahrhaftig und das andere sollte falsch lehren oder gläuben lassen. Ohne wo Schwache sind, die bereit sind, sich unterrichten zu lassen und nicht halsstarriglich zu widersprechen. Sonst, wo das sollte gelten, dass einem jeden ohne Schaden sein müsste, so er Einen Artikel möchte leugnen, weil er die andern alle für recht hielte (wiewohl im Grund solches unmöglich ist), so würde kein Ketzer nimmermehr verdammt, würde auch kein Ketzer sein können auf Erden. Denn alle Ketzer sind dieser Art, dass sie ersthich allein an Einem Artikel anfahen, darnach müssen sie alle hernach und allesammt verleugnet sein; gleichwie der Ring, so er eine Borsten oder Ritz kriegt, taugt er ganz und gar nicht mehr, und wo die Glocke an einem Orte berstet, klingt sie auch nichts mehr und ist ganz untüchtig.“


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Achten Sie aber dam-auf, dass Luther einen Unterschied macht zwischen Schwachen und solchen, die mutwillig dem Worte Gottes widersprechen, die das Wort nicht annehmen wollen. auch wenn es ihnen vorgehalten wird. Wer aus Schwachheit in einem Stück falsch lehrt, der leugnet nicht Gottes Autorität, sondern es steht so mit ihm; wenn ihm klar entgegentritt, was eigentlich die Lehre des Wortes Gottes ist, dann nimmt er Gottes Wort an. Dass er es bishem- nicht annahm, kam nicht daher, dass er sich von Gott nicht lehren hassen wollte und er Gottes Majestät in seinem Wort für nichts achtete, sondern daher, dass ihm das Wort bisher verdeckt war. Aber anders steht es bei denen, welchen Gottes Wort klar und wiederholt vorgehalten wurde, und es dennoch nicht annehmen wollen.

Die Sakramentierer verfochten muit aller Hartnäckigkeit ihre falsche Lehre, aber daneben sagten sie doch auch wieder, die Lehre von den Sakramenten sei nicht von solcher Wichtigkeit, dass man deshalb streiten solle. Mami wolle Frieden machen, auch ohne Einigkeit in der Lehre von den Sakramenten. Daher kam es auch, dass Zwingli, obwohl er mit Luther auf dem Kolloquium zu Marburg im Jahre 1529 nicht einig geworden war, diesem dennoch die Bruderhand anbot. Luther sagt über diesen Punkt:

,,Darum geben sie (die Sakramentierer) damit, dass sie diese Sache so leicht und gering achten, genugsam zu verstehen, was sie von der Majestät und Herrlichkeit des göttlichen Worts halten. Wo sie ernstlich und von Herzen gläubten, dass es Gottes Wort wäre, wurden sie damit nicht also leichtfertig scherzen und spielen, sondern es in höchsten Ehren halten, und ohne allen Zweifel und Disputation gläuben, was es ihnen sagt und fürhält; würden auch wissen, dass Ein Gottes Wort alle und wiederum alle Gottes Worte Eins wären; würden wissen, dass alle Artikel unseres christlichen Glaubens Einer wären, und wiederum, dass Einer alle wäre, und wo man Einen fahren lässt, dass gewiss die andern allesammt mit der Zeit einzelig hinnach fallen; denn sie hangen alle an einander und gehören zusamurnen. .. Darum habe des keinen Zweifel, wenn du Gott in Einem Artikel verleugnest, so hast du ihn gewiss in allen verleugnet. Denn er lässt sich nicht stückweis zerteilen in viel Artikel, sondern ist ganz und gar in einem jeden und in allen zumal Ein Gott. . . Wir wohlen kurzum alle Artikel der christliehen Lehre, sie sein gross oder klein (wiewohl ,uns keiner klein noch gering ist) ganz rein und gewiss haben und darinnen nicht einen Tütteh nachlassen. Und das muss auch sein. Denn die Lehre ist unser einiges Licht, das uns leuchtet und führet und den Weg gen Himmel


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weiset: wenn wir uns dieselbe in Einem Stücke schwächen und matt machen lassen, ist es gewiss, dass sie ganz und gar kraftlos wird; versehen wir es hierinne, wird uns die Liebe nichts helfen. Wir können ohne der Sakramentierer Liebe und Einigkeit wohl selig werden: das kann aber nicht geschehen ohne die reine Lehre und Glauben. .. Darum taugt es garnicht, dass man Lehre und Leben mit einander vergleichen will: denn an einem Buchstaben, ja, an einem einigen Tiittei der Schrift ist mehr und grösser gelegen, denn an Himmel und Erde… Darum sollen wir lernen von der Majestät und Herrlichkeit des Worts gross und viel halten; denn es ist nicht so eine geringe und leichte Sache, als die Schwärmergeister dieser Zeit wohl meinen, sondern ein einiger Tüttel ist grösser und mehr, denn Himmel und Erde. Darum fragen wir hier nichts nach christlicher Einigkeit oder Liebe, sondern brauchen straeks des Richtstuhls, das ist, wir verfluchen und verdammen alle die, so die Majestät des Worts auch in dein Allergeringsten fälschen und verrücken, denn ,ein wenig Sauerteigs versäuert den ganzen Teig.‘“

Wollen Sie die von Luther hier ausgesprochenen Gedanken klar auffassen. Luther schärft ein, dass alle Gottes Worte Ein Gottes Wort und alle Artikel des Glaubens Ein Artikel des Glaubens sind. Luther legt den Finger darauf, dass die christliche Lehren innerlich eng mit einander verbunden sind, so dass, wenn man eine Lehre leugnet, dann das ganze davon affiziert wird, wenn der Irrtum in einer Lehre konsequent durchgeführt wird. Zwingli leugnete, dass Christus Leib und Blut im heiligen Abendmahl gegenwärtig sei. Aber Zwingli konnte bei der Fälschung der Lehre vom heiligen Abendmahl nicht stehen bleiben. Uni seinen Satz, dass Christi Leib und Blut im heiligen Abendmahl nicht gegenwärtig sei, zu stützen, musste er andere Schri ftlehren leugnen. So griff er denn, um seine falsche Lehre vom Abendmahl zu stützen, die Lehre von Christi Person an: er leugnete die Mitteilung der Eigenschaften. Er leugnete auch die rechte Lehre von der Himmelfahrt, ja, im Grunde, dass Gottes Sohn Mensch geworden sei. Freilich steht es nun oft so, dass ein Irrlehrer in einer glücklichen Inkonsequenz befangen ist. Er leugnet zum Beispiel mit rationalistischen Gründen, dass Christi Leib und Blut im heiligen Abendmahl gegenwärtig sein könne. Nun sollte er konsequenterweise alle Lehren leugnen, die über menschliches Begreifen hinausliegen, also vor allen Dingen auch in Abrede nehmen, dass Gottes Sohn Mensch geworden ist. Kein Mensch kann begreifen, wie die ganze Fülle der Gottheit in Christo leibhaftig wohne. Und wie kann man begreifen, dass in dein einigen, ungeteilten und unteil baren Gott drei realiter verschiedene Perso-


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nen sind? Konsequenterweise müsste jeder, der aus Vernunftprinzipien die Lehre vom heiligen Abendmahl leugnet, auch die Lehre von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit leugnen. Aber oft führt man das rationalistische Prinzip nicht konsequent durch. Man setzt es in Operation bei der Lehre vom heiligen Abendmahl und lässt es ruhen bei dem‘ Lehre von der Dreieinigkeit und der Person Christi. Das ist dann eine glückliche Inkonsequenz. Aber es ist Gottes Gnade allein, dass ein Mensch von einem rationahistischen Standpunkte aus nicht alle Lehren leugnet. Ueberliesse Gott einen solchen Menschen sich selbst, dann würde der Irrtum sich auch immer konsequent durcharbeiten bis zur Leugnung der ganzen  christlichen Lehre.

Man führt von alters her gegen das Festhalten an der reinen Lehre die christliche Einigkeit und die Liebe ins Feld. Welche Torheit! Wie betrügt doch hier der Teufel die Menschen! Wodurch ensteht denn die christliche Einigkeit? Dadurch, dass die Menschen die Lehren annehmen, die Gott in seinem Wort geoffenbart hat. Wer daher von den in Gottes Wort geoffenbarten Lehren nachlassen will, der zerstört die christliche Einigkeit, und wer einschärft, dass wir an allen Stücken der clmristlichen Lehre festhalten müssen, der fördert die christliche Einigkeit. Und nun gar die Liebe! Die Liebe, sagt man, solle uns dringen, es mit dem‘ Lehre nicht so genau zu nehmen, bei diesem oder jenem Artikel der christlichen Lehre durch die Finger zu sehen. Was ist das für ein Zerrbild der cli ristlichen Liebe! Christus sagt: ,,Wer mich liebet, der wird mein Wort halten.“ Die Liebe zu Gott muss sich also vornehmlich in einen? zeigen, darin, dass man vor jedem Worte Gottes anf die Kniee sinkt und anbetet. Wer Gottes Wort beiseite setzen will, auch nur einen Spruch der Schrift, der ist dadurch gerade ein Verheugner der Liebe zu Gott. Und von der Liebe des Nächsten kann bei einem solchen auch nicht die Rede sein. Denn unserm Nächsten schulden wir vor allen Dingen dies eine, dass wir an unserm Teil dafür sorgen, dass ihm die göttliche Lehre ganz und mein verkündigt und erhalten werde. Darum wenden Sie sich mit ganzem Ernst ab von dem Zerrbild der christlichen Liebe, welche die Unionisten in der Kirche pam‘adieren und nach welcher man von uns verlangt, dass wir alle Irrgläubigen für christliche Brüder erklären und mit ihnen kirchliche Gemeinschaft machen. Endlich schreibt Luther noch über diesen Punkt (XX, 1092):

,,Es hilft sie auch nicht, dass sie rühmen, wie sie Christum sonst in andern Stücken recht lehren und preisen. Denn wer Christum in Einem Stück oder Artikel mit Ernst leugnet, lästert und schändet, der kann ihn an keinem andern Ort recht lehren oder ehren, sondern es mst eitel Heuchelei und Trügerei, es gleisse, wie es wolle.


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Denn so heisst‘s: Christum ganz verloren, oder ganz behalten. Er stückt und teilet sich nicht; von ganzem Herzen, von ganzer Seele will er geliebt und geehrt sein.

Es heisst am Ende der Thesis, dass die lutherische Kirche auch alle Lehren annimmt, ,,welche aus den Schriftworten notwendig folgen.“ So reden unsere alten Theologen den Schwärmern gegenüber, die Ausdrücke wie: ,,Dreieinigkeit“, ,,gleichwesentlich" u. s. w. mit der Begründung zurückweisen, solche Worte fänden sich nicht in der Schrift. Allerdings findet sich das Wort ,,Dreieinigkeit“ nicht in der Schrift. Dennoch ist die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit Schriftlehre, weil die Sache, welche in diesem Wort kurz zum Ausdruck kommt, in den Worten der Schrift klar geoffenbart ist. Die Schrift sagt einerseits, dass Gott einer und kein andrer Gott ausser oder neben ihm sei. Anderseits sagt die Schrift, dass der eine Gott Vater, Sohn und heiliger Geist sei. So ist die Lehre von der Dreieinigkeit in den Worten der Schrift ausgedrückte Schriftlehre. Dasselbe gilt in Bezug auf die Lehre, dass der Sohn Gottes dein Vater ,,gleichwesentlich“ (homousios) sei. Wohl findet sich das Wort ,,gleichwesentlich“ nicht in der Schrift, aber die Sache liegt in den Worten der Schrift geoffenbart vor, zum Beispiel, in den Worten Christi: ,,Ich und der Vater sind eins.“ -(Joh. 10, 30), welche Worte nach dem Zusammenhang auf die Einheit des Wesens des Vaters und des Sohnes gehen. Es ist nicht nötig, auf die ,,Tradition“ zurückzufallen. um die Lehren von der Dreieinigkeit und der Gleichwesentlichkeit des Sohnes als christliche Lehren zu erweisen, wie Papisten behauptet haben. In diesem Sinne schreibt Quenstedt (1. 148):

,,Obgleich einige zum Glauben gehörige Stücke nicht ausdrücklich, nach dem Buchstaben oder mit ebenso viel Worten in der Schrift enthialten sind, so ist es doch hinreichend, dass sie sicht darin der Sache und, der Meinung nach befinden, so dass sie vermittelst einer richtigen und einleuchtenden Schlussfolgerung daraus abgeleitet und geschlossen werden können. Daraus, dass man leuunet dass alle notwendigen Dogmen dem Buchstaben nach ausgedrückt sein, gilt kein Schluss auf die Notwendigkeit der ungeschriebenen Ueberlieferungen. Denn richtig aus der Schrift gezogene Schlussfolgerungen sind Gottes Wort der Sache und dem Sinne nach, obwohl sie es nicht dem Buchstaben und Schall nach sind. ,Was aus der Schrift‘ (nehmlich durch eine sich von selbst ergebende, ganz nahe liegende und rechtmässige) ,Folgerung geschlossen wird, ist dem gleich, was geschrieben ist‘, wie Gregor von Nazianz in der 37. Rede in der 5. Frage von der Theologie sagt.“

Aber der Ausdruck: ,,notwendige Folgerung“ ist auch gemissbraucht worden, um menschliche Gedanken, törichte Folge-


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rungen der unverständigen menschlichen Vernunft, in die Schrift einzuschieben. Wir müssen also zwischen rechtmässigen Folgerungen und angeflickten Menschengedanken unterscheiden. Ein Beispiel einer rechtmässigen Folgerung haben wir in den Worten Christi Matth. 22, 29— 32, wo Christus daraus, dass Gott in der Schrift ein Gott Abrahams u. s. w. genannt wird die Lehre von der Auferstehung als eine Schriftlehre beweist. Die Sadduzäer leugneten die Auferstehung der Toten und der Herr Christus beweist ihtuen die Auferstehung der Toten aus der Schrift. Er führt den Beweis aus einer Stelle, in der auf den ersten Blick diese Lehre nicht zu liegen scheint, und doch, sobald man näher zusieht, ist sie in den Worten. die der Herr aus dem Alten Testament anführt, enthalten. Es sind die Worte: ,,Ich bin der Gott Abrahams. Isaaks und Jakobs“, welche Gott nach dem Tode Abrahams, Isaaks und Jakobs sprach. Gott erklärt sich für den Gott der gestorbenen Väter Abraham, Isaak und Jakob, und damit erklärt er, dass er diese auferwecken werde. Was heisst das nämlich, wenn Gott zu einem Menschen, zu einem Sünder, sagt: ,,Ich bin dein Gott.“ Das heisst soviel: ,,Ich nehme die Sünde und alles, was Folge der Sünde ist, also auch Tod Grab und Verwesung, von dir; ich erwecke dich vom Tode und vem-setze dicht ins Leben.“ So liegt in den Worten: ,,Ich bin dein Gott“, wenn man sie in ihrem schriftgemüssen Wort auffasst, die Auferweckung von den Toten. Darum zieht der Herr Christus an dieser Stelle nur etwas aus den Worten heraus, was wirklich in den Worten ausgesprochen vorliegt. So halten wir fest: nur das ist als eine richtige Folgerung aus den Worten der heiligen Schrift anzuerkennen, was in den Worten der Schrift wirklich enthalten ist. Was nicht in den Worten der Schrift liegt, kann auch nicht aus denselben gefolgert werden. Jede richtige oder not wendige Folgerung aus der heiligen Schrift muss sich als eine Entfaltung des Sinnes, welcher in den Worten der Schrift zum Ausdruck komnmt‘ legitimieren können, sonst haben wir es mit einer Vernunft-Spekulation zu tun, und nicht mit einem Schriftsinn. Ich will Sie auf einige Vernunftfolgerungen aufmerksam machen. Eine Vernunftfolgerung erlauben sich die Calvinisten, wenn sie daraus, dass es eine Erwählung zur Seligkeit gibt, und zwar eine Erwählung, die eine Ursache des Glaubens und des ganzen Christentums der Erwählten ist, folgern, dass es auch eine Erwählung zur Verdammnis geben müsse. Eine Vernunftfolgerung ist es ferner, wenn man daraus, dass ein Mensch der Gnade Gottes widerstehen oder widerstreben kann, folgert, dass sich der Mensch aucht der Gnade Gottes zuwenden könne.


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Elfter Vortrag

Ein Doppeltes hält die lutherische Kirche fest, was die Stellung zu den in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehren anlangt. Erstlich nimnit sie alhe Lehren ehrfurchtsvoll an und wagt keine für unwichtig oder gar überflüssig zu erklären, indem sie sich oder andere von der Annahme irgend einer Lehre dispensierte. Dadurch unterscheidet sich die lutherische Kirche von den Sekten, dadurch hat sie das Merkmal der rechtgläubigen Kirche an sich, wie wir letztes MaI gesehen haben. Auf der anderen Seite erkennt die lutherische Kirche dennoch eine Ordnung unter den einzelnen in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehren an. Sie stellt nicht die einzelnen Lehren unterschiedlos neben einander, sondern gibt jeder Lehre die ihr eigentümliche Stellung und Bedeutung. Ja, sie stellt eine Lehre so in die Mitte, dass ihr alle andren Lehren nur Geltung und Bedeutung haben, insofern sie auf diese Lehre bezogen werden. Das ist die Lehre von der Rechtfertigung, die Lehre von dem‘ Vergebung der Sünden aus Gnaden, um Christi willen, durch den Glauben.

Auch hiermit steht die lutherische Kirche auf der Schrift. Die heilige Schrift schärft auf der einen Seite ein, wie wir letztes Mal gehört haben, dass man kein Wort Gottes, ja, kein Tüttelchen von Gottes Wort fahlen lassen dürfe; auf der andern Seite setzt aber die heilige Schrift ganz klar eine Ordnung unter den einzelnen Lehren. Die heilige Schrift selbst stellt die Lehre von der Rechtfertigung ins Zentrum aller Lehren. Wie denn? Der Apostel Paulus hat alle geoffenbarten Lehren gepredigt und keine derselben verschwiegen, wie er selbst sagt, er habe seinen Zuhörern nichts verhalten, dass er nicht verkündigt. hätte den ganzen Rat Gottes, und doch sagt derselbe Apostel im 1 Kor. Briefe von seiner ganzen Tätigkeit: ,,Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten“, das heisst, ohne allein die Lehre, dass man durch Jesum Christum, den Gekreuzigten, vor Gott gerecht und selig werde. Der Apostel Paulus hat also alle Lehren so gepredigt, dass cm‘ nichts als die Rechtfertigungslehre gepredigt hat: er hat alle Lehren auf Jesum Christum, dcii Gekreuzigten, auf die Lehre von der Rechtfertigung bezogen; ei‘ hat alle anderen Lehren nur gepredigt, uni dadurch zur Predigt der Lehre von der Rechtfertigung zu komumuen. Wenn ferner derselbe Apostel 1 Kor. 13, 3 sagt: ,,Ich habe euch zu vörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben sei für unsere Sünde nach der Schrift“, so erklärt der Apostel dam it die Lehre von dem‘ Rechtfertigung für die grosse Hauptsache. Und wenn er endlich 1 Kor. 3, 11 sagt: ,,Einen anderen Grund kann zwar niemand legen, ausser dem, der gehegt ist,


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welcher ist Jesus Christus“, so erklärt er damit die Lehre von der Rechtfertigung für den Grund, auf welchem das Gebäude der ganzen christlichen Lehre ruht. Was nicht auf diesem Grunde ruht, was auf selbständige Geltung Anspruch macht, ist ein falscher Aufbau.

So müssen denn auch wir uns dadurch als eine rechtgläubige Kirche erweisen, dass wir die Lehre von der Rechtfertigung zur Haupt- und Grundlehre, zum Kern. und Stern aller Lehre machen. Wir müssen alle Lehren so predigen, dass wir schliesslich nur die Lehre von der Rechtfertigung predigen. Es ist nich genug, dass wir alle Lehren überhaupt vortragen, sondern so müssen wir alle Lehren vortra gen, dass dabei die Lehre von der Rechtfertigung im Zentrum bleibt, dass alles auf die Lehre von der Rechtfertigung entweder hinweist oder aus dieser Lehre folgt. Zum Beispiel, wir müssen das Gesetz in seinem‘ ganzen Schärfe predigen, aber nun‘ zu dem Zweck, um darnach den vollen. Reichtum der Gnade Gottes in Christo ausschütten zu können. Wir müssen ferner die Heiligung und alle guten. Werke mit ganzem Ernst lehren und vor allen bösen Werken warnen, aber in dem‘ Weise, dass wir die Christen durch die Barmherzigkeit Gottes, die ihnen in Christo Jesu widerfahren ist, ermahnen, ihre Leiber zu begeben zumn Opfer, das da hebemidig, heilig und Gott wohlgefällig ist, und vor allen bösen Werken warnen, ahs durch weiche der seligmachende Glaube an Christum und damit die Rechtfertigung und die Seligkeit verloren geht. Wir müssen mit allem Ernst und mit aller Klarheit die Lehre von Christi Person und Werk vortragen, aber nicht in einem spekuhativen Interesse, sondern, um den zu erkennen und den zu lehren, welcher uns die Gnade der Rechtfertigung erworben hat. Wir müssen auch die Lehre von Gottes Wort und den Sakramenten treiben, aber‘ in der Weise, dass wir das Wort und die Sakramente als Medium der Rechtfertigung erkennen und behandclii, als die Gnadenmittel. durch weIche den Sündern die von Christo erworbene Gnade ausgeteilt wird.

Würden wir nicht so die Lehre von der Rechtfertigung ins Zentrum stellen, würden wir eine andre Lehre, zum Beispiel, die Lehre von der Liebe, von der Heiligung zur Hauptlehre machen. wurden wir nicht ahle Lehren auf die Lehre von der Rechtfertigung beziehen, sondem‘n einer Anzahl Lehren eine selbständige Bedeutung beilegen, dann führten wir von Christo, denn Gekreuzigten, ab, dann würden wir falsche Lehrer sein mitten in der rechtgläubigen Kirche; wir würden dann vielleicht viel von Christo reden. aber‘ wir würden in Grunde Verleugner Christi und des christlichen Glaubens sein, wir würden dann nicht dein Vorbilde des Apostels Paulus nachfolgen, welcher sagt: ,,Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter‘ euch, ohne allein Jesum Christu in, den Gekreuzigten.“

These 18 lautet:


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,,Die evangelisch-lutherische Kirche gibt jeder Lehre des Wortes Gottes die Stellung und Bedeutung, die dieselbe in Gottes Wort selbst hat:

A.        zum Grund und Kern und Stern aller Lehre macht sie die Lehre von Christo oder von der Rechtfertigung.“

In unserer Zeit spricht man es ganz offen ans, nicht etwa bloss ausserhalb, sondern sogar .innerhalb der Kirche, dass die Lehre von den Werken, das sogenannte praktische Christentum, in den Vordergrund zu stellen sei. In früherer Zeit habe man zu stark den Glauben betont. Die Werke seien die Hauptsache im Christentum, während man Glauben und Lehren (creeds) auf sich beruhen lassen könne. Daniit ist man vom Christentum abgefallen. Wenn ma.n sich darin einigte, dass nicht die Lehre von der Rechtfertigung, sondern die Lehre von den Werken, die Haupt-lehre sei, so würde man sich auf Heiden tum einigen. Von Werken weiss man auch im Heidentum zu sagen, aber von der Rechtfertigung, von der gnädigen Vergebung der Sünden uni Christi willen, weiss man da nichts.

Darüber, dass die Lehre von der Rechtfertigung das Hauptstück der christlichen Lehre sei, heisst es in der Augsburgischen Konfession (Artikel 26 und 27):

,,Doctrina de gratia et justitia fidei est praecipua pars evangelii et quam maxime oportet extare et eminere in ecclesia“ (das ist: Die Lehre von der Gnade und Gerechtigkeit des Glaubens ist der hauptsächlichste Teil des Evangeliums, und es muss derselbe vor allen andern in der Kirche vorhanden sein und die erste Stelle einnehmen). ,,Gerechtigkeit des Glaubens, die man am meisten in der Kirche treiben soll, wird verdunkelt, wann den Leuten die Augen aufgesperret werden mit dieser seltsamen Engelsgeistlichkeit und falschem Fürgeben des Armuts, Demut und Keuschheit.“

Ebenso die Apologie (Seite 86, 1 ff):

,,Die Widersacher verdammen unser Bekenntnis, dass wir lehren, dass die Gläubigen Vergebung der Sündc durch Christum ohne alle Verdienst allein durch den Glauben erlangen, und verwerfen gar trötzlich beides:  erstlich, dass wir nein dazu sagen, dass den Menschen durch ihren, Verdienst sollten die Sünden vergeben werden; zum andern, dass wir halten, lehren und bekennen, dass niemand Gott versühnet wird, niemand Vergebung der Sünde erlangt, denn allein durch den Glauben au Christum. Dieweil aber solcher Zank ist über dem höchsten und fürnehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, also dass an diesem Artikel ganz viel gelegen ist; welcher a uch zu klarem richtigem Verstande der ganzen heiligen Schrift fürnehmlich dienet und zu dem unaus-


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sprechlichen Schatz und dem rechten Erkenntnis Christi allein den Weg weist, auch in die ganze Bibel die Tür auftut; ohne welchen Artikel auch kein arm Gewissen einen rechten, beständigen, gewissen Trost haben oder die Reichtümer der Gnaden Christi erkennen kann: so bitten wir, kaiserliche Majestät wollen von dieser grossen, tapfern, hocbwichmtigen Sache nach Notdurft und gnädiglich uns hören.“

Hier wird die Lehre von der Rechtfertigung nicht nur der ,,höchste und fürnemste“ Artikel der ganzen christlichen Lehre genannt, sondern auch als der Schlüssel zur Schrift und als das Fundament des christlichen Trostes bezeichnet. Wer nicht die Lehre von der Rechtfertigung erkennt, dem ist und bleibt die ganze heilige Schrift ein verschlossenes Buch, und wenn er sie auch auswendig wüsste. Er findet dann in der heiligen Schrift auch nur eine Morallehre. Er erkennt Christum nicht als Heiland. sondern hält ihn für einen Wegweiser, der den Menschen zeigt, wie sie durch eigene Tugend in den Himmel kommen. Und was den Trost betrifft: Nur durch die Lehre von der Rechtfertigung ist die christliche Lehre tröstlich. Ohne diese Lehre wäre die christliche Lehre gerade so untröstlich, wie ahle heidnischen Religionen. Ohne diese Lehre, durch welche die Gnade Gottes und die Seligkeit von Menschenwerk und Menschenwürdigkeit ganz losgelöst und allein auf Christi Verdienst gestellt wird, würde kein Mensch der Vergebung seiner Sünden und der Seligkeit gewiss werden. Dass es in der Christenheit Trost gibt, dass es Leute gibt, welche den Tod nicht fürchten, sondern an ihrem Ende sprechen: ,,Nun lässest Du deinen Diener in Frieden fahren“, das ist die Wirkung der Lehre von der Rechtfertigung. Wer daher diese Lehre aus der christlichen Religion herausuimmt, oder sie zurückstellt und eine andere Lehre zur Hauptlehre macht, zerstört damit den Zweck der heiligen Schrift.

Es heisst ferner in der Apologie (Seite 220, ,79 ff):

,,In der christlichen Kirche ist das kein geringer Artikel, sondern der allerhöchste und Hauptartikel, dass wir Vergebung der Sünde erlangen ohne unsern Verdienst, durch Christum, und dass nicht unsere Werke, sondern Christus sei die Versöhnung für unsere Sünden... Und ist gar nahe keine Syllabe, kein Blatt in der Bibel in den fürnehmnsten Büchern der heiligen Schrift, da das nicht klar gemeldet wäre. .. Wir sehen gar wohl die ernstlichen Mandate und das kaiserliche Edikt, wider uns und unsere Lehre ausgangen; des sollten wir billig erschrecken, wenn wir von leichten, geringen Sachen oder von Sachen, die in Zweifel stünden, zu handeln hätten. Nachdem wir aber (Gott Lob!) durch Gottes Wort in unsern Herzen und Gewissen des ganz ohne allen Zwei-


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fel für Gott gewiss sein, dass die Widersacher verdammen die öffentliche göttliche Wahrheit und die rechte, christliche, selige, heilige Lehre, ohne welche keine christliche Kirche irgend sein kann, welche ein jeder Christ, so fern sein Leib und Leben reicht, schuldig ist zu der Ehre Gottes zu bekennen, zu retten und zu schützen, so lassen wir uns von solcher heilsamer Lehre nicht abschrecken. Denn wer wollte ihm doch nicht wünschen an seinem letzten Ende, dass er im Bekenntnis des Artikels sterben möchte, dass wir Vergebung der Sünde durch den Glauben, ohne unser Verdienst und Werke, durch das Blut Christi erlangen ?,, (Artikel 20) .

Es ist hier Bezug genommen auf das Edikt des Kaisers, dass die Lutheraner nach dem Reichstag zu Augsburg wieder in die Papstkirche zurückkehren sollten, widrigenfalls der Kaiser sie mit Waffengewallt angreifen würde. Da bekennen unsere Väter:

uns möchte wohl bange sein vor dein kaiserlichen Zorn und wir möchten, wenn es sich um andere Dinge handelte, wohl gewillt sein, dem Wunsch des Kaisers, von unserer Lehre abzutreten, und uns ins Lager der Papisten zurückzubegeben, zu willfahren, aber hier handelt es sich um die Lehre von der Rechtfertigung, die können wir nicht fahren lassen, denn damit würden wir unsere Seligkeit fahren hassen. Darum müssen wir eher alles über uns ergehen lassen, als von dieser Lehre abtreten. Unsere Väter sagen auch: ,,ohne welche keine christliche Kirche irgend sein kann.“ Die Lehre von der Rechtfertigung ist der articulus stantis et cadentis ecclesiae. Denn was ist die christliche Kirche? Sie ist die Gemeine der Gläubigen oder derer, die glauben. Die was glauben? Die da glauben, dass sie als arme Sünder durch den Glauben an Christum, ihren Heiland, einen gnädigen Gott und die ewige Seligkeit haben. Die Leute, die das glauben, das sind die Glieder der christlichen Kirche, und die Leute, welche das nicht glauben, die gehören nicht zur christlichen Kirche, wenn sie auch äusserlich in der Gemeinschaft stehen und von einem grossen Schein der Kirchlichkeit umgeben sind. Daher kann die Kirche auch nur an dem Ort sein und bestehen, wo die Lehre von der Rechtfertigung gepredigt wird. Wollte man die Lehre von der Rechtfertigung preisgeben, so hiesse das die Lehre preisgeben, durch welche die christliche Kirche gepflanzt und erhalten wird. — Vor allen Dingen gehören hierher die gewaltigen Worte der Schmalkaldischen Artikel (Seite 300, 5):

,,Von diesem Artikel“ (dass allein der Glaube gerecht macht) ,,kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden, oder was nicht blciben will. Denn es ist kein ander Name den Menschen gegeben, dadurch wir können selig werden, spricht Petrus Akt. 4, und durch Seine Wunden sind wir geheilet, Jes. 53.


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Und auf diesem Artikel stehet alles, das wir wider den Papst, Teufel und alle Welt lehren und leben. Darum müssen wir des gar gewiss sein und nickt zweifeln, sonst ist es alles verloren und behält Papst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht.“

Im Artikel von der Rechtfertigung ist kein Nachgeben möglich, es komme, was da wolle. Gibt man in diesem Artikel nach, dann verholint sichs nicht mehr, noch um andre Lehren zu kämpfen. Die andern Lehren haben immer nur insofern Wert, als die Lehre von der Rechtfertigung festgehalten wird. Was hilft uns die Lehre von den Sakramenten, wenn nicht mehr geglaubt wird, dass wir allein aus Guaden, um Christi willen, gerecht und selig werden, denn dann können wir ja Taufe und Abendmahl nicht mehr als Gnadenmittel ansehen, das heisst, als Mittel, wodurch uns Vergebung der Sünden mitgeteilt wird, sondern wir werden Taufe und Abendmahl als Mittel ansehen, wodurch wir vor Gott Gnade erwerben, sie also zu Menschenwerken machen. Das nach Preisgebung des Artikels von der Rechtfertigung alle Polemik nutzlos und sinnlos ist, wurde schon früher dargelegt.

Jede Beimischung von Werken im Artikel von der Rechtfertigung drückt die christliche Lehre auf das heidnische Niveau herab. Ein wenig Sauerteig au diesem Punkt versänert den ganzen Teig. Wie Augustinus sagt: ,,Gratia non est gratia ullo modo, si non gratia datur omni modo“

Zwoelfter Vortrag

Eine Kirchengemeinschaft muss sich, wie wir gesehen haben, dadurch als eine rechtghäubige legitimieren, dass sie alles in der heiligen Schrift Enthaltene als Gottes Wort anerkennt und gelten lässt. Sobald sie sich oder andere von der Annahme einiger Lehren der heiligen Schrift dispensieren will, hat sie den Charakter der Rechtgläubigkeit verloren und den einer Sekte angenommen.

Aber noch ein Weiteres gehört zum Charakter der Rechtgläubigkeit. Eine Kirchengemeinschaft muss nicht nur alles in der heiligen Schrift Enthaltene als Gottes Wort anerkennen und gelten lassen, sondern muss in dem in der Schrift Enthaltenen einen scharfen, durch die ganze heilige Schrift sich erstreckenden, Unterschied machen und streng durchführen. Daran ist so viel gelegen, dass die ganze christliche Lehre gefälscht, ja, das Christentum wieder in Heidentum verwandelt wird, wenn man diesen Unterschied nicht macht. Das ist der Unterschied von Gesetz und Evangelium. Wir müssen in der heiligen Schrift Gesetz und Evangelium unterscheiden.

Um diesen Unterschied klar zu erkennen, wollen wir uns zunächst daran erinnern, was Gesetz und Evangelium gemeinsam


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haben. Erstlich sind beide Gottes Wort. ,,Tue das, so wirst du heben“, ist ebensowohl Gottes Wort als, ,,Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig“ Zum andern, beide gehen alle Menschen ohne Ausnahme an. Wie das Wort des Gesetzes ,,Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten als dich selbst“ sowohl den König als den Bettler verpflichtet, so geht auch die Gnade Gottes in Christo, welche das Evangelium offenbart und gibt, alles, was Mensch heisst, an. Drittens, beide, Gesetz und Evangelium, sind ewige Wahrheiten, die nie ausser Geltung kommen, und deshalb auch in der Kirche bis an den jüngsten Tag gepredigt werden müssen. Wer das eine oder das andre verschweigt, der verstümmelt, verfälscht Gottes Wort. Viertens, beide, das Gesetz und Evangelium verheissen dem Menschen das ewige Leben. Das Gesetz sagt, wie wir schon gehört haben, ,,Tue das, so wirst du leben“, das Evangelium sagt auch ,,Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst dii selig.“

Und doch sind nun beide wieder gänzlich verschieden, ja, vollkommene Gegensätze. Das Gesetz fordert des Menschen Tun, das Evangelium dagegen heisst dem Menschen von allem eignen Tun gänzlich absehen. Das Gesetz verheisst dem Menschen das ewige Lehen unter der Bedingung, dass der Mensch alle Gebote des Gesetzes, und zwar vollkommen, erfülle; das Evangelium verheisst dem Menschen das Leben unbedingt, das heisst, ganz absehen von jeglicher Erfüllung des Gesetzes seitens des Menschen. Das Gesetz bedroht den Menschen wegen Uebertretung des Gesetzes mit Gottes Zorn und der ewigen Verdammnis; das Evangelium sagt dem Menschen, es solle ihm nichts schaden, dass er das ganze Gesetz übertreten habe; er solle, trotz aller Uebertretung des Gesetzes, Gottes Gnade und das ewige Leben haben. So verschieden sind Gesetz und Evangelium.

Doch, wie ist nun ein Prediger bei dieser Sachlage daran? Ist das nicht lauter Wirrwarr? Kommt da nicht ein vollkommener Widerspruch heraus, so dass der Prediger nun doch nicht weiss, was er eigentlich den Menschen sagen soll? Keineswegs. Gesetz und Evangelium haben ihre ganz bestimmt abgegrenzten Gebiete, auf welchen sie gelten. Das Gesetz ist von Gott den Menschen nicht zum Gerechtwerden und zum Seligwerden gegeben, sondern um die Menschen dadurch zur Erkenntnis ihrer Sünden zu führen und zu demütigen. Zum Gerecht- und Seligwerden ist den Menschen von Gott das Evangelium geoffenbart. In diesen ihren eigentümlichen Sphären muss man Gesetz und Evangelium lassen. Das Gesetz ist mit aller Schärfe in der Kirche zu verkündigen, aber zu dem Zweck, um dadurch zur Erkenntnis der Sünden zu führen und zu demütigen. Sobald dieser Zweck erreicht ist, sobald ein Mensch zur Erkenntnis seiner Sünden kam und nun zerschlagenen Herzens fragt: ,,Was muss ich tun, dass ich selig werde“, dann ist des Gesetzes zu geschweigen. Die Frage des armen


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Sünders ,,wie werde ich gerecht und selig?“ ist lediglich aus dem Evangelium zu beantworten. Diese Grenzen innezuhalten, das Gesetz öffentlich und privatim immer nur so zu predigen, dass die sicheren Sünder zerschlagen werden und das Evangelium öffentlich und sonderlich immer nur so- zu verkündigen, dass die zerschlagenen Sünder dadurch aufgerichtet werden, das heisst, Gesetz und Evangelium recht scheiden.

An dieser Unterscheidung ist, wie schon erinnert wurde, alles gelegen; Gesetz und Evangelium dürfen nicht vermischt werden. Wenn letzteres geschieht, wenn dem Menschen, der zur Erkenntnis seiner Sünden gekommen ist, die Frage nach der Vergebung der Sünden und der Seligkeit aus dem Gesetz beantwortet wird, dann wird nicht mehr christlich sondern heidnisch gelehrt, denn in diesem Fall wird ja die Vergebung der Sünden und die Seligkeit auf Menschenwerke gegründet. Darum ist nur der Christ ein rechtgläubiger, welcher bei sich Gesetz und Evangelium scheiden kann, und nur die Prediger sind rechtgläubige, welche die Kunst verstehen, bei allein öffentlichen und sonderlichen Lehren Gesetz und Evangelium zu scheiden. Von diesem Charakteristikum der lutherischen Kirche handelt nun weiter die These:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche unterscheidet streng Gesetz und Evangelium.“ (B).

Joh. 1, 17 heisst es:

,,Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch JEsurn Christum geworden.“

Wenn Moses und Christus, wie hier geschieht, einander gegenübergestellt werden, so ist Moses der Lehrer des Gesetzes und Christus der Lehrer des Evangeliums, wiewohl sonst Moses auch Evangelium gelehrt und Christus Gesetz gepredigt hat. Aber hier, im Gegensatz, ist Moses der Interpret des Gesetzes und Christus der Interpret des Evangeliums, und als solche werden sie von einander geschieden. Daraus geht hervor, dass Gesetz und Evangelium streng geschieden werden müssen, denn es sind zwei ganz verschiedene Lehren.

