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Deutsche Schachzeitung’s v25 (1870) Baden-Baden (1870) coverage (de).gdoc
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Deutsche Schachzeitung’s v25 (1870) Baden-Baden (1870) coverage:


 No 8 Aug 1870 p234-237


Vom grossen internationalen Schachcongress.

Baden-Baden, am 15. Juli 1870.

Heute früh ist der Schachcongress zu Baden-Baden im Conversationshause durch den Präsidenten des Comité's, Se. Durchlaucht den Fürsten Stourdza, eröffnet worden. Der Vice-Präsident, Herr von Turgéneff, ist noch nicht in Baden anwesend, wird jedoch am 18. d. Mts. von Russland zurück erwartet.

Die Verhandlungen versprechen sehr interessant zu werden, da einerseits ein Schachcodex von Herrn Brandt aus St. Petersburg zur Begutachtung eingesendet worden ist, und andererseits der Secretär des Comité's, Herr Kolisch, ein Amendement von 5 Paragraphen zum Londoner Schachgesetzbuch gestellt hat, in dessen Berathung zunächst eingetreten werden wird.

Da mehrere berühmte Schachspieler erst gegen Ende dieser Woche eintreffen konnen, so wird das internationale Meister-Turnier erst am Montag, den 18. Juli seinen Anfang nehmen.

Hierzu sind nunmehr definitiv folgende 11 Meister inscribirt:

Die Herren: Anderssen von Breslau, I. H. Blackburne von London, Dr. Jakoby von Pest, J. Minckwitz von Leipzig, G. R. Neumann von Gleiwitz, Paulsen von Lippe-Detmold, Rosenthal von Paris, Steinitz von London, Stern von Ludwigshafen a. Rh, Cecil de Vere von London, Simon Winawer von Warschau.

Herr Dr. Meitner von Wien, welcher seine Betheiligung gleichfalls zugesagt hatte, ist an seinem Erscheinen leider verhindert worden.

Wir sind in der Lage, die Spielgesetze für das MeisterTurnier, wie sie dem Congress in der heutigen ersten Sitzung von Herrn Sekretär Kolisch vorgelegt sind, nachstehend dem Wortlaute nach mittheilen zu können.

Sie lauten, wie folgt:



Spiel-Gesetze

des

Grossen Internationalen Schach-Turniers.

Preis von Baden 3000 Frcs.

I.

Jeder Spieler hat mit jedem der eingeschriebenen Mitbewerber drei Partien zu spielen. Unentschiedene Spiele werden jedem der beiden Gegner als eine halbe Partie angerechnet. Der Gewinner der grössten Anzahl Partien erhält den Preis von 3000 Frcs.; der Nächstfolgende gewinnt den zweiten, aus den Einsätzen bestehenden Preis.

II.

Haben zwei Bewerber, im Besitze der grössten Anzahl von Gewinnpartien, die gleiche Anwartschaft auf den ersten Preis, so spielen dieselben um den ersten und zweiten Preis einen Matsch, welcher durch die zwei ersten Gewinnpartien entschieden wird. Derselbe Matsch findet auch im ähnlichen Falle um den zweiten Preis statt.

III.

Das Spiel beginnt vom 18. Juli an jeden Morgen im Congresslokale um 9 Uhr. Jede Partie wird ohne Unterbrechung so lange fortgesetzt, bis sie zu Ende geführt ist. Dauert eine Partie weniger als drei Stunden, so sind die Spieler verpflichtet, Nachmittags um 4 Uhr eine zweite zu beginnen und ebenfalls ohne Unterbrechung auszuspielen. Nach Verlauf von drei Stunden der Dauer einer Partie hat jeder Spieler das Recht, ¼. Stunde Erholungsfrist zu beanspruchen.

IV.

Jeder Spieler muss per Stunde mindestens 20 Züge gemacht haben. Die in den ersteren Stunden ersparte Zeit kommt ihm jedoch für die späteren Züge zu gute. Der seine Zeit überschreitende Spieler verliert die Partie.

Die Uhr des Spielers, der zur bestimmten Stunde nicht erschienen ist, wird in Gang gesetzt und die durch Verspätung verlorene Zeit als Bedenkzeit angerechnet. Bei einer Verspätung von 1½ Stunden wird ihm die Partie als verloren angerechnet.

