1877 Eastern-Walther-Difference of Law and Gospel according to Article 5 Epitome of Formula of Concord
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Lehrverhandlungen.
Folgende Thesen:
Vom Unterschied des Gesetzes und Evangeliums
nach Laut des 5. Artikels der Epitome der Coneordienformel
waren der ehrwürdigen Synode zu ihren Verhandlungen vorgelegt und wurden sämmtlich besprochen:
I.
Das Gesetz ist die göttliche Lehre, welche lehret, was recht und Gott gefällig ist, daher alles, was Sünde straft, Predigt des Gesetzes ist und zu derselben gehört. (Siehe: Affirmative 2. und 3.) Gal. 3,12. Rom. 3,20. 7,7. 2 Kor. 3, 6. 9.-
II.
Das Evangelium ist eine solche Lehre, die da lehrt, was der Mensch glauben soll, der das Gesetz nicht gehalten und durch dasselbe verdammt ist, daß er nämlich glauben soll an Christum und die Gnadenverheißungen in Christo. (Siebe: Affirmative 4.) Mark. 1, 15. Röm. 1, 16. 1 Kor. 15, 1. Röm. 10, 15. (s. den Urtext!) Luk. 2, 10. (desgl.) Eph. 2,17. Gal, 1, 6. 7. 8. 9. 11. Röm. 3, 27. Joh. 1, 17.
III.
Das Wort Evangelium wird in der heiligen Schrift zuweilen nicht nur Gesetz genannt, sondern, wie das Wort Buße, auch in einem weitläuf-
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tigen Verstände genommen, ln welchem es die ganze Lehre Christi und daher auch das Gesetz mit in sich begreift. (Siehe; Affirmative 5.) Jes. 2, 3. Mich. 4, 2. Röm. 8,2. 3, 27. Mark. 1,1.4. 16,15. vergl. Luk. 24,46. (Luk. 13, 3. 5. 15, 7. Matth. 3, 2. 2 Pet. 3, S. Röm. 2. 4. vergl. Mark. 1,15. Apost. 20, 21. Luk. 24, 46 f.)
IV.
Das Evangelium im eigentlichen oder engeren Sinne ist kine Büßpredigt. (Siehe- Affirmative 6.) Ioh. 5, 45. Apost. 20, 24. Jes. 61, 1. 2.
V.
Das Gesetz ohne das Evangelium macht entweder vermessene Heuchler, oder wirkt Verzweiflung. (Affirmative 7.) 2 Kor. 3, 14—16. Röm. 8, 3. Gal. 3, 2.
VI.
Sofern die Predigt von Christi Leiden die Größe der Sünde der Menschen offenbart, ist auch sie nur Gesetzespredigt. (Affirmative 8.) Röm. 1,18. Ioh. 16, 8. S.
VII.
Die Lehre vom Unterschied des Gesetzes und Cvangelii ist ein herrliches Licht. (Affirmativei.) 2 Tim. 2, 15. Luk. 12, 42.
VIII.
Die Vermischung des Gesetzes und Evangelii verfälscht und verderbt beides. (Negative.) Röm. 11, 6.
Nachdem diese Thesen *) im Zusammenhang vorgelesen worden waren, wurde die Besprechung derselben mit folgenden Worten eingeleitet:
Melanchthon hatte gelehrt, das Evangelium sei eine Predigt der Buße. Unter Evangelium verstand er aber in einem weiteren Sinne die ganze christliche Lehre, oder das, was das Neue Testament enthalte; das enthält aber selbstverständlich die Lehre von der wahren Buße, welche besteht in Reue über die Sünde und Glauben an den HErrik Christum. Die Ausdrucksweise Melanchthons wurde jedoch später von den Gesetzesstürmern benutzt, um das Gesetz für überflüssig zu erklären und aus dem Evangelto ein Gesetz zu machen, zum größten Schaden der Kirche jener und aller Zeiten. Denn das Evangelium ist so verschieden vom Gesetz, wie der Himmel von der Hölle, wie das Leben vom Tod, wie die Seligkeit von der Verdammniß. Durch die Behauptung der Gesetzesstürmer, das Gesetz gehöre nicht in die Kirche, sondern aufs Rathaus, wird die ganze christliche Religion umgestoßen. Gerade durch das Evangelium unterscheidet sich dieselbe von allen andern
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*) Dieselben waren auch gedruckt unter die Synodalglieder verteilt worden.
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Religionen in der Welt. Während jede andere Religion nur Gesetzliches hat, finden wir dagegen in der christlichen Religion das Gesetz und das Evangelium, von welchem letzteren kein Mensch von Natur eine Ahnung hat, und welches nur durch die heiligen Propheten und Apostel dem menschlichen Geiste offenbar werden konnte. Darauf weis't auch die erste These hin:
Thesis I.
Das Gesetz ist die göttliche Lehre, welche lehret, was recht und Gott gefällig ist, daher alles, was Sünde straft, Predigt des Gesetzes ist und zu derselben gehört. (Siehe: Affirmative 2. und 3.) Gal. 3,12. Röm. 3,20. 7,7. 2Kor. 3, 6. 9.
Die allerköstlichste Leuchte, ja, ein wahrer Stern in unserer Concordien-formel ist das hierher gehörige Zeugniß derselben (Affirmative 2. und 3.): „Wir glauben, lehren und bekennen, daß das Gesetz eigentlich sei eine göttliche Leh^, welche lehret, was recht und Gott gefällig, und strafet alles, was Sünde und Gottes Willen zuwider ist. Darum denn alles, was Sünde strafet, ist und gehöret zur Predigt des Gesetzes."
Daß das Gesetz göttliche Lehre sei, leugnete Agricola, das Haupt der Gesetzesstürmer, indem er ausdrücklich behauptete, „das Gesetz sei nicht werth, Gottes Wort zu heißen". Das gab ihm aber der Satan ein, der als ein rechter Tausendkünstler das Werk der Reformation hindern wollte. Luther hatte die Kirche aus tiefem Abgrunde herausgeholt p ganze Nationen jubelten im Lichte des Evangeliums. Der Teufel sah wohl, daß er dieses Licht nicht auslöschen könne; da dachte er: Das Evangelium will ich stehen lassen, ihm aber den Boden wegziehen; dann fällt es doch zusammen. Und das wollte er durch den elenden Agricola bewerkstelligen.
Aber so leicht sollte es den Antinomern nicht gelingen, das Gesetz zu beseitigen. Denn, daß dasselbe eine göttliche Lehre sei, hatte wohl Keiner klarer erkannt, als Luther. Er schreibt daher zu Joel 3, 25.:
„Er stehet aber hier auf das Gesetze. Dasselbe wird recht einer Speise verglichen, welche unlustig und einen Ekel macht. Nicht, daß das Gesetz böse sei: denn es ist, wie Moses sagt, ein himmlischer Thau, das ist, eine ^ himmlischeLehre. Wir aber haben den Geschmack verloren und einen bösen verderbten Magen, wie die Kranken pflegen zu haben; darum achten wir der gesunden Speise nicht." (Walch VI, 2298.)
„Das Gesetz, als eine göttliche Lehre, lehret, was recht und Gott gefällig ist." Das Gesetz lehrt, was recht ist, nemlich das, was der Gerechtigkeit des ewigen Gottes entspricht. Damit wird aber alles abgewiesen, was Menschen sich gewöhnlich unter Gerechtigkeit vorstellen. Was das Gesetz fordert, fordert auch Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit, und umgekehrt. Was im Gesetz steht, muß Gott von dem Menschen fordern, weil Gott sich nicht selbst widersprechen kann; denn er ist ein ganz heiliges Wesen. Darum
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hat er auch an dem, was er fordert, sein Wohlgefallen. Das aber ist Gott gefällig und recht, was das Gesetz lehrt. So lange ein Prediger das nicht recht erkannt hat, wird er auch vom Gesetz, von wahrhaft guten Werken, nicht recht predigen können.
Das bezeugt auch Luther, wenn er zu 1 Tim. 1, 5—7. schreibt: „Darum sähet er die Epistel an seinen Jünger Timotheum damit an, daß er darauf sehen soll, daß nicht solche Lehrer aufkommen, die da viel waschen und plaudern können vom Gesetz, bringen viel neuer Fragen und Lehre, was man thun, und wie man fromm sein solle, damit sie gesehen und gerühmet werden, daß sie gelehrter sein denn andere, und kommen doch nimmer dazu, daß sie etwas Gewisses und Rechtschaffenes lehren, treffen weder Mittel, Anfang noch Ende, führen allein diese Worte, man soll fromm sein, gute Werke thun, Gott dienen rc., verstehen aber dieselben selbst nicht, was es heiße. ' Und wenn man sie fraget, wie man ihm thun solle? stücken und tröpfeln sie hier ein Werk, dort ein Werk; hier, laß dich beschneiden; dort, opfere so viel auf den Altar; da lauf ins Kloster, hier zur Wallfahrt; dort^ifte Messe rc. Und wenn das gelehret und gethan, darnach aber ein Anders, und immer was Neues, daß sie doch niemand beständiglich und gewiß können unterrichten, noch sagen: Das ist es, oder darinne stehet es rc. Und soll doch köstlich Ding heißen; können so viel Rühmens und Verheißens, als die allein die rechten Lehrer sein, und alle andere tadeln und meistern. Das wäre aber ein rechter Meister (spricht er), der das Hauptstück angriffe, und die ganze Summa recht fassen und treffen könnte, wie das Herz und Gewissen, und der ganze Mensch stehen soll. Da wissen sie nichts von; treiben wohl die Worte, aber der Summa und endlichen Meinung des Gesetzes fehlen sie gar: predigen und waschen dieweil zum Kirchenfenster aus, und zur Thüre hinein, daß niemand weiß, wo man aufhören oder anfahen soll, noch wozu es dienet; oder was er sich es bessern und trösten soll." (Walch IX, 532—33.)
In der These wird weiter gesagt, daß „daher alles, was Sünde straft, Predigt des Gesetzes ist und zu derselben gehört". Sünde strafen heißt dieselbe nicht blos tadeln, sondern verdammen. Das Gesetz straft den Sünder, indem es ihm sagt: Du bist verdammt vor Gott. Wo hört man das aber heutzutage? Als der HErr in die Welt kam, fand er das Gesetz verderbt, vernichtet, aufgehoben. Seine Reformation fing er an mit der Reinigung der Gesetzeslehre. Das ist es, was jetzt wieder no h thut. In der Lehre des Gesetzes, wie es manche Prediger treiben, ist Vieles faul. Als gute Werke preisen sie äußerliche Handlungen, die wohl einen schönen Schein von sich geben, die aber Gott nichtsdestoweniger mit Füßen tritt als lauter Todsünden. Ja, wie viele Prediger gehen so weit, daß sie der Welt Eitelkeit treiben, um für die Kirche zu sammeln! Da wird für einen guten Zweck getanzt, gefressen und gesoffen. Das sind verdammte Heuchelpropheten, die ihre Leute zum Teufel führen. Sie spielen mit dem Gesetz, diesem glühenden Feuer, dieser unerträglichen Gluth. Sie haben keine Idee von dem,
was Gott gefällig ist, weil sie das Gesetz nicht verstehen. Dasselbe ist eben geistlich, wie Gott schon im Alten Testament bezeugt, wenn er befieblt 5 Mos. 6, 5.: „Und du sollst den HErrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen." Damit ist klar gesagt, daß das Gesetz dem Geist, dem Gewissen, dem Herzen des Menschen gegeben ist. Wie das Herz ist, so sieht Gott das Werk an.
Auch Luther läßt sich hierüber wie folgt vernehmen: „Nun möchte einer hie fragen: wie doch alle Dinge können in diesen zweien Gesetzen ver. fasset sein, so den Jüden die Beschneidung und andere viel Gesetze mehr gegeben waren, die sich aus diese zwei, wie man sich dünken lasset, nicht reimen? Darauf zu antworten, wollen wir erstlich sehen, wie Christus das Gesetz deutet, nemlich, daß es soll von Herzen gehalten werden; das heißt man sonst, das Gesetz geistlich verstehen: denn wer das Gesetz nicht mit dem Herzen und mit dem Geist angreifet, der wird es wohl unerfüllet lassen. Darum sagt hier der HErr dem Schriftgelehrten den Grund und den Kern des Gesetzes, untz spricht, daß dieß das fürnehmste Gebot sei, Gott von Herzen lieben, und den Nächsten als sich selbst. Hieraus folget, daß der nicht beschnitten ist, nicht faste, nicht bete, der es nicht von Herzen thut; ob er gleich das Werk äußerlich thut, so thut er doch vor Gott nichts; denn Gott siehet das Herz an, und nicht das Werk. 1 Sam. 16, 7. Es hilft auch dem Menschen nicht, wenn er noch so viel Werke thäte, wo das Herz nicht dabet ist. Da entspringet denn abermals eine Frage: Dieweil die Werke dem Menschen zu nichts nütze sind, wozu hat denn Gott den Jüden so viel Gesetze gegeben? Dazu antworte ich, daß die Gesetze eben darum gegeben find, daß wir erkenneten, ob wir auch Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seelen, von ganzem Gemüthe, und aus allen Kräften liebeten, dazu den Nächsten als uns selbst; denn wie St. Paulus sagt Röm. 7, 7., so ist das Gesetz nichts anders, denn eine Erkenntniß und Offenbarung der Sünde. Was wüßte ich von der Sünde, wenn nicht das Gesetz da wäre, und zeigte mirs an? Also stehet hier das Gesetz, das sagt: Du sollst Gott von Herzen lieben, und deinen Nächsten als dich selbst. Das erfülleten wir, wenn wir alle Werke, so das Gesetz von uns fordert, thäten: wir thuns aber nicht; darum zeiget es uns nur an, wo es uns fehlet, und daß wirs nicht thun, solltenS aber wohl thun." (Walch XI, 2252—53.)
