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LuW69 1923 Pieper, Die rechte Weltanschauung, The Christian World View
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Text extracted by BackToLuther from Lehre und Wehre vol. 69 (1923), pgs 225-240. English translation by J.T. Mueller published among series of essays in the book What Is Christianity and other Essays.  Last edit: 2016-10-28.

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Lehre und Wehre.

Jahrgang 69.   August und September 1923.         Nr. 8 u. 9.

Die rechte Weltanschauung.

(Vortrag, gehalten auf der Delegatensynode 1923 von F. Pieper.)

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Ehrwürdige Väter und Brüder! Ich habe es übernommen, über die rechte Weltanschauung vor Ihnen zu reden. Ist das nicht ein zu kühnes Unternehmen? Das würde es sein, wenn ich im Sinne hätte, meine eigene Weltanschauung oder die irgendeines andern Menschen vorzutragen.  Warum?  Ich erinnere an ein Wort des berühmten Geographen Dr.Hermann Daniel. Dr.Daniel will nur einen kleinen Teil der Weltanschauung darlegen, nämlich die Frage nach der Bewegung der Erde, der Sonne und der Sterne beantworten. Er bekennt sich in seiner Darlegung als ein sogenannter Kopernikaner. Er führt alle Hauptgründe für den Kopernikanismus an. Aber zum Schluß bemerkt er, daß es sich in diesem Falle selbstverständlich nur um eine "wissenschaftliche Hypothese", das ist, um eine menschliche Annahme oder Vermutung, nicht um eine wissenschaftlich feststehende Tatsache, handeln könne. Um in dieser Frage zu einer Gewißheit zu kommen, so fügt er hinzu, würde einen Standpunkt außerhalb der Welt erfordern, von dem aus man alles übersehen könne. Dr. Daniel sagt wörtlich: "Alle aufgestellten Weltsysteme beruhen nicht auf Erfahrung  – welche einen Standpunkt außer der Erde erfordern würde –, sondern auf Schlußfolgerungen und Kombinationen. Alle sind und bleiben deshalb Hypothesen." *) Da ich nun, wie alle andern Menschen, meinen Standpunkt nicht außerhalb der Welt, sondern auf dieser Erde habe, so würde ich es allerdings für ein mehr als tollkühnes Unternehmen erachten, wenn ich zu dieser ehrwürdigen Versammlung von der rechten  – und zwar einzig rechten  – Weltanschauung reden wollte. Wenn ich dies dennoch unternehme, so geschieht es von dem höchsten Standpunkt aus, den  es gibt, von einem Standpunkt aus, der nicht nur außerhalb dieser Welt gelegen, sondern höher ist als Himmel.

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*) Handbuch der Geographie 3, 1877, S. 9.

 


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und Erde. Von Gottes Standpunkt aus will ich zu Ihnen über die rechte Weltanschauung reden. Nicht meine oder irgendeines andern Menschen, sondern Gottes Weltanschauung will ich darlegen. Aber wie wissen wir Menschen von Gottes Weltanschauung? Teure Väter und Brüder, wir Menschen haben Gottes eigenes Wort. Gott hat uns Menschen aus Gnaden sein Wort gegeben. Die Heilige Schrift ist Gottes Wort. Das wird freilich, sonderlich zu unserer Zeit, sogar mitten in der äußeren Christenheit geleugnet.  Dagegen schäme ich mich nicht zu bekennen -- und ich bitte für dieses Bekenntnis durchaus nicht um Entschuldigung --, daß ich die Heilige Schrift für Gottes eigenes, unfehlbares, uns Menschen gegebenes Wort halte. Ich weiß auch, daß sämtliche Delegaten, die zu dieser großen Versammlung abgeordnet sind, mein Bekenntnis zur Heiligen Schrift voll und ganz teilen. Und wir alle brauchen uns unsers Bekenntnisses zur Schrift nicht zu schämen. Wir haben in bezug auf diesen Punkt große und maßgebende Vorbilder, nämlich die Vorbilder Christi und seiner heiligen Apostel und Propheten. Wir wissen freilich auch solche Gründe für die göttliche Autorität der Heiligen Schrift anzuführen, die eine vernünftige menschliche Vernunft überzeugrn können, daß es vernünfliger ist. die unfehlbare göttliche Autorität der Schrift anzuerkennen, als sie zu leugnen. Doch lassen wir diese Gründe setzt außer Betracht. Von vornherein (a priori) ist für uns entscheidend, wie Christus, unser und der ganzen Welt Heiland. die Schrift ansieht. Und Christi Anschauung haben wir, wie er selbst in seinem hohepriesterlichen Gebet (Joh.17, 20) bezeugt, in dem Wort seiner heiligen Apostel und Propheten. Wir glauben Christo, unserm lieben Heiland, aus sein Wort, wenn er uns Joh. 3,16 versichert: "Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." So glauben wir ihm auch voll und ganz, wenn er der Schrift Joh.10, 35 das Zeugnis ausstellt: "Die Schrift kann nicht gebrochen werden" und von seinen Aposteln sagt Joh. 17, 14: "Ich habe ihnen gegeben dein Wort" und ebendaselbst (V. 17) hinzufügt: "Dein Wort ist die Wahrheit." Aus diesem Wort der unfehlbaren Wahrheit will ich nun die rechte Weltanschauung zu unserer Belehrung und Ermahnung in einigen Hauptpunkten darlegen.

I.