Röm. 10, 4 sagt der Apostel Paulus:

,,Christus ist des Gesetzes Ende, wer an den glaubt, der ist gerecht.“

Hier ist das Gebiet des Gesetzes gegen das Gebiet des Evangeliums genau abgegrenzt. Das Gesetz hat einen Menschen so lange unter seiner Botmässigkeit, bis der Mensch zum Glauben an Christum kommt; ist aber ein Mensch zum Glauben an Christum gekommen, dann hört die Herrschaft des Gesetzes über ihn auf. Daher ermahnt Paulus 2 Tim. 2, 15 den Timotheus:

,,Befleissige dich Gott zu erzeigen einen rechtschaffenen und unsträflichen Arbeiter, der da recht teile das Wort der Wahrheit.“

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 Auch wenn man ~p6o7oI.tav To‘V Xoeyov allgemein übersetzt: ,,Das Wort recht behandeln“, so ist der Sinn doch der, den Luther in seiner Uebersetzung ausdrückt. ,,Das Wort der Wahrheit recht behandeln“ ist in diesem Zusammenhang soviel als ,,ihm den rechten Lauf geben“, das heisst, das Wort so predigen, dass es für die Einzelnen passt, also den Sicheren Gesetz, den Zerschlangenen Evangelium. Wenn man anders verfährt behandelt man das Wort nicht recht.

Die Concordienformel sagt (Seite 533, 2):

,,Wir glauben, lehren und bekennen, dass der Unterschied des Gesetzes und Evangelii als ein besonder herrlich Licht mit grossem Fleiss in der Kirche zu erhalten, dadurch das Wort Gottes (nach der Vermahnung St. Pauli 2 Tim. 2, 15.) recht geteilt wird.“

Unsere Kirche bekennt hier einmal, dass ein Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium sei, und dann nennt sie diesen Unterschied von Gesetz und Evangelium ,,ein besonders herrliches Licht in der christlichen Kirche.“ Kann man in der Kirche Gesetz und Evangelium unterscheiden, dann ist wirklich geistliche Erkenntnis in der Kirche vorhanden. Kann man aber Gesetz und Evangelium nicht unterscheiden, dann ist Finsternis da, wie unter dem Papsttum. Ja, nur wenn man Gesetz und Evangelium unterscheiden kann, versteht man überhaupt die Schrift. Wer in der Schrift Gesetz und Evangelium nicht von einander unterscheiden kann, dem nützt die Schrift nichts, denn sie bleibt ihm ein verschlossenes Buch. Da hört er einerseits das Wort: ,,Tue das, so wirst du leben“, und dann das andere: ,,Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig.“ Wenn er nun nicht Gesetz und Evangelium zu scheiden weiss, so macht er ein tertium aus diesen beiden Sprüchen und meint, dass man halb aus Gnaden und halb durch die Werke selig werden müsse. Das ist aber kein Christentum mehr, sondern Heidentum. Auch die Heiden haben geglaubt, dass man zum Teil aus Gottes Güte und zum Teil durch Werke selig werde. Es ist also unmöglich, die Schrift zu verstehen, wenn man nicht Gesetz und Evangelium unterscheiden kann. Darum muss dieser Unterschied mit grossem Fleiss in der Kirche erhalten werden. Sie müssen den Unterschied von Gesetz und Evangelium schon im Konfirmandenunterricht einschärfen. Tun Sie das nicht, so gründen Sie die jungen Christen nicht recht in der Erkenntnis und wappnen sie nicht gegen die Verführung. Ich rate Ihnen, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium mit den Konfirmanden praktisch einzuüben. Tragen Sie den Konfirmanden eine Anzahl Sprüche vor und fragen Sie bei den


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einzelnen Sprüchen, ob sie ins Gesetz oder ins Evangelium gehören. Ganz besonders energisch schärft Luther den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium (IX, 411 ff):

,,Dieser Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelio ist die höchste Kunst in der Christenheit, die alle und jede, so sich des christlichen Namens rühmen oder annehimen, können und wissen sollen. Denn wo es an diesem Stück mangelt, da kann man einen Christen vor einem Heiden oder Juden nicht erkennen; so gar liegt es an diesem Unterschied. Darum dringet St. Paulus so hart drauf, dass die zwo Lehren, nämlich des Gesetzes. und Evangelii, bei den Christen wohl und recht von einander geschieden werden. Beides ist wohl Gottes Wort, das Gesetz oder die zehn Gebote, und das Evangelium; dieses anfänglich im Paradies, jenes auf dem Berge Sinai von Gott gegeben. Aber daran liegt die Macht, dass man die zwei Wörter recht unterscheide und nicht m ewander menge; sonst wird man weder von diesem, noch jenem rechten Verstand wissen noch behalten können; ja, wenn man meinet, man habe sie beide man wird keines haben. .. . Darum ist hoch vonnöten, dass diese zweierlei Worte recht und wohl unterschieden werden; dass, wo das nicht geschieht, kann weder das Gesetz noch Evangelium verstanden werden und mnüssen die Gewissen in Blindheit und Irrtum verderben. Denn das Gesetz hat sein Ziel, wie weit es gehen und was es ausrichten soll, nämhich bis auf Christum, die Unbussfertigen schrecken mit Gottes Zorn und Ungnade. Desgleichen hat das Evangelium auch sein sonderhich Amt und Werk, Vergebung der Sünden betrübten Gewissen zu predigen. Mögen darum diese beide ohne Verfälschung der Lehre nicht in einander gernenget, noch eines für das andere genommen werden. Denn Gesetz und Evangelium sind wohl beide Gottes Wort, aber nicht einerlei Lehre. .. Darum, welcher diese Kunst, das Gesetz vom Evangelio zu scheiden, wohl kann, den setze obenan und heisse ihn einen Doktor der heiligen Schrift. Denn ohne den heiligen Geist ist es ohnmöglich, diesen Unterschied zu treffen. Ich erfahre es an mir selbst, sehe es auch täglich an andern, wie schwer es ist, die Lehre des Gesetzes und Evangelii von einander zu sondern. Der heilige Geist muss hier Meister und Lehrer sein, oder es wird kein Mensch auf Erden verstehen noch lehren können. Darum vermag kein Papst, kein falscher Christ, kein Schwärmer diese zwei von einander zu teilen, sonderhich in causa materiali et in objecto. .. Wer das nicht weiss, noch Achtung darauf haben will (dass das Gesetz aufhöre, wenn


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der Glaube kommt), der verliert das Evangelium und kommt nimmer zum Glauben. .. Darum wenn mich das Gesetz beschuldigt: Ich habe dies und das nicht getan, ich sei ungerecht und ein Sünder, in Gottes Schuldregister geschrieben, muss ich bekennen, es sei alles wahr; aber die Folgerede: ,Darum bist du verdammt‘, muss ich nicht einräumen, sondern mich mit starkem Glauben wehren und sagen: Nach dem Gesetz, welches mir meine Schuld rechnet, bin ich wohl ein armer verdammter Sünder, aber ich appelliere vom Gesetz zum Evangelio; denn Gott hat über das Gesetz noch ein ander Wort gegeben, das heisst das Evangelium, welches uns seine Gnade, Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Leben schenket, dazu frei und los spricht von deinem Schrecken und Verdammnis und tröstet mich, alle Schuld sei bezahlet durch den Sohn Gottes, JEsum Christum selbst. Darum hoch vonnöten, dass man beide Worte recht wisse zu lenken und handeln, und fleissig zusehe, dass sie nicht in einander gemenget werden.“

Luther sagt, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sei für jeden Christen notwendig, nicht bloss für Prediger Jeder Christ muss bei sich, in seinem Herzen, Gesetz und Evangelium unterscheiden können. Kann jemand das nicht, dann ist, wie Luther sagt, zwischen ihm und einem Juden oder Heiden kein Unterschied. Die Heiden und die Juden verlassen sich vor Gott auf Werke. Würde ein Christ dasselbe tun, würde er sich die Frage nach der Seligkeit aus dem Gesetz beantworten, so würde er seine Seligkeit auf Werke gründen und so wäre zwischen ihm und einem Heiden kein Unterschied mehr. Und wie schon vorhin erwähnt: nur durch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium findet sich der Christ in der Schrift zurecht. Ein Christ liest zum Beispiel das Wort: ,,Tue das“, nämlich halte alle Gebote Gottes, ,,dann wirst du leben.“ Der Christ muss sich doch mit dem Wort der Schrift auseinandersetzen. Wie kann das geschehen? Er kann nicht sagen: ,,Das Wort geht mich nichts an“, oder, ,,es ist nicht ernstlich gemeint.“ Es steht ja in der Schrift, es ist Gottes Wort, und das muss gelten bis an den jüngsten Tag, ja, bis in alle Ewigkeit. Er kann sich nur so mit diesem Wort auseinandersetzen, dass er es als ein Wort des Gesetzes erkennt und daher weiss, dass dies Wort nur bis auf Christum gilt, dass bei der Frage nach der Seligkeit nicht das Gesetz, sondern das Evangelium Geltung hat. In dieser Erkenntnis ist dann sein Gewissen ruhig. Die Antinomer erfanden eine eigentümliche Weise, sich mit dem Gesetz auseinanderzusetzen. Sie sagten nämlich: Das Gesetz ist garnicht Gottes Wort, es gehört garnicht in die Kirche, sondern aufs Rathaus, und so brauchen wir uns nicht um das Gesetz zu bekümmern. das wäre freilich auch


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eine Weise, sich mit dem Gesetz auseinanderzusetzen, wenn diese Weise erlaubt wäre. Aber nun steht Matth. 5 vom Gesetz geschrieben, dass wer auch nur ein Tüttehclien von demselben auflöse, der Kleinste heissen sohle im Himmelreich. Die Lösung der Antinomer gilt also nicht, wir müssen das Gesetz als Gottes Wort anerkennen und stehen hassen, wie das Evangelium. Nur unterscheiden müssen wir Gesetz und Evangelium Röm. 10, 4: ,,Christus ist des Gesetzes Ende, wer an den glaubt, der wird gerecht.“  — Es geht nicht an, aus Gesetz und Evangelium ein tertium zu machen. Tut man das, dann werden beide verloren. Das Gesetz, welchem Evangelium beigemischt ist, ist gar kein Gesetz mehr, sondern ein Gedanke, den die Menschen sich selbst gemacht haben. Wenn zum Beispiel jemand so Gesetz predigt, dass er sagt: Gott will zwar einen vollkommenen Gehorsam vom Menschen haben, aber er sieht ja, wie schwach und gebrechlich die Menschen sind, so begnügt er sich schon damit, wenn sie nur einen ernstlichen Versucht machten, das Gesetz zu halten,— wenn jemand so Gesetz predigt, so ist das kein Gesetz mehr, sondern eine menschliche Einbildung. Ein Gesetz Gottes, das diesen Inhalt hätte, gibt es nicht. Das in der heiligen Schrift geoffenbarte Gesetz Gottes hat den Inhalt: ,,Tue das, so wirst du heben; bleibe in allem, das geschrieben steht“, und ,,Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben steht im Buch des Gesetzes, dass er es tue“ und ,,wer das ganze Gesetz hält und sündiget an Einem, der ists ganz schuldig.“ Wiederum, wenn jemand ins Evangelium Gesetz mengt, so ist kein Evangelium mehr da, sondern bleibt nur noch ein Menschengedanke übrig. Wenn zum Beispiel jemand so lehrt: ,,Freilich, Gott vergibt um Christi willen die Sünden, aber das tut er nur dann, wenn der Mensch ernstlich bemüht war, sich zu bessern, wenn der Mensch sich gut verhält und dadurch vor andern auszeichnet.“ — Wenn jemand so Evangelium lehrt, so hat diese Lehre nichts mehr gemein mit dem in der heiligen Schrift geoffenbarten Evangelium. Der Apostel sagt: ,,Ist es aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein“, und Augustinus sagt: ,,Wenn Gnade nicht Gnade ist auf alle Weise, so ist sie auch nicht Gnade auf irgend eine Weise.“ Ein Quentchen Werke ins Evangelium hin-eingemischt, zerstört das ganze Evangelium. Darum sagt Luther:  ,,wenn diese zweierlei Worte, Gesetz und Evangelium, nicht recht unterschieden werden, dann behält man weder das Gesetz noch das Evangelium, kann weder das Gesetz noch das Evangelium verstanden werden und müssen die Gewissen in Blindheit und Irrtum verderben.“ Das ist eben Blindheit und Irrtum, wenn jemand meint, er würde teilweise aus Guaden um Christi willen, teilweise aus seinen Werken selig. Luther bezeichnet die Vermischung von Gesetz und Evangelium als eine Verfälschung der christlichen Lehre. Wenn jemand auch äusserlich gewisse Arti-


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kel der christlichen Lehre, wie die Artikel von der heiligen Drei-einigkeit und von Christi Person korrekt vortrüge, vermischte aber Gesetz und Evangelium, so wäre er doch ein falscher Lehrer, denn das ist nicht mehr die christliche Lehre, wenn jemand es so darstellt, als ob der Mensch zum Teil aus Gnaden, zum Teil aus den Werken selig werde. Und wenn ich jemand, der schon zur Erkenntnis seiner Sünden gekommen ist, noch weiter das Gesetz vor-halte, anstatt ihn aus dem Evangelium zu berichten, dann bin ich in diesem Fall ein falscher Lehrer, und ich werde, soviel an mir ist, zum Seehenmörder. Luther weist auch auf die Schwierigkeit der Scheidung von Gesetz und Evangelium hin. Es ist ja leicht, die Definitionen von Gesetz und Evangelium herzusagen. Das Gesetz ist die Lehre des göttlichen Worts, nach welcher Gott etwas von uns fordert, nämlich die vollkommene Erfüllung seines Gesetzes. Das Evangelium dagegen ist. die Lehre des göttlichen Worts, nach welcher Gott nichts von uns fordert, sondern um Christi willen uns die Sünden vergibt. Diese oder ähnliche Definitionen sind leicht auswendig gelernt und leicht hergesagt. Die Schiwierigkeit tritt aber ein in causa materiali et in objecto, das heisst, wenn es sich um die Applikation von Gesetz und Evangelium auf die einzelnen Individuen handelt. Hier muss ich wis sen, wem ich Gesetz und wem ich Evangelium zu predigen habe. Predige ich dem, der noch fleischlich sicher ist, nur das Evangelium, so bestärke ich ihn in seiner fleischlichen Sicherheit und werde Schuld an seinem Verderben. Predige ich jemand, der bereits zerschlagen ist und in der Angst seines Herzens fragt: ,,Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ auch fernerhin nur das Gesetz, dann kann ich> ihn zur Verzweiflung treiben und so zum Seelen-mörder an ihm werden. Darum muss ein Prediger die richtige geistliche Diagnose stellen können. Er muss wissen, wie ein sicherer Sünder und wie ein zerschlagener Sünder sich benimmt. Auch bei einem Christen muss der Prediger erkennen, wann sich bei ihm fleisch liebe Sicherheit oder geistliches Zerschlagensein äussert; danach muss er auch bei einem Christen Gesetz und Evangelium teilen. Darum kann nur ein bekehrter Christ ein rechter Prediger sein. Wir halten ja fest, dass das ,Wort Gottes, wenn es auch ein Unbekehrter recht predigt, dennoch seine göttliche Kraft hat. Aber ein Unbekehrter wird selten Gottes Wort recht predigen. Namentlich wird er, wenn es sich um die rechte Teilung von Gesetz und Evangelium in causa materiahi handelt sehr leicht irre gehen. Er weiss ja nicht aus eigener Erfahrung, wie ein sicherer und wie ein zerschlagener Sünder sich benimmt. Und was die öffentliche Predigt anlangt, so muss dieselbe so eingericl1tet sein, dass unter den Zuhörern die Sicheren, oder insofern sie fleischlich sicher sind, vom Gesetz sich getroffen fühlen, die armen Sünder aber durch das Evangelium getröstet werden. Dazu ist nötig, dass, wenn Sie Gesetz predigen, kein Tröpflein


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Trost einfliesse, wenn Sie aber Evangelium predigen, nichts von Drohung und Forderung mit unterlaufe. Dann ist die Predigt so eingerichtet, dass die Sicheren stets geschreckt und die Erschrockenen stets getröstet werden. Am schwersten. sagt Luther, ist die Scheidung von Gesetz und Evangelium da 4 wenn wir selbst die causa materiahis sind. Es ist noch leichter, für andre richtig Gesetz und Evangelium zu scheiden, als bei und für sich selbst. Es gibt wohl kaum einen Christen, der nicht noch täglich bei sich selbst aus Schwachheit Gesetz und Evangelium vermischte. Es kommt das daher, dass wir geborene Vermischer von Gesetz und Evangelium sind. Von Natur will der Mensch durch seine Werke und Wiirdigkeit selig werden; etwas anderes weiss der Mensch von Natur nicht. Weil aber auch> der Christ noch diese alte Art an sich hat, so blickt er auch noch häufig bei der Frage: ,,Ist Gott mir gnädig“, auf sich selbst und will die Frage nach seinem subjektiven Zustand, nach der Würdigkeit, die er bei sich findet, beantworten. Das ist dann Vermischung von Gesetz und Evangelium. Daher kommt die Anfechtung, daher kommt die Ungewissheit der Gnade bei den Christen. Wenn der Christ bei sich stets rein Gesetz und Evangelium schiede, dann gäbe es keine Minute im Christenleben, wo ein Christ an der Gnade Gottes zweifelte, dann wäre lautem ununterbrochene Gewissheit in seinem Herzen. So gewiss es nun aber ist, dass ein Christ noch von Zweifeln an der Gnade angefochten wird, so gewiss ist, dass er immer noch Gesetz und Evangelium bei sich vermischt. Aber er muss immer wieder zurechtkommen. Denn hält er die Vermischung von Gesetz und Evangelium an, wird sie herrschend, dann ist es mit dem Christentum aus; dann tritt an Stelle des Glaubens Verzweiflung und Unglaube.

Dreizehnter Vortrag

Eine Kirchengemeinschaft muss sich auch dadurch als eine rechtgläubige erweisen, dass sie die rechte Stellung in der Frage von den Fundamentalartikeln einnimmt.

Fundamentalartikel sind solche, auf welchen der sehigmachendc Glaube ruht, oder welche zum Fundament des seligmachenden Glaubens gehören. Sie sind von doppelter Beschaffenheit. Sie sind entweder primäre, das heisst, solche, ohne deren Wissen und Glauben der seligmachende Glaube gar nicht da sein kann. Hierher gehört der Artikel von der Vergebung der Sünden aus Guaden um Christi willen durch den Glauben; ferner die Artikel von Christi Person und Werk, vom dreieinigen Gott, vom ewigen Leben. Ohne diese Lehrstücke kann der seligmachende Glaube an Christum garnicht gedacht werden. Die heilige Schrift spricht


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ausdrücklich ahlen den Glauben ab, die nicht die Rechtfertigung allein aus Gnaden um Christi willen, die Gottheit Christi, Christi Versöhnungswerk, seine Auferstehung und ein ewiges Leben glauben. Oder die Fundamentalartikel sind sekundäre, das heisst, sohche, die zwar auch den sehigmachenden Glauben stützen, aber doch dabei von solcher Beschaffenheit sind, dass ein Mensch sie nicht wissen, ja, aus Schwachheit auch leugnen kann, ohne dass dadurch der seligmachende Glaube schlechthin ausgeschlossen wäre. Solche Artikel sind die von der Taufe und vom heiligen Abendmahl. Nicht-fundamentale Artikel sind solche, die zwar auch klar in der heiligen Schrift geoffenbart sind, die-aber nicht das Fundament des seligmachenden Glaubens bilden und dasselbe auch nicht stützen, zum Beispiel der Lehrartikel von den Engeln, die Lehre vom Antichrist. Diese Lehren sind ebenfalls klar in Gottes Wort geoffenbart, gerade so klar als die Lehre, dass Christus, wahrer Gott und Mensch, die Menschen erlöst habe; aber diese Artikel bilden nicht das Fundament des seligmachenden Glaubens.

Welche Stellung hat nun die rechtgläubige Kirche in Bezug auf diese Unterscheidung einzunehmen? Die rechtgläubige Kirche macht diese Unterscheidung nicht in dein Sinn, als ob sie nicht auf der Annahme jeder Lehre, die in der heiligen Schrift geoffenbart ist, bestände. Sie sagt nicht: Die Fundamentalartikel des Glaubens muss man festhalten, die nicht-fundamentalen aber kann mau preisgeben und dem Belieben der einzelnen anhiemstellen, ob sie dieselben glauben wollen oder nicht. Nein, die rechtgläubige Kirche besteht auf der Annahme aller Artikel, aller Lehren, die in der heiligen Schrift geoffenbart sind, mögen dieselben nun fundamental oder nicht-fundamental, primär-fundamental oder sekundär-fundamental sein. Würde sie diese Stellung nicht einnehmen, würde sie von gewissen Lehren, die in Gottes Wort offenbart sind, dispensieren, dann hörte sie damit auf, eine recht-gläubige Kirche zu sein, sie würde dann zur Sekte werden.

Aber dennoch ist diese Unterscheidung nicht nur zwischen fundamentalen und nicht-fundamentalen, sondern auch zwischen primär-fundamentalen und sekundär-fundamentalen Artikeln von der grössten Wichtigkeit. Nur mit Hilfe dieser Unterscheidung können wir die uns umgehenden kirchlichen Gemeinschaften richtig beurteilen. Werden in einer Gemeinschaft auch nicht mehr die primären Fundamentalartikeh gelehrt, wird nicht mehr gelehrt, dass Christus, Gott und Mensch, durch sein Tun und Leiden die Menschen erlöst habe, und dass nun ein Mensch durch den Glauben an Christum selig wird, so kann in einer solchen Gemeinschaft kein Mensch zum seligmachenden Glauben an Christum kommen. Eine solche Gemeinschaft ist daher auch nicht mehr eine christliche, eine kirchliche Gemeinschaft, sondern ein gottloser Haufe. So wissen wir, was wir von den sogenannten uni-


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tarischen Gemeinschaften zu halten haben. Das sind nicht mehr christliche, kirchliche Gemeinschaften, sondern ausserhalb der christlichen Kirche stehende Haufen. Werden dagegen in einer kirchlichen Gemeinschaft die primären Fundamentalartikel noch vernommen, erfahren die Leute noch, dass Christus, wahrer Gott und Mensch, durch sein Tun und Leiden die Menschen erlöst habe und dass wir durch den Glauben an ihn selig werden, wie dies bei den reformierten Sekten und auch noch im Papsttum der Fall ist, dann kann in diesen Gemeinschaften noch ein Mensch zum Glauben an Christum kommen, und insofern sind diese Gemeinschaften dennoch christliche oder kirchliche Gemeinschaften. Zwar dürfen wir mit ihnen keine Kirchengemeinschaft halten, das verbietet uns Gottes Wort, da diese Gemeinschaften solche Lehren, welche klar in Gottes Wort gelehrt sind, verwerfen; auch bekennen wir, dass alle diejenigen, welche dem Zeugnis der Wahrheit gegenüber an den Irrlehren halsstarrig festhalten, nicht selig werden können, aber zu gleicher Zeit bekennen wir doch auch, dass es in diesen Gemeinschaften viele Christen gibt, viele, die an den primären Fundamentalartikeln festhalten, wenn sie daneben auch in sekundären Fundamentalartikeln aus Schwachheit irren.

Wir bekennen daher, dass die Kirche Gottes, die Gemeine der Gläubigen, nicht etwa bloss in den äusseren Grenzen der lutherischen Kirche sich finde, sondern weit über die äusseren Grenzen der lutherischen Kirche hinaus sich erstrecke, in die Sekten, ins Papsttum hinein. So sind wir imstande, die uns umgebenden Kirchengemeinschaften richtig zu beurteilen, wenn wir mit der rechtgläubigen Kirche die rechte Stellung in der Frage von den fundamentalen Artikeln einnehmen.

Unsere Thesis lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche unterscheidet streng in der Schrift enthaltene fundamentale und nicht fundamentale Lehrartikel.“ (0).

Dazu ist zitiert (1 Kor. 3, 11—15):

,,Einen andern Grund kann zwar niemand legen, ausser dem, der gelegt ist, welcher ist JEsus Christus. So aber jemand auf diesen Grund bauet Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stoppeln: so wird eines jeglichen Werk offenbar werden, und welcherlei eines jeglichen Werk- sei, wird das Feuer bewähren. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebauet hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er des Schaden leiden; er selbst aber wird selig werden, so doch, als durchs Feuer.“

1 Kor. 3, 11 —15 ist nach dem Zusammenhang das ,,Werk“, das ,,bleibt“ oder ,,verbrennt“, das Werk der Lehre. Hieraus sehen wir: es gibt ein falsches Lehren und auch ein falsches Glauben, wobei doch der Grund Christus. stehen bleibt. Auf den


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Grund Holz, Heu, Stoppeln bauen, heisst nebenbei falsche Lehren führen, und dies Wort ist ein solches, das im Gericht nicht besteht, sondern verbrennt. Aber der also gelehrt hat, wird doch selig. Warum? Weil er dabei auf dem Grund Christo stehen blieb. Daraus sehen wir: es gibt Leute, die Irrtümer, Menschen-meinungen in der Kirche lehren und dabei doch nicht verloren gehen, sondern selig werden. Das geschieht so, dass sie trotz dieser Irrtümer, wenn auch inkonsequenterweise, an dem einigen Grund des Heils, an Christo, festhialten. Es ist nichts Gleichgültiges, dass sie diese Irrtümer lehren: ihr Wer.k besteht nicht im Feuer, das heisst, im Feuer der Trübsal, sie kommen darüber in grosse Anfechtung, sie sind in grosser Gefahr, verloren zu gehen, aber durch Gottes Gnade bleiben sie dabei doch auf dem rechten Grund und werden so selig.

In der Apologie heisst es (Seite 156, 22):

,,Dieselbige Kirche ist eigentlich, wie Paulus sagt, eine Säule der Wahrheit, denn sie behält das reine Evangelium, den rechten Grund. Und wie Paulus sagt

,Einen andern Grund kann niemand legen, ausser dem, der gelegt ist, welcher ist Christus‘, auf den Grund sind nun die Christen gebauet. Und wiewohl nun in dem Haufen, welcher auf den rechten Grund, das ist, Christum und den Glauben, gebauet ist, viel Schwache sein, welche auf solchen Grund Stroh und Heu bauen, das ist, etliche menschliche Gedanken und Opinionen, mit weichen sie doch den Grund Christum nicht umstossen noch verwerfen; derlialben sie dennoch Christen sind, und werden ihnen solche Fehl vergeben, werden auch etwa erleuchtet und besser unterrichtet; also sehen wir in Vätern, dass sie auch bisweilen Stroh und Heu auf den Grund gebauet haben, doch haben sie damit den Grund nicht umstossen wollen: aber viel Artikel bei unsern Widersachern stossen den rechten Grund nieder: die Erkenntnis Christi und den Glauben; denn sie verwerfen und verdammen den hohen, grössten Artikel, da wir sagen, dass wir allein durch den Glauben ohne alle Werke Vergebung der Sünde durch Christum erlangen. Dagegegen lehren sie vertrauen auf unsere Werke, damit Vergebung der Sünden zu verdienen, und setzen anstatt Christi ihre Werke, Orden, Messe, wie auch die Juden, Heiden und Türken mit eignen Werken fürhaben selig zu werden. Item, sie lehren, die Sakramente machen fromm ex opere operato, ohne Glauben. Wer nun den Glauben nicht nötig achtet, der hat Christum bereits verloren. Item, sie richten Heiligen-Dienst an, rufen sie an anstatt Christi als Mittler.“

Christus ist der Grund der Kirche. Ohne diesen Grund,


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Christum, insofern er im Evangelium gepredigt wird, gibt es keine Kirche. Wo nicht Christus gepredigt wird, da mögen noch so interessante oder auch ,,moralisch“ erhebende Dinge gepredigt werden, eine Kirche gibt es daselbst nicht. Denn die Kirche besteht aus Leuten, die sich> mit ihrem Glauben auf Christum, den einigen Grund der Kirche gründen. Im Glauben auf Christum gegründet sein und ein Christ sein, sind Synonyma. Unser Bekenntnis sagt: es gibt Christen, die Irrtümer liegen. Aber sie können dieselben nur in einer bestimmten Weise hegen. Wie nämlich? So, dass sie doch ,,den Grund, Christum, nicht umstossen noch verwerfen.“ Würden sie mit ihren Irrtümern den Grund, Christum, verlassen wohin alle Irrtümer ihrer Art nach drängen, so wäre es aus mit ihrem Christentum. Aber weil sie in glücklicher Inkonsequenz an Christo bleiben, so werden ihnen auch diese Irrtümer, diese Lehrsünden, vergeben. — Achten Sie darauf, dass unser Bekenntnis es einen ,,Fehl“ nennt, wenn Holz, Heu und Stoppeln auf den Einen Grund gebaut werden. Es ist das nicht ein gottgewollter Zustand, wie man neuerer Zeit meint. Neuere Theologen sagen, dass Gott in der Kirche verschiedene Meinungen haben wolle. Nein, es soll nach Gottes Willenin der Kirche nur eine ,,Meinung“ gehen, nämlich die Lehre, welche in Gottes Wort geoffenbart ist. Dass es verschiedene Meinungen gibt, Meinungen, welche von der einen, in der Schrift geoffenbarten, abweichen, das schliesst immer eine Versündigung von seiten des Menschien in sich, die um Christi willen vergeben werden muss.

Die Apologie setzt sich nut den Papisten auseinander, mit dem Papsttum als solchem. Das Papsttuni als solches verwirft den primären Fundamentalartikeh, dass wir durch den Glauben an Christum selig werden; und wenn im Papsttum nur die offizielle Lehre desselben gelehrt würde, dann könnte unter dem Papsttuni niemand selig werden, sondern ahle ohne Ausnahme müssten verloren gehen. Aber man muss zwischen Papsttum und römischer Kirche unterscheiden. Es wird nämlich unter dem Papsttum, im Widerspruch mit der offiziellen Verdammung des primären Fundamentalartikels der christlichen Lehre, doch noch von Christo, wahrem Gott und wahrem Menschen, der die Menschen erlöst habe, für die Menschen gestorben sei, geredet. An solche Worte von Christo halten sich die einfähtigen Seelen und nehmen die folgende Verkehrung und Verdammung der Wahrheit nicht an. So werden sie selig. Dann gibt es in der römischen Kirche auch noch immer einige Priester, die zwar mit der Papstkirche nicht brechen wollen, die aber im Beichtstuhl doch noch auf Christum hinweisen. Auch die Jesuiten haben die Instruktion, den Sterbenden zu verraten, dass man allein durch den Glauben an Christum selig werde. Achten Sie darauf, dass in unserm Bekenntnis die Werklehre des Papsttums auf gleiche Stufe gestellt wird mit der Lehre der ,,Juden, Heiden und Türken, welche mit


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eignen Werken fürhaben, selig zu werden.“ Durch Werke selig werden wollen, heisst ins Heidentum zurücksinken. Die Apologie verwirft die römische Lehre, dass die Sakramente ex opere operato, ohne Glauben fromm machen. Taufe und Abendmahl sind wirkliche Gnadenmittel, das heisst, sie bringen jedem, der diese Sakramente gebraucht, die Gnade herzu, und zwar die ganze Gnade, die Christus erworben hat. Aber doch wirken die Sakramente nicht ex opere operato, sondern der Mensch empfängt das, was die Onadenmittel bringen, nämlich die Vergebung der Sünden nur dann, wenn er glaubt. Wenn jemand nun sagt, wie die Papisten, der Glaube sei bei den Sakramenten nicht nötig, dann wird mit dieser Lehre von der Wirkung der Gnadenmitteh ex opere operato der Grund umgestossen. So gewiss es ist, dass Christus mit seinem Verdienst allein die Ursache der Seligkeit ist, so gewiss ist es doch auch auf der andern Seite, dass jeder, der selig werden will durch Christum, an Christum im Glauben sich halten müsse. Wer das hetztere heugnet, der führt damit die Seehen von Christo ahs dem einigen Grund des Heils ab. Deshalb sagt die Apohogie:

,,Wer nun den Glauben nicht nötig achtet, der hat Christum bereits verloren.“ In Bezug auf den Heiligendienst steht es so:

Diejenigen sind verloren, denen der Heiligendienst wirklich in succum et sanguinem übergegangen ist, das heisst, anstatt auf Christum sich zu verlassen, auf die Heiligen vor Gott vertrauen. Nun gibt es aber Papisten, die zwar äusserhich den Hieiligendienst mitmachen, aber dabei im Grunde ihres Herzens an Christo bleiben; die werden selig.

Quenstedt definiert das Fundament des christlichen Glaubens also (1. 350):

,,Ein Fundament ist im allgemeinen das, was in jedem Gebäude das Erste ist, dem ganzen Gebäude unterbreitet ist und von nichts anderem gestützt wird. So ist denn das Fundament des Glaubens dasjenige, was dem Glauben und daher dem ganzen Christentum, wie einem zu erbauenden und zu erhaltenden Hause, zur Unterlage dient. Und weil Fundament zuweilen so viel Ursache ist, daher ist ein Fundamentalartikel ein Glaubenssatz (dogma) ,der von solcher Beschaffenheit ist, dass er den Glauben und die ewige Seligkeit verursacht und begründet oder dass er irgend eine Ursache des Glaubens und der Seligkeit darlegt.“

So ist die Lehre von Christi Person und Werk ein Fundamentalartikel, und zwar ein primärer. Denn nur wenn wir von Christi Person und Werk im schriftgemässen Sinn lehren, nämlich dass Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, für die Menschen lebte und starb und dadurch den Menschen die Gnade Gottes erworben habe, kann der seligmachende Glaube an Christum in den Hörern entstehen. Wo Christus nicht


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also gepredigt wird, da kann auch vom Ghauben an Christurn nicht die Rede sein. Auch die Artikel von der Taufe un(I vom Abendmahl werden mit Recht zu den FundamentalartikeIn gezählt, denn es sind Artikel, welche dein Glauben an Christum zur Stütze dienen. Wie auf die. Predigt des Evangeliums. so kann und solh sich auch auf die Taufe und das Abendmahl die Gewissheit der Vergebung der Sünden gründen.

Quenstedt nennt (1. 355) auch im einzelnen, was unter allen Umständen ein Mensch wissen und glauben muss, wenn in ihm der seligmachende Glaube sein soll:

,,Folgendes ist das allen Menschen zu glauben notwendige Glaubensdogma: Gott, einig im Wesen, drei-einig in Personen, vergibt aus unermesslicher Liebe gegen das gefallene menschliche Geschhecht jedem sündigen Menschen, der seine Sünden erkennt, durch und um Christi des Mittlers und seines Verdienstes willen, das im Wort verkündigt und im Glauben ergriffen wird, die Sünden, rechnet die Gerechtigkeit Christi zu und schenkt das ewige Leben.“

Man kann die Artikel auch so gruppieren, dass man den Artikeh von der Rechtfertigung voranstellt und dann die Artikel nennt, welche notwendige Voraussetzungen für den Artikel von der Rechtfertigung sind. Also: jeder Christ muss glauben, dass or aus Gnaden, um Christi willen, Vergebung der Sünden habe zum ewigen Leben. Das setzt voraus, dass Christus wahrer Mensch und Gott sei; denn von einem Verdienst kann nur die Rede sein, wenn Christus wahrer Mensch und Gott ist. Das setzt auch voraus die Dreieinigkeit, nämlich dass der Sohn Gottes, wahrer Gott, die andre Person in der Gottheit sei. Auch der Artikel vom ewigen Leben gehört notwendig hierher, denn die Vergebung der Sünden hat gar keinen Sinn, wenn das ewige Leben geleugnet wird. Derjenige kann nicht glauben, dass er von der ewigen Verdammnis erlöst sei der nicht ein ewiges Leben glaubt. So sind diese Stücke notwendige Voraussetzungen der Lehre von der Rechtfertigung. Es ist nicht nötig, dass den Christen in diesen Dingen die dogmatischen termini bekannt seien. Es kommt hediglicht auf die in der Schrift geoffenbarten Sachen an.

Was es uni die sogenannten sekundären Fundamentalartikel sei, wollen wir uns an der Lehre von den Sakramenten klar machen. Ich habe schon angedeutet, dass die Taufe den Glauben stützt, also zum Fundament des seligmachenden Glaubens gehört. Die Taufe geschieht ja ,,zur Vergebung der Sünden", Apost. 2, 38. Und doch kann jemand selig werden ohne etwas von der Taufe zu wissen. Wenn Heiden durch den Unterricht eines Missionars soweit gekommen sind, dass sie sich als Sünder und Christum als ihren Heiland erkannt haben, so können sie sefig werden. Wenn nun zum Beispiel der Missionar getötet oder


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plötzlich von ihnen genommen würde und sie nicht weiter unterrichten könnte, so würden diese durch das Evangelium gläubig Gewordenen selig werden, wenn sie auch nichts von der Taufe gehört hätten. Ein Mensch kann eben schon durch die blosse Predigt des Evangeliums zum sehigmachenden Glauben kommen. Die Taufe ist nur eine Stütze mehr für den seligmachenden Glauben, aber es kann der Glaube schon da sein ohne diese Stütze. Geradeso ist es mit der Lehre vom heiligen Abendniahl. Es kann jemand gar nichts vorn heiligen Abendniahl wissen und doch im seligmachenden Glauben stehen. Das Abendmahl ist eben auch nur eine Stütze mehr für den sehigmachenden Glauben. Wenn das heilige Abendmahl die einzige Stütze für den seligmachenden Gläuben wäre, dann freilich müsste jedermann diese Lehre kennen und glauben, wenn er selig werden wollte. Nun ist es aber nicht so. Darum sagen wir: Die Reformierten irren im Fundament der Lehre, weil sie eine falsche Lehre von den Sakramenten haben, und doch geben wir zu gleicher Zeit zu, dass in der reformierten Gemeinschaft Leute wahrhaft glauben und selig werden können, weil die Sakramente nicht die einzige Stütze des Glaubens sind. —Ueber nichtfundamentale Lehren sagt Quenstedt (II, 1688)

,,Man muss unterscheiden zwischen fundamentalen Glaubensartikeln, welche zum seligmachenden Glauben gehören, und zwischen den Artikeln, welche nich tfundamentale sind, deren. Erkenntnis auch im Worte Gottes überliefert wird; und diese gehören zu dem dogmatischen oder historischen Glauben. Zu dieser Klasse rechnen wir die Lehre vom Antichrist wegen der Weissagungen der Schrift, welche bei dem Propheten Daniel, bei St. Panlus und in der Offenbarung Johannis uns vorn heiligen Geiste ge.offenbart sind. Wir sagen ,aber nicht, dass diese Frage vom Antichrist von solcher Beschaffenheit sei, dass ihre Entscheidung allen Christen zur Seligkeit zu wissen nötig oder dass das Nichtwissen davon an sich verdammlich sei, da es sowohl in den früheren Jahrhunderten Christen gegeh)en hat und es heute noch viele gibt, die den papistischen Irrtümern keineswegs ergeben sind, und ohne Kenntnis dieser Wahrheit ohne Zweifel selig werden. Denn viele Väter haben widersprechende Meinungen vom Antichrist vorgebracht, weil sie, von der Erfüllung dieser Weissagung noch weit entfernt, sich ihren Ansichten ziemlich frei hingegeben oder ungewisse Meinungen Anderer allzu unvorsichtig ergriffen und weiter verbreitet haben.“

Der Antichrist ist in der Schrift so deutlich beschrieben, dass, wer sich nun in der Welt umsieht und den römischen Papst -recht, das heisst, im Licht der Schrift, ansieht, als Antichrist erkennen kann. Dennoch gehört diese Erkenntnis in keiner Weise zum


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Grund des Glaubens. Der Grund des Glaubens ist Christus und nicht der Antichrist. Deshalb gehört auch zur Seligkeit ganz notwendig die Erkenntnis Christi, nicht aber die Erkenntnis des Antichrists. Die Erkenntnis des Antichrists ist unter Umständen sehr wichtig, nämlich dazu, dass man durch den Antichrist nicht verführt werde und den Glauben verliere, aber zum Fundament des Glaubens wird das Erkennen des Antichrists nicht. So stehts auch mit der Lehre von den Engeln. Die Lehre von den Engeln ist ebenfalls ganz klar in der heiligen Schrift geoffenbart, und doch, wer wollte sagen, dass diese Erkenntnis nötig sei zur Seligkeit? Es kann jemand selig, werden, ohne etwas von den Engeln gehört zu haben. Mit Recht ist aber von unsern Lehrern daran erinnert worden, dass Christen sich wohl vorsehen sohlen, wenn es sich auch nur um nichtfundamentale Artikel handelt. Die Lehre von den Engeln bildet in keiner Weise den Grund des sehigmachenden Glaubens, und doch kann jemand durch das Leugnen dieser Lehre zu Falle kommen. Leugnet zum Beispiel ein Christ, obwohl ihm die klaren Worte Gottes, wehche von den Engeln handeln, vorgehalten werden, die Existenz der Engel oder das Werk der Engel, so würde er darüber ans dem Glauben fallen. Weshalb? Weil er Gottes Wort bei sich nicht Raum geben wollte. Ein solcher irrt, wie unsere Lehrer sagen, nicht simpliciter, sondern mit Verachtung des Wortes.