An der rechten Predigt des Gesetzes fehlt es in unserer Zeit; es kann dasselbe nicht scharf genug gepredigt werden. Weil vielfach nur ein Scheingesetz gepredigt wird und nicht der furchtbare Donner des Gesetzes erschallt, vor dem sich ein Jeder entsetzen muß, so kann auch keine rechtschaffene Bekehrung zu Stande kommen; die Leute bilden sich ein, sie seien gute Christen, und werden so in die Hölle hinein getröstet. O welch blinde Pharisäer, die das gethan zu haben meinen, was Gott von uns im Gesetz verlangt! Als das Gesetz gegeben wurde, und die Israeliten den Donner und Blitz, den Ton der Posaune hörten und den rauchenden Berg sahen, da flohen sie, traten
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von ferne, und sprachen zu Mose: „Rede du mit uns. wir wollen gehorchen; und laß Gott nicht mit unS reden, wir möchten sonst sterben." So sollte jetzt auch das Gesetz gepredigt werden, daß die Hörer vor Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit erschrocken zurückbeben müßten. Aber leider wird das Gesetz nur zu oft abgeschwächt dadurch, daß ein falsche« Evangelium hineingemischt wird. Wie oft wird in Kirchen und Schulen gelehrt: „Der Mensch ist gefallen, und hat wenig Kraft; er kann zwar etwas, aber nicht alles thun; wenn er jedoch thut, was in seinen Kräfte« steht, so ists genug"! Das ist rechte Teufelslehre, weil sie dem Gesetz seine Schärfe nimmt. Es ist ein großer Unterschied zwischen Gesetz predigen und gesetzlich predigen. Gesetzlich sollte ein Prediger nie predigen, wohl aber Gesetz; und predigt er das, so predige er es ganz, ohne das Evangelium hineinzumischen. Unerbittlich muß der Ueberlreter verdammt werden. Ohne allen Trost muß er erst erkennen: Du gehörst in rie Hölle. Es darf nicht heißen: Du mußt dich bessern, dann ist Gott zufrieden. Nein! nicht ein Buchstabe des Gesetzes darf unerfüllt bleiben; denn die Schrift sagt: „So jemand das ganze Gesetz hält, und sündiget an Einem, der ists ganz schuldig." Und abermal: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllet, daß er darnach thue." —
Zu der ersten Beweisstelle, Gal. 3, 12.: „Das Gesetz aber ist nicht de-GlaubenS; sondern der Mensch, der eS thut, wird dadurch leben", wurde bemerkt:
Das Gesetz sagt nicht: Glaube, sondern thue, so wirst du leben; es spendet also keinen Trost. Wehe darum dem Prediger, der durch dasselbe zu trösten sucht; denn er verfälscht das Gesetz, macht das zweischneidige Schwert stumpf und das Salz dumm, ja, diesen leuchtenden Blitz verkehrt er in Ftn-sterntß. Und doch, wie häufig geschieht dies! Wie oft hört man sagen: Wir haben Alle unsere Fehler; wenn wir uns aber bessern, so hat es keine Noth. Das find lauter gottlose, zur Hölle stürzende Irrlehren. Nein, das Gesetz tröstet gar nicht. Wer sich aus dem Gesetz seinen Trost holt, ist ohne Zweifel ein Heuchler, dem die Decke Mosts vor den Augen hängt. Ein solcher steht nicht ins Gesetz, sondern in seine Decke, und da steht er, was für ein guter, frommer Mensch er ist; wird aber die Decke weggezogen, so sieht er, daß er in die Hölle gehört. Eine solche Decke hängt vor den Augen der meisten Bauchpfaffen, welche aus Furcht, ihr Geld und Ansehn zu verlieren, die Wahrheit verschweigen. Aber wehe ihnen! Während sie Menschen nicht erzürnen wollen, laden sie den grimmigen Zorn Dessen auf sich, der das Blut verwahrloster Seelen von ihrer Hand fordern wird, Hesek. 33, 8. —
Daß alles, was Sünde straft, Predigt des Gesetzes ist, ja, daß selbst großer irdischer Segen oft mit dazu dienen muß, den Menschen zur Erkennt-niß seiner Sünden zu bringen, bezeugt Luther, wenn er schreibt:
„Nun St. Petrus dies Wunderwerk Christi stehet (Luk. 5.) und so reichlich versorget ist, fährt er erst an zu denken, was dieser für ein Mann sein müsse, und dagegen zu halten, was er ist. Da kömmt er erst in größere Noth aus diesem reichen Segen, denn er zuvor in seinem leiblichen Mangel nie gewest ist, und wird nun recht arm und bloß, daß er für Schrecken schier zu Boden sinket, und heißt Christum von ihm.gehen. Denn er sähet an zu fühlen seine Unwürdigkeit und Sünde, und muß sich selbst bekennen und klagen einen armen Sünder.... Aber das geschieht alles und muß wohl also geschehen, wo allein des Gesetzes Lehre und Verstand ist, und noch nicht Christus durch das Evangelium reckt oder völliglich erkannt wird. Denn des Gesetzes Erkenntniß ist auch natürlich in aller Meuschen Herz geschrieben und gepflanzet, wie St. Paulus Rom. 2, 15. saget, das uns lehret, was wir thun sollen, und schuldiget unfern Ungehorsam; und solches auf mancherlei Weise thut. nicht allein mit schrecklichen Zeichen und Fühlen der Strafe und Gottes ZornS; sondern auch aus allerlei Gaben und Werken Gottes, die der Mensch siehet und höret, welche ihm seine Sünde und Gottes Zorn anzeigen, daß er derselben mißbrauchet in Gottes Verachtung und Ungehorsam; denn er muß selbst daraus schließen, daß die, so Gott für seine Gaben und Güter undankbar sind, seines Zorns und der Verdammniß werth sind. Also sind alle Gottes Wohlthaten eitel solche leben dige Predigten (wo sie ein Herz treffen) der Buße, die den Menschen zur Erkenntniß seiner Sünde führen, und also in Schrecken werfen; wie auch St. Paulus abermal Röm. 2, 4. den unbußfertigen, verstockten Heuchlern sagt: „Verachtest du den Reichthum göttlicher Güte, Geduld und Langmüthigkeit? Weißest du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?" Darum ist es nichts, daß unsere Antinomer aus diesem Exempel gaukeln, man solle nicht durch das Gesetz, sondern durch das Evangelium, ... die Buße predigen und treiben; und verkehren die zwei Stück, Offenbarung der Gnade und Offenbarung des Zornes; als sollte man zuvor von der Gnade predigen und trösten, darnach erst mit dem Zorn schrecken.. Das ist lauter blind und narrisch Fürgeben solcher Leute, die nicht verstehen, weder was Zorn noch Gnade, Buße oder Trost der Gewissen sei. Es ist alles des Gesetzes Predigt, was da von unfern Sünden und Gottes Zorn predigt, es geschehe wie oder wenn es wolle. Also prediget ihm auch allhier St. Petrus selbst das Gesetz von seiner Sünde und Gottes Zorn, eben aus dieser großen Wohlthat Christi; denn er kann auch nichts anders, denn Zorn und Schrecken um seine Unwürdigkeit gegen Gott daraus nehmen; denn er hat noch keinen andern Verstand in seinem Herzen, denn des Gesetzes, welches zeiget, daß Gott der Sünde feind ist und sie strafen will. Aber von der Gnade Christi weiß er noch nichts, welche durchs Evangelium allen Sündern umsonst geschenket wird; batte auch nicht können dazu kommen, sondern hätte in seinem Schrecken verzweifeln rnüffen, wo nicht Christus ihm eine andere Predigt thäte, damit er ihn tröstet und aufrichtet. Denn diese Lehre und Verstand kann ein Mensch nicht also von ihm selbst ergreifen ohne die Offenbarung
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des Heiligen Geistes durch das Wort des Evangelii." (Kirchenpostille. Andere Predigt über das Ev. vorn. V. p. I'riL. Walch XI, 1791. 1793 ff.)
Alles, was Sünde straft, gehört zum Gesetz, mag es nun Leid oder Freud, Trübsal oder Güte und Wohlthat Gottes sein. Mancher Mensch geht oft Jahre lang in dem Gedanken dahin, Gott habe sein Wohlgefallen an ihm, weil er es ihm so gut gehen lasse. Da trifft ihn plötzlich ein Un-glück und sein Gewissen spricht: Siehe, du gefällst Gott doch nicht so wohl, als du meintest; wie übel geht es dir jetzt! Das ist die Strafe deiner Sünden. Wiederum: Mancher Mensch wird reich an irdischen Gütern; er gelangt zu hohen Ehren, ist gesund und es geht ihm alles nach Wunsch und Willen. Auf ein Mal wacht sein Gewissen auf und er erkennt: Gott gab dir die zeitlichen Güter, um dich dadurch an sich zu locken, und du hast ste dazu gemtßbraucht, dich weiter von ihm zu entfernen! Sein schönes HauS, sein vieles Geld, ja, alle seine Güter, werden lauter Ankläger. Gewiß hat schon Mancher unter uns die Erfahrung gemacht, daß er, durch eine wunderbare Fügung Gottes aus drohender Gefahr errettet, gerade dadurch bis in den Staub gedemüthigt worden ist. —
Im Anschluß an die zweite Beweisstelle der ersten These (Röm. 3, 2V.: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde") wurde bemerkt:
Es darf Niemanden wundern, daß wir uns bei so einfachen Wahrheiten, wie ste jeder Katechtsmusschüler gelernt hat, aufhalten. Die allgemeine Erfahrung lehrt, daß gerade die einfältigsten Lehren am meisten vernachlässigt werden. Da gilt es denn sich immer tiefer gründen. Auch wir sollen und wollen mit Luther immer Katechismusschüler bleiben; denn im Katechismus ist die höchste Weisheit, die Gott den armen Sterblichen geoffenbaret hat. Aus den von Ungläubigen oft so hock geschätzten philosophischen Systemen erkennt der Christ nur, daß ein Räthsel da ist; sein Katechismus aber lös't ihm das Räthsel der Welt.
Auf die hier erhobene Frage, was unter dem ins Herz der Heiden geschriebenen Gesetze zu verstehen sei, wurde geantwortet: Es sind das noch kleine Fünkchen des bet der Schöpfung eingeschriebenen Gesetzes. Es ist zwar eine sehr verwitterte Schrift, die aber durch das hinzukommende geoffenbarte Gesetz wieder lesbar wird. Hört ein Atheist das Evangelium predigen, so denkt er: Das ist dummes Zeug ; hört er aber das Gesetz, so spricht er: Der Pfaffe hat Recht. — Warum? Weil ihm ins Herz geschrieben ist: Du sollst heilig sein, wie dich der HErr, dein Gott, geschaffen hat. Diese Erkenntniß ist durch den Sündenfall nicht ganz verloren gegangen, weil Gottes Erbarmen es nicht zuließ, daß der Mensch zum Thier werden sollte; denn dann hätte er nicht bekehrt noch selig werden können. So hat aber jeder Mensch das Gewissen, oder die Stimme im Herzen, die ihn von wegen seiner Handlungen oder Unterlassungen entweder verklagt oder entschuldigt. Handelt der Mensch gegen sein Gewissen, so verklagt ihn dasselbe; er selbst aber sündigt, auch wenn das, was er gegen das Gewissen thut, gut ist. Da
Paulus noch ein Saulus war, meinte er wohl als ein eifriger Christenverfolger hoch in den Himmel kommen zu muffen. Wenn er sich nun von einem gefangenen Christen hätte bestechen und denselben frei ausgehen lassen, so hätte er löblich gehandelt und doch Sünde gethan, weil er wider sein Gewissen gehandelt hätte. Das ist ein Trost für alle rechtschaffenen Prediger, daß ste sich auf die Gewissen ihrer Zuhörer berufen können, wenn sie ihnen das Gesetz predigen. Darum sollte dasselbe auch mit aller Schärfe gepredigt, und nachgewiesen werden, daß jede, auch die kleinste, Sünde zur Hölle verdammt. Ist das geschehen und der Sünder durch den Donner des Gesetzes aufgeschreckt, so kann man dann um so freundlicher und unbedingter den Reichthum der Gnade anpreisen. Man hüte sich ja, so zu sagen, den hinkenden Boten Nachfolgen zu lassen, indem man sagt: Aber nimm dich in Acht; greif nicht zu früh zu; hast du schon genug Reue empfunden? und was dergleichen Fragen mehr sind. Nein, ist der Sünder durchs Gesetz in die Hölle geworfen, dann absolvire man ihn unbedingt, und sage: Du hast Gnade; alle deine Sünden sind verschwunden wie eine Wolke.—
Eine für die These wichtige Beweisstelle ist auch Rom. 7, 7.r „Aber die Sünde erkannte ich nicht, ohne durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten." Nicht die wirklichen Lüste sind hier zu verstehen, sondern die Erblust ist gemeint. Selbst die Heiden haben erkannt, es sei Sünde, etwas Böses zu begehren; daß aber die Erblust Sünde sei, erkannten sie nicht. Ueberhaupt haben sie nicht gewußt, daß der Mensch mit böser Lust d. h. in solchem Zustande geboren wird, darinnen er das nicht will, was Gott will, nemlich Gott lieben, fürchten und vertrauen, daß er Gottes Feind ist in allen Kräften und Begierden seines Geistes. Das alles erkennt man durchs Gesetz. Dasselbe ist geistlich, d. h. dem Geiste und Herzen des Menschen gegeben; und wer es nicht geistlich versteht, versteht auch nicht, was wahrhaft gute Werke sind, nemlich solche, die aus dem Geist d. i. von Herzen geschehen. An dieser Erkenntniß fehlt es jedem Prediger, der, ein blinder Blindenleiter, sagen kann: Soll ich meinen Gemeindegliedern verbieten, zu weltlichen Gesellschaften zu gehören, welche die Ausübung von Werken der Liebe und Barmherzigkeit bezwecken? Nur ein Pharisäer kann so reden. Wenn sich ein Christ um solcher guten Zwecke willen mit der Welt verbindet, so beweiset er damit, daß er nicht weiß, was gute Werke sind. Die Welt kann nur todte Werke thun; ihre Werke sind vor Gottes Augen nichts als eine elende Gaukelei, weil sie im Grunde nur aus der Selbstliebe kommen. Darum ist es so schrecklich, wenn ein Prediger keinen Ernst gebraucht gegen Glieder seiner Gemeinde, die im Bunde mit der Welt stehen, und eine Schande für die Synode, in welcher die Verbindung mit Weltkindern oder geheimen Gesellschaften geduldet wird. Es ist das eine offenbare Verleugnung des göttlichen Wortes. Mag auch die Welt ihre Werke noch so hoch rühmen, es bleibt dabei: „Was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde." Erst muß ein
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Mensch wiedergeboren sein, ehe er ein einziges Werk thun kann, lediglich aus Liebe zu Gott und zum Nächsten.
Was übrigens die Welt unter guten Werken versteht, und welch ein Gewicht sie denselben beilegt, kann man aus einem Traume sehen, welchen ein Ungläubiger, wie folgt, erzählte: Es träumte ihm, er befinde sich auf dem Wege zur Ewigkeit, komme endlich zur Himmelspforte und treffe dort Solche, die während ihres Erdenlebens fleißig zur Kirche kamen, Gotte-Wort hörten und überhaupt als gute Christen galten. Die Himmelsthür wird geöffnet, und Gott frägt zuerst einen dieser „guten Christen": Bist du fleißig zur Kirche gegangen k Antwort: Ja. Hast du auch reichliche Beiträge gegeben für Kirche und Schule? Antwort: Ja. Aber hast du nicht öfters den Lohn deiner Arbeiter verkürzt? Und da auch diese Frage bejaht wird, spricht Gott: Dann gehörst du auch nicht hierher; darum fort mit dir! Nun wendet sich Gott an den Ungläubigen und frägt: Bist du jemals in die Kirche gegangen? Nein. Hast du dich jemals um Erhaltung von Kirche und Schule gekümmert? Ist mir gar nicht eingefallen. Aber du hast einmal einem, der in Verlegenheit war, eine Note endosstrt; du hast einem Armen zu einer billigen Wohnung verholfen: Das sind rechte gute Werke; gehe ein zu deines HErrn Freude!
So urtheilt die blinde Welt vom Gesetz und seiner Erfüllung.
Zu der letzten Beweisstelle der ersten These (2 Kor. 3, 6. 9.r „Denn
der Buchstabe tödtet das Amt, das die Verdammniß prediget")
wurde bemerkt:
Alles, was mich von meiner Verdammniß überzeugt, ist Stimme des Gesetzes. Dasselbe ist nicht ein todter, sondern ein tödtender Buchstabe, der die große Kraft hat, den Menschen in die Oual des Todes und der Verdammniß zu stürzen. Daß der Apostel das Gesetz den Buchstaben, das Evangelium aber den Geist nennt, hat seinen Grund darin: Wenn das Gesetz gepredigt wird, so ists nur ein Schall, durch den man etwas erfährt. Das Gesetz wirkt das nicht, was es fordert, und kann es auch nicht wirken, weil ihm die Kraft dazu fehlt. Es ist geschrieben und bleibt ein Buchstabe ewiglich. Das Evangelium dagegen wirkt im Augenblick der Verkündigung das, was es verkündigt, und theilt es auch mit. Mag ein Mensch allen Ernstes um seine Seligkeit besorgt sein, das Gesetz gibt ihm nicht die Kraft, selig zu werden; es zeigt ihm seine Ohnmacht und läßt ihn dieselbe recht -fühlen; eS wirkt so, daß er empfinden muß: Ich bin Gottes Feind; denn ich hasse ihn, und liebe ihn nicht; ich kämpfe gegen ihn und diene ihm nicht. Wird aber das Evangelium gepredigt und ist dieser Geist ins Herz gekommen, dann kann der Mensch das Gesetz halten, wenn auch noch unvollkommen, in diesem Leben. Aber er liebt doch wirklich Gott und seinen Nächsten, nicht sich selbst, sondern haßt sich.
