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1867 Northern-Walther-Exegesis
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1867 Northern District - Exegesis, Walther; pages 7-49; see this blog post for listings

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Grundsätze der lutherische Kirche über Schriftauslegung.

§1.

Weil man nicht einem jeglichen Geiste folgen, sondern die Geister prüfen soll auch in Bezug auf Schriftauslegung, so hat die lutherische Kirche gewisse Regeln der Schriftauslegung aus der heilige Schrift gesammelt, nach welchen jede Auslegung derselben geschehen und nach welchen sie geprüft werden soll.

§2.

Diese Regeln, weil sie aus der heilige Schrift selbst genommen sind, sind wohl zu unterscheiden von solchen, die außer der Schrift und ohne dieselbe (wie z. E. von den Päbstlichen) gemacht werden und denen sich daher die Schrift unterordnen müsse.

Luther: „Dazu mag ich nicht leiden Regel oder Maße (1eges interpretandi), die Schrift auszulegen; dieweil das Wort Gottes, das alle Freiheit lehret, nicht soll noch muß gebunden sein.“ Brief an Papst Leo. Bd. 53, 49. 75, 20.


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Chemnitz: „In der Kirche gibt es keine diktatorische oder päbstliche Auslegungsvollmacht, sondern es gibt gewisse Regeln, nach welchen sie geschehen und nach denen sie geprüft werden soll. Denn die Kirche hat Recht und Freiheit zu urteilen. Aber die Papisten nehmen sich ein solches Recht der Auslegungen, daß sie mit Einem Schlage sich der Mühe des Beweisend entheben und der Kirche die Freiheit zu urteilen nehmen.

§ 3.

Zwar sind einige derselben schon aus dem Licht der Natur bekannt, allein wir befolgen dieselben nicht sowohl darum, weil sie aus dem Licht der Natur bekannt sind, als weil wir sie in der Schrift selbst angewandt und bestätigt finden.

§ 4.

Zu solchen aus dem Licht der Natur sich ergebenden Regeln der Auslegung gehören alle diejenigen, welche in der Auslegung jeder Schrift befolgt werden müssen.

Zu diesen einleitenden Sätzen wurden folgende Bemerkungen gemacht:

Die Regeln der Schriftauslegung, die aus dem Licht der Natur bekannt sind, sind diejenigen, nach denen man jeden Schriftsteller auslegt. — Es gibt gewisse Gesetze der Vernunft, die dem Menschen angeboren sind, und die man nicht übertreten kann, ohne unvernünftig zu sein, z. B. Zweimal zwei ist vier; es kann nicht etwas zugleich sein und nicht sein; jede Wirkung hat ihre zureichende Ursache. Solcher Art sind auch die Gesetze der Auslegung, die aus dem Licht der Natur bekannt sind, z. B.: Jede Schrift muß nach dem Sprachgebrauch verstanden werden; man muß sich in Auslegung einer Schrift nach Zweck und Zusammenhang richten. Solche Regeln bestätigt die heilige Schrift. — Man hat sich aber wohl zu hüten, daß man hievon nicht so rede, als räume man der Vernunft zu viel ein. Nur solche Regeln der Auslegung haben einen Wert, die aus der Schrift selbst genommen sind. Daß solche dem Licht der Natur nicht widersprechen, kann uns nur lieb sein. Derjenige, der die Schrift nur nach den aus dem Licht der Natur bekannten Grundsätzen versteht, hat noch nicht das seligmachende Verständnis derselben. Es muß Jeder die göttliche Gewißheit aus der Heilige Schrift selbst haben, nicht stehen auf dem Licht der Natur, sondern auf dem Licht des Heilige Geistes. Die Regeln der Schriftauslegung müssen der heilige Schrift selbst abgelauscht werden. Wenn wir die Propheten beobachten, wie sie Mosen, wenn wir den HErrn Christum und die Apostel beobachten, wie sie Mosen und die Propheten auslegen, so finden wir, daß sie gewisse allgemein anerkannte Grundsätze befolgen. Z. B. der Apostel Paulus, wenn er die Rechtfertigung erweisen will, geht zurück auf den Sitz dieser Lehre im A. T.: „Durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden" (1 Mos. 22, 18.); und befolgt hierbei eine allgemein anerkannte grammatische Regel, indem er darauf aufmerksam macht, daß der liebe Gott nicht sage: „Durch die Samen, als durch viele, sondern als durch einen, durch deinen Samen" (Gal. 3, 16.). So müssen wir in den einzelnen Fällen Nachweisen können, daß die Propheten, Christus und die Apostel selbst nach solchen Grundsätzen in Auslegung der Schrift gehandelt haben. Wenn nun aber auch solche Grundsätze


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aus dem Licht der Natur bekannt sind, so stehen wir dann aber doch nicht auf dem Licht der Natur, (sondern auf dem des heilige Geistes. — Der Einwand, daß hiernach Jemand behaupten könne: Also lehrt das Wort Gottes im Artikel von der Heilige Dreieinigkeit Etwas wider das Licht der Natur oder der Vernunft, denn: Drei sind nicht Eins und Eins nicht Drei, ist ein nichtiger. Die heilige Schrift sagt nicht, daß dreimal Eins Eins und umgekehrt sei, sondern sie lehrt, daß ein Wesen ist und in diesem Wesen drei Personen sind. — Wesen und Person ist nicht einerlei, auch nach dem Lichte der Natur. Wie Ein Wesen und Eine Person sein kann, ebenso kann auch Ein Wesen und drei Personen sein. — Das Licht der Natur ist das, was von Gott dem Menschen angeboren ist, was den Gebrauch der geistigen Kräfte betrifft, insoweit es nicht durch die Sünde verderbt und verfinstert ist. — Nicht immer erschließt man durch Beobachtung dieser Regeln den Sinn eines bloß menschlichen Schriftstellers; aber der heilige Geist hat die Worte also gestellt, daß der von ihm beabsichtigte Sinn aus denselben erkannt werden kann. — Auf solche Gewißheit des heilige Geistes gründet ein Christ seinen Trost in Todesnot.

§ 5.

Da der heilige Geist durch die Schrift redet, so ist der Sinn des heilige Geistes nicht von den Worten der Schrift zu trennen.

Schmalkaldische Artikel: „In diesen Stücken, so das mündliche äußerliche Wort betreffen, ist fest darauf zu bleiben, daß Gott Niemand seinen Geist oder Gnade gibt, ohne durch oder mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort. Damit wir uns bewahren vor den Enthusiasten, das ist, Geistern, so sich rühmen, ohne und vordemWort den Geist zu haben, und darnach die Schrift oder das Wort richten, deuten und dehnen ihres Gefallens, wie der Münzer tät, und noch viel tun heutigen Tages, die zwischen dem Geist und Buchstaben scharfe Richter sein wollen, und wissen nicht, was sie sagen oder setzen. Denn das Pabsttum auch ein eitel Enthusiasmus ist, darinnen der Pabst rühmet, alle Rechte sind im Schrein seines Herzens, und was er mit seiner Kirchen urteilet und heißt, das soll Geist und Recht sein, wenn's gleich über und wider die Schrift oder das mündliche Wort ist. Das ist alles der alte Teufel und alte Schlange, der Adam und Eva auch zu Enthusiasten machte, vom äußerlichen Wort Gottes auf Geisterei und Eigendünkel führet, und tät's doch auch durch andere äußerliche Worte! Darum sollen und müssen wir darauf beharren, daß Gott nicht will mit uns Menschen handeln, denn durch sein äußerlich Wort und Sacrament, alles aber, was ohne solch Wort und Sacrament vom Geist gerühmet wird, das ist der Teufel." (Th. 3, Art. 8.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Die Papisten behaupten, die Schrift sei ein Skelett, das vom heilige Geist belebt werden muß, aber nicht von dem heilige Geist, der durch die Schrift, sondern welcher außer der Schrift durch die Kirche redet. Das ist aber nicht wahr. — Wie die Zuhörer der Propheten den Sinn aus ihren mündlich gepredigten Worten nahmen, so können und sollen auch wir dem Sinn aus den geschriebenen Worten


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nehmen. — Die Schwärmer berufen sich fälschlich auf die Stelle: „Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig." (2 Cor. 3, 6.) — Den Sinn des heilige Geistes bekommt man durch die Worte, Buchstaben, Silben, wie bei der Predigt durch die Laute. — Es komme Niemand mit dem Sinn des heilige Geistes, es sei denn, er erweise ihn aus den Worten. — Getrost soll ein Christ sagen: So stehet geschrieben. —

§ 6.

Daher kommt es keinem Menschen zu, irgend einen Sinn ersthineinzulegen; wir sollen nur den Sinn des heiligen Geistes aus seinen Worten herausnehmen, und die Schrift sich selbst auslegen lassen, da der heilige Geist selbst der einzig sichere und wahte Ausleger der Schrift ist.

2 Pe. 1, 20 : „Das sollt ihr für das erste wissen, daß keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung."

Luther: „Darum ist die Schrift ein solch Buch, dazu gehöret nicht allein das Lesen, sondern auch der rechte Ausleger und Offenbarer, nämlich der Heilige Geist. Wo der die Schrift nicht öffnet, da bleibet sie wohl unverstanden, ob sie schon gelesen wird." (Hausp. Pred. am 2. Ostert. Bd. 3, 334.)

Concordienformel: „Nun ist ja kein so treuer und gewisser Ausleger der Worte JEsu Christi, denn eben der HErr Christus selbst, der sein Wort und sein Herz und Meinung am besten versteht und dieselbige zu erklären am weisesten und verständigsten ist." (Declaratio VII, p. 740.)

Kromayer: „Die Schrift legt sich selbst aus, entweder unmittelbar, oder mittelbar (vel actu, vel potentia). Unmittelbar, wenn sie die Erklärung sogleich hinzufügt. Wenn z. B. Christus Joh. 2, 19. sagt: ,Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten,’ so wird V. 21 hinzugesetzt: ,Er redete aber von dem Tempel seines Leibes.’ Wenn ferner der Heiland Joh. 12, 32. spricht: ,Ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen,’ so wird die Erklärung dieser Worte sogleich V. 33. hinzugefügt: ,Das sagte er aber, zu deuten, welches Todes er sterben würde.’ So wird Offenb. 5, 8. das Räuchwerk in den goldenen Schalen für die Gebete der Heiligen erklärt. Mittelbar, wenn sie uns die Auslegungsmittel, welches sind die Ursprache, das Vorhergehende und Folgende, der Zweck, die Parallelstellen, die Aehnlichkeit des Glaubens, der allgemeine Zweck der ganzen heilige Schrift, darreicht, welche sich in der Schrift befinden, obgleich der Gebrauch derselben von außen hinzukommt. . . . Der heilige Geist ist der beste Ausleger seiner Worte", (Theol.positivo-polem. II, 15.)

Gerhard: „Da die Schrift 1. vollkommen ist, d. h alles enthält, was zum Glauben, zu den Sitten, zum Gottesdienst und also zur Erlangung der Seligkeit gehört, so daß es nicht notig ist, ihr fremde Lehren anzuflicken; 2. da sie deutlich ist, d. H., eigentliche klare und Helle Worte gebraucht in der Darlegung der Glaubensartikel, so daß sie keines Lichtes von außen bedarf, indem das Uebrige aus dem Helleren Licht empfängt; 3. da endlich die Regel des Glaubens, die Vergleichung der Stellen, die Berücksichtigung


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des Vorhergehenden und Nachfolgenden, das Nachsehen der Quellen n. s. w. nicht etwa außer der Schrift ist: daher ist die rechtmäßig e Auslegung der Schrift die, welche aus ihr selbst und durch sie selbst geschieht." (Loc. de interpr. S. S. § 126.)

Luther: „Hieronymus meldet unter anderen neben diesem Psalm, daß in Psalmen dieser steter Brauch sei, daß allewege zehen nach einander folgende Psalmen dem Autor zustehen, des Name in vorhergehendem Psalm ausgedrücket stehet. Solcheshat er vielleicht aus der Rabbinen Tradition genommen. Ich aber zweifle nicht,dieser (90.) einige Psalm sei Mosi zuzueignen und nicht die folgenden, so keinen Titel haben. Denn die Epistel zu den Ebräern Cap. 4, 7. redet öffentlich vom 8. Vers des 95. Psalm: .Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet 2c., daß Gott solches durch David geredet habe; darum müssen wir es dafür halten, Hieronymus habe hierinnen der Juden Gedichten nachgefolget." (Auslegung des 90. Psalms vom I. 1534, V, 1086.)

Brentius: „Wenn Paulus diesen (18.) Psalm von Christo auslegt, so ist keine andere Auslegung, selbst nicht eines Engöls anzuerkennen. (^6 Ds. 18.)

Derselbe: „Da wir apostolische Zeugnise haben, welche der Grund der Kirche sind, daß dieser (2.) Psalm von Christo, dem Sohne Gottes, zu verstehen sei, so ist selbst kein Engel, geschweige ein gottloser Rabbiner, der etwas anders lehrt, zu hören." (^ä ks. 2. Dom. 3, k. 199.)

J. J. Rambach: Ein Ausleger der Schrift muß darauf bedacht sein, sich geschickte Wegführer zu erwählen, deren Fußstapfen er sicher und zuversichtlich folgen könne. Geschicktere wird er aber nicht finden, als Christum selbst und seine untrüglichen Apostel, welche, indem sie sehr viele Aussprüche des Alten Testaments, die nach der Absicht des heilige Geistes selbst von Christo reden, im Neuen Testament auslegen, zum rechten Verständnis unzähliger anderer den Schlüssel darreichen." (Institut. hermen. Lib. II. c. 4. § 6. p. 154. sq.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Die Papisten geben zwar zu, daß Niemand den Sinn hineinlegen dürfe, aber sie sagen, der Sinn liegt so verborgen darin, daß die Amtsgabe dazu gehört, um denselben zu erkennen und darzulegen; weil die Bischöfe und Priester diese Amtsgabe haben und von Christo ausschließlich dazu bestimmt sind, die Schrift auszulegen, so müsse ein Laie ihnen glauben und ihre Auslegung annehmen, wobei er ganz getrost sein könne. — Die Schrift muß sich selbst auslegen. - Nur die Auslegung fordert Glauben, wenn man beweisen kann, daß die Schrift selbst es so auslegt. Kein Mensch hat das Recht, die Schrift auszulegen, sondern allein der Heilige Geist. Wir bedürfen Niemand, der es uns erst sagt, denn der Heilige Geist hat es uns schon gesagt. Eine authentische Auslegung kann nur der geben, der die Worte selbst geredet oder geschrieben hat. Da der heilige Geist die Schrift eingegeben hat, so kann auch er allein eine authentische Auslegung derselben liefern. — Luther ist am besten im Stande zu beweisen, daß seine Auslegung die rechte sei, weil er durch die Art und Weise der Darstellung die Gewissen von dem rechten Sinn überzeugt, und sie damit zwingt, die Auslegung anzunehmen.


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§ 7.