Fehlen beide Spieler, so wird nach 1½ Stunden die Partie Beiden als verloren angerechnet. Keinerlei Privatarrangement kann die Durchführung der vorstehenden Regel beirren.


V.

Der Gewinner jeder Partie muss vor Beginn des nächsttägigen Spieles dem Sekretär eine leserliche Abschrift derselben übergeben, widrigenfalls ihm die Partie als remis angerechnet wird. Ist die Partie remis geworden, so ist der Anziehende verpflichtet, die Ablieferung der Copie zu besorgen, da ihm die Partie sonst als verloren angerechnet wird.

VI.

Der Anzug wechselt mit jeder Partie, gleichviel ob sie gewonnen wurde oder unentschieden geblieben.

Vor Beginn des Turniers wird durch das Loos entschieden, mit welchen Gegnern jeder der Mitbewerber in der ersten Partie den Anzug erhält und gegen welche er ihn verliert.

VII.

Die Spieler, welche mit einander zu spielen haben, werden durch das Loos gepaart und wird die Tagesordnung im Congress-Locale angeschlagen. Es steht übrigens den Bewerbern frei, ihre freie Zeit zu Turnier-Partien, zu denen sie durch die Tagesordnung nicht verpflichtet werden können, zu benutzen, doch müssen diese Partien ebenfalls im Congress-Lokale gespielt werden.

VIII.

Als Spiel-Regeln gelten die im Buche des Londoner Congresses von 1862 enthaltenen Gesetze.

IX.

Die zwischen Mitbewerbern vorkommenden Streitfälle, sowie Meinungsverschieden- heiten über die Auslegung der Regeln, werden von den Herren Baron Maythény und Kolisch endgültig geschlichtet. Dieselben Herren sind auch beauftragt, vorstehendes Reglement für alle darin nicht vorgesehenen Fälle zu vervollständigen.

Im Auftrage des Comites

Der Sekretär des Congresses:

J. Kolisch.



Zu dem Vorstehenden ist noch hinzuzufügen, dass alle die vorbenannten Meister bereits in Baden-Baden angekommen sind, mit Ausnahme von Anderssen, der sich für den 16. Juli und von Dr. Jacoby, der sich für den 18. Juli angemeldet hat. Dank den ausserordentlichen Bemühungen des Herrn Kolisch und des Comité's wird dieses grosse Turnier, wenn nicht das“,„wilde eiserne Würfelspiel“ des Krieges dem friedlichen Kampfe Störungen bringt, bei Weitem die glänzendste Schachversammlung werden, die je stattgefunden. Fast alle jetzt activen Koriphäen Europas sind eingetroffen und man hat nur zu bedauern, dass die Herren Max Lange in Leipzig und Zukertort in Berlin nicht auch sich eingefunden haben. Namentlich haben die Meisten die Abwesenheit Lange's, den sie gern kennen gelernt hätten, sehr bedauert. Die Arrangement, für dieses Turnier sind vortrefflich und es steht zu erwarten, dass dasselbe einen sehr glatten und raschen Verlauf nimmt. Herr Kolisch lässt es sich sehr angelegen sein, den Betheiligten den Aufenthalt in dem schönen Baden angenehm zu machen.

J. M.


 No 8/9 Aug/Sept 1870 p253-p263


Internationaler Schachcongress.

Baden-Baden, am 26. Juli 1870.

Der Congress hat seit seiner Eröffnung trotz des unterdessen ausgebrochenen Kriegswetters, im Vertrauen auf die wohl von allen europäischen Nationen geachtete Neutralität der Badeorte und auf die zahlreichen und schlagfertigen Heeresmassen des deutschen Vaterlandes, ungestörten Fortgang gefunden. Das Meisterturnier hat am 18. Juli, nach dem Eintreffen des Professor Anderssen (Dr. Jacoby aus Pest ist ausgeblieben), begonnen und ist bereits weit vorgeschritten. Vor dem 18. Juli veranstaltete Herr Kolisch einige Berathungspartien, deren erste von den deutschen Kämpen Neumann, Paulsen und Minckwitz einerseits gegen die englischen „Champions“ Steinitz, Blackburne und de Vere andererseits gespielt wurde. Die Deutschen verloren: Stolzes England, freue dich!