  Zur rechten Weltanschauung gehört sicherlich ein gewisses Wissen um den Ursprung der Welt. Woher ist die Welt? Die Welt ist nicht von Ewigkeit; sie hat sich auch nicht allmählich entwickelt (Evolution), sondern Gott hat sie durch sein allmächtiges Wort geschaffen, das ist, ins Dasein gerufen. So berichtet uns Gott selbst in seinem Wort: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde", 1 Mos. 1, 1, und: "Meine Hand hat alles gemacht, was da ist", Ies. 66, 2. Und wie Gott die Welt

 


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geschaffen hat, so ist er es auch allein, der die Welt erhält. "Durch ihn ist alles geschaffen, . . . und es bestehet alles in ihm", Kol.1,16.17. Wenn Gott nur einen Augenblick seine Hand von der Welt zurückzöge, so würde sie in demselben Augenblick verschwinden, und zwar restlos, ohne auch nur eine Spuroder ein Stäublein zu hinterlassen. Sie würde aufhören zu sein, gleichwie sie nicht da war, ehe sie von Gott geschaffen wurde. Weil sie jetzt noch existiert, so ruft uns jedes der Schöpfungswerke Gottes, die uns umgeben, unaufhörlich und klar wahrnehmbar zu: "Mich hat Gott gemacht." Es gibt einen alten lateinischen Spruch, der lautet: Praesentemque refert quaelibet herba Deum, das ist: Jedes Gräslein zeigt uns Gott gegenwärtig. Jeder Mensch, sei er gebildet oder ungebildet, erkennt, wenn er z.B. eine lebendige Blume ansieht und dabei seinen Verstand gebraucht, daß sie nicht in St. Louis oder Chicago oder New York gemacht, sondern daß sie ein Produkt der Allmachtshand Gottes ist. Kurz, die einzig rechte Weltanschauung ist diese: Gott hat alles gemacht, und alles hat in Gott sein Bestehen. Wer von einer von Ewigkeit existierenden Welt und von einer Selbstentwicklung der Welt redet, gibt damit zu erkennen, daß er aus vernünftiges menschliches Denken verzichtet. Seine Weltanschauung ist im Umfang von hundert Prozent irrig.

Aber zur rechten Weltanschauung gehört auch, daß wir gewiß wissen, woher der Mensch ist. Dieses Wissen geht uns naturgemäß sehr nahe an. Es ist für uns ganz besonders interessant und wichtig. Also woher ist der Mensch? Auch der Mensch hat sich nicht selbst entwickelt, weder aus einer Urzelle noch aus einem niedriger stehenden Tier.   Auch hat Gott den Menschen nicht allmählich entwickelt, sondern völlig ausgebildet geschaffen, und zwar nach seinem -- Gottes -Bilde, in Gotteserkenntnis und Heiligkeit des Willens, als Herrscher über alle andern Kreaturen auf der Erde. Das ist wiederum Gottes eigener Bericht im ersten Kapitel der Bibel. Im zweiten Kapitel der Bibel haben wir dann noch einen näheren Bericht darüber, wie es bei der Erschaffung des ersten Menschen, Adam, zugegangen ist. Wir lesen 1 Mos. 2, 7: "Gott der HErr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies einen lebendigen Odem in seine Nase. Also ward der Mensch eine lebendige Seele." Nun ist zwar der Sündenfall mit seinen traurigen Folgen dazwischengekommen. Aber der Mensch ist dadurch seinem Wesen nach nicht zum Tier geworden, sondern bleibt noch Gottes Geschöpf. Es ist ganz die richtige Anschauung vom Menschen, wenn wir im Katechismus bekennen: "Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält." Und wie wichtig ist diese Erkenntnis! Sie wird uns mahnen, daß wir uns selbst mit einer Art Verwunderung anschauen, weil Gott uns nach Leib und Seele so künstlich und fein bereitet hat, mit gleichzeitiger Erinnerung, daß wir ja nicht den Leib mit seinen Gliedern und die Seele

 


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mit ihren Kräften mißbrauchen, sondern allein in den Dienst dessen stellen, dessen Geschöpfe wir nach Leib und Seele sind.

So hätten wir die richtige Anschauung hinsichtlich der Frage: "Woher die Welt?" und insonderheit auch hinsichtlich der Frage: "Woher der Mensch?"

Aber zur rechten Weltanschauung gehört nun weiter auch die Frage nach dem Wohin. Was wird mit der Welt, und was wird mit dem Menschen geschehen?

Zunächst: Wohin mit der Welt? Was wird aus der Welt, die wir über uns und um und unter uns sehen? Sie wird nicht ewig bleiben. Gott sagt uns in seinem Wort: "Himmel und Erde werden vergehen", Matth. 24, 35. "Das Wesen dieser Welt vergehet", 1 Kor. 7, 31. Wann? Das weiß ich nicht. Und ich weiß auch, daß kein anderer Mensch in der Welt es weiß. Die Schrift sagt: "Von dem Tage und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel", Matth. 24, 36. Das ist ein Geheimnis, das uns Gott in seinem Wort nicht geoffenbart, sondern für sich behalten hat. Menschen haben in Selbstklugheit Tag und Stunde des Untergangs der Welt berechnen wollen. Aber sie sind mit ihren Berechnungen bisher noch immer zuschanden geworden, und auch alle zukünftigen Berechner des Weltunterganges werden zuschanden werden. Wie alle Worte der Schrift, so werden auch diese Worte sich als wahr erweisen: "Von dem Tage und von der Stunde weiß niemand."  Aber der Untergang der Welt ist gewiß. Das bezeugt die Schrift so oft und so nachdrücklich, weil wir Menschen es nur zu leicht vergessen. Und zwar wird das Ende ganz plötzlich kommen, wenn JEsus Christus, der Richter der Welt, sichtbar erscheinen wird. Die Erscheinung Christi zum Gericht und zum Ende der Welt wird plötzlich und überall auf der ganzen Erde zugleich eintreten. "Wie der Blitz ausgehet vom Aufgang und scheinet bis zum Niedergang, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes", Matth. 24, 27. Man wird uns weder von London noch von Berlin noch von Paris, weder by wire noch by wireless Nachricht geben können. Das ganze, so vielseitige und tausendfach ineinandergreifende und durcheinandergreifende Getriebe der Welt steht dann plötzlich still. Kein Schiff auf dem  Ozean oder auf den Binnenseen fährt weiter. Kein Eisenbahnzug zwischen den Bergen des Ostens und auf den weiten Ebenen des Westens bewegt sich weiter. Kein Wagen und kein Automobil auf den Landstraßen und in den Städten fährt weiter. Kein Geschäftsmann auf dem Wege zu seiner Geschäftsstube und kein Arbeiter auf dem Wege zu seiner gewohnten Arbeit tut noch einen Schritt weiter. Alles  – alles – in dieser Welt kommt plötzlich zum Stillstand.  Auch aller Besitz von Gütern dieser Welt hört auf. Kein Mensch besitzt noch Grundeigentum, weil aller Grund und Boden unter unsern Füßen schwindet. Kein Mensch besitzt dann noch Bargeld, sei es Gold oder Silber, keiner besitzt noch Wertpapiere, einerlei ob es United States bonds oder Städte