Aeg. Hunnins sagt (Colloquium Ratisbonae habitum a. 1601, excus. Lauingae. Sess. 14. p. 433 sq):

,,Es gibt geringere Irrtümer, welche wider solche Artikel anstossen, die weniger principale sind, welche Irrtümer der Apostel Stoppeln vergleicht, die im Feuer der Anfechtung verbrennen, doch also, dass der Irrende selbst selig wird, indem er das Fundament der Seligkeit festhäht, den Felsen ergreift, nämlich Christum, und seines Werkes, das er auf das Fundament gebaut hat, Schmaden leidet. Etwas anderes ist es, wenn jemand aus Veraehtung sagte: mir genügt das Fundament der Seligkeit, und ich habe genug daran, dass ich in diesem Artikel recht glaube, und indessen in den übrigen Stücken keine bessere Unterweisung annehmen wollte; ein solcher irrte zwar in Betreff geringerer Artikel, aber nicht vermöge eines einfachen Irrtums, sondern eines mit Verachtung des göttlichen Worts verbundenen. Wenn aber jemand aus Schwachheit der Urteilskraft in einem geringeren Irrtumm von der Wahrheit abwiche, so haben wir keinen Zweifel; dass er, so er das Fundament der Seligkeit, Christum, festhält, Verzeihung wie seiner Sünden, so auch sei ner geringeren Irrt ümer erlangen werde.“

Ueber die Stehhung zu den geschichtlichen Partieen der Schrift sagt Aeg. Hunnius (a. a. 0, p. 350 ff):


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,,Etwas anderes ist es, wenn etwas als eine gewisse Geschichte geglaubt Wird1 welcher keinen Glauben beizumessen unrecht wäre; etwas anderes hinwiderum ist es, wenn etwas als ein Dogma und Artikel der Religion geglaubt wird. Ich will die Sache durch ein bekanntes Beispiel erklären. 1 Mos. 38 wird die Geschichte von Juda‘s Blutschande mit Thamar, seiner Schnur, gelesen; wenn nun jemand jene Geschichte liest, so ist er verbunden, vermöge des Glaubens zu glauben, dass die Geschichte wahr sei. Wenn aber jemand sagt, dass diese Geschichte ein besonderer Glaubensartikel sei, so tut er nicht recht. .. Alle Glaubensartikel müssen notwendig allen Christen bekannt sein. Aber die Geschichte von der Blu tschande Juda‘s und der Thamar Ist nicht durchaus allen Christen zu wissen nötig. Denn es gibt unzählige Christen, welche diese Geschichte nicht kennen. Also ist jene Geschichte kein Artikel des Glaubens, obgleich sie, als eine Sache des Glaubens und als eine Erzählung des heiligen Geistes, selbst von denen geglaubt werden muss, welche diese Geschichte aus der Bibel hören und lesen. .. Allerdings ist derjenige ein Ketzer, welcher einen Artikel des Glaubens leugnet; aber nicht nur dieser, sondern auch derjenige, welcher eine geschiehtUche. Erzählung des heiligen Geistes leugnet .,,

Endlich gibt es auch solche bei der Erörterung der christlichen Lehren auftauchende Fragen, über die man verschiedener Meinung sein kann. Das sind solche Dinge, über welche Gottes Wort nichts Gewisses sagt Man hat sie quaestiones adnatae genannt Aber es ist einem Theologen nicht zu raten, dass er sich viel mit diesen Dingen abgebe. Ein Theologe hat genug mit den Dingen zu tun, die in der heiligen Schrift klar geoffenbart sind. Dannhauer nennt solche Dinge. Doch ist nicht alles von ihm Genannte von derselben Beschaffenheit. Er sagt (Hodos. Phae. XI, p. 667):

,,Ein Artikel des Glaubens ist nicht jede Glosse, Behauptung, Meinung, welche in der heiligen Schrift nicht eine gewisse und klare Entscheidung hat. Dergheichen sind die Fragen von der Zeit der Erschaffung der Welt, ob sie Frühling oder Herbst gewesen sei; von Jahr und Tag der Geburt Christi; ferner von der steten Jungfrau-schaft der heiligen Jungfrau auch nach der Geburt; ferner vom Seehenschlaf, und dergleichen Meinungen, worin sich die Geister üben können; doch dürfen sie nicht von diesen als Heiligtümer der Kirche aufgedrungen werden; ganze Haufen solcher Kröpfe findet man in der scholastischen Theologie wo der eine einen Bock milkt, der andere das Sieb unterhält.“


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Der Tag und das Jahr der Geburt Christi ist in der Schrift nicht genannt. Die Bestimmung des Jahres der Geburt Christi beruht auf menschlicher Berechnung, die sich wohl ziemlich genan anstellen lässt, aber immerhin kein Glaubensartikel ist. Ob jemand sagt, dass wir mit unserer Zeitrechnung fünf Jahre voraus 0der fünf Jahre zurück seien, das benimmt ihm nichts von seiner Rechtghäubigkeit. Ich würde Ihnen nicht raten, viel Zeit auf die Berechnung des Geburtsjahres Christi zu verwenden. Sie haben Christum, den Gekreuzigten, zu predigen, und das können Sie tun, ohne das Jahr der Geburt Christi so genau fixiert zu haben. Ferner: Es ist ein Glaubensartikel, dass Maria eine Jungfrau war vor der‘ Geburt, und bei der Geburt Christi, das heisst, dass Maria als Jungfrau geboren hat. Das steht in der heiligen Schrift Jes. 7‘, 14; Matth. 1, 23— 25. Aber die Frage, ob Maria bis an ihren Tod Jungfrau geblieben sei (das semper virgo), ist nicht so klar in der Schrift beantwortet, dass man den, der die Frage verneint, für ei neu Irrlehrer halten müsste. Die Lehre vom Seelenschlaf ist wider die heilige Schrift, wenn man den Seelenschlaf so versteht, als ob in dem Zustand zwischen Tod und Auferstehen gar kein Geniessen Gottes stattfinde. In der heiligen Schrift steht ganz ausdrücklich: ,,Ich wünsche abzuscheiden und bei Christo zu sein, welches auch viel besser wäre.“ ,,Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Aus diesen Stellen geht hervor, dass die gläubig abgeschiedenen Seelen zwischen Tod und A-uferstehung Gottes geniessen. Aber in welcher Weise das geschehe, darüber sagt die Schrift nichts näheres aus. Wenn daher jemand den Zustand der abgeschiedenen Seele mit einem Schlafe vergleicht, ohne dabei zu leugnen, dass die Seelen Gottes geniessen, so kann man ihn keiner Irrlehre beschuldigen.

Die Scholastiker haben sich hauptsächlich mit quæstiones adnatæ beschäftigt und darüber die fundamentalen Artikel, Christum und den Glauben an Christum, vergessen.

Vierzehnter Vortrag

Es ist für Sie alle, die Sie einst das Predigtamt in der evangelisch-lutherischen Kirche verwalten wollen, von der grössten Wichtigkeit, zu erkennen, dass die evangelisch-lutherische Kirche die wahre sichtbare Kirche Gottes auf Erden sei, das heisst, die Kirche, welche in allen Stücken bei der in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehre bleibt. Diese Erkenntnis ist dazu nötig, dass Sie mit gutem Gewissen und mit der rechten Freudigkeit das Predigtamt in der lutherischen Kirche verwalten können; denn Gottes Wort macht es allen Christen zur Gewissenspflicht, sich nur an solche kirchliche Gemeinschaften anzuschliessen, die in allen

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*        Diese Vortraege wurden in dem folgenden Jahr (1891) gehalten.


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Stücken an Gottes Wort festhalten, dagegen die Gemeinschaft derer zu meiden, welche anders lehren, denn das Wort Gottes lehrt.

Um Sie in der Erkenntnis zu betestigen, dass die dermalen evangelisch-lutherische genannte Kirche die wahre sichtbare Kirche auf Erden sei, haben wir die Besprechung der Walther‘schen Thesen begonnen, in denen die Hauptkennzeichien einer rechtgläubigen Kirche angegeben sind. Wir haben schon eine Anzahl- dieser Merkmale kennen gelernt und ihr Vorhandensein an der evangelisch-lutherischen Kirche konstatiert. Es waren dies die folgenden: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche erkennt das geschriebene Wort der Apostel und Propheten für die alleinige und vollkommene Quelle, Regel und Richtschnur und für den Richter aller Lehre an, a) nicht die Vernunft, b) nicht die Traditionen, c) nicht neue Offenbarungen.“ (Thesis 13). Thesis 14: ,,Die evangelisch-Jutherische Kirche hält fest an der Deutlichkeit der heiligen Schrift.“ Thesis 15: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche erkennt keinen menschlichen Ausleger der heiligen Schrift an, dessen Auslegung um seines Amtes willen für untrügh ich und bindend anzusehen wäre, a) nicht einen einzelnen Menschen, b) nicht einen besonderen Stand, c) nicht ein Partikular- oder UniversalKonziliurn, d) nicht eine ganze Kirche.“ Thesis 16: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt Gottes Wort an, wie es sich die selbst auslegt.“ Hierbei besprachen wir kurz Auslegungsgrundsätze der lutherischen Kirche. Thesis 17: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt das geschriebene Wort Gottes (als Gottes Wort) ganz an, achtet nichts darin Enthaltenes für überflüssig oder gering, sondern alles für notwendig unJ wichtig und nimmt auch alle die Lehren an, welche aus den Schriftworten notwendig folgen.“ Thesis 18: ,,Die evangelisch-lutherische Kirche gibt jeder Lehre des Wortes Gottes die Stellung und Bedeutung, die dieselbe in Gottes Wort selbst hat.“ — Bei der nun folgenden Unterabteilung dieser These sind wir stehen geblieben. Sie lautet:

,,I)ie evangelisch-lutherische Kirche scheidet streng, was in Gottes Wort geboten und freigelassen ist (Adiaphora, Kirchenverfassung) .,, (D).

Es ist dies wirklich ein Kennzeichen der rechtgläubigen Kirche. Wir haben voriges Jahr ausführlich erörtert, dass die Kirchengemeinschaft, welche den Anspruch erhebt, eine rechtgläubige Kirche zu sein, an dem ganzen Wort Gottes und an allen in Gottes Wort geoffenbarten Lehren festhalten müsse; dass eine Kirchengemeinschaft, welche nur eine Anzahl Lehren, einige sogenannte Hauptiehren, für, verbindlich erachtet, andre Lehren dagegen der menschlichen Willkür anheimgeben will, dadurch zu einer Sekte herabgesunken sei. Wir hiaben erkannt, dass es ein Eingriff in die göttliche Majestät sei, wenn jemand von der Annahme


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irgend welcher Lehren, die in der heiligen Schrift geoffenbart sind, dispensieren will.

Aber auf der andern Seite muss nun auch eine Kirchengemeinschaft dadurch als eine rechtgläubige sich legitimieren, dass sie alles frei lässt, was nicht in Gottes Wort geboten ist; dass sie keinem ihrer Glieder etwas zu glauben oder zu tun gebiete, was nicht von Gott in seinem Wort den Menschen zu glauben und zu tun vorgegeben ist. Wenn eine kirchliche Gemeinschaft nicht hiernach handelt, wenn sie so nicht s.treng unterscheidet, was in Gottes Wort geboten und was in Gottes Wort freigelassen ist, dann begeht sie ebenfalls ein Majestätsverbrechen, dann setzt sie sich an Gottes Stehle. Denn Christen etwas zu gebieten, was ihre Gewissen verbindet, das hat Gott sich allein vorbehalten: ,,Einer ist euer Meister, Christus.“ Eine solche Kirchengemeinschaft verführt durch ihr Tun zu Abgötterei, denn insofern ein Christ in kirchlichen, in geistlichen Dingen sieh von Menschen etwas gebieten lässt, fällt er von Gott ab. Eine solche Kirchengemeinschaft begeht groben Diebstahl an ihren Gliedern, denn allen Christen ist von Christo die christliche Freiheit und damit gerade auch die Freiheit von Menschengeboten erworben und geschenkt. Diese christliche Freiheit sucht die Kirchengemeinschaft ihren Gliedern zu nehmen, welche über Gottes Wort hinaus etwas gebieten will. Ja, eine solche Kirchengemeinschaft verkehrt die ganze, der christlichen Kirche eigentümliche, Ordnung und macht aus der christlichen Kirche ein Reich von dieser Welt. Denn nur die Reiche dieser Welt haben die Konzession, Gesetze zu erlassen, die über Gottes Wort hinausgehen, wenn diese Gesetze nicht in Widerspruch stehen mit Gottes Wort. Aber der Kirche hat Gott dieses Recht nicht gegeben, die Kirche hat keine über Gottes Wort hinausgehende legislatorische Gewalt; die Kirche darf nur gebieten, was Gott in seinem Wort geboten hat. In der Kirche gebietet nur einer, Christus, die Glieder der Kirche sind alle einander koordiniert, nicht subordiniert. — Dass nun unsere evangelisch-lutherische Kirche sich in diesen rechten Grenzen halte, dass sie nichts gebiete, was Gottes Wort nicht geboten hat, dass sie alles frei lasse, was Gottes Wort frei lässt, das werden wir aus den angeführten Zeugnissen ersehen.

Sie wollen Prediger innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirche werden. So versehe ich mich zu Ihnen, dass Sie auch in diesem erwähnten Stück treu in den Wegen unserer teuren Kirche wandeln werden, dass Sie einst unter keinen Umständen freigeben werden, was in Gottes Wort geboten ist, anderseits aber auch nichts gebieten, was nicht in Gottes Wort geboten ist. So nur werden Sie treue Diener Gottes und rechte Diener der evangelisch-lutherischen Kirche werden.

Nur ein paar Worte zu den hier angeführten Schriftstellen. Matth. 23, 8: ,,Einer ist euer Meister, Christus; Ihr aber seid al


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le Brüder.“ — Diese Worte wollen nicht etwa bloss besagen, dass. die Christen mit einander brüderlich und freundlich umgehen sollen, sondern in denselben ist die Ordn un q niedergelegt, welche in der christlichen Kirche gelten soll, nämlich, dass es in der christlichen Kirche nur einen Gebietenden gibt, und der ist Christus in seinem Wort. Daher sollen die Bürger dieses Reiches einander nichts gebieten wollen. Unter ihnen besteht nicht das Verhältnis von Uebergeordneten und Untergeordneten.

Wenn es Gal. 5, 1 heisst.: ,,So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreiet hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen“, so ist hiermit den Christen auch verboten, sich in geistlichen Dingen von Menschen etwas gebieten zu lassen.— 2 Kor. 8, 8 stellt. der Apostel Paulus sein Beispiel uns vor Augen: ,,Nicht sage ich, dass ich etwas gebiete.“ — Es handelte sich um die Darreichung von leiblicher Unterstützung in einem bestimmten Fall, und da schreibt der Apostel den Korinthern:

,,Nicht sage ich, dass ich etwas gebiete.“ Kann man den Christen denn nicht gebieten dass sie ihren Brüdern, ja, ihrem Nächsten überhaupt, in der Not Handreiche tun von ihreni irdischen Gut? Ganz gewiss! Den Grundsatz müssen alle Christen anerkennen und sich ,,gebieten“ hassen, dass sie durch die Liebe verbunden sind, dem notleidenden Nächsten zu helfen. Wollten sie sich diesen Grundsatz nicht ,,gebieten“ lassen, so würden sie das Gesetz Gottes als Norm eines gottgefälligen Lebens verwerfen. Der Heiland sagt Joh. 15, 17: ,,Das gebiete ich euch, dass ihr euch unter einander liebet“, und St. Johannes 1 Joh. 3, 23: ,,Das ist sein Gebot, dass wir .. uns unter einander lieben.“ Aber nicht in jedem bestimmten Fall kann man dem Christen gebieten, dass er Liebe üben müsse, noch viel weniger, in welchem Mass dies geschehen müsse. Das hat man dem christlichen Urteil zu überlassen. Das Wort Pauli, 1 Kor. 9, 9: ,,Wiewohl ich frei bin von jedermann, habe ich mich doch selbst jedermann zum Knechte gemacht, auf dass ich ihrer viele gewinne“, zeigt den rechten Gebrauch der christlichen Freiheit. Der Apostel sagt auch hier zunächst: es gibt eine christliche Freiheit. Dieselbe besteht darin, dass ein Christ frei ist von jedermann, es kann ihm in geistlichen Dingen kein Mensch etwas gebieten, mag derselbe noch so hoch stehen in dieser Welt. Aber durch die Liebe wird nun ein Christ mit allem, was er hat, jedermanns Knecht; die Liebe solj ihn auch bewegen, auf den Gebrauch der christlichen Freiheit in bestimmten Fällen zu verzichten. Er kann, wie der Apostel, den Juden ein Jude, und den Heiden ein Heide werden.

Doch hören Sie nun, wie ünsre Kirche sich über den in Rede stehenden Punkt ausspricht. Vorangestellt ist das Zeugnis aus dem 7. Artikel der Augsburgischen Konfession:

,,Dies ist genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, dass da einträchtiglich nach reinem Verstand


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das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäss gereicht werden. Und ist nicht not zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, dass alleiithalben gleichförmige Zeremon ien, von den Mensehen eingesetzt, gehalten werden, wie Paulus spricht Ephes. 4.“

In Bezug auf die Lehre fordert unser Bekenntnis völlige Uebereinstimmung. Dagegen gibt es die kirchlichen Zeremonien völlig frei. Warum? Die Lehre bat Gottes Gebot, die kirchlichen Zeremonien haben nicht Gottes Gebot. So sehen Sie, wie scharf unsere Kirche in ihrem Grundbekenntnis, in der Augsburgischen Konfession, zwischen dem, was in Gottes Wort geboten und frei gelassen ist, scheidet. Freilich sagen auch wir, dass die Gleichförmigkeit in den Zeremonien nicht in jeder Hinsicht etwas durchaus Gleich gültiges sei und wir erstreben auch in unserer Synode möglichste Gleichförmigkeit in den kirchlichen Gebräuchen. Dazu bewegen uns verschiedene Gründe. — Wenn zum Beispiel un sere Christen aus einer Gemeinde in die andere ziehen, so berührt es sie angenehm, wenn sie nun in neuen Gemeinden dieselben kirchlichen Zeremonien finden, die sie in der alten Gemeinde gewohnt waren. Schwache können dadurch in Verwirrung geraten, dass sie in einer lutherischen Gemeinde an einem andern Ort der äusseren Ordnung nach alles so gar aiiders finden. Ferner kann man, wie auch unser Bekenntnis erinnert, leicht Feinden Veranlassung geben zu der Lästerung, dass wir auch in der Lehre nicht einig seien, weil bei uns eine so grosse Verschiedenheit in den Zeremonien obwalte. Aus diesen und anderen Gründen mahnen wir auch im Kreise unserer Synode zu möglichster Gleichförmigkeit in den Zeremonien. Auch Sie werden das tun. Aber Sie dürfen dies nicht tun in dem Sinn, als ob die Gleichförmigkeit in den Zeremonien irgendwie zum Wesen der christlichen oder kirchlichen Ein igkeit gehöre. Das Wesen der kirchlichen oder christlichen Einigkeit besteht lediglich in der Einheit in der Lehre, nicht in der Einheit in den Zeremonien. — Es heisst weiter in der Augsburgischen Konfession im 28. Artikel:

,,,Was soll man denn halten vom Sonntag und dergleichen anderen Kirchenordnungen und Zeremonien? Dazu geben die Unsern diese Antwort, dass die Bischöfe oder Pfarrherrn mögen Ordnungen machen, damit es ordentlich in der Kirche zugehe, nicht da mit Gottes Gnade zu erlangen, auch nicht damit für die Sünde genug zu tun oder die Gewissen damit zu verbinden, solches für nötigen Gottesdienst zu halten, und es dafür zu achten, dass sie Sünde täten, wenn sie ohne Aergernis dieselben brechen. Also hat St. Paulus zun Korinthern verordnet dass die Weiber in der Versammlung ihr Haupt sollen decken; item, dass die Prediger in der Versammlung


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nicht zugleich alle reden, sondern ordentlich, einer nach dem andern. Solche Ordnung gebührt der christlichen Versammlung um der Liebe und Friedens willen zu halten und den Bischöfen und Pfarrherrn in diesen Fällen gehorsam zu sein, und dieselben sofern zu halten, dass einer den andern nicht ärgere, damit in der Kirche keine Unordnung oder wüstes Wesen sei. Doch also, dass die Gewissen nicht besch weret werden, dass man‘s für solche Dinge halte, die not sein sollten zur Seligkeit, und es dafür achte, dass sie Sünde täten, wenn sie dieselben ohne der Andern Aergernis brechen; wie denn niemand sagt, dass das Weib Sünde tue, die mit blossem Haupt ohne Äergernis der Leute ausgehet.“

Achten Sie darauf, dass von unserem Bekenntnis der Sonntag auf gleiche Linie mit anderen kirchlichen Ordnungen und Zeremonien gestellt ist. Unser Bekenntnis spricht es ganz bestimmt aus, dass der Sonntag zu den kirchlichen Ordnungen gehöre, nicht zu den Dingen, die durch Gottes Wort geboten sind. —Weil unsere Väter bestehende Ordnungen nicht ohine Not ändern wollten, so sagten sie zu Augsburg, dass man es den Bischöfen oder Pfarrherrn überlassen könne Ordnungen zu machen in äusserlichen Dingen. Aber in diesem Fall sollen doch die Bischöfe oder Pfarrherrn für diese Ordnung nicht Gehorsam fordern um des Gewissens willen, als ob Gott diese Ordnungen geboten hätte, sondern es soll den Christen frei stehen, auch andere Ordnungen zu treffen. In Bezug auf das Sichsehicken in äusserliche Ordnungen appellieren wir immer nur an die Liebe unter Wahrung der christlichen Freiheit.

Die Apohogie schärft ein, dass der Charakter der rechtgläubigen Kirche nicht in schönen Zeremonien, sondern in der Reinheit der Lehre liege. (Seite 258, 44ff):

,,Die Widersacher ziehen den Daniel an, der da sagt:

es werden Greuel und Verwüstung in der Kirchen stehen, und deuten dieses auf unsere Kirchen derhalben, dass die Altare nicht bedeckt sein, nicht Lichter drinnen brennen und dergleichen. Wiewohl es nicht wahr ist, dass wir solche äusserliche Ornamente alhe weg tun; dennoch, so es schon also wäre, redet Daniel nicht von solchen Dingen, die gar äusserlich sind und zur christlichen Kirchie nicht gehören, sondern meinet viel eine andere greuhichere Verwüstung, welche im Papsttum stark gehet, nämlich von Verwüstung des nötigsten grössten Oottesdiensts, des Predigtamts, und Unterdrückung des Evangelii. .. Wo unsere Widersacher ihre Kerzen, Altartücher, Bilder und dergleichen Zier für nötige Stück, und damit Gottesdienst, anrichten, sind sie des Antichrists Gesinde, davon Daniel sagt, dass sie ihren Gott ehren mit Silber, Gold


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und dergleichen Schmuck.“

Lutherische Synoden unseres Landes haben kürzlich eine schöne Form des Gottesdienstes ausgearbeitet und angenommen. Aber damit allein ist man der christlichen, in Gottes Wort definierten, Einigkeit der Kirche nicht um einen Schritt näher gekommen, weil die Einigkeit der Kirche in der Einheit und Reinheit der Lehre besteht. Dies aher fehlt noch in jenen Kirchenverbänden. Wenn es dagegen bei uns so stünde, dass unsere sämmtlichen 2000 Gemeinden verschiedene Zeremonien hätten, so bestände doch bei uns die rechte christliche Einigkeit, weil durch Gottes Gnade bei uns die eine reine Lehre auf allen Kanzeln erschallt und an Irrlehrem Zucht geübt wird. Wir achten auch darauf, dass unser Bekenntnis sagt, es sei antichristisches Wesen, wenn jemand das Wesen der Einheit in der christlichen Kirche in die Gleichförmigkeit der Zeremonien setze. — In den Schmalkaldischen Artikeln haben wir eine bündige Erklärung jener Worte des 28. Artikels der Augsburgischen Konfession von deni Sichschicken in die von Bischöfen gemachten Ordnungen (Seite 323, 1):

,,Wenn die Bischöfe wollten rechte Bischöfe sein und sich der Kirche und des Evangelii annehmen, so möchte man ihnen das um der Liebe und Einigkeit willen, doch nicht aus Not, lassen gegeben sein, dass sie uns und unsere Prediger ordinierten und konfirmierten.“

Die Lutheraner bezeugten immer wieder ihre Bereitwilligkeit, sich in die bestehenden kirchlichen Ordnungen zu schicken, aber unter einer doppelten Bedingung: 1. Wenn man sich zuvor in der reinen Lehre verglichen haben würde, wenn, wie es hier heisst, die Bischöfe rechte Bischöfe sein und sich des Evangelii annehmen wollten, und 2. wenn man diese kirchlichen Ordnungen nicht als gewisseusbindend hinstellen, sondern der christlichen Freiheit anheimgeben wollte.

Diese Zitate aus der Augsburgischen Konfession und den Schmalkaldischen Artikeln zeigten, was sich ein Christ um der Liebe und des Friedens willen bei der Ordnung der Zeremonien unter gewissen Umständen gefallen lassen könne. Die Concordienformeh drückt dann thetisch aus, wie es in der christlichen Kirche in Bezug auf die Zeremonien und kirchlichen Gebräuche eigentlich gehalten werden solle. (Seite 697, 1 ff)

,,Von Zeremonien und Kirchengebräuchien, welche in Gottes Wort weder geboten noch verboten sind, sondern guter Meinung in die Kirche eingeführt worden, um guter Ordnung und Wohlstands willen oder sonst christliche Zucht zu erhalten, ist gleichermassen ein Zwiespalt unter etlichen Theologen Augsburgischer Konfession entstanden. .. Was rechte Adia phora oder Mitteldinge (wie die vor erkläret) sind, (so) gläuben, lehren und bekennen wir, dass solche Zeremonien an ihnen und für sich


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selbst kein Gottesdienst, auch kein Teil desselbigen, sondern von solchem gebührlich unterschieden werden sollen, wie geschrieben stehet: ,Vergeblich dienen sie mir, dieweil sie lehren solche Lehre, die nichts denn Menschengebote sein.‘ Matth. 15. Demnach gläuben, lehren und bekennen wir, dass die Gemeine Gottes jedes Orts und jeder Zeit, derselbigen Gelegenheit nach, guten Fug, Gewalt und Macht habe, dieselbigen ohne Leichtfertigkeit und Aergernis ordentlicher und gebührlicher Weise zu ändern, zu mindern und zu m ehren, wie es jederzeit zu guter Ordnung, christlicher Disiplin und Zucht, evangelischem Wohlstand und zu Erbauung der Kirche am nützlichsten, förderlichsten und besten angesehen wird. Wie man auch den Schwachen im Glauben in solchen äusserlichen Mitteldingen mit gutem Gewissen weichen und nachgeben könne, leliret Paulus Röm. 14, 21 und beweiset es mit seinem Exempel Apostg. 16, 3. 21, 26. 1 Kor. 9,19. Wir gläuben, lehren und bekennen auch, dass zur Zeit der Bekenntnis, da die Feinde Gottes Worts die reine Lehre des heiligen Evangelii begehren unterzudrücken, die ganze Gemeine Gottes, ja, ein jeder Christenmenseh, besonders aber die Diener des Worts, als die Vorsteher der Gemeine. Gottes, schuldig sein, vermöge Gottes Worts die Lehre und was zur ganzen Religion gehöret, frei öffentlich und nichit allein mit Worten, sondern auch im Werk und mit der Tat zu bekennen, und dass alsdann in diesem Falle auch in solchen Mitteldingen den Widersachern nicht zu weichen, noch leiden sollen, ihnen dieselbigen von den Feinden zu Schwächung des rechten Gottesdienstes und Pflanzung und Bestätigung der Abgötterei mit Gewalt oder hinterlistig auf-dringen zu lassen, wie geschrieben steht Gal. 5, 1. 2, 4. 5.

Desgleichen ist‘s auch zu tun um den Artikel der christlichen Freiheit, welchen zu erhalten, der heilige Geist durch den Mund des heiligen Apostels seiner Kirchen, wie jetzt gehöret, so ernstlich befohlen hat. Denn sobald derselbige geschwächt und Menschengebote mit Zwang der Kirche als nötig aufgedrungen werden, als wäre Unterlassung dersehben Unrecht und Sünde, (so) ist der Abgötterei der Weg schon bereitet, dadurch nach mals Menschengebote gehäufet und für ein Gottesdienst nicht allein den Geboten Gottes gleich gehalten, sondern auch über dieselben gesetzt werden.“

Unsere Concordienformel sagt zunächst, dass die kirchlichen Zeremonien nicht von Gottes TVort geordnet oder geboten seien. Nun muss aber doch eine gewisse Ordnung in denselben getroffen werden. Wer hat diese Ordnung zu treffen? Nicht der Pastor.


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Die sogenannte konstitutive Gewalt, das heisst, die Gewalt, die Mitteldinge zu ordnen, hat vielmehr die Gemeinde Gottes, die Gemeinde der Gläubigen. Zum Beispiel, wie der Gottesdienst äusserlich eingerichtet sein, wie oft und zu welcher Zeit öffentlicher Gottesdienst gehalten werden, welche Ordnung in den Gemeindeversammlungen herrschen sollu. s. w: dass hat die christliche Gemeinde, nicht der Pastor zu bestimmten. Der Pastor, welcher sich herausnimmt, hierin für seine Person etwas gebieten zu wollen, gegen den Willen der Gemeinde, der benimmt sich unehristlich, ja, antichristlich. Er nimmt der christlichen Gemeinde eine Gewalt, welche Christus derselben erworben und verliehen hat. Es gehört auch zur rechten Erziehung einer christlichen Gemeinde dieselbe von vornherein daran zu erinnern, dass die konstitutive Gewalt ihr gehöre. — Es wird ja bei neuen Gemeinden meist sich so stellen, dass dieselben sagen: ,,Herr Pastor, ordnen Sie diese Dinge, denn Sie verstehen es am besten.“ Und der Pastor würde nicht unrecht tun, wenn er infolge dieses Auftrags nun alles selbst In seine Hände nehme und ordnete. Aber weislich gehandelt wäre das nicht. Der Pastor sollte vielmehr diese Gelegenheit wahrnehmen, die Gemeinde darüber zu belehren, was für Rechte ihr von Christo gegeben sind, und die zu treffenden Ordnungen mit der Gemeinde durchsprechen. — Beachten Sie ferner, dass es heisst: ,,Die Gemeine Gottes jedes Orts“ hat Fug, Gewalt und Macht, diese Zeremonien zu ordnen. ,,Die Gemeinde jedes Orts“ ist die sogenannte ,,Ortsgemeinde“, wie wir sie jetzt nennen. Wir reden von einer Ortegemeinde im Gegensatz zu einem Komplex von Gemeinden, die in einem Synodalverband stehen. Die Zeremonien zu ordnen, gehört nicht etwa einem .Komplex von Gemeinden, der Synode zu, sondern der Gemeinde jedes Orts, welche um das von Gott gestiftete Pfarramt versammelt ist. Unsere Synode hat deshalb auch von vornherein bekannt, dass die Synode der Ortsgemeinde gegenüber nur beratende Gewalt habe. Wenn unsere Synode bstinimten Gemeinden gebieten wollte: Diese Kirchenordnung müsst ihr einführen, dann wäre sie von dem rechten Prinzip abgefal hen. Die Concordienformel schärft ferner ein, dass eine Gemeinde bei der Ordnung der Zeremonien auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen habe., Die Gemeinde kann und soll von der Einführung auch einer guten Ordnung Abstand nehmnen, wenn schwache Christen sich an derselben stossen wurden Ein Beispiel: es sind Christen ip einer neuen Gemeinde, die das hiturgische Singen nicht gewohnt sind und infolgedessen auch nicht leiden mögen Man merkt, es kostet sie eine Ueberwindung, das liturgische Singen mit anzuhören. Da könnte die Gemeinde wohl davon absehen, diese Weise einzuführen.

Ganz anders aber stehht sich freilich die Sache, wenn man es nicht mit Schwachen zu tun hiat, sondern wenn uns das Aufgeben oder die Annahme eines Mitteldings zugemutet wird, uni ei


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neu Irrtum zu stützen, wie es zum Beispiel zu Zeiten des Interims geschah. Dann kann man nicht welchen. Warum? Dann handelt es sich wieder um die Lehre, und wenn es sich uni die Lehre handelt, dann sind rechte Lutheraner ganz unbeugsam, denn dann stehen sie wieder auf dem Gebiet, wo Gottes Wort ein für allemal die Sache zum Abschluss gebracht hat. Unser Bekenntnis selbst erinnert hier an das Beispiel des Apostels Paulus. Der Apostel Paulus beschmnitt den Timotheus um der schwachen Juden willen. Als man aber von demselben Apostel die Beschneidung des Titus forderte, da ging derselbe auf diese Forderung nicht ein. Warum nicht? Man stellte diese Förderung, um falsche Lehre zu bestätigen und die rechte Lehre zu unterdrückenMan stellte nämlich die Forderung, dass Titus beschnitten werde, um dadurch die Lehre bestätigen zu lassen, dass die Heidenchristen erst Juden werden müssten, ehe sie Christen werden‘ könnten.

Fuenfzehnter Vortrag

Der Christenstand ist ein überaus hoher und erhabener Stand. Gott hat den Christenstand mit einer so wunderbaren Würde und Hoheit bekleidet, dass auch das Herz der Christen kaum hinan will, diese Würde und Hoheit zu glauben, das beisst, für wirklich zu halten. Nachdem nämlich ein Mensch durch den Glauben ,an Christum ein Christ geworden ist, so wird er, obwohl er in sich selbst ein verdammungswürdiger Sünder ist und bleibt, nun doch seiner Sünden wegen nicht mehr verdammt; das Urteil auch des göttl ichen Gesetzes bleibt ihm gegenüber kraftlos; er kann triumphierend ausrufen: ,,Wer will verdammen?“

Sodann, wenn ein Mensch ein Chirist geworden ist, so ist er geistlicherweise reichsunmittelbar, das heisst, er steht als Christ nur unter Gott, er ist in göttlichen Dingen keinem Menschen, sondern nur noch Gott unterworfen; kein Mensch darf ihm etwas gebieten, .was Gott nicht geboten hat., und kein Mensch darf ihm etwas verbieten, was Gott nicht verboten hat. Und wenn ein Christ seinem irdischen Stand nacht der allergeringste, der allerarmste ist, so ist er doch keiner Menschenautorität unterworfen; kein König, kein Kaiser darf ihm wider seinen Wilhen auch nur das geringste auflegen. Das ist die wunderbare Hoheit und Herrlichkeit des Christentums, welche Christus mit seinem Blut erworben und den Christen in der Rechtfertigung geschenkt hat.

Daher muss denn jede kirchliche Gemeinschaft sich auch dadurch als eine rechtghaubi ge Kirchengemeinschaft ausweisen, dass sie diese Hoi eit und Würde des Christenstandes ungeschmälert lässt. Eine Kirchengemeinschaft, welche scheinbar in allen anderen Lehren des christlichen Glaubens richtig lehrt und bekennt,


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aber über Gottes Wort hinaus den Christ etwas gebietet ,oder verbietet, ist dadurch eine irrgläubige Gemeinschaft, ja, diese Gemeinschaft hat dadurch etwas vom Antichristenturn in sich aufgenommen. Denn gerade auch darin besteht das eigentliche Wesen des Anticbristentums, des Papsttums, dass es den Christen da gebietet, wo Gottes Wort nicht gebietet, und den Christen da verbietet, oder den Christen da Sünde macht, wo keine Sünde ist, wo Gott keine Sünde gemacht hat.

Und hier gehten keine Entschuldigungen und keine Bescliönigungen. Es darf niemand sagen: Es ist der Einheit und der Wirksamkeit der christlichen Kirche dienlicher, wenn man gewisse Dinge, die nicht in Gottes Wort bestimmt sind, der Freiheit der Christen entnimmt und von einigen Personen in der Kirche setzen und bestimmen lasse. Das sind fleischliche Gedanken, das sind menschliche, törichte Kirchenbaupläne. Was Christus mit sei-nein Blut frei gemacht, das sollen Menschen nicht wieder binden wollen. Gal. 5, 1 sagt der Apostel allen Christen: ,,So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreiet hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ Gott will es von den Christen haben, dass sie an ihrer christlichen Freiheit festhalten. Ein Christ soll sich, das ist Gottes bestinunter Wille, in geistlichen Dingen nichts gebieten lassen von Menschen. Ein Christ handelt wider Gottes Gebot, wenn er in geistlichen Dingen auch Menschen irgendwie untertänig sein will. — Durch Aufgeben der christlichen Freiheit fällt man von Gott ab, wird man abgöttisch. Man macht dann an Stelle des hebendigen Gottes die Kreatur zu Gott, deren Geboten in geistlichen Dingen man untertan wird. Lässt man sich in geistlichen Dingen vom Papst etwas gebieten, dann macht man den Papst zu seinem Gott; lässt man sich in geistlichen Dingen vom Kaiser etwas befehlen, so macht man den Kaiser zu seinem Gott; lässt man sich in geistlichen Dingen von einer Synode etwas vorschreiben, so macht man die Synode zu seinem Gott; nimmt man in geistlichen Dingen etwas an, weil es der Pastor haben will, so macht man den Pastor zu seinem Gott; oder nimmt man etwas in geistlichen Dingen an, weil es die Gelehrten so entschieden haben, so macht man die Gelehrten zu seinem Gott. Anders dürfen Sie den Gehorsam, welchen man in geistlichen Dingen Menschen leistet, nicht ansehen: er ist Abgötterei und nichts anders. — Eine weitere übhe Folge: lässt sich jemand in einem Stück in geistlichen Dingen von Menschen gebieten, so ist da kein Aufhalten mehr, dann ist schon das richtige Prinzip preisgegeben, dann ist Menschengeboten in der christlichen Kirche Tor und Tür geöffnet, ja, die Menschengebote werden dann auch über Gottes Gebote gestellt. Denn weil man mit Gottes Geboten nicht glaubt auskommen zu können, weil man die Schrift nicht für hinreichend hält, so ersinnt man Menschengebote.