Der Hauptgrund der Gesetzesstürmer, warum sie das Evangelium im eigentlichen Sinne für eine Predigt der Buße hielten, war dieser: Weil das
Gesetz nichts wisse von Christo, die Schrift aber den Unglauben als die allergreulichste Sünde bezeichne. Das Gesetz strafe zwar auch viele Sünden, die allergrößte Sünde jedoch strafe nur das Evangelium; daher Christus den Heiligen Geist verheißen babe, damit derselbe die Welt strafe um die Sünde des Unglaubens. Aber nein! Daß Evangelium kann keine Predigt der Buße sein, weil es im eigentlichen Sinne eine gute Botschaft ist; es ist darum nur das Gesetz, was die Sünde des Unglaubens straft. Das Evangelium gibt dem Gesetz erst einen Gegenstand, von dem es nichts wüßte, wenn das Evangelium nicht wäre. Das Evangelium offenbart dem Sünder, daß Gott vom Himmel gekommen sei, die Welt erlöst habe und ihr nun zurufe: Glaube an mich, so bist du selig. Da bekommt das Gesetz einen Gegenstand, von dem es nichts wußte; denn es erfährt die Berheißung, welche Gott dem Menschen gegeben hat, und spricht nun zum Sünder: Hier sagt dir Gott, daß er dich selig gemacht hat; er will, das sollst du glauben, sonst bist du verdammt. Ist es schon schrecklich, wenn du überhaupt nicht glauben willst, so ist es noch viel schrecklicher, wenn du jetzt nicht glauben willst, da alle deine Sünden gebüßt sind.
ES möge hier ein hierher gehöriges Zeugniß aus der Apologia des christlichen Concordienbuchs Platz finden; dasselbe lautet also: „Des Gesetzes eigenes Amt ist und bleibt, alle Sünde strafen. Rom. I.r ,Der Zorn Gottes wird vom Himmel offenbaret über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit aller Menschen*, und also auch über den Unglauben an Christum. Denn wenn das Gesetz Gottes Wort und Gebot findet: Du sollst an den Sohn glauben, oder; Diesen sollt ihr hören, so nimmt es dasselbige Wort vermöge seines Amtes nicht weniger an, als die andern Gebote Gottes, und spricht: Wer diesem Wort oder Lehre nicht glaubt, über dem bleibet der Zorn Gottes, oder: Wer nicht glaubet, der wird verdammt. Und Christus, wenn er also redet: »Wer nicht an den Sohn Gottes glaubet, über dem bleibt der Zorn Gottes*, nimmt des Ge sich es gemeine und eigene Lehre oder Amt an die Hand, leget dasselbige aus, und erkläret, wie auch diese Art des Unglaubens, das ist, der Unglaube an den Sohn Gottes, verdamm-lich sei und den ewigen Zorn Gottes mit sich bringe nicht weniger, als andere Sünden, welche das Gesetz straft. Und tröstet also der Geist Christi nicht allein, sondern er straft auch und dräuet (in dem das eigentliche Amt des Gesetzes führend und gebrauchend) den ewigen Zorn Gottes denjenigen, welche an den Sohn nicht wollen glauben. Ob nun wohl das Gesetz insonderheit, oder mit Namen, des Unglaubens an den Sohn Gottes nicht gedenkt, sondern nur ingemein von allem Unglauben gegen Gottes Wort redet; darunter freilich auch diese Art des Unglaubens, nemlich der Unglaube an den Sohn Gottes, gehört und mit verstanden werden muß: so führet doch od r brauchet Christus in diesem Fall, wenn er von dem Unglauben an feine selbst eigene Person handelt und denselben insonderheit oder mit Namen strafet, des Gesetzes Amt und desselbigen eigenen Werks, verrichtet also ein fremd Amt (welches eigentlich dem Gesetz zustehet), Zes. 28., auf daß
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er sein eigen Werk und Amt in der Zerknirschten und Gedemüthigten Herzen verrichten möge, welches ist Trösten und auch des Evangelit (eigentlich zu reden) eigen Amt ist. Wenn nun dieses recht betrachtet und unterschiedlich, als es billig sein soll, angesehen wird, so findet sich gar fein und klar, daß, obwohl Christus tmEvangelio jagt oder das Evangelium Christi spricht: ,Wer nicht glaubet an den Sohn, über dem bleibet der Zorn Gottes«, daß dieses dennoch nicht des Evangelti (eigentlich davon zu reden, wie im Unterscheid beider Lehren, Gesetzes und Evangelii, geschehen soll und muß) eigen Amt und Werk sei, solche Sünde strafen; sondern daß Christus in diesen und dergleichen Reden das Gesetz in die Hand genommen, dessen eigen Amt und Werk erkläret und verrichtet und uns dieses Licht angezündet, daß wir sehen und verstehen können, daß das Gesetz, so sonst ingemein allen Unglauben strafet, wenn es von Christo gesühnt, gebrauchet und aus dem Hellen Schein des Evangelit eigentlich illuminirt und erklärt wird, auch diese Art des Unglaubens an Christum mit begreife und nicht weniger als sonst allen andern Unglauben und Mißtraum wider Gottes Wort strafe und verdamme." (Cap. XII. S. 202.)
Nicht das Evangelium, sondern das Gesetz klagt den Menschen an; daher auch Christus zu den Juden spricht: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde. Es ist einer, der euch verklagt, der Moses." Das Gesetz weiß nichts von Christo, aber, durchs Evangelium erleuchtet, sagt es dem Sünder: Wohlan, das mußt du glauben, oder du bist verloren. Daher auch Luther vom Glauben an das Evangelium fort und fort sagt: Das ist das erste Gebot. Und in der That, wer von Herzen glaubt, erfüllt das erste Gebot und damit alle andern Gebote. O unbeschreibliches Wunder der göttlichen Gnade! Wir erfüllen das Gesetz, indem wir glauben, daß Gott es für uns erfüllt hat.
Auf die Frage, wie das Evangelium ein Geruch des Todes zum Tode sein könne, wurde geantwortet: Die Schuld liegt am Menschen; denn an ihm selbst ist das Evangelium der köstlichste Wohlgeruch. Der unbußfertige Sünder aver, vor dem Gott erscheint und spricht: Ich habe dich selig gemacht, glaube es nur, macht sich diesen Geruch des Lebens zum Geruch des Todes. Wie beim Abendmahl der Gläubige das allerköstlichste Siegel der Vergebung seiner Sünden empfängt, wahrend der Ungläubige Leib und Blut Christi sich zum Gerichte genießt, so ists auch in Bezug auf das Evangelium. Dasselbe bleibt in alle Ewigkeit die frohe Botschaft von der gnädigen Vergebung unserer Sünden. Selbst die Verdammten in der Hölle werden es zähneklappend bekennen müssen: Gott hat unfern Tod nicht gewollt! Es liegt eine schreckliche Gefahr in der Lehre, daß das Evangelium eine Büßpredigt ist, nemlich die, daß man uns JEsum und somit unsere Seligkeit aus der Schrift nimmt. Das ist nichts, daß einer glaubt, in der Schrift seien viele schöne Sprüche; nein, ich muß gewiß wissen, daß die Schrift zwei Lehren enthält, Gesetz und Evangelium. Finde ich nun etwas, das mich straft, so weiß ich, das ist Gesetz; ich weiß aber, Gott Lob! daß es auch eine Lehre andere gibt, zu der ich fliehen kann und in welcher ich geborgen bin, nemlich das Evangelium. Ist aber beides mit einander vermischt, was soll dann ein armer Sünder thun? Erst hat ihn das Gesetz verdammt; nun kommt er zum Evangelio, und das verdammt ihn aufs Neue. Da muß ja aller Trost verschwinden. Hs waren gewiß keine Subtilitäten, um die es sich hierbei handelte, als einst so eifrig gegen die Irrlehre gezeugt wurde. Es handelte sich vielmehr um eine Verfälschung des Evangeliums. Wer uns den Trost des Evangelii rauben will, ist nach dem Zeugniß Pauli ein verfluchter Mensch; denn er treibt des Satans Werk. Derselbe will uns unsere Seligkeit nehmen; ein Mal hat er sie schon genommen, im Paradiese; nun. nachdem Christus uns dieselbe erworben, will er sie uns dadurch wieder nehmen, daß er uns den Trost des Evangeliums zu rauben sucht.
Nachdem hierauf rie erste These angenommen worden war, ging man zur Besprechung der zweiten über:
Thesis II.
Das Evangelium ist eine solche Lehre, die da lehrt, was der Mensch glauben soll, der das Gesetz nicht gehalten und durch dasselbe verdammt ist, daß er nemlich glauben soll an Christum und die Gnadenverheißungen in Christo. (Siehe Affirmative 4.) Mark. 1,15. Röm. 1,16. 1 Kor. 15,1—4. Röm. 10,15. (s. den Urtert!) Luk. 2,10. (desgl.) Eph. 2,17. Gal. 1,6. 7.8. 9.11. Röm. 3, 27. Joh. 1,17.
Affirmative 4.: „Das Evangelium aber sei eigentlich eine solche Lehre, die da lehret, was der Mensch glauben soll, der das Gesetz nicht gehalten und durch dasselbige verdammt, nemlich, daß Christus alle Sünde gebüßet und bezahlet, und ihm ohn allen seinen Verdienst erlanget und erworben habe Vergebung der Sünden. Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und das ewige Leben."
Die Schwärmer, unter ihnen die Methodisten, find vom rechten Verständniß des Evangelit weit entfernt; denn nicht auf Christum, sondern auf sein Ringen und Beten verweisen sie den um seine Seligkeit besorgten Menschen. Davon aber wollen sie nichts wissen, daß das Evangelium zu dem armen, erschrockenen Sünder spricht: Du mußt glauben, du gehörst in den Himmel, du bist erlös't, deine Seligkeit liegt vor dir wie lauter köstliche Speisen auf einer Tafel; greif zu l Sie sprechen vielmehr: Hast du aus der Schrift erfahren, daß Gottes Sohn die Welt erlös't hat, so komm nun selber zu Gott und ringe mit ihm, bis du fühlst und die heimliche Stimme hörst: Deine Sünden sind dir vergeben! dann bist du selig. Das streitet aber schnurstracks wider das Evangelium. Christus hat alles gethan, uns gerecht und selig zu machen. Wer dabei selbst etwas thun will, schiebt sich nur einen Riegel vor, verleugnet Christum, ja, stößt ihn vom Thron und spricht: Ich bin mein eigener Seligmacher. Aber nein, nimmermehr kann der Mensch
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auch nur das Geringste zu seiner Seligkeit beitragen. In der Ewigkeit soll dereinst Niemand sagen können: Ich bin glücklich in den Himmel gekommen; ich habe es mir aber auch sauer genug werden lassen mit Beten und Ringen. Die so sprechen, sind nicht im Himmel, sondern in der Hölle. Gott läßt nicht mit sich scherzen. Er sendet seinen Sohn nicht in die Welt und opfert denselben, damit dann solch ein Pharisäer durch sein eigenes Thun selig werden könne. Rein, jeder Christ wird sagen müssen: Daß ich selig bin, ist lauter Gnade; du, o Gott, hast mich so lange gezogen, bis ich im Himmel war; dein Erbarmen sei gepriesen! Ja, es ist ein unbegreifliches Wunder der Erbarmung Gottes, daß er im Evangelio zu uns spricht: Ihr sollt nichts thun, nur glauben, annehmen, euch die Seligkeit schenken lassen ohne alle Bedingung. Und das soll der Mensch glauben, weil es im Wort steht, nicht weil er so fühlt, oder sich gebessert zu haben meint; wer das thut, baut seine Seligkeit auf lauter Koth; denn unsere Gerechtigkeit ist wie ein unfläthig Kleid, und ein Narr ist, wer sich auf sein Herz verläßt. Es gibt nur einen Grund, darauf wir bauen sollen, nemlich das Wort, und dazu gehört zugleich Taufe, Abendmahl und Absolution. Das Wort bleibt aber die Hauptsache; denn nur weil das Wort darin ist, kann ich mich aüch auf die Sakramente verlassen.
Auf die Frage, ob es recht sei, die Absolution von der Kanzel zu verlesen, da ja auch Solche in der Kirche seien, welche, anstatt absolvirt, gebunden werden sollten, antwortet Luther, wie folgt:
„Also ist das Evangelium selbst eine gemeine Absolution; denn es ist eine Verheißung, deren sich alle und ein jeder insonderheit annehmen soll aus Gottes Befehl und Gebot. Darum können wir die gemeine Absolution nicht als unchristlich verbieten und condemniren; dieweil sie doch dazu dienet, daß sie die Zuhörer erinnert, daß sich ein jeder des Ev angel ii annehmen soll, daß es eine Absolution sei und ihm auch gehöre." (Brief an den Rath zu Nürnberg vom I. 1539. Walch XXI, 424.)
Luther nennt also das Evangelium eine gemeine Absolution, und mit Recht; denn das Evangelium ist Absolution und Absolution ist Evangelium. Niemand denke: Ich bin ein elender Sünder, mir gehört diese frohe Botschaft nicht. Nein, da stehts, du sollst sie für wabr halten und glauben, du seift begnadigt und ein Kind Gottes. Daher ist es auch so wichtig, daß alle Sonntage die Absolution erschallt, damit die lieben Zuhörer endlich begreifen lernen, was Evangelium ist. Darum sind eben die Methodisten so sehr gegen die Absolution eingenommen, weil sie nicht Hissen, was das Evangelium ist. Auf Grund des Evangeliums soll jeder Christ sagen können; So gewiß ein Gott im Himmel ist, so gewiß sind mir meine Sünden vergeben, und ich sterbe selig, wenn mich der Tod in diesem Augenblick überfallt; denn Christus spricht: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen." Ebensowenig kann also der untergehen, der sich an diese Worte hält.
Dein Wort, dein Tauf und dein Nachtmahl TrSst mich in diesem Jammerthal,
Da liegt mein Schatz begraben.
Zu 1 Kor. 15, 1—4. wurde bemerkt:
In unserer Zeit nimmt man fast durchgängig an, wir Lutheraner seien von den Reformirten und allen ihren Abzweigungen nur unterschieden in der Lehre von der Taufe und Abendmahl, höchstens noch von der Person Christi und der Gnadenwahl; hingegen in der Lehre vom Evangelio und von der Rechtfertigung seien wir eins. Die Folge dieser Annahme ist der Eifer für Union; da hört man oft sagen: Sind wir eins in der Lehre vom Evangelio und von der Rechtfertigung, so wäre es ja gottlos, mit solchen Leuten nicht Gemeinschaft halten zu wollen. Und in der That, wer in der Lehre von der Rechtfertigung und vom Evangelio mit uns übereinstimmte, dem wäre die Bruderhand nicht zu verweigern; denn es wäre nicht anders möglich, als daß ein solcher nur aus Schwachheit und infolge falscher Schriftauslegung von der Taufe und vom Abendmahl nicht recht lehrte und sich davon gewiß in kurzer Zeit als von einem Irrthum überzeugen lassen würde. Die reine Lehre von der Rechtfertigung leidet ja keinen Jrrthum. Sie ist, wie Luther sagt, die Sonne, welche alle Fiusterniß vertreibt. Die reine Lehre von der Rechtfertigung ist das Herz, von dem alles Blut ausgeht und zu dem es zurückkehrt. Wo sich eine falsche Lehre ansetzen will, da übernimmt die Lehre von der Rechtfertigung die Correctur. Derjenige wird z. B. gewiß recht von der Dreieinigkeit lehren, welcher die reine Lehre von der Rechtfertigung führt; und so ist es mit allen andern Artikeln.