 


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bonds sind. Alle mortgages erlöschen automatisch. Alles Geld und alle Geldwerte sind völlig entwertet.  Die gegenwärtig "valutaschwache" Mark und der gegenwärtig "valutastarke" Dollar stehen dann an Wert einander völlig gleich. Sie gelten beide nichts mehr. Das Ende ist gekommen – das Ende aller Dinge, die in das Leben hier auf Erden gehören.

Aber wohin mit den Menschen?  Was geschieht mit den Menschen? Himmel und Erde vergehen, aber die Menschen bleiben. Alle ohne Ausnahme! Alle, die von Adam an bis zum Ende der Welt auf dieser Erde gelebt haben – alle bleiben in Ewigkeit.  Kein Mensch kann sich selbst vernichten, er mag anfangen, was er will, und Gott will ihn nicht vernichten. Alle Menschen, ob vorher gestorben oder noch lebend, treten in Reihe und Glied, die einen zur Rechten, die andern zur Linken des Richters der Welt. Es gibt freilich religiöse Gemeinschaften, die es wagen, das Gegenteil zu lehren. Sie behaupten, daß wenigstens die Gottlosen am Ende der Welt vernichtet werden, zu existieren aufhören (annihilation). Sie treiben auch eifrig Propaganda in der Welt und finden viele Anhänger. Als vor etwa zehn Jahren der Annihilist Charles Russell in St.Louis redete, drängten sich Tausende hinzu, um ihn zu hören. Aber das ist ein irriges und überaus gefährliches Stück einer irrigen Weltanschauung. Doch hierüber mehr, wenn wir uns den Zweck der Welt zwischen ihrem Anfang und ihrem Ende vergegenwärtigen.

II.

Was ist der Zweck der Welt, solange sie noch steht, und was ist daher auch der Zweck jedes Menschenlebens in dieser Welt? Das gehört offenbar zur rechten Weltanschauung. Wer den Zweck der Welt und seines eigenen Lebens nicht kennt, lebt zwecklos oder blind in den Tag hinein. Wer aber weiß, wozu die Welt noch steht und wozu er selbst noch in der Welt ist, über dessen Lebensweg ist damit ein helles Licht verbreitet. Aber wir stehen wieder vor der Frage: Gibt es zuverlässigen und gewissen Ausschluß über den Zweck der Welt und unsers eigenen Lebens? Allerdings, wenn wir uns an das rechte Informationsbureau wenden. Gott in seinem Wort, das ist, in der Heiligen Schrift, gibt uns so klaren Aufschluß über den Zweck der  Welt und des Menschenlebens, daß nur die Menschen darüber in Unwissenheit bleiben und im Dunkeln durch dieses Leben tappen können, die sich von Gottes Wort abwenden.

Die Heilige Schrift lehrt sehr klar, daß die gegenwärtige Welt besteht und von Gott in Existenz erhalten wird lediglich zu dem Zweck, daß in ihr das Evangelium von Christo gepredigt wird, das ist, die Botschaft von der Vergebung der Sünden um Christi stellverlretender Genugtuung willen. Klar und scharf spricht dies Christus Matth. 24,14 aus, gleichsam wie in Erz und Granit gegraben. Es

 


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heißt dort: "Es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen", nämlich das Ende der Welt. Gott hat an die Menschenwelt große Kosten gewendet.  Er hat die sündig gewordene Menschheit durch das Blut Christi, seines menschgewordenen Sohnes, sich für den Himmel erkauft und läßt nun die Welt bestehen, damit die Vergebung der Sünden um des Blutes Christi willen in der Welt gepredigt und durch den Glauben angenommen werde.

Die Predigt von der Vergebung der Sünden durch den Glauben an Christum  war nicht der Zweck der ursprünglichen Welt, das ist, der Welt, in der es noch keine Sünde gab. Es bedurfte damals der Predigt von der Vergebung der Sünden nicht, weil der Mensch noch kein Sünder war, sondern in der anerschaffenen Gotteserkenntnis und Heiligkeit des Willens in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott lebte. Diese Erde war der schöne Wohnplatz eines an Seele und Leib schönen, durch die Sünde noch nicht entstellten Menschen. Gott setzte, wie es im biblischen Bericht weiter heißt, den Menschen in den Garten Eden, in das Paradies. Der Garten Eden wird uns im zweiten Kapitel der Bibel beschrieben.  Aber da kam der Sündenfall dazwischen.  Der Mensch, vom Satan verführt, aß von dem Baum, davon Gott ihm geboten hatte: "Du sollst nicht davon essen." Der Mensch übertrat Gottes Gebot und geriet in der Übel größtes: in die Schuld, in die Schuld vor seinem Gott. Durch die Schuld vor Gott verlor er die Gemeinschaft mit Gott, so daß er entsetzt vor Gott floh, wie wir im dritten Kapitel der Genesis lesen. Weil er ein Sünder geworden war, verlor er auch seinen ursprünglichen schönen Wohnplatz, das Paradies. Sein Wohnplatz wurde eine Erde, die, wie die gegenwärtige Erde, Dornen und Disteln trägt und auf der der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot ißt.