Rechte Ausleger sind darum nur Werkzeuge, den Sinn des Heilige Geistes aus-und darzulegen, aber keine Dictatoren, deren Auslegung wir um ihres Amtes willen als untrüglich und bindend anzusehen hätten.

Hierzu folgende Bemerkungen:

Wenn Jemand auf die symbolischen Bücher schwört, so schwört er auf den Lehrinhalt, nämlich, daß alle darin enthaltenen Auslegungen dem Glauben ähnlich sind; nicht aber, daß in allen Stellen auch allemal der erste und letzte Sinn der Heilige Schrift getroffen ist. — Auf die Frage: wie ist aber das, daß die Schrift sich selbst auslegt, auf die prophetischen Stellen des Neuen Testamentes anzuwenden? wurde geantwortet: Für Gottes Wort ist nicht nur das anzunehmen, was klar und ausdrücklich in der Schrift steht, sondern auch, was durch richtige Schlußfolgerungen daraus gewonnen wird. Z. B. steht nicht ausdrücklich in der Schrift, daß der römische Pabst der Antichrist sei, aber es ist durch Schlußfolgerungen daraus zu nehmen. Es werden in der Schrift die Kennzeichen des Antichrists angeführt; nun müssen wir uns umsehen, bei wem diese Kennzeichen anzutreffen sind. Da wir nun dieselben am Pabste zu Rom finden, so müssen wir auch denselben für den Antichristen halten, obgleich er selbst nicht dafür gehalten sein will. Wenn eine Weissagung erfüllt wird, so legt sich die Schrift selbst durch solche Erfüllung aus. — Die lutherische Kirche hat bekannt, daß der Pabst zu Rom der Antichrist sei. Wer dies nicht glaubt, ist kein Lutheraner. Wie kann er es sein, da das ganze Reformationswerk darauf gegründet ist? Luther wäre ja alsdann der ärgste Betrüger von der Welt gewesen! Ist der Pabst nicht der Antichrist, so können wir getrost die symbolischen Bücher und Luthers Werke in den Ofen stecken. Was wäre doch die lutherische Kirche für eine Kirche, wenn es eine Lüge ist, daß der Pabst der Antichrist ist, da sie ja solches dreihundert Jahre lang bekannt, und um dessen willen sich von der römischen Kirche getrennt hat? — Der Glaube, daß der Pabst der Antichrist ist, hat mit der Erzeugung und Erhaltung des seligmachenden Glaubens gar nichts zu tun, sondern darum handelt es sich hierbei, ob der ein lutherischer Prediger und Bekenner sei, der das nicht glaubt. Ein wahrer Lutheraner dankt Gott Tag und Nacht, daß er ihm das Geheimnis der Bosheit geoffenbaret hat. — Die Jowaer haben nun endlich zugegeben, daß in den symbolischen Büchern stehe, daß der Pabst ex prokesso der Antichrist sei. Wie sie aber mit den Dorpatern fertig werden, die in ihrem Gutachten das Gegenteil sagen, mögen sie selbst sehen. — Wenn einige unserer Alten sagen, daß darüber, wer der Antichrist sei, in ulramyue partem disputirt werden könne, so sagen sie das nicht in Bezug auf die Lehren, wodurch der seligmachende Glaube gewirkt wird, sondern in Rücksicht auf die Artikel, wodurch der seligmachende Glaube nicht erzeugt und erhalten wird. — Wenn man etwas aus der Schrift nachweis't, so muß man es auch glauben, es mag nun fundamental sein oder nicht. — Man kann nicht eher gewiß wissen, ob die Auslegung einer prophetischen Stelle die richtige ist, als bis sie erfüllt ist. — Jede Auslegung einer prophetischen Stelle muß aber dem Glauben ähnlich sein. Wenn Jemand behauptet: es ist gewiß, daß die tausend Jahre noch nicht verflossen sind, so ist das offenbar falsche Lehre; nicht aber, wenn man sagt, es wäre möglich, daß sie erst noch erfüllt werden. — Wie


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die heilige Schrift sich selbst auslegt, sieht man recht klar aus 2 Thess. 2, 8. Zuerst heißt es: „welchen der HErr umbringen wird durch den Geist seines Mundes; und dann: „und wird seiner ein Ende macken, durch die Erscheinung seiner Zukunft." Hieraus ist klar, daß der heilige Geist unter „umbringen" nicht ein solches meint, wodurch seiner ein Ende gemacht oder wodurch er vernichtet wird; also kein leibliches, sondern vielmehr ein geistliches Umbringen oder Tödten. Umbringen oder tödten heißt: die Empfindung des Todes Hervorbringen, wie auch der Teufel getödtet und durch Christum überwunden worden ist, und doch noch fort existirt. — Durch die geschichtliche Tatsache, daß das Pabstum aufgestanden ist, wird nicht die Schrift erst ausgelegt, sondern die Schrift legt das Pabsttum aus, also nämlich, daß man dasselbe für das antichristische Reich erkennen kann. — Luther, Brenz und Rambach berufen sich z. B. auf die Auslegung von Stellendes Alten Testamentes durch die Apostel im Neuen Testamente, und halten solche Auslegung für die allein richtige und gewisse. Dagegen aber behaupten die neueren Theologen, daß, wenn z. B. Paulus eine Stelle des Alten Testamentes auslegt, solches noch gar nicht die allein rechte und wahre Auslegung sei. Eine solche Behauptung ist aber in ihrer Folge eine Gotteslästerung, daher wir denn auch mit Recht sagen: wer eine Stelle anders auslegt, als die Apostel sie auslegen, der ist verflucht.

§ 8.

Die Kirche nimmt denselben gläubig an, sie sei zu dem Verständnis desselben gekommen, wie sie wolle, und ist in solchem ihrem Glauben gewiß. Joh. 8, 31.: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger."

Luther: „Die heilige christliche Kirche . . ist nicht ein Rohr noch Zahlpfennig. Nein, sie wanket nicht und gibt nicht nach, wie des Teufels Hure, die päbstliche Kirche . . , sondern sie ist, spricht Paulus 2 Tim. 3, 15., ein Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit. Sie stehet feste, spricht er, ist eine Grundfeste und fester Grund, dazu nicht ein falscher oder Lügengrund, sondern ein Grund der Wahrheit, leuget und trüget nicht, gehet nicht mit Lügen um. Was aber wanket und zweifelt, das kann nicht Wahrheit sein. Und wozu wäre nütze oder not in der Welt eine Kirche Gottes, wenn sie,wollte wanken und ungewiß sein in ihren Worten oder alle Tage was Neues setzen, jetzt das geben, jetzt das nehmen? Ja, wozu wäre ein solcher Gott nütze, der uns also wollte wanken und zweifeln lehren? Wie der Papisten Theologie lehret, man müsse zweifeln an der Gnade; davon sonst genug ist geschrieben. Denn wo sonst die Papisten in allen Sachen hätten gewonnen, sind sie doch in diesem Hauptstück verloren, da sie lehren, daß man zweifeln müsse an Gottes Gnaden, ... die Lehre... gehört nicht in das Vaterunser, da wir sagen: Vergib uns unsere Schuld! denn sie nicht unseres Tuns, sondern Gottes selbst eigen Wort ist, der nicht sündigen, noch unrecht tun kann. Denn ein Prediger muß nicht das Vaterunser beten, noch Vergebung der Sünden.suchen, wenn er gepredigt hat (wo er ein rechter Prediger ist), sondern muß mit Jeremia sagen und rühmen Jer. 17,16.: „HErr, du weißest, das aus meinem Munde gegangen ist,


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das ist recht und dir gefällig", ja, mit St. Paulo, allen Aposteln und Propheten trotziglich sagen: Lose ckixit Dominus, das hat Gott selbst gesagt. Lr iwrum (und wiederum): Ich bin ein Apostel und Prophet JEsu Christi gewesen in dieser Predigt. Hie ist nicht not, ja, nicht gut, Vergebung der Sünde zu bitten, als wäre es unrecht gelehret; denn es ist Gottes und nicht mein Wort, das mir Gott nicht vergeben soll noch kartn, sondern bestätigen, loben, krönen und sagen: Du hast recht gelehret, denn das Hab ich durch dich geredet und das Wort ist mein. Wer solches nicht rühmen kann von seiner Predigt, der laste das Predigen anstehen, denn er leugt gewißlich und lästert Gott. Wenn das Wort sollt Sünde oder unrecht sein, wornach wollte oder könnte sich das Leben richten? Da würde gewißlich ein Blinder den ändern leiten und beide in die Grube fallen, Matth. 15 14. Wenn die Bleischnur oder Winkeleisen falsch oder krumm sollte sein, was wollte oder könnte der Meister darnach arbeiten? Da würde eine Krümme die andere machen ohn Ende und Maaße. Also auch hier kann das Leben wohl Sünde und Unrecht sein, ja, ist leider allzu unrecht: aber die Lehre muß schnurrecht und gewiß, ohn alle Sünde sein. Darum muß in der Kirche nichts, denn allein das gewisse, reine einige Gottes-Wort gepredigt werden. Wenn das fehlet,so ift's nicht mehr die Kirche, sondern des Teufels Schule. Das ist nun alles dahin geredt, daß die Kirche muß allein Gottes Wort lehren und des gewiß sein, dadurch sie der Grund und Pfeiler der Wahrheit und auf den Felsen gebauet, heilig und unsträflich heißt, das ist, wie man recht und wohl sagt: die Kirche kann nicht irren; denn Gottes Wort, welches sie lehret, kann nicht irren. Was aber anders gelehret, oder Zweifel ist, ob's Gottes Wort sei, das kann nicht der Kirchen Lehre sein." (Wider Hans Wurst. Vom I. 1541. XVII, 1680—86.)

Derselbe: „Wir lernen hier (Apostg. 15.), daß sich ein Jeglicher selbst vorsehen muß, daß er der rechtschaffenen Lehre gewiß und sicher sei, und stelle es nicht auf anderer Leute Oertern und Schließen; wo nicht, soll dich der heilige Geist bald eine Schlappe sehen lasten. Sollst du selig werden, so mußt du des Worts der Gnaden so gewiß für dich selbst stein, daß wenn alle Menschen anders sprächen, ja alle Engel Nein sagten, du dennoch könnest allein stehen und sagen: noch weiß ich, daß dies Wort recht ist; und das darum: denn die wider uns sind, haben keinen stärkeren Behelf, den sie aufwerfen, denn daß sie sagen: Ja, sollte Gott die Welt mit so viel gelehrten, frommen, heiligen Leuten so lange im Irrtum lasten bleiben? Darum meinen sie, wo der meiste Haufe hinfällt, da soll man hinnach; darauf beharren sie und schreien: Auf unsrer Seiten sind so viel und große Leute, darzu solche lange Zeit und Gewohnheit, darum können wir nicht irren. Denen halte du das für die Nase und sprich: Sollen die Größten, Meisten und Gelehrtesten schließen und setzen, warum ist denn hier geschrieben, daß über der Hauptsache des christlichen Glaubens dahin fallen die allerbesten Christen bis auf drei Personen, die allein ritterlich stehen? Darum habe ich gesagt, daß ein jeglicher Christ der Sache so gewiß müsse sein, daß er in seinem Herzen fühle, was recht und nicht


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recht sei, wie Christus sagt Joh. 10, 3. 5.: Meine Schafe hören meine Stimme und kennen mich; der Fremden Stimme kennen und hören sie nicht.’ Das Schaf muß der Stimme gewiß sein, Augen und Ohren zutun und nichts hören wollen, wie große, viele, weise, fromme Leute es sein. Tut es dasselbige nicht, löstet die Sicherheit fahren und will erst hören, was endlich geschloffen wird, so ist es schon verführet von dem Hirten. Solches hat Gott uns ange-zeiget in diesem ersten Concilio. Er lässet's geschehen, daß du deinen Glauben stärkest durch frommer Leute Zufallen, die es mit dir halten; so ferne, daß du nicht darauf traust, als könne dir's nicht fehlen. Nimm es an, verlaß dich aber nicht darauf. Der heilige Geist hat es nicht verheißen, daß er in den Con-ciliis wolle sein, sondern in den Herzen der Christen, die Er weiß. . . . Daher ist je klar, daß die Concilia ungewiß sind und mit Nichten darauf zu bauen ist. Denn nie keines so reine gewesen ist, es hat einen Zusatz und Abbruch dem Glauben getan; und je neuer, je ärger, bis zuletzt, da sie zu Costnitz die heiligen Männer Johann Huß und Hieronymum von Prag verbrannt haben." (Zwei Sermonen über 1 as 15. und 16. Cap. der Apostg. vom I. 1526. VIII, 1032—34.)

Derselbe: „Das ist nicht genug, zu sagen, solcher Spruch .möge, ihren Verstand geben, sondern sie müssen beweisen, daß er solchen Verstand erzwinge rmd dringe. Man muß in diesen Sachen gewiß, fahren, die das Gewissen betreffen, und nicht darauf stehen und sagen: es mag also verstanden werden. Mögen und müssen ist nicht eins; du mußt beweisen, es müsse also und nicht anders verstanden werden. So lang du solch „müssen" nicht beweisest, bringet dein Spruch und Verstand nichts." (Vom Anbeten des Sacra-ments an die Brürer in Böhmen re. Vom I. 1523. HX., 1604. f.)