Was aber die Uebereinstimmung zwischen uns und den Reformirten in Absicht auf die Lehre vom Evangelio und von der Rechtfertigung betrifft, so ist das gerade Gegentheil von dem, was man jetzt meint, der Fall. Denn das Allerschlimmste in der reformirten Kirche ist eben die falsche Lehre vom Evangelio, daß dasselbe im Grunde nichts als ein Unterricht sei. Sie geben zwar zu, daß man ohne Christi Tod nicht selig werden könne; aber, sagen sie, der Mensch muß sich nun in einen solchen Zustand versetzen, durch welchen er zur Seligkeit kommt, als ob Christus durch sein Werk dieselbe nur möglich gemacht hätte. Der Glaube ist ihnen nicht ein bloßes Annehmen, sondern eine Qualität, eine Beschaffenheit, um welcher willen Gott den Menschen gnädig ansehe.
Das ist aber falsch. Denn das Evangelium ist die frohe Botschaft: Alles ist gethan, was zu eurer Seligkeit gehört; Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit ist erworben; dieser Schatz liegt im Wort, nehmt ihn nur an. Es ist kein Mensch in der Welt, dessen Sündenvergebung nicht schon da wäre; er braucht nur zuzugreifen, so ist sie sein. Er muß nicht, wie die Schwärmer wähnen, erst recht beten, um sie zu bekommen. Das Gebet ist kein Gnadenmittel. Erst wenn einem die Sünden vergeben sind, dann kann er recht beten. Solange ein Mensch noch keine Vergebung der Sünden hat,
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ist er todt; ein Todter aber kann nicht beten. Wohl werden wir in der Schrift oft aufgefordert zu beten, aber nicht deshalb, als ob wir erst durchs Gebet Vergebung der Sünden bekommen, sondern deshalb verlangt Gott das Gebet, weil wir ohne dasselbe die Vergebung wieder verlieren würden. Wie Gott uns im Leiblichen auch ohne unsere Bitte das tägliche Brod gibt, und doch bitten wir um dasselbe, damit wir es als seine Gabe erkennen und behalten, so ists auch im Geistlichen. Christus hat uns Vergebung der Sünden erworben und durch den Glauben nehmen wir sie an; alsbald sollen wir aber dann täglich, stündlich, ja alle Augenblicke das Gebet üben, um sie zu behalten; denn wollen wir den Schatz nicht verlieren, so müssen wir fort und fort zugreifen. Diese Güter kann man sich ja nicht so zueignen, daß man sie in die Tasche steckt, und sich dann tröstet wie ein Schwärmer, wenn er spricht: Ich habe mich bekehrt und bin ein anderer Mensch geworden, darum habe ich Vergebung der Sünden. Das ist eine gottlose Lehre, durch welche die Bekehrung zum Heiland gemäckt wird, und würde sich der treue Heilige Geist nicht solcher Menschen erbarmen, so müßten sie alle verloren gehen. Nein, nicht dadurch habe ich Vergebung der Sünden, daß ich mich bekehrt habe, sondern daß ich sie fort und fort ergreife. So lange wir auf Erden sind, müssen wir in einem gewissen Sinne sagen: Ich habe sie noch nicht erlangt, wie auch Paulus sagt Phil. 3,12.: „Nicht, daß ich-schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ichs auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo IEsu ergriffen bin." Denn wo das fortwährende Ergreifen aufhört, da hört auch die Vergebung der Sünden auf. So leicht es darum ist, ein Christ zu werden, so schwer ist es, ein Christ zu bleiben; so leicht es ist, die Gnade zu erlangen, so schwer ist es, sie zu behalten.
Es ist daher auch eine falsche Auslegung, wenn die Methodisten den Spruch r „Gehet ein durch die enge Pforte", von der Bekehrung auS-legen. Nicht die Bekehrung, sondern das ganze christliche Leben ist die enge Pforte, durch welche Zeder erst dann geht, wenn er zu Christo gekommen ist. Wem das hochzeitliche Kleid, das Christus unter Blut und Wunden gewoben, angethan ist, darf nicht meinen, jetzt könne er der Ruhe pflegen. Nein, nun geht die Noth erst recht an; jetzt muß das „Schaffet" und „Ringet" geübt werden. Diese und dergleichen Ermahnungen gelten also nicht den Gottlosen, die sind ja todt; es wäre aber Thorheit, einem Todten zu sagen: Du mußt recht ringen! Nur ein Solcher, in dem das neue geistliche Leben ist, also ein Wiedergeborner, kann schaffen und ringen; denn der hat alles, was Christus ihm erworben, durch den Glauben ergriffen. Der Glaube ist aber kein Werk von Setten des Menschen, sonst wäre er eine Forderung des Gesetzes ; er gehört vielmehr zum Evangelium; denn dieses heißt den Menschen die Seligkeit annehmen d. i. glauben.
Luther spricht sich darüber also aus: „Das heißt das Gesetz recht abzirkeln, und vom Evangelio abmeffen, nemlich, daß das Gesetz heiße und
sei, welches auf unsere Werke dringet. Dagegen das Evangelium oder der Glaube ist solche Lehre oder Wort Gottes, das nicht unsere Werte fordert, noch gebeut uns etwas zu thun, sondern heißt uns die angebotene Gnade, von Vergebung der Sünden und ewiger Seligkeit, schlecht annehmen und uns schenken lassen. Da thun wir ja nichts, sondern empfahen nur und lassen uns geben, was uns durchs Wort geschenkt und dargeboten wird, daß Gott verheißt und dir sagen läßt: Dies und
das schenke ich dir re. Als in der Taufe, die ich nicht gemacht, noch mein
Werk, sondern Gottes Wort und Werk ist, spricht er zu mir: Halt her, ich täufe dich, und wasche dich von allen deinen Sünden, nimm sie an, sie soll
deine sein. Wenn du dich nun so täufen lassest, was thust du mehr, denn
daß du solch Gnadengeschenke empfähest und annimmst? So ist nun der Unterschied des Gesetzes und Evangelii dieser: Durch das Gesetze wird gefordert, was wir thun sollen, dringet auf unser Werk gegen Gott und den Nächsten; im Evangelinm aber werden wir zur Spende oder zum reichen Almosen gefordert, da wir nehmen und empfahen sollen Gottes Huld und ewige Seligkeit." (Sermon vom Unterschied rc. v. Z. 1532. Walch IX, 416. f.)
Die Schwärmer verleugnen durch ihr Dringen auf Gebet und Kampf das Evangelium. Ganz anders, als die Schwärmer, handelten die Apostel; mochten sie zu Juden oder Heiden kommen, so sprachen sie nicht zu * dem erschrockenen Sünder: Du mußt erst so oder so lange ringen und beten, sondern predigten ihm das, was durchs Herz ging, nemlich das Evangelium, indem sie sagten: Glaube an den HErrn JEsum; und dann tauften sie ihn zur Bestätigung, daß Gott ihm, dem Getauften, sage: Du für deine Person sollst selig werden; dir schenke ich die Seligkeit. Schenken, das ist so recht die Art und Natur des Evangeliums, wo und wann immer es gepredigt wird. Es sagt nicht: Du mußt dies und jenes vornehmen, um Gnade zu erlangen; nein, es bringt die Gnade gleich mit und schenkt sie einem Jeden, und wären lauter Bösewichter in der Kirche, denen es verkündigt würde.
Für die Welt ist das Evangelium freilich eine schreckliche Lehre, und ihre und des Teufels Wuth entbrennt, wenn sie gepredigt wird. Die Pha-risäer entsetzen sich darüber und wollen es nicht für möglich halten, daß der Mensch so leicht in den Himmel kommen kann. Dennoch bleibt es wahr: das Evangelium ist lauter Süßigkeit. Nur zu Wenige nehmen es an; das ist die Gottlosigkeit, durch welche Gott zum Lügner gemacht wird. Immer meint der Mensch, er müsse erst etwas thun oder geben, während Gott es ist, der durchs Evangelium gibt und schenkt. „Also", ruft der Heiland voll Verwunderung aus, „hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab." Er hat ihn also schon der Welt gegeben. Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit hat Gott den Menschen schon geschenkt, wenn sie das alles nur annehmen wollten! aber daran fehlt es; das Heil liegt vor einem, man sucht es jedoch anderswo. Wenig Prediger
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predigen das recht. Es ist aber auch Gottes Zorn über die ungläubige Welt, wenn den armen Predigern der Mund verschlossen wird, daß sie mit dem süßen Evangelio nicht frei herausgehen, nemlich mit der Botschaft: Gott hat seinen Sohn gesandt und ihn für alle armen Sünder in Noth und Tod gesenkt, so daß nun ein Zeder gewiß sein kann: Ich bin ein selig gemachter Mensch. Wird das Evangelium gepredigt, so dürfen die Leute nicht denken: Das ist schön, aber wenn ich nur ein anderer Mensch wäre! Zm Gegentheil, wo rechtes Verständniß des Evangeliums ist, da muß es heißen: Ich bin gemeint, mir insonderheit ist gesagt: Du sollst Vergebung der Sünden haben. Es muß Niemand denken, wenn er in der Beichte ist: Könnte der Prediger mir ins Herz sehen, er würde mich binden, statt mich loszusprechen. Nein! wird dir das Evangelium verkündigt, so ist das die Gesinnung, welche Gott gegen dich hat. Nimmst du es nicht an, dann wird es dir ein Geruch des Todes zum Tode. Was das Evangelium dir verkündigt, wird dir wahrhaftig geschenkt. Aber wie wenig wird das erkannt! Daher geht auch so selten einer aus der Beichte mit der fröhlichen Gewißheit: Gott Lob! mir sind nun meine Sünden vergeben. Die Meisten zweifeln, ob sie gemeint sind, ob sie das glauben dürfen, wenn Gott spricht: Laß dich mit mir versöhnen; laß deine Feindschaft gegen mich fahren, denn Ich bin mit dir versöhnt. Das darfst du nicht nur, sondern sollst es glauben; so gewiß du Gottes Gebot halten sollst, so gewiß sollst du auch das Evangelium halten, d. h., glauben: Ich bin durch Christum erlöst, und meine Sünden find getilgt. Die Stimme aber, welche dir sagt: du darfst das nicht glauben, ist des Teufels Stimme; denn glauben dürfen gehört allen Menschen zu, wie auch das Evangelium alle ohne Ausnahme angeht.
Das bezeugt auch Luther, indem er mit folgenden wenigen Worten die Herrlichkeit des Evangeliums in ein Helles Licht stellt: „Also ist das Evangelium und Neue Testament eine gute Märe und Geschrei, in alle Welt erschollen durch die Apostel, von einem rechten David, der mit der Sünde, Tod und Teufel gestritten und überwunden habe, und damit alle die, so in Sünden gefangen, mit dem Tode geplaget, vom Teufel überwältiget gewesen, ohne ihr Verdienst erlöset, gerecht, lebendig und selig gemacht hat." (Vorrede auf das Neue Testament vom I. 1522 und 1527. Walch XIV, 99.)
Das Evangelium ist ein wunderbares, vom Himmel gekommenes Gerücht: Alle sind erlöst, alle frei, alle selig; wer diesem Gerücht glaubt, dem ist geholfen. Das verdeutlicht uns auch jener Kampf Davids mit dem Riesen Goliath. Be jenem Kampf stand auf der einen Seite David mit dem israelitischen Volke, auf der andern Goliath mit den Philistern; die Heere kamen nicht zusammen; Goliath forderte von Israel, daß einer mit ihm fechten sollte. Daraufhin kam David und überwand den Riesen im Namen des HErrn. Die Folge dieses Sieges war, daß nicht bloS Goliath im Sande lag, sondern auch das ganze Zsrael erlöst und frei war, die Philister aber auseinander stoben wie Spreu vor dem Winde. So ists mit uns:
Wir armen Menschen Hnd Israel. Der Teufel und alle bösen Geister, der Tod, böses Gewissen, das Gesetz und der schreckliche Zorn Gottes sind unsere Feinde. Keiner getraut sich den Kampf aufzunehmen. Alles ist verzagt vor den Feinden. Da kommt der rechte David vom Himmel in der allergeringsten Gestalt, nimmt den Kampf auf im Namen des HErrn und führt ihn herrlich hinaus. Der Teufel ist gefallen und alle sein Heer auseinandergestoben. Alles, was gefangen war, ist wieder frei. Jst'S nun nicht schrecklich, da wir frei sind, uns so zu stellen, als wären wir noch gebunden? Das ist die verfluchte Sünde des Unglaubens. Es gibt keine andere ver-dammliche Sünden mehr, alle find fle getilgt, nur der Unglaube verdammt. Sobald wir glauben, können wir der Hölle, des Teufels, ja sogar der Sünde spotten. Glauben wir nicht, so Hilsts uns nichts; wir tragen unsere Sünden ins Sündenregister ein und schreiben den Posten hinzu: Nicht glauben. „Wer aber dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm."
Auf die Frage, ob der Spruch r „Bekehre du mich, so werde ich bekehret", nur auf schon Bekehrte anzuwenden sei, da ja diese nur erhörlich beten könnten, wurde geantwortet: Man kann denselben auch unbekehrten Leuten vor. halten; der Heilige Geist fordert vieles von uns, nicht weil wir es thun können, sondern um uns zu überzeugen, daß wir es nicht vermögen. Sobald aber Gott anfängt den Menschen zu bekehren, fängt derselbe auch an zu ' beten. Kaum war Saulus bekehrt, da hieß es von ihm: „Siehe, er betet." Während aber die Schwärmer auf allerlei schristwidrige Bekehrungsmittel verfallen, bekehrt Gott durch das Evangelium. Dasselbe ist auch in der That ein Gnadenmittel; denn es predigt nicht nur von einer ewigen, allgemeinen, vollkommenen Erlösung, sondern ist auch das Mittel der Mitthei-lung aller Güter Christi, und wirkt zugleich den Glauben, dieselben zu ergreifen. Anstatt sich nun unbedingt ans Wort zu halten und den dargereichten Trost anzunehmen, läßt man sich nur zu oft durch das eigene Gefühl der Sünden daran hindern. Das ist eben der erbsündliche Jammer, daß man fast immer Gott für einen erzürnten Richter hält, statt zu denken: Das sagt Gott, darum muß es wahr sein. Zu Luthern kam einst eine Frau und klagte, daß sie nicht glauben könne. Cr läßt ste die drei Glaubensartikel hersagen und frägt, ob sie das fest glaube. Als ste das bejaht, entläßt er ste mit den Worten: „So hast du einen bessern Glauben, als ich; denn ich habe meine große Noth, das immer fest zu glauben." „Der blinde Luther!" würde ein Methodist sprechen, „er hätte fragen sollen: Höre 60 zwu Lei?"