Es gibt aber durch Gottes Gnade für uns sündig gewordene Menschen eine Rückkehr in Gottes Gemeinschaft. Es gibt für uns eine Rückkehr in das Paradies, und zwar in ein Paradies, das schöner und herrlicher ist. als das erste war.

Wie oder wodurch geschieht diese Rückkehr? Freilich nicht auf dem Wege des eigenen Tuns und der eigenen Werke des Menschen. Das ist die irrige Anschauung des in die Sünde gefallenen und dadurch blind gewordenen Menschen, der sich aus Gottes Wege nicht mehr versteht. Der Mensch kann den Schaden, der durch den Sündenfall geschehen ist, weder ganz noch zum Teil selbst wieder gutmachen. Die durch eigene Werke den Rückweg in Gottes Gemeinschaft suchen, bleiben unter dem Fluch des Gesetzes. Das Gesetz Gottes fordert eine vollkommene Erfüllung, die der Mensch nicht leisten kann. Die Rückkehr geschieht ohne eigene Werke, durch den Glauben an den Heiland, den Gott unmittelbar nach dem Sündenfall den Menschen verheißen hat und der in der Fülle der Zeit erschienen ist. Die Rückkehr geschieht durch den 

 


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Glauben an JEsum Christum.  Wer ist JEsus Christus? JEsus Christus ist nicht bloß ein frommer Mensch, der uns durch sein Vorbild gezeigt hat, wie wir durch unsere eigene Frömmigkeit und Werke in Gottes Gemeinschaft zurückkehren können. JEsus Christus ist der ewige Sohn Gottes, vom Vater in Ewigkeit geboren. Aber dieser ewige Sohn Gottes ist Mensch geworden und hat an Stelle der Menschen durch sein vollkommen heiliges Leben das göttliche Gesetz erfüllt und durch sein unschuldiges Leiden und Sterben die ganze Sündenschuld aller Menschen völlig bezahlt. Wie die Schrift bezeugt: "Da die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan. aus daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete, daß wir die Kindschaft empfingen", Gal. 4, 4. 5. Und abermal: "Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns", Gal. 3,13. Daher kommt es, daß die Menschen nun allein aus Gnaden, ohne eigene Werke, durch den Glauben an Christum, in Gottes Gemeinschaft zurückkehren, die Vergebung ihrer Sünden und die Seligkeit erlangen. Gute Werke haben einen großen Wert vor Gott. Sie folgen den Christen nach in die Ewigkeit. Sie werden von Gott mit einem ewigen Gnadenlohn gekrönt. Sie verbrennen nicht im Feuer des Jüngsten Tages, das doch alles Irdische verzehrt. Aber gute Werke sind viel zu gering zur Erlangung der Gnade Gottes und der Seligkeit. Dazu ist nur und allein genug das vollkommene Verdienst Christi, des hochgelobten Heilandes der Welt. Es ist nie auch nur ein Mensch anders in Gottes Gnadengemeinschaft zurückgekehrt als durch das Vertrauen auf Christi Verdienst allein, auch nicht während der viertausend Jahre vor der Erscheinung des Sohnes Gottes im Fleisch. Denn so belehrt uns der Apostel Petrus im Hause des Hauptmannes Cornelius: "Von diesem JEsu zeugen alle Propheten [nämlich alle Propheten des Alten Testaments], daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen."  Und allein zum Zweck dies er Predigt steht die Welt noch! Wie wir aus dem Munde Christi hörten: "Es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen."

Damit stimmt freilich der größte Teil der Menschen nicht. Sie haben eine andere Weltanschauung. Sie meinen, die Welt stehe noch zu dem Zweck, daß die Menschen zeigen könnten, wie herrlich sie sich selbst entwickeln, was sie in Moral, Bildung und Kultur leisten können. Aber das ist eine irrige Weltanschauung, die alle, die an ihr festhalten, unfehlbar in das ewige Verderben bringt. Zweck des Bestehens der Welt ist nicht der, daß die Menschen zeigen, was sie in moralischer Beziehung leisten können, sondern Zweck des Bestehens der Welt ist der, daß die Menschen vor Gott an ihrer eigenen Moral verzagen, sich vor Gott als verlorne Sünder erkennen und an den von Gott gesandten Heiland der Sünder glauben, an den Heiland, der mit seiner

 


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vollkommenen Moral ihre Gerechtigkeit vor Gott ist und der durch die Vergießung seines Gottesblutes ihr ganzes Sündenregister ausgelöscht hat. Wie Christus seiner Kirche unter allen Völkern und bis an den Jüngsten Tag in seinem Namen zu predigen befiehlt "Buße" und "Vergebung der Sünden", Luk. 24.

O daß alle Menschen erkennen wollten, daß zum Zweck dieser Predigt die Welt noch steht! Zu diesem Zweck scheinen noch Sonne, Mond und Sterne. Zu diesem Zweck gibt Gott noch Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Zu diesem Zweck läßt Gott noch die Reiche dieser Welt mit dem so weitverzweigten Verkehrs- und Geschäftsleben bestehen. Die Reiche dieser Welt mit dem bürgerlichen Leben sind nur ein Gerüst zum Bau der christlichen Kirche durch die Predigt des Evangeliums. Um von dem weiter oben Gesagten die Anwendung auf diesen Punkt zu machen: Wenn Gott nicht mehr das Evangelium gepredigt haben wollte, dann würden keine Schiffe mehr auf dem Meer fahren, keine Eisenbahnzüge mehr auf dem Lande sich bewegen, kein Arbeiter und kein Geschäftsmann mehr ihr Tagewerk ausüben.