Derselbe: „Du (Erasmus) sagst: ,Dir gefalle das Gewißschließen und Hart-Halten, wie w i r über dieser Sachx tun (das du Halsstarrigkeit nennest), gar nicht und wollest lieber dich den Skepticis, die nirgend gewiß geschlossen, gleich halten, wenn die heilige Schrift Und unverbrüchlichen Gebote der Kirche täten, welchen (als du sagest) du deinen Verstand und deine Meinung gern gehorsamlich untergeben und unterworfen willst haben, du verstehest und erlangest nun ihre Gebote und Beschlüsse, oder nicht.’ Du sagest, dies sei deine Art, diese Weise gefalle dir. . . (Aber) es ist nicht christlich, daß man solche Sachen handeln will, und darnach sagen: Ich will nichts Gewisses schließen oder beschlossen haben. Denn ein Christ soll seiner Lehre und Sache ganz gewiß sein, also, daß er seine Lehre ganz fest wisse zu gründen und gewiß zu schließen, oder ist kein Christ... Derohalben nur immer weg mit den Philosophis, es sein gleich Skeptici oder Akademie!, die also kein Ding haben wollen gewiß bejahen. Wir Christen müssen unserer Lehre aufs allergewisseste sein und gründlich und ohne alles Wanken wissen, Ja oder Nein zu sagen und dabei zu bleiben. . . Denn der heilige Geist wird darum den Christen vom Himmel gegeben, daß er die Herzen der Gläubigen heilige, sie beständig und gewiß mache, Christum zu bekennen und darauf fest zu bleiben und zu sterbe n. Heißt das nun nicht auf das allergewiffeste bejahet und beschlossen, wenn ich so auf meinem Ja bleibe, daß ich darauf sterbe? .. . Welch ein seiner Chrifteulehrer wäre mir das, der andere Leute lehrete und strafete, und wäre selbst »licht gewiß seiner Lehre, ob sie göttlich oder ungöttlich wäre! der


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müßte ja rasend und toll sein. Aber es ist schade, daß ich diesem Artikel, nehmlich daß ein Christ muß gewiß sein, welcher doch klärer ist, denn die Sonne, soll Zeit und Wort zubringen. Welcher Christ kann doch das leiden oder hören, daß Erasmus oder andere sagen, er wolle in dieser Sache, darauf eines Christen Seligkeit stehet, nichts Gewisses schließen? Denn was ist's anders, in diesen Sachen nichts Gewisses schließen, denn das ganze Christentum und den Glauben verleugnen? . . . Was ist der Unseligkeit und Verdammnis ähnlicher, denn Ungewißheit, und was ist seliger denn Gewißheit? . . Weiter, was soll ich denn zu diesen deinen Worten sagen, da du sagest: ,daß du deinen Verstand und Meinung unterwerfest der Schrift und der Kirchen, du verstehest gleich oder erlangest derselbigen Beschlüsse, oder nicht? Was ist das gesagt, Erasme, oder wie da? Ist's nicht genug, daß du dich unterwerfest der Schrift, muß man sich vonnöten auch der Kirche unterwerfen? Sage, was kann die Kirche weiter beschließen oder setzen, über das in der Schrift beschlossen ist? Und wo bleibt hie die Freiheit, zu richten und zu urteilen über alle Beschlüsse und Satzung, so die Kirche oder Concilia machen, von der Paulus schreibt 1 Kor. 14, 29., da er sagt: ,die ändern urteilen? Warum sollten wir nicht richten von Beschlüssen der Kirche, das Paulus nicht allein frei gibt, sondern auch gebeut? . . . Weiter, wie kann das einem Theologen und Christen geziemen, daß er so die Schrift und Kirche und ihre Beschlüsse in Wind schlage und sage: Er untergebe sich der Schrift und der Kirche, er verstehe es, oder nicht, was der Schrift Meinung sei, er erlange es oder nicht? Heißt sich das unter die Schrift geben, wenn ich nicht,darnach frage, ich verstehe die Meinung der Schrift oder nicht? Lieber Erasme, ich halte von dem Untergeben gar nichts und sage also: Der sei verbannet und verflucht, der sich rühmet ein Christ zu sein, und ist nicht seiner Sache gewiß, daß er verstehet, oder mit seinem Verstände erreichet, was die Schrift will oder nicht will... Deine Worte lauten eben also, als sei dir nicht viel daran gelegen, es glaube gleich jedermann, was er will, wenn nur leiblicher Friede, Ruhe und Gemach in der Welt bleibt. Ja, sie lauten eben also, als möchten wir nur, Güter, Ehre, Gerücht, Menschengunst, Friede zu erhalten, tun wie der Gernegast oder Parasit im Terentio tut, der da sagt: er brauche der Kunst: sagen sie Ja, so sage er auch Ja; sagen sie Nein, so sage er auch Nein. Es lautet schier also, als achtest du die christliche Lehre nicht viel höher, denn die Philosophie und andere menschliche Lehre, und haltest die für große Narren, die über solchem Ding so hart fechten und halten, da nichts denn Unfriede und Teilung und mannigfaltige Zertrennung leibliches Friedens aus erwächst. Aber (da Gott für sei) wenn also dein Herz stünde, so würde folgen, daß du auch sagen würdest mit jenem Philosopho: Was gehet uns das an, das über uns ist? . . Der klugen Rede und abgemessenen Worte magst du dich forthin wohl mäßigen. Denn du richtest damit nichts anderes aus, denn daß du dich läßt merken, was für ein Lucianus oder Epikurus dahinter verborgen liegt, welcher nicht tziel davon hält, daß irgend ein Gott sei, und heimlich derjenigen in die Faust lachet, die es halten oder gläuben. Laß uns


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über unsrer Lehre fechten und hart halten, dieweil uns Gott das gegeben hat und in Christo uns berufen hat; und gefällt dir's je also, magst du es mit deinen ungewissen, wankelsinnigen Skepticis und Akademicis halten, bis daß dich Christus auch rufe. Der heilige Geist ist kein Skepticus; er hat nicht einen ungewissen Wahn in unser Herz geschrieben, son-dern eine kräftige, große Gewißheit, die uns nicht wanken läßt, und (will's Gott) nicht wird uns wanken lassen, sondern (Gott Lob) so gewiß macht, als gewiß wir sind, daß wir jetzund natürlich leben, oder daß zwei und drei fünf sein." (Daß der freie Wille nichts sei, an Erasmus von Rotterdam, vom I.        1525. XVlIl., 2058— 66.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Das ist gegen die Rede gerichtet: die Kirche hat noch nicht entschieden. — Die Kirche hat nichts weiter zu tun, als der Auslegung des heilige Geistes Recht zu geben. Es ist eine erschreckliche List des bösen Feindes, daß man sagt: die Kirche hat noch nicht entschieden; man muß warten, bis gelehrte Leute kommen und es auslegen. Das heißt: nicht glauben, was Gottes Wort lehrt, sondern was die Kirche glaubt. — Die Kirche hat sich schon zu allem in vollem Glauben bekannt; sie nimmt das ganze Wort Gottes an, und bekennt sich dazu. — Es ist erschrecklich, daß man jetzt so viel von offnen Fragen redet. — Jeder beachte wohl, was die Apologie davon sagt: „Gute Gewissen schreien nach der Wahrheit und rechtem Unterricht aus Gottes Wort, und den selbigen ist der Tod nicht so bitter, als bitter ihnen ist, wo sie etwa in einem Stück zweifeln." (Art. von der Beichte und Genugthuung.)

§ 9.

Da der heilige Geist allein durch die Schrift redet, so kann die Tradition, die neben der Schrift als Wort des heilige Geistes geltend gemacht wird, und das Ansehn der Kirchenväter keine Norm der Auslegung sein.

Luther: „Das will der Bock (Emser), als viel gelehrter, denn St. Paulus, umkehren; gibt für, wir sollen nicht dem bloßen Text, sondern der Väter Auslegung folgen, und macht die Väter zu Richtern und Probirer Gottes und göttlicher Wort. Damit er beweiset, wie es wahr ist, daß keine Narrheit allein ist. Solch Gaukelwerk ist noch nie erhört worden bei den alten Vätern; es ist ein neuer Fund des Pabstes und seiner Secten, der hohen Schulen, daß nstm die Schrift nicht bloß, sondern nach der Väter Auslegung sahen will, auf daß sie dem Schwerdt entfliehen mögen." (Auf des Buch Bock's Emser zu Leipzig Antwort. Bd. 27. 246.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Man hat uns den Vorwurf gemacht: wir gingen nicht zur Schrift zurück, sondern zu den Vätern. Aber man beweise uns, wo wir irgendwie die Auslegung einer Stelle darum angenommen haben, weil sie etwa.Luther gegeben hat, Md nicht darum, weil die Schrift keine andere gibt, oder weil sie dem Glauben ähnlich Ist. — Die Lehren, welche die Symbole aus der Schrift gezogen haben, muß ein Lutheraner annehmen. — Gott hat uns nie zur Tradition gewiesen, sondern


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allein zur Schrift, wie solches die Schrift selbst bezeugt 5 Mos. 4, 2.: „Ihr sollt nichts dazu tun, das ich euch gebiete, und sollt auch nichts davon tun, auf daß ihr bewahren möget die Gebote des HErrn, eures Gottes, die ich euch gebiete."

§ 10.

Darum kann auch die Vernunft nicht als Norm gelten.

2 Cor. 10, 5.

Luther: „Die Bibel und Schrift ist nicht ein solch Buch, so aus der Vernunft oder aus Menschenweisheit herfleußt. Der Juristen und Poeten Künste kommen aus der Vernunft, und mögen wiederum von der Vernunft verstanden und gefastet werden. Aber Mosis und der Propheten Lehre kommt nickt aus der Vernunft und Menschenweisheit. Darum wer sich unterstehet, Mosen und die Propheten mit der Vernunft zu begreifen und die Schrift zu messen und zu rechnen, wie sich's mit der Vernunft reime, der kommt gar davon. Denn auch alle Ketzer, von Anfang her, entstanden sind daher, daß sie gemeinet haben, was sie in der Schrift lesen, das möchten sie so deuten, wie die Vernunft lehret. St. Paulus 1 Cor. 1. spricht: ,wir predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Aergenis und den Griechen eine Torheit. Denen aber, die berufen sind, beide Juden und Griechen, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.’ Den Juden, spricht er, predigen wir eitel Anlaufen, daran sie sich stoßen und darüber sie toll und thörickt werden; sie können's weder hören noch sehen. Den klugen Heiden predigen wir eitel Torheit, darüber sie zu Narren werden, weil es wider ihre Vernunft gehet, die es nicht leiden kann; welche aber einfältige Schafe sind, unter Juden und Heiden, die sprechen: Gott hat's geredt, darum glaube ich's; die könuen's fassen und verstehen. Und Christus selbst, Matth. 11., danket seinem himmlischen Vater mit fröhlichem Herzen, der solches den Weisen und Verständigen verborgen und den unmündigen, albernen Narren und Kindern offenbart hat. Ich lobe unsern HErrn Gott darum, daß er's tun darf. Wo er's nicht getan hätte, so wollt ich ihn bitten, daß er's noch tun wollte. Denn man kann die weisen Leute und die hohe Vernunft nicht unterweisen noch bedeuten in göttlichen Sachen, von der Taufe, von Christo, vom Glauben, von der Seligkeit und ewigem Leben." (Hauspost. Pred. am 2. Ostert. Bd. 3, 335. 336.)

Derselbe: „St. Augustinus klaget, daß er erstlich mit freier Vernunft in die Schrift gelaufen sei und neun ganzer Jahre darin studirt, habe wollen die Schrift mit der Vernunft begreifen; aber je mehr er darin studirt habe, je weniger habe er davon verstanden, bis er endlich mit seinem Schaden erfahren hat, daß man müsse der Vernunft die Augen ausstcchen und sagen: Was die Schrift saget, das lasse ich mit der Vernunft ungeforscht, sondern glaube es mit einfältigem Herzen." (Ebendaselbst p. 346.)

Hierzu folgende Bemerkungen:*)

Die Vernunft muß man haben, um die Schrift zn verstehen. Sie hat eine zweifache Aufgabe: 1. zu vernehmen, was die Schrift sagt. Sie ist die Laterne,

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*) Dannhauer (kroürow. Llltlodristosoxd. P. 67.) Siebe „Lehre und Wehre". Avrilbest 1SV7. S. 108.


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worein das Licht gestellt wird; aber nicht das Licht selbst. Sie heißt Vernunft, weil sie vernimmt. 2. zu verstehen, was von natürlichen Dingen in der Schrift steht. Was aber geistliche Dinge anlangt, so ist sie blind. — Da muß man ihr zwar die Augen ausstechen, sie aber doch nicht wegwerfen, da sie gleichsam der Boden ist, auf den der heilige Geist die himmlischen Gedanken aussät. — Die erleuchtete Vernunft hat in geistlichen Dingen auch nichts zu sagen. — Wie soll sie dem Worte Licht geben können, da sie doch erst durch dasselbe erleuchtet wird! —

§ 11.

Dasselbe gilt auch von dem sogenannten innerlichen Licht des Geistes, von dem die Schwärmer reden. Schmalkald. Art. 3, 8.

Bemerkungen:

Es gibt keine Wirkung des Heilige Geistes ohne durch's Wort. — Außer dem Wort kann Niemand den heilige Geist haben. — Das innere Licht, dessen sich die Schwärmer, besonders die Quäker, rühmen, ist des Teufels Licht.

§ 12.

Ein Ausleger muß daher seine Auslegung allein aus der Schrift selbst als richtig beweisen.

Luther: „Wenn sie (die Väter) einen Ort der Schrift auslegen, so tun sie es nicht mit ihrem eignen Sinn oder Wort (denn wo sie das tun, wie oft geschieht, da irren sie gemeiniglich), sondern bringen einen ändern Ort herzu, der klarer ist, und also Schrift mit Schrift erleuchten und auslegen." (Auf das Buch Boo s Emser zu Leipzig Antwort. Bd. 27, 244.)

Derselbe: „Und aller Väter Bücher muß man mit Bescheidenheit lesen, nicht ihnen glauben, sondern darauf sehen, ob sie auch klare Schrift führen und die Schrift mit Heller Schrift verklären." (Ebendas, p. 248.)

Bemerkungen:

Es ist überaus wichtig, daß ein Ausleger seine Auslegung aus der Schrift beweisen muß. — Wahre Auslegung ist die Schrift selbst. —

§ 13.

Als eine Auslegung der Schrift mit Schrift müssen wir auch die gelten lassen, da solche Sprüche angeführt werden, aus denen das zu Beweisende gefolgert werden kann und muß.

Bemerkungen:

Hier tritt derjenige Gebrauch der Vernunft ein, nach welchem sie Schlußfolgerungen machen soll. Als Beispiel gilt die Stelle Matth. 22, 29. u. ff. In dieser Stelle wird auf die Lehre von der Auferstehung der Todten hingewiesen, wie dieselbe nämlich durch notwendige Schlüsse daraus gefolgert werden muß. Christus tut das selbst, indem er zuerst sagt: „Ihr verstehet die Schrift nicht," doch aber hierauf die Schrift selbst nicht anführt, sondern einen ganz subtilen Schluß macht und die Lehre von der Auferstehung der Todten damit beweis't. Gott ist nur dessen Gott, der sein Vertrauen auf ihn setzt; weil er sich nun den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nennt, so müssen Abraham, Isaak und Jakob,


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obgleich sie leiblich gestorben sind, dennoch leben, also gibt es eine Auferstehung der Todten. „Ihr verstehet die Schrift nicht", spricht Christus deshalb zu den Juden, weil sie diese Schlußfolgerung nicht machten und anerkannten. — Wenn man von einem Gegenstand sagt: jeder Teil dieses Gegenstandes ist von Eisen; so macht ein jeder die richtige Schlußfolgerung daraus: also ist das Ganze von Essen. — Was aus der Schrift folgt, das steht auch darin. In der Bibel steht nicht das Wort „dreieinig", auch nicht: „drei Personen", und doch glauben und bekennen es die Christen, weil es notwendig aus der Schrift folgt. — Fast alle Lehren des Christentums sind Resultate solcher Schlußfolgerungen. — Was in der Concordienformel steht, ist nichts weiter, als eine sorgfältige Auflesung dessen, was in der heilige Schrift geoffenbaret ist.

§ 14.

Jede Auslegung muß dem Glauben ähnlich sein. Nöm. 12, 7: „Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich."

2 Tim. 1, 13.: „Halt an dem Vorbild der heilsamen Worte, die du von mir gehört hast, vom Glauben und von der Liebe in Christo JEsu."

Apologie: „Die Verständigen und Gelehrten wissen wohl, daß man alle Exempel nach der Regel, das ist, nach der klaren Schrift, und nicht wider die Regel oder Schrift soll anslegen oder einführen." (Art. 27.)