Das ist kein Glaube, blos für wahr halten, Gott habe die Welt erlöset; das glaubt der Teufel auch und fester, als wir; aber das glaubt er nicht, daß er erlös't ist; glaubst du. daß Christus die Welt erlös't habe und dich nickt, so ist das gar nichts; damit glaubt man sich in die Hölle hinein. Das heißt glauben: Ich bin erlös't. Darauf kommt es an, daß ich glaube,
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Christus hat mich verlornen und verdammten Menschen erworben und gewonnen von allen Sünden. Wenn ich das glaube, kann ich mich getrost aufs Sterbebett legen; denn meine Seele geht in Gottes Herrlichkeit ein. Hat der Mensch diesen Glauben, so darf er nicht sicher werden, sondern muß sorgen, daß er denselben nicht verliert. Ein treuer Prediger wird einem solchen sagen: Triumphire nicht zu früh! Von Seiten Gottes ist dir zwar nichts mehr im Wege; aber Teufel, Welt und dein eigen Fletsch werden dir allerlei Klötze in den Weg werfen. Da gilt es denn kämpfen, besonders gegen dich selbst, weil große Gefahr vorhanden ist, daß du die große Gnade wieder wegwirfst. Vom Augenblick der Bekehrung an beginnt der Kampf. Vorher kann der Menjch gar nichts thun, so wenig als der todte Lazarus zu seiner Auferweckung etwas beitragen konnte; erst dann konnte er wandeln, als Christi Zuruf ihn erweckt hatte. Wie man vom Schiffe sagt: es dreht sich, während der Wind das doch thut: so sagt man auch von einem Menschen: er hat sich bekehrt, während er sich nur hat bekehren lassen; Gott hat ihn herumgedreht, wie der Wind ein Schiff. Die wirkliche Bekehrung übernimmt Gott ganz allein. Nach derselben aber geht der Kampf an, damit der Mensch die ihm beigelegte Krone nicht verliere. „Denn wer nicht kämpft, trägt auch die Krön' des ewigen Lebens nicht davon." —
Zu den letzten Beweisstellen der zweiten These (Rom. 10,15. Joh. 1,17.) wurde bemerkt:
Der Weg zum Glauben, zur Annahme des Evangeliums ist Hören, nicht Thun und Leiden. Aber nur ein zerknirschter Sünder wird dasselbe annehmen, während dies himmlische Oel an dem rohen sicheren Herzen als an einem Steine herabläuft. Ein Prediger hat sich jedoch wohl zu hüten, daß er nicht auf einen besonderen Grad von Reue dringe, oder gar verlange, dieselbe müsse, um rechter Art zu sein, aus der Liebe zu Gott kommen. Er muß den Sünder trösten, mag nun seine Reue entstanden sein aus Furcht vor Gottes Zorn, oder aus Schrecken vor der Hölle, wenn es nur keine weltliche Traurigkeit ist; ja selbst dann, wenn der Sünder spricht: Ich fühlo nichts, als Haß gegen Gott, soll der Prediger den Trost spenden: Mein Lieber, JEsus ist für die Sünder in die Welt gekommen; er hat auch deine gottlose Verzweiflung getragen, deinen Haß und alles getilgt; glaube nur an den HErrn JEsum Christum. Wäre Judas reumüthtg zu Christo gekommen, der Heiland hätte gewiß gesagt: Glaube an mich! Ein Prediger, der erst fragt: Wie stehts mit der Reue? kommt sie auch aus der Liebe zu Gott?, sucht erst die Frucht, dann den Baum, und vermischt Gesetz und Evangelium mit einander. Auch gewissenhafte Prediger denken oft: Ja, so lockend, so frei und unbedingt darfst du nicht predigen, sonst möchten die Leute sicher werden! Das ist jedoch Blindheit. Wer seine Zuhörer vor Sicherheit bewahren will, der predige erst das Gesetz in seiner ganzen Majestät, Schärfe und Strenge, dann das Evangelium. Am Schluffe der Gesetzespredigt sage er: Ihr werdet nun denken, hiernach sind wir alle verloren;
aber es ist keiner verloren; glaubet an Christum, so ist alles gut. Da merkt ein Jeder: Er meint nur Solche, die das glauben: Ich bin verloren. Wer das glaubt, wird auch das Evangelium glauben; das ist der rechte Mann, der kommt in den Himmel.
Die Synode bekannte sich hierauf auch zur zweiten These und ging über zur Besprechung der folgenden.
Thesis III.
Das Wort Evangelium wird in der heiligen Schrift zuweilen nicht nur Gesetz genannt, sondern, wie das Wort Buße, auch in einem weit-läuftigen Verstände genommen, in welchem es die ganze Lehre Christi und daher auch das Gesetz mit in sich begreift. (Siehe: Affirmative 5.) Jes. 2, 3. Mich. 4, 2. Röm.8,2. 3,27. — Mark. 1,1.4. 16,15. vergl. Luk. 24, 46. (Luk. 13,3.5. 15,7. Matth. 3, 2. 2 Petr. 3, 9. Röm. 2,4. vergl. Mark. 1,15. Apost. 20, 21. Luk. 24, 46 f.)
Affirmative 5.r „Nachdem aber das Wort Evangelium nicht in einerlei Verstand in heiliger Schrift gebraucht, daher dann diese Zwiespalt ursprünglich entstanden; so glauben, lehren und bekennen wir, wann durch das Wort Evangelium verstanden wird die ganze Lehre Christi, die er in seinem Lehramt, wie auch seine Apostel, geführet (in welchem Verstände es denn Mark 1. Actor. 20. gebraucht), daß recht geredet und geschrieben: Das Evangelium sei eine Predigt von der Buße und Vergebung der Sünden."
Daß das Evangelium in der heiligen Schrift zuweilen Gesetz genannt wird, beweisen die folgenden Stellen:
Jes. 2,3.r „Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des HErrn Wort von Jerusalem."
Micha 4, 2.: „Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen, und des HErrn Wort aus Jerusalem."
Röm. 8, 2.: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo JEsu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes."
Röm. 3, 27.; „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist aus. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz."
Das Evangelium wird hier „des Glaubens Gesetz" genannt nach einer gewissen Redefigur, Antanaklafis genannt. Es ist dies eine Art der Rede, von welcher oft bei der Disputation Gebrauch gemacht wird, indem man das vom Gegner falsch gebrauchte Wort ihm aus dem Munde nimmt und demselben die rechte Bedeutung gibt. Z. B. es sagt mir Jemand von einem Bankerottirer, derselbe habe ein großes Vermögen; ich weiß aber, er ist ein Bettelmann, der nur durch Schwindel den Schein um sich verbreitet, als sei er reich. Ja, sage ich wohl, er hat ein großes Vermögen, nemltch — große
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Schulden. Selbst der Heiland bedient sich dieser Redeweise. Die Juden fragen ihn: „Was sollen wir thun, daß wir Gottes Werke wirken?" und meinen, er werde wohl sagen: Haltet den Sabbath. laßt euch beschneiden; aber Christus antwortet ihnen: „Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat." Er will gleichsam sagen: Wollt ihr vor Gott bestehen, so müsset ihr bessere Werke haben, als eure eigenen, nemlich solche, die Gott wirket; die gelten vor ihm; euer eigenes Wirken ist alles nichts, sondern das sind die rechten Werke, daß ihr gar nichts thut, sondern an mich glaubet. So will auch Paulus in der angeführten Stelle sagen: Ihr Juden habt das Gesetz der Werke, an dem ihr fest haltet, weil ihr Ruhm sucht. Wir haben ein ganz anderes Gesetz, welches allen Menschenruhm aüsschließt, nicht das Gesetz der Werke, sondern das Gesetz des Glaubens.
Ueber dieselbe Stelle schreibt L)uenstedt: „Wenn das Evangelium ein Gesetz des Glaubens, Röm. 3, 27., genannt wird, so wird der Ausdruck Gesetz im Allgemeinen für Lehre genommen und dem Gesetz der Werke, als einer davon völlig verschiedenen Lehre, das Gesetz des Glaubens entgegengesetzt, welches allen Ruhm der Werke ausschließt." (Dir. äiä.-xvl. II, LI. 1029.)
Merkwürdig ist, daß das Evangelium in der Schrift öfters Gesetz, das Gesetz aber nie Evangelium genannt wird.
Das bezeugt auch Hutter: „In der Schrift wird zwar dem Evan-gelio öfters der Name Gesetz gegeben, nie aber wird dem Gesetz der Name des Evangeliums zugetheilt." (I^idri Oomroräiss explios-tio. Lä. III. p.462.)
Es ist sehr wichtig, daß man den Begriff fefthält: Gesetz ist das, was mich straft; was dagegen Sünder tröstet, kann nur Evangelium sein für uns gefallene Menschen. Dadurch, daß sie diesen Begriff nicht im Auge behielten, kamen die Gesetzesstürmer auf ihre Irrlehre. Darin besteht noch heutiges Tages der Kunstgriff falscher Lehrer, daß sie, um ihrer Irrlehre Beifall zu verschaffen, ein Wort nehmen, welches mehrere Bedeutungen hat, und dasselbe auf eine andere Schriftstelle anwenden. —
Daß das Wort Evangelium, wie das Wort Buße, auch in einem weit-läuftigen Verstände genommen wird, in welchem es die ganze Lehre Christi und daher auch das Gesetz mit in sich begreift, beweisen zunächst folgende Stellen:
Mark. 1, 1. 4.: „Dies ist der Anfang des Evangelii von JEsu Christo, dem Sohn Gottes. . . . Johannes predigte von der Taufe der Buße, zur Vergebung der Sünden."
Mark. 16, 15.: „Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evangelium aller Creatur."
Vergl. Luk. 24, 47.: „Und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern und anheben zu Jerusalem."
Diese Stelle sagt aus, was unter Evangelium in der vorhergehenden Stelle zu verstehen ist, nemlich die ganze Lehre des Neuen Testamentes. Die-
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selbe wird Evangelium genannt nach einem synekdockischen Ausdruck, d. h. einem solchen, da man der Schrift den Namen gibt, welcher das Hauptstück derselben anzeigt; eS ist ähnlich geredet, wie wenn man ein Feld, welches viel Unkraut hat, ein Weizenfeld nennt, einen Ring als Goldring bezeichnet, der zum Theil aus unedlen Metallen besteht. So nennt man auch die sichtbare Kirche eine Gemeinschaft der Gläubigen, obwohl auch Heuchler darunter sind; die Hauptsache wird genannt, das Andere nicht berücksichtigt.
Nack Annahme der dritten These folgte die Besprechung von
Thesis IV.
Das Evangelium im eigentlichen oder engeren Sinne ist keine Büßpredigt. (Siehe Affirmative 6.) Joh. 5,45. Apost. 20,24. Jes. 61,1,2.
Affirmative 6.: „Wann aber das Gesetz und Evangelium, wie auch MoseS selbst ein Gesetzlehrer, und Christus als ein Prediger des Evangeliums gegen einander gehalten, gläuben, lehren und bekennen wir. daß das Evangelium nicht eine Buß- oder Strafpredigt, sondern eigentlich anders nichts, dann eine Trostpredigt und fröhliche Botschaft sei, die nicht strafet noch schrecket, sondern wider das Schrecken des Gesetzes die Gewissen tröstet, allein auf den Verdienst Christi weiset, und mit der lieblichen Predigt von der Gnade und Hulde Gottes, durch Christus Verdienst erlanget, wieder aufrichtet."
Daß das Evangelium im eigentlichen Sinne keine Büßpredigt ist, bezeugt Christus Joh. 5, 45.: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde. Es ist einer, der euch verklagt, der Moses, auf welchen ihr hoffet." Mit diesen Worten will der Heiland sagen: Mose's Amt ist nicht, euch in den Himmel zu bringen, sondern euch anzuklagen, daß ihr verdammliche Sünder seid; mein Amt dagegen ist. euch zu trösten und selig zu machen; denn ich bin nicht gesandt, daß ich die Welt richte, sondern daß die Welt durch mich selig werde. Welche Thorheit ist es also, zu sagen, das Evangelium sei eine Büßpredigt! Dadurch wird uns aller Trost genommen. Des Antichrists Art ist es, dem armen Volke zu sagen: Jesus Christus ist ein strenger Richter, ihr müßt euch daher an die Maria wenden. Das blinde Volk aber geht nun an Christo vorbei und wendet sich an eine Creatur, die, wenn sie erscheinen könnte, ihr Entsetzen ausdrücken würde, daß man ,.e zu einem Götzenbilde macht. Auch Luther hat sehr geklagt über die große Furcht, welche er vor Christo hatte, als er noch im Pabstthum war. Dasselbe ist aber heutzutage noch schlimmer, als es zu Luthers Zeit war. Denn Maria für eine unbefleckt Empfangene zu erklären, das zu thun, hat der Pabst erst in unfern Tagen gewagt, und damit bewiesen, daß seine Macht bedeutend größer geworden ist. In der oben angeführten Stelle sagt Christus mit besonderem Nachdruck: Nicht Ich werde euch verklagen; im Griechischen ist das Fürwort angegeben, weil der Ton darauf ruht. (In solchen
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Fällen wird deshalb auch das „Ich" durch große Anfangsbuchstaben hervorgehoben. Dasselbe gilt von dem Wort „Herr"; wird es nach Luthers Vorgang mit lauter großen Buchstaben, „HERR", geschrieben, so bezeichnet es ein Wort, das nicht vom Menschen, sondern nur vom lieben Gott gebraucht wird; denn im Grundtext steht dann.„Iehovah", der Eigenname Gottes. Das ist den Juden gegenüber wichtig, indem man ihnen beweis't, der Messias'müsse wahrer, lebendiger Gott sein, eins mit dem Vater und Heiligen Geiste, weil ihm der Eigenname Gottes beigelegt wird.) — Es ist ein Widerspruch, zu sagen, das Evangelium im eigentlichen Sinne fordere Buße. ES ist dasselbe ja eine fröhliche Botschaft, die mich fröhlich macht. Das Evangelium fordert daher nichts, was mich betrüben kann, sondern überläßt das dem Gesetze. Das ruft allerdings zum Tode und tödtet; aber warum? Damit wir durch das Evangelium zum rechten Leben gebracht werden; denn das Gesetz ist unser Zuchtmeister auf Christum. Wir sollen durchs Gesetz zubereitet werden, damit wir, wenn das Evangelium kommt, dasselbe auch annehmen. Gott läßt uns durchs Gesetz geistlich hungrig werden, nicht uns Hungers sterben zu lassen, sondern damit wir nachher die köstlichsten Gerichte, Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, um so eifriger ergreift« und genießen. Es ist darum lauter Gnade, daß Gott uns durchs Gesetz in Schrecken, Angst und Noth versetzt. Es ist eine Liebe, wie er sie uns nicht größer erweisen kann, wenn er uns mit dem höllischen Feuer droht; freilich nur hier in der Gnadenzeit; später tsts lauter Zorn; darum gilt es jetzt hören.
Die Philippisten behaupteten, was das Gesetz thue, sei gar kein Theil der Buße; nur die durchs Evangelium entstandene Reue gehöre zur Buße. Das stimmt aber nicht mit der Lehre der Schrift von der wahren Buße, welche in der durchs Gesetz gewirkten Reue, und in dem vom Evan-gelto gegebenen Glauben besteht. So lange ein Mensch das Evangelium nicht kennt, ist seine vom Gesetz gewirkte Reue um kein Haar besser, als Iu-das' Reue. Kommt aber das Evangelium hinzu, so beginnt die tägliche Buße, das fortwährende Ersäufen des alten und das tägliche Herauskommen des neuen Menschen; diese tägliche Reue ist aber eigentlich eine Frucht der Buße, nicht die Buße selbst.
Im Gegensatz zur falschen Lehre der Papisten, daß der Mensch, welcher selig werden wolle, die Reue in sich erwecken müsse, haben wir fest-zuhalten, daß die wahre Reue etwas ist, was wir leiden, nicht thun; sie ist, nach dem Zeugniß des Apostels, eine göttliche Traurigkeit, die Gott ohne unser Zuthun durchs Gesetz wikkt; „das ist", wie die Schmalkaldischen Artikel sagen, „nicht eine gemachte Reu, sondern das rechte Herzeleid, Leiden und Fühlen des Todes." Hat Gott mit dem Hammer des Gesetzes das Herz zerschlagen, so steht sich der Mensch in einem solchen Zustande, daß er gar keine Reue haben möchte; aber er kann nicht anders, er muß. Bleibt freilich ein Mensch dabei stehen, so muß er verzweiseln; denn im Gefühl seiner Ber-dammniß erkennt er: du bist verloren. Kommt aber nun das Evangelium hinzu, so zeigt sich's, daß der Stein zerschlagen ist, daher nun das köstliche Oel ganz hinein dringt; der Mensch fangt an, Gott zu lieben, und aus Liebe zu Gott betrübt er sich nun, daß er ihn so schändlich beleidigt hat. Das ist aber Sache eines Bekehrten, nicht eines Unbekehrten. Man vergesse daher nie, daß Buße vor der Bekehrung immer im engeren, nach derselben nur im weiteren Sinne zu nehmen ist.