Auch alles Unglück und alles Übel, das Gott über die Welt kommen läßt, soll dem Evangelium dienen. Die Menschen sollen sich als Sünder erkennen, die Gottes Gericht verdient haben, und an das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo glauben. Gott straft zeitlich, um nicht ewig verderben zu müssen. Im 24.Kapitel des Matthäusevangeliums haben wir aus dem Munde unsers Heilandes eine Biographie der Welt . nach der Seite der Strafgerichte, die über die Welt kommen werden. Der Heiland weist hin auf die vielen und unaufhörlichen Kriege der Völker untereinander, auf Pestilenz, teure Zeit, Erdbeben. Aber Endzweck dieser Strafgerichte in der Zeit ist nicht eigentlich die Strafe, sondern die Warnung. Es sind Warnungsstrafen. It is God`s way to warn before He strikes. Das ist die richtige Weltanschauung von den zeitlichen Strafgerichten. Sie treten, so hart sie auch erscheinen, in den Dienst des göttlichen Erbarmens. Wenn Erdbeben in San Francisco oder Messina große Zerstörung anrichten; wenn Wasserfluten in Galveston oder an der Küste von Chile Tausende von Menschen verschlingen; wenn Seuchen in China oder in unserm eigenen Lande Millionen von Menschen dahinraffen; wenn durch teure Zeiten und Hungersnot in Asien und in den Ländern Europas Millionen von Menschen elendiglich umkommen: dann sollen die Menschen nicht bei der Erforschung der physischen Ursachen dieser Übel stehenbleiben, sondern diese Übel zugleich und vornehmlich als Strafgerichte Gottes ansehen, die wir alle gleichermaßen verdient haben. So belehrt uns unser Heiland Luk.13. Als ihm zu einer Zeit aus der Zuhörerschaft gesagt wurde von den Galiläern, die beim Opfer erschlagen worden waren, und von den Achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel, sprach der HErr: "Meinet ihr, daß diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder

 


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gewesen sind, dieweil sie das erlitten haben? Ich sage: Nein, sondern so ihr euch nicht bessert [@@@@@@@@@, Buße tut], werdet ihr auch also umkommen. Oder meinet ihr, daß die Achtzehn, auf welche der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, seien schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen?  Ich sage: Nein, sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr auch also umkommen."  Das ist die rechte Anschauung von den Unglücksfällen, die in der Zeit vor dem Jüngsten Tage in der Welt sich ereignen. Gott bewahre uns vor der pharisäischen Weltanschauung, vor der der HErr Luk. 13 so gewaltig warnt. Die Zeitungen berichten fast täglich von Unglücksfällen mancherlei Art. Wenn wir diese Berichte lesen, soll es nicht gedankenlos geschehen, noch viel weniger in der Gesinnung: "Ich danke dir, Gott, daß ich nicht so schuldig bin wie jene Leute", sondern wir sollen einen Augenblick innehalten, die Hände falten und bei uns selbst sprechen: "O Gott, sei mir und allen Sündern gnädig!"

        Jawohl! Vor dem Jüngsten Tage ist noch Gnadenzeit für die Welt. Gott  schwört uns ja in seinem Wort zu: "Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen! Warum wollt ihr sterben?" Hesek. 33,11. Christus hat nicht bloß einem Teil der Menschen, sondern allen Menschen ohne Ausnahme die Errettung von der ewigen Verdammnis und eine Wohnung im Himmel erworben. Warum wollt ihr sterben, ihr Menschenkinder?

Wir müssen hier nachdrücklich warnen vor einer gefährlichen Anschauung in bezug auf das ewige Ergehen des Menschengeschlechts, nachdem Himmel und Erde vergangen sind. Die Summa des ersten Vortrages war: Die Welt hat einen Anfang und ein Ende. Der Mensch hat auch einen Anfang, aber kein Ende; er bleibt ewig, entweder in ewiger Seligkeit oder in ewiger Unseligkeit.

Dagegen protestiert nun ein Teil der Menschen sehr entschieden. Sie dünken sich weise und erlauben sich eine selbstgemachte Weltanschauung. Gelehrt ausgedrückt, sagen sie: Die Geschichte der Menschheit kann doch unmöglich in einem "Dualismus" enden. Etwas weniger gelehrt, aber allgemein verständlich ausgedrückt, wollen sie sagen: So etwas wie eine ewige Verdammnis gibt es nicht. Entweder werden alle Menschen selig, oder es wird der Teil der Menschen, der nicht in diesem Leben sich zu Christo, dem Sünderheiland, bekehrt hat, noch in der kommenden Welt Gelegenheit haben, das Versäumte nachzuholen. Noch andere gehen so weit. zu sagen, daß die Gottlosen entweder sofort im Weltgericht oder später vernichtet werden.

Wir haben zu Anfang den Kontrakt gemacht, daß wir uns nicht wertlose menschliche Ansichten, sondern die maßgebenden göttlichen Ansichten vor Augen ftellen und beherzigen wollen. Nach Gottes Wort endet die Geschichte der Menschheit durch Schuld der Menschen allerdings in ewigem Dualismus, in einer ewigen Scheidung der Menschen. Wenn

 


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Christus, der Richter der Welt, erscheint, dann werden zwei auf einem Bette liegen; einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden. Zwei werden miteinander mahlen; eine wird angenommen, die andere wird verlassen werden. Zwei werden auf dem Felde sein; einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden, Luk. 17, 34--36. Und in der gewaltigen und ausführlichen Beschreibung Matth. 25 heißt es: "Wenn des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen, auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden; und er wird sie voneinander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zu seiner Linken. Da wird denn der König sagen zu denen zu seiner Rechten: `Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!` . . . Dann wird er auch sagen zu denen zu seiner Linken: `Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!` . . . Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben." Darum gebietet nun Gott -- wie Paulus auch den gebildeten Athenern zu bedenken gibt -- allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun, Apost. 17, 30. Und darum gebietet Christus seiner Kirche, das ist, den Menschen, die durch seine Gnade an ihn gläubig geworden sind, in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden in der Nähe und in der Ferne zu predigen. Das ist die rechte Weltanschauung. Zur Predigt des Evangeliums in der Welt sind die Christen noch in der Welt. Dazu gibt er ihnen noch Leben und Odem, dazu erhält er sie im Glauben, dazu gibt er ihnen noch Kräfte Leibes und der Seele, dazu gibt er ihnen auch noch irdischen Besitz.