Concordienformel: „Wie der Apostel zeuget (Rom. 15, 4.): Alles was geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch Geduld Md Trost der Schrift Hoffnung haben: da uns aber durch die Schrift solcher Trost und Hoffnung geschwächet und gar genommen, so ist gewiß, daß sie wider -des heilige Geistes Willen und Meinung verstanden und ausgelegt werde." (Wiederholung. Art. 11.)

Gerhard: „Jede Auslegung der Schrift muß dem Glauben ähnlich sein. Diese Regel wird Röm. 12, 6. vorgelegt; der Sinn derselben ist, daß die Auslegung der Schrift also angestellt werden und beschaffen sein solle, daß sie mit der beständigen Meinung übereinstimme, welche von jedem Hauptstück der himmlischen Lehre in der Schrift vorgelegt wird. Denn da die ganze Schrift von dem unmittelbaren Triebe des heilige Geistes herkommt und von Gott eingegeben ist, so ist daher auch Alles in derselben zugleich wahr und kommt mit einander auf das beste überein, so daß nichts Widerwärtiges oder Widersprechendes oder unter sich Uneiniges in derselben vorkommt. Die Glaubensartikel, welche der Apostel an dieser Stelle unter dem „Glauben" versteht, deren Kenntnis Allen zur Seligkeit notwendig ist, werden mit klaren und deutlichen Worten in der Schrift gelehrt, und es wird eine Summe derselben in dem apostolischen Symbolum, welches die Väter öfters die Regel des Glaubens nennen, kurz wiederholt. Gegen diese Glaubensregel darf Nichts in der Auslegung der Schrift vorgebracht werden, und darum müssen wir, wenn wir ja den eigentlichen vom heilige Geist beabsichtigten Sinn jeder Stelle nicht immer erreichen können, doch sorgfältig uns hüten, daß wir nichts gegen die Aehnlichkeit des Glaubens Vorbringen." (Dxeses. Doe. cke 8. 8. Z S31.)


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Joh. Musäus: „Die erste Eigenschaft der zum Wachstum gehörigen Lehrpunkte oder sogenannten zulässigen Neuerungen ist, daß sie der Analogie des Glaubens, wie Paulus Röm. 12, 6. redet, gemäß oder, wie es Luther gegeben, dem Glauben ähnlich sei und keinen in heilige Schrift geoffenbarten und von der allgemeinen christlichen Kirche angenommenen Glaubensartikel weder direct, noch in-direct und durch eine Folgerung verletze oder umstoße. . . Woraus denn erhellet, daß, wenn man vom Wachstum in der Erkenntnis des Glaubens und dessen Unterschied von ändern verwerflichen Neuerungen in der Glaubenslehre recht urteilen will, man zum ersten und für allen Dingen die Analogie des Glaubens für Augen haben, und betrachten müsse, ob die neu herfürgebrachte Erklärung einer schweren Frage oder Auslegung eines schweren biblischen Spruchs der Analogie des Glaubens gemäß und keinem Glaubensartikel zuwiderlaufe, keinen schwäche oder umstoße." (Bedenken über die Streitigkeiten der Wittenberger mit den Helmstädtern. S. Oalovii Hiswria s^vormismi. S. 1028.)

Pfeiffer: „Die Aehnlichkeit des Glaubens oder das Vorbild der heilsamen Worte ist die ganze Reihe oder Summe der himmlischen Lehre von dem, was zu glauben ist, oder von den Artikeln des Glaubens, welche aus solchen Schriftstellen entnommen ist, wo der heilige Geist von denselben absichtlich oder doch nach Aller Eingeständnis handelt, und zwar mit runden, einfachen, deutlichen und über alle Einwendungen erhabenen Worten. Daß diese Aehnlichkeit des Glaubens in der Erklärung der Schrift durchaus zu berücksichtigen sei, und zwar vor allem, deutet der Apostel Röm. 12, 6. klar an, wo er fordert, daß die Weissagung dem Glauben ähnlich sei, und 2. Tim. 1, 13. empfiehlt er dem Timotheus das ,Vorbild der heilsamen Worte'. Dasselbe rät ferner die gesunde Vernunft selbst, nähmlich daß die besonderen und dunkeln Stellen den allgemeinen und unzweifelhaften Aussprüchen gemäß auszulegen seien. Z. B. eine über allen Zweifel und über jeden Einwand erhabene Stelle ist, daß Gott die Sünde nicht wolle und daß er also keine Ursache derselben sei, nach Ps. 5, 5. Da nun dieser Ausfpruch keinen Zweifel zuläßt, so darf durchaus keine Erklärung irgend einer Schriftstelle zugelassen werden, welche dies umstoßen würde. . . Da aber Alle, auch die Irrgläubigen, die Aehnlichkeit des Glaubens vorschützen und für sich anführen, . . so ist die Frage, woraus zweifellos offenbar sein könne, welches die bei Auslegung der Schrift zu beobachtende Aehnlichkeit des Glaubens sei? Ich antworte: Heber die Aehnlichkeit des Glaubens ist aus der Schrift und namentlich aus dem ursprünglichen und eigentlichen Sitz der Artikel in derSchrift zu urteilen, da es keinen zur, Seligkeit zu glauben nötigen Artikel gibt, welcher nicht irgendwo beabsichtigtermaßen mit deutlichen und runden Worten vorgeleg 1 würde. Z. B. vom heilige Abendmahl wird mit Absicht und wie an seinem eigentliche» Sitze in den Emsetzungsworte» gehandelt. Wenn


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daher über diesen Artikel ein Zweifel oder Streit entsteht, ist schlechterdings dorthin zurückzugehen und nicht zu zweifelhaften Stellen, z. B. auf die Geschichte von der Reise nach Emmaus, Luc. 24., oder zu Joh. 6. Denn dort findet sich vom heilige Abendmahl keine Spur; hier aber wird zwar von dem Esten des Leibes und von dem Trinken des Blutes Christi gehandelt, aber nicht von dem sacrameutlichen. welches im heilige Abendmahl geschieht. So wagen selbst die Gegner, auch die unverschämtesten, nicht, zu leugne», daß Mm. 3. von der Rechtfertigung vorsätzlich gehandelt werde. Also sind nach dem Inhalt dieses Capitels alle Schriftstellen zu erklären, wo von dieser Materie zufällig und anwendungsweise gehandelt wird. . Unter der Analogie des Glaubens versteht man die Zusammenstimmung und die Harmonie der Hauptstücke oder Artikel der christlichen Religion. Denn der Glaube ist in seiner Verbindung Einer und einer goldnen Kette gleich, welche derjenige, der ein Glied auflös't, ganz zerreißt, wie Luther sagt. Man muß daher so von einer Stelle Hallen, daß dadurch nicht mehreren entgegengetreten wird. . . Daß die Analogie des Glaubens aus dem eigentlichen Sitz jedes Artikels zu beurteilen sei, lehrt Christus Matth. 19, 3. ff-, bei Entscheidung der Streitfrage von einer willkürlichen Scheidung. Die Juden beriefen sich zwar auf eine Stelle, welche die Hauptstelle nicht war, auf 5 Mos. 24, 1.; aber Christus wies sie auf den eigentlichen Sitz der Glaubenslehre von der Ehe, 1 Mos. 2, 24." (Ikesnurus der-insu., eap. XII., § 1 — 4., p. 355. sgg.)

Baier: „Da der von Gott entsprungenen Schrift ohne Zweifel die höchste und genaueste Harmonie eigen ist, es auch gewiß ist, daß Gott die Hauptstücke des Glaubens und der Sitten, welche zu wissen nötig ist, mit deutlichen und klaren Worten ausgedrückt habe, so muß man bemüht sein, die ganze Schrift zu durchlaufen und daraus alsobald die Summa der himmlischen Lehre zu fassen und, wenn man diese und alle einzelnen Teile derselben wohl inne hat, darnach in der Auslegung aller ändern Aussprüche der Schrift so verfahren, daß man keinem Spruch einen Sinn unterlege, der nicht mit jenen Hauptstücken der Schrift und mit der ganzen Summe wohl übereinkomme." (Oompenö. tk. exe§6l. p. 38.)

Pfeiffer: „Welche Auslegung der Schrift dem Glauben nicht ähnlich ist, dieselbe ist falsch und irrig, denn das intendirt Paulns, wenn er spricht: ,Hat Jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich, q. d.. (als wollte er sagen): sonst taugt sie nicht, und ist nicht Werth, daß man sich damit hören lasse. Nun aber ist die chiliastische Weissagung oder Auslegung dem Glauben mit nickten ähnlich. Ergo ist sie falsch und irrig. . . Wenn nur Ein Glaubensartikel angetastet wird, so ist die Auslegung schon dem Glauben nicht ähnlich. Jedoch will ich für diesmal mit unwidertreiblichen Gründen dartun und erweisen, daß der chiliastische Schwarm drei hochwichtige Artikel unseres Glaubens, nämlich 1. vom Reiche Christi, 2. von der Zukunft Christi zum Gericht, 3. von der Auferstehung der Todten, obschon nicht directe und gleichzu umstoße, jedoch indirecte und nach notwendigen in der heilige Schrift festgestellten Eigenschaften und Umständen gefährlich antaste und ihnen einen gewaltsamen Stoß gebe." (Antichiliasmus. 2. Aufl. Lübeck, 1729. S. 138. f.)


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Hierzu folgende Bemerkungen:        ,

Die Jowaer berufen sich auf Musäus, indem sie sagen: Die Mlssourier wären die wiederauferstandenen Wittenberger, sie aber die Jenenser. Diese wären die moderaten und jene die fanatischen. Musäus habe behauptet: die Kirche müsse sich immer fortentwickeln; Calov aber sage: sie sei schon fertig. — Es hat keiner von beiden so geredet. Musäus gibt zwar ein WachStum zu, aber kein solches, wie es die Neueren wollen. — Die Neueren sagen: die Kirche sei wie ein Mensch, der da zunehme und immer mehr in der Erkenntnis wachse. So sagt z. B. Dr. Kurtz: „Wir sind die Väter, die Alten sind die Kinder." — Die Kirche ist aber dem Monde zu vergleichen. Wie derselbe balv im Zunehmen, bald im Abnehmen begriffen ist; wie es wieder Neumond und ganz finster ist, so ist es auch mit der Kirche. Wenn Gott seiner Kirche eine große Gnade verleiht, so empfängt sie auch ein großes Licht. Wo aber dieselbe nicht mit rechter Dankbarkeit und Treue erkannt wird, so wird's allmählich wieder finster. Zur Zett der Reformation schenkte Gott seiner Kirche ein großes Licht; bald nach Luthers Tode ward es aber wieder finster. Zur Zeit der Concordienformel flackerte dieses Acht wieder etwas auf, schien auch im ganzen siebenzehnteu Jahrhundert, nn achtzehnten Jahrhundert aber ward's wieder ganz finster. Nun ist m der jetzigen Zelt jenes Licht wieder etwas aufgeflackert. Es ist daher Torheit, von Fortschritt reden zu wogen — Die Kirche ist gleich der Sonne, die durch eine Wolke verdeckt wird: geht die Wolke weg, so scheint die alte Sonne wieder - Wenn Musäus von einer Neuerung redet, so versteht er darunter eme neue Antwort auf eine schwere Frage welche Antwort aber dem Glauben ähnlich sein muß. — Eine sehr schwere Frage ist z. B. diese: Wie wird die Seele des Menschen fortgepflanzt. Die Schrift gibt darüber keinen Aufschluß, und die Theologen haben sich darüber schon fast die Köpfe zerbrochen. Auch jetzt sind sie noch nicht darüber em,g. — Musaus will daher nur. daß man Niemand deshalb verdamme, weil er eine solche Frage wieder anders beantwortet, nur daß eine solche neue Antwort dem Glauben Ähnlich sei. _ In der Stelle Rom. 12, 7. ist unter „Weissagung" Schrlftauslegung zu verstehen, weil der Apostel in dieser Stelle eine Norm angibt, nach welcher die Schrift ausgelegt werden soll. Die Vorausverkündigung zukünftiger Dmge kann deshalb nicht darunter gemeint sein, weil ja der Apostel damit dem Gels eme Norm vorgeschriebe» hätte! Auch keine subjective Meinung, da das Wort derselben vorhergehen muß. Auch nicht der Glaube, da .berielbe ba d stark, ba d schwach ist. — Die Schrift redet vom Glauben m zweifacher Beziehung, 1.: in Bezug auf das, was geglaubt wird, und 2.: in Bezug auf das, womit geglaubt wird; welcher von beiden gemeint ist, muß der Zusammenhang ergeben. — In der Schrift sind keine Widersprüche. Wenn z. B. m der Schrift g s g -Christus ist Gott und Mensch, so ist das kein Widerspruch; wenn es aber heiße Christus ist Gott, und Christus ist nicht Gott, so wäre es einer. — In der Stelle Ephes. 4. 5. ist unter „Glaube dasselbe zu verstehen, was Rom. 12, 7. gemeint ist. - Ein jeder Christ muß wissen, daß die Schrift deutlich und klar ist. dH muß auch alles darin offenbart sein, was zur Seligkeit notwmdig ist. Die Summa alles dessen aber nennet die Schrift „den Glauben.  Wenn ein Lehrer nicht das predigt, was ein Christ entweder schon aus Gottes Wort weiß, oder was


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doch dem Glauben ähnlich ist, so ist er kein Ausleger, sondern ein Verkehrer. — Die Stelle 1 Joh. 2, 27. muß nach Rom. 12, 7. erklärt werden. Jede vorgebliche „Salbung" muß dem Glauben ähnlich sein. Ein Christ muß daher sagen: beweise deine Salbung aus der heilige Schrift. Daher steht 1 Joh. 4., daß man die Geister prüfen solle, weil es viele falsche Geister gibt.

§ 15.

Das Alte Testament muß aus dem Neuen erklärt werden.