Ganz gewaltig hat der von Gott bestellte Reformator der


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Kirche, der Befreier der Kirche aus der Tyrannei des Papsttums. Luther, den Artikel von der christlichen Freiheit ins licht gestellt.

Luther sagt (XX, 278 ff):

,,Lieber, lass dir‘s nicht gering Ding sein, verbieten, da Gott nicht verbeut, christliche Freiheit brechen, die Christus Blut gekostet hat, die Gewissen mit Sünde beladen, da keine ist. Wer das tut und tun darf, der darf auch alles tTebel tun, ja, er verleugnet schon damit alles, was Gott ist, hehret und tut, sammt seinem Christo. . .  Darum höre zu, mein Bruder: du weissest, dass wir bei der christlichen Freiheit, als bei einem jeglichen Artikel des Glaubens, sollen Leib und Leben lassen, und alle das tun, was man dawider verbeut, und alles (las hassen, was man dawider gebeut, wie St. Paulus Gal. 5 lehret. . . Nicht dass dir‘s deines Gewissens halben not sei, sondern dass es not ist, die christliche Freiheit zu bekennen, und nicht erhalten und nicht gestatten, dass der Teufel da ein Gebot, Verbot, Sünde oder Gewissen mache, da Gott keine haben will. Wo du aber solche Sünde lässest machen, da ist kein Christus mehr, der sie wegnehme. Denn mit solchem Gewissen verleugnet man den rechten Christum. der alle Sünde wegnimmt. Darum sieh est du, wie in diesen geringen Dingen nicht geringe Gefahr stehet, wenn man damit auf die Gewissen will.-. Wo man Gebot, Verbot, Sünde, gute Werke, Gewissen und Gefahr machen will, da Gott Freiheit haben will und nichts gebeut, noch verbeut, musst du über solcher Freiheit feste halten, und immer das Widerspiel tun, bis du Freiheit erhahtest.“

Luther sagt: ,,Lass dirs nicht gering Ding sein.“ Das ist die Redefigur der Meiosis. Luther will sagen: es ist ein grosses, ein ganz erschreckhiches Ding, die christliche Freiheit zu brechen. Und warum? Welche Gründe führt Luther dafür an? Er sagt:

Die christliche Freiheit hat Christi Blut gekostet, Christus hat, wie alle anderen geistlichen Güter, wie die Rechtfertigung, so auch die christliche Freiheit, die Freiheit von allen Menschengeboten, den Christen mit seinem Blute erworben. Christus hat es mit seinem Blut zuwege gebracht, dass die Christemi allein ihm angehören, allein auf sein Wort hören. Darum soll nun aber auch jeder Prediger die höchste Scheu davor haben, irgendwie die christliche Freiheit der Christen, der Gemeinde, zu schmälern. Der Prediger soll sich vor der Schmälerung der christlichen Freiheit wie vor einer grossen Sünde fürchten, wie es denn auch eine der grössten Sünden ist. Ein Prediger der über Gottes Wort hinaus der Gemeinde etwas gebieten will, begeht, wie ich schon erinnert habe, Diebstahl, groben Diebstahl. Er raubt der Gemeinde die Freiheit, die Christus ihr erworben und geschenkt hat. Und Luther traut den Predigern nicht viel Gutes zu, die sich heraus-


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nehmen, etwas zu gebieten, was Gott nicht geboten hat. Ja, Luther traut solchen Predigern alles Böse zu. Er sagt: ,,Wer das tut und tun darf, der darf auch alles Uebel tun, ja, er verleugnet schon damit alles, was Gott ist, lehrt und tut.“ Wie geschieht das? Insofern, als derjenige, welcher den Christen etwas gebietet, was Gott frei gelassen hat, sich an die Stelle Gottes setzt, sicht zum Gott der Christen aufwirft; und somit verleugnet derselbe alles, was Gott ist. Luther schärft daher auch jedem Christen ein, dass er sich seine christliche Freiheit um jeden Preis wahren müsse, selbst um den Preis von Leib und Leben. Die Christen sind ja hier auf Erden zum Bekennen. Und wenn es den Christen darüber übel ergeht, ja, wenn sie .ihr Leben darüber hassen müssen, dann sollen sie sich mit den Worten trösten: ,,Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater; wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater“, und ,,Was hilfe es den Menschen, so er die ganze Welt gewinne und nähme Schaden an seiner Seele?“ Mit dieser Standhaftigkeit, sagt Luther, soll jeder Christ auch den Artikel von der christlichen Freiheit bekennen. Wie die ersten Christen sich lieber töten liessen, als dass sie den heidnischen Göttern, oder dem Bild des Kaisers, Weihrauch gestreut hätten, so soll auch jeder Christ sich lieber töten lassen, als dass er sich> in geistlichen Dingen von Menschen, auch von den am höchsten stehenden Menschen, etwas gebieten liess. Achten Sie wohl darauf, dass Luther sagt: der Teufel macht Gebote über Gottes Gebote hinaus. Wenn es auch einen frommen Schein hat, den Christen über Gottes Wort hinaus etwas zu gebieten und wenn es auch so aussieht, als ob daraus ein Vorteil für die Kirche komme, das ist Täuschung; der Teufel steckt dahinter. Denn Gott will es nicht haben, dass den Christen etwas über Gottes Wort hinaus zur Gewissenssache gemacht wird. Wenn es dennoch geschieht, so steckt kein anderer dahinter, als der Erzfeind der Kirche, der Feind Gottes, der Teufel. Luther weist auch noch auf die Gefahr für den Glaubeusstand hin, wenn jemand seine christliche Freiheit nicht intakt erhält. Wer sich in geistlichen Dingen von Menschen etwas gebieten lässt, der will unter Menschen stehen, der sagt sich damit von Christo los, und damit verliert er den Sündentilger und somit auch die Vergebung seiner Sünden. Freilich will man mit Geboten gar nicht auf die Gewissen, sind es nicht eigentlich Gebote, sondern nur Ordnungen, die der Liebe anheimgegeben werden, dann ist die Sache nicht gefährlich, dann können wir uns auch ohne Gefahr unterwerfen. Ich will an das Beispiel erinnern, das ich schon öfter angeführt habe. Wir können uns unter gewissen Umständen Prohibition ganz gut gefallen lassen, unter anderen Umständen dagegen müssen wir eher Leib und Leben lassen, als dass wir uns die Prohibition aufhalsen liessen. Wir können uns die Pro-


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hibition ganz gut gefallen lassen, ja, wir müssen sie uns gefallen lassen, wenn sie von einer Majorität des Volkes beschlossen ist, und das Gesetz von der Supreme Court aufrecht erhalten wird:  wenn die Prohibition nur als eine soziale, rein bürgerliche, auf die menschliche Gesellschaft berechnete Massregel geltend gemacht wird, wenn man etwa sagt: Wir wollen Prohibition haben, weil es dann äusserlich ordentlicher im Staat zugeht, weil dann die Trunkenheit abnimmt, der Verbrechen weniger werden u. s. w. Man tastet durchaus nicht unsere christliche Freiheit an, wenn man in dieser Weise die Prohibition zum Gesetz erhebt. Aber wenn man sagt: es ist nach Gottes Wort Sünde, Wein (>der Bier zu geniessen und der Mensch begeht eine Sünde, welcher sich nicht der Prohibition unterwirft, dann sagen wir: Nein und weisen die Prohibition ab.

Luther unterscheidet zwischen dein Glauben und den Zeremonien (XIX, 1707):

,,Die Liebe ist Kaiserin, über die Zeremonien, und Zeremonien sollen der Liebe, nicht aber Liebe den Zeremonien weichen. Wie auch Christus den Sabbath unter das Gesetz der Liebe wirft: In welcher, spricht er, hanget (las ganze Gesetz und die Propheten. Darum soll in blossen Zeremonien die Liebe Richterin und Meisterin sein, aber nicht im Glauben und Verheissungen Gottes.“

Die Zeremnonien, sagt Luther, gehören in das Gebiet der Liebe. Wenn ich Glied einer Gemeinde bin oder werden will, und es kommt zu mir ein anderes Gemeindeghied und sagt: ,,Willst dii dir nicht um der Liebe willen diese Ordnungen gefallen lassen, uni der Liebe willen dich mit uns gleichförmig halten“, so antworte ich: ,,Gewiss, sehr gern, auch in dem Fall, wenn mir die Zeremoniell nicht recht gefallen. Aber der Glaube oder die Lehre gehört nicht ins Gebiet der Liebe. Wenn jemand zu mir kommt und sagt: ,,Willst du nicht mir zuliebe drei Glanbensartikel darangeben, oder wenigstens zu zwei Irrtümern stille schweigen?“ Dann lautet die Antwort: ,,Nein! Glaubensartikel sollen nicht verleugnet, sondern bekannt werden, und Irrtümer lässt Gott aufkommcmi, damit sie von den Christen erkannt und verworfen werden (1 Kor. 11, 19).

Luther schreibt ferner (XIX, 1191):

,,Die christliche Kirche hat Macht, Sitten und ,Weise zu stellen, die man halte in Fasten, Feiern, Essen, Trinken, Kheidern, Wachen und dergleichen. Doch n icht über Andere, ohne ihren Willen, sondern über sieh selbst:

hat auch nie anders getan, wird auch nie anders tun.“


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Der Papst hat Macht, sich selbst ein Fasten aufzuerlegen, aber dass er diese Fasten anderen auferlegen will, das ist des Teufels Bosheit. Ein Christ hat Macht, sich den Zehnten aufzuerlegen, das heisst, von all seinem Einkommen den Zehnten für die Kirche zu geben, aber er hat nicht Macht, dies nun auch noch einem anderen ausser ihm selbst aufzuerlegen. Zwei Christen haben Macht, sich einen Zehnten aufzuerlegen, aber sie haben keine Macht, ihn noch einem dritten aufzuerlegen u. s. w. Eine ganze christliche Gemeinde hat Macht, sich den Zehnten aufzuerlegen, aber keiner andern Gemeinde und keinem andern Christen neben sich. Setzen wir auch den Fall, dass die Glieder unserer Gemeinde sagten: wir wollen einen bestimmten Tag in der Woche fasten, so könnte man ihnen das nicht zur Sünde inachen, wenn sie keine abergläubischen, unchristlichen Gedanken dabei haben. Aber ja nicht diese Weise anderen Leuten auferlegen wollen! Das hiesse in die christliche Freiheit greifen und sich zum Papst machen.

Die Kirchenverfassung ist von unseren Kirchenlehrern in (las Gebiet der Mitteldinge verwiesen worden. Mit Recht! Die lutherische Kirche hat, auch als es um sie wohl stand und das lutherische Bekenntnis in ihr eine Macht war, tatsächlich unter den verschiedensten Verfassungen gelebt, unter der Konsistorialverfassung, unter Episkopalverfassung (in Schweden), auch unter Presbyterialverfassung (an einigen Orten), und hier in unserm Lande haben wir die Gemeindeverfassung. Aber Episkopal-, Konsistorial- u. s. w. Verfassung bleibt nur so lange ein Mittelding, als durch diese Verfassungen die christliche Freiheit nicht angetastet wird. Sowie die christliche Freiheit angetastet wird, dann wird diese Verfassung zu einer falschen Lehre, zur Sünde. Zum Beispiel, (lass der König von Preussen zugleich der summus episcopus der preussischen Landeskirche ist, ist an sich noch keine Sünde; nur muss er eins dabei bekennen, nämlich, (lass er als summus episcopus nichts zu sagen hat, das heisst, dass er nichts zu gebieten hat über Gottes Wort hinaus, dass er den Christen auch nicht das Geringste auferlegen darf wider ihren Willen. Sowie aber irgend ein summus episcopus sich herausnimmt, kraft der bestehenden Verfassung, den Christen etwas aufzuerlegen wider ihre Zustimmung, dann ist es ein böses Ding, dann ist in der Kirche alles auf den Kopf gestellt, dann ist der Spruch verleugnet: ,,Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder.“

Gerhard macht darauf aufmerksam, dass die christliche Gemeinde für ihre kirchlichen Ordnungen nie Gehorsam fordern dürfe um ihres Befehls willen, sondern die Gewissen frei lassen müsse. Merken Sie sich wohl, was hier eingeschärft wird. Sie haben dafür zu sorgen, dass Ihre Gemeinden einen strengen Unterschied machen zwischen dem, was in Gottes Wort geboten ist und was blosse Geineindeordnung ist. Die Gemeinde kann die Gemeinde-


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glieder nicht in demselben Masse binden au ihre kirchliche Ordnung, wie sie dieselben an Gottes Wort bindet. Für Gottes Wort muss sie unbedingten Gehorsam fordern, dagegen nicht für ihre gemeindliche Ordnung. Von den gemeindlichen Ordnungen kann die Gemeinde, ja, muss die Gemeinde unter bestimmten Umständen abgehen, weshalb auch in eine richtige Gemeindeordnung der Pamagraph gehört, dass alle die Dinge, welche nicht in Gottes Wort bestimnmt sind, je nach dem Wunsch der Gemeinde wieder geändert werden können.

Gerhard sagt (Confessio cath. fol. 627)

,,Die wahre Kirche befiehlt nicht, Mitteldinge zu tun oder zu hassen um ihres Befehls willen; sondern nur um Erhaltung der Ordnung imnd des Anstandes willen, damit Ordnung beobachtet, Aergernis aber vermieden werde. Und so lange dies unverletzt bleibt, lässt sie die Gewissen frei und beschwert sie weder mit Gewissensbedenken, noch mit gesetzlicher Verpflichtung.“

Daher kann auch niemand sagen: es ist wider mein Gewissen, mich in eine gewisse Ordnung der Gemeinde zu schicken. Denn die Gemeindeordnung wird von der Gemeinde garnicht auf die Gewissen gelegt. Darum wäre es töricht zu sagen: Es ist wider mein Gewissen, diese Ordnung anzunehmen. Diese scharfe Scheidung zwischen dem, was Gott geboten hat und was er in seinem Wort frei lässt, muss Ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Wenn Sie recht im Sinne unserer recht gläubig-lutherischen Kirche amtieren, dann muss Ihre Gemeinde von Ihnen sagen: Unser Pastor steht fest wie ein Fels, wenn es sich um Gottes Wort und Gebot handelt, aber unser Pastor ist der nachgiebigste Mensch von der Weht, wenn es sich um Dinge handelt, die nicht in Gottes Wort geboten sind.

Es hat für alle Menschen zu allen Zeiten nur einen Weg zur Seligkeit gegeben, das ist der Glaube an Christum, den Heiland aller Menschen. Wie die heilige Schrift bezeugt, dass alle Menschen ohne Ausnahme durch diese wunderbare Veranstaltung Gottes, nämlich durch die Menschwerdung, das Leiden und den Tod des Sohnes Gottes erlöst seien, so bezeugt die heilige Schrift auch, dass es nun für alle Menschen nur eine Weise gebe, des erworbenen Heils teilhaftig zu werden, nämlich die gläubige Hinnahme oder Annahme des Heils, oder, was dasselbe ist, der Glaube an Christum. Es ist nie ein Mensch anders selig geworden, und es wird bis an den jüngsten Tag nie ein Mensch anders selig werden. Auch die Gläubigen unter dem Alten Testament sind nicht etwa durch das Gesetz, unter welchem sie lebten, sondern nur durch den Glauben an den verheissenen Messias selig geworden. Zwar der Bund, welchen Gott mit dem Volk Israel am Sinai schloss, war ein reiner Gesetzesbund; aber nebenher ging die Predigt der Verheissung von Christo. Von diesem Jesu zeugen


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alle Propheten, bezeugt das Neue Testament. Auch die gottesdienstlichen Zeremonien des Alten Testaments schatteten ja das Heil in Christo ab. Die Juden nun, welche unter der Last des Gesetzes zur Erkenntnis der Sünden gekommen und arme Sünder geworden waren, die ergriffen dann imn Glauben das Heil in Christo, und so sind sie selig geworden, nicht anders. Das bezeugt wiederum klar und deutlich das Neue Testament. So sprach ja Petrus beim ersten kirchlichen Konzil zu Jerusalem:  ,,Wir glauben, durch die Gnade (les Herrn Jesu Christi selig zu werden, gleicherweise wie auch sie“, wie die Väter des Alten Testaments. Wer anders lehrt, der hebt im Grunde das ganze Christentum auf, der glaubt nicht, (lass Jesus Christus der einige Hei-hand der Weht sei.

So gross der Unterschied zwischen dem Alten und Neuen Testament auch ist, (larin stimmen Alt- und Neues Testament völlig überein, dass es nur einen Weg zur Seligkeit gibt, nämlich den Glauben an Christum. Freilich ist nun in anderer Beziehung ein grosser Unterschied zwischen der Kirche uutem dem alten Bund und der Kirche unter deui neuen Bund; und diesen durchgreifenden, grossen Unterschied müssen wir wohl- merken. Die heilige Schrift zeigt denselben klar und unmissverständlich auf. Sie nennt den Stand der Gläubigen unter dem alten Bund den Stand der Knechtschaft, und den Stand der Gläubigen unter (lem neuen Bund den Stand der Kindschaft. I)ie Gläubigen im alten Bund waren auch Kinder Gottes, aber sie wurden als unmündige Kinder, äusserlich wie Knechte, behandelt. Im Neuen Testament werden die Gläubigen als Kinder Gottes auch äusserlich behandelt. Worin bestand denn die Knechtschaft der Gläubigen des Alten Testaments? Auch darüber gibt uns Gottes Wort (leimtlich Aufschluss. Der Apostel sagt: ,,Wir waren gefangen unter den äusserlichen Satzungen.“ Gott gab den Gläubigen des Alten Testaments viele Gesetze über Speise, über Trank, über bestimmte Feiertage, über bestimmte Orte, bestimmte Personen (les Gottesdienstes u. s. w., und an diese Gesetze waren die Gläubigen des Alten Testaments in ihrem Gewissen gebunden, wie an das ganze Gesetz. Diese Gefangenschaft unter dein Gesetz hat im Neuen Testament völlig aufgehört. Der Apostel ruft nun allen Gläubigen des Neuen Testaments zu: ,,So hasset nun niemand euch Gewissen machten über Speise, oder ül)er Trank, oder über bestimmte Feiertage, oder Neumonden, oder Sabbathier.“

Eine kirchliche Gemeinschaft muss daher auch dadurch sich als eine rechtghäubige erweisen, dass sie diesen Unterschied zwischen Alt- und Neuem Testament anerkennt und festhält. Wenn eine kirchliche Gemeinschaft zum Beispiel wieder Gebote in Bezug auf Art und Weise, Ort u. s. w. des Gottesdienstes auf die Gewissen der Christen hegen wollte, so würde sie damit wider Gottes ausdrückliches Gebot handeln und den Charakter der Recht-gläubigkeit verlieren. Dies ist vor allen Dingen der Fall bei der


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Papstkirche. Die Papstkirche will die Kirche des Neuen Testarnents nach dem Muster der Kirche des Alten Testaments einrichten; sie will aus der Kirche ein äusserliches Reich machen; sie stellt wieder einen Priesterstand, ähnlich dem levitischen Priestertum des Alten Testaments, her, welcher Priesterstand über dem gewöhnlichen Christenstand stehen und zwischen Gott und den Christen vermitteln soll. Die Papstkirche legt wieder Gebote in Bezug auf Speise und Trank und bestimmte Feiertage und andere äusserliche Ordnungen auf die Gewissen der Christen. Aber auch die reformierte Kirche und die reformierten Sekten ermangehn auch in diesem Stück des Charakteristikums der Rechtgläubigkeit. Auch die reformierten Sekten suchen die Kirche des Neuen Testaments wieder in einigen Stücken auf den Standpunkt der Kirche des Alten Testaments zurückzuschrauben. Ich erinnere nur an eins, was uns besonders vor Augen liegt. Sie wollen die Gewissen der Christen des Neuen Testaments wieder an einen bestimmten Feiertag, an den Sabbath, binden. Die Puritaner in unserem Lande schreien nach demn sogenannten christlichen Sabbath, oder auch nach dem ,,amerikanischen Sabbath“, wie sie sich ausdrücken, um dadurch unserem Lande ein christliches Gepräge zu geben und der Kirche aufzuhelfen. Ferner streben sie darnach, wieder Kirche und Staat zu vermengen nach dem Vorbild der alttestamentlichen Theokratie.

Ganz anders die Kirche der Reformation, die rechtgläubige, lutherische Kirche. Sie hält den rechten Unterschied zwischen Alt- und Neuem Testament aufrecht, sie lässt den Christen die Freiheit, damit Christus sie befreiet hat, und will sie nicht wiederum unter das knechtische Joch fangen. Die lutherische Kirche dringt auf die reine Predigt des Evangeliums, und da ist sie unnachgiebig. Aber was äussere Ordnungen anlangt, so legt sie diese nicht auf die Gewissen der Christen, sondern stellt sie der christlichen Freiheit anheim. Sie stellt auf Grund der heiligen Schrift nur die eine allgemeine Regel auf, dass in diesen äusserlichen Dingen alles ehrlichm und ordentlich zugehen solle. So trägt auch in diesem Stück die lutherische Kirche das Merkmal der rechtgläubigen Kirche an sich. Es heisst in der Augsburgischien Konfession (Artikel 28):

,,Die menschliche Satzungen aufrichten, tun auch damit wider Gottes Gebot, dass sie Sünde setzen in der Speise, in Tagen und dergleichen Dingen, und beschweren also die Christenheit mit der Knechtschaft des Gesetzes; eben als müsste bei den Christen ein solcher Gottesdienst sein, Gottes Gnade zu verdienen, der gleich wäre dem levitischen Gottesdienst, welchen Gott sollte den Aposteln und Bischöfen befohlen haben aufzurichten; wie denn etliche davon schreiben, stehet auch wohl zu gläuben, dass etliche Bischöfe mit dem Exempel des


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Gesetzes Mosis sind betrogen worden: daher so unzählige Satzungen kommen sind, dass eine Todsünde sein soll, wenn man an Feiertagen eine Handarbeit tue, auch ohne Aergernis der Andern; . . dass etliche Speise das Gewissen verunreinige. -. Also ist die Ordnung vom Sonntag. von der Osterfeier, von den Pfingsten und dergleichen Feier und Weise; denn die es dafür achten, dass die Ordnung vom Sonntag für den Sabbath als nötig aufgerichtet sei, die irren sehr; denn die heilige Schrift hat den Sabbath abgetan, und lehret, dass alle Zeremonien des alten Gesetzes nachm Eröffnung des Evangehions mögen nachgelassen werden; und dennoch, weil vonnöten gewest ist, einen gewissen Tag zu verordnen, auf dass das Volk wüsste, wenn es zusammenkommen sollte, hat die christliche Kirche den Son n tag dazu verordnet, und zu dieser Veränderung desto mehr Gefallens und Willens gehabt, damit die Leute ein Exempel hätten der christli ehen Freiheit, dass man wüsste, dass weder die Haltung des Sabbat hs, noch eines andern Tags vonnöten, sei. Es sind viel unrichtige Disputationen von der Verwandlung des Gesetzes, von den Zeremonien des Neuen Testaments, von der Veränderung des Sabbaths; welche alle entsprungen sind aus falscher und irriger Meinung, als m üsste man in der Christenheit einen solchen Gottesdienst haben, der dem levitischen oder jüdischen Gottesdienst gemäss wäre, und als sollte Christus (len Aposteln und Bischöfen befohlen haben, neue Zeremonien zu er(henken, die zur Sehigkeit nötig wären. Dieselben Irrtümer haben sich in die Christenheit eingefochten, da man die Gerechtigkeit des Glaubens nicht lauter und rein gelehrt und gepredigt hat. Etliche disputiren also vom Sonntag, dass man ihn halten müsse, wiewohl nichmt aus göttlichen Rechten (dennoch schier als viel als aus göttlichen Rechten), stellen Form und Mass, wiefern man am Feiertag arbeiten mag. Was sind aber solche Disputationes anders, denn Fallstricke des Gewissens?. . Denn wiewohl sie sich unterstehmen, menschliche Aufsätze zu lindern und epiiziren, so kann man doch keine Epieikeian oder Linderung treffen, so lange die Meinung stehet und bleibet, als sollten sie vonnöten sein; nun muss dieselbige Meinung bleiben, wenn man nichts weiss von der Gerechtigkeit des Glaubens und von der christlichen Freiheit.“

Unsere Kirche bekennt hier ganz unzweideutig in ihrem Grundbekenntnis, dass es in der Kirche des Neuen Testaments keine götthichmen Gebote in Bezug auf Speise, bestimmte Feiertage und andere äussere Ordnungen gebe. Insonderheit bekennt sie


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vom Sonntag, dass er nicht göttlichen Gebots, sondern menschliche Ordnung, kirchliche Einrichtung sei. Unsere Kirche stellt den Sonntag auf gleiche Stufe mit Weihnachten, Ostern, Pfingsten und anderen kirchlichen Feiertagen. — Es ist ja auch in der amerikanisch-lutherischen Kirche ein Streit über die Lehre vorn Sonntag geführt worden. Luthierische bSynoden behaupteten, die Lehre vom Sonntag sei eine offene Frage. Sie beriefen sich auf den Umstand, dass auch ältere lutherische Theologen verschiedene Ansichten über den Sonntag gehabt haben. Das ist nun wahr:

die späteren lutherischen Theologen sind hier von der Lehre des Wortes Gottes und von der Lehire unseres Bekenntnisses abgewichen und haben göttliches Recht für den Sonntag in Anspruch genom men. Aber unser Bekenntnis erkennt hier keine offene Frage an, es sagt ganz ausdrücklich: ,,die es dafür achten, dass die Ordnung vorn Sonntag für den Sabbath als nötig aufgerichtet sei, die irren sehr.“ Unser Bekenntnis sagt also, es sei ein Irrtum, zu behaupten, dass ein göttliches Gebot für den Sonntag vorhan. den sei. Und Gottes Wort ist in Bezug auf diesen Punkt so klar, wie es nur sein kann. Ich erinnere wieder an hoi. 2: ,,So lasset nun niemand euch Gewissen machen über Speise, oder über Trank, oder über bestimmte Feiertage, oder Neumonden, oder Sabbather.“ Luther sagt, hier hebe der heilige Geist durch den Apostel Pauhus den Sabbath ,,mit Namen“ auf. Darum ist es falsche Lehre, wenn jemand sagt, (lass der Sonntag göttliche Ordnung sei. Wer das behauptet, der hiebt den Unterschied zwischen dem Alten- und Neuen Testament in diesem Stück auf.

Unser Bekenntnis nennt hier auch die Quelle des Irrtums. Es ist die Vermischung des Alten- und Neuen Testaments. Das Bekenntnis sagt: ,,etiche Bischöfe sind mit dem Exempel des Gesetzes Mosis betrogen worden.“ Man schloss so: weil es im Alten Testament eineii bestimmten Feiertag gab und Gott so streng über demselben hielt, dass zum Beispiel ein Mann, der am Sabbath Holz auflas, mit der Todesstrafe belegt wurde, so müsse auch im Neuen Testament eine entsprechende göttliche Ordnung sein. Nein, hier soll gerade der Unterschied zwischen Alt- und Neuem Testanient gemerkt werden. Im Neuen Testament heisst es: ,,Lasset niemand euch Gewissen machen über Speise, oder über Trank, oder über bestimmte Feiertage. oder Neumonden, oder Sabbather.“ Der Sabbath des Alten Testaments gehörte mit zu den äusserlichen Satzungen, unter welchen das Volk im Alten Testament gefangen war; im Neuen Testament hat diese Knechtschaft aufgehört, und hier gilt die Mahnung des Apostels:  ,,So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus befreiet hat, und lasset euchi nicht wiederum in das knechitische Joch fangen.“ ,,lhr hahtet Tage, und Monden, und Feste, und Jahrzeiten“, ruft der Apostel aus, ,,Ich fürchte euer, dass ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet.“

Moderne Lutheraner sagen: wir sind zwar nicht an den sie-


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benten, wohl aber an den ersten Tag der Woche gebunden. Aber das ist rein ersonnen! Wir sind an gar keineii Tag gebunden laut des Ausspruchs des Apostels, Kol. 2, 16: ,,Lasset niemand euch Gewissen machen über bestinimte Feiertage.“ Noch andere moderne Lutheraner sagen: Freilich, nicht gerade an den ersten Tag der Woche ist mnan im Gewissen gebunden, aber doch an irgendeinen Tag der Woche; es muss einer aus sieben sein. Das ist ebenso verkehrt. Das heisst doch wieder das Gewissen an einen bestim mten Tag binden, nämlich an einen in regelmässiger Folge wiederkehrenden Tag. Nein, die Christen können jeden zweiten Tag oder dritten oder zehnten Tag oder auch jeden Tag zum Feiertag machen. Wie auch eine Gemeinde in unserer Synode die Einrichtung hatte, jeden Tag von 8—9 Uhr morgens Gottesdienst zu halten. Bedenken Sie: die Kirche Gottes im Neuen Testament hat einen Generalbefehl; sie soll das Evangelium, die Botschaft von dem Heil, welches durch Christum erworben ist, verkündigen; und zwar soll da.s Evangelium gerade auch in öffentlicher Versammlung verkündigt werden, wozu Gott das Predigtamt gestiftet hat. Daraus folgt nun, dass eine bestimmte Zeit und ein bestimmter Ort von den Christen vereinbart werden muss, um die Predigt des Evangeliums zu hören. Aber die Festsetzung dem- Zeit und des Orts hat Gott im Neuen Testament nicht selbst vorgenommen, sondern den Christen überlassen. Achten Sie auch darauf, dass unser Bekenntnis sagt: ,,der Sonntag ist von der Kirche als Exempel der christlichen Freiheit geordnet worden.“ Unser Bekenntnis sagt damit: die erste Kirche hat den Sonntag als öffentlichen Feiertag geordnet, um zu zeigen, dass die Christen Freiheit hätten, in diesen Dingen Bestimmungen nach ihrem Dafürhalten zu treffen. Diejenigen, welche für den Sonntag ein göttliches Gebot geltend machen, wollen aus diesem Exempel der Freiheit wiederum eine Knechtschaft machen.

Es ist auch überaus gefährlich für den Glaubeusstand der Christen, wenn nicht die Lehre von der christlichen Freiheit, auch gerade in Bezug auf den Sonntag, festgehalten wird. Es muss den Christen, wenn es die Gewissen zu berichten gilt, gesagt werden: am Sonntag zu arbeiten ist an sich ebensowenig Sünde, als an irgend einem andern Tag. Wenn das den Christen nicht gesagt wird, dann können sie darüber den Glauben verlieren. Wie nämlich? Die meisten Christen enthalten sich doch nicht am Sonntag aller Arbeit. Manche Christen sind auch durch äusserliche Verhältnisse genötigt, am Sonntag zu arbeiten, zum Beispiel in den Eisenschmelzereien, wo man am Sonntag das Feuer unter den Oefen nicht ausgehen lassen kann. Wenn nun die Christen in Bezug auf die christliche Freiheit, den Sonntag betreffend, nicht belehrt sind, dann arbeiten sie mit böscm Gewissen, und darüber verlieren sie den Glauben. Wer etwas tut, was er für Sünde hält, oder wer etwas tut, auch nur mit zweifelndem Gewissen, der fällt darüber aus dem Glauben. Darum sagt un-


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ser Bekenntnis dass diejenigen die Gewissen verwirren. welche darüber ,,Form oder Mass stellen, wiefern man am Feiertag arbei ten mag.“ Man mag am Feiertag oder Sonntag geradeso und in demselben Umfang arbeiten, wie an anderen Tagen, denn alle Tage sind im Neuen Testament gleich. Warum hassen wir denn am Sonntag von der Arbeit ab? Weil wir übereingekommen sind, am Sonntag in öffenthicher Predigt das Wort Gottes zu hören. Wir können nicht zu gleicher Zeit arbeiten und Gottes Wort hören. Dann kann noch ein anderer Umstand uns bewegen, uns der Arbeit ani Sonntag zu enthalten: wir sollen den Schwachen kein Aergernis geben. Es gibt schwache Christen, welche meinen, man dürfe am Sonntag nicht arbeiten. Und wenn diese nun uns arbeiten sähen, möchten sie auch veranlasst werden zu arbeiten — mit bösem Gewissen, worüber sie aus dem Glauben fallen könnten. So aber sollen wir unsere christlichie Freiheit nicht gebrauchen. Die christliche Freiheit soll im Dienst der Lieh>e stehen, wie der Apostel sagt: er wolle lieber im ganzen Leben kein Fleisch essen, als dass er auch nur einen Chiristen ärgerte und derselbe darüber Schaden nähme an seiner Seele.

Ein Christ darf natürh ich keine Arbeit am Sonntag tun, die von der weltlichen Obrigkeit aus staatlichen, das heisst, bürgerlichen Gründen (zum Beispiel der äusseren Ruhe -wegen) am Sonntag verboten ist. In diesem Falle muss ein Christ dem Gebot der Obrigkeit untertan sein, weil ihm Gottes Wort den Gehorsam nicht verbietet. Die Apologie sagt (Seite 260, 52):

,,Auch so ziehen sie (die Papisten) an aus der Epistel Ebr. 5: ,Ein jeglicher Hohepriester, der aus den Menschen genommen wird, der wird gesetzt für die Menschen gegen Gott, auf dass er opfere Gaben und Opfer für die Sünde.‘ Da schliessen sie: nachdem im Neuen Testament Bischöfe sein und Priester, so folget, dass auch ein Opfer müsse sein für die Sünde. Dieses nun möchte am meisten die Ungehehrten und Unerfahrnen bewegen, sonderhich wenn sie ansehen das herrliche Gepränge im Tempel und Kirchen, item die Kleidung Aaronis; da im Alten Testament auch viel Schmuck von Gold, Silber und Purpur gewesen, denken sie, es müsse im Neuen Testament gleich also ein Gottesdienst, solche Zeremonien und Opfer sein, da man für anderer Leute Sünde opfere, wie im Alten Testament.. Denn der ganze Missbrauch der Messe und päpstliche Gottesdient ist nirgendher kommen, denn dass sie haben wollen den MosisZeremonien nachfolgen, und- haben es nicht verstanden. dass das Neue Testament mit andern Sachen umgehet und dass solche äusserliche Zeremonien, ob man sie zur Kinderzucht braucht, sollen ihre Mass haben.“

Die Sühnopfer des Alten Testaments waren Vorbilder auf


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das Opfer Christi, das dieser in der Fülle der Zeit darbringen sollte. Nachdem nun Christus in der Fülle der Zeit sein Opfer dargebracht hat, haben die Vorbilder aufgehört. Nun ist der Kirche befohlen, nur eins zu tun: von diesem Opfer, das Christus für alle Welt gebracht hat, in aller Welt zu predigen. Für diese Predigt muss man allerlei äussere Ordnungen treffen. Aber das Treffen dieser Ordnungen hat Christus, wie schon vorhin erwähnt, den Christen selbst überlassen. Er hat nicht gesagt, dass sie nur an bestimmten Orten das Evangelium predigen sollen. Er hat auch nicht gesagt, dass die Christen nur zu einer besti nunten Zeit das Evangelium predigen sollten sondern sie sollen dies tun, wo sie nur Gelegenheit dazu haben. In Bezug auf äusserliche Ordnungen hat Gott in seinem Wort nur eine allgemeine Regel gegeben, mehr nicht. Die allgemeine Regel lautet: ,,Lasset alles ehrlich und ordentlich zugehien.“ Nach dieser allgemeinen Regel sollen die Christen selbst die Zeremonien und alle äusseren Dinge ordnen. Wer anders lehrt, der verwischt den Unterschied zwischen Alt- und Neuem Testament, der will die Kirche des Neuen Testaments wieder auf den Standpunkt der Kirche des Alten Testaments zurückschrauben. Im grossen Katechismus heisst es noch (Seite 401, 82)

,,Darum gehet nun dies (3.) Gebot nach dem groh)en Verstand uns Christen nichts an, denn es ein ganz äusserlich Ding -ist, wie andere Satzungen des Alten Testaments, an sonderliche IVeise, Person, Zeit und Stätte gebunden, welche nun durch Christum alle frei gelassen sind.“ (3. Gebot).

Jeder besondere Ort und jede besondere äusserliche Weise des Gottesdiensts ist aufgehoben im Neuen Testament. Christus zum Beispiel sagt Job. 4, 21 zum samaritanischen Weib: ,,Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten. Aber es kommt die Zeit, und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit.“ Ferner: ,,Prediget das Evangelium aller Kreatur.“ Damit sind besondere Bestimmungen über den Ort aufgehoben. Besondere Zeiten sind aufgehoben in der schon oft angeführten Stelle Kol. 2, 16: ,,So lasset nun niemand euch Gewissen machen über Speise, oder über Trank, oder über bestimmte Feiertage, oder Neumonden, oder Sabbather.“ — Dass im Neuen Testament keine besondere Personen zum Gottesdienst bestimmt sind, wie im Alten Testament, geht daraus hervor, <lass im Neuen Testament alle Christen den Nauten ,,Priester“ führen; nie heissen die Prediger im Neuen Testament Priester, sondern das Wort Priester ist im Neuen Testament eine Bezeichnung für alle Christen. Sie können das ganze Neue Testament von Anfang bis zu Ende durchlesen, Sie werden keine Stelle finden, wo die Prediger ,,Priester“, wohl aber viele Stellen, wo alle Christen Priester genannt werden. Der


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Priesterstand imn Ahtcn Testament war ein Vorbild des Christenstandes im Neuen Testament. In der Kirche des Neuen Testanients ist nicht etwa etlichen Personen ursprünglich die Predigt des Evangelium befohlen, sondern allen Christen. Matth. 28:  ,,Gehet hin und hehret ahle Völker“, Ist nicht nur den Aposteln als solchen gesagt, sondern diese Worte sind an alle Christen gerichtet, wie aus dem Zusatz hervorgeht: ,,Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Weht Ende.“ Nun haben aber die Apostel nicht bis an das Ende der Tage gelebt, wohl aber bleibt die christliche Klm-ehe bis an das Ende der Tage und diese ist daher im Neuen Testament ursprünglich mit der Predigt des Evangelium betraut.