Was sich insonderheit in bezug auf einzelne für unsere Zeit besonders wichtige Punkte für uns Christen aus der rechten Weltanschauung ergibt, darüber, so Gott will, später noch eine zusammenfassende kurze Darlegung aus Gottes Wort.

III.

                Wir wollten bei der Darlegung der rechten Weltanschauung noch auf einige Punkte besonders achten, die zu übersehen für uns und unsere Zeit sehr schädlich wäre.

                Erstlich wollen wir bei der kirchlichen Tätigkeit, zu der wir uns während dieser Synodaltage ermuntern, nicht die Sorge um der eigenen Seele Seligkeit vergessen. Diese Erinnerung könnte überflüssig erscheinen. Es möchte jemand denken: Wie sollten wir vergessen, die eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu schaffen, die wir am Bau und an der Ausbreitung der christlichen Kirche hier auf Erden arbeiten!  Aber wir lassen uns auch in bezug auf diesen Punkt von der Heiligen Schrift die rechte Anschauung darbieten. Der


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heilige Apostel Paulus war kirchlich überaus tätig. Er hat mehr gearbeitet als die andern alle. Und doch hatte er dabei sorgsam acht auf die eigene Seligkeit, wie wir aus seinen eigenen Worten erkennen: "Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde", 1 Kor. 9, 27. Kirchenväter und nach ihnen auch unsere alten Theologen weisen auf die Zimmerleute Noahs hin, die am Bau der Arche arbeiteten, aber selbst nicht in die Arche eingingen und so in der Flut umkamen. Auch wir wollen daher bei unserer Arbeit zum Bau und zur Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden nicht die Frage vergessen: "Sind wir selbst Glieder der christlichen Kirche?" Wer ist ein Glied der christlichen Kirche? Wir sollen allerdings der Liebe nach jeden für ein Glied der christlichen Kirche halten, der mit dem Munde den Glauben an Christum, den Sünderheiland, bekennt und das Bekenntnis des Mundes nicht durch seinen Wandel und seine Werke widerlegt. Dieses Urteil der Liebe ist Gottes Wille und Ordnung. Wir sollen nicht in die Herzen sehen wollen. Das ist ein Privilegium Gottes. Der Rat der Herzen wird erst am Jüngsten Tage offenbar werden. Aber jeder einzelne von uns soll unaufhörlich sich selbst prüfen, wie er`s meine und wie sein Herz zum Reiche Gottes steht. Daran erinnert ja unser Heiland uns so gewaltig, wenn er sagt: "Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden. Man wird auch nicht sagen: Siehe, hie oder da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch ", Luk.17, 20. 21. Das Reich Gottes ist freilich eine gewaltige Realität in der Welt. Es ist das Reich, um dessentwillen die Welt noch steht, wie wir gesehen haben. Aber dies Reich ist dem menschlichen Auge unsichtbar. Es besteht nämlich aus den Menschen, welche in ihrem Herzen an den Sünderheiland glauben. Dieser Glaube, den Gott allein sieht und den der einzelne Mensch auf dem Wege der Selbstprüfung erkennt, macht einen Menschen zu einem Gliede der christlichen Kirche. Um ein Beispiel anzuführen: Hier in der Stadt Fort Wayne und hier in dieser Versammlung sind alle diejenigen – und nur diejenigen – Glieder der christlichen Kirche, die durch Wirkung des Heiligen Geistes in ihrem Herzen sich als verlorne Sünder erkennen und zur Erlangung der Vergebung der Sünden und der Seligkeit allein auf Christi stellvertretende Genugtuung vertrauen. Daran wollen wir uns durch unsers Heilandes Wort: "Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch" erinnern lassen. Es gehen zu unserer Zeit wunderliche Anschauungen darüber im Schwange, wie ein Mensch ins Reich Gottes komme. Es ist z. B. viel von der Wanderung nach Palästina, nach Jerusalem, auf den Berg Zion die Rede. Dagegen gilt es festzuhalten: Es bedarf keiner Wallfahrten und keiner Ortsveränderung, um im Sinne des Neuen Testaments nach Jerusalem und auf den Berg Zion zu kommen. Die Heilige Schrift sagt von allen, die zum Glauben an Christum, den Sünderheiland, gekommen sind, Hebr.12, 22 ff.: "Ihr seid


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gekommen zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem und zu der Menge vieler tausend Engel und zu der Gemeinde der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten und zu dem Mittler des Neuen Testaments, JEsu, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet denn Abels." Wir, die wir hier in der Aula des Concordia-College zu Fort Wayne im Staate Indiana versammelt sind und durch Gottes Gnade im Glauben an Christum stehen, das heißt, glauben, daß allein das Blut Christi, des Sohnes Gottes, uns rein macht von aller Sünde, wir befinden uns hier auf dem Berge Zion. Daher vergessen wir nicht die Mahnung des Apostels 2 Kor. 13: "Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seid, prüfet euch selbst!" und daher geht unser Gebet und Flehen dahin, Gott wolle jeden von uns im Glauben an das Evangelium und damit auf dem Berge Zion erhalten. Dann und nur dann sind wir auch innerlich befähigt, dem göttlichen Befehl nachzukommen: "Zion, du Predigerin, steige auf einen hohen Berg! Jerusalem, du Predigerin, hebe deine Stimme auf mit Macht, hebe auf und fürchte dich nicht! . Sage den Städten Judas [das ist im Neuen Testament die ganze Welt]: Siehe, da ist euer Gott!" Ies. 40, 9, nämlich der gnädige Gott, der also die Welt geliebt hat, daß er seinen eingebornen Sohn gab.