Luther: „Wir Christen haben den Sinn und Verstand der Biblia, weil wir das Neue Testament, d. i., JEsum Christum haben, welcher im Alten Testament verheißen und hernach kommen, mit sich das Licht und Verstand der Schrift bracht hat, wie er spricht Joh. 5.: Mose hat von mir geschrieben. Wo ihr Mose glaubtet, so würdet ihr mir auch glauben; item Luc. 24.: Es muß erfüllet werden, was im Gesetze, Propheten und Psalmen von mir geschrieben ist. Und

öffnet ihnen den Sinn, daß sie konnten die Schrift verstehen. Summa,

wenn wir unsern Fleiß nicht dahin kehren, daß wir die ebräische Biblia, wo es immer sich leiden will, zum Verstand des Neuen Testamentes ziehen, wider den Verstand der Rabbinen, so wäre es besser bei der alten Dolmetschung blieben" 2c. (Von den letzten Worten Davids. Bd. 37, 3. 5.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Das Alte Testament selbst zwingt uns schon, das, was im Neuen Testament vom Alten Testament aufgeschlossen wird, so und nicht anders zu verstehen. — Wo im Neuen Testament gesagt wird: Da ist erfüllt, was da oder dort im Alten Testament geschrieben ist, so ists auch in der Tat und nichts weiter erfüllt und man darf von keinem Vorbilde reden. — Ein Christ muß sckon durch das Alte Testament zu der Gewißheit gelangen, daß der heilige Geist durch dasselbe allein auf Christum hinweis't, wenn auch im Neuen Testament nichts davon stünde. — Alle Lehren des Neuen Testamentes sind schon im Alten Testamente enthalten und zwar h.ell und klar, selbst die Lehre von der Gottheit Christi, von der heiligen Dreieinigkeit. Denn die Apostel haben ja alles, was sie lehrten, ans dem Alten Testament bewiesen und beweisen müssen, weil sie sonst nicht Gottes Boten gewesen wären. — Auch gegen die Chiliasten ist dieser Paragraph gerichtet, weil sie das Nene Testament aus dem Alten Testament auslegen. Das Alte Testament redet von der „letzten Zeit". Das Neue Testament zeigt, daß darunter die Zeit des Neuen Testamentes zu verstehen ist. Nach dem Fall mußte der Heiland kommen; nach seinem Kommen aber war das Drama der Menschheit, so zu sagen, vorbei. Gottes große Gnade ist es, daß die Welt noch länger steht". Chiliasten und Schwärmer warten aber noch auf große Dinge, obgleich schon alles reisefertig ist.

§ 16.

Die dunklen Stellen der heilige Schrift sollen nach den helleren beurteilt werden, nicht umgekehrt.

Luther: „Die heiligen Lehrer haben die Weise, Schrift auszulegen, daß sie Helle, klare Sprüche nehmen und machen damit dunkel wankel Sprüche klar; ist auch des heilige Geistes Weise, mit Licht die Finsternis zu erleuchten. Aber


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unsere Schwärmer tun widersinnisch, sie zwacken etwa aus einem Text ein dunkel wankel Wort, das ihrem Dünkel gefällt, lassen dazu fahren, was daneben stehet, laufen darnach hin und wollen damit einen Hellen klaren Text dunkel und wankel machen, sprechen darnach, es sei die lauter Wahrheit. Das ist die Weise des Teufels, der ein Herr der Finsternis ist und mit Finsternis das Licht will dunkel machen." (Daß diese Worte Christi: „Das ist mein Leib 2c." noch fest stehen. Bv. 30, 113.)

Derselbe: „Also sagen wir, daß die Schrift soll Richter sein, alle Geister in der Gemeine zu prüfen, 1 Thess. 5, 14.; denn das müssen alle Christen vor allen Dingen für wahr halten und wissen, daß die heilige Schrift ein geistlich Licht ist, viel Heller denn die Sonne, Ps. 119, 105. 2 Pet. 1,19., sonderlich in den Sachen, die da nötig einem Christen sind zu wissen und dienlich zur Seligkeit. Dieweil aber die Leute durch die obgedachten teuflischen Lehren des Pabstes und der Papisten eines ändern überredet, nämlich daß die Schrift dunkel sei und mancherlei Verstand habe: so müssen wir das hier als unsern Hauptgrund, auf Latein primum principium, durch welchen wir alles andere beweisen werden, erst auch beweisen, das bei den Philosophis wäre für ganz ungeschickt und unmöglich angesehen." (Antwort an Erasmus, daß der freie Wille nichts sei, vom I. 1525. XVIII, 2157.)

Derselbe: „Die Sophisten haben gesagt, die Schrift sei finster; haben gemeinet, Gottes Wort sei von Art so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, daß aller Mangel liegt an den Sprachen; sonst wäre nichts leichteres je geredt, denn Gottes Wort, wo wir die Sprachen verstünden. Ein Türke muß mir wohl finster reden, welchen doch ein türkisch Kind von sieben Jahren wohl vernimmt, dieweil ich die Sprache nicht kenne." (Schrift an die Ratsherrn aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen, vom I. 1524. X, 551. f.)

Derselbe: „Wenn euch aber Jemand von ihnen antastet und spricht: Man muß der Väter Auslegen haben, die Schrift sei dunkel — sollet ihr antworten, es sei nicht wahr. Es ist auf Erden kein klär er Buch geschrieben, denn die heilige Schrift; die ist gegen alle andere Bücher gleichwie die Sonne gegen alle Lichter. Sie reden solch Ding nur darum, daß sie uns aus der Schrift führen und sich selbst zu Meistern über uns erheben, daß wir ihre Traumpredigten glauben sollen. Es ist eine greuliche große Schmach und Laster wider die heilige Schrift und alle Christenheit, so man sagt, daß die heilige Schrift sinfler sei und nicht so klar, daß sie jedermann möge verstehen, seinen Glauben zu lehren und zu beweisen. Das merke dabei: Sollte cs nicht große Schande sein, da ich oder du ein Christ genen-net wäre, und wüßte nicht, was ich glaubte? Weiß ich aber, was ich glaube, so weiß ich, was in der Schrift steht, weil die Schrift nicht mehr, denn Christum und christlichen Glauben, in sich hat. Darum wenn der Glaube die Schrift nur höret, so ist sie ihm so klar und lichte, daß er ohne aller Väter und Lehrer Glossen spricht: Das ist recht; das gläube ich auch. . . . Das ist wohl wahr, etliche Sprüche der Schrift sind dunkel, aber in denselben ist nichts anders, denn eben was an andern


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Orten in den klaren offnen Sprüchen ist. Und da kommen Ketzer her, daß sie die dunklen Sprüche fassen nach ihrem eignen Verstände und fechten damit wider die klaren Sprüche und Grund des Glaubens. Da haben denn die Väter wider sie gestritten durch die klaren Sprüche, damit erleuchtet die dunklen Sprüche, und bewiesen, daß eben das im Dunkel gesagt sei, das im Lichten. . . . Seid nur gewiß, ohne Zweifel, daß nichts helleres ist, denn die Sonne, das ist, die Schrift; ist aber eine Wolke dafür getreten, so ist doch nichts anders dahinten, denn dieselbe Helle Sonne. Also, ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewiß dieselbe Wahrheit dahinten, die am ändern Orte klar ist, und wer das Dunkel nicht verstehen kann, der bleibe bei dem Lichten." (Auslegung des 37. Ps. vom I. 1521. V. 456. ff.)

Derselbe: „Ist irgend eine Dunkelheit in der Schrift, das ist an etlichen Orten der Worte und Sprache halben, und daß ich's auf Lateinisch-Griechisch nenne, der Grammatik halben, und ist gemeiniglich eine solche Dunkelheit, die da nichts hindert, die fürnehmste Zahl und die ganze Hauptsache der Schrift zu erkennen. Denn was kann für ein größer, höher oder-tiefer Geheimnis sein, denn Christus? Dieweil nun die Siegel sind aufgetan, Offb. 6, 1., und der Stein vom Grabe gewälzet, Matth. 28, 2., und das höhe ste'Geheimnis hervorgetan ist, daß Christus, der ewige Gottes Sohn, Mensch sei, Ebr. 2, 14. 16., daß ein ewiger Gott sei in drei Personen, 1 Joh. 5, 7., daß Christus für unsere Sünde gestorben ist, Röm. 4, 24., und ewig im Himmel regieret, Marc. 16, 19.; wie denn das öffentlich in aller Welt geprehigt wird, daß es auch die Kinder hören und wissen: was kann denn für ein größer, verborgner Ding oder Geheimnis sein, denn Christus ist? Und wenn man Christum aus der Schrift wegnimmt, sage, was bleibet für Geheimnis? Darum ist das sehr närrisch und unchristlich: nachdem es je wahr ist, daß die Hauptstücke und je alles, was ein Christ wissen muß, am Hellen klaren Lichte sind, durch dürre Wort der Schrift offenbart, daß du uni etlicher Sprüche willen willst sagen: „Es sind noch große verborgene Dinge-dahin-ten"; so dvch nichts größers sein kann, denn das Erkenntnis Christi. Ob auch an etlichen Orten der Schrift die Spruche dunkel sind, so sind sie doch an ändern Orten in der Schrift klar. Und ist das einige Hauptstück oder Sache, nehmlich der Glaube und Christus, die aller Welt in der Schrift wird vorgetragen, hier mit Hellen klaren Worten, dort mit verborgenen dunklen Worten vorgelegt. Was liegt nun daran, wenn das Hauptstück der ganzen Schrift durch klare dürre Sprüche am Tage ist, als durch die Epistel zun Römern, ob etliche Sprüche, die von derselbigen Sache reden, noch dunkel-sind? . . Daß aber Etliche sind, als die Sophisten und Andere, denen auch die Hauptsache der Schrift und Gottes Wort verborgen ist, das i st nicht der Dunkelheit der Schrift Schuld, sondern vielmehr ihrer Blindheit, daß sie so verstockt sind, daß sie die öffentliche Wahrheit nicht erkennen oder begehren zu erkennen, wie St. Paulus von den Juden sagt 2 Kor. 3, 15.: 'Auf den heutigen


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Tag ist die Decke vor ihnen gehänget'; und aber, da er sagt Cap. 4, 3.: .Ist unser Evangelium verdeckt, so ists denen, die verloren werden, verdeckt!' Ja, nach der Weise aber, wenn mir darum die Schrift soll dunkel sein, daß ich viel nicht verstünde, möchte ich auch sagen, die Sonne wäre dunkel, wenn ich wollte die Augen verdecken oder aus dem Licht ins Finsternis gehen. Was zeihen aber die armen blinden Menschen die Schrift und das heilige reine Gottes-Wort, daß sie um ihrer Blindheit willen soll dunkel genennet werden? . . Also reimen sich auch die Exempel gar nichts, damit du doch heimlich willst, weiß nicht was, gestochen haben, von den drei Personen der Gottheit, 1 Joh. 5, 7., von der Vereinigung der Menschheit und Gottheit Christi, Joh. 1, 14., von der Sünde in den heilige Geist, Matth. 12, 13.; welche Artikel du sagst, daß sie auch noch dunkel und uuberichtet stehen. Denn so du damit willst gemeinet haben der Sophisten vergeblich Gezänk, die sie bei diesen Stücken aufbracht haben, was hat dir da das Wort Gottes getan und die reine heilige Schrift, daß du der willst der heillosen Sophisten Mißbrauch Schuld geben? Die Schrift redet klar genug davon, und saget, daß drei Personen Ein Gott sein, 1 Joh. 5, 7., daß Christus wahrer Gott und Mensch sei, Gal. 4, 4. Ebr. 2, 14., daß eine Sünde wider den heilige Geist sei, die nicht vergeben wird, Matth. 12, 31. Marc. 3, 28. 29. Da ist nichts Dunkels oder Finster s. Wie aber das alles zugehe, da-drückt die Schrift nicht aus, ist auch nicht nvth zu wissen. Die Sophisten haben da ihre Träume nach ihren Köpfen herbracht; die magst du schelten, die heilige Schrift ist freilich unschuldig. So du aber mit deinen Worten diese Artikel an ihnen selbst willst gemeinet haben, als sein sie dunkel, hast du abermals die Schrift nicht zu schelten; sondern vielmehr die Arianer und dergleichen, denen das Helle Evangelium verdeckt ist gewesen, daß sie die klaren Sprüche von der Dreieinigkeit, von der Menschheit und Gottheit Christi, durch Verblendung des Teufels nicht gesehen haben. Und daß ich kurz davon rede: Es i st zweierlei Klarheit und zweierlei Dunkelheit der Schrift: eine ist äußerlich an der Schrift selbst, wie sie da liegt: und daselbst ist nichts dunkles oder zweifelhaftiges, sondern ist alles durch die Hellen Worte der Schrift klar ans Licht gegeben der ganzen Welt, was für Hauptstücke die ganze Schrift in sich hält; die andere ist inwendig im Herzen, daß einer die geistlichen Sachen und Dinge, so die Schrift vorhält, erkenne und verstehe, 1 Kor. 2,14. Und so du von derselbigen redest, so ist kein Mensch auf Erden, der den geringsten Tüttel von der Schrift verstehe oder sieh et, ohne diejenigen, so Gottes Geist haben. Denn da sind alle Menschen von Art und Natur blind und haben ein verfinstert Herz, daß, ob sie Wohl viel lesen oder reden von der Schrift, doch gar nichts der Sachen merken, sehen oder erkennen, glauben auch nicht ernstlich oder wahrlich, daß ein Gott sei oder daß sie von Gott Leib und Leben haben oder geschaffen sind; wie denn von der angebornen Blindheit der 14. Psalm V. 1. sagt: ,Der Gottlose sprach in seinem Herzen, Gott ist nichts, es ist kein Gott? Denn die Schrift oder auch das Geringste in der Schrift wird ohne den heilige Geist freilich niemand auf Erden erkennen oder verstehen. (Antwort au Erasmus, daß der freie Wille nichts sei, vom I. 1525. XVIII, 2068—2072.)


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Derselbe: „Das ist der ganzen heilige Schrift Eigenschaft, daß sie durch allenthalben zusammengehaltene Stellen und Oerter sich selbst anslegt, und durch ihre Regel des Glaubens alleine will verstanden sein. Und das ist über und vor allen die sicherste Weise zu erforschen den Sinn der Schrift, so du aus Gegeneinanderhaltung und Wahrnehmung vieler Sprüche zum Verstände zu kommen dich befleißest." (Zu 5 Mos. 1, 19—26. III, 2042.)

Derselbe: „Wenn sie sagen, die Väter, Augustinus, Ambrosius, Hieronymus, und andere haben die Schrift erleuchtet, da lügen sie an; denn sie haben sie nicht erleuchtet, sondern die Schrift mit ihrem eignen Lichte klar gemacht und einen Spruch zum ändern gehalten, daß einer den ändern sein hell und klar gemacht hat. Also ist die Schrift ihr selbst ein eigen Licht. Das ist denn sein, wenn sich die Schrift selbst ausleg 1. Darum gläubet nicht des Pabstes Lügen, und haltet frei (das) für finster, was nicht bewähret wird mit klaren Sprüchen der Biblia. Also haben wir zuvor diesen Irrtum aus dem Wege müssen tun; denn er fast tief eingerissen ist, daß die Schrift dunkel sei, und müsse durch Menschen lehre erleuchtet werden. Welches ein trefflicher Irrtum ist und eine Gotteslästerung und heißet eigentlich den heilige Geist zur Schule führen oder ihn erst lehren reden. Daß uns aber die Schrift dunkel dünket, machet, . . daß wir sie auch nach unserm Kopf wollen auslegen, das will sich in keinem Wege reimen." (Kirchenpostille, Evangelien-Teil, am Tage Jacobi. XI, 3108. f.)