Noch eins möchte ich kurz berühren und damit diesen Punkt abschliessen. Zur rechten Scheidung (les Alten Testaments vom Neuen gehört, auch die Scheidung von Kirche und Staat. Unter dem alten Bunde waren Kirche und Staat nicht geschieden. Gott wollte im Alten Testament sein Volk auch äusserlich von allen Völkern absondern, und dazu gehörte, dass die Obrigkeit im Alten Testament auch zugleich Jurisdiktion in der Kirchie hatte, inre divino. Im Alten Testament war Gottes Volk nicht bloss eine kirchliche, sondern auclm eine politische Gemeinde. Der König Josia handelte daher dem Willen Gottes gemäss, wenn er mit äusserer Gewalt den Götzendienst im Lande ausrottete. Ganz anders im Neuen Testament,. wo Gott nicht mehr ein Volk äusserlich absondern will von allen andern Völkern. Im Neuen Testament solleu nun Staat und Kirche völlig geschieden sein. Gottes Wort sagt ganz ausdrücklich, es solle nicht mit äusseren Waffen für das Reich Christi gekänipft werden. Zum Beweis genügt das Wort unsres Heilandes, Joh. 18, das er Pilatus gegenüber sprach:

,, Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden drob kämpfen (mit Waffengewalt), dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen.“ Darum irren alle Theologen und alle Kirchengemeinschaften sehr, welche sich für ihre Vermischung von Staat und Kirche auf das Beispiel der Könige des Alten Testaments berufen. Es geschieht dies auch von einigen lutherischen Theologen im 17. und 18. Jahrhundert. — Aber sonderlich gehört es zum Charakteristikumn der retormierten Sekten, dass sie Kirche und Staat in einander mengen und im Neuen Testament auch wieder eine Art Theokratie aufrichiten wollen. Calvin hat in Genf Kirche und Staat so in einander gemengt, dass kein Mensch mehr wusste, was Gottes- und was Weltreich sei. Hier in unsrem Lande arbeiten die Puritaner fortwährend auf die Einrichtung eines Gottesstaates hin. Immer und immer wieder will man Unterschriften sammeln für eine Petition, der Kongress möchte doch bestimmen, dass jeder Bürger der Vereinigten Staaten Christum als den obersten Herrscher anzuerkennen habe. So


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will man die Kirche bauen! Aber welche Torheit ist das, wenn man festhält, dass die Kirche die Gemeine der Gläubigen ist! Wenn alle Napoleons und alle Cäsars und alle Zaren aller Reussen ihre Macht vereinigen, so können sie nicht eine Seele zum Glauben an Christum bringen, oder auch nur in einer Seele den Glauben an Christum stützen; das tut allein Gott der heilige Geist durch das Wort des Evangeliums. Welche Torheit daher, die Kirche bauen zu wollen mit äusseren Machtmitteln, durch weltliche Waffen. Man muss erst gänzlich vergessen haben, was die christliche Kirche ist, nämlich die Gemeine der Gläubigen, ehe man darauf verfallen kann, Kirche und Staat mit einander vermengen und der Kirche durch die Machtmittel des Staates zu Hilfe kommen zu wollen. Wir Lutheraner stehen aber hier in Amerika mit unserer scharfen Scheidung von Kirche und Staat so ziemlich allein da. Aber wir wollen, soweit Gott Gnade gibt, auch in Bezug auf diesen Punkt, der Wahrheit unsern Mund leihen und, soviel in unserer Macht steht, darauf hinwirken, dass hier Kirche und Staat getrennt bleiben und so auch in diesem Stück Alt- und Neues Testament recht geschieden werden.

Sechzehnter Vortrag

In Bezug auf die Erkenntnis irdischer Dinge, Dinge, die in das Reich der Natur gehören, kann man sich bei Wahrscheinlichkeiten beruhigen. Wiewohl das Streben nach sicherer Erkenntnis auch in diesen Dingen durchaus löbhich ist, so werden wir es doch niemandem verdenken, wenn er sich den Schlaf nicht dadurch rauben lässt, weil er zum Beispiel nicht weiss, wie es am Nordpol aussieht, oder weil er bisher darüber noch keine bestimmte Ansicht gewinnen konnte, ob die Sonne von der Erde einige Tausend oder viele Millionen Meilen entfernt sei: Aber ganz anders steht es in Bezug auf die Erkenntnis der geistlichen Dinge> der Dinge, welche das Verhältnis des Menschen zu Gott betreffen, das ewige Wohl und Wehe des Menschen angehen. Hier genügt keine blosse Vermutung, keine blosse Wahrscheinlichkeit. sondern hier bedarf der Mensch der Gewissheit, der unerschütterlichen Gewissheit. Ungewissheit und Zweifel in diesen Dingen sind für ein aufgewachtes Gewissen unerträglich, ,,bitterer als der Tod“, wie unser lutherisches Bekenntnis sagt.

Sie könnten mir einwerfen: Gehen nicht die meisten Menschen in Ungewissheit über die geistlichen Dinge dahin, ohne dass ihnen dies unerträglich wäre? Die meisten Menschen lassen die Fragen: ,,Habe ich Gottes Gnade, oder lebe ich noch unter Gottes Zorn dahin?“ ,,Ist die Bibel die lautere Wahrheit, oder mit Irrtum verfälscht?“ ,,Sind die Artikel der christlichen Lehre göttliche Wahrheit, oder Menschenmeinungen?“ — Diese Fra-


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gen lassen die meisten Menschen auf sich beruhen, und wir merken an ihnen gar keine innere Qual: sie arbeiten, sie kaufen, verkaufen, sie studieren und grübeln, kurz, sie gehen den Werken ihres irdischen Berufs nach und tun als ob gar nichts darauf ankäme, dass sie in geistlichen Dingen ungewiss sind.

Das ist wahr. Aber dieser Zustand der Ungewissheit ist für den Menschen nur so lange erträglich, als sein Gewissen nicht aufgewacht ist. Es sind einem sohchen Menschen die Augen über sich selbst noch nicht aufgegangen, er hat noch nicht erkannt, dass er durch sein natürliches Wesen, durch alle sein Tun, vor Gott ein Objekt des Zornes Gottes ist, welcher ihn in die unterste Hölle verdammt. Sobald ihm aber die Augen über sich selbst aufgegangen sind, sobald er erkannt hat, dass er vor Gott fluch-und verdammniswürdig ist, dann ist ihm die Ungewissheit in geistlichen Dingen unerträglich, dann schreit sein Gewissen nach Wahrheit, nach gewisser Wahrheit, die ihn aus der Höhle errette.

Und ein Sünder kann zur Gewissheit kommen in diesen geisthichen Dingen, die sein Verhältnis zu Gott betreffen, sein ewiges Wohl und Wehe angehen. Dafür hat Gott selbst gesorgt.\ Gott hat den Menschen sein unfehlbares und deutliches Wort gegeben, in welchem er alles geoffenbart hat, was einem Menschen zur Erlangung der Seligkeit zu wissen nötig ist, und Gott hat auch die christliche Kirche beauftragt, diese gewisse Wahrheit, und nichts anders als diese gewisse Wahrheit zu predigen.

Eine Gemeinschaft, welche in diesen Dingen, die die Seligkeit betreffen, mit ungewissen Dingen umgeht, welche ihre einzelnen Glieder weder ihres persönlichen Gnadenstandes, noch auch in Bezug auf die einzelnen Artikel der christlichen Lehre gewiss macht, eine solche Gemeinschaft ist eine falsche Kirche. Damit ist das Urteil gesprochen über die römische Kirche, über die schwärmerischen Sekten, und auch über die modernen Theologen. Denn teils sagen diese es ausdrücklich und frei heraus:

sie wollten die Christen garnicht gewiss machen in Bezug auf ihren Gnadenstand, in Bezug aüf die Glaubensartikel u. s. w, teils lehren sie solche Dinge, welche es nicht zu einer Gewissheit kommen lassen.

Ganz anders unsere lutherische Kirche! Die lutherische Kirche trägt auch in diesem Stück das Merkmal der rechtghäubigen Kirche an sich. These 19 lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche nimmt keine Lehre als eine Glaubenslehre an, die nicht als in Gottes Wort enthalten unwidersprechlich gewiss erwiesen ist.“

Das geziemt einer Gemeinschaft, die sich christliche Kirche nennt, denn so heisst es in Gottes Wort:

,,Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet.“ Ebr. 11, 1.

,,Ein Bischof halte ob dem Wort, das gewiss ist und


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lehren kann.“ Tit. 1, 9.

,,Wir haben ein festes prophetisches Wort.“ 2 Pet.

1, 19.

Da hiernach nur der ein christlicher Glaube ist, welcher eine ,,gewisse Zuversicht“ ist, so hat ein Christ mit einer angeblichen Wahrheit, die auf einer nicht unwidersprechlich gewissen, nur möglichen, nur wahrscheinli chien, richtigen Auslegung der Sch rift beruht, nichts zu schaffen.

Eine Auslegung, welche nur einen m öglichen oder wahrscheinlichen Sinn zu Tage fördert, verdient garnicht den Namen einer Auslegung der Schrift. Ist es einem Exegeten nicht möglich, den gewissen Sinn einer Stehle aufzuzeigen, dann soll er sagen: ich verstehe die Stehle nicht und kann daher keine Auslegung von dieser Stelle geben. Denn eine nicht gewisse Auslegung, eine Auslegung, auf welche nicht der Glaube der Christen sieh stützen kann, ist eben gar keine Auslegung. Eine solche Auslegung hat nicht den mindesten Wert in der christlichen Kirche. Wert hat in der christlichen Kirche nur das, was als gewisse göttliche Wahrheit vorgelegt und erkannt werden kann; mit Probabilitäten gibt sich die christliche Kirche nicht ab.

Es heisst in der Apohogie (Seite 191, 31):

,,Gute Gewissen schreien nach der Wahrheit und rechtem Unterricht aus Gottes Wort, und den selbi gen ist der Tod nicht so bitter, als bitter ihnen ist, wo sie etwa in, einem Stücke zweifeln.“

Das ist aus der Erfahrung geredet. Wollen wir die Gewissen der Christen recht berichten, so müssen wi.r sie der Vergebung der Sünden und aller Artikel der christlichen Lehre gewiss machen. Wenn unsre Arbeit nicht dies Zieh verfolgt und diese Wirkung lud, dann hat sie nicht das rechte Ziel und die rechte Wirkung. Die christliche Kirche ist keine Philosophenschule. In der Philosophenschuhe erwägt man das pro und contra, und kommt dann gewöhnlich schliesslich überein, die Sache auf sich beruhen zu hassen — und das ist das Vernünftigste. Die Philosophen kommuen trotz aller Bemühung nicht hinter das, was sie erforschen wollen. ,,In das Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist“, nämlich nach dem Sündenfall. Und die Tatsache braucht uns nicht das Herz zu verbrennen. Aber in der christlichen Kirche steht es ganz anders. Da handelt es sich um Seligkeit und Verdammnis. Und da braucht man gewisse Wahrheiten, die durch alle Anfechtungen, auch durch die Fluten des Todes hindurch retten. Wenn Sie mit einem Menschen zusammenkommen, der garnichts darum gibt, ob er in Bezug auf den Glauben irre oder nicht, so können Sie überzeugt sein, dass sein Gewissen noch nicht von dem göttlichen Gesetz getroffen ist; er hat noch nicht erkannt, wie es mit ihm steht; er weiss noch nicht, dass er durch seinen natürlichen Zustand und durch sein Tun ein Kind


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der Hölle ist. Wer dies aber erkannt hat, der will dann auch die gewisse Wahrheit erkennen. Der Indifferentismus in der christ Jichen Rehigion hat seine Ursache immer darin, dass keine rechte Sündenerkenntnis vorhanden ist. Ist Sündenerkenntnis da, dann fragt man auch: was ist gewisse Wahrheit? — Die christliche Kirche nun lehrt die gewisse Wahrheit, welche die Christen bedürfen. Luther schireibt darüber (XVII, 1080 ff)

,,Die heilige christliche Kirche - - ist nicht ein Rohr noch Zahlpfennig. Nein, sie wanket nicht und gibt nicht nach, wie des Teufels ilure, die päpstliche Kirche

-,        sondern sie ist, spricht Paulus 2 Tim. 3, 15, ein Pfeiher und Grundfeste der Wahrheit. Sie stehet feste, spricht er, ist eine Grundfeste und fester Grund, dazu nicht ein falscher oder Lügengrund, sondern ein Grund der Wahrheit, leugnet und trüget nicht, gehet nicht mit Lügen um. Was aber wanket oder zweifelt, das kann nicht Wahrheit sein. Und wozu wdre nütze oder not in der Welt eine Kirche Gottes, wenn sie wollte wanken und ungewiss sein in ihren Worten oder alle Tage was Neues setzen, jezt das geben, jetzt das nehmen? Ja, wozu wäre ein solcher Gott nütze, der uns also wollte wanken und zweifeln lehren? Wie der Papisten Theologia lehrt, man müsse zweifeln an der Gnade; davon sonst genug ist geschrieben. Denn wo sonst die Papisten in allen Sachen hätten gewonnen, sind sie doch in diesem Hauptstück verloren, da sie lehren, dass man zweifeln müsse an Gottes Gnaden. .. Die Lehre . - gehöret nicht in das Vaterunser, da wir sagen: Vergib uns unsere Schuld! denn sie nicht unsers Tuns, sondern Gottes selbst eigen Wort ist, der nicht sündigen, noch unrecht tun kann. Denn ein Prediger muss nicht das Vaterunser beten, noch Vergebung der Sünden suchen, wenn er gepredigt hat (wo er ein rechter Prediger ist), sondern uiuss mit Jeremia sagen und rühmen Jer. 17, 16:  ,HErr, du weissest, das aus meinem Munde gangen ist, das ist recht und dir gefällig‘, ja, mit St. Pauho, allen Aposteln und Propheten trotziglich sagen: Haec dixit Dominus, das hat Gott selbst gesagt. Et iterum (und wiederum): Ich bin ein Apostel und Prophet JEsu Christi gewesen in dieser Predigt. Hier ist nicht not, ja, nicht gut, Vergebung der Sünde zu bitten, als wäre es unrecht gehehret; denn es ist Gottes und nicht mein Wort, das mir Gott nicht vergeben soll noch kann, sondern bestätigen, loben, krönen und sagen: Dii hast recht gehehret, denn ich hab durch dich geredet und das Wort ist mein. Wer solches nicht rühmen kann von seiner Predigt, der lasse das Predigen anstehen, denn er leugt


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gewisslich und lästert Gott. Wenn das Wort sollt Sünde oder unrecht sein, wornach wollte oder könnte sich das Leben richten? Da würde gewisslich ein Blinder den andern leiten und beide in die Grube fahlen, Matth. 15,

14.        Wenn die Bleischnur oder Winkeleisen falsch oder krumm sollt sein, was wollte oder könnte der Meister darnach arbeiten? Da würde eine Krümme die andere machen ohn Ende und Masse. Also auch hier kann das Leben wohl Sünde und unrecht sein, ja, ist leider allzu unrecht: aber die Lehre muss schnurrecht und gewiss, ohne alle Sünde sein. Darum muss in der Kirche nichts, denn allein das gewisse, reine und einige Gottes Wort gepredigt werden. Wenn das fehlet, so ist‘s nicht mehr die Kirche, sondern des Teufels Schule. .. Das ist nun alles dahin geredet, dass die Kirche muss allein Gottes Wort lehren und des gewiss sein, dadurch sie der Grund und Pfeiler der Wahrheit und auf den Felsen gebauet, heilig und unsträflich heisst; das ist, wie man recht und wohl sagt: Die Kirche kann nicht irren; denn Gottes, Wort, welches sie lehret, kann nicht irren. Was aber anders gelehret, oder Zweifel ist, ob‘s Gottes Wort sei, das kann nicht der Kirchen Lehre sein.“

Also, die christliche Kirche hat die Wahrheit, und sie halt an der Wahrheit unverrückt fest. Das ist die Art der christlichen Kirche, von Gott ihr gegeben. Sie schliesst auch keinen Kompromiss mit den Ungläubigen oder Irrgläubigen, sondern sie bekennt ihrer Art gemäss die ganze geoffenbarte Wahrheit. 1 Tim. 3, 15 heisst die christliche Kirche ,,das Raus Gottes“, ,,die Gemeinde des lebendigen Gottes“, ,,ein Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit.“ Wie in einem Lande, allen Bewohnern des Landes erkennbar, die Gesetze an einer Sätile angeschlagen sind, so hat Gott die christliche Kirche gleichsam als eine Säule in die Welt hineingestellt, von welcher jedermann die göttliche Wahrheit ablesen kann. Die christliche Kirche nämlich hat von Gott sein geoffenbartes Wort erhalten, und dies geoffenbarte Wort bekennt die Kirche. So ist die Kirche eine Säule und Grundfeste der Wahrheit. Die christliche Kirche gibt sich mit nichts andrem ab, als mit Wahrheit. Insofern eine Kirchengemeinschaft nicht die göttliche Wahrheit bekennt, wie sie in Gottes Wort geoffenbart ist, ist sie eben keine Kirche, sondern eine Sekte. Die Kirche, insofern sie Kirche ist, ist nur der Mund Gottes, redet nur was Gott in seinem Wort ihr zu reden aufgetragen hat. So ist die Kirche, als Kirche, lediglich eine Säule der Wahrheit, nie eine Säule der Lüge.— Die christliche Kirche, als solche, geht auch mit nichts anderem um, als mit Gewissheit. Insofern eine kirchliche Gemeinschaft Ungewissheiten lehrt, zweifelhafte Dinge vorträgt, oder Zweifel


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erregt, insofern hat sie wiederum nicht den Gott gewohlten Charakter der christlichen Kirche an sich.

Die christliche Kirche sucht nicht erst die Wahrheit, sondern sie hat die Wahrheit. Es hat für unerfahrene Leute einen grossen Schein, wenn jemand sagt: die Christen sollten nicht so gewiss behaupten, dass sie die Wahrheit hätten, sondern bekennen, dass sie redlich bemüht seien, die Wahrheit zu finden; es gezieme sich daher auch für die Christen nicht, dass sie so bestimmt den abweichenden Ansichten die Berechtigung absprächen u. s. w. Welche Torheit! Die christliche Kirche ist nicht ein Verein zur Entdeckung der seligmachenden Wahrheit, sondern ein Verein zur Verkündigung der seligmachenden Wahrheit. Der Herr Christus hat seiner Kirche hier auf Erden nicht den Auftrag gegeben: ,,Geliet hin und entdeckt das Evangelium“, sondern: ,,Gehet hin und predigt das Evangelium.“ Dieser Auftrag, von Christo der Kirche gegeben, setzt voraus, (lass die christliche Kirche im Besitz der seligmachenden Wahrheit ist. Eine Kirche, die sich stellt, als ob sie die Wahrheit erst finden, entdecken müsse, stellt sich dadurch vor allen, die urteilen können, das Testimonium aus, dass sie nicht eine rechtgläubige Kirche ist, eine Kirche, wie sie Christus hier auf Erden gewollt hat. Denn Christus will von seiner Kirche auf Erden, dass sie die Wahrheit verkündige, predige, nicht erst suche.

Wie kommt es denn, dass die christliche Kirche bereits im Besitz der Wahrheit ist, die Wahrheit nicht erst zu entdecken, sondern nur zu verkündigen braucht? Das kommt daher, dass der Herr Christus der Kirche die Wahrheit in der Schrift geoffenbart hat. Die Kirche braucht daher nur das klare Wort der heiligen Schrift in den Mund zu nehmen und zu verkündigen, dann offenbart sie der Welt die Wahrheit. Nur unter einer doppelten Voraussetzung wäre die Kirche in der Lage, die Wahrheit selbst finden zu müssen. Wenn nämlich entweder Gott ihr die Wahrheit nicht in seinem Wort offenbart hätte, oder wenn die Wahrheit doch nicht in ihrem vollen Umfang, oder nicht deutlich geoffenbart wäre. Nun ist aber beiderlei Voraussetzung nicht richtig. Gott hat der Kirche in der heiligen Schrift seine Offenbarung gegeben, und diese Offenbarung deckt alles, was die christliche Kirche zu verkündigen hat. Alle Lehren sind klar und vollständig vorgelegt, keine Lehre ist dunkel oder bloss ansatzweise. in der heiligen Schrift offenbart, so dass nun erst durch die Arbeit der Kirche die Lehre fertig gestellt werden musste.

Doch da werden Sie vielleicht fragen: Gibt es denn in der Kirche gar kein Forschen nach der Wahrheit? Allerdings! In der Kirche gerade wird auf das eifrigste, ernstlichste, anhaltendste geforscht, aber nicht in dem Sinn, um erst die Wahrheit zu entdecken, sondern um die klar in der Schrift geoffenbarte Wahrheit in sich aufzunehmen und weiter zu geben. Nur in diesem


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Sinn wird in der Kirche geforscht. Nicht also, um etwas erst zu offenbaren, was noch nicht geoffenbart ist, etwas zu entdecken, was noch nicht vorläge, sondern um das klar von Gott Geoffenharte zu vernehmen und demselben den Mund zu heilten. In diesem Sinn wird in der christlichen Kirche unablässig geforseht. Die Christen haben auch noch das Fleisch an sich, daher müssen sie die Gewissheit, die sie haben immer wieder befestigen und stärken durch das Forschen in der heiligen Schrift. Luther sagt:  Müssten auch die Christen noch daran zweifeln, ob sie die‘ Wahrheit haben, so wären sie im wesentlichen nicht besser daran als die Gottlosen; ja, sie wären im wesentlichen nicht besser daran als die Atheisten, welche sagen: Es ist kein Gott. Denn wenn ich nicht weiss, dass Gott mir gnädig ist und ich den rechten Glauben habe, dann habe ich für mich noch keinen‘ Gott, dann gehe ich noch als ein atheos in der Welt umher. In diesem‘ Sinn sagt Luther: ,,Ja, wozu wäre ein sohcher Gott nütze, der uns also wollte wanken und zweifeln lehren?“ Luther nennt die Ungewissheitslehre der Römischen. eine Ungeheuerlichkeit (monstrum) - Wenn wir von einer Kirchengemeinschaft weiter nichts wissen als dies‘: dass‘ sie‘ die Sünder nicht der Gnade in Christo und der Seligkeit gewiss sein lassen und die einzelnen Christen nicht in Bezug auf die Glaubensartikel gewiss machen will — ich‘ sage, wenn wir Weiter nichts von einer Kirchengemeinschaft wissen, so ist das schon‘ genug, um zu erkennen: Das ist keine recht-gläubige Gemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft hat sich vor aller‘ Welt ein testimonium heterodoxiæ ausgestellt.

Merken wir wohl, wie es — nach Luther — bei. einem Prediger stehen soll. Ein rechter Prediger soll nicht nur nichts anderes als Gottes lauteres Wort predigen, ndern er soll auch gcwiss‘ sein, dass er nichts- als Gottes Wort predigt Der Prediger muss gewiss sein, dass jeder Satz, den er in der Predigt sagt, nicht Menschengedanken, sondern Gottes Gedanken, in der heiligen Schrift geoffenbart, enthält. Trifft ein Prediger in seinem Predigtmanuskript nur einen Satz, den er nicht aus Gottes Wort beweisen kann, so macht er sofort einen dicken Strich durch diesen Satz. Denn der Prediger ist dazu da, dass Gott durch ihn rede, nicht dass er für sich selbst dastehe und seine eigenen Gedanken vor-trage. Wer solches nicht von sich rühmen kann, der soll — nach Luther — das Predigen anstehen lassen. Bedenken Sie: die Kirche ist Kirche dadurch, dass in ihr Gottes Wort erschallt. Insofern in der Kirche nicht mehr Gottes Wort erschallt, ist die Kirche nicht Kirche oder Gottes Haus, sondern ein Menschenhaus; ja, des Teufels Haus, denn der Teufel treibt dazu an, in der Kirche etwas anders als Gottes Wort zu lehren. Luther sagt hier: Die Kirche kann nicht irren. Anderswo sagt Luther: ,,Die Kirche kann irren.“ Beides ist richtig in verschiedener Beziehung. Hier sagt er: ,,Die Kirche kann nicht irren.“ Inwiefern nicht? Er setzt hinzu: ,,Denn Gottes Wort, welches sie lehret, kann nicht


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irren.“ Die Kirche als Kirche lehrt Gottes Wort und nichts als Gottes Wort; darum kann die Kirche als Kirche nicht irren. weil Gottes Wort die lautere Wahrheit ist.

Wenn zum Beispiel in unserer Mitte aus Schwachheit und nebenbei etwas Falsches gelehrt wird, so ist das nicht die Lehre der Kirche, sondern das ist dann die Lehre der betreffenden Person. Die Kirche als Kirche hat es nur mit Gottes Wort zu tun. Wir erkennen nichts als Lehre der Kirche an, als was in Gottes Wort geoffenbart vorliegt. Die Lehre der Kirche und die Lehre des Wortes Gottes decken sich. Wir nennen ja auch noch die Sektengemeinschaften ,,Kirchen“; wir reden zum Beispiel von der Methodistenkirche, Baptistenkirche; aber wir legen diesen Gemeinschaften den Namen ,,Kirchen“ bei, insofern sie noch Stücke von Gottes Wort haben, insofern sie von Gottes Wort abweichen, also irren, nennen wir sie nicht ,,Kirchen“, sondern ,,Sekten.“

Wir haben diesen Gegenstand vor drei Jahren in Milwaukee bei der Synodalkonferenz behandelt. Ich hatte in einem Referat unter anderem den Satz ausgesprochen: ,,Wir können nicht irren, oder sind in der Lehre unfehlbar, insofern und weil wir auf Gottes Wort stehen, wie es lautet.“ Dieser Satz macht seit zwei Jahren in Deutschland die Runde. Man stellt sich entsetzt über denselben. Man sollte es kaum für möglich halten, dass man innerhalb der Christenheit die Richtigkeit dieses Satzes bezweifelt. Gibt es denn überhaupt noch Wahrheit in der Welt, wenn man auch dann noch irren kann, wenn man auf Gottes Wort steht, wie es lautet? wenn man Gottes Wort redet, wie es lautet? Dann hört eben alles auf, dann schliessen wir die Bibel und viele andere Bücher, auch unsere Kirchen schliessen wir dann zu und sprechen mit Pilatus: ,,Was ist Wahrheit?“

Uebrigens hatte ich mich ganz ausdrücklich gegen alles Missverständnis verwahrt. Ich will Ihnen vorlesen, was ich damals sagte. In dem Bericht vom Jahre 1888 heisst es auf Seite 18:  ,,Wir gestehen zu, dass wir persönlich irren können, ja, dass wir, wenn es auf uns ankommt, in geistlichen Dingen nur irren können. Aber in der Lehre irren wir nicht, sondern wir sind unfehlbar, insofern und weil wir auf Gottes Wort stehen, wie es lautet.“ Weiter heisst es: ,,Wir reden, wie Gottes Wort redet. Wir brauchen in allen Lehren nur nachzusagen, was Gottes Wort uns so deutlich vorsagt; das ist unsere ganze Kunst. ,,Die lutherische Kirche behauptet nur deshalb im Besitz der gewissen, ganzen Wahrheit zu sein, weil sie das gewisse, ganze Wort Gottes annimmt, wie es lautet.“ Wenn Luther sagt: Die Kirche kann nicht irren, denn Gottes Wort, welches sie lehret, kann nicht irren, so ist das genau dasselbe. Lassen Sie sich nicht aus dieser hutherischien Position drängen; sonst müssen Sie sich in das Meer der Ungewissheit stürzen. Man sagt wohl: Ja, Gottes Wort kann aber verschieden ausgelegt werden. Das ist nicht wahr! Gottes


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Wort kann nicht verschieden ausgelegt werden, sondern Gottes Wort hat in einem bestimmten Zusammenhang immer nur einen bestimmten Sinn; und wir stehen nicht auf den Auslegungen des Wortes Gottes, von Menschen gegeben, sondern auf Gottes Wort selbst. ,,Alle Artikel der christlichen Lehre sind an irgend einer Stelle in der Schrift mit klaren, unzweideutigen Worten geoffenbart“, wie Gerhard sagt, in solchen Worten, die garnicht erst der Auslegung bedürfen, so dass man sagen könnte: es kommt erst auf die Auslegung an. Die ganze christliche Lehre ist an solchen Stehlen geoffenbart, zu welchen Gelehrten und Ungelehrten der Zugang gleichermassen offen steht.

Siebenzehnter Vortrag

Zu den Verkehrtheiten, welche zu unserer Zeit in der äusseren Christenheit sehr weit verbreitet sind, gehört auch die, dass man da eine Gewissheit affektiert, wo Zweifel am Platze sind, und dass man da dem Zweifel das Wort redet, wo man gewiss sein kann und gewiss sein soll. So nimmt man in unseren Tagen eine Gewissheit in Anspruch für viele sogenannte Resultate der Wissenschaft, welchen gegenüber man doch‘ noch zweifeln darf. Ich verweise Sie nur auf die Forschung auf dem Gebiete der Astronomie. Der grösste Teil der zivilisierten Welt nimmt heutzutage das sogenannte kopernikanische System als ausgemachte Wahrheit hin. Als vor mehreren Jahrzehnten der Berliner Pastor Knak öffentlich Zweifel an der Richtigkeit des kopernikanischen Systems aussprach, ging eine Entrüstung durch die ganze Welt. In Berlin und an andern intelligenten Orten hielt man Entrustungsversammlungen ab. Der Stadtverordnetenvorsitzer Kochhan in Berlin berief eine Versammlung der Berliner Intelligenz, und die Versammlung beschloss feierlich, dass das kopernikanische System richtig sei. Und doch ist auch nach dein Urteil grosser Astronomen vom Fach das kopernikanische System nur eine Hypothese. 5o stellt man sich in Bezug auf die natürlichen Dinge, welche der menschlichen Forschung unterliegen. Dagegen will man von einer Gewissheit in geistliehen Dingen wenig wissen. Man redet dem Skeptizismus das Wort. Ja, die Gewissheit in geistlichen Dingen ist nicht nur der Weht, sondern auch vielen, die Christen sein wollen und auch wirklich sind, anstossig. Der Christ wird für fanatisch, bigott, hochmütig gehalten, welcher behauptet, dass er seines Glaubens so gewiss sei, dass er die entgegenstehenden, abweichenden Ansichten als unberechtigt zurückweisen müsse. Hingegen wird es für eine Tugend gehalten, wenn jemand wenigstens die Möglichkeit zugibt, dass er sich in seinem Glauben irren könne und demgemäss auch den abweichenden Ansichten eine Berechtigung zugestehe. Doch das heisst die verkehrte Welt spielen.


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Unsere Kenntnis in irdischen Dingen ist naturgemäss eine unvollkommene und ,in vielen Dingen nicht zur Gewissheit führende, weil sie auf der unvollkommenen menschlichen Forschung beruht. Dagegen in geistlichen Dingen kann und soll der Mensch eine vollkommene Gewissheit haben. Zu dem Zweck hat Gott den Menschen alle geistlichen Dinge klar und deutlich in seinem Wort geoffenbart und sie nicht der Entdeckung der Menschen überlassen. Zu dem Zweck gibt Gott auch in eines jeden Christen Herz den heiligen Geist, dessen Amt und Werk es ja gerade ist, durch das Wort und in dem Wort die Christen gewiss zu machen.

Die Christen heissen in der Schrift die Gläubigen. Glauben aber heisst nicht zweifeln, sondern auf Grund des Wortes Gottes gewiss sein. Kurz, man muss den Zweck der heiligen Schrift leugnen, und man muss alles aufgeben, was die heilige Schrift vom Christentum und von den Christen sagt, wenn man dem Zweifel und der Ungewissheit in geistlichen Dingen das Wort reden will.

Freilich, tatsächlich kommen ja viele Zweifel unter den Christen vor; aber wir sagen: leider! Es kommt das daher, dass auch den Christen noch das böse Fleisch anhängt und dass sie, dein Fleisch nach, sich das klare Wort Gottes aus den Augen rücken lassen. Wenn dagegen ein Christ, wie es doch sein soll, bei der Erörterung des christlichen Glaubensartikels Gottes klares Wort auf sich einwirken lässt, dann muss der Zweifel schwinden und die Gewissheit ins Herz einziehen. Dass dies der Standpunkt der lutherischen Kirche sei, und dass die lutherische Kirche hierin das Merkmal der rechtgläubigen Kirche an sich trage, darüber lassen Sie uns noch einige Worte Luthers hören.

Luther Führt in seiner Auslegung des 15. und 16. Kapitels der ostelgeschichte ganz gewaltig aus, dass jeder Christ der rechten Lehre für sich selbst gewiss sein müsse und dass er die-se Gewissheit aus dem Worte Gottes zu Schöpfen habe; er soll nieht etwa warten, bis Konzilien oder einzelne gelehrte Leute be schlossen haben, was nun nach Gottes Wort recht und nicht recht sei. Luther schreibt (VIII, 1032 ff):

,,Wir lernen hier (Apostg. 15), dass sich ein jeglieber selbst vorsehen muss, dass er der rechtschaffenen Lehre gewiss und sicher .sei und stelle es nicht auf anderer Leute Oertern und Schliessen; wo nicht, soll dich der heilige Geist bald eine Schlappe lassen sehen. Sollst du selig werden, so musst du des Worts der Gnaden so gewiss für dich selbst sein, dass, wenn alle Menschen anders sprächen, ja, alle Engel Nein sagten, du dennoch könnest allein stehen und sagen: Noch weiss ich, dass dies Wort recht ist; und das darum: denn die wider uns sind, haben ,keinen stärkeren Behelf, den sie aufwerfen, denn dass sie sagen: Ja, sollte Gott die Welt mit so viel gelehrten, frommen, heiligen Leuten so lange im Irrtum lassen bleiben? Darum meinem sie, wo der mei-


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ste Haufe hinfällt, da soll man hinnach; darauf beharren sie und schreien: Auf unserer Seiten sind so viel und grosse Leute, darzu solche lange Zeit und Gewohnheit, darum können wir nicht irren. Denen halte du das für die Nase und sprich: Sollen die Grössten, Meisten und Gelehrtesten schliessen und setzen, warum ist denn hier geschrieben, dass fiber der Hauptsache des christlichen Glaubens dahin fahlen die allerbesten Christen bis auf drei Personen, die allein ritterlich stehen? .. Darum habe ich gesagt, dass ein jeglicher Christ der Sache so gewiss müsse sein, dass er in seinem Herzen fühle, was recht und nicht recht sei, wie Christus sagt Joh. 10, 3. 5:  ,Meine Schafe hören meine Stimme und kennen mich; der Fremden Stimme kennen und hören sie nicht.‘ Das Schaf muss der Stimme gewiss sein, Augen und Ohren zutun und nichts hören wollen, wie grosse, viele, weise. fromme Leute es sein. Tut es dasselbige nicht, hässet die ,Sicherheit fahren und will erst hören, was endlich geschlossen wird, so ist es schon verführt von dem Hirten. Solches hat Gott uns angezeiget in diesem ersten Konzilio. Er lässet‘s geschehen, dass dii deinen Glauben stärkest durch frommer Leute Zufallen, die es mit dir halten; so ferne, dass du nicht drauf traust, als könne dir‘s nicht fehlen. Nimm es an, verlass dich aber nicht darauf. Der heilige Geist hat es nicht verheissen, dass er in den Konziliis wolle sein, sondern in den Herzen der Christen, die Er weiss. .. Daher ist je klar, dass die Konzilia ungewiss sind und mit nichten drauf zu hauen ist. Denn nie keines so reine gewesen ist, es hat einen Zusatz und Abbruch dem Glauben getan; und je neuer, je ärger, bis zuletzt, da sie zu Kostnitz die heiligen Männer Johann fluss und flieronymum von Prag verbrannt haben.“

So ganz und gar unabhängig von Menschenautorität soll der Glaube eines Christen sein und ,sich einzig und allein auf Gottes klares Wort verlassen, dass, wenn ihm alle Menschen widersprächen, er, für seine Person, dennoch bei Gottes Wort bliebe. Das ist nötig! Weshalb? In der Aufechtung und Todesnot steht der Christ ganz allein vor seinem Gott, da können andere Menschen nicht für ihn eintreten. Hat er nun seinen Glauben auf Menschenautorität gegründet, dann wird er sehen, dass sein Glaube auf Sand gebaut war. Dass jeder Christ für seine Person sich fest auf Gottes Wort gründe, ist ferner der Irrlehrer wegen nötig. In der -Schrift ist ja vorhergesagt, dass es nicht bloss rechte Lehrer geben, sondern auch viel falsche Propheten bis an den jüngsten Tag in der Kirche auftreten werden, und zwar solche falsche Propheten, welche <sich auf die Schrift berufen und den Schein grosser Heiligkeit haben. Wenn nun ein


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Christ nicht gelernt hat, sich auch gegen eine grosse Zahl von Dissentierenden, und zwar auch solcher, die ein grosses Ansehen haben, auf Gottes Wort zu gründen, dann wird er sich verführen hassen. Darum hat Christus die Christen nicht auf andere Leute, auf Konzilien u. s. w. verwiesen, sondern auf seine (Christi) Stimme, die in der heiligen Schrift vorliegt. ,,So ihr bleiben werdet an meiner Rede . ., so werdet ihr die Wahrheit erkennen.“ Darum soll auch ein Christ mit der Gewissheit nicht warten wollen, bis er Konzilien gehört hat, sondern er soll die Stimme seines Hirten, wie dieselbe in der Schrift erklingt, hören und dann gew iss sein. Man könnte fragen: Ist denn das Urteil anderer Leute von gar keinem Belang und Nutzen für den Christen? Allerdings, von dem grössten Nutzen. Unsere Kirche hat die Testimonia der alten Lehrer immer für sehr wichtig gehalten. Aber die Zustimmung anderer Christen in bestimmten Lehren dient nur dazu, unsern Glauben zu stärken, nicht, ihn zu begründen. Der Grund des Glaubens muss immer bleiben Gottes Wort und Gottes Wort allein. Niemand soll zu seiner Seele sagen: nun lehrst du recht, glaubst du recht, denn andere Leute lehren und glauben auch also. Luther erinnert daran, dass es mit den Konzihien ein unsicheres Ding sei. Wer gibt Bürgschaft, dass die Leute, welche in den Konzihien sitzen und urteilen, überhaupt Christen sind? Und, wenn man zugibt, dass es Christen seien, wer gibt uns Gewissheit, dass diese Christen in diesem bestimmten Fall nach Gottes Wort urteilen und dass es nicht nach dem Fleisch bei ihnen zugegangen ist? Kurz, Konzilien können durch ihre Beschlüsse den Christen nicht gewiss machen. Konzilien, auch die besten, können immer nur beratende Körper sein. Wenn Konzihien etwas aus Gottes Wort bewiesen haben, dann nimmt es ein Christ an, aber nicht, weil es die Konzilien ausgesprochen, sondern weil die Konzil ien Gottes Wort gebracht haben.

Selbst das Konzilium zu Nicäa, das ja insonderheit die rechte Lehre von der Gottheit Christi bekannt hat, hat doch in anderen Stücken, zum Beispiel in den Stücken, welche die christliche Freiheit anlangt, schon geirrt. Und die Konzihien wurden immer schlechter, wie Luther richtig sagt. Schliesslich kam es mit den Konzilien dahin, dass von ihnen gerade die Zeugen Jesu verurteilt und getötet wurden. Luther weist auch darauf hin, dass ein bloss möglicher Sinn einer Schriftstelle von gar keinem Nutzen in der christlichen Kirche sei. Er schreibt (XIX, 1604 f):

,,Das ist nicht genug, zu sagen, solcher Spruch möge ihren Verstand geben, sondern sie müssen beweisen, dass er solchen Verstand erzwinge und dringe. Man muss in diesen Sachen gewiss fahren, die das Gewissen betreffen, und nicht darauf stehen und sagen: es mag also verstanden werden. Mögen und müssen ist nicht eins; du musst beweisen, es müsse also und nicht anders verstanden werden. So lange du solch ,müssen‘ nicht be-


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weisest, bringet dein Spruch und Verstand nichts.“

Gott hat die heilige Schrift so eingerichtet, dass man aus ihr die rechte Lehre nicht bloss entnehmen kann, sondern entnehmen muss, so lange man bei den Worten der Schrift bleibt und sich dieselben nicht aus den Augen rücken lässt. Irren in der christlichen Lehre ist erst dann möglich, wenn jemand das Wort Gottes beiseite schiebt, oder sich verkehren lässt. So lange jemand seine Blicke auf Gottes Wort gerichtet sein lässt und keinen anderen Gedanken in seinem Kerzen Raum gibt, als durch die klaren Worte der heiligen Schrift in ihm hervorgerufen werden, so lange ist ein Irren garnicht möglich. — Die Worte der Schrift lassen nicht nur nicht verschiedene Auslegungen zu, sondern sie protestieren auch gegen jede falsche Auslegung. Jede falsche Auslegung ist eine Vergewaltigung des Schrifttextes. Gegen alle falschen Lehren, welche im Lauf der Zeit in der Kirche auf die Bahn gebracht sind, erheben so und so viele klare Schriftstehhen ihre Stimme und schreien: ,,Das ist falsch, das ist falsch !,, Es ist ganz töricht zu sagen, dass es sich zwischen uns Lutheranern und den Reformierten nur um eine verschiedene Auslegung der Einsetzungsworte handle. Es handelt sich garnicht um verschiedene Auslegung, sondern um den Text selbst. Die Reformierten haben für ihre Lehre keinen Text der Schrift, wie Luther oft erinnert.