Die zweite spielten Anderssen und Stern (ein wirklich sehr talentvoller junger Spieler) gegen die zwei Polen Rosenthal und Winawer. Polen siegte; ist also noch nicht verloren! Das Meisterturnier verlief bis heute, wie folgt:

Am 18. und 19. Juli schlug Blackburne Steinitz und machte in der zweiten Partie remis (der unsicheren Umstände halber ist die Zahl der von jedem Spieler gegen Jeden zu machenden Spiele nämlich von drei auf zwei herabgesetzt worden, wodurch das Turnier wesentlich abgekürzt wird).

Neumann verlor gegen Paulsen, Paulsen gegen Neumann, De Vere gegen Winawer, Winawer gegen De Vere, Rosenthal gegen Anderssen, Anderssen gegen Rosenthal, Stern zweimal gegen Minckwitz.

Am 20. und 21. Juli verlor Blackburne gegen Neumann und machte remis, verlor De Vere gegen Paulsen, Paulsen gegen De Vere, Rosenthal gegen Winawer und machte remis, verlor Minckwitz zweimal gegen Anderssen und Stern zweimal gegen Steinitz.

Am 22. und 23. Juli verlor de Vere zweimal gegen Blackburne, Minckwitz zweimal gegen Winawer, Steinitz zweimal gegen Anderssen, Stern zweimal gegen Neumann, Rosenthal gegen Paulsen und machte remis.

Am 24. und 25. Juli verlor De Vere gegen Minckwitz, Minckwitz gegen De Vere, Winawer zweimal gegen Steinitz, Anderssen zweimal gegen Neumann, Stern zweimal gegen Paulsen; Rosenthal machte gegen Blackburne zweimal remis.

Am 26. Juli verlor De Vere gegen Anderssen, Paulsen gegen Blackburne, Neumann gegen Steinitz, Rosenthal gegen Minckwitz.

Der Stand des Turniers ist also am 26. Juli, wie folgt:

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Zu dem vorstehenden Schema ist Folgendes zu bemerken: Man findet dazuvörderst Stern mit lauter Verlustpartien verzeichnet, derselbe hat aber nur mit Minckwitz und Steinitz gespielt und nachdem er von diesen je eine Partie gewinnen konnte, freiwillig aufgegeben, weil er an dem Turnier nicht länger theilzunehmen im Stande war; er musste nämlich abreisen, da er als Königl. Bayerischer Reservist zu den Fahnen einberufen worden. Sternfigurirt daher im Turnier nur noch nominell und ist in Folge dessen ein von allen Concurrenten sehr gesuchter und sehr beliebter Gegner. Sodann hat Stern einmal gegen Minckwitz, Minckwitz einmal gegen Winawer, De Vere einmal gegen Minckwitz, Rosenthal einmal gegen Minckwitz, Stern einmal gegen Steinitz verloren, weil dieselben nicht rechtzeitig früh neun Uhr (oder gar nicht) erschienen und daher die ihnen zur Berechnung bleibende Zeit eine allzu kurze geworden war. So musste Minckwitz einmal vierzig Züge in einer Stunde, De Vere gar vierzig Züge in ¾ Stunde machen. Kein Wunder daher, dass mancher schwache Zug gemacht wurde.

Am meisten Aussicht auf den ersten Preis hat also bis jetzt G. R. Neumann, der nur 22 Partie verloren hat. Anderssen und Blackburne stehen gleich und haben je 3 Partien verloren. Das Comité hat noch einen dritten Preis in der Höhe von 300 Frcs. ausgesetzt.


 (p256)


Baden-Baden, 3 August 1870.

Den ersten Preis errang wiederum Deutschlands Vorkämpe, Professor Adolph Anderssen aus Breslau, mit 13 Gewinn- und 5 Verlustpartien.


Baden-Baden, 4. August 1870.