Quenstedt: „ Dunklere Aussprüche, welche der Erklärung bedürfen, können und sollen durch andere hellere Aussprüche der Schrift erklärt werden, und so reicht die Schrift selbst die Auslegung der dunkleren Stellen dar, wenn dieselben mit den Hellen (wo eine Lehre gleichsam ihre Heimat hat, wie Dannhauer redet in seiner Hermen, ss.org. S. 77.) verglichen werden, so daß Schrift durch Schrift erklärt wird. Denn es gibt allerdings gewisse biblische Aussprüche, welche gleichsam Sonnen sind in Beziehung auf die ändern, und von welchen diese wie Sterne erleuchtet werden. Der sel. Darmhauer sagt am angezogenen Orte S. 87.: ,Die Schrift ist wie ein Himmel, an welchem immer eine Sonne erscheint, von welcher die dunkleren Sterne ihr Licht schöpfen? (Ikeol. ckicksotico-xol. Th. 1, Cap. 41, Sect. 2, Fr. 14, kol. 199.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Wollen die neueren Theologen neue Sachen bringen, so sollen wir unsere Ohren zustopfen. — Es gibt zwar noch verschlossene Stellen der heilige Schrift, aber es steckt nichts anderes darin, als was in unserm Katechismus steht. Ein Christ freut sich jedesmal, wenn er in einer dunklen Stelle dasselbe findet, was er aus den klaren schon weiß. — Luc. 14, 26. ist z. B. eine dunkle Stelle, weil uns in den heil, zehn Geboten geboten wird: Vater, Mutter u. s. w. zu lieben. Hier heißt es aber: wer sie nicht haßt, kann nicht Christi Jünger sein. Wie lösen wir nun diese Stelle auf? Durch die Parallelstelle Matth. 10, 37. Wenn also Christus sagt: man solle Vater und Mutter hassen, so will er sagen: wer sie mehr liebt als Christum, der kann nicht sein Jünger sein, denn man soll die


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Eltern weniger lieben als Christum. Das Wort „hassen" gebraucht er darum, weil es wie Haß aussieht, und gar oft von der Welt dafür gehalten wird, wenn man seine Eltern weniger liebt als Christum. — Darnach ist auch Röm. 9,13. zu verstehen. — So spricht auch Christus: er treibe die Teufel aus durch Gottes Finger. Wer wüßte nun, was darunter zu verstehen wäre, wenn nicht Christus selbst es ausgelegt hätte? Die Parallelftelle zeigt uus, daß der heilige Geist damit gemeinet sei; darum darf nun weder ein Engel noch ein Mensch es anders auslegen.

§ 17.

Diejenigen Stellen der heilige Schrift, darin eine Lehre nur berührt wird, sind zu beurteilen nach solchen Stellen, in denen, als in ihrem Sitz (ssüss ckoetrinne), die Lehre absichtlich und vor ändern ausführlich behandelt wird.—-nicht umgekehrt.

Luther: „Darum ist das unser Grund, wo die heilige Schrift etwas gründet zu gläuben, da soll man nicht weichen von den Worten, wie sie lauten, noch von der Ordnung, wie sie da stehet, es zwinge denn ein ausgedrückter Artikel des Glaubens, die Worte anders zu deuten oder zu ordnen. Was wollt sonst die Bibel werden?" (Wider die himmlischen Propheten, vom 1.1524. XX, 285. f.)

Gerhard: „Jeder Glaubensartikel hat gleichsam seinen gewissen und eigentlichen s i tz irgendwo in der Schrift, anderwärts aber wird er nur berührt. Von jedem Glaubensartikel muß man daher aus dem eigentlichen Sitz desselben urteilen; jene Stellen aber, in denen nur wie im Borbeigehe n, beiläufig und zufällig von demselben gehandelt wird, sind nicht gegen die im eigentlichen Sitze gegebene Behandlung hervorzuheben. So wird die Lehre von der Rechtfertigung absichtlich (ex prokesso) und wie in ihrem eigenen Sitze behandelt Röm. 3. und 4. Ephes. 2. Gal. 2. und 3.; die übrigen Stellen, welche von der Rechtfertigung handeln, sind daher nach demselben abzuwägen. Der eigentliche Sitz des Artikels vom Abendmahle ist Matth. 26. Mark. 14. Luk. 22. 1 Kor. 10. und 11.; aus diesen Stellen ist daher die Lehre vom Abendmahl zu schöpfen, nicht aus fremdartigen Stellen." (Imo. cke iwerpiet. 8. 8. § 212.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Wenn ein weltlicher Schriftsteller absichtlich von einer Materie reden will, so wendet er in der Stellung der Worte allen Fleiß an. Dies gilt viel mehr vom heilige Geist. — Redet ein weltlicher Schriftsteller etwas undeutlich, so geht man dahin zurück, wo er ganz ausführlich von der Sache redet. So muß man es auch mit der heilige Schrift machen. Der Heiland hat es selbst getan. Bei der Frage über die Ehe geht er zurück zn der Stelle, wo von der Einsetzung der Ehe gehandelt wird, oder wo diese Lehre ihren eigentlichen Sitz hat. Will Jemand uneigentlich reden, so darf er es nur bei einer bekannten und deutlichen Sache tun. — Da Christus das heilige Abendmahl einsetzte, so durfte er dabei nur eigentlich und ganz ohne Bild davon reden, weil weder Engel noch Menschen vorher etwas davon wußten. — Will der Apostel Paulus die Lehre von der Rechtfertigung begründen, so nimmt er solche Stellen, die ausdrücklich davon handeln, wie z. B.:


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„Es sollen alle Geschlechter gesegnet werden." „Abraham ward sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet." Das tun die neueren Theologen nicht, welche z. B. eine ganz neue Lehre vom Abendmahl erfunden haben, die sie aus Joh. 6. begründen, wo aber nicht vom Abendmahl, sondern von einem geistlichen Genuß die Rede ist.

§ 18.

In der Auslegung muß man sich nach Zweck und Zusammenhang richten.

Luther: „Und nehme für mich den Spruch St. Hilarii cks Trinüaw: ex causis clieenäi sumenckn est iutelliAeMin äieioruru, d. i. wer eine Rede verstehen will, der muß sehen, warum oder aus was Ursachen es geredet sei. 8ie ex causis axenlli eoAnoseunlur aets. Solches lehrt auch die natürliche Vernunft; wills aber gröbliche Weise anzeigen. Wenn ein Bauer den ändern verklagt: lieber Richter, dieser Mann heißt mich einen Schalk oder Buben. Diese Wort und Buchstaben, so bloß geben den Verstand, daß dem Kläger groß Unrecht geschieht und seien falsch und eitel Lügen; kommt aber der Verklagte und gibt Ursacke solcher Buchstaben und spricht: lieber Richter, er ist ein Bube und ein Schalk, denn er ist aus der Stadt N. mit Ruthen gestäupt um seiner Schalkheit willen und nährlich (kkum, mit Mühe) erbeten durch fromme Leut, daß er nicht erhänget ist, und will Mich hie in meinen: Hause übergeben, hie wird der Richter die Buchstaben anders verstehen, denn zuvor, wie es denn täglich die Erfahrung im Regiment wohl lernt (lehrt). Denn ehe man Grund und Ursache der Reden erfährt, so sind es Buchstaben oder Chorschülergeschrei und Nonnengesang. Also da Christus spricht zu Petro: was du bindest auf Erden, soll gebunden sein im Himmel, und was du lösest, soll los sein (Matth. 16,19.): diese Buchstaben nimmt der Pabst und fähret mit dahin ins Schlauraffenland und deutet sie also: Was ich mache im Himmel und auf Erden, das ist recht; ich Hab die Schlüssel zu binden und zu lösen, alles und alles. Ja, wenn wir hätten Rüben gessen 2c. Wenn man aber die Ursachen ansiehet, so ist Christus in dem, daß er vom Binden und Lösen der Sünden redet, weil es Schlüssel sind zum Himmelreich, dahin Niemand kommt, ohn durch Vergebung der Sünden, und Niemand davon ausgeschlossen wird, denn dem sie uni seines unbußfertigen Lebens willen gebunden werden. Daß also die Wort nicht St. Peters Gewalt, sondern die Notdurft der elenden Sünder oder der stolzen Sünder angeht. Aber der Pabst macht aus solchen Schlüsseln zween Dietrich zu aller Könige Kronen, Kasten, zu aller Welt Beutel, Leib, Ehr und Gut. Denn er siehet wie ein Narr die Buchstaben an und achtet der Ursachen nicht. Also sind viel Sprüche in der Schrift, die nach den Buchstaben widernander sind, aber wo die Ursachen angezeigt werden, ists alles Recht. (Bon den Cvnciliis und K. Band 25, 262. 263.)

Apologie: „I^oei jnte§ri prolali xlsrumczus seeum ulleruru iutsr-prktationem" (d. i. wenn man die Stellen ganz in ihrem Zusammenhänge vornimmt, so bringen sie gemeiniglich die rechte Auslegung schon mit sich). (Art. 4.)

Gerhard: „Die Auslegung jeder Stelle muß mit dem Zweck, mit den Umständen der Glieder und mit der Ordnung derselben übereinstimmen. Wie die Juristen sagen: es sei eines Bürgers unwürdig, über gewisse Worte eines Gesetzes urteilen wollen, ohne daß er vorher das ganze Gesetz erwogen hat, so


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kann über die echte Auslegung eines AuSspruchs nicht geurteilt werden, wenn nicht auf den Zweck, die Umstände und die Reihenfolge des Textes Rücksicht genommen wird." (Lxsxes. arlie. Doe. 6k 8. 8. § 535.)

Pfeiffer: „Wenn ein Zweifel über den Sinn eines Wortes, einer Redensart oder einer Satzverbindung im Texte entsteht, so muß man zu den vorhe r-gchenden und nachfolgenden Versen, ja auch nach Umständen bis ans frühere Capitel des Buches zurückgehen, und zusehen, welche Bedeutung des in Frage stehenden Wortes oder der Redensart zu jenen Umständen passe und mit der Absicht des Schreibers übereinkomme. Es fordert dies 1. die naturgemäße Methode der Auslegung, welche lehrt, daß Jeder selbst der beste Ausleger seiner Worte sei und daß keine Bedeutung im Texte angenommen werden dürfe, welche das Vorhergehende und Nachfolgende aufhebt, und bewirkt, daß der Schreiber sich selbst widerspricht (vorausgesetzt, daß über die Irrtums-losigkeit des Schreibers kein Zweifel ist). Es fordert dies 2. jene Aus-leguugsregel: die heilige Schrift muß aus der heilige Schrift erklärt werden... Sind z. B. unter den Kindern Gottes 1 Mos. 6, 2. die die Engel oder die Menschen zu verstehen? Antwort: Das Letztere geht aus dem Zusammenhänge hervor. Denn hier wird nicht von den Engeln gehandelt, sondern von der Vermehrung des menschlichen Geschlechts. Da die Menschen auch anderwärts Kinder Gottes heißen, wie ist es dqher nötig, die Engel zu verstehen und nicht vielmehr nach Maßgabe des vorliegenden Gegenstandes die Menschen? Ist der, welcher von der Wahrsagerin zu Endor vorgestellt wurde, 1 Sani. 28, 12. ff., der wahre oder wieder lebendig gewordene Samuel, oder aber ein Gespenst unter seiner Gestalt gewesen? Antwort: Das Letztere geht aus dem Zusammenhänge hervor, da dasjenige, was Vers 6.19. ff. gesagt wird, dem wahren Samuel nicht entspricht." (Illesnur. bcrnien, eap. X. § 2. 5. x. 324. 326.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Man findet in der Schrift scheinbare Widersprüche. So spricht, z. B., Christus zu jenem Pharisäer: „Tue das, so wirst du leben." Zu Nicodemus aber spricht er: „Also hat Gott die Welt geliebet 2c." Um diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, mnß mau auf den Zweck und die Ursache sehen. Der, selbstgerechten Pharisäer wcis't er in's Gesetz, damit er dadurch zur Erkenntnis seiner Sünden komme; Nicodemus aber war ein heilsbegieriger Sünder, darum weist er ihn auf Christum. — Paulus beschneidet Timotheurn um der Schwachen willen Titum aber nicht, um die christliche Freiheit gegen die falschen Brüder zu wahren! — Dr. Kurtz versteht unter den „Kindern Gottes" 1 Mos. 6, 2. die Engel, worauf er durch die falsche Lehre von den Engeln kommt, nach welcher die Engel einen ätherischen Leib haben sollen, so daß sie auch mit den Menschen Unzucht treiben könnten. Sehr wichtig ist die Antwort Christi auf die Frage seiner Jünger: ob er um diese Zeit das Reich Israel wieder aufrichten werde. Er spricht zu ihnen: „Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht Vorbehalten hat." Nun sagen die Chiliasteu: die Apostel haben auch ein solches Reich geglaubt, wie wir; also kann es nicht unrecht sein ein tausendjähriges Reich zu glauben. Aus dem ganzen Zusammenhang aber sehen wir, daß Christus jetzt gar nicht auf diese Sache eingehen wollte, sondern


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seine Jünger auf die nahe Ausgießung des heilige Geistes hiuweis't. Daß Christus in die Welt gekommen ist, um ein Reich aufzurichten, und daß seine Jünger nicht klar darüber dachten, ist ja wahr; darum antwortet ihnen aber Christus, daß sie am Pfingstfest durch den heilige Geist auch in diesen Sachen den rechten Verstand empfangen würden, wie das auch die Erfahrung an den Jüngern gezeigt hat. — Kaiser Julian, der Abtrünnige, erklärte: das Christentum könne nicht die wahre Religion der Welt sein, weil Christus sage: „Ihr sollt dem Uebel nicht widerstreben", denn dadurch würden ja alle Obrigkeiten aufgehoben. Christus redet aber in jener Stell? nicht davon: wie ein Mensch überhaupt in der Welt sich verhalten solle, sondern: wie sich ein Christ als Christ zu verhalten habe, und wie es m Christi Reich zugehen werde.

§19.

Weil der heilige Geist die Schrift in hebräischer und griechischer Sprache eingegeben hat, so muß man in Auslegung derselben auf diesen Grundtext zurückgehen.

Luther: „Wenn ichs bei euch erlangen konnte, wollt ich bitten, daß ihr die Sprachen nicht also verachtet, sondern weil ihr wohl könntet, eure Prediger und geschickte Knaben allzumal ließet gut Lateinisch, Griechisch und Hebräisch lernen. Ich weiß auch fürwahr, daß wer die Schrift predigen soll und auslegen, und hat nicht Hilfe aus Lateinischer, Griechischer und Hebräischer Sprache, und solle es allein aus seiner Muttersprache tun, der wird gar manchen schönen Fehlgriff tun. Denn ich erfahre, wie die Sprachen über die Maßen helfen zum lautem Verstand göttlicher Schrift. Das hat auch St. Augustinus gefühlet und gemeinet, daß in der Kirchen sein sollen, die auch Griechisch und Hebräisch können, zuvor die das Wort handeln sollen; denn der heilige Geist hat in diesen zwo Sprachen das Alte und Neue Testament geschrieben." (Vom Anbeten des Sacram. Bd. 28, 419.)