Sie werden viehlecht fragen: Wie kommt‘s denn bei dieser Beschaffenheit der heiligen Schrift, dass auch rechtgläubige Lehrer manchmal noch viel über diese oder jene Lehre oder über diesen oder jenen Teil der Lehre disputieren? Das kann einen doppelten Grund haben: 1. kann es sich bloss um die begriffliche Formulierung handeln. Das ist oft der Fall. Man sucht gewissen Irrtümern gegenüber nach dem scharfen Ausdruck für die- Lehre, und erst nach längerem Disput einigt man sich über den vollkommen entsprechenden Ausdruck; 2. kann es vorkommen, dass auch rechtgläubige Lehrer bei einer Verhandlung über einen bestimmten Punkt sich das Wort der Schrift aus den Augen rücken hassen. Anstatt in die Schrift zu sehen und die klaren Schriftworte auf sich einwirken zu lassen, ergehen sie sich in eigenen Gedanken. Durch ihre eigenen Gedanken verhauen sie sich dann die Erkenntnis der rechten Lehre der &hrift. Dies ist ihre Schuld. Kurz, wenn man über eine Lehre nicht einig wird, so ist das nie die Schuld der heiligen Schrift, sondern immer die Schuld der Menschen, die sichi mit ihren eigenen Gedanken vor das klare Licht stellen, welches in der Schrift leuchtet und so dies klare Licht sich verdunkeln.

Ein Typus eines rechten Skeptikers war zur Zeit der Reformation Erasmus. Erasmus gegenüber hat daher Luther in seiner Schrift, ,,dass der freie Wille nichts sei“, betont, dass ein Christ seines Glaubens gewiss sein soll; dass der Zweifel nicht eine Tugend, sondern ein Laster sei; dass die Zweifehslehre nicht etwa auf grosse Gewissenhaftigkeit, sondern vielmehr auf fleischliche


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Sicherheit schhiessen hasse. Weil das Herz noch nicht erschrocken ist, deshalb fragt es nicht mit Ernst nach einem festen Grund.

,,Du (Erasmus) sagst: ,Dir gefalle das Gewissschliessen und Hart-halten, wie wir über dieser Sache tun (das du Hahsstarrigkeit nennest), garnicht und wollest lieber dich den Skepticis, die nirgend gewiss geschlos— sen, gleich halten, wo es wegen der unverletzhichen Autorität und der Beschlüsse der Kirche anginge, welchen (als du sagest) du deinen Verstand und deine Meinung gern gehorsamlich untergehen und unterworfen willst haben, du verstehest und erlangest nun ihre Gebote und Beschlüsse, oder nicht.‘ Du sagest, dies sei deine Art, diese Weise gefalle dir. .. (Aber) es ist nicht christlich, dass man solche Sachen handeln will, und darnach sagen: Ich will nichts Gewisses schliessen oder beschlossen haben. Denn ein Christ soll seiner Lehre und Sache ganz gewiss sein, also, dass er seine Lehre ganz fest wisse zu gründen und gewiss zu schliessen, oder ist kein Christ. . . Derohalben nur immer weg mit den Philosophis, es sein gleich Skeptici oder Akademici, die also kein Ding haben wollen gewiss bejahen. Wir Christen müssen unserer Lehre aufs alhergewisseste sein und gründlich und ohne alles Wanken wissen, Ja oder Nein zu sagen und dabei zu bleiben. .. Denn der heilige Geist wird darum den Christen vom Himmel gegeben, dass er die Herzen der Gläubigen heilige, sie beständig und gewiss mache, Christum zu bekennen und darauf fest zu bleiben und zu sterben. Heisst das nun nicht auf das alhergewisseste bejahet und beschlossen, wenn. ich so auf meinem Ja bleibe, dass ich darauf sterbe? .. Welch ein reiner Christenlehrer wäre nur das, der andere Leute lehrete und strafete, und wäre selbst nicht ,gewiss seiner Lehre, ob ,sie göttlich oder ungöttlich wäre! Der müsste ja rasend und toll sein. Aber es ist schade, dass ich in diesem Artikel, nehmlich dass ein Christ muss gewiss sein, weicher doch klärer ist, denn die Sonne, soll Zeit und Wort zubringen. Welcher Christ kann doch das heiden oder hören, dass Erasmus oder andere sagen, .er wolle in dieser Sache, darauf eines Christen Seligkeit stehet, nichts Gewisses schliessen? Denn was ist‘s anders, in diesen Sachen nichts Gewisses schliessen, denn das ganze Christentum und den Glauben verleugnen? . . Was ist der Unseiigkeit ,und Verdammnis ähnlicher, denn Ungewissheit, und was is,t seliger, denn Gewissheit? .. Weiter, was soll ich denn zu diesen deinen Worten sagen, da du sagest: ,Dass du deinen Verstand und Meinung unterwerfest der Schrift und der Kirchen, du ver-


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stehest gleich oder erlangest derselbigen Beschlüsse, oder nicht‘? Was ist das gesagt, Erasmus, oder wie da? Ist‘s nicht genug, dass du dich unterwerfest der Schrift, muss man sich vonnöten auch der Kirche unterwerfen? Sage, was kann die Kirche weiter beschliessen oder setzen, über das in der Schrift beschlossen ist? Und wo bleibt hie die Freiheit, zu richten und zu urteilen über alle Beschlüsse und Satzung, so die Kirche oder Konzilia machen, von der Paulus schreibt 1 Kor. 14, 29, da er sagt: ,Die andern urteilen?‘ Warum sollten wir nicht richten von Beschlüssen der Kirche, das Pauhus nicht ah-hein frei gibt, sondern auch gebeut? . . Weiter, wie kann das einem Theologen und Christen geziemen, dass er so die Schrift und Kirche und ihre Beschlüsse in Wind schlage und sage: Er untergebe sich der Schrift und der Kirche, er verstehe es, oder nicht, was der Schrift Meinung sei, er erlange es oder nicht? Heisst sich das unter die Schrift geben, wenn ich nicht darnach frage, ich verstehe die Meinung der Schrift, oder nicht? Lieber Erasme, ich halte von dem Untergeben gar nichts, und sage also: Der sei verbannet und verflucht, der sich rühmet ein Christ zu sein, und i8t nicht seiner Sache gewiss, dass er verstehet oder mit seinem Verstand erreicht, was die Schrift will oder nicht will. -- Deine Worte lauten eben also, als sei dir nicht viel daran gelegen, es glaube gleich jedermann, was er will, wenn nur leiblicher Friede, Ruhe und Gemach in der Welt bleibt. Ja, sie lauten eben also, als möchten wir nur Güter, Ehre, Gerücht, Meuschengunst, Friede zu erhalten, tun -wie der Gernegast oder Parasit im Terentio tut, der da sagt: Er brauche der Kunst: sagen sie Ja, so sage er auch Ja; sagen sie Nein, so sage er auch Nein. Es hautet schier also, als achtest du die christliche Lehre nicht viel höher, denn die Philosophie und andere menschliche Lehre, und haltest die für grosse Narren, die über solchem Ding so hart fechten und halten, da nichts denn Unfriede und Teilung und mannigfaltige Zertrennung leibliches Friedens aus erwächst. Aber <da Gott für sei) wenn also dein Herz stünde, so würde folgen, dass du auch sagen würdest mit jenem Phihosopho: Was gehet uns das an, das über uns ist? .. Der klugen Rede und abgemessenen Worte magst du dich forthin wohl mässigen. Denn du richtest damit nichts anderes aus, denn dass du dich lässt merken, was für ein Lucianus oder Epikurus dahinter verborgen liegt, welcher nicht viel davon hält, dass irgend ein Gott sei, und heimlich derjenigen in die Faust lachet, die es halten oder gläuben. Lass uns über unserer Lehre fechten und hart halten, dieweih uns Gott


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das geben hat und in Christo berufen hat; und gefällt dir‘s je also, magst du es mit deinen ungewissen, wankelsinnigen Skepticis und Akademicis halten, bis dass dich Christus auch rufe. Der heilige Geist ist kein Skeptikus; er hat nicht einen ungewissen Wahn in unser Herz geschrieben, sondern eine kräftige, grosse Gewissheit, die uns nicht wanken lässt und (wills Gott) nicht wird uns wanken lassen, sondern (Gott Lob) so gewiss macht, als gewiss wir sind, dass wir jetzund natürlich leben, oder dass zwei und drei fünf sein.“

Der Heiland macht allen den Seinen zur Pflicht, ihn in dieser Welt zu bekennen. ,,Wer mich bekennt vor den Menschen“, sagt er, ,,den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Christum aber bekennt man vornehmlich dadurch, dass man seine Lehre bekennt, sein Evangelium. So müssen die Christen der Lehre gewiss sein. Also daraus, dass Christus den Seinen auferlegt hat, ihn vor der Welt zu bekennen, folgt schon, dass die Christen ihrer Sache gewiss sein müssen. Ja, Christus verlangt noch mehr! Er fordert, dass die Seinen seine Lehre bekennen, wenn sie darüber auch sterben müssten. Soll aber ein Christ über einem Bekenntnis Leib und Leben lassen, dann muss er gewiss sein, dass (lassehbe göttliche Wahrheit sei. Ist ein Christ dessen nicht gewiss, wird er das Sterben wohl bleiben lassen und lieber verleugnen. Darum heisst es wirklich das ganze Christentum verneinen, wenn jemand sagt: ein Christ soll seines Glaubens nicht gewiss sein. Vor allen Dingen soll ein Lehrer der Kirche der göttlichen Wahrheit gewiss sein. Wer die Wahrheit erst noch suchen will, der soll den Mund halten in der Kirche. In der Kirche werden keine ,,theologischen Versuche“ angestellt, sondern in der Kirche soll das Evangelium gepredigt werden. Wer theologische Versuche anstellen will, der stelle sie an auf seinem Studierzimmer, da haben sie einen relativen Wert. Wer aber vor die Christen als Lehrer hintritt, der soll gewiss sein, dass er Gottes Wort lehre. Luther bedauert es immer wieder, dass er noch diesen Artikel von der Gewissheit so ernstlich einschärfen müsse, da er doch so selbstverständlich sei. Erasmus stellt die Schrift und die Kirche als Lehrer neben einander. Das ist verkehrt.

Die Schrift und die Kirche sind ahs Lehrer nicht zwei koordinierte Grössen, sondern die Kirche ist mit ihrem Lehren durchaus der Schrift subordiniert. Eine Lehre ist nur dann eine Lehre der christlichen Kirche, wenn sie die Lehre der Schrift ist. Denn nur das Lehren der Schrift ist der Kirche befohlen. Lehrt die Kirche etwas anderes, als die Schrift, deckt sichi die Lehre der Kirche nicht mit der Lehre der Schrift, so ist in dieser Beziehung die Kirche nicht Kirche, sondern Sekte. In der Kirche gilt die Regel: ,,So jemand redet, dass er‘s rede als Gottes Wort.“ Nach Luther ist es auch eine Verunehrung der Kirche und der Schrift,


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wenn man sagt, man unterwerfe sich ihren Aussprüchen, ohne dieselben zu kennen und als Wahrheit zu erkennen. Das ist die sogenannte fides implicita der Papisten. ,,Gott schenke uns nicht viel solchen Glaubens.“

Achtzehnter Vortrag

Nach dem, was wir über die Fähigkeit, die Pflicht und das Recht aller Christen, in geistlichen Dingen zu urteilen und zu entscheiden, gehört haben, könnte jemand meinen, dass wir für die Gaben, welche Gott Einzelnen in der Kirche gegeben hat, insonderheit für die Gabe der Schriftauslegung, keine Verwendung hätten. Es ist auch tätsächlich der Einwand erhoben worden: Ist die Schrift so klar, dass alle Christen alle Glaubensartikel aus der Schrift erkennen, selbst ihres Glaubens gewiss sein und die falsche Lehre verwerfen können, können somit alle Christen selbst auf Gottes Wort stehen, und brauchen sie ihren Glauben nicht auf Menschenwort und Menschenautorität zu gründen, dann haben wir keine Verwendung mehr für die Lehrer in der Kirche, dann können wir die Gahen nicht gebrauchen, welche Gott dem Einzelnen in der Kirche gegeben hat. Allein, das ist ein ganz verkehrter Schluss. Man kann und soll beides miteinander festhalten, die Schrift lehrt beides: sowohl die Selbstständigkeit der Christen in dem beschriebenen Sinn, als auch den Nutzen, ja, die relative Notwendigkeit der Lehrer in der Kirche. Die heilige Schrift sagt einmal, wie wir erkannt haben, dass jeder Christ so selbststandig sein, so sehr auf eigenen Füssen stehen soll, dass er selber aus Gottes Wort gewiss ist, was Wahrheit und was Lüge ist. Auf der anderen Seite sagt die heilige Schrift ebenso klar, dass Gott einzelnen, bestimmten Personen in der Kirche besondere Gaben gegeben habe, vermöge welcher Gaben gerade sie befähigt sind, die Schrift zu verstehen und andere zu lehren. Und diese Gaben der Einzelnen sollen nach dem klaren Zeugnis der Schrift von allen Christen gebraucht werden.

Doch, es ist nicht schwer, einzusehen, wie beide Wahrheiten sich miteinander vertragen.. Die Lehrer der Kirche lehren ja nicht ihr Wort, wenn sie rechte Lehrer der Kirche sind, sondern Gottes Wort, und, was die Auslegung der heiligen Schrift betrifft, so erleuchten sie die Schrift nicht mit ihrem eigenen Licht, sondern sie legen die Schrift durch Schrift aus. Die Lehrer der Kirche führen die Christen nicht ab von dem einigen Grund, auf welchem die Christen stehen sollen, sondern ihre Tätigkeit ist vielmehr nur darauf gerichtet, die Christen auf diesen einzigen Grund zu führen und auf diesem einzigen Grund festzuhalten, sonderhich den Schriftverkehrern gegenüber.‘ So beeinträchtigen also die Lehrer der Kirche nicht das eigene Urteil der Christen, son


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dem sie helfen nur dazu, dass die Christen in ihrem eigenen Urteil aus der Schrift bestärkt werden.

So hat denn- auch unsere lutherische Kirche einerseits festgehalten, dass alle Christen in geistlichen Dingen urteilen konnen und sollen, und dass das Kirchenraub der schlimmsten Art sei, Wenn man den Christen diese Fähigkeit und dies Recht absprechen wolle. Auf der anderen Seite hat freilich die lutherische Kirche auch immer eingeschärft, dass alle Christen die Lehr-gaben, welche Gott einzelnen Personen gegeben hat, recht hochhalten. Unsere lutherische Kirche hat immer eingeschärft, dass die Christen die Lehrer 4er Kirche als grosse Schätze ansehen sollen, welche Gott der Kirche gegeben hat. Und wir lassen die Schriften der treuen und begabten Lehrer nicht, begraben liegen, sondern wir gebrauchen sie. Freilich, nicht um, uns durch diese Schriften von der heiligen Schrift abfuhren zu lassen, sondern um (liese Schriften als Hilfsmittel zu gebrauchen, durch welche wir in die heilige Schrift eingeführt und bei der Schrift erhalten werden. Insonderheit halten wir so die Schriften Luthers hoch denn Luther ist der von Gott versiegelte Reformator der Kirche. Gott will daher auch haben, dass alle Christen Luther hören, das heisst, seine Schriften gebrauchen. Was Gott an geistlicher Er-kenntnis einem Luther verliehen hat, das soll der ganzen Kirche zu gute kommen.

Der Vorfall, welcher zu unserer Zeit in sogenannten evangelischen Kirchen sich bemerkbar macht, und der auch von den meisten neueren Theologen‘ beklagt wird, hat auch darin seinen Grund, dass man die Gaben verachtet, welche Gott einzelnen Personen in der Kirche verliehen hat zum Besten der Kirche, insonderheit, dass man die Schriften des Reformators der Kirche, die Schriften Luthers, verachtet. — In unserer Gemeinschaft steht es ja durch Gottes Gnade anders; bei uns sind Luthers Schriften wieder zu Ehren gekommen. Wir stehlen-Luthers Schriften‘ nicht neben Gottes Wort, sondern wir wenden auch Luthers Schriften gegenüber das ,,prüfet alles“ an. Aber wir würden uns fürchten, die Gaben Gottes zu verachten, welche Gott der Kirche gegeben hat, wenn wir nicht vornehmlich die Schriften Luthers unter den menschlichen Schriften studieren wollten. Dass das im Sinne unserer lutherischen Kirche sei, darüber heisst es in These 20, und ihrer Begündung:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche hält die Gabe der Schriftauslegung hoch, wie sie Einzelnen von Gott gegeben ist“.

,,Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist. . . In einem jeglichen erzeigen sich die Gaben des Geistes zum gemeinen Nutzen.. Einem wird gegeben durch den Geist zu reden von der Weisheit; .. einem andern Weissagung; .. einem andern mancherlei Sprachen; einem andern die Sprachen auszulegen. . . Können sie alle auslegen?‘‘ (1 Kor. 12, 4. 7. 8. 10. 30).


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,,Die Geister der Propheten sind den Propheten untertan.“ 1 Kor. 14, 32.

,,Die Weissagung verachtet nicht!‘ 1 Thess. 5, 20.  

Da hiernach die Gabe der Weissagung oder Schrift-auslegung zum gemeinen Nutzen der ganzen Kirche gegeben wird, dieselbe aber nicht alle Christen oder Lehrer haben; und da hiernach ferner die Geister der Pro pheten, das ist, die mit der Gabe der Auslegung Begnadigten, also von Gott gelehrt sind, dass sie nicht allein gehört, sein wollen, sondern anderen Prppheten oder Auslegern untertan sind und gern weichen; und da es hiernach endlich des heihigen Geistes ausdrückliches Gebot ist, die Weissagung oder Gabe der Auslegung nicht zu verachten: so gehört auch dies zu den Kennzeichen einer rechten Kirche, dass sie die, Einzelnen von Gott sonderlich verliehene, Gabe der Schriftauslegung hochhalte.

Melanchthon sagt über Luthers Schriften (XIV, 539 f.):

,,Drum ist es gut, dass wir Lutheri Auslegebücher haben. .. Denn was er für ein geschickter Ausleger gewesen, können die Klugen leicht ermessen, sonderhich wenn sie andere Auslegungen dagegen halten. Ich erinnere mich, dass Erasmus Roterodamus zu sagen pflegte: Es sei kein geschickterer und besserer Ausleger unter allen, deren Schriften wir nach den Aposteln haben.“

Luthers Schriften sind in diesem Jahrhundert erst wieder in unserer Gemeinschaft im allgemeinen Gebrauch und zu Ehren gekommen. In Deutschland wird bis jetzt noch fast allgemein die Gabe Gottes, welche in Luther der Kirche gegeben ist, verachtet. In Deutschland herrscht freilich seit Jahrzehnten ein Lutherkultus: man hat Luther Denkmäler in verschiedenen Formen errichtet. Es erscheint jetzt auch eine ,,Raiserausgabe“ der Schriften Luthers. Aber Luthers Schriften werden in Deutschland wenig gelesen. Einige Professoren auf den Universitäten durchforschen im historischen Interesse Luthers Schriften. Dass Pastoren Luthers Schriften gebrauchen sollten, um daraus für ihre eigene Seele und für ihre Gemeinden Gewinn zu ziehen, kommt drüben selten . vor. Der Verleger der Erlanger Ausgabe hat Bankerott gemacht; so wenig Absatz fanden die Schriften Luthers in Deutschland. — Dann ist vor etwa zehn Jahren die sogenannte ,,Kaiserausgabe“ begonnen worden. Aber auch die ,,Kaiserausgabe“ hat sehr wenig Abonnenten. Die Abonnentenzahl würde noch geringer sein, wenn es nicht eine ,,Kaiserausgabe“ wäre; das heisst wenn nicht der verstorbene Kaiser mit seinem Namen für diese Ausgabe eingetreten wäre. Ueber 150 Exemplare, so wurde berichtet, sind von Fürsten und fürstlichen Personen genommen worden.

Luthers Werke sind drüben der Regel nach nur in den grossen Bibliotheken zu finden. Dass ein Pastor Luthers Werke täglich für sein Amt und insonderheit für seine Predigt ge-


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braucht, ist gänzlich aus der Mode gekommen. Lassen Sie sich auch bei dieser Gelegenheit wieder auf Luthers Schriften hinweisen. Wenn ein Pastor Luthers Schriften hat, dann kann er irgendwo in den ,, Busch“ gehen; er ist nicht verlassen. In Luthers Werken hat er eine ganze theologische Bibliothek bei sich. Wir alle erkennen an: Luther ist der von Gott gesandte Reformator der Kirche. Erkennen wir das aber, dann müssen wir auch zugeben, dass wir, wenn wir überhaupt menschliche Schriften studieren, Luthers Schriften den ersten Platz einräumen müssen-Der Reformator der Kirche hat sicherlich lesenswerte Bücher hinterlassen.

Gerhard schreibt (De interpret. 5. 5. § 216) über die Verwendung der Schriftausleger:

,,Hierher gehört auch diese Vorschrift, dass man auch andere Ausleger zu Rate ziehe, sonderlich das ehrwürdige graue Haar (canities) der alten Lehrer der Kirche. Denn obwohl ihre Auslegung nicht authentische oder den kanonischen Schriften gleich zu achtende sind, so sind doch ihre gottseligen Bemühungen mit dankbarem Herzen anzuerkennen und zu preisen, nach St. Paulus 1 Thess. 5, 19. 20. 21: ,Den Geist dämpfet nicht. Die Weissagung verachtet nicht. Prüfet alles, und das Gute behaltet.‘“

Achten Sie darauf, dass hier auf die ,,gottseligen Bemühungen“ der Lehrer der Kirche hingewiesen ist. Sie sollen nicht ohne Unterschied allerlei Bücher zusammenraffen. Sie sollen vornehmlich die Schriften solcher Lehrer gebrauchen, die als goUselige Lehrer bekannt sind. Dazu gehört vor allen Dingen, dass die Lehrer die heilige Schrift für Gottes Wort halten. Die Kirchenväter sind in vielen Stücken irre gegangen; ihre Theologie ist in mehr als einer Beziehung nicht mustergültig. Aber eins tritt uns in den Schriften der Kirchenväter immer wieder entgegen: sie hatten eine grosse Ehrfurcht vor der heiligen Schrift, sie waren fest überzeugt: in der Schrift redet Gott mit uns. In Gottesfurcht haben sie die Schrift studiert, und so hat Gott sie auch immer viel köstliche Wahrheit in der Schrift finden lassen. Darum studieren wir auch jetzt noch mit grossem Nutzen die Schriften der Kirchenväter. Dagegen werden Sie wenig Förderung finden in den Schriften der neueren Theologen, die die Inspiration der heiligen Schrift preisgegeben haben. Diese gehen nicht in der Gesinnung an die Schrift: ,,Rede, Herr, denn dein Knecht höret“, sondern sie machen die Schrift zu einem Objekt ihrer Kritik. Gott aber will in seinem Wort von den Menschen nicht kritisiert, sondern gehört sein. Darum lässt er diese hochmütigen Leute anlaufen; er versteht es wohl, sich ihnen zu verbergen. Es ist nur zufällig, wenn die Theologen, welche die heilige Schrift nicht für Gottes Wort halten, auch einmal ein Körnchen Wahrheit in der Schrift finden. Darum meinen Sie nicht,


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dass die modernen Theologen Ihnen geeignete Führer hei Ihren theologischen Studien seien. Sie können von diesen Theologen im besten Falle etwas in grammatischier und lexikalischer Hinsicht, aber nichts in theologicis profitieren. Auch Gerhmard erinnert, dass die Schriften der Alten nicht ein principium cognoscendi neben der Schrift sind. Wer die Schriften der Alten so gebrauchen wollte, der würde sie missbrauchen. Gott hat die Lehrer in der Kirche nicht zu dem Zweck gegeben, dass sie uns von Gottes Wort abführen; auch hat er ihre Schriften nicht zu dein Zweck auf uns kommen lassen, dass wir uns durch diese Schriften von der heiligen Schrift abziehen lassen, sondern wir sollen diese Schriften gebrauchen, uni bei der Schrift zu bleiben. Wir können den Gebrauch der Schriften der Väter mit dein Gebraucht der ,,Heiligen“ parallelisieren. Die Heiligen können in der Kirche recht gebraucht und auch sehr gemissbraucht werden. Wir gebrauchen die Heiligen recht, wenn wir sie als Exempel der Gottseligkeit uns zur Nachahmung vor Augen stehlen. Aber es ist ein schrecklicher Missbrauch der Heiligen, der in der Papstkirche getrieben wird, wenn man die Heiligen anruft, zu Gott macht. So macht man auch die Lehrer der Kirche zu Gott, wenn man ihre Schriften anders gebraucht, als so, dass man sicht durch ihre Schriften in die heilige Schrift selbst einweisen lässt. Wer den Lehrern der Kirche uni ihrer selbst willen glaubt — weil sie es gesagt haben —, der stellt diese Lehrer an Gottes Stelle, vergöttert sie. So hoch wir Luther halten, so erinnern wir doch stets daran: Luther ist und bleibt ein Mensch, und was er ge schrieben hat, muss sich auch richten lassen nach der einigen Regel und Richtschnur, die in der christlichen Kirche gilt, nacht der heiligen Schrift. Freilich, es ist glaubensstärkend, wenn wir wahrnehmen, dass die Wahrheit, die in unserm Herzen lebt, in allen Zeiten der Kirche wenigstens einige Zeugen hatte, insonderheit, dass zum Beispiel in der grössten Finsternis des Papsttums auch der reinen Lehre von der Rechtfertigung Zeugnis gegeben worden ist. Deshalb haben alle Christen auch jetzt noch eine so grosse Freude am Alten Testament. Wir könnten ja eine vollkommene Erkenntnis aller christlichen Lehren aus dem Neuen Testament schöpfen und brauchten in dieser Beziehung das Alte Testament nicht. Und doch hat Gott auch die Schriften des Alten Testaments auf die Kirche kommen lassen; es ist ein teures Vermächtnis unseres Gottes. Wie freuen sich gerade auch die einfähtigen Christen, wenn sie beim Lesen der heiligen Schrift Alten Testaments sehen, dass in den Gläubigen vor viertausend oder fünftausend Jahren derselbe Glaube gelebt hat, der nun in ihrem Herzen durch den heiligen Geist angezündet ist.

Ist es der heiligen Schrift gemäss und im Sinn unserer Kirche, dass wir die Schriften der Lehrer der alten Kirche studieren und somit die Gaben gebrauchen, welche Gott der Kirche in ihnen gegeben hat, so müssen wir uns auch daran erinnern, dass


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wir ja das Studium der Sprachen nicht vernachlässigen dürfen. Diese nützlichen Schriften sind nicht sämtlich in deutscher oder englischer Sprache geschrieben. In Deutschland ist in den letzten Monaten viel über die Reorganisation der Gymnasien verhandelt worden. Der deutscher Kaiser hat selber das Wort ergriffen und gesagt, man solle aus den jungen Deutschen nicht Griechen und Römer machen wollen, sondern Deutsche. Darin kann man ihm.nur beistimmen. Ich glaube auch, dass auf den deutschen Gymnasien zu viel Griechen- und Römerkultus getrieben worden ist. Auch Ist das Lehren und Lernen der alten Sprachen sehr oft nicht in rechter Weise betrieben worden. Manche deutsche Philologen haben sich in Einzelheiten verloren, zum Beispiel über den Konjunktiv sehr ausführlich geschrieben und dafür die rechte Vorbereitung auf ihre Lehrstunden versäumt. Infolgedessen sind sie in den Unterrichtsstunden den Schülern nicht rechte Lehrer gewesen. Den Schülern wird die Arbeit überlassen, die die Lehrer zum grössten Teil selbst verrichten sollten. Aber das muss festgehalten werden, und das wollen wir festhalten: bei aller Reorganisation und Verbesserung unserer höheren Schulen müssen wir darauf sehen, dass eine sichere Kenntnis der alten Sprachen vermittelt werde. Wir dürfen unsere Gymnasien nie so degenerieren lassen, dass man nicht mehr ordentlich Latein lernt. Wir wollen im Zusanimenhang bleiben mit der alten Kirche. Wir wollen die Gaben gebrauchen, die Gott gerade der Kirche auch in den Zeiten gegeben hat, als man Latein schrieb. Um dies tun zu können, muss bei uns die lateinische Sprache eine Art lebende Sprache bleiben. Wir müssen gut Latein verstehen. Eine oberflächliche Kenntnis der lateinischen Sprache nützt im Grunde sehr wenig. Man soll sicher und gewiss dahinter kommen, nicht bloss vermuten, was ein Kirchenvater oder Dogmatiker gemeint hat. Dass wir Griechisch und Hebräisch fleissig studieren, versteht sich von selbst, weil wir die heilige Schrift nach dem Grundtext verstehen wollen. Rambach schreibt (Inst. herm. III, 9, 1):

,,Dass die Arbeiten und Schriftauslegungen Anderer, obgleich sie nicht schlechterdings notwendig sind, wenn man die Schrift auslegen lernen will, nicht zu verachten seien, zeigt nicht nur die Schrift an, sondern lehrt auch die Natur der Sache. So wird 1 Kor. 12, 10. 11 gesagt, dass Gott einigen die Kenntnis von mancherlei Sprachen, anderen die Fähigkeit, die Sprachen auszulegen, gegeben habe, daher einer der Gaben des anderen gebrauchen soll. Aehnlicherweise wird uns 1 Thess. 5, 20. geboten, die Weissagung oder die Gabe, die heiligen Schriften auszulegen, welche Anderen verliehen ist, nicht zu verachten, sondern hoch zu halten und zu unserem Nutzen zu verwenden. Denn es wäre in der Tat ein Zeichen grossen Hochmutes, von Andern gehört und gelesen sein wollen, und doch nicht Andere hören und lesen wollen.“


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Rambach sagt richtig, dass die Schriftauslegungen Anderer nicht schlechterdings nötig seien, weil die Schrift durch sich selbst verständlich ist. Jedem Christen ist ohne die Auslegung Anderer die Schrift nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, u. s. w. Anderseits soll man sich nicht den Pastor zum Muster nehmen, der gesagt haben soll: ,,Alles in allem genommen höre ich mich selbst am liebsten.“ Die heilige Schrift sagt: ,,Die Geister der Propheten sind den Propheten untertan.“ Gerade tüchtige Prediger hören gern auch andere Prediger; wahre Theologen konsultieren gern auch andere Lehrer der Kirche. Wenn jemand denkt: du machst es besser als alle anderen; dii kannst von anderen nichts mehr lernen, dann steht es bedenklich mit ihm. Solche Gesinnung ist nicht vom heiligen Geist, sondern entstammt dem Fleisch. Solche Leute lässt Gott auch fallen.

Wir haben in unserer Synode immer fleissig auch andre Lehrer, sonderhich Luther und die alten Dogmatiker zu Wort kommen lassen. Man hat uns infolgedessen den Vorwurf gemacht, dass wir eine Repristinationstheologie verträten. Den Vorwurf wohhen wir ruhig hinnehmen, uns dabei aber erinnern, dass wenn wir es gegenteilig gemacht hätten, man dennoch unzufrieden mit uns gewesen wäre. Der Vorwurf war nicht sowohl gegen unsere Art und Weise gerichtet, als vielmehr gegen die Sache, welche wir vertreten. Während man uns früher der Vergötterung der alten Lehrer anklagte, so schilt man uns jetzt, dass wir die alten Lehrer schändeten, weil wir die Lehre der späteren Dogmatiker von der Gnadenwahl intuitu fidei nicht annehmen, sondern bei dem Bekenntnis unserer Kirche bleiben wollen.

Neunzehnter Vortrag

Man kann nicht sagen, dass die lutherische Kirche hierzulande jetzt noch eine verachtete Stellung einnehme. Das war wohl früher so, ist aber jetzt nicht mehr der Fall. Die lutherische Kirche ist in den letzten Jahrzehnten äusserlich so gewachsen, dass sie, was ihre Gliederzahl betrifft, schon die dritte Stelle unter den protestantischen Kirchengemeinschaften einnimmt.

Aber bekennen sich alhe, die sich Lutheraner nennen, auch im rechten Sinn zur lutherischen Kirche? Das ist leider bis jetzt noch nicht der Fall. Lutherisch sich nennende Kirchenkörper sind weit davon entfernt, in allen Stücken der Lehre zuzustimmen, die die lutherische Kirche in ihren Symbolen bekennt. Man bekennt sich zur lutherischen Kirche, wie man es selber ausgedrückt hat, als der ,,grand old historicah church“, als der Kirche, welche eine rühmliche Vergangenheit habe, und welche sich auch in der Gegenwart durch manche Vorzüge vor den anderen protestantischen Gemeinschaften auszeichne. Ob die lutherische Kir-


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che in ihrem Bekenntnis aber die lautere, göttliche Wahrheit bekenne, das lässt man teils auf sich beruhen, teils spricht man es geradezu aus, dass in den lutherischen Symbolen neben der Wahrheit auch Irrtümer enthalten seien.

Sich in diesem Sinn zur lutherischen Kirche zu bekennen, ist verkehrt, ja, Sünde. Wären in den Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche neben der Wahrheit auch Irrtümer enthalten, wäre somit die lutherische Kirche eine Sekte neben anderen, dann hätte jeder Christ von Christo den gemessenen Befehl, sich nicht zur lutherischen Kirche zu halten; denn kein Christ soll kirchliche gemeinschaft halten mit denen, welche einen Irrtum auf ihre Fahne geschrieben haben. Ja, wir würden durch unsere Zugehörigkeit‘ zur lutherischen Kirche und durch das Festhalten an ihr nur die Trennung in der Christenheit vermehren.

Wann hält man sich denn im rechten Sinn zur lutherischen Kirche? Dann, wenn die, welche sich Lutheraner nennen, sagen können: ,,Ich bin gewiss: das, was die luthuerische Kirche in ihrem öffentlichen Bekenntnis bekennt, das ist die lautere, göttliche Wahrheit,“ Und wenn man die Lutheraner weiter fragt: ,,Woher seid ihr denn gewiss, dass das lutherische Bekenntnis nur Wahrheit bekennt?“ Dann antworten sie: ,,Wir sind deshalb gewiss, weil die Lehre der lutherischen Kirche, wie sie in ihrem Bekenntnis vorliegt, in allen Stücken mit dem klaren Wort Gottes übereinstimmt.“ Nur wer sich in diesem Sinn zur hutherischen Kirche hält und bekennt, der ist ein rechtgläubiger Christ. Und ein Bekenntnis in diesem Sinn fordert die lutherische Kirche von ihren Gliedern. These 21 (A) lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche ist gewiss, dass die in ihren Symbolen enthaltene Lehre die pur lautere göttliche Wahrheit sei, weil dieselbe mit dein geschriebenen Worte Gottes in allen Punkten übereinstimmt.“

In den Schmalkaldischen Artikeln sprechen wir es ans, dass die lutherische Kirche sich im Besitz der Wahrheit weiss. Die hutherische Kirche ist nicht eine Geselhschaft, die erst dahinter-kommen will, was göttliche Wahrheit sei, sondern die die göttliche Wahrheit erkannt hat. Es heisst in der Vorrede:

,,Ich möchte fürwahr wohl gern ein recht christlich Konzilium sehen, damit doch viel Sachen und Leuten geholfen wurde. Nicht, dass wirs bedürfen, denn unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem reinen Wort und rechten Brauch der Sakrament, mit Erkenntnis allerlei Ständen und rechten Werken also erleuchtet und beschickt, dass wir unserthalben nach keinem Konzilio fragen und in solchen Stücken vom Konzilio nichts bessers zu hoffen, noch zu gewarten wissen.“

Die Schmalkaldischen Artikel sind verfasst, uni dem Konzil, das zu Mantua gehalten werden solhte, überreicht zu werden. Die Protestanten erklärten sich auch bereit, an dem Konzil teilzuneh-


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men. Aber in welchem Sinn? Etwa in dem Sinn, dass sie nun erst durch die Verhandlungen mit den Papisten gewiss werden wollten, ob sie die göttliche Wahrheit lehrten? Nein! Unsere Väter sagen vielmehr: wir unserthalben brauchen kein Konzilium. Wir haben bereits die rechte Lehre. Und so muss jeder Lutheraner sprechen. Eine solche Sprache wird namentlich in unserer Zeit für unerträglich hochmütig gehalten. Man nennt das papistische Unfehlbarkeitsgelüste u. s. w., aber mit grossem Unverstand. Wer nicht sagen kann, er sei gewiss, dass er die göttliche Wahrheit habe und dieselbe lehre, der soll in der Kirchie schweigen, so lange schweigen, bis er durchi Gottes Gnade die Wahrheit aus Gottes Wort erkannt. hat, denn Gott will in seiner Kirche nur die göttliche Wahrheit gelehrt haben. Wer bekennen muss: Ich bin noch nicht gewiss, ob ich in dieser Lehre Wahrheit oder Irrtum verkündige, der soll ja nicht lehrend auftreten wollen.