Den zweiten Preis erkämpfte Steinitz mit 12½, Gewinn- und 5½, Verlustpartien. Um den dritten Preis spielen noch Neumann und Blackburne, die je 12 Partien gewonnen und 6 verloren haben. Den Hauptsieger, Professor Anderssen, hat Louis Paulsen zu einigen Matchpartien herausgefordert, die unter denselben Bedingungen wie im Turnier zu spielen sind und solange ihren Fortgang haben werden, als Anderssen noch in Baden-Baden weilen wird, d. h. noch einige Tage. Es ist also nicht ein förmlicher Wettkampf der beiden Meister (dazu ist die Zeit zu kurz), sondern es findet zwischen ihnen nur eine Reihe ernst gespielter Partien statt. Die ersten beiden Partien gewann Paulsen.


Notiz. Der diesjährige (neunte) Congress des westdeutschen Schachbundes int der ernsten Zeiten halber auf nächsten Jahr verschoben worden.


Geschlossen am 9. August,

___________________

Leipzig, Draek von Glenecke k Devrient.


 No 9 Sept 1870 p257-p263


Der grosse internationale Schachcongress zu Baden-Baden.

Schon im August-Hefte haben wir mit der Schilderung der Vorgänge in Baden-Baden den Anfang gemacht und auch das Endresultat gemeldet; die nachstehenden Zeilen werden daher hauptsächlich zur Ergänzung und Vervollständigung dienen und mögen zugleich dem Leser ein Bild von dem Leben und Treiben der aus England, Deutschland, Frankreich, Oesterreich und Russland (Polen) herbeigekommenen Meister in dem reizenden Bäden-Baden entwerfen.

Das Turnier begann am 18. Juli und endigte am 4. August. Der Verlauf desselben war, Dank den vorzüglichen Anordnungen des Herrn Kolisch, rasch, glatt, befriedigend. Die einzelnen Spieltage (bis zum 26. Juli haben wir sie schon gemeldet) hatten das folgende Resultat:

Am 27. Juli verlor Winawer gegen Paulsen, Neumann gegen Steinitz, De Vere machte gegen Anderssen remis, Rosenthal verzichtete gegen Minckwitz.

Am 28. Juli verlor Neumann gegen Rosenthal, Blackburne gegen Paulsen, Winawer gegen Anderssen, Minckwitz machte gegen Steinitz remis.

Am 29. Juli verlor Steinitz gegen Minckwitz, Blackburne gegen Anderssen, Winawer machte gegen Paulsen, Rosenthal gegen Neumann remis.

Am 30. Juli verlor Anderssen gegen Winawer, Minckwitz gegen Blackburne, Paulsen gegen Steinitz, Neumann gegen De Vere.

Am 31. Juli verlor Winawer gegen Blackburne, De Vere gegen Neumann, machte Rosenthal gegen Steinitz, Paulsen gegen Minckwitz remis.

Am 1. August verlor Minckwitz gegen Neumann, De Vere gegen Steinitz, Paulsen gegen Anderssen, machte Winawer gegen Blackburne гегnus.

Am 2. August verlor Minckwitz gegen Neumann, Paulsen gegen Steinitz, verzichtete Rosenthal gegen De Vere, machte Blackburne gegen Anderssen remis.

Am 3. August verlor Paulsen gegen Anderssen, Minckwitz gegen Blackburne, Winawer gegen Neumann, Rosenthal gegen Steinitz.

Am 4. August verlor De Vere gegen Steinitz, Winawer gegen Neumann, Minckwitz verzichtete gegen Paulsen.

Die Tafel S. 254, August-Heft, wird durch das Vorstehende wie folgt ergänzt:

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I. Preis, Fs. 3000, Anderssen mit 13 Gewinnpartien,

II.  Fs. 600, Steinitz mit 12½, do.

Der dritte Preis wurde von dem Comité von Fs. 300 auf Fs. 400 erhöht und dann zwischen Neumann und Blackburne, mit je 12 Gewinnpartien, getheilt. Der Unterschied zwischen den Preisträgern beläuft sich also auf ½ resp. 1 Partie, ist also ein äusserst geringer. L. Paulsen hat diesmal Unglück gehabt, denn das Glück spielt in den Turnieren immer eine Hauptrolle. Wie viel hing von einer Remispartie, von einer halben Minute Zeit im entscheidenden Moment oft ab! Ausserdem ist es zwischen so starken Spielern in einem Turnier wirklich reine Glückssache, wer Sieger bleibt – Neumann schlag Anderssen beide Male, Anderssen beide Male Steinitz, Steinitz beide Male Neumann!! Paulsen verlor zweimal gegen Anderssen und rächte sich nach dem Turnier in freien Matchpartien mit 2 Gewinn- und 1 Remispartiel

Zu bemerken ist noch, dass Rosenthal beide Male gegen Minckwitz und De Vere, Minckwitz einmal gegen Paulsen freiwillig verzichtet hat, dass Minckwitz übrigens, ohne ihn weissbrennen zu wollen, seinen wenig günstigen Erfolg theils den aufregenden Zeit- , theils gewissen anderen Umständen verdankt.