Derselbe: „So lieb als uns das Evangelium ist, so hart lasset uns über den Sprachen halten. Denn Gott hat seine Schrift nicht umsonst allein in die zwo Sprachen schreibe» lassen, das Alte Testament in die ebräische, das Neue in die griechische. . . Und lasset uns das gesagt sein, daß wir das Evangelium nicht wohl, werden erhalten ohne die Sprachen. Die Sprachen sind die Scheide, darinnen dies Messer des Geistes steckt. Sie find der Schrein, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnat, darinnen diese Speise lieget. Und wie das Evangelium selbst zeiget, sie sind die Körbe, darinnen man diese Brod und Fische und Brocken behält. . . Darum Habens die Apostel auch selbst für nötig angesehen, daß sie das Neue Testament in die griechische Sprache- fasteten und anbünden; ohne Zweifel, daß sie es uns daselbst sicher und gewiß verwahreten, wie in einer heiligen Lade. . . Darum ists gewiß, wo nicht die Sprachen bleiben, da muß zuletzt das Evangelium untergehen. Ja, sprichst du, es sind viel Väter selig worden, haben auch gelehret ohne Sprachen. Das ist wahr. Wo rechnest du aber auch das hin, daß sie oft in der Schrift gefehlet haben? Wie oft fehlet St. Augustinus im


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Psalter und ändern Auslegungen, sowohl als Hilarius, ja, auch Alle, die ohne die Sprachen sich die Schrift haben unterwunden auszulegen? Und ob sie gleich etwa recht geredet haben, sind sie doch der Sachen nicht gewiß gewesen, ob dasselbe recht an dem Orte stehe, da sie es hindeuten. . . Daß St. Augustinus selbst muß bekennen, wie er schreibt cis ckoetrina okristiarm, daß einem christlichen Lehrer, der die Schrift soll auslegen, noch sind, über die lateinische, auch die griechische und hebräische Sprache; es ist sonst unmöglich, daß er nicht allenthalben anstoße, ja, noch Not  und Arbeit da ist, ob Einer die Sprachen wohl kann. Darum ists gar viel ein ander Ding um einen schlechten-Prediger des Glaubens und um einen Ausleger der Schrift oder, wie es St. Paulus nennet, einen Propheten. Ein schlechter Prediger, ist wahr, hat so viel Heller Sprüche und Texte durchs Dolmetschen, daß er Christum verstehen, lehren und heiliglich leben und Andern predigen kann. Aber die Schrift auszulegen und zu handeln vor sich hin, und zu streiten wider die irrigen Ein-führer der Schrift, ist er zu gering; das lässet sich ohne Sprachen nicht tun. Nun muß man je in der Christenheit solche Propheten haben, die die Schrift treiben und auslegen und auch zum Streit taugen, und ist nicht genug am heiligen Leben und recht lehren. Darum sind die Sprachen stracks und allerdings vonnöten in der Christenheit, gleichwie die Propheten und Ausleger; obs gleich nicht not ist, noch sein muß, daß ein jeglicher Christ oder Prediger sei ein solcher Prophet, wie St. Paulus sagt 1 Kor. 12, 8. 9., Eph. 4, 11. . . Wie die Sonne gegenden Schatten ist, so ist die Sprache gegen aller Väter Glossen... Es soll uns auch nicht irren, daß Etliche sich des Geistes rühmen, und die Schrift geringe achten; Etliche auch, wie die Brüder Waldenses, die Sprachen nicht nützlich achten. Aber, lieber Freund, Geist hin, Geist her! ich bin auch im Geist gewesen, und habe auch Geist gesehen (wenns je gelten soll, von eignem Fleisch rühmen), vielleicht mehr, denn eben dieselbigen noch im Jahr sehen werden, wie fast sie auch sich rühmen. Auch hat mein Geist sich etwas beweiset, so doch ihr Geist im Winkel gar stille ist, und nicht viel mehr tut, denn seinen Ruhm aufwirft. Das weiß ich aber wohl, wie fast der Geist Alles alleine tut. Wäre ich doch allen Büschen zu ferne gewesen, wo mir nicht die Sprachen geholfen, und mich der Schrift sicher und gewiß gemacht hätten. Ich hätte auch wohl können frommsein und in der Stille recht predigen, aberden Pabst und die Sophisten mit dem ganzen endechristischen Regiment Würde ich wohl haben lassen sein, was sie sind. Der Teufel achlet meinen Geist nicht so fast, als meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm Nichts, denn mich allein; aber die heilige Schrift und Sprachen machen ihm die Welt zu enge und tut ihm Schaden in seinem Reiche." (Schrift an die Ratsherrn aller Städte Deutsch, lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und Hallen sollen, vom Jahre 1524. X, 547. ff.)

Pfeiffer: „Die Bedeutung der Worte der heilige Schrift ist nach dem Grundtext zu beurteilen; das ist, ein Ausleger muß seine Sorge nicht sein


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lassen, die Bedeutung der Worte in den Uebersetzungen, sondern der in dem Grund-, xt befindlichen, zu haben; oder zur Erforschung und Entwickelung des wahren Sinnes müssen die Quellen nachgesehen werden; dem, der Grundtext ist es, womit die Auslegungskunst zn tun hat. Dieser ist gleichsam dieQuellc. die besseren Uebersetzungen gleichsam die Bächlein, andere Teiche und Sümpfe; jener gleichsam die Sonne, die Uebersetzungen gleichsam die Uhren; jener die Norm, die Uebersetzungen, wenn sie auch noch so gut sind, nur das Normirte in ihrer Art. . . Es ist dies zu merken gegen die Päbst-ler, welche ihre lateinische Übersetzung, Vulgata genannt, kanonisch machen." (Tkesaur. Herrn. cap. 6. ean. 27. xa§. 243.).

Hierzu folgende Bemerkungen:

Auch derjenige, welcher der Grundsprachen nicht kundig ist, kann doch göttlich gewiß sein, daß seine deutsche Bibel Gottes Wort sei, weil er das Zeugnis des heilige Geistes durch dieselbe empfängt. — Mehr haben auch die Gelehrten nicht; denn auch sie müssen solches Zeugnis des heilige Geistes empfangen. — Zur Erkenntnis der seligmachenden Wahrheiten ist die Kenntnis der Sprachen nicht notwendig; auch nicht, um ein guter Prediger zu sein, aber den Ketzern gegenüber wird ein Solcher die Wahrheit nicht so an den Lag bringen und die falschen Meinungen abweisen können. — Der Grundtext enthält gar Vieles, was ü, der deutschen Bibel nicht so hervortritt, was aber dem, der der Grundsprachen mächtig ist, sogleich auffällt. Mehr Wahrheiten bekommt man aber dadurch nicht. ---Die seligmachendeu Wahrheiten sind in der Schrift in so klare Ausdrücke gefaßt, daß ein Prediger, wenn er auch der Grundsprachen nicht mächtig ist, dennoch diese Wahrheiten sogleich sieht. — Unter den Uebersetzungen ist ein Unterschied. Die Lutherische ist die beste. Sie ist mit eurem Bach zu vergleichen, wogegen die ändern Teiche und Sümpfe sind. — Wie nochwendig die Kenntnis der Grundsprachen ist, zeigt z. B. die Uebersetzuug der Stelle 1 Mos. 3, 15. in der Vulgata. Sie übersetzt nämlich: „sie soll dir den Kopf zertreten" 2c. Woraus nun die Papisten beweisen wollen, daß dieMaria darunter zn verstehen sei. Eben so wollen die Wiedertäufer aus der deutschen Übersetzung der Stelle Matth. 28, 19. beweisen, daß die, welche getauft werden sollen, zuvor unterrichtet werden müssen. Es heißt aber im Grundtext: „Gehet hin, und machet zu Jüngern, indem ihr sie taufet" 2c. Die Rationalisten berufen sich auf die Stelle 2 Tim. 3,16., indem sie aus der deutschen Uebersetzuug derselben beweisen wollen, daß nur die Schrift anzunehmen sei, die von Gott eingegeben ist, und daher in der Bibel Vieles geschrieben sei, was nicht von Gott ein-gegeben ist; aber im Grundtext heißt es: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und ist nütze zur Lehre" 2c.

§ 20.

Weil der heilige Geist sein Wort in menschlicher Sprache gegeben hat, so muß man in Auslegung der Schrift den Sprachgebrauch festhalten.

Apologie: „Die Widersacher machen aus der Schrift schwarz und weiß, wenn und wie sie wollen, wider alle natürliche Art der klaren W orte an dem Ort: OoZnosoe vuttum peeoris (,Auf deine Schafe habe Acht')


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Sprüchw. 27, 23.). Da muß cognoscere Beichte Horen heißen, Vieh oder Schafe muß da Menschen heißen; maduium (Stall), achten wir, heißt auch eine Schule, da solche ckootores und ormcnes innen sein. Aber ihnen geschieht Recht, die also die heilige Schrift, alle guten Künste verachten, daß sie so grob in der Afammatrsa fehlen." (Art. 12. Von der Beichte und Genugthuung.).

Dieselbe: „Wo denken doch die armen Leute hin? Meinen sie, daß die Schrift ohne Ursachen einerlei so oft mit klaren Worten erholet? Meinen sie, daß der heilige Geist sein Wort nicht gewiß und bedäch-tiglich setze, oder nicht wisse, was er rede?" Im lateinischen Text heißt es: „Xum Liditlantur, exciäisss 8pirnui sanotcn non anilnaciver-rsnt das voe68?<> d. i.: „Meinen sie, daß sie dem heilige Geist entfahren, weil er auf diese Worte nicht Acht gehabt hätte aus Uebereilung, aus einem Versehen?" (Art. von der Rechtfertigung.).

Luther: „Man soll allenthalben bleiben bei den einfältigen dürren Worten der Schrift und ihrer natürlichen Art und Bedeutung, welche der Buchstabe oder die Grammatik (§,rrrnma«iea et usus loczuenüi — die Grammatik und der Sprachgebrauch) und natürliche Weise zu reden mitbringt, wie Gott die Sprache untern Menschen geschaffen hat." (Daß der freie Wille nichts sei, wider ErasmuS, vom I. 1525. XV11I, 2271. f.).

C. G. Hofmann: „Mit vollem Rechte hat einst PH. Melanchthon erinnert, daß die Schrift nicht theo,logifH verstanden werde, wenn sie nicht vorher grammat i sÄ) verstanden wird. Martin Chemnitz lehrt mit höchstem Ernst, daß die Kirche nur grammatisch sein dürfe, das heißt, daß sie nichts Neues erdichten oder neue Glaubenssätze erzeugen dürfe, sondern das, was vom heilige Geist überliefert ist, ans der wahren grammatischen Bedeutung der Worte lernen müsse; denn wenn die wahre Grammatik verloren gegangen sei, werde auch sogleich das Licht der reinen Lehre ausgelöscht, wie, als zu Luthers Zeit die wahre Grammatik wiederhergestellt wurde, auch die Reinheit derLeh re wieder zurückgebracht worden ist." (lnsümt. rk. exexet. ^Viwd. 1754. x. 298. scz.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Der Schriftbeweis für diesen Paragraph ist 5 Mos. 30, 11 —14. Moses antwortet darin denen, die sagen wollen: Du verlangst Gehorsam dem Wort des HErrn, ist's aber ein himmlisches Wort, wer weiß, ob wir es fassen? Nein, will Moses sagen, „das Wort ist dir nahe," du brauchst nicht in den Himmel oder in die Tiefe zu fahren, um den Sinn zu erforschen, denn der HErr redet mit dir in deiner Sprache, die du in deinem Hause und auf deiner Gaffe gebrauchst. — Es ist dies auch gegen die Swedenborgianer gerichtet, die da behaupten: die Schrift sei voll von lauter Gleichnisen, die Gott erst aufschließen müsse.-Gott gebraucht die Worte, so man täglich redet, daher ist die Auslegung die rechte, die sich darauf gründet, daß Gott in Menschenworten geredet habe. Hätten die Propheten und Apostel die Offenbarungen in unaussprechlichen Worten empfangen, was würde es «ns nützen? Würde Gott sich nicht an die Regeln der Sprache gebunden und also zu uns geredet haben, so würden wir es nicht verstehen können. — Wer in der Grammatik fehlt, ist ein jämmerlicher Theolog. — Wie notwendig es sei, daß


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man die grammatischen Regeln beobachte, zeigt uns der reformirte Theolog Beza. Er bezieht in den Worten der Einsetzung des heilige Abendmahls die Worte „vergossen" nicht auf „Kelch," sondern, wider die Regeln der Grammatik, auf „Blut," weil er nicht glaubte, daß Christi Blut im heilige Abendmahl gegenwärtig sei. Denn wenn es heißt: der Kelch wird vergossen, so muß ja notwendig das Blnt darinnen sein. — In der heilige Schrift findet sich kein Sprachfehler, würden aber solche darin sein, so könnte kein Mensch gewiß wissen, welches der rechte Sinn des heilige Geistes wäre. — Nur vermittelst der Regeln der Sprache kann man seine Gedanken verständlich mitteilen. Der Apostel Paulus beweist aus der Verheißung, die Gott dem Abraham gegeben hatte, daß JEsus der einige Heiland der Sünder sei. Gott sage nicht: durch viele, sondern durch deinen Samen, also sollen durch Einen Samen alle Völker gesegnet werden.

§ 21.

Jede Stelle der Schrift hat nur einen vom heilige Geist beabsichtigten, den buchstäblichen Sinn.

Luther: „Solche vier Stück (Weissagung, Offenbarung, Lehre, Vermahnung) will ich diesmal aus diesem kleinen Psalmen (117) geführet haben, und acht, es sei die rechte nützliche Weise, die heilige Schrift zu handeln, wie Paulus 1 Kor. 14. auch solche vier Stück rühmet, die er in der Schrift handeln wolle, da er spricht: Lieben Brüder, wenn ich zu euch käme, und redet mit Zungen, was wäre ich euch nütze, so ich nicht mit euch redet durch Offenbarung, oder durch Erkenntnis, oder durch Weissagung, oder durch Lehre? Er spricht ja hier von Zungenreden, welches ist nichts Anderes, denn die Schrift mündlich daher lesen; und will doch solche Zungen oder einfältige Schrift vierfältiglich handeln. Nicht daß er mancherlei Sinn wolle draus machen, wie Origeires und Hieronymus, sammt ihrem Gleichen, mit ihren Allegoriis tun, sondern will in einem einfältigen Sinn viel geben, wie ich (hoffe) jetzt hier auch getan habe." (Der 117. Ps. Bd. 40, 323. 324.)