Die rechte Weltanschauung schließt ferner in sich die rechte Anschauung von der Familie, der Kinderzucht und der christlichen Schule. Die Familie bildet bekanntlich die Grundlage für Staat und Kirche. Alles, was die Familie antastet, tastet beide göttliche Ordnungen an. Nach der rechten Weltanschauung werden in der Familie Kinder nicht gemieden, sondern als eine köstliche Gabe Gottes willkommen geheißen. Wie die Schrift lehrt: "Siehe, Kinder sind eine Gabe des HErrn, und Leibesfrucht ist ein Geschenk", Ps. 127, 3. Und diese köstliche Gabe wird den Eltern gegeben nicht bloß zu dem Zweck, daß sie ihre Kinder für dieses Leben nähren, kleiden und ausrüsten, sondern gerade auch und vornehmlich, damit sie dieselben durch diese Welt mit sich in die ewigen himmlischen Wohnungen einführen. Denn so lautet die göttliche Instruktion an die Eltern hinsichtlich ihrer Kinder: "Ziehet sie auf in der Zucht und Vermahnung zu dem HErrn!" Eph. 6, 4. Die christliche Mutter faltet sehr früh die Hände ihres Kindes zum Gebet und redet mit ihm von seinem lieben Heiland, was, nebenbei bemerkt, das Kind sehr bald und wunderbar gut versteht. Beide, Vater und Mutter, hüten sich auch sorgfältig, daß sie ihren Kindern ja kein Ärgernis geben, was der Heiland mit so schwerer Bedrohung verbietet, Matth.18, 6. Die Eltern sind im Gegenteil ängstlich bemüht, daß ihre Kinder einen tiefen, wo möglich, unauslöschlichen Eindruck bekommen von einem christlichen Hause, das ist, von einem Hause, in dem Gottes Wort regiert durch Hausandacht im Familienkreise und durch regelmäßigen Besuch der öffentlichen Gottesdienste. Und wenn die Schulzeit für die Kinder

 


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gekommen ist, so bedenken die Eltern, daß es zweierlei Schulen gibt, Schulen, in denen Gottes Wort regiert, und Schulen, in denen Gottes Wort nicht regiert. Von den letzteren urteilen wir ja allesamt mit Recht, daß wir niemand raten können, sein Kind dorthin zu tun. Es kann ohne Schaden und Ärgernis für die Seele des Kindes nicht abgehen. Christenkinder gehören selbstverständlich in christliche Schulen.  Weil das hin und wieder vergessen wird, so erinnert auch unsere Synodalkonstitution die Gemeinden daran, daß sie die Pflicht haben, christliche Schulen einzurichten und zu erhalten. Welches der Stand der christlichen Erkenntnis und des christlichen Lebens in einer Gemeinde sei, tritt gerade auch darin zutage, ob sie wirklich ernstlich bestrebt ist, eine christliche Schule einzurichten und zu. erhalten.  Den ehrwürdigen Vätern und Brüdern sind mehrere Worte Luthers bekannt, worin er die christliche Schule und das Amt eines christlichen Schullehrers preist. Er sagt u. a.: "Wenn ich vom Predigtamt und andern Sachen ablassen könnte oder müßte, so wollte ich kein Amt lieber haben, denn Schulmeister oder Knabenlehrer sein. Denn ich weiß, daß dies Werk nächst dem Predigtamt das allernützlichste, größte und beste ist, und weiß dazu noch nicht, welches unter den beiden das beste ist. Denn es ist schwer, alte Schälke fromm zu machen, daran doch das Predigtamt arbeitet und viel umsonst arbeiten muß; aber die jungen Bäumlein kann man besser biegen und ziehen, obgleich auch etliche darüber zerbrechen." (St. L. X, 454f.)

Zur rechten Weltanschauung der Christen hinsichtlich der Lehre, die sie selbst von Herzen glauben und in der Welt verkündigen, gehört auch das Festhalten an der unverfälschten Lehre des Evangeliums. Unverfälscht aber ist das Evangelium nur dann, wenn ihm kein Gesetz beigemischt, sondern die freie Gnade (free grace) gelehrt wird. Es muß gelehrt werden, daß Gott durch die stellvertretende Genugtuung Christi mit der ganzen Menschenwelt vollkommen versöhnt ist und nun bis an die Enden der Erde Vergebung der Sünden um Christi willen durch das Evangelium ausrufen läßt, damit sie von den Menschen durch den Glauben angeeignet werde. Dieses unverfälschte Evangelium erzeugt den christlichen Glauben und ist das Fundament des christlichen Glaubens. Einen christlichen Glauben, der zum Teil auf Christi Verdienst und zum Teil auf eigene Würdigkeit und Werke vertraute, gibt es nicht. Er ist nur eine menschliche Einbildung. Im bürgerlichen Gerichtshof gibt es allerdings zwei Klassen von Menschen, bürgerlich ehrbare und bürgerlich unehrbare. Anders steht es in Gottes Gerichtshof, was die Erlangung der Vergebung der Sünden und der Seligkeit betrifft. Vor Gott gibt es nur eine Klasse von Menschen. Die Heilige Schrift lehrt: "Es ist hie kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist." Auch kommt 

 


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kein menschliches Gewissen vor Gott eher zur Ruhe, als bis es das Vertrauen auf eigene Werke auf gegeben hat und auf Christi vollkommenes Verdienst allein sich verläßt. Das bestätigt auch die Erfahrung aller Christen in der ganzen Welt. Die lutherische Kirche gesteht zu, daß es auch außerhalb ihrer Gemeinschaft wahre Christen gibt. Aber alle, die in andern Kirchengemeinschaften wahre Christen sind, vertrauen vor Gott nicht auf eigene Würdigkeit und Werke, sondern allein auf Christi stellvertretende Genugtuung und sind allein auf diese Weise mit uns der Vergebung der Sünden und der Seligkeit gewiß. Sie bekennen mit uns und der ganzen Christenheit auf Erden: "Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern HErrn JEsum Christum." Ohne diesen Glauben an den für die Sünden der Welt gekreuzigten Heiland gibt es keinen Frieden mit Gott. Darum gilt es, an dem reinen Evangelium festzuhalten, wie es in der Schrift so klar gelehrt ist und wie wir es von unsern Vätern überkommen haben. Auch der moderne Protestantismus und sogar das moderne Luthertum ist vom reinen Evangelium abgefallen und will die Erlangung der Vergebung der Sünden und der Seligkeit auch von des Menschen eigener Leistung abhängig machen. Aber das ist Abfall vom Christentum. Die Schrift lehrt: "Ist`s aber aus Gnaden, so ist`s nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein", Röm. 11, 6.  Also an der reinen Gnadenlehre wollen wir durch Gottes Gnade festhalten. Wir wollen uns, was Höflichkeit und Friedensliebe betrifft, von niemand in der Welt übertreffen lassen. Aber es ist Gottes Wille und Befehl, daß wir uns auf keine Kompromisse einlassen in Sachen der christlichen Lehre. Hier sollen wir durch Gottes Gnade feststehen wie ein Fels. Es ist eine irrige Weltanschauung, wenn man meint, daß dies der Kirche zum Schaden gereiche. Allein dadurch wird die Kirche Christi gebaut. Das beweist gerade auch die Geschichte der Missourisynode. Gott hat uns gerade durch das Festhalten an der reinen Lehre des Evangeliums Raum in der Welt geschafft. Und vergessen wir nicht: zum Bekenntnis der reinen christlichen Lehre gehört auch die Verwerfung des entgegenstehenden Irrtums. Wer dem Irrtum oder der Zweideutigkeit erlaubt, sich als gleichberechtigt neben die Wahrheit zu stellen, gibt dadurch die Wahrheit auf, weil es die Art der Wahrheit ist, den Irrtum abzustoßen.

Endlich: Zur rechten Weltanschauung der Christen, die es zu bewahren gilt, gehört sonderlich auch der heilige Eifer und die heilige Treue in der Verkündigung des Evangeliums in der Welt. Das ist ja das eigentliche Geschäft, das ihnen als Christen von ihrem Heiland befohlen ist. Sie sollen sich freilich als Muster der Treue auch in dem bürgerlichen Beruf erzeigen, in den sie Gott in diesem Leben gestellt hat. Auch durch ihre Treue im bürgerlichen Beruf sollen sie dem

 


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Christentum einen guten Namen in der Welt machen. Das ist ein Stück der von Gott gewollten publicity. Aber vor allen Dingen ist ein Christ fleißig und treu in der Ausrichtung seines eigentlichen Christenberufs, nämlich in der Sorge für die Verkündigung des Evangeliums in der Welt. Sobald ein Mensch ein Christ geworden ist, hat er ja seine eigentliche Heimat im Himmel (Phil. 3), und sein vornehmstes und wichtigstes Bestreben in der Welt ist daraus gerichtet, andere mit sich in den Himmel zu führen. Einerlei ob er ein großer oder kleiner Geschäftsmann ist, ein großer oder kleiner Farmer, ein einfacher Arbeiter oder ein Aufseher von Arbeitern und ein Arbeitgeber: die christliche Kirche steht und bleibt ihm im Vordergrunde des Interesses. Kirchliche Angelegenheiten bilden ihm den liebsten Gesprächsstoff sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft christlicher Brüder.  Unter den Zeitungen, die er liest, sind ihm kirchliche Zeitungen die wichtigsten. Sie berichten ihm ja, wie es in der Kirche, seiner geistlichen Heimat hier in dieser Welt, zugeht. Sie berichten ihm, wo man seiner Gebete und seiner Gaben bedarf. Er ist selbstverständlich auch sorgsam darauf bedacht, von seinem irdischen Gut möglichst viel in den Dienst des Evangeliums zu stellen, ehe am Jüngsten Tag alles Geld und aller irdische Besitz völlig entwertet ist. Das ist die in der Heiligen Schrift gelehrte Treue in der Ausrichtung des Christenberufs hier in dieser Welt.

So, teure Väter und Brüder, will unser Heiland gerade auch uns in treuer Tätigkeit finden, wenn er plötzlich erscheint zum Jüngsten Tage und zum Ende der Welt. Daran erinnert er uns so gewaltig und eindringlich im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden. Er gibt dem einen fünf Zentner, einem andern zwei, einem dritten einen Zentner. Die mit den ihnen anvertrauten Zentnern treu gehandelt hatten, lobt der HErr hoch; den, welcher seinen Zentner in die Erde vergraben hatte, tadelt er scharf und lohnt ihn in Ungnaden ab, Matth. 25,14--30.

Das ist allen Christen insgemein gesagt. Denn sie alle sind berufen, daß sie verkündigen sollen die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht, 1 Petr. 2, 9. Das gilt insonderheit aber auch den Pastoren und uns allen, die wir ein Lehramt in der christlichen Kirche verwalten. Als bei einer andern Gelegenheit der Heiland die Zuhörer ermahnt hatte: "Darum seid ihr auch bereit! Denn des Menschen Sohn wird kommen zu der Stunde, da ihr nicht meinet", Luk. 12, 40, da fragte Petrus: "HErr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen?" Der HErr beantwortete die Frage mit "Ja", denn er fährt fort mit Worten, die sich sonderlich auf das Predigt- und Lehramt in der Kirche beziehen: "Wie ein groß Ding ist`s um einen treuen und klugen Haushalter, welchen der Herr setzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe! Selig ist der Knecht, welchen sein Herr findet also tun, wenn er kommt."

So wollen auch wir Pastoren und Lehrer durch Gottes Gnade das

 


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Beste hergeben, was wir vermögen. Unser lieber Heiland erwartet von uns nicht eine halbe, sondern eine volle Tätigkeit. Werden wir`s leisten? Ja, durch seine Gnade, wenn wir uns täglich daran erinnern, daß er uns durch sein teures Gottesblut für die Tätigkeit in seinem Reich erkaufte und uns eine ewige selige Wohnung im Himmel bereitet hat. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, setzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.