Heilsam wird die Buße erst durchs Evangelium. Das bezeugt Adam Osiander, wenn er schreibt:
„Das Gesetz hat die Buße sowohl in Judas, als in Petrus gewirkt, sofern in beiden ein Uebertreten des Gesetzes vorhanden war; insoweit aber Petri Buße eine heilsame war, insoweit war sie aus dem Evangelio, wegen dessen Ermangelung die Buße des Judas in Verzweiflung ausartete." (OolIsZ. 8^st. k. I V. xaZ. 285.) Petrus wäre auch in Verzweiflung ge-rathen, wenn er sich nicht, als ihn der Heiland anblickte, des Evangelti erinnert hätte. Er mochte wohl gedacht haben, Christus werde sich unwillig von ihm abwenden; jetzt begegnen sich ihre Blicke; er steht den Blick der Barmherzigkeit in den Augen JEsu, da geht er hinaus und weint bitterlich.
Da eine nichtheuchlerische Reue, geben die Phil ip Pisten vor, nur der Heilige Geist wirken könne, derselbe aber nur durchs Evangelium gegeben werde, so könne nur das Evangelium Buße wirken; aber obwohl der Heilige Geist nicht durch das Gesetz gegeben wird, so wirkt er doch durch dasselbe. Das bezeugt u. A. Luther mit den Worten:
„Auch ist das falsch und erlogen, daß das Gesetz ohne den Heiligen Geist die Sünde strafe; so doch das Gesetz mit dem Finger Gottes geschrieben ist, 2 Mos. 32, 16." (II. Disputation wider die Gesetzesstürmer. Walch XX, 2043.)
Daß der Heilige Geist durch das geoffenbarte und geschriebene Gesetz als durch das Wort des lebendigen Gottes kräftig wirkt, zeigt auch das Heidenthum. Selten oder wohl nie ist es vorgekommen, daß ein Heide seiner Sünden wegen verzweifelt wäre. Wohl hat sich mancher Heide nach groben Verbrechen umgebracht; aber warum? Wegen der ungeheuren Schande, nicht weil ihm seine Sünde so groß geworden wäre. So hat der Grieche .Ephialtes, welcher für schnödes Geld seine spartanischen Landsleute verrathen hatte, sich selbst erdolcht, nicht um der Größe seiner Sünde willen, sondern weil er erkannte, daß er als Verräther vor seinem Volke nie wieder zu Ehren kommen könnte. Es ist dies ein Beweis, daß die Heiden von dem Gesetz, durch welches der Heilige Geist wirksam ist, nur noch einen Schimmer haben. Nur wo der Heilige Geist durch das Gesetz in seiner wahren Schärfe die Sünde straft, da muß der Mensch, bleibt er ohne Evangelium, verzweifeln in Folge seines Sündengefühls. —
Daß das Evangelium im engeren Sinne keine Büßpredigt sein kann, erhellt auch aus den Stellen:
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Apost. 20, 24. r „Zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes", und
Jes. 61,1. 2. „Die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu predigen ein gnädiges Jahr des HErrn ... zu trösten alle Traurigen."
Weil das Evangelium von der Gnade predigt, kann es keine Büßpredigt sein.
I. Gerhard spricht sich darüber also aus: „Daß das Evangelium im eigentlichen und specieüen Sinne keine Predigt der Buße genannt werden könne, erweisen wir mit folgenden Gründen: 1. Das Evangelium im eigentlichen Verstände ist eine Predigt der Gnade, also kann sie keine Predigt des Zorns sein. 2. Im Evangelio wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben, geoffen-bart, Röm. 1, 17.; also gehören die Predigten von der Sünde und den guten Werken als gesetzliche nicht zum eigentlich so genannten Evangelio. 3. Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium ist streng festzuhalten; nun wird aber das Evangelium in ein Gesetz umgewandelt, wenn demselben die Verkündigung der Buße zugeschrieben wird. 4. Es ist nicht Sache der Gnadenverheißungen, anzuklagen oder zu schrecken; nun ist aber das Evangelium Verheißung der Gnade. 5. Die Behauptung, daß das eigentlich sogenannte Evangelium eine Predigt der Buße sei, kommt den Jrrthümern der Gesetzstürm er sehr nahe, verdunkelt Christi Verdienst und Wohlthaten und nimmt den frommen Herzen den wahren Trost." (1^. äs sv. § 109.)
Thesis V.
Das Gesetz ohne das Evangelium macht entweder vermessene Heuchler, oder wirkt Verzweiflung. (Affirmative 7.) 2 Kor. 3, 14 —16. Röm. 8, 3. Gal. 3, 2.
Affirmative 7.: „Was denn die Offenbarung der Sünden belanget, weil die Decke Mosis allen Menschen vor dm Augen hänget, so lange sie die bloße Predigt des Gesetzes, und nichts von Christo hören, und also ihre Sünde aus dem Gesetz nicht recht lernen erkennen, sondern entweder vermessene Heuchler werden wie die Pharisäer, oder verzweifeln wie JudaS: so nimmt Christus das Gesetz in seine Hände, und leget dasselbige geistlich aus, Matth. 5., Röm. 7. Und also wird Gottes Zorn vom Himmel herab geoffenbaret über alle Sünder, wie groß derselbige sei, dadurch sie in das Gesetz gewiesen werden, und alsdann aus demselben erst recht lernen ihre Sünde erkennen, welche Erkenntniß Mose nimmermehr aus ihnen hätte erzwingen können."
Daß das Gesetz ohne das Evangelium vermessene Heuchler macht, be-weis't 2 Kor. 3, 14—16.: „Sondern ihre Sinne sind verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt dieselbige Decke unaufgedeckt über dem alten Testament, wenn sie es lesen, welche in Christo aufhöret. Aber bis auf den
heutigen Tag, wenn Moses gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen. Wenn es aber sich bekehrete zu dem HErrn, so würde die Decke abgethan." Bon Natur hängt allen Menschen die Decke MosiS vor Augen. Als Moses vom Berge Sinai herabkam, glänzte sein Angesicht als eine blendende Sonne, er wurde daher genöthigt, eine Decke vor sein Angesicht zu hängen. Damit war für alle Zeiten durch eine symbolische Handlung angezeigt, daß kein Mensch in der Welt die Majestät des aufgedeckten Gesetzes ertragen kann, und daß, solange das Evangelium nicht hinzu kommt, ihm das Gesetz auch unerträglich bleibt. Wie Moses vor Israel stand „ it verhülltem Angesicht, so steht der natürliche Mensch vor dem Gesetz, die Hülle des Fleisches vor den Augen. Daher kommt es denn, daß so Viele das „Thue recht und scheue Niemand" zu ihrer Religion machen, durch die sie selig zu werden gedenken. Sie suchen sich damit zu trösten, daß sie von groben Verbrechen frei seien, und denken daher noch im Sterben: Wenn so gute Menschen, wie sie seien, nicht in den Himmel kämen, wer sollte dann hinein kommen? Woher diese Blindheit? Daher, daß solchen Menschen die Decke MosiS noch vor den Augen hängt; deshalb können sie den geistlichen Sinn des Gesetzes nicht erkennen. Sie verhalten sich nicht anders, denn als ob es keine erste Tafel gäbe, gegen welche sie sündigen könnten. Aber insonderheit das erste Gebot hat Gott vor allen Dingen als einen großen Stein allen solchen Pharisäern in den Weg geworfen. Er allein will als der wahre Gott über alle Dinge gefürchtet und geliebt sein. Wenn nun ein Mensch etwas anderes ebenso sehr oder noch mehr liebt und fürchtet, als Gott, wenn er z. B. um eines zeitlichen Vortheils willen das geringste Unrecht begeht, so Übertritt er das erste Gebot und damit alle andern Gebote; denn er fürchtet oder liebt jenes mehr, als Gott. Solche Leute halten sich aber für aufgeklärte Christen und bleiben oft bis zum Tode blinde Juden, Heiden und Türken. Ueber solche Häupter rollt dann freilich das schreckliche Gewitter des Gesetzes dahin, ohne einzuschlagen; kommt das Evangelium nicht hinzu, so wirkt das Gesetz entweder Verzweiflung, oder macht vermessene Heuchler, die da wähnen, Gottes Gebote erfüllt zu haben, während sie doch Uebertreter sind. Es ist sehr zu beklagen, daß die Decke Mosis vor den Augen auch so mancher Gemeindeglieder hängt. In unseren alten Gemeinden kam es vor 20 bis 30 Jahren zurück gar nicht selten vor, daß die Zuhörer, um ihr Gewissen nicht zu verletzen, bei ihren Seelsorgern um Rath nachsuchten. Das ist aber leider anders geworden. Jetzt fürchten sich viele, darüber gewiß zu werden, ob etwas Sünde ist oder nicht. Sie hüten sich wohl, den Prediger zu fragen, ob sie etwas thun können, wogegen sich ihr Gewissen regt. Mancher denkt: Warum soll ich erst fragen? der sagt doch: es ist Sünde. Darauf kommt ja wmig oder nichts an, denken Manche, wenn sie etwa im Geschäft der Wahrheit hie und da etwas vergeben, indem sie eine Waare ungebührlich anpreisen rc. Aber am jüngsten Tage werden Solche sich wundern, wie groß die Sünde gewesen ist. Denn es ist wahrlich kein Scherz, wenn ich das thue, worüber ich
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zweifelhaft bin; denn Gottes Wort sagt Rom. 14, 23.: „Wer aber darüber zweifelt, und isset doch, der ist verdammt." Ich muß ganz gewiß wissen: Das ist Gottes Gebot gemäß; allein daraufhin kann ich handeln. Am jüngsten Tage wird Gott nicht fragen, ob es dein Geschäft erlaubt hat; er wird dir schon zeigen, ob du nicht doch, welchen du einen Scrupulanten nennst, den Prediger, hättest fragen sollen. So süß und tröstlich das Evangelium ist, so wenig ist mit dem Gesetz zu scherzen. Wie manches liebe Kind Gottes, das nicht genug gewacht und gebetet, und sein Gewissen oft verwundet hat, ist endlich dahin gerathen, daß ihm die Decke Mosis wieder vor den Augen hängt. Darum gilt es, Gott fleißig und inbrünstig bitten, daß man ein zartes Gewissen behalte. Der ist kein Christ, der sich fürchtet, zu erfahren, ob etwas Sünde ist oder nicht. Ein. rechtschaffener Christ hält es für die allergrößte Wohlthat, erfahren zu dürfen: „das ist nicht recht"; er wird sich von Herzen freuen, wenn er etwas als Sünde erkennt. Daher auch der Apostel Paulus die Christen beschreibt als Leute, die „geübte Sinne" haben „zum Unterschied des Guten und des Bösen". Wer die besonders im geschäftlichen Leben vorkommenden Sünden der Unwahrheit für tägliche Schwachheiten hält, und meint, Gott werde dieselben übersehen, der wisse: das lehrt ihn der Teufel. Denn Schwachheiten sind solche Sünden, in die der Christ hineingerissen wird wider seinen Willen und Vermuthen, daß er klagen muß: Ach Gott, schon wieder hat mich mein böses Fleisch überrascht! Wer da meint, jene vorsätzlichen Sünden seien nur solche kleine Sünden, die Gott übersehe, dem hängt die Decke Mosis noch vor den Augen; darum sieht er die große Majestät und Heiligkeit des Gesetzes nicht mehr. Ist ein Christ über eine Sache unklar und es sagt ihm jemand: „So steht geschrieben, darnach kannst du dich richten", so wird er das ihm herzlich Dank wissen und ihn ansehen, wie ein Verirrter seinen Führer ansteht, der ihn, da er weder ein noch aus wußte, wieder auf die rechte Straße geleitet hat. Das erkennt man aber wohl als eine Wohlthat an, wenn der Arzt einem Leidenden die Eiterbeule aufsticht; daß aber das eine viel größere Wohlthat ist, wenn der Prediger einem seine Sünden aufdeckt, dies wollen Viele nicht einsehen. Solche arme Menschen sind zu bedauern, die das, was eine wahre Liebesthat ist, als eine Feindschaft ansehen können. —
Daß das Gesetz ohne Evangelium auch Verzweiflung wirkt, ist ersichtlich aus
Röm. 8, 3.: „Denn das dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächet ward), das that Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde."
Was war dem Gesetz unmöglich? Das zu thun, was Christus für uns gethan hat. Das Gesetz kann uns den Geist nicht geben, noch ein ander Herz, viel weniger die Zuversicht, daß wir mit Gott versöhnt sind. Es wirkt daher Verzweiflung, indem es dem Menschen zeigt, daß er als ein
Kind des Zornes in die Hölle gehört. Was brachte den Kain zu dem Ausrufe: „Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden möge"? DaS Gesetz, weil das Evangelium nicht hinzukam. Er hatte dasselbe verworfen und wollte durch Werke vor Gott gerecht werden; darum hatte Gott sein Opfer nicht angezündet. Auch Judas trug in Folge der durchs Gesetz erkannten Sünde die Hölle im Busen; er konnte sich jedoch nicht entschließen, zu Christo zu gehen, dessen Gnade er doch täglich drei Jahre lang gesehen hatte; so sank nach und nach sein Geist in Verzweiflung.
Hierher gehört auch Gal. 3, 2.: „Das will ich allein von euch lernen: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke, oder durch die Predigt vom Glauben?"
ES ist hier die Rede von dem neuen, freiwilligen Geist, dem Hauptkennzeichen der wahren Christen. Die mit Knechtssinn Gott dienen wollen, sind alle verdammt, da Gott einen freiwilligen Geist fordert; den kann aber das Gesetz nicht wirken. Daß Einer in allerlei religiösen Werken sich übt, kann lauter Pharisäismus sein. Mancher besucht regelmäßig alle Gottesdienste, alle Gemeindeversammlungen, aber nicht innerlich freiwillig, sondern durch das Gesetz gezwungen. Wahre Christen hingegen thun das alles mit freiwilligem Geist; es ist ihres Herzens Lust und Freude; sie thun eS nicht der Meinung, daß sie Gott damit einen besonderen Dienst erweisen, den er ihnen wieder belohnen müsse; sondern weil sie schon alles haben, thun sie eS aus Liebe und Dank gegen Gott. Wem sein Ktrchenbesuch und der Gang zum heiligen Abendmahl ein schweres Werk ist, und er sich tröstet, wenn es geschehen ist, mit dem guten Werk, das er gethan hat, der ist ein falscher Christ und hat noch nicht den Geist bekommen, die neue freiwillige Gesinnung; wer die hat, dankt seinem Gott, daß er ihn gewürdigt hat, es thun zu dürfen. So ists auch mit dem Geben. Wird ein falscher Christ um eine Gabe angesprochen, so denkt er: Will ich ein Christ sein, so muß ich wohl in den sauren Apfel beißen und geben; er gibt, weil er muß; das ist vor Gott ein todteS Werk, während des wahren Christen Geben ein lebendiges Werk ist, das er mit Freuden thut, seinem lieben Gott zu Danke. Ein Solcher vergißt zwar seine Sünden nicht, aber seine guten Werke; von denen will er nichts hören. Thut er Gutes, so sieht er das als eine ihm geschehene Wohlthat an. Diese Gesinnung kann aber kein Gesetz, sondern nur das Evangelium schaffen. Wohl muß ein wahrer Christ auch das Widerstreben seines Fleisches fühlen; er ist auch, wie der Apostel, unter die Sünde verkauft; er wird das Fleisch nicht los, sondern muß sich mit demselben immer herumschlagen; doch behält der Geist die Oberhand; dieser und nicht das Fleisch ist das in ihm Herrschende. Das süße Gefühl, worin Gott oft einen Christen im Anfang sich freuen läßt, entzieht er ihm später wieder und läßt ihn fühlen: Du bist und bleibst in dir selbst ein armer Sünder, nur in Christo ein seliges Kind Gottes. Das thut Gott darum, damit wir nicht vom Evangelio aufs Gesetz gerathen und uns für große Heilige halten.