Derselbe: „Der heilige Geist ist der allereinfältigste Schreiber und Redner, der im Himmel und auf Erden ist; darum auch seine Worte nicht mehr denn Einen einfältigsten Sinn haben können, welchen wilden schriftlichen oder buchstabischen Zungensinn nennen. Daß aber die Dinge, durch seine einfältige Worte einfältiglich bedeutet, etwas weiter und ander Ding und also ein Ding das andere bedeutet, da sind die Worte aus und hören die Zungen aus. Tun doch das alle andere Dinge, die nicht in der Schrift genennet werden; sintemal alle Gottes-Werke und Creaturen eitel lebendige Zeichen und Worte Gottes sind, wie Augustinus sagt und alle Lehrer. Aber darum soll man nicht sagen, daß die Schrift oderGottes Wort mehr denn Einen Sinn haben. Daß ein gemalet Bild einen lebendigen Menschen bedeutet ohne Wort und Schrift, soll darum nicht machen, daß du sagest, das Wörtlein ,Bild” habe zween Sinn, einen schriftlichen (buchstäblichen), der das Bild, einen geistlichen, der den lebendigen Menschen bedeutet. Also obwohl die Dinge, in der Schrift beschrieben, etwas weiteres bedeuten, soll nicht darum die Schrift zwiespältigen Sinn haben, sondern den


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einigen, auf welchen die Worte lauten, behalten und darnach den Spaziergeistern Urlaub geben, aus den Worten die manchfältige Deutung der angezeigten Dinge zu jagen und suchen; doch daß sie zusehen und sich selbst nicht verjagen noch versteigen, wie den Gemfesteigern geschieht, als auch Origeni geschehen ist. Es ist viel gewisser und sicherer, an den Worten und einfältigen Sinn bleiben; da ist die rechte Waide und Wohnung aller Geister." (Antwort auf das überchristliche Buch Emsers. XVIIl, 1602. f.)

Derselbe: „Die Schrift auf mehr Weise und Verstände auslegen, achte ich nicht allein für gefährlich und zu lehren unnütz, sondern es verkleinert auch und schwächet den Namen und Ansehen der Schrift, die auf einerlei gewissem Verstand und Meinung für und für bleiben soll." (Große Ausl, des 1. B. Mose. Zu 1 Mos. 15, 7. I. 1434.)

Derselbe: „Der Prophet verkündigt Ps. 22, 19. zwo Schwachen der heilige Schrift, nämlich die Teilung und die Losung. Erstlich wollen wir von der Teilung sagen. Dies Geheimnis der Bosheit hat sich bereits vor vielen hundert Jahren begunnt zu regen und zu wirken, also daß der einfällige Verstand der einfältigen Schrift in viel Meinung geteilt wurde; welches Uebel wir wohl mögen zuschreiben und danken dem Origeni und hernach seinem Nachfolger Hieronymo, diesen beiden heiligen und auserwählten Männern, als ich mich dünken lasse. Denn bald zur selbigen Zeit begunnten auch die Auserwählten in Irrtum verführet zu werden, daß sie diesen Spruch St. Pauli 2 Kor. 3, 6.: ,der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig,’ dahin gezogen und gedrungen haben, daß sie den Buchstaben nenneten den Verstand der Historien, und Geist den heimlichen Verstand. ... Da nun nicht das Geheimnis der Bosheit, sondern die Bosheit selbst wirkte und der Greuel nun öffentlich stund an der heiligen Stätte, als, da Christus nun mit dem Glauben ausgetilgt war: da haben des Pabsts Apostel, zuvoraus Thomas und Lyra, angefangen, in die Welt auszubreiten den vierfaltigen Verstand der Schrift, als: den schriftlichen (d. i. buchstäblichen), den figürlich-sittlichen (tropologischen), den geistlichen (allegorischen) und den heimlichen (anagogischen) Verstand, und also dieses Kleid Christi in vier Teile geteilt. . . Durch welch ihr Tun sie zuwege gebracht haben, daß sie wohl die Worte der Schrift behalten, aber so zerteilt und zerrissen, daß sie ganz und gar keinen befländigen Verstand, damit wir die Seelen bekleiden sollten, uns hinterlassen haben. Denn es hat Thomas mit allen seinen Thomisten und allen Schultheologen nicht eines Capitels, iverer in St. Pauli noch in den Evangelien oder irgend in einem Buche der heilige Schrift den rechten, natürlichen und wahrhaftigen erstand je gehabt oder gelehret, wie das die Erfahrung gewiß genug macht. Wo sind sie, die St. Paulum oder das Evangelium recht nach seinen Würden und natürlichem Verstände gehandelt hätten? Noch dürfen sie indeß groß Rühmen davon treiben und prängisch daher sagen: Der schriftliche Sinn lernet dich, was geschehen fit, der geistliche, was du glauben sollst, der sittliche, was du tun sollst, der heimliche, wohin du sollst gedenken oder hoffen; welches sie zu latein also geredet haben:


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Littera gesta docet; quid credas, allegoria;

Moralis, quid agas: quo tendas, anagogia.

Ist es aber nicht ein ungöttlicher Handel, die heilige Schrift so zu teilen und zu reißen, daß du dem Buchstaben oder dem schriftlichen (buchstäblichen) Sinn weder Glauben, noch Sitten, noch Hoffnung zuschreibest, sondern daß die Historie alleine unnütze sei? . . Gleich als redete St. Paulus nicht anders davon zu Timotheo 2 Tim. 3, 16. 17.: ,Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werke geschickt!' . . Also sehen wir, daß wohl die Schrift im Pabsttum geblieben ist, aber zerrissen und mit ihrem vielfältigen Zerteilen in böse, unnütze, zerrissene, ungewisse Haderlumpen gebracht und verwandelt, daß sie weder zur Lehre des Glaubens, noch zur Lehre der Hoffnung, noch zur Lehre der Sitten mehr dienen, so daß endlich eine solche Grobheit und Unverstand hat überhand genommen und eingerissen, daß sie auch die Wörter und die Grammatica nicht recht verstanden haben. Und wenn sie irgend eine verblümte Rede gefunden, haben sie daraus einen geistlichen Verstand, das ist, einen solchen Verstand gemacht, daß man nicht gewußt hat, was sie gemeint haben. Und wenn der Geist dies nicht zuvor verkündigt und geweissagt hätte, daß diese Zerreißung her Schrift stehen sollte zwischen den Pfählen und in der Zahl dieser vier Sinne; wahrlich, sie hätten so viel und mancherlei Sinne aufgerichtet, so viel und mancherlei die Schrift Figuren d. i. geschmückte Reden und verblümte Wörter braucht; sintemal sie nicht so viel Gehirn, Witz und Verstand gehabt haben, daß sie deu geistlichen, heimlichen und sittlichen Sinn für Einen hätten können nehmen. Denn der geistliche, sittliche und heimliche Verstand ist Ein Ding, welche der Apostel St. Paulus nirgend einen Verstand oder Sinn der Schrift nennet (denn die Schrift hat nicht mehr, denn einen einigen und einfältigen Sinn), sondern heißt es heimliche und verborgene Rede, da er spricht 1 Kor. 14, 2.: „Der mit der Zunge redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott; denn ihm höret Niemand zu, im Geist aber redet er die Geheimnise! Denn dies Tun stehet und gehet außerhalb der Schrift in der Freiheit des Geistes und dienet nichts zur Handlung der Schrift, sondern es ist eine sonderliche und eigene Weise, sich zu üben; also, daß die Schrift bleibe die einfältige Lehre des ganzen Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und aller guten Werke." (Auslegung der 22 ersten Psalmen. Uebersetzt von Greif. Vom I. 1519. IV, 1758—1763.)

Derselbe: „Diesen Spruch: ,Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein’ (Ebr. 1, 5), haben sie auch matt gemacht, als wären sie nur darum Lehrer, daß sie die Schrift schwächen sollten, und sagen, daß dieser Spruch habe zween Verstand, einmal sei er von Salomon zu verstehen, als einer Figur Christi, das andere Mal von Christo. Aber wenn das zu gelassen wird, daß die Schrift nicht bestehet auf Einem einfältigen Sinn, so streitet sie schon nimmer. ... Darum soll dieser

Spruch aus 2 Sam. 7., nicht ans 1 Chron. 23., nur eigentlich von Christo verstanden


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werden, so schleußt und bewähret er stark." (Kirchenpost. Epistelteiige Andere Auslegung der Ep. am Christtag. XII, 228. 230.)

Gerhard: „Der eigentliche und ursprüngliche Sinn jeder Stelle ist der Eine, welchen der heilige Geist beabsichtigt hat und welcher aus der ursprünglichen Bedeutung der Worte selbst sich erschließt; und allein aus diesem buchstäblichen Sinne werden kräftige Beweise entnommen. Allegorieen, Tropologieen und Anagogieen sind nicht verschiedene Sinne, sondern verschiedene Folgerungen aus jenem Einen Sinne oder verschiedene Anwendungen jenes Einen Sinnes und der Sache, welche der Buchstabe ausdrückt. Eine und dieselbe Geschichte kann verschiedentlich applicirt. werden, so daß man sie entweder allegorisch, oder tropologisch oder anagogisch behandelt, . . indeß bleibt der Eine Sinn der Worte, mit welchem die Geschichte beschrieben wird, der eigentliche und buchstäbliche." (I^oe. äs Interpret. 8. 8. § 133.)

Pfeiffer: „Der buchstäbliche Sinn einer jeden Stelle ist nur ein einziger, d. H., durch die Worte der Schrift, mögen sie nun eigentlich oder verblümt zu nehmen sein, wird nicht ein zweifacher oder vielfacher, sondern nur ein einiger Sinn zunächst und unmittelbar vom heilige Geiste beabsichtigt. . . Gäbe es mehrere buchstäbliche Sinne Eines Ausspruchs, so wäre die heilige Schrift ganz und gar dunkel, denn nicht bloß Eines bedeuten, ist, nichts Gewisses bedeuten; was in mehrfachem Sinne geredet wird, ist zweideutig; dies aber von der heilige Schrift zu sagen, ist falsch. Ps. 19, 8.9. 119,105. 2 Petr. 1.19." (Itresuur. tiermen. eap. III» § 4. errn. 7. p. 140.)

Derselbe: „Der geheime (mystische) Sinn pflegt von den Päbstlern in den allegorischen, tropologischen und anagogischen eingeteilt zu werden. ... So bedeutet ihnen der Sabbath buchstäblich die Feier des siebenten TageS, allegorisch die Ruhe Christi im Grabe, tropo logisch die Ruhe der Seele und das Anfhören von Sünden, anagogisch den Sabbathismus und die ewige Ruhe der seligen Himmelsbewohner. . . . Aber Allegorie, Tropologie und Anagogie, im Siune der Päbstler genommen, ist nicht eine dreifache Auslegung der Schrift, sondern ein dreifacher Gebrauch der ausgelegten Schrift (der didaktische zur Lehre, der pädeutische zur Zucht und der parakletische zum Tröste) oder eine dreifache Application und Accommodation des Einen buchstäblichen Sinnes der Schrift auf Artikel des Glaubens, Sitten und das ewige Leben . . . Was insonderheit den allegorischen Sinn betrifft, so ist der in den gewöhnlich dafür angeführten Beispielen nicht ein verschiedener, dem buchstäblichen entgegengesetzter und durch die gegenwärtigen Worte nicht weniger wie jener angezeigter Sinn an einer und derselben Stelle, sondern eine vom heilige Geiste selbst gemachte Aecommodation und Application der vorgelegten Sache auf andere und zwar wichtigere Gegenstände. Wenn es z. B. 5 Mos. 25, 4. heißt: ,Du sollst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul verbinden, so wird durch den dreschenden Ochsen nicht der arbeitende Lehrer, sondern das Tier verstanden, welches nach dem Gebrauche der alten Ebräer mit seinen Klauen und Hufeisen die Körner aus den Aehren trat, und angedeutet, daß dasselbe nicht mit einem Maulkorb durch das Getreide zu führen und davon abzuhalten sei, im Gehen Körner


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aufzulesen. An jenem Orte ist dieses der buchstäbliche und zwar einzige Sinn. Wenn daher Paulus 1 Kor. 9, 9. daraus die Wahrheit beibringt, daß den Kirchendienern der Unterhalt nicht zu versagen sei, so drückt er nicht den durch die Worte selbst dargestellten Sinn des mosaischen Gebotes aus, sondern wendet jenes Gebot an auf das, was er vorstellen will, indem er den Schluß vom Geringeren auf das Größere macht, daß nämlich dasjenige viel mehr den arbeitenden Kirchendienern zu gewähren sei, was nicht einmal den Ochsen von Gott versagt sei, und deutet zugleich an, daß Gott jenes Gebot, nach seinem letzten Endzwecke dabei, nicht um der Ochsen, sondern um der Menschen willen gegeben habe, damit diese nämlich daraus schließen oder vermittelst einer guten Schlußfolgerung herausfinden möchten jenes Moralgebot, daß der Arbeiter nicht um seinen Lohn zu betrügen sei. Hierbei ist aber durchaus zu unterscheiden zwischen dem Grunde des Gebotes oder dem Endzwecke, in Ansehung dessen Gott das Gebot gegeben, und, daß er es deßwegen gegeben habe, an einer ändern Stelle der heilige Schrift geoffenbart hat, und zwischen dem Sinne des Gebotes selbst; welcher also nicht ein zweifacher, sondern ein einziger ist." (A. a. O. Cap. III, § 8, 11., x. 116, 119. f.)

Baier : „Der buchstäbliche Sinn einer und derselben Stelle ist nur E i n er. Denn in jeder Sprache und in jeder Art der Rede ist es der Gebrauch, daß der Urheber durch ein und dieselben Worte, wenn sie in einem und demselben Context einmal gesetzt sind, nur Einen Sinn anzuzeigen beasichtigt, wenn er (der Urheber) nicht redet, um zu betrügen, sondern andere zu lehren und zu unterweisen. Weil nun Gott in der Schrift redet nach menschlicher Art und mit Worten, die ihre Bedeutung nach einem Uebereikommen haben oder aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch genommen sind, um die Menschen zn lehren: so wird durchaus mit Recht geglaubt, daß auch in der Schrift der buchstäbliche Sinn Eines Ausspruchs Einer sei, nicht mehrere." (6ompenü. lli. posit. I>role§. II. Z 43.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Die heilige Schrift darf 1. keinen mehrfachen Sinn haben, sonst ist sie zweideutig. „Wir haben ein festes prophetisches Wort 2c." Sie muß 2. deutlich sein nach dem Spruch: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte 2c." Sie soll 3. zur Seligkeit unterweisen, daber darf sie nicht mehrdeutig sein, weil sonst die ganze Schrift dadurch ungewiß gemacht würde. Ein Wegweiser muß so deutlich zeigen, daß nur Ein Weg verstanden werden kann. Die neueren Theologen behaupten: die Schrift habe einen mehrfältigen Sinn, besonders was das Alte Testament betrifft, daher sie damit ganz bequem alle Weissagungen vom Neuen Testament aus dem Alten Testament herausbringen. Nur ein Betrüger legt der heilige Schrift einen mehrfachen Sinn unter. Das Wort Gottes hat nur Einen Sinn, obgleich die Sachen sonst noch tausenderlei bedeuten können. Die Reformirten behaupten: die Worte „essen" und „trinken" in den Einsetznngsworten hätten einen doppelten Sinn. Einmal bedeuteten sie: nur Brod und Wein genießen, und dann: Christi Leib und Blut geistlicher Weise genießen. Die Papisten haben einen vierfachen Sinn erfunden, und die neueren Theologen sagen: die