Wenn wir  Lutheraner Kolloquien mit anderen Kirchengemeinschaften veranstahten, so können wir das nie in dem Sinn tun, als ob durch diese Kolloquien erst für uns gewiss werden sollte, was Wahrheit und was Irrtum sei. Das wissen wir vorhin. Wir sind nicht so leichtsinnig, dass wir etwas vor aller Welt behaupten sollten, ohne überzeugt zu sein, dass es götthiche, der heiligen Schrift entnommene Wahrheit ist. Es ist eine schreckliche Leichtfertigkeit, wenn jemand in der Kirche als Lehrer auftritt und doch nicht weiss, öb er die Wahrheit lehrt oder Irrtum. Es handelt sich hier um der Seelen Seligkeit. Darum mahnt der Apostel: ,,So jemand redet, dass er es rede als Gottes Wort.“ Auch die Bekenner von Augsburg waren gewiss, dass ihre Lehre schriftgemäss und unwiderleglich sei. Augsburgische Konfession (Artikel 21)

,,Dies ist fast die Summe der Lehre, welche in unsern Kirchen zu- rechtem christlichen Unterricht und Trost der Gewissen, auch zur Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt ist; Wie wir denn unsere eigene Seele und Gewissen je nicht gern wollten für Gott mit Missbrauch göttliches Namens oder Worts in die höchste und grösste Fahr setzen oder auf unsere Kinder und Nachkommen eine andere Lehre, denn so dem reinen göttlichen Wort und christlicher Wahrheit gemäss, fällen oder erben. So denn dieselbige in heiliger Schrift klar gegründet und dazu auch gemeiner, christlicher, ja,‘ römischer Kirche, so viel aus der Väter Schrift zu vermerken, nicht zuwider noch entgegen ist, so achten wir auch, unsere Widersacher können in obangezeigten Artikeln nicht uneinig mit uns sein. Derhahben handeln Diejenigen ganz unfreundlich, geschwind und wider alle christliche Einigkeit und Liebe, so die Unsern derhahben als Ketzer abzusondern zu verwerfen und zu meiden ihnen selbst ohne einigen beständigen Grund göttlicher


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Gebot oder Schrift fürnehmen, denn die Irrung und Zank“ (wenn man nehmlich an die alte römische Kirche denkt) ,,ist fürnehmlich über etlichen Traditionen und Missbräuchen. So denn nun an den Hauptartikeln kein befindlicher Ungrund oder Mangel und dies unser Bekenntnis göttlich und christlich ist, sollten sich billig die Bischöfe, wenn schon bei uns der Tradition halben ein Mangel wäre, gehinder erzeigen; wiewohl wir verhoffen, beständigen Grund und Ursache darzutun, warum bei uns etliche Traditionen und Missbräuche geändert sind.“

Die Concordienformel erklärt (Seite 569, 5), in welchem Sinn sich Lutheraner zur Augsburgischen Konfession bekennen:

,,So bekennen wir uns auch zu derselben ersten ungeänderten Augsburgischen Konfession nicht derwegen, dass sie von unseren Theologis gestellet, sondern WEIL sie aus Gottes Wort genommen und darinnen fest und wohl gegründet ist, allermassen wie sie Anno 30 2c. in Schriften verfasset und dem Kaiser Carolo V. von etlichen christlichen Kur-, Fürsten und Ständen des römischen Reichs als ein allgemein Bekenntnis der reformirten Kirchen zu Augsburg übergeben, als dieser Zeit unserm Symbolo, durch welches unsere reformirtefl Kirchen von der Papisten und andern verworfenen und verdammten Sekten und Ketzereien abgesondert worden.“

In demselben Sinn bekennen Lutheraner sich auch jetzt zur Augsburgischen Konfession und zu allen Bekenntnisschriften, nämlich nicht, weil sie von den Theologen der lutherischen Kirche, von gelehrten, angesehenen Männern, ,,gestellt“ sind, sondern weil das in den Bekenntnissen Dargelegte Gottes Wort ist. In diesem Sinne müssen auch Sie, die Sie Diener der lutherischen Kirche werden wollen, die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche annehmen. Sie sollen nicht etwa bloss historisch feststellen wollen, was man zu jener Zeit in unserer Kirche für die rechte Lehre gehalten hat, sondern Sie müssen unsere Bekenntnisschriften mit der heiligen Schrift vergleichen, ob die in den Bekenntnisschriften dargelegte Lehre die Lehre der Schrift sei. Haben Sie die-Uebereinstimmung des Bekenntnisses mit der Schrift erkannt, dann können Sie sich zum Bekenntnis unserer Kirche ohne allen Rückhalt, namlich mit quia, bekennen.

Wir haben der norwegischen Synode die Bruderhand nicht verweigert, obwohl diese sich offiziell nur zur Augsburgischen Konfession bekannte und nicht auch zur Concordienformel. Die norwegische Synode erklärte gleichzeitig, dass sie auch die Lehre der Concordienformel für durchaus schriftgemass halte. Und in der Tat steht es so: Wer sich ohne Rückhalt zur Augsburgischen Konfession bekennt und die Augburgische Konfession annimmt, wie sie lautet, der stimmt auch mit der Concordienformel. In der Generalsynode ist behauptet


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worden, man wolle ihr die Anerkennung versagen, weil sie sich bloss zur Augsburgischen Konfession und nicht auch zur Concordienformel bekenne. Das ist ein Irrtum. Die Generalsynode bekennt sich auch zur Augsburgischen Konfession nur mit einem qualifizierten Bekenntnis, mit der Einschränkung Fundamentallehren, u. s. w. Bis auf diesen Tag erklären Führer der Generalsynode, wie Dr. Buttler, dass sie zum Beispiel die lutherische Abendmahlslehre, wie sie in der Augsburgischen Konfession ausgesprochen sei, nicht annehmen.

Wir verweigern ja Gemeinden nicht die kirchliche Gemeinschaft, wenn sie sich nur aufrichtig und ohne Rückhalt zum kleinen Katechismus bekennen. Und in der Tat: wer den kleinen lutherischen Katechismus annimmt, der ist ein rechtgläubiger Christ, ein wahrer Lutheraner. Eine unerschütterliche Gewissheit in Bezug auf die Schriftmässigkeit der in unsern Symbolen enthaltenen Lehre kommt im Schluss der Concordienformel (Seite 730, 40) zum Ausdruck:

,,Derwegen wir uns für dem Angesicht Gottes und der ganzen Christenheit, bei der jetztlebenden, und so nach uns -kommen werden, bezeuget haben wollen, dass diese jetzt getane Erklärung von allen vorgesetzten und erklärten streitigen Artikeln, und kein anderes, unser Glaube, Lehr und Bekenntnis sei; in welcher wir auch durch die Gnade Gottes mit unerschrocknem Herzen für dem Richterstuhl Jesu Christi erscheinen und deshalben Rechenschaft geben, darwider auch nichts heimlich oder öffentlich reden oder schreiben wollen, sondern vermittelst der Gnaden Gottes dabei gedenken zu bleiben: haben wir wohlbedächtig, in Gottes Furcht und Anrufung uns mit eignen Händen unterschrieben.“

Ein Lutheraner steht so, dass er nichts bekennen und lehren will, als was er sich vor dem Richterstuhl Christi zu verantworten getraut. Wie Luther sagt, wenn der Herr Christus ihn fragen werde: ,,Warum bist du, Luther, so fest auf der Lehre vom Sakrament geblieben?“ Dann werde er (Luther) sagen: ,,Du, Herr Christus, hast mir dein Wort gegeben, das also lautet: ,Nehmet hin und esset, das ist mein Leib; nehmet hin und trinket, das ist mein Blut.‘ Bei diesen Worten bin ich geblieben.“ Dann werde der Herr Christus zu ihm sagen: ,,Du hast recht getan, Luther.“  — Solche Gewissheit kann sich freilich nur dann bei uns finden, wenn wir festhalten, dass die heilige Schrift klar ist und wir ihre Worte zu nehmen haben, wie sie lauten. Es handelt sich beim Streit um den christlichen Glaubensartikel nicht um verschiedene Auslegungen der sedes doctrinæ, sondern es handelt sich immer um die Worte der Schrift selbst. Es handelt sich darum, ob wir die Worte der Schrift stehen lassen oder nicht.

Als unsere Väter zu Augsburg vor den Vertretern des Reiches standen, wurde ihnen immer und immer wieder zugemutet,


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die Augsburgische Konfession zurückzunehmen. Bei den letzten Verhandlungen drang man besonders hart in sie. Was aber antworteten sie durch Kanzler Brück? (XVI, 1868):

,,Darauf geben meine gnädigste und gnädige Herrn, hie zugegen, sammt (len andern dieser Sache Verwandten, Euer kaiserlichen Majestät (liesen untertänigsten Bericht und Antwort: Dass ihre Kur- und Fürstliche Gnaden und die andern ihre im Anfang dieses Reichstags in Sch riften übergebene Bekenntnis … dermassen, in göttlicher heiliger Schrift und in dem; heiligen Evangelio gegründet und gewidmet wissen und halten (wie das die Schrift und Gründe, so darneben eingeführt und angezeigt, genug, auch lauter und unwidersprechlich bezeugen), dass dagegen, als wider Gottes Wort und das heilige Evangelium, die Pforten der Höllen nicht bestehen noch haften mögen,"

Als man dem Kurfürsten von Sachsen auf dem Reichstag zu Augsburg andeutete, er könne Land und Leute verlieren, wenn er bei der Augsburgischen Konfession bleibe, entgegnete er, er wolle lieber Land und Leute, als Gottes Wort verlassen. Wenn der Kurfürst ein moderner Lutheraner gewesen wäre, der erst feststellen wollte, was eigentlich göttliche Wahrheit sei, dann hätte ei gedacht: es ist doch besser du behältst dein Reich, als dass du an der Augsburgischen Konfession festhältst.

Nach dem Reichsabschied von Speier im Jahre 1544 stand ein deutscher Reichstag in Aussicht, auf welchem noch einmal ,,eine Vergleichung der Religion halber“, wie man sich ausdrückt, vorgenommen werden s ollte. Die Wittenberger Theologen erhielten vom Kurfürsten von Sachsen einen Auftrag, ein Gutachten über den in Aussicht genommenen Vergleich abzugeben. In diesem Gutachten sprechen sich die Wittenberger Theologen im Jahre 1545 am 14. Januar so aus (XVII, 1324):

,,Wir haben Anno 1530 eine Konfession zu Augsburg kaiserlicher Majestät überantwortet, bei welcher wir durch Gottes Gnade noch zu bleiben gedenken, wie dieselbe in ihrem rechten Verstand lautet und in unsern Kirchen gehalten und verstanden wird. Denn wir zweifeln ganz nicht, dieseibige unserer Kirchen Lehre sei gewisslich die ewige, einige, gleichlautende Lehre der wahrhaftigen katholischen Kirche Gottes, gegeben du-ch die Propheten, Christum und die Apostel, und sei einträchtig mit den Symbolen, Apostolico und Nicaeno, und mit den alten heiligen Konziliis und dem Verstand der ersten reinen Kirchen. Darum wir auch für nötig halten, zu Gottes Ehre und rechter Anrufung, zur Seligkeit vieler Menschen, zu Pflanzung und Stärkung rechten Glaubens und rechter Anrufung in den Nachkommen, dass der Verstand derselbigen Lehre, die wir in unsern Kirchen,


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Konfession und Katechismus bekennen und lehren, einträchtiglicht in allen Kirchen gepredigt und gehalten werde.“

Grossartig ist Luthers Nachweis in seiner Schrift wider Herzog Heinrich von Braunschweig, dass die evangelisch, das heisst, lutherische Kirche, die rechte, alte, apostolische Kirche, dagegen die Papstkirche, eine neue, abgefallene Kirche sei. Das weiet Luther an den Kennzeichen nach, die das Wesen der rechten Kirche ausmachen. Luther schreibt hier (XVII, 1659)

,,Zum vierten kann das niemand leugnen, dass wir (las Predigtamt und Gottes Wort rein und reichlich haben, fleissig lehren und treiben, ohne allen Zusatz neuer, eigener, menschlicher Lehre, gleichwie es Christus befoh- len, die Apostel und ganze Christenheit getan. Wir erdichten nichts Neues, sondern halten und bleiben bei dem alten Gottes Wort, wie es die alte Kirche gehabt: darum sin(l wir mit derselben die rechte alte Kirche als einerlei Kirche, die einerlei Gottes Wort lehret und gläubet. Darum lästern die Papisten abermal Christum selbst, (lie Apostel und ganze Christenheit, wenn sie uns neue und Ketzer schelten. Denn sie finden, nichts bei uns, denn allein. das Alte der alten Kirche, (lass wir derselbigen gleich und mit ihr einerlei Kirche sind."

Das soll eine Kirchengemeinschaft von sich rühmen können.:

,,Wer uns unserer Lehre halben antastet der tastet Christum und die Apostel selbst an“ Wer das nicht von sich rühmen kann, der lasse überhaupt alles Streiten anstehen. Der muss erst noch ein Schiller werden.

Zwanzigster Vortrag

Es ist sonderlicht zu unserer Zeit viel über die Notwendigkeit der Symbole und die Notwendigkeit der Verpflichtung auf die Symbole gesagt worden.

Fragen wir zunächst: welchen Sinn hat es eigentlich, dass die Kirche seit der Apostel Zeit sich nicht nur zur heiligen Schrift, sondern neben der heiligen Schrift auch noch zu bestimmten Symbolen bekannt hat? Es hat das nicht den Sinn, als ob die Kirche mehr und andere Lehren bekennen wollte, als in der heiligen Schrift enthalten sind. Nein, die Kirche hält fest, dass sie nicht mehr und andere Lehren zu bekennen hat als die in Gottes Wort geoffenbart vorliegenden. Es hat das auch nicht den Sinn. als ob die Kirche die in der heiligen Schrift geoffenbarte Lehre wenigstens fortbilden und fortentwickeln müsse. Nein, die Kirche hält fest, dass alle Lehren, welche in der Kirche Gottes als göttliche Wahrheit zu lesen sind, nicht nur der Wurzel, dem Ansatz nach, sondern in ihrer völligen Ausbildung, das heisst, in ah-


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len ihren Teilen, in der heiligen Schrift geoffenbart vorliegen.

Doch wenn so die Kirche anerkennt, dass ihre Lehre sich mit den lehren der Symbole in allen Teilen decken müsse, welchen Sinn hat es dann, noch Symbole aufzustellen und die Lehrer der Kirche auf die Symbole zu verpflichten? Darauf ist zu antworten: Wir stehen in der Kirche vor einer sonderbaren Tatsache, auf welche uns freilich Gottes Wort schon im voraus aufmerksam gemacht hat. Wir stehen vor der Tatsache, dass es Leute in der Kirche gibt, welche nicht nur ihre eigenen Gedanken in der Kirche lehren, sondern auch behaupten, dass diese ihre eigenen Gedanken die göttliche Lehre seien. Da treten die Reformierten auf und sagen: Die Schrift lehrt, dass im heiligen Abendmahl Brot und Wein nur Zeichen des abwesenden Leibes und Blutes Christi seien. Da treten die Papisten auf und sagen: Die heilige Schrift lehrt, dass ein Mensch gerecht werde nicht aus dem Glauben allein, sondern auch aus den Werken. Es ist also in der Kirche eine Verwirrung angerichtet worden in Bezug auf das was Schriftlehre sei.

Was soll bei dieser Situation die Kirche Gottes tun? Was soll sie tun, um sich von denen zu unterscheiden, die sich auf Gottes Wort berufen, aber nicht die göttliche Lehre führen? Die Kirche Gottes kann nichts anderes tun, als dass sie Symbole, Bekenntnisachriften, aufstellt, in denen sie sagt, was die wirklich in der heiligen Schrift enthaltene Lehre sei.— Was soll die Kirche Gottes tun, wenn sie Lehrer berufen und sich vergewissern will, ob diese Lehrer auch wirklich Gottes Wort lehren wollen? Sie kann nichts anderes tun, als dass sie die Lehrer auf ihre Bekenntnisse verpflichtet, das heisst, sie muss sich vergewissern, ob die Lehrer auch wirklich zum rechten Verständnis der Schrift, das sie in ihren Bekenntnisschriften darlegt, durchgedrungen sind.

Sehen Sie, das ist der eigentliche Grund, weshalb die Kirche Gottes seit der Apostel Zeit Symbole aufgestellt hat, und weshalb sie ihre Lehrer auf diese Symbole verpflichtet. — Daraus erhellt denn auch schon, warum die Kirche ,Gottes von den Lehrern fordern muss, dass sie sich mit quia und nicht bloss mit quatenus auf ihre Symbole verpflichten lassen. Die Verpflichtung mit quia hat den Sinn, dass die Lehrer versprechen: wir wollen dem Bekenntnis gemäss lehren, weil wir erkannt haben, dass alle Lehren desselben mit Gottes Wort übereinstimmen. Die Verpflichtung mit quatenus hat den Sinn: wir bekennen uns zu den Lehren, die in den symbolischen Büchern dargelegt sind, insofern wir sie mit Gottes Wort übereinstimmend finden. Nur durch die Verpflichtung mit quia erreicht die Kirche ihren Zweck, nicht aber durch die Verpflichtung mit quatenus, denn erlaubt sie einem Lehrer, die Bekenntnisse mit quatenus zu unterschreiben, so ist es dem Lehrer anheimgestellt, irgend eine in den Symbolen bekannte Lehre als nicht verbindlich auszunehmen, unter dem Vorgeben, er finde diese Lehre nicht in der Schrift. — Darum ist es ein Kennzeichen,


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wodurch unsere lutherische Kirche sich als die rechtghäubige Kirche zu erkennen gibt, dass sie darauf besteht, dass ihre Lehrer sich ohne Rückhalt, das heisst, mit quia, nicht mit quatenus, auf ihr Bekenntnis verpflichten lassen. Ueber diese Stellung unserer Kirche heisst es Thesis 21 (B):

,,Die evangelisch-lutherische Kirche verlangt von ihren Gliedern und insonderheit von ihren Lehrern, dass auch sie sich zu ihren Symbolen ohne Rückhalt bekennen und darauf verpflichten lassen.“

Die Concordienformel sagt über die Notwendigkeit der Symbole (Vorrede zum Concordienbuch Seite 19):

,,Wenn denn dem also ist und wir unseres christlichen Bekenntnisses und Glaubens aus göttlicher, prophetischer und apostolischer Schrift gewiss und dessen durch die Gnade des heiligen Geistes in unsern Herzen und christlichen Gewissen genugsam versichert sein, und denn die höchste und äusserste Notdurft erfordert, dass bei so vielen eingerissenen Irrtümern, erregten Aergernissen, Streit und langwierigen Spaltungen eine christliche Erklärung und Vergleichung aller eingefallener Disputation geschehe, die in Gottes Wort wohlgegründet, nach welcher die reine Lehre von der verfälschten erkannt und unterschieden werde, und den unruhigen zankgieri gen Leuten, so an keine gewisse Form der reinen Lehre gebunden sein wollen, nicht alles frei und offen stehe ihres Gefallens ärgerliche Disputation zu erwecken und ungereimte Irrtümer einzufiihren und zu verfechten.

so haben wir die Edition und Publizirung desselben“ (Concordienwerks) ,,nicht länger einstellen noch aufhalten sollen. .. Denn wir (abermals schliesslich und endlich (dies) zu wiederholen) durch dieses Concordienwerk nichts Neues zu machen, noch von der einmal von unsern gottsehigen Vorfahren, und uns erkannten und bekannten göttlichen Wahrheit, wie die in prophetischer und apostolischer Schrift gegründet und in den dreien Symbolis, auch der Augsburgischen Konfession, Anno. 1530 Carolo V., hochmilder Gedächtnis, übergeben, der darauf erfolgten Apologie, in den Schmalkaldischen Artikeln und dem grossen und kleinen Katechismus des hocherleuchteten Mannes Doctor Luthers, ferner begriffen ist, gar nicht, weder in rebus noch phrasibus, abzuweichen, sondern vielmehr durch die Gnade des heiligen Geistes einmütiglich dabei zu verharren und zu bleiben, und alle Religionstreite und deren Erklärungen darnach zu regulieren gesinnet sein.“

Die Notwendigkeit der Symbole ist nicht eine absolute, sondern nur eine relative. Symbole sind nur in einer Beziehung, gewisser Umstände wegen, nötig. Welches sind diese Umstände?


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Wenn es zwar Irrlehrer gäbe, aber diese Irriehrer offen heraussagen würden: was wir vortragen, steht nicht in Gottes Wort, sondern ist von uns selbst ersonnen: dann brauchten wir keine symbolischen Bücher. Es würde die Verptlichtung auf die heilige Schrift genügen. Aber nun machen es die Irrlehrer ganz anders. Sie sagen nicht: Das, was wir lehren, haben wir uns einfallen lassen, sondern sie sagen; was wir lehren, das steht in der heiligen Schrift, ist Schriftlehre. So genügt es nicht, dass die Kirche Gottes einfach sagt: wir bekennen uns zur heiligen Schrift. Zur heiligen Schrift bekennen sieh> auch die Irrlehrer. die unter dem Deckmantel der heiligen Schrift falsche Lehre führen. So ist die Kirche Gottes in die Notwendigkeit versetzt, Syinbole aufstehlen und sagen zu müssen, welches die Lehre der heiligen Schrift in streitigen Punkten sei. Die recbtgläubige Kirche als<> stellt Symbole auf, nicht etwa, um noch neben der heiligen Schrift eine andere Glaubensnorm aufzustellen, sondern um keine andere Glaubensnorm neben der Schrift aufkommen zu lassen> um ihre Lehrer an die Schrift zu binden.

Unser Bekenntnis nennt die Leute, welche an keine gewisse Form der Lehre gebunden sein wollen, ,,unruhige, zankgierige Leute.“ Wer wirklich nur die Lehre der heiligen Schrift vortragen will, kann nichts dagegen haben, dass er auf das Bekenntnis. welches nichts als Schriftlehre enthält, verpflichtet werde.

In ,,in rebus, noch> in phrasibus“ halten wir uns an das Bekenntnis gebunden: Damit soll nicht gesagt sein, dass wir immer nur mit Bekenntuisworten von einer Lehre zu reden haben. Wir können und sollen ,,mehr und andere Worte“ gebrauchen. Aber (las bekennen wir, wenn wir unsere Bekenntnisschriften unterschreiben, dass wir auch die Ausdrücke, welche in den symbolischen Büchern gebraucht sind, um die Lehre auszudrücken, nicht verwerfen, sondern als rechte, kongruente Ausdrücke annehmen. Wir ,,regulieren“ Reh gionsstreite na eh unseren Bekenntnisschri ften, nämlich in unserer eigenen Mitte, weil ,wir erkannt haben, dass die Lehre der Symbole mit Gottes Wort übereinstimmen. Streiten wir hingegen mit solchen, welche unsere symbolischen Bücher nicht annehmen, dann argumentieren wir einzig und allein aus der Schrift. Es folgen im Referat zwei Verpflichtungsformeln aus dem 16. Jahrhundert. Ich weise Sie auf die Verpflichtungsformel hin, welche unsere Synode gebraucht, und auch Ihnen einst vorgelegt werden wird, wenn Sie in das heilige Predigt-amt eintreten. Es heisst in unserer Agende: ,,Aus dem allen er-kennet Ihr, welch ein hohes . . dazu stärke mich Gott durch seinen heiligen Geist! Amen."

Aus dieser Verpflichtungsformel sehen Sie klar, in welchem Sinn auch wir uns unbedingt auf die symbolischen Bücher verpflichten lassen, nämlich, weil wir erkannt haben, dass sie eine unverfälschte Erklärung und Darlegung der Lehren des göttlicl>en Wortes seien. Wir bekennen uns also in unsren Symbolen


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nicht zu Dingen, die ausserhalb des Wortes Gottes liegen, sondern nur zu Dingen, die in Gottes Wort gelehrt sind. — Von Ihnen wird erwartet, dass Sie, ehe Sie sich auf die Symbole der lutherischen Kirche verpflichten lassen, diese Symbole gewissenhaft geprüft haben, ob alle in denselben vorgelegten Lehren mit dem Wort Gottes übereinstimmen. Sie haben hier drei Jahre lang Gelegenheit, die Symbole unserer Kirche genau kennen zu lernen. Sie hören auch Vorlesungen über dieselben in einem zweijährigen Kursus Raben Sie Bedenken in Bezug auf diesen oder jenen Punkt, so können Sie weiteren Bericht von Ihren Lehrern erbitten.

Spener spricht sich über die Verpflichtung mit quia und quatenus so aus:

,,Wo jemand so schwach wäre, der sich anders nicht, als mit der Bedingung quatenus, sofern die Bücher mit Gottes Wort übereinstimmen, aus diesem Skrupel zu verbinden getraute: weil ihm auch unwissend sich etwas in den symbolischen Büchern dem göttlichen Worte nicht gemäss finden möchte — (so) hielte ich davor, dass man seines Gewissens schonen und, da man im Uebrigen sähe, dass bei ihm kein Betrug (sei), sich damit vergnügen könnte. So halte doch billig, weil unter dieser Klausel ,sofern‘ einer leicht einen Betrug verhehlen könnte, dass er, da er doch davor hielte, dass die symbolischen Bücher auch in eigentlichen Glaubens punkten mit Gottes Wort nicht einstimmig, sondern irig wären, dennoch aus weltlichen Ursachen mit solcher Bedingung (sofern) unterschriebe, dass ordentlicherweise die Verbindung nicht also klausuhirt, sondern schlechterdings (absolute) gefordert und geleistet werde: quia, weil solche Bücher (so viel nehmlich ein jeder nach getaner Pru fung die Sache begriffe, weil ohne das niemand weiter gehen kann) der Schrift gemäss sein. Indem, wo dieses nicht geschieht, der Zweck derer, die die Verbindung fordern, welcher derjenige ist, von dem Glauben der ihnen Untergebenen eine Versicherung zu haben, unter solcher Bedingung bei denen, so betrüglich sein wollen, nicht erhalten würde und es zu einem Gespott werden möchte; indem einer einem Buche, das er allerdings vor irrig hielte, wann nur noch etwas Gutes darinnen wäre, auf solche Art betrüglich unterschreiben könnte. Daher ich mich auch allemal nicht unter dieser Bedingung, sondern bloss dahin, unbedingt verbunden habe.“

Es ist ein ganz sonderbares Bedenken, wie Spener auch weiterhin aufzeigt, wenn jemand sagt: Ich habe die symbolischen Bücher geprüft und finde, dass alle ihre Lehren mit Gottes Wort übereinstimmen. Nun möchte aber doch, auch nach meiner ernstlichen Prüfung, mir dies oder jenes entgangen sein, das zwar


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mit Gottes Wort nicht übereinstimmt, was ich aber als nicht übereinstimmend noch nicht erkannt habe. Darauf ist zu sagen: Die Verpflichtung mit quia hat den Sinn, dass jemand nacht besten Wissen und Gewissen, nach ernster Prüfung, gefunden hat: es ist nichts Schriftwidriges in den Symbolen. Diese Stellung. die der hier Zweifelnde kundgibt, laboriert an einer gemachten Schwierigkeit. Bei der Verpflichtung mit quatenus kann jeder Pastor ausnehmen, was er will. Er kann zum Beispiel die Lehren von der Bekehrung, von der Gnadenwahl, vom Abendmahl. von der Taufe, ja, auch vom dreieinigen Gott ausnehmen, und schliesslich nur stehen hassen, dass in den lutherischen Symbolen die Existenz Gottes bekannt sei. Es heisst> grob ausgedrückt, eine Gemeinde an der Nase herumführen, wenn man ihr anbietet, man wolle sich mit quatenus auf ihr Bekenntnis verpflichten lassen. Mit quatenus könnte jemand allenfalls auch den Koran unterschreiben, denn nicht alles, was im Koran steht, ist Lüge.

Auch in unserer amerikanisch-lutherischen Kirche ist ja viel über die Verpflichtung auf die Symbole gestritten worden. Auch lutherische Synoden vertraten ganz entschieden den Standpunkt, dass man nur mit quatenus, nicht mit quia auf das lutherische Bekentnis sich verpflichten lassen könne. Dieser Streit wurde auch in die Gemeinden hineingetragen. Selbst unsere Farmer in Wisconsin beschäftigten sich mit quia und quatenus. Sie haben nach einiger Belehrung die Sache wohl begriffen.

Es is Torheit, zu sagen, dass mit dem quia das Gewissen des Pastors geknechtet werde. Es wird ja niemand gezwun gen. Pastor einer treu-lutherischen Gemeinde zu werden. Wer mit gutem Gewissen nicht sagen kann: ich nehme die lutherischen Symbole an, weil ich sie als übereinstimmend mit Gottes Wort gefunden habe, der bleibe einfach fern von dem Lehramt in der lutherischen Kirche. Ja, es steht so: wer sich nicht mit quia auf das lutherische Bekenntnis verpflichten lassen will, der will die Gemeinde knechten. Ihm soll es frei stehen, in der Gemeinde zu lehren, was er will, während es doch in Gottes Wort gerade den Gemeinschaft pflegen, welche alle Artikel des christlichen Glaurecht gelehrt werde. Darum gehen unsere Gemeinden mit ihrer Forderung nicht über Gottes Wort hinaus, wenn sie von den Lehrern, die sie berufen, verlangen, sie sollen sich mit quia auf das lutherische Bekenntnis verpflichten lassen. Und ich hoffe, dass auch Sie alle einst imstande sein werden, sich mit qnia verpflichten zu lassen. Denn Gottes Wort ist klar, und was Gottes Wort klar aussagt, das ist in unserem Bekenntnis dem Irrtum gegenüber bekannt.


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Einundzwanzigster Vortrag

Dass wir sogenannte ,,Missourier“ nur mit denen kirchliche Gemeinden befohlen ist, darauf zu sehen, dass in ihrer Mitte nur bens recht lehren, findet man sehr verwunderlich. Nicht nur den Sekten ist diese kirchliche Praxis ganz unverständlich, sondern a uch vielen sogenannten ,,Lutheranern“ überaus anstössig. Man hat uns deshalb engherzige, lieblose Leute genannt. Der ganze Chor der modernen Theologen stimmt in diese Verurteilung ein.

Was haben wir von dieser Verurteilung unserer kirchlichen Praxis zu halten? Sie ist ein Zeichen der grossen geistlichen Verkommenheit in unserer Zeit. Denn wenn irgend etwas in der heiligen Schrift den Christen geboten, die Schwachen im Glauben falschen Lehrern sich nicht unieren, sondern von denselben separieren sollen. — Oder, man zeige uns nur irgend eilte Stelle der heiligen Schrift, welche es den Christen erlaubt, mit Irrlehrern kirchliche Gemeinschaft zu pflegen. Sie können die ganze heilige Schrift durchlesen, Sie fiiiden eine solche Stelle nicht. Wohl aber ist die heilige Schrift voll von Stellen des gegenteiligen Inhalts, des Inhalts, dass es den Christen als eine Christenpflicht eingeschärft wird, sich von allen Lehrern zu separieren, die von der in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehre abweichen. Der Apostel Paulus schärft allen Christen Röm. 16, 17. dies ein: ,,Ich ermahne euch, lieben Brüder, dass ihr aufsehet auf die, die da Zertrennung und Aergernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernet habt, und weichet von denselbigen.“ Wohl ist in der heiligen Schrift klar gelehrt ist, so ist es dies, dass die Christen mit nicht wegzuwerfen, sondern sie zu tragen, und diesem Gebot wollen auch wir durch Gottes Gnade nachkommen. Aber nirgends ist in der heiligen Schrift den Christen geboten, dass sie Lehrer sich gefallen lassen sollen, welche teils recht, teils falsch lehren. Vielmehr wird den Christen eingeschärft, nur solche Personen als Lehrer zu berufen, welche ,,lehrhaftig“ sind, das heisst, welche imstande sind, die rechte Lehre vorzutragen, die da festhalten an dem Vorbild der heilsamen Worte, die alles, was sie reden, als Gottes Wort reden.

Wohl geben wir mit unserem Bekenntnis zu, dass in allen den irrgläubigen Gemeinschaften, welche noch wesentliche Stücke des Wortes Gottes festhalten, gläubige Kinder Gottes sich befinden. Aber daraus nun zu schliessen, dass wir deshalb mit den irrgläubigen Gemeinschaften Kirchen gern einschaft pflegen müssten, das ist ein ganz falscher Schluss. Lassen Sie mich das an einem Beispiele klar machen. Als Absalom sich wider seinen Vater David empörte, gingen auch aus Jerusalem zweihundert Leute mit Absa-


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lom, die nichts um die Sache wussten, das heisst, die garnicht wussten, dass sie unter die Fahne eines Empörers getreten waren. Wurde nun dadurch Absaloms Empörung recht? War es darumdem ganzen Israel erlaubt, auf Absaloms Seite zu treten, sich mit Absalom zu unieren, weil eben doch eine ganze Anzahl in ihrer Unwissenheit mit Absalom gelaufen waren? Keineswegs. Die Empörung Absaloms blieb Empörung, und das Treten unter die Fahne Absaloms blieb Auflehnung gegen die legitime von Gott geordnete Herrschaft, gegen die Herrschaft Davids. So ist es auch im Geistlichen. Wir sollen nicht meinen, dass wir deshalb mit Irrgläubigen Kirchengemeinschaft machen dürfen, weil unter den Irrgläubigen schwache Christen sich befinden. Das Aufrichten gesonderter Gemeinschaften auf Grund der Irriehre ist und bleibt immer Empörung gegen Gott und Empörung gegen die rechtgläubige Kirche. Darum ist es den Christen so ernstlich in der Schrift verboten, mit Irrgläubigen sich zu unieren, und so ernstlich geboten, sich von ihnen zu separieren. Es ist viel öfter in der heiligen Schrift den Christen verboten, falsche Lehrer zu hören, als ihnen verboten ist, nicht zu stehlen. Darum handelt jeder gegen Gottes so deutlich ausgesprochenen Willen, welcher mit Irrgläubigen kirchliche Gemeinschaft hält. Ja, eine kirchliche Gemeinschaft, ,welche Kirchengemeinschaft mit Irrgläubigen hält, hört eo ipso auf, eine rechtglaubige Gemeinschaft zu sein. Denn die rechtgläubige Kirche bekennt die Wahrheit und verwirft den Irrtum; eine Gemeinschaft aber, welche sich mit Irrgläubigen uniert, verleugnet die Wahrheit und bestätigt den Irrtum. Darum hat denn unsere lutherische Kirche, die Kirche der Reformation, von allem Anfang an jede Union mit Irrgläubigen verworfen. Und das ist ein weiteres Kennzeichen dafür, dass sie eine rechtgläubige Kirchengemeinschaft ist. Es heisst in These 21 (C):

,,Die evangelisch-lutherische Kirche verwirft jede brüderliche und kirchliche Gemeinschaft mit denen, die ihr Bekenntnis, sei es ganz oder teilweise, verwerfen.“

Die These ist also aus der Schrift begründet. Dass eine äusserliche kirchliche Union ohne Einigkeit des Glaubens, der Lehre, und des Bekenntnisses wider Gottes Wort sei, beweisen folgende Aussprüche des heiligen Geistes:

,,Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen. Denn was hat die Gerechtigkeit für Geniess mit der Ungerechtigkeit? Was hat das licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmet Christus mit Behial? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen? . . Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der HErr, und rühret kein Unreines an:

so will ich euch annehmen, upd euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der allmächtige HErr.“ 2 Kor. 6, 14 — 18.


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,,So jemand zu euch kommt und bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause, und grüsset ihn auch nicht, denn wer ihn grüsset, der macht sich teilhaftig seiner bösen Werke.“ 2 Job. 10, 11.

,,Ich ermahne euch, lieben Brüder, dass ihr aufsehet auf die, die da Zertrennung und Äegernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernet habt, und weichet von denselbigen.“ Röm. 16, 17.

,,Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermal ermahnet ist.“ Tit. 3, 10.

,,Seid fleissig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Ein Leib und Ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Ein HIErr, Ein Glaube, Eine Taufe.“ Eph. 4, 3— 5.

Gegen die Verwendung von 2 Kor. 6, 14—18 in diesem Zusammenhang hat man in unserer Zeit heftig protestiert. Man hat gesagt: Hier ist ja die Rede von der Union mit den Ungläubigen. Die Union ist freilich verboten, nicht aber ist hier die Union mit den Irrgläubigen untersagt. Unser Bekenntnis (wie wir noch sehen werden) und unsere alten Theologen allesamt verwenden diese Stelle als Beweisspruch gegen die Union mit Irrgläubigen, und sie tun recht daran. Wohl ist hier zunächst die Union mit Ungläubigen verboten. Aber bedenken Sie: der Irrglaube, insofern er Irrglaube ist, ist auch immer Unglaube dem Worte Gottes gegenüber, zum Beispiel der Irrglaube der Reformierten, dass im heiligen Abendmahl nicht Christi Leib und Blut sei, ist Unglaube den Worten vom heiligen Abendmahl gegenüber. Nur so können die Reformierten zu ihrer Lehre kommen, und nur so können sie ihre Lehre vom Abendmahl festhalten, dass sie sagen: Wir glauben die Worte vom heiligen Abendmahl, wie sie in der heiligen Schrift geschrieben stehen, nicht. Und sodann: sollte Gott uns bloss verbieten, dass wir uns nicht von Ungläubigen falsche Lehre predigen lassen, dagegen gestatten, dass die Irrgläubigen uns mit falscher Lehre traktieren? Nein, worauf es Gott ankommt, ist, dass überhaupt keine falsche Lehre in seiner Kirche gepredigt werde. Gott will nur sein Wort in Geltung haben in der Kirche. Damit hat er aller Irrlehre die Berechtigung in seiner Kirche abgesprochen, von wem auch immer sie proklamiert werden möge, ob von ausgesprochenen Ungläubigen oder Irrgläubigen. 2 Joh. 10, 11 ist das ,,Grüssen“ und das ,,zu Hause nehmen“ in einem ganz besonderen Sinn zu verstehen. Der Gruss ist der Glaubensbrudergruss, und das ,,zu Hause nehmen“ ist das Aufnehmen als eines rechten Propheten. Dies soll nicht geschehen bei allen denen, welche nicht die in der heiligen Schrift geoffenbarte Lehre in allen Stücken verkündigen. Wer sich für einen christlichen Lehrer ausgibt, aber ein solcher nicht ist, das heisst, nicht bei der geoffenbarten Lehre bleibt, den sollen die Christen auch nicht als


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einen christlichen Lehrer an- und aufnehmen. Röm. 16, 17 ist disertis verbis nicht Union mit den Irrgläubigen, sondern Separation von denselben geboten. Tit. 3, 10 ist das Verhalten gegen die vorgeschrieben, welche in der eigenen Mitte mit falscher Lehre auftreten. Die soll man ermahnen, um sie von der Irrlehre abzubringen. Halten sie aber trotz aller Ermahnung an der falschen Lehre fest, dann soll man sie meiden. Aus Eph. 4, 3—5 geht klar hervor, welches die rechte, von Gott gewollte Union sei, es ist die Einigkeit des Glaubens, welches der eine heilige Geist in dem einen geistlichen Leibe der Kirche durch die Gnadenmittel wirkt. Dieser Einigkeit sollen wir nachitrachten und mit allen Mitteln zu erhalten suchen. Die Mahnung des Apostels, diese Einigkeit zu bewahren, setzt voraus, dass Gott eine im Glauben einige Kirche, nicht verschiedene Schattierungen des Glaubens in der Kirche haben will. Apologie (Seite 162, 47):‘

,,Den 8. Artikel lassen ihnen die Widersacher ganz gefallen, da wir sagen, .. dass die Sakramente nicht darum ohne Kraft sein, ob sie durch Heuchher gereicht werden, denn sie reichens an Christus statt, und nicht für ihre Person, wie der Spruch lautet: ,Wer euch hört, der höret mich.‘ Doch soll man falsche Lehrer nicht annehmen oder hören, denn dieselbigen sind nicht mehr ait Christus statt, sondern sind Widerchristi. Und Christus hat von denen klar befohlen: ,Hütet euch für den falschen Propheten.‘ Und Paulus zu den Galatern:  ,Wer euch ein ander Evangelium prediget, der sei verflucht.“ (Artikel 8).

Die Sakramente werden nicht dadurch unkräftig, dass sie von ungläubigen Pastoren verwaltet werden, denn der Glaube dessen, der das Sakrament administriert, hat nichts mit der Kraft der Sakramente zu tun. Die Kraft der Sakramente beruht lediglich auf dem Wort der Einsetzung und der Verheissung. — Nun könnte man daraus den Schluss machen: also kann man sich allerlei Leute als Prediger gefallen lassen. Da sagt die Apologie:  Nein, so ist es nicht gemeint. Falsche Lehrer gebietet die Schrift zu meiden als Widerchristen.

Wer falsche Lehre führt, der setzt sich eo ipso in der Kirche wider Christum, weil Christus in seiner Kirche nichts als sein Wort gepredigt haben will. So müssen Sie falsche Lehre ansehen. Sie ist kein geringes Ding, sondern jedesmal Auflehnung gegen den Herrn der Kirche, welcher befohhen hat, dass nur sein Wort in der Kirche erschallen soll.