Schon vor dem Eintreffen Anderssen's war die Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland bekannt geworden, und man schwebte allgemein in einer peinlichen Ungewissheit. Sollte man das Turnier aufheben, verschieben? Hatte man, so nahe der Grenze, das Einrücken feindlicher Truppen zu befürchten? Man entschloss sich endlich, den Dingen ihren Lauf zu lassen, begann das Turnier und spielte ruhig oder unruhig, je nachdem, weiter; man wurde auch nicht gestört, obgleich die Badegäste fast sämmtlich abreisten und die Localitäten des Bades theilweise geschlossen wurden.

Ein Antrag von J. Minckwitz, den Congress aufzulösen und auf nächstes Jahr zu verlegen, unter den Concurrenten aber als Entschädigung für die vergeblich gemachte Reise und aufgewandten Kosten, einen Theil der Preise zu vertheilen, wurde vom Comité abgelehnt, obgleich die deutschen Spieler wohl sämmtlich mit der Vertagung einverstanden waren. Bei dieser Gelegenheit ereignete sich ein nicht übler Scherz, der für das felsenfeste Vertrauen eines Preussen aufpreussisches Waffenglück zeugen kann. J. Minckwitz hatte in seinem Antrag u. A. hervorgehoben, dass es von manchen Seiten wahrscheinlich geradezu als ein Frevel betrachtet werden würde, in solchen Zeiten, mitten im Kriege und so nahe der Grenze unbekümmert Schach zu spielen. Dies gaben. Alle zu. Am andern Tage aber äusserte unser biederer Anderssen sich ungefähr in folgender Weise zu Minckwitz: „Sie hätten in Ihrem Antrage von Rechtswegen das nicht sagen sollen -- im Gegentheil, Sie hätten, auf Deutschlands starke Heereskraft, auf die ausgezeichnete deutsche Führerschaft pochend, Ihren Antrag gar nicht stellen sollen. Sie hätten sagen sollen: Wir wollen doch einmal sehen, wer uns 'was thut. Wir spielen hier ruhig unser friedliches Spiel, unbekümmert um die nahenfeindlichen Truppen, die von unsern braven deutschen Brüdern schon im Schach gehalten werden. Wir wissen uns sicher.“ Dieser neue Gesichtspunkt der Angelegenheit leuchtete denn auch sofort ein und lächelnd fasste man sich in Geduld. Dabei dürfen wir aber nicht unberührt lassen, dass Anderssen aus Furcht vor den Turkos jeden Augenblick bereit war, Reissaus zu nehmen, eine kleine Reisetasche mit dem Nothwendigsten stets fertig gepackt hatte, indess er seinen grossen Koffer den Händen der plündernden Feindeshorden als „bonneprise“ zu überlassen gedachte. Glücklicherweise kam es nicht so weit.

Die Tage verstrichen in Baden in ziemlich regelmässiger Weise.