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Thesis VI.
Sofem die Predigt von Christi Leiden die Größe der Sünde der Menschen offenbatt, ist auch sie nur Gesetzespredigt. (Affirmative 8.) Röm. 1,18. Zoh. 16,8.9.
Affirmative 8.: „Demnach, obwohl die Predigt vom Leiden und Sterben Cbristi, des Sohnes Gottes, eine ernstliche und schreckliche Predigt und Anzeige Gottes Zorns ist, dadurch die Leute erst recht in das Gesetz ge-führet, nachdem ihnen die Decke Mosis hinweg gethan, daß sie erst recht erkennen, wie große Ding Gott im Gesetz von uns erfordert, deren wir keines halten können, und demnach alle unsere Gerechtigkeit in Christo suchen sollen r Doch so lange dieses alles (nemlich Christus Leiden und Sterben) Gottes Zorn prediget und den Menschen schrecket, so ist es noch nicht des Evangelii eigentliche Predigt, sondern Moses und des Gesetzes Predigt, und demnach ein fremdes Werk Christi, dadurch er kömmt zu seinem eigenen Amt, das ist Gnade predigen, trösten und lebendig machen, welches eigentlich die Predigt des Evangelii ist."
Daß die Predigt von Christi Leiden, wenn sie die Größe der Sünde offenbart, auch nur Gesetzespredigt ist, bezeugt
Luther, indem er schreibt: „Was ist für eine ernstlichere, schrecklichere Anzeigung und Predigt Gottes Zorns über die Sünde, denn das Leiden und Sterben Christi, seines Sohnes? Aber so lange dies alles Gottes Zorn prediget und den Menschen schrecket, so ist es noch nicht des Evangelii, noch Christi eigene Predigt, sondern MostS und des Gesetzes über die Unbußfertigen ; denn das Evangelium und Christus ist je nicht geordnet noch gegeben zu schrecken noch zu verdammen, sondern die, so erschrocken und blöde sind, zu trösten und aufzurichten. Und folget doch das daraus, daß der Mensch, wo das Leiden Christi recht in sein Herz fällt, wohl von ihm selbst muß darin sehen und fühlen den unerträglichen Zorn Gottes über die Sünde, und davon erschrecket werden, daß ihm die Welt zu enge wird. Wie auch St. Bernhard zeuget, daß ihm selbst geschehen sei, da er das Leiden Christi recht angesehen, und spricht: ,Ach, ich meinete, ich wäre sicher, und wußte nicht von dem Urtheil und Zorn, der über mich gegangen war; bis daß ich sähe, daß der einige Gottes Sohn für mich mußte dahin treten« rc. Denn es ist das Bild so schrecklich, daß auch die Verdammten in der Hölle keine größere Pein und Fühlen Gottes Zorns und Verdammniß werden haben, denn von diesem Ansehen des Sterbens des Sohnes Gottes, welches sie haben lassen an ihnen verloren sein. Wie auch Judas, der Verräther, da er nicht wollte des HErrn Christi freundliche Vermahnung und Warnung hören, noch bedenken, was er an ihm thäte, zuletzt dennoch durch diesen Blick in solch Schrecken getrieben ward, daß er selbst ihm das Gesetz und Verdammniß predigte, da er sprach: ,Jch habe das unschuldige Blut, verrathen«. Matth. 4." (Kir-
chenpostille. Andere Predigt über das Ev. Dow. V. x. Irür. Walch XI» 1795 f.)
Wenn Gott bei einem Vater, der ein lasterhaftes Leben geführt und stch bekehrt hat, es zuläßt, daß sein liebes Kind von seinem Schandleben eine Krankheit erbt und er dasselbe vor seinen Augen hinfaulen sieht, so sagt ihm sein Gewissen: Du bist es, der das Kind quält; dein verruchtes Leben hat das arme Kind zu einem Schlachtopfer für dich gemacht. Gewiß würde ein solcher Vater viel lieber selbst die größten Leiden übernehmen, als das Kind leiden sehen; denn das Leiden desselben ist ihm eine fortwährende Büßpredigt. DaS Evangelium spricht gleichsam zum Menschen: Siehe, dort hängt der Sohn Gottes um deinetwillen am Kreuze; deine Sünde hat ihn ans Holz geschlagen; deine Miffethaten sind die Nägel und Spieße, welche ihn durchbohren; du bist würdig, daß die ggnze Natur Zeter über dich schreit. Damit, daß Christus den klagenden Weibern zuruft r „Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sonder» weinet über euch selbst, und über eure Kinder", bezeugt er, daß sein Leiden eine schreckliche Büßpredigt ist. Luther, in Uebereinstimmung mit vielen unserer Theologen, hält dafür, daß die Verdammten in der Hölle nicht Gott, sondern stch selbst anklagen, und sagen werden: Gott selbst hat für uns geblutet, aber wir verruchten Sünder haben es nicht geachtet; o welche gräuliche Creaturen sind wir doch! Sie werden Gott Recht geben, daß er sie verdammt hat, und nicht ihm, sondern sich selber fluchen. Luther führt auch den Judas als Exempel an. Derselbe mochte wohl gedacht haben, Christus werde stch schon wieder befreien ; als er aber steht, er wird wie ein gebundenes Lamm fortgeschleppt, da erwacht sein Gewissen; Christi Leiden klagt ihn an und er geräth in Verzweiflung. Wird einem Menschen das bloße Gesetz gepredigt, so kann er leicht von der Sünde denken: sie ist nicht so schlimm; wird ihm aber dann der gekreuzigte JEsuS vorgehalten, so erkennt er: die Sünde muß etwas über alle Maßen Schreckliches sein, weil Gott der Sünden halber auch nicht seine-eigenen Sohnes verschonet hat.
Darüber schreibt Luther, wie folgt: „Das Gesetz erschreckt wohl gräulicher, wenn ich höre, daß Christus, Gottes Sohn, hat müssen dasselbe für mich tragen, weder so es mir außer Christo und ohne solch große Marter des Sohne- Gottes, nur allein mit Dräuen wäre vorgepredtgt. Denn an dem Sohn Gottes sehe ich, als in der That, den Zorn Gottes, den mir das Gesetz mit Worten und geringen Werken zeiget." (Schrift wider die Antinomer, vom 1. 1539. Walch XX, 2022 f.)
Die Sünde ist etwas so Furchtbares, daß Gott dieselbe ohne das Leiden seines Sohnes nicht hätte vergeben können, oder er hätte aufhören müssen, Gott zu sein. Gerade das Leiden Christi zeigt deutlich, daß die Sünde ein unaussprechlicher Gräuel, eine so unbegreiflich große Schuld ist, daß Gott selbst das Lösegeld dafür bezahlen mußte. Daher auch geschrieben steht: „Mußte nicht Christus solches leiden?"
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Die Beweisstelle zu dieser These, Rom. 1,18., lautet: „Denn Gotte-Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten." Vom Himmel herab mußte Gottes Zorn geoffenbaret werden. Hätte Christus nicht die Geistlichkeit des Gesetzes aufgeschlossen, so würde kein Mensch dasselbe in seiner Majestät erkannt haben; Fleisch und Blul konnte uns das nicht offenbaren, Gott selbst mußte es thun und er hat es gethan.
Joh. 16, 8. 9.: „Und wenn derselbige kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde, und um die Gerechtigkeit, und um das Gericht. Um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich." Offenbar redet JEsus hier so, al-ob es keine Sünde weiter gäbe, als den Unglauben. Und in der That, Gottes Wort kennt keine größere Sünde, als die, nicht an Christum glauben. Alle Sünden sind durch Chxisti Tod verschlungen; Gott ist jedem Menschen dadurch gnädig gesinnt geworden; was verdammt ihn? Kein Mensch kann sagen, daß seine sonstigen, an sich verdammlichen Sünden, und wären fie noch so groß, ihn verdammen; denn Christus hat fie alle gebüßt. Aber wenn er nun nicht glaubt, das ist die Sünde aller Sünden; die setzt alle bereits gebüßten Sünden wieder in ihre alten Rechte ein. Gott hatte da-Schuldregister mit dem Blut seines Sohnes durchstrichen und zum Menschen gesagt: Du bist mir nichts mehr schuldig. Der verruchte Mensch aber spricht: War ich dir denn etwas schuldig? Am jüngsten Tage wird man sehen, daß der Unglaube allein verdammt und allen andern Sünden ihre verdammliche Kraft gelassen hat.
Zur Erläuterung ein Gleichnißr Ein König belagert eine aufrührerische Stadt, um fie des Abfalls wegen zu züchtigen. Der Sohn des Königs entflieht und nimmt Partei für die Bürger, wird aber ergriffen, in ein schreckliches Gefängniß geworfen und soll als Rädelsführer mit dem Tode büßen. Da erfährt der König, daß der Gefangene sein Sohn ist, läßt ihn loS und entbietet allen freie Begnadigung. Boten über Boten werden an die Aufrührer gesandt mit der Meldung: Ihr seid begnadigt. Die ruchlosen Buben aber sagen: Was haben wir begangen? Wir wollen nicht begnadigt sein, wir wollen unser Recht; herunter mit dem König vom Thron! Wenn nun der König solchen Leuten ihr Recht, wie es ihnen gehört, nemlich den Tod, gibt, was ist Schuld daran? Nicht die Rebellion; die war gut gemacht durch die Strafe, die der Sohn erlitten hatte; das wollten jedoch die Aufrührer nicht annehmen. Solche Rebellen sind aber auch wir; denn gegen den König aller Könige, gegen den HErrn aller Herren haben wir uns aufgelehnt. Der Sohn des allerhöchsten Königs ist gekommen, hat unsere Sache zu der seinigen gemacht und sich in das allerschrecklichste Gefängniß der Leiden und des Todes werfen lassen. Der König aller Könige läßt ihn aber wieder frei und begnadigt nun in seinem Sohne alle Miffethäter. Es gibt daher keinen Menschen, der nicht begnadigt wäre; die Auferweckung Christi ist die Begnadigung, die Bibel der Begnadigungsbrief, die
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Sacramente die Siegel. Der verruchte Mensch aber läßt seinen Gott vom Himmel kommen, die Sünde auf sich nehmen und tilgen und spricht dann, wenn ihm Gott die Begnadigung ankündtgt: Nein, Gnade will Ich nicht; was ich gegen Gott gethan habe, ist nichts, als Kleinigkeit. O unselige Menschen! Keine Hölle ist tief und heiß genug für solche Creaturen, an denen Gott so Unaussprechliches gethan hat.
Thesis VII.
Die Lehre vom Unterschied des Gesetzes und Evangelii ist ein herrliches Licht. (Affirmativei.) 2 Tim. 2,15. Luk. 12, 42.
Affirmative 1.: „Wir glauben, lehren, und bekennen, daß der Unterschied des Gesetzes und Evangelii als ein besonder herrlich Licht mit großem Fleiß in der Kirchen zu erhalten, dadurch das Wort Gottes nach der Vermahnung St. Pauli recht getheilrt wird."
Daß die Lehre vom Unterschied des Gesetzes und Evangelii ein herrliches Licht ist, ist klar; ohne dieselbe wäre die ganze Bibel dunkel. Wie viele Sachen stehen in der heiligen Schrift, die fich zu widersprechen scheinen! Bald werden alle Menschen als Verdammte, bald alle als Erlöste hingestellt; bald lieftt man: „Thue das, so wirst du leben", bald: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." Wenn man nun nicht weiß, daß die Schrift zwei durchaus verschiedene Lehren, Gesetz und Evangelium, enthält, so wird man leicht verwirrt und denkt: Wie kann das Gottes Wort sein, da es fich überall widerspricht? Sobald man aber weiß: das ist Gesetz, das ist Evangelium; dann ist alles harmonisch; denn man erkennt, daß der scheinbare Widerspruch in -er Schrift fich darin auflöf't: Das Gesetz verdammt, das Evangelium aber sagt: Geh nach Golgatha, da findest du deine und aller Menschen Sündenschuld bezahlt. Wer diesen Unterschied nicht weiß, kann auch nimmermehr zu einem getrosten Glauben kommen, weil das Gesetz ihm den Trost des Evangeliums immer wieder hinwegntmmt.
Das bezeugt Luther mit seinem eigenen Erempel. Er schreibt nervlich also: „Jndeß hatte ich dasselbige Jahr den Psalter abermal vor mich genommen zu handeln und zu erklären; denn ich verließ mich darauf, daß ich nun etwas geübter wäre, dieweil ich St. Pauli Episteln an die Römer und Galater, und an die Ebräer in der Schulen gehandelt und erkläret hatte. Denn ich hatte in der Wahrheit eine herzliche Begierde und Lust, St. Pauli Epistel an die Römer eigentlich zu verstehen, und hatte mich bisher daran nichts anders gehindert, denn allein das einige Wörtlein, Justitia Del, im ersten Capitel v. 17., da Paulus spricht, die Gerechtigkeit Gottes werde im Evangelio offenbaret. Diesem Wort, ,Gottes Gerechtigkeit, war ich sehr feind, und war nach Gebrauch und Gewohnheit aller Lehrer nicht anders
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berichtet und unterwiesen, denn daß ichs philosophischer Weise von solcher Gerechtigkeit verstehen müßte, in welcher Gott für sich gerecht ist, recht thut und wirket, und alle Sünder und Ungerechten strafet, welche Gerechtigkeit man die wesentliche (Lorrusltziu) oder wirkliche (aotivLur) Gerechtigkeit nennet. Nun stund es um mich also: Ob ich gleich als ein heiliger und unsträflicher Mönch lebte, befand ich mich doch einen großen Sünder vor Gott, und dazu eines ängstlichen und unruhigen Gewissens, getrauete auch nicht mit meiner Genugthuung und Verdiensten Gott zu versöhnen. Verwegen liebete ich diesen gerechten und zornigen Gott gar nicht, welcher die Sünder strafet, sondern ich hastete denselbigen, und (so dieses keine Lästerung gewesen oder zu achten ist) zürnete heimlich und mit rechtem Ernst wider Gott; sagete oftmals: Gnüget denn Gott an diesem nicht, daß er uns arme elende Sünder und durch die Erbsünde zum ewigen Tod allbereit Verdammte mit allerlei Jammer und Trübsal dieses Lebens, neben des Gesetzes Schrecken und Bedräuung, beleget, daß er noch muß durchs Evangelium dieses Jammers und Herzeleides mehr machen, und durch dessel-bigen Predigt und Stimme seine Gerechtigkeit und ernsten Zorn ferner dräuen und verkündigen? Hie ergrimmete ich oftmals in meinem verwtrre-ten Gewissen, hielte aber dennoch mit mehrerm Nachdenken bei dem liebe« Paulo an, was er doch an demselbigen Orte meinete, und hatte herzliche« Durst und Begierde, dasselbige zu wissen. Mit solchen Gedanken brachte ich Tag und Nacht zu, bis ich durch Gottes Gnade merkete, wie die Worte an einander hingen, nemlich also: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evan-gelio offenbaret, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens. Hieraus habe ich dieselbige Gerechtigkeit Gottes, in welcher der Gerechte durch Gottes Gnaden und Gabe allein aus dem Glauben lebet, verstehen lerne» und gemerkt, daß des Apostels Meinung diese wäre: Es würde durchs Evangelium die Gerechtigkeit offenbaret, die vor Gott gilt, in welcher uns Gott aus Gnaden und etteler Barmherzigkeit durch den Glauben rechtfertiget, welche man zu Latein 6ustitiam paksivs.ru nennet, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens. Hie fühlete ich alsbald, daß ich ganz und neu geboren wäre, und nun gleich eine weite aufgesperrte Thür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte; sabe mich auch die liebe heilige Schrift nunmalS viel anders an, denn zuvor geschehen war; lief derhalbe» bald durch die ganze Bibel, wie ich mich derseibigen erinnern konnte, und sammlete auch in andern Worten nach dieser Regel alle ihre Auslegung zusammen, als, daß Gottes Werk dieses heiße, das Gott in uns selbst wirket; Gottes Kraft, damit er uns kräftig und stark machet; Gottes Weisheit, damit er uns weise machet; also die andern. Gottes Stärke, Gottes Heil, Gottes Herrlichkeit und dergleichen. Wie ich nun zuvor dieses Wörtlein, .Gottes Gerechtigkeit«, mit rechtem Ernst hastete, so fing ich auch dagegen an, dasselbe als mein allerliebstes und tröstlichstes Wort theur und hoch zu achten, und war mir derselbige Ort in St. Paulo in der Wahrheit die rechte
Pforte des Paradieses." (Vorrede über d. erst. Theil s. lat. Bücher. Walch XIV. 460 f.)