Die Concordienformel erinnert daran, dass man auch den Schein der Gemeinschaft mit Irrgläubigen vermeiden müsse. (Seite 698, 5, 6):

,,Unter die rechten freien Adiaphora oder Mittel-dinge nicht sollen gerechnet werden solche Zeremonien,


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die den Schein haben oder, dadurch Verfolgung zu vermeiden, den Schein fürgeben wolhten, als wäre unsere Religion mit der papistischen nicht weit von einander oder wäre uns dieselbe ja nicht hoch entgegen, oder wenn solche Zeremonien dahin gern einet, also erfordert oder aufgenommen. (werden), als ob damit und dadurch beide widerwärtige Religionen verglichen und Ein Gorpus worden, oder wieder. ein Zutritt zum Papsttum und ein Abweichen von der reinen Lehre des Evangelii und wahren Rehigion geschehen oder gemächlich daraus erfolgen sollte. Denn in diesem Fall soll und muss gelten, das Paulus schreibet 2 Kor. 6.: ,Ziehet nicht am fremden Joch.‘“ u. s. w.

Wir könnten das Brot im heiligen Abendntahl ebensowohl brechen als schneiden. Warum aber unterhassen wir das Brotbrechen? Die Reformierten haben das Brot brechen zu einem Symbol ,ihrer falschen Lehre gemach t. Sie haben nämlich gesagt, sie brächten deshalb das Brotbrechen im heiligen Abendmahl in Anwendung, um damit den Wahn der Lutheraner zu zerbrechen, dass Christi wahrer Leib und Blut im Abendmahl sei. Wir lassen da-hier das Brotbrechen nun anstehen ,,um auch den Schein zu meiden, als ob wir Teil hätten an der Leugnung des wahren Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl.

Die Schmalkaldischen Artikel wenden sich (Seite 336, 41) gegen jede Union mit den Papisten:

,,Weil nun dem also ist, sollen alle Christen auf das fleissigste sich hüten, dass sie solcher gottlosen Lehre, Gotteslästerung und unbilliger Wüterei sich nicht teilhaftig machen, sondern sollen vom Papst und seinen Gliedern oder Anhang, als von des Antichrists Reich, weichen und es verfluchen; wie Christus befohlen hat: Hütet euch für den falschen Propheten! Und Paulus gebeut, dass man falsche Prediger meiden und als ein Greuel verfluchen soll, und 2 Kor. 6 spricht er: ,Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen, denn was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?‘ u. s. w. Schwer ist es, dass man von so viel Landen und Leuten sich trennen und eine sondere Lehre führen will; aber hie stehet Gottes Befehl, dass jedermann sich soll hüten und nicht mit denen einhellig sein, so unrechte Lehre führen oder mit Wüterei zu erhalten gedenken.“

In Deutschland meint man jetzt vielfach, dass die papistische Religion auch eine ganz gute Religion neben anderen Religionen sei. Aber das Papsttum ist der grösste Greuel innerhalb der äusseren Christenheit. Das ganze Wesen und Treiben des Papsttums geht darauf aus, die Seelen von dem Vertrauen auf Christum abzuführen und ihnen den Sandgrund eigener Werke unterzu


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schieben. Wer die Seelen liebt, muss das Papsttum hassen mit rechtem Hass. Das Papsttum ist die Institution des Teufels, welche unter grossem christlichen Schein die Seelen mordet. Wer das Papsttum kennt und nicht von ganzem Herzen hasst, der hat das Evangelium noch nicht recht erkannt. Wer das Evangelium recht erkannt hat, der stimmt auch ein in die Mahnung, die Luther zu Schmalkalden aussprach, als er meinte, er würde nun bald sterben: ,,Deus vos impleat odio papae.“

Dass unsere lutherische Kirche auch an keine Union mit den Reformierten denken kann, drückt- die Concordienformel (Seite 653, 33) so aus:

,,Es hat auch Dr. Luther, welcher ja die rechte eigentliche Meinung der Augsburgischen Konfession für andern verstanden und beständi glich bis an sein Ende dabei geblieben und verteidiget, unlängst vor seinem Tode in seinem letzten Bekenntnis seinen Glauben von diesem Artikel mit grossem Eifer in nachfolgenden Worten wiederholet, da er also schreibt: ,Ich rechne sie alle in Einen Kuchen, das ist, für Sakramentirer und Schwärmer, wie sie auch sind, die nicht gläuben wollen, dass des HErrn Brot im Abendmahl sei sein rechter natürlicher Leib, welchen der Gottlose oder Judas ebensowohl mündlich empfähet, als St. Petrus und alle Heiligen; wer das, sage ich, nicht ghiuben will, der lasse mich nur zufrieden und hoffe bei mir keine Gemeinschaft; da wird nichts anders aus.“

Die reformierte Lehre ist ja viel besser, als die papistische Lehre. Das Papsttum verflucht offiziell das Evangelium von Christo, denn es sagt in den Beschlüssen des Tridentinums, derjenige solle verflucht sein, der da lehrt, dass ein Mensch gerecht und selig werde allein durch (las Vertrauen auf Christi Verdienst. Ein solcher Greuel findet sich bei keiner reformierten Sekte. Aber wir können mit den Reformierten keine kirchliche Gemeinschaft machen. Die reformierte Gemeinschaft ist als Sondergemeinschaft auf gewisse Irrlehren gegründet, welche sie gegen das Zeugnis aus Gottes Wort und gegen das Zeugnis der rechtgläubigen Kirche geltend gemacht hat. Die Reformierten haben sich von der rechtgläubigen Kirche getrennt auf Grund ihrer falschen Lehre von den Sakramenten und vom Wort Gottes überhaupt, und darum dürfen wir mit den Reformierten keine Kirchengemeinschaft pflegen, oder wir würden diese Teile des Wortes Gottes preisgeben, welche von den Reformierten verleugnet werden.

In den folgenden Worten Luthers wird die rechte, gottgefällige Union beschrieben. Diese besteht in der Einigkeit in der Lehre. Aeusserliche Union ohne Einigkeit in der Lehre in der Kirche ist eigentlich Kinderei. Sie gleicht dem Soldatenspielen der Kinder. Kinder legen sich einen grossen Bart an, haben ge


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waltige Schwerter in ihren Händen und stellen sich kriegerisch an. Aber alles ist Spielerei, sie spielen nur Soldaten. Das heisst nun auch Kirche spielen, wenn man, anstatt darnach zu trachten, einig im Glauben zu sein, nur darauf ausgeht, sich äusserlich möglichst in eine Uniform zu stecken, ein Kirchenregiment zu haben, äusserliche Ordnungen gemeinsam zu haben u. s. w. Als ob vor Gott auf diese Dinge etwas ankäme! Luther schreibt (XVII, 835):

,,Will man in der Religion Vergleichung suchen, so liebe man erst an, da die gründlichen Stücke sind, als Lehre und Sakrament; wenn dieselbigen verglichen sind, wird das andere äusserlich, das sie Neutralia heissen (Mitteldinge), selbst sich schicken; wie es in unsern Kirchen geschehen ist; so wäre Gott mit in der Concordia und würde die Ruhe und Friede beständig. Wo man aber die grossen Stücke will lassen stehen, und die Neutrahia handeln, so ist Gottes vergessen; da mag denn ein Friede (ohne Gott) werden, dafür man lieber möchte allen Unfried leiden. Es wird doch gehen, wie Christus Matth. 9 spricht: Der neue Lappe auf einem alten Rock macht den Riss ärger, und der neue Most zersprengt die alten Fässer. Man mache es entweder gar neu, oder lass das Flicken anstehen, wie wir getan haben, sonst ist es alles vergebliche Arbeit.“

Ueber IJnion auf dem Wege des Kompromisses sagt Luther (X, 1420):

,,Es fahen wohl jetzt etliche Klügli nge an zu flicken, wollen den Sachen raten und den Hader schlichten; geben für, man sollte auf beiden Seiten weichen und nachgeben. Die hassen wir zwar machen, und versuchen, was sie können, gönnen ihnen der Mühe wohl: werden sie aber den Teufel fromm und mit Christo eins machen, so sind sie die ersten. Ich halte es aber, es sei mit sohchiem Flickwerk eben (wie Jesus Sirach 22, 7 sagt), als wenn man Scherben wollte zusammenflicken. Und sind zwar bereits der Schuster viel gewesen, so sichs unterstanden> aber auch umsonst gearbeitet und beide, Draht und Stich, verloren. .. Was den Glauben und Chiristi Reich belanget, da man sein Szepter will beugen und ungerade machen, da will er kein Bessern noch Flicken haben. Und ob man sichs unterstehet, so machet man es nur damit ärger, dass man es gar verliert; denn dies Szepter soll und muss ganz und gerade bleiben (Ps. 45, ,7), ohne alle Brüche und Lücken, als die Regel und Mass, darnach man gläuben und leben soll.“

Das ist die Weise der Welt, auch in Rehigionssachen Einigkeit herstellen zü wollen: Jeder Teil soll etwas nachlassen. Gerade wie beim Pferdekauf. Der Verkäufer fordert so viel und der Käufer


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bietet so viel. Der Käufer legt noch einige Dollars zu, der Verkäufer lässt einige Dohhars nach, und schliesslich werden sie handelseinig. Nun ist aber Gottes lVort kein Handelsartikel, sondern ein Bekenninisartikel. Um Gottes Wort soll nicht gehandelt und gefeilscht werden in dieser Welt, sondern Gottes Wort soll gelehrt werden. Christus hat den Christen nicht den Auftrag gegeben: nun seht einmal zu, wie viel ihr von meinem Wort an den Mann bringen könnt; wenn es euch aber ans Leben geht, oder an den Geldbeutel, dann braucht ihr nicht mein Wort ganz zu bekennen. So hat Christus nicht gesagt. Er hat aber gesagt:

,,Gehet hin und prediget das Evangelium alher Kreatur.“ ,,Lehret sie halten, alles was ich euch befohlen habe.“ Das ist unser Mandat: sehen wir zu, dass wir daran festhalten!

Gott erfülle auch Sie alle durch seinen heiligen Geist mit dieser Gesinnung, dass Sie nie etwas von Gottes Wort nachlassen wollen, sondern Ihr Amt als dahin gehend auffassen, Gottes Wort zu bekennen.

Zweiundzwanzigster Vortrag

Noch drei Kennzeichen einer rechtgläubigen Kirchengemeinschaft haben wir zu erörtern. Zwei derselben Wollen wir heute Abend ins Auge fassen. Das erste Kennzeichen ist die rechte Verwaltung der Sakramente, des Sakraments der heiligen Taufe und des Sakraments des heiligen Abendmahls. Zwar geben wir zu, dass Menschen im Glauben stehen können, ohne die heiligen Sakramente empfangen zu haben. In Bezug auf das heilige Abendmahl liegt es ja auf der Hand. Viele Kinder stehen im wahren Glauben, und sterben auch selig, ohne je das heilige Abendmahl empfangen zu haben. — Aber auch die heilige Taufe ist nicht schlechthin notwendig, dass Glaube da sei. Es kann ein Mensch durch die Predigt des Evangeliums von Christo zum Glauben kommen, ohne die heilige Taufe empfangen zu haben, ja ohne von der heiligen Taufe gehört zu haben, denn der Glaube kommt gerade auch aus der Predigt, wie der Apostel bezeugt. Auch die Predigt des Evangeliums ist ein Same der Wiederge burt.

Aber trotz dieser Konzession halten wir daran fest, dass die Lehre von dem Sakrament des heiligen Abendmahls und von dem Sakrament der heiligen Taufe Fundamentallehren seien. Die Sakramente sind nämlich Gnadenmittel. Durch die Sakramente reicht der Herr Christus den Einzelnen nicht nur Vergebung der Sünden dar, sondern er versiegelt dieselbe auch den Einzelnen durch die Sakramente. Gerade die heiligen Sakramente sind auch ein Fundament, auf welchem der christliche Glaube sich gründend fröhlich rühmt: ,,Ich bin bei Gott in Gnaden durch


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Christi Blut und Tod.“ Aber vor allen Dingen: der Herr Christus hat seiner Kirche gerade auch die heiligen Sakramente zur Handhabung und treuer Bewahrung anvertraut. Die christliche Kirche soll taufen im Namen des dreieinlgen Gottes zur Vergebung der Sünden; die christliche Kirche soll im heiligen Abendmahl Christi Leib und Blut darreichen zur Vergebung der Sünden. Wenn nun die reformierten Gemeinschaften leugnen, dass durch die heilige Taufe überhaupt Vergebung der Sünden dargereicht werde, und wenn sie es wie mit einem Munde in Abrede nehmen, dass im heiligen Abendmahl Christi Leib und Blut dargereicht werde zur Besiegehung der Vergebung der Sünden, dann werfen sie fort, was Christus seiner Kirche anvertraut hat, zum grossen Schaden der Seelen. Und so stehlen sich die Reformierten durch ihre falsche Sakramentshehre selber ein testimonium heterodoxiæ aus.

Ganz anders die lutherische Kirche. Die lutherische Kirche bleibt, auch was die heiligen Sakramente anlangt, auf dem Worte Gottes fest stehen. Weil Gottes Wort sagt, dass die Taufe geschieht ,,zur Vergebung der Sünden“, dass die Taufe sei ,,der Bund eines guten Gewissens mit Gott“, dass durch das Wasser der Taufe die Sünden ,,abgewaschen“ werden, darum bekennt unsere Kirche auf die Frage: Was gibt oder nützet die Taufe? ,,Sie wirket Vergebung der Sünden, erlöset vom Tod und Teufel und gibt die ewige Seligkeit allen, die es glauben.“ Und weil der Herr Christus bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls gesagt hat von dem Brot, das er seinen Jüngern darreichte: ,, Siehe, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, und von dem Wein:

,,Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird“, so bekennt die lutherische Kirche auf die Frage: Was ist das Sakrament des Altars: ,,Es ist der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christo selbst eingesetzt.“

So hat auch in diesem Stück die lutherische Kirche das Kennzeichen der rechtglaubigen Kirche an sich. Thesis 22:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche verwaltet die heiligen Sakramente nach Christi Einsetzung.“

Luther weist den Papisten gegenüber darauf hin, dass die lutherische Kirche nicht eine neue, sondern die rechte alte, apostolische Kirche sei, denn sie bleibt auch in der Lehre von der heiligen Taufe und in der Lehre vom heiligen Abendmahl bei Gottes Wort, bei dem Wort, das auch die apostolische Kirche hatte. Luther schreibt (XVII, 1657 f.):

,,Erstlich, wird das niemand leugnen können, dass wir sowohl, als die Papisten, herkommen aus der heiligen Taufe und Christen aus derselben genennet sind. Nun ist die Taufe nicht ein Neues, noch zu dieser Zeit von uns erfunden, sondern es ist eben dieselbige alte Taufe, die Christus eingesetzt, darinnen die Apostel und erste Kir-


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che und alhe Christen hernach bis daher getauft sind. Haben wir nun dieselbige Taufe der ersten alten (und, wie im Symbole steht, catholicæ, das heisst, der ganzen christlichen) Kirchen und sind eben in derselben getauft: so gehören wir gewisshich in dieselbe alte und ganze christliche Kirche, die mit uns gleich und wir mit ihr gleich aus einerlei Taufe herkommen, und ist der Taufe halben kein Unterschied. Die Taufe aber ist das fürnehmste und erste Sakrament, ohne welche die andern alle nichts sind; wie sie bekennen müssen. Darum können uns die Papisten nicht mit Wahrheit eine andere oder neue Kirche schelten oder ketzern, weil wir der alten Taufe Kinder sind, sowohl als die Apostel selbst und die ganze Christenheit. Ephes. 4: ,Einerlei Taufe‘ Zum andern, wird das niemand leugnen, dass wir das heilige Sakrament des Altars haben gleich und eben, wie es Christus selbst eingesetzt und die Apostel hernach und die ganze Christenheit gebraucht haben, und essen und trinken also mit der alten und ganzen Christenheit von einerlei Tisch und empfahen mit ihnen dasselbe einerlei alte Sakrament, und haben darinnen nichts Neues noch Anderes gemacht; derohalben mit ihr einerlei Kirche oder, wie St. Paulus 1 Kor. 12, 13 (redet), ,einerlei Leib, einerlei Brod sind, die wir von einerlei Brod essen und einerlei Kelch trinken.‘ Darum uns die Papisten nicht können Ketzer oder neue Kirche schelten, sie müssen zuvor Christum, die Apostel und die ganze Christenheit Ketzer schelten; wie sie denn auch in der Wahrheit tun, denn wir sind mit der alten Kirche einerlei Kirche in einerlei Sakrament.«

Die Taufe, sagt Luther, ist das ,,erste Sakrament“, nämlich daß Sakrament des öffentlichen, feierlichen Eintritts in die Kirche. Es kann niemand zum heiligen Abendmahl zugelassen werden, der nicht zuvor getauft ist, weshalb wir diejenigen Konfirmanden, die noch nicht getauft sind, oder in unitarischen Gemeinschaften getauft wurden, erst taufen, ehe wir sie zur Konfirmation und zum Abendmahl zulassen. Das Sakrament der Taufe ist sacramentum initiationis. Auch halten wir fest, dass wir einerlei Taufe mit der apostolischen Kirche haben. Dass wir zum Teil andere Zeremonien bei der Taufe haben als die apostolische Kirche, macht die Taufe selbst nichts anders. Es kommt darauf an, dass wir im Namen des dreieinigen Gottes taufen zur Vergebung der Sünden. Tun wir das, so haben wir die von Christo eingesetzte Taufe und die Taufe der apostolischen Kirche.

Die reformierten Gemeinschaften haben die rechte Taufe, weil sie vom Wesen der Taufe recht lehren und im Namen des dreieinigen Gottes taufen. Falsch lehren sie von der Frucht


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der Taufe. Aber die reformierten Gemeinschaften haben kein Abendmahl, weil sie den Sinn der Worte Christi vom heiligen Abendmahl ändern und öffentlich verwerfen. Der Herr Christus hat ein solches Abendmahl eingesetzt, in dem er unter Brot und Wein seinen Leib und sein Blut geben will. Nun bekennen die reformierten Gemeinschaften, sie wollen garnicht ein solches Abendmahl feiern, sie wollen vielmehr ein Abendmahl feiern, in welchem Christi Leib und Blut nicht gegenwärtig ist, sondern nur Zeichen des abwesenden Leibes und Blutes Christi dargereicht werden. Ein solches Sakrament hat Christus nicht eingesetzt. Die Reformierten haben daher so wenig ein Abendmahl als die die Unitarier eine Taufe haben.

Ein weiteres Kennzeichen einer rechtglaubigen Kirche ist dies, dass in derselben die rechte Lehre nicht bloss als zurechtbestehend anerkannt, sondern wirklich gepredigt wird. Man will in unserer Zeit dies nicht als ein Kennzeichen einer rechtgläubigen Kirche anerkennen. Wenn wir den deutschen, sogenannten ,,lutherischen“, Landeskirchen den Charakter ,,rechtglaubiger Kirchen“ absprechen, weil in ihnen mannigfaltig falsche Lehren geduldet werden, und wenn wir aus demselben Grunde hiesige lutherisch sich nennende Synoden nicht als rechtglaubige Kirche anerkennen wollen, so findet man das ungehörig. Man sagt: Das lutherische Bekenntnis isf noch offiziell bei uns in Geltung. Darum müssen wir auch noch für rechtgläubige Gemeinschaften gehalten werden. Diese Argumentation ist durchaus verkehrt. Sonst argumentiert man nicht so. Wenn zum Beispiel an einem Gebäude das Zeichen, ich will sagen ,,Schuhfabrik“ angebracht wäre, und bei näherem Zusehen sich ergäbe, dass da nicht Schuhe gemacht werden, sondern ein buntes Allerlei in die Welt gesetzt wird, so würde doch kein Mensch behaupten, dass das Gebäude Schuhfabrik sei, weil da zufällig äusserlich das Zeichen ,,Schuhfabrik“ angebracht ist. Nein, der Charakter eines Gebäudes bestimmt sich danach, was wirklich darin getrieben wird. Geradeso ist es auch in geisthicher iinsicht. Der Charakter einer kirchlichen Gemeinschaft wird durch das bestimmt, was tatsächlich in der Gemeinschaft gelehrt wird, nicht was vielleicht alten Dokumenten zufolge darin gelehrt werden soll, aber tatsächlich nicht gelehrt wird. — Wenn in der Konstitution einer Gemeinde garnicht das lutherische Bekenntnis erwähnt wäre, wenn aber in dieser Gemeinde doch in allen Stücken dem Worte Gottes gemäss gelehrt würde, so wäre diese Gemeinde eine rechtgläubige lutherische Gemeinde. Und wenn eine Gemeinde in ihrer Konstitution zehnmal sagt, es sollte in dieser Gemeinde lutherisch gepredigt werden, in Wirklichkeit aber wird nicht lutherisch, sondern methodistisch, baptistisch, synergistisch u. s. w. gepredigt, dann ist diese Gemeinde trotz ihrer Erklärung in ihrer Konstitution doch keine lutherische Gemeinde. Kurz, der Charakter einer


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kirchlichen Gemeinschaft wird dadurch bestimmt, was in dieser Gemeinschaft tatsächlich gelehrt wird, nicht was gelehrt werden soll. Lassen Sie sich in Bezug auf diesen Punkt nicht den Standpunkt verrücken.

Unsere lutherische Kirche hat immer betont, dass nur die Gemeinschaft mit Recht den Namen einer lutherischen Gemeinschaft führe, die auch wirklich von allen ihren Predigern verlangt, dass sie lutherisch lebren, und die darauf sieht, dass diesem Verlangen auch Folge gegeben wird.

Denken wir doch auch noch an den Endzweck einer Kirche. Was ist der Endzweck einer Kirchengemeinschaft? Es sollen Seelen selig gemacht werden. Nun werden aber nicht dadurch Seelen selig gemacht, dass irgendwo in der Bibliothek ein Buch steht, in welchem die reine Lehre enthalten ist, sondern dadurch, dass die reine, sehigmachende Lehre gepredigt wird. Dabei bleiben auch wir: was tatsächlich als Lehre in einer Kirche erschallt, das bestimmt den Charakter der Kirche. Wo lutherische Lehre erschallt, da ist die lutherische Kirche, wo nicht lutherische Lehre erschallt, da ist nicht die lutherische Kirche. These 23 lautet daher:

,,Wahre evangelisch-lutherische Partikular- und Lokalkirchen oder Gemeinden sind nur diejenigen, in welchen die Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche, wie sie in deren Symbolen niedergelegt ist, nicht nur gesetzlich anerkannt ist, sondern auch in öffentlicher Predigt im Schwange geht.“

Luther legt dar, was es eigentlich heisse: ,,Gottes Wort haben." Das heisst nicht: die Gemeinde hat eine Anzahl Bibeln im Besitz, sondern das heisst: die Gemeinde hat aus Gottes Wort die richtige Lehre erkannt und bekennt nun auch diese Lehre, sonderlich dadurch, dass sie das rechtgläubige Predigtamt unter sich aufgerichtet hat und erhält. Das heisst eigentlich Gottes Wort haben. Aeusserlich Gottes Wort haben, nämlich eine Anzahl Bibeln besitzen, ist nicht ein unterscheidenes Kennzeichen der christlichen Kirche, denn Bibeln können auch Heiden und Tür ken besitzen. Luther sagt (XVI, 2785):

,,Eratlich ist dies christliche heilige Volk dabei zu erkennen, wo es hat das heilige Gottes-Wort. .. Wir reden aber von dem dusserlichen Wort, durch Menschen, als durch dich und mich, mündlich gepredigt. Denn solches hat Christus hinter sich gelassen als ein äusserlich Zeichen, dabei man sollte erkennen seine Kirche oder sein heilig christlich Volk in der Welt. Auch reden wir von solchem mündlichen Wort, da es mit Ernst gegläubet und öffentlich bekannt wird vor der Welt, wie er spricht Matth. 10, 32. 33. Mark. 8, 9. ,Wer mich bekennet vor den Leuten, den will ich bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln.“‘


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Auch Gerhard schärft ein, dass eine Kirchengemeinschaft mit Recht nach ihren öffentlichen Lehrern beurteilt wird (De ecclesia § 126)

,,Wie die Lehre ist, die im öffentlichen Amt einer Kirche erschallt, so wird auch diese Kirche angesehen. Wenn die katholische Lehre (die reine Lehre der allgemeinen Rirche) in derselben erschallt, so wird sie auch für eine katholische (rechtgläubige) Kirche angesehen und also genannt; wenn eine ketzerische Lehre in derselben erschallt, so wird sie für eine ketzerische angesehen und also genannt.“

Auch wir Missourier können es nicht ungehörig finden, wenn man unsere Gemeinschaft nach unseren Predigern beurteilt, und zwar nach den cinzelnen Predigern. Man beurteilt mit Recht unsere Gemeinschaft zum Beispiel nach dem, was unsere Pastoren in San Francisco oder in New Orleans oder in New York oder in Chicago predigen. Es ist nicht nötig, dass jemand alle unsere Pastoren hört, um sagen zu können, was die Missouri-Synode lehrt. Nein, nach jedem öffentlichen Lehrer muss sich eine kirchliche Gemeinschaft beurteilen lassen. Und wir, als Synode, übernehmen eine Garantie, so zu sagen, für jeden Prediger. Deshalb prüfen wir auch erst die Prediger genau, ehe wir sie ins Amt lassen. Wir empfehlen sie erst dann unseren Gemeinden zur Berufung, wenn wir sie geprüft haben, ob sie imstande sind, in allen Stücken die rechte Lehre zu führen. Und fängt ein Prediger an, falsch zu lehren, dann nehmen wir als Gemeinschaft diesen Prediger in Zucht. Entweder bringen wir ihn wieder zurecht, dann bleibt er bei uns; oder aber wir bringen ihn nicht zurecht, dann schliessen wir ihn aus.

Ebenso beurteilt man unsere Gemeinschaft nach dem, was zum Beispiel unsere Professoren der Theologie öffentlich lehren und sonderlich auch schreiben. Man beurteilt mit Recht den Standpunkt unserer Synode nach dem, was im ,,Lutheraner“ oder in ,,Lehre und Wehre“ veröffentlicht wird. Kein Glied der Synode kann sagen: Was geht mich das an, was in ,,Lehre und Wehre“ steht, oder was im ,,Lutheraner“ von Z. geschrieben ist. Wenn jemand meint, es sei nicht recht, was in diesen Blättern zu lesen war, dann hat er die Pflicht, auf das vermeintliche Versehen aufmerksam zu machen. Das allein entspricht der Idee der christlichen Kirche, denn Gott will nicht haben, dass in einer kirchlichen Gemeinschaft der eine dies, der andre das lehrt, sondern alle sollen in allen Lehren übereinstimmen. Dazu hat Gott eine in allen Stücken klare heilige Schrift gegeben:

,, H altet fest an einander in einem Sinn und einerlei Meinung.“

Und wie wir uns beurteilen lassen, so beurteilen wir auch andere. Wenn in einer Gemeinschaft drei Viertel der PredigerRecht lehrte, ein Viertel aber falsche Lehre führte, und man liesse dieses eine Viertel gewähren, so würde dies eine Viertel der ganzen Gemeinschaft den Charakter der Rechtgläubigkeit rauben.


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Dreiundzwanzigster Vortrag

Das Bekenntnis zur Wahrheit und die Verwerfung des Irrtums muss in gewisser Beziehung einen durchaus persönlichen Charakter tragen. Ich sage: in einer gewissen Beziehung. Es muss ja freilich fest stehen bleiben, dass man die Wahrheit nicht um der Person willen, welche die Wahrheit bekennt, annimmt, sondern um ihrer, der Wahrheit selbst, willen. Ebenso muss fest stehen bleiben, dass man den Irrtum um seiner selbst willen verwerfe, nicht um der Person willen, die diesen Irrtu in vorträgt und die uns vielleicht persona ingrata ist. In dieser Beziehung muss man also rein sachlich sein. In anderer Beziehung aber gilt es wieder durchaus persönlich zu sein. Woher kommt das? Das kommt daher: Wahrheit und Irrtum treten nicht abstrakt, sondern in konkreter Form, in bestimmten Personen uns entgegen. Der Irrtum hat seine Apostel und die Wahrheit hat ihre Apostel. So kann man sich von dem Irrtum hier auf Erden nun nicht anders lossagen, als dass man sich zugleich von den Verkündigern des Irrtums, von den Irrlehrern, lossagt. Und man kann die Wahrheit nicht anders bekennen, als dass man sich zugleich zu den Personen bekennt, welche die Wahrheit verkündigen. Blicken Sie in die Schrift. Wenn der Apostel Paulus die Christen vor der Gemeinschaft mit der Irriehre bewahren will, dann schärft er ihnen ein, sich von den Personen zu separieren, die die Irrlehre verkündigen. So schreibt er an die Römer: ,,Ich ermahne euch, lieben Brüder, dass ihr aufsehet auf die“ (nämlich auf die bestimmten Personen) ,,welche Zertrennung und Aergernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernet habt, und weichet von denselbigen.“ Und St. Johannis schreibt: ,,So jemand diese Lehre nicht bringt, den nehmet nicht zu Hause und grüsst ihn auch nicht; denn wer ihn grüsset“ (diese bestimmten Personen grüsSet) ,,der macht sich teilhaftig seiner bösen Werke“, das heisst, der bösen Sache, des Irrtums.

Einen solchen Standpunkt, dass jemand zwar den Irrtum verwerfen, aber mit den Verkündigern des Irrtums Gemeinschaft haben will, - - einen solchen Standpunkt gibt es nicht. Der Irrtum wird angenommen und wird verworfen in den Personen, welche mit dem Irrtum sich identifizieren. So steht es auch mit dem Bekenntnis der Wahrheit. Daher ermahnt der Apostel Panlus den Timotheus nicht nur: ,,Schäme dich nicht des Zeugnisses des Herrn Jesu“, sondern er fügt auch noch die merkwürdigen Worte hinzu: ,,noch meiner, der ich sein Gebundener bin.“ Hier fordert der Apostel Paulus vom Timotheus auch Bekenntnis zu seiner, des Paulus, Person. Er schärft dem Timotheus ein :

Willst du das rechte Evangelium bekennen, dann darfst du dich


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meiner auch nicht schämen; dann darfst du nicht sagen: ,,Paulus kenne ich nicht, Paulus geht mich nichts an“, sondern du musst sagen: ,,Paulus ist ein rechter Apostel Jesu Christi. Wenn du das nicht tust, dann verleugnest du in dem‘ Apostel Paulus das rechte Evangelium.“

Ja, ein Standpunkt, nach welchem jemand zwar die Wahrheit bekennen, aber nicht sich zugleich zu den Bekennern der Wahrheit halten, mit ihnen Gemeinschaft machen will, ein solcher Standpunkt ist ganz unmöglich. Christus wird hier auf Erden in seinen Bekennern bekannt und verleugnet. Das ist Christi Wille: man soll sich zu denen bekennen, die seinen Namen bekennen. Deshalb hat denn auch die lutherische Kirche von allen Anfang an es ausgesprochen, dass sie alle diejenigen als ihre Brüder anerkenne, welche die göttliche Lehre in allen Stücken annehmen. Die lutherische Kirche hat keineswegs verlangt, dass man sich in Zeremonien mit ihr gleichförmig halte, sie hat auch nicht verlangt, dass die Christen sich mit ihr in dieselbe kirchenregimentliche Verbindung begeben. .Nein, die lutherische Kirche hat nur verlangt, dass man mit ihr in der Lehre übereinstimme. Wo dies aber der Fall war, da hat sie immer glaubensbrüderliche Gemeinschaft gehalten. Da hat sie gesagt: Jene Leute sind unser geistliches Fleisch und Blut; ihre Sache ist unsere Sache.

These 24 lautet:

,,Die evangelisch-lutherische Kirche hält mit Allen, die mit ihr Eines Glaubens sind, Gemeinschaft des Bekenntnisses und der Liebe.“

Es ist auf Eph. 4, 3 hingewiesen: ,,Seid fleissig zu halten die Einigkeit im Geist, durch das Band des Friedens.“ Die Einigkeit im Geist ist die vom heiligen Geist gewirkte Einigkeit im Glauben. Wo die vorhanden ist, da ist die rechte, gottgewollte Einigkeit vorhanden. Und diese Einigkeit soll nun auch von uns gepflegt werden. Es gilt, sorgsam alles das zu meiden, wodurch diese Einigkeit gestört werden könnte. Sonderlich ist daran zu erinnern, dass die Streitigkeiten in der Kirche, wodurch schliesslich die Einigkeit gestört worden ist, oft persönliche Ursachen hatten. Da sind Pastoren oder andere öffentliche Lehrer der Kirche einander Feind geworden, und dies Anseinanderkoinmen der Herzen ist die Ursache gewesen, dass man auch bald auseinandergegangen ist in der Lehre und im Glauben. Es heisst:

,,Seid fleissig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.“ Man soll nicht bloss die Einigkeit im Geist hinnehmen, wenn sie sich, sozusagen, von selber macht, sondern man soll wirklich allen Fleiss anwenden, die Einigkeit zu erhalten.

Die Concordienformel sagt (Seite 553, 7):

,,Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass keine Kirche die andere verdammen soll, dass eine weniger oder mehr äusserlicher von Gott ungebotener Zeremonien, denn die andere, hat, wann sonst in der Lehre und

        


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ALLEN derselben Artikeln, wie auch im rechten Gebrauch der heiligen Sakramente mit einander Einigkeit gehalten, nach dem wohlbekannten Spruch: Dissonantia jejunii non dissolvit consonantiam fidei, Ungleichheit des Fastens soll die Einigkeit im Glauben nicht trennen.“

Hier sagt unser Bekenntnis, was die Voraussetzung für äusserliche Union sei, nämlich die Uebereinstimmung in der Lehre und allen derselben Artikeln. Das ,,allen“ ist im Referat gross gedruckt, um darauf aufmerksam zu machen, dass unser Bekenntnis einen ganz anderen Begriff von kirchlicher Einigkeit hat, als die Unionisten unserer Tage. Die Unionisten unserer Tage sagen: wenn man nur in einigen Hauptartikeln übereinstimmt, dann kann man über viele Differenzen hinwegsehen. Unser Bekenntnis sagt: Wohl fordern wir nicht Uebereinstimmung in den Zeremonien, weil sie von Gott nicht geboten sind, jedoch halten wir daran fest, dass Einigkeit in der Lehre und allen derselben Artikeln von Gott geboten sei. Wollen wir eine kirchliche Gemeinschaft als rechtgläubig anerkennen, so muss sie mit uns in allen Artikeln der Lehre übereinstimmen.

Zu den von Gott nicht gebotenen Zeremonien gehört natürlich auch die kirchenregimentliche Verfassung. Zum Beispiel, wir könnten es für sehr wünschenswert halten, dass sich sämtliche rechtgläubige Lutheraner Amerikas, so weit sie nicht sprachlich geschieden sind, zu einer Synode vereinigten, also in eine kirchenregimentliche Verbindung träten. Dass können wir — wie gesagt — für wünschenswert halten, aber wir dürfen das nicht fordern; es ist nicht von Gott geboten. Wir müssen alle diejenigen als unsere Brüder anerkennen und mit ihnen in Gemeinschaft des Bekenntnisses und der Liebe treten, welche mit uns in der Lehre übereinstimmen.

Es wird noch an einige Worte aus Luthers Urteil über den Reichsabschied vorn Jahre 1530 erinnert. Man hatte von den Lutheranern das Versprechen gefordert, wenigstens in Zukunft keine neue Glieder mehr in die lutherische Kirche aufnehmen zu wollen. Dazu sagt Luther: Ein solches Versprechen können wir garnicht geben. Hat Gott geistliche Einigkeit gemacht, hat er durch sein Wort Leute zum rechten lutherischen Glauben geführt, und diese Leute geben sich als unsere Glaubensbrüder zu erkennen, dann müssen wir sie auch als unsere Brüder aufnehmen und anerkennen. Kein kaiserliches Gebot kann uns gebieten, zu den Leuten zu sagen: ihr geht uns nichts an. Luther schreibt (XVI, 1857):

"Es stehet geschrieben Gal. 6, 16: ,So viel nach dieser Regel einhergehen, über die sei Friede‘; durch welchen Spruch niemand ausgeschlossen wird. Sind demnach alle, die nach der Lehre des Bekenntnisses und der Apdlogie glauben und lehren, nach solchem Glauben und


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Lehre unsere Brüder, und gehet uns ihre Gefahr so sehr an, als die unsrige. Wir können sie auch als Glieder der wahren Kirche nicht verlassen, sie mögen sich zu ,uns fügen, wenn sie wollen; sie mögen es in der Stille oder öffentlich tun; mögen ,unter uns, oder in der Fremde leben. Das sagen und bekennen wir.“

Wenn es in Australien eine Kirche gibt — und es gibt dort ja, Gott sei Dank, eine Kirche, die im rechten Glauben mit uns übereinstimmt, — so müssen wir auch mit dieser Kirche Gemeinschaft des Bekenntnisses und der Liebe halten. Würden wir eine Körperschaft verleugnen, die im Glauben mit uns übereinstimmt, das heisst, in allen Stücken Christi Namen bekennt, dann würden wir in einer solchen Körperschaft Christum selbst verleugnen. Ferner: Wenn wir uns nicht zu den Synoden von Wisconsin und Minnesota und zu der Norwegisch-lutherischen Kirche, wenn diese ob ihrer rechten Lehre angegriffen werden, bekennen wollten, dann würden wir in diesen Synoden Christum selbst verleugnen. Und dasselbe würden jene tun, wenn sie sich ,,der Missourier“ schämten. Es kann dahin kommen und ist schon zum Teil dahin gekommen, dass jetzt alle, die es ernst nehmen mit Gottes Wort, ,,Missourier“ genannt werden. Wenn nun Leute, die erkannt haben, dass wir die Wahrheit bekennen, sagen wollten: die Missourier gehen uns nichts an, dann sollen sie sich wohl vorsehen, ob sie nicht in den Missouriern Christum selbst verleugnen. Freilich, das können und sollen sie bekennen: Wir nehmen nichts an, weil es die Missourier sagen: wir nehmen eine Lehre nur dann an, wenn wir sie als Gottes Wort erkannt haben; aber die Missourier lehren recht, und werden sie geschmäht, so schmäht man damit auch uns.

Errata et Corrigenda.

S. 7, Z. 25 1. unaussprechlichen; Z. 32 1. gnaediglich.—S. 13, Z. 1 L Christum. —S. 14, Z. 15 1. Papsttum.—S. 21, Z. 5 v. u. 1. antworten.—S. 25, Z. 9 1. Predigtamtes.—S. 32, Z. 9 1. kann.—S. 36, Z. 25, 1. Leben.—S. 37, Z.23 1. ergreifet. —S. 65, zwischen Z. 5 u. 6 v. u. 1. lichen Gnadenlohn in alle Ewigkeit gekroent. Deshalb sagt Luther.—S. 78, Z. 10 1. Aufnahme.—S. 92, Z. 5 1. sind. S. 13, Z. 22 1. um.—S. 16, Z. 12 1. Gemeinschaft.—S. 20, zwischen Z. 18 u. 19 v. u.. 1.—sondern alle Lehren, die in der Heiligen Schrift geoffenbart vor—(liegen.)-—S- 21, Z. 9 1. unsere.—S. 23, Z. 1 7 v. u. l. ihren.—S. 24, Z. 17 1. den.—S. 51, Z. 19v. u. 1. oikodomaesoo.—S. 54, Z. 13 1. des.—S. 60. Z. 12 1. die,—nach Gott.—S. 61, Z. 8 1. ipso.—S. 67, Z. 7 v. u. 1. der Worte,—nach Auslegung.—S. 174, Z. 9 v. u. cf S. 1 75, Z. 2 u. vice versa.