Früh 9 Uhr begann stets das Spiel. Wer nicht pünctlich da war, dessen Uhr wurde in Bewegung gesetzt; wer gar nicht oder 12 Stunden zu spät kam, hatte verloren. Nach 1 Uhr begab man sich meist gemeinschaftlich zum Diner, nahm vor dem Cursaal, angesichts der schönen Anlagen, der Stadt und der reizend bewaldeten nahen Berge, den Café und setzte hierauf entweder die begonnenen Turnierspiele fort, oder, waren diese schon beendigt, man machte gemeinschaftliche Ausflüge in die herrlichen Umgebungen. Fröhliche scherzhafte, lebhafte politische Unterhaltungen wurden gepflogen; die Engländer incl. Steinitz gaben auf den Spaziergängen häufig ihre „English songs“ zum Besten. Mehrere Male fuhr man nach Rastatt, wo man seine Freude an dem frischen, kampflustigen Gebahren der braven badischen und preussischen Besatzung hatte. Abends lauschte man vor dem Cursaal den Klängen der vorzüglichen Bade-Capelle, wobei es, bei dem Eintreffen guter (es kamen ja nur gute!)Nachrichten vom Kriegsschauplatze, auch an politischen Demonstrationen nicht fehlte! Auch manche leichte oder Vorgabe-Partie wurde mit den wenigen, noch anwesenden Amateurs (von welchen sich durch unermüdlichen Eifer, und Lust und Liebe zu dem edeln Spiel besonders Herr Baron de Maythény, Mitglied des Comité's, auszeichnete) gemacht. Nach dem Concert begab man sich gewöhnlich noch in eine Weinkneipe, wo man fröhlich, aber sehr mässig (denn am andern Morgen musste man ja wieder frisch zum Kampfe sein) noch eine Zeit lang dem Gotte Bacchus opferte. Lebhaft genug ging es dabei her. Scherze, Neckereien, ernsthafte Kannegiessereien wechselten ab. Man bedrohte sich gegenseitig für den folgenden Tag mit einem „Schmitzel“. Diese treffliche Bezeichnung stammt von dem nicht sehr fliessend deutsch sprechenden Rosenthal. Es hat damit die folgende Bewandtniss. Rosenthal hatte sich die Aufgabe gestellt, jedem der ganz starken Turniertheilnehmer irgend einen, was man auf der Mensur „Schmiss“ nennt, irgendeine Schlappe beizubringen; jedem eine Partie (oder mehr) abzunehmen, oder wenigstens remis zu machen, und nannte dies „ein Schmitzel geben,“ was ihm übrigens auch bei Anderssen, Neumann, Blackburne, Steinitz, Paulsen glückte. Der Ausdruck „Schmitzel“ ist Herrn Rosenthal's eigene Erfindung und die Brüder Grimm werden ihm für diese wahrhaft klassische Bereicherung der deutschen Sprache. Dank wissen.

Es bleibt uns noch übrig, mit einigen Worten der von der badenbadener Administration mit nicht genug anzuerkennender Generosität getroffenen, vorzüglichen Einrichtungen, sowie der Turnier-Arrangements zu gedenken. Die Administration hatte ein an die grossen Gesellschaftsräume angrenzendes Zimmer zur Verfügung des Congresses gestellt und in höchst liberaler Weise die Mittel zur bequemsten, vollständigsten Einrichtung desselben bewilligt. Das Comité, respective Herr Kolisch als Sekretär, hatte eine Anzahl einfache, aber sehr zweckmässige, mit grünem Tuche ausgeschlagene Tische anfertigen lassen, viele kleine allerliebste schwarzwälder Uhren zur genauen Controlirung der Zeit, ungefähr 1 Dutzend wunderschöne, practische Schachspiele, einen Schreibtisch, gedruckte Partie-Formulare, Bleistifte, Papier – kurz alles, nur irgendwie Nothwendige, angeschafft. Für eigene Bedienung war Sorge getragen. Niemand ohne Eintrittskarte durfte den Raum betreten, so dass die Schachspieler völlig ungestört waren. Schon aus allem diesen geht hervor, dass der Congress zur völligen Befriedigung aller Theilnehmer ausfallen musste, und wenn man noch die von Herrn Kolisch so umsichtig aufgestellten Turnierregeln und sonstigen Bedingungen in Betracht zieht, kann Jeder leicht ermessen, dass auch speciell das Turnier einen so durchaus glatten, ungestörten Verlauf nehmen konnte, wie es geschah. Die Kämpen haben vor ihrer Abreise deshalb auch das nachstehende Schreiben an das Comitégerichtet:


 An das Comité des Internationalen Schachcongresses

             zu Baden-Baden.