An Luther fleht man r Gott laßt es dem Aufrichtigen gelingen. Zuvor jedoch ließ ihn Gott durch den Feuerofen geistlicher Anfechtungen gehen, um ihn zum Reformator geschickt und tüchtig zu machen. Als er von der Gerechtigkeit, die im Evangelio geoffenbart wurde, las, dachte er. dies sei die Gerechtigkeit, vermöge welcher Gott den Menschen straft, Gott verdamme also den Menschen zweimal, einmal durchs Gesetz, sodann durchs Evangelium, was ihm erschrecklich war. Als er aber fand, daß jene im Evangelio geoffenbarte Gerechtigkeit die sei, welche Gott schenkt und der Glaube ergreift, da war er wie „neugeboren". >
Die Beweisstelle 2 Tim. 2,15. lautet: „Befleißige dich Gott zu erzeigen einen rechtschaffenen, unsträflichen Arbeiter, der da recht theile das Wort der Wahrheit."
Zu diesem Spruch wird in der Pastoraltheologte von C. F. W. Walther, S. 7S., Folgendes bemerkt: „Wer dem Gesetz durch das Evangelium seine Schärft und dem Evangelium durch das Gesetz seine Süßigkeit nimmt; wer so lehrt, daß die Sicheren getröstet und die über ihre Sünden Erschrockenen noch mehr erschreckt werden; wer die vom Gesetz Getroffenen anstatt auf die Gnadenmittel, nur auf das Gebet um Gnade weis't; wer bei der Auslegung des Gesetzes, seiner Forderungen und Drohungen, es so darstellt, als ob Gott nach dem Gesetz sich damit begnüge, daß der Christ thue, so viel er vermöge, die Schwachheiten aber übersehe, und das Evangelium so darstellt, als ob es nur ein Trost für die schon Frommen sei; wer durch die Forderungen, Drohungen und Verheißungen des Gesetzes die Unwieder-gebornen zu guten Werken zu bewegen sucht, und von denjenigen, welche noch ohne GlauW» sind, Ablegung der Sünde, Liebe Gottes und des Nächsten fordert; wer einen besonder« Grad der Reue verlangt und nur die tröstet, welche schon andere Menschen geworden sind; wer nicht glauben können mit nicht glauben dürfen verwechselt und dergleichen: ein solcher theilt Pas Wort der Wahrheit nicht recht, sondern vermengt und vermischt Gesetz und Evangelium mit einander; seine Lehre ist daher, wenn er auch sonst Gesetz und Evangelium predigt, ja, auch in rechter Unterscheidung richtig definirt, eine falsche."
Luther schreibt daher in seinem „Sermon vom Unterscheid zwischen dem Gesetz und Evangelio" vom Jahre 1532: „Darum ist hoch vonnöthen, daß diese zweierlei Worte recht und wohl unterschieden werden; daß, wo das nicht geschieht, kann weder das Gesetz noch Evangelium verstanden werden, und müssen die Gewissen in Blindheit und Jrrthum verderben. Denn das Gesetz hat sein Atel, wie weit es gehen und was es auSrichten.soll, nemlich bis auf Christum, die Unbußftrtigen schrecken mit Gottes Zorn und Ungnade. Desgleichen hat das Evangelium auch sein sonderlich Amt und Werk, Vergebung der Sünden betrübten Gewissen zu predigen. Mö-
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einander gemenget, noch eins für das andere genommen werden. Denn Gesetz und Evangelium sind wohl beide Gottes Wort, aber nicht einerlei Lehre.. .. Darum welcher diese Kunst, das Gesetz vom Evangelio zu scheiden, wohl kann, den setze oben an und heiße ihn eine« Doctor der heiligen Schrift. Denn ohne den Heiligen Geist ist eS ohnmög-lich, diesen Unterschied zu treffen. Ich erfahre es an mir selbst, sehe es auch täglich an andern, wie schwer es ist, die Lehre des Gesetzes und Evangelii von einander zu sondern. Der Heilige Geist muß hier Meister und Lehrer sein, oder es wird kein Mensch auf Erden verstehen noch lehren können. Darum vermag kein Papist, kein falscher Christ, kein Schwärmer diese zwei von einander zu theilen.. .. Die Kunst ist gemein: bald ist es ge-redt, wie daSGesetz ein anderWort und Lehre sei, denn das Evangelium; aber prneties (in der Anwendung) zu unterscheiden und die Kunst ins Werk zu setzen, ist Mühe und Arbeit." (Erlanger Ausgabe XIX, 236 ff.)
ES ist ein wahrer Gräuel, wenn man sehen muß, wie manche Prediger ihre Zuhörer auf so ganz verkehrte, gesetzliche Weise zum Guten anzutreiben suchen. Sie predigen dabei doch nur todte Werke aus ihnen heraus. Bet solchen Predigern kommt es daher auch oft vor, daß sie z. B. beim Collectiren die Leute so lange quälen, bis sie, obwohl sie zuerst nichts geben wollten, endlich doch geben, aber nicht mit Freuden, sondern nur, um den unverschämten Bettler los zu werden, oder weil sie fürchten, sie möchten als Geizhälse verschrieen werden. Haben solche Prediger auf diese Weise vielleicht viel zusammengebettelt, so rühmen sie sich dessen und loben auch wohl die große Freigebigkeit der Leute. Damit zeigen sie aber nur, daß sie blinde Menschen sind und keinen Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium «Offen. Ganz anders haben es die Apostel gemacht, wenn sie ihre Zuhörer zu Werken der Freigebigkeit auffordern wollten; sie predigten ihnen das Evangelium und ließen dann ihnen Freiheit; denn der Apostel Paulus sagt ausdrücklich, da er die Korinther zu einer milden Steuer für die Armen ermahnt: „Nicht sage ich, daß ich etwas gebiete." Denn „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb"; alles andere Geben ist Sünde; „denn was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde." Selbst die Unbekehrten suchen blinde Prediger oft zu guten Werken zn nöthtgen. Manche eifern für den Anschluß an Tem-perenzgesellschaften und wollen so die Leute durch ein Menschen-Gesetz fromm machen. Solche wirken nur im Reich der Welt und des Fleisches, nicht in Christi Reich. Sie begehen damit einen argen Betrug an den Seelen..
Luk. 12,42.: „Der HErr aber sprach: Wie ein groß Ding istS um einen treuen und klugen Haushalter, welchen der Herr setzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe?" Das ist eine gewaltige Stelle für uns Prediger. Nur den erkennt hier der Heiland als einen guten Haushalter an, der Allen zu seiner Zeit das ihnen Gebührende mitzutheilen weiß an Strafe, Ermahnung und Belehrung. Es mag Einer Vieles können; mangelt es ihm jedoch an diesem Stücke, so'wird er ei« untreuer und unkluger Haushalter sein. Wenn man Gesetz und Evangelium nicht recht zu theilen versteht, da kann es leicht geschehen, daß man die sicheren Sünder tröstet und umgekehrt die betrübten Herzen straft. Wer Gesetz und Evangelium nicht zu unterscheiden weiß, der wird gewiß fehlgreifen, wenn ein Sünder zu ihm kommt, der zwar zerschlagen ist, aber z. B. für seine Reue keine gute Ursache angeben kann, weil er nach seinem eigenen Geständniß Gott noch nicht liebt, sondern haßt, und sich selbst sogar umbringen will. Einem Solchen wird er Gesetz predigen und also den vom Gesetz Getroffenen der Hölle zuführen, anstatt ihn an JEsum zu weisen und mit dem Evangelio zu trösten. Als der Kerkermeister zu Philippi die Thüren des Gefängnisses aufgethan steht, zieht er, in der Meinung, die ihm anvertrauten Gefangenen seien entflohen, das Schwert und will sich selbst erwürgen. Was thut Paulus? Straft er ihn etwa mit dem Gesetz und spricht: Du bist ein gottloser Mensch und fährst zum Teufel? Nichts von alledem; sondern als der Kerkermeister im Gefühl seiner Sündenangst flehentlich bittet: „Lieben Herren, was soll ich thun, daß ich selig werde?", da antworten ihm die Apostel: „Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Haus selig", als wollten sie sagen: Nimm JEsum an, so ist alles gethan; deine Frau, deine Kinder, deine Sklaven, alle sind sie frei und selig, sobald sie an JEsum glauben. Das Evangelium meint Alle, mögen sie sein, wer sie wollen. Wer aber den Unterschied nicht kennt zwischen Gesetz und Evangelium, der meint, er thue Gott einen Dienst daran, wenn er solche verzweifelte Leute vom Himmel zurückhält.
Die Lehre vom Unterschied des Gesetzes und Evangelti ist ein herrliches Licht auch Ist Absicht auf Gottes Gericht am jüngsten Tag; ohne dieselbe würde den Christen der dazu nöthige Trost fehlen.
Gerhard schreibt darüber, wenn er die Frage: „Werden die Sünden der Frommen ebenso, wie die der Gottlosen, im Gericht offenbar gemacht werden?", also beantwortet: „Hier muß man die gesetzlichen von den eigentlich so genannten evangelischen Aussprüchen unterscheiden. Ein gesetzlicher ist: »Die Menschen müssen Rechenschaft geben an jenem Tage von einem jeglichen unnützen Worte*; Evangelium ist: »Wer glaubet, kommt nicht ins Gericht*. Ein gesetzlicher ist: »Du häufest dir selbst den Zorn auf den Tag der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes*; ein evangelischer ist: »Hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung nahet*... Das Kleid der Gerechtigkeit Christi wird alle Vergehen der Frommen bedecken, daß sie nicht vor das Angesicht Gottes, der Engel und der Menschen kommen." (Ix>o. äs sxtr. ^uäie. § 65.)
Ein Christ müßte sich als verloren ansehen, wenn er nach dem Ausspruch des Gesetzes gerichtet würde, Matth. 12,36.: „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem
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jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben"; aber das Wort des Evangeliums: „Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet"/ enthebt ihn aller Furcht vor Gottes Gericht.
Thesis VIII.
Die Vermischung des Gesetzes und Evangelii verfälscht und verderbt beides. (Negative.) Röm. 11, 6.
Negative: „Demnach verwerfen wir, und halten es für unrecht und schädlich, wann gelehrt wird, daß das Evangelium eigentlich eine Bußoder eine Strafpredigt, und nicht allein eine Gnadenpredigt sei, dadurch das Evangelium wieder zu einer Gesetzlehre gemacht, der Verdienst Christi und heilige Schrift verdunkelt, die Christen des rechten Trostes beraubet und dem Pabstthum die Thür wiederum aufgethan wird."
Es ist kaum Einer unter den Selten, der fort und fort Gesetz und Evangelium recht predigt. Zuweilen reden die Sectenprediger auch wohl von der freien Gnade, aber nie sagen sie: Hier stehts geschrieben, daran halte dich! Sie verwerfen bekanntlich alle die Lehre von der Absolution. Warum? — Weil sie den rechten Verstand des Evangelii nicht haben. Sie wollen den im Evangelio liegenden Trost nicht sehen, daß nemlich, nachdem Christus das Werk der Erlösung vollkommen vollbracht hat, Gott nun im Evangelio zu jedem Menschen sagt: Dir find deine Sünden vergeben. Wohl sagt das Gott nicht unmittelbar und persönlich, sondern durch sein geschriebenes Wort und seine Diener, aber darum ist es doch nicht weniger fest und gewiß, als wenn er es selbst sagte, wie er denn selbst bezeugt: „Wer euch höret, Verhöret mich", und: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen." Wenn ein König einen Verbrecher begnadigt unss schickt demselben seinen Diener mit dem von ihm selbst Unterzeichneten Dokument der Begnadigung, so wird der Verbrecher gewiß nicht sagen: Ehe ich dies glauben kann, muß ich den König erst selber hören; sondern er wird mit Sprüngen das Gefängniß verlassen. Und doch wie machen wir gottlosen Menschen es? Gott selbst nimmt uns die Ketten ab; der Diener des höchsten Gottes lies't uns das Dokument vor; die Thüre ist weit auf; ihr seid frei! tönt es in unsere Ohren. Wir aber wollen das nicht glauben, und sagen damit gleichsam: Nein, wir gehen nicht aus dem Gefängniß, wir wollen darin bleiben, bis uns Gott selbst zuruft: Geht heraus! — Ja, die Sectenprediger predigen es geradezu, es sei falsch, zu behaupten, daß allen Menschen die Vergebung schon erworben sei und daß Jeder dieselbe daher nur anzunehmen habe. Die Lutheraner, sagen sie, machen den Weg zum Himmel zu leicht. Aber warum? Sie stoßen sich eben am Evangelio und wollen dem lieben Gott die Ehre nicht lassen, daß er die Menschen umsonst selig machen wolle; sie wähnen, für eine so große Gabe, wie die Seligkeit, müsse der Mensch etwas Großes thun. Aber Gott verlangt gar nichts, weil
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schon alles zur Seligkeit Nöthige gethan ist. So gewiß ein Gott im Himmel ist, so gewiß werden dir die Sünden vergeben, wenn dich Gottes Diener absolvirt. Wohl gehe« viele Zuhörer »«getröstet aus der Beichte, aber warum? Weil sie nicht wissen, was Evangelium ist. Ein jedes lutherisches Gemeindeglied sollte aber gelernt haben, daß das Evangelium ist, daß es nemlich nichts anderes, als Gottes Absolution selbst, ist, und eben darum die wahre Krone der christlichen Religion. Alle andern Religionen sagen: Willst du selig werden, so thue gute Werke; allein die christliche Religion sagt: Glaube an Den, der dir die Seligkeit erworben hat. Da ist von keinem Verdienst die Rede, nur von Gnade, wie Paulus bezeugt, Röm. 11, 6.: „Jsts aber aus Gnaden, so ists nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Jsts aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts; sollst wäre Verdienst nicht Verdienst." Daher es denn in jenem Liede heißt:
„Aus Gnaden! — hier gilt kein Verdienen,
Die eignen Werke fallen hin;
Gott, der aus Lieb im Fleisch erschienen.
Bringt uns den seligen Gewinn,
Daß uns sein Tod das Heil gebracht Und uns aus Gnaden selig macht."
Keine Kirche hat eine so klare Erkenntniß des Gesetzes und Evangeliums und also auch des Unterschieds zwischen beiden seit der Apostel Zeit gehabt, als die lutherische. Dies soll uns aber auch erinnern der hohen Verantwortung, die wir haben, und dieses Licht leuchten lassen vor den Leuten und nicht müde werden, immer Neues aus diesem alten Schatz zu Tage zu fördern. Nur so werden wir selbst fest und nur so können wir alsdann auch die ihres Heiles immer gewisser und fester machen, die uns befohlen find. Das helft Gott in Gnaden! —
Nachdem sich die Synode zu den sämmtlichen Thesen bekannt hatte, wurden die Verhandlungen darüber geschlossen und andere vorliegende Gegenstände besprochen.