Die unterzeichneten Theilnehmer am Meisterturnier können nicht umhin, vor ihrer demnächstigen Abreise dem verehrten Comité, insbesondere aber Herrn J. Kolisch, hinsichtlich der trefflichen, in diesem Turnier zur Anwendung gekommenen Arrangements und Gesetze, vorzüglich aber auch für die streng unparteiische Handhabung derselben, ihre volle Befriedigung und ihren warmen Dank auszusprechen. Dieses ist (ausser vielleicht dem Dundee-Turnier) das erste grosse Turnier, welches infolge fester Regeln einen ununterbrochen raschen und glatten Verlauf nahm und ungetrübt von Streitigkeiten geblieben ist.

Baden-Baden, am 2 August 1870.

Rosenthal, Anderssen, G. R. Neumann, J. Minckwitz,

Simon Winawer, L. Paulsen, J. H. Blackburne, Cecil de Vere.

Obgleich ein so grossartiges, von so vielen der allerstärksten Spieler besuchtes Turnier noch nie stattgehabt hat, und ohne Widerrede das Resultat in jeder Beziehung ein glänzendes zu nennen ist, müssen wir doch leider die Bemerkung hinzufügen, dass dieser internationale Congress seinen Zweck nur zum Theil erfüllen konnte. Der Krieg, der Krieg hat einen unerwarteten, grossen Strich durch die Rechnung gemacht!! Ohne die durch den Krieg hervorgerufene Störung wäre der Erfolg ein weit grösserer, viel glänzenderer gewesen! Hunderte von eifrigen Schachfreunden, Mäcenen des Spiels aus Russland, Paris, England, Amerika, aus der ganzen Welt hätten sich in Baden eingefunden, wären zugegen gewesen – zugegen geblieben. Fürsten, Grafen, Lords, Edle, Millionäre, berühmte und unberühmte Männer hätten theilgenommen, sei es als Zuschauer, sei es im Handicap-Turnier, in Nebenturnieren. Es ist sehr schade! In Anbetracht der ernsten Umstände hat auch manches Andere unterbleiben müssen, ist die Anzahl der zu spielenden Partien herabgesetzt worden, die Regelung der Spielgesetze (die Prüfung des Gesetz-Codex von Herrn F. E. Brandt in St. Petersburg) verschoben, das grosse Schluss-Banquet als unzeitgemäss verworfen worden. Bringt man die sehr bedeutenden Opfer der Bade-Administration, - die sie in diesem Jahre der Sache des Schachs gebracht hat, in Erwägung, so wird jeder Liebhaber unseres Spiels derselben Dank und Anerkennung zollen, mit freudigster Ueberraschung aber die Mittheilung vernehmen, das eine Wiederholung des Congresses für nächstes Jahr in Aussicht genommen worden ist! Es wird beabsichtigt, das grosse Turnier, wenn die Segnungen des Friedens uns dann erfreuen, zu wiederholen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass nach Vorgang des diesjährigen, der nächste Congress überaus glänzend ausfallen wird. Schon haben sich die Meister, laut folgendem Schreiben (welches Allen ausser Wilhelm Steinitz zur Unterzeichnung vorgelegt worden) verpflichtet, nächstes Jahr wiederzukommen:

An das comité etc.

Die unterzeichneten Theilnehmer am diesjährigen Meisterturnier verpflichten sich und versprechen hiermit:

Für den Fall, dass der für die nächste Saison (1871) in Aussicht genommene zweite internationale Schachcongress zu Stande gebracht wird, zu demselben wieder zu erscheinen und an den Turnieren wiederum theilzunehmen, damit dieser Congress dem diesjährigen an Glanz nichts nachgebe und durch die Anwesenheit der stärksten Schachspieler der Welt an Bedeutung unerreicht dastehe.

Unvorhergesehene Vorfälle entbinden natürlich den Einzelnen von diesem Versprechen, doch hat derselbe für sein etwaiges Ausbleiben dem Comité genügende Entschuldigungsgründe anzuführen.

Baden-Baden, am 5. August 1870.

J. Minckwitz, Rosenthal, G. R. Neumann, Simon Winawer,

Anderssen, J. H. Blackburne, L. Paulsen, Cecil de Vere.

Hoffen und wünschen wir von ganzem Herzen, dass nächstes Jahr in Europa, besonders aber in und für unser einiges, grosses deutsches Vaterland Frieden herrsche, der uns sammt allen seinen übrigen herrlichen Gaben auch den neuen grossen Schachcongress und andere schöne Schachfeste schenken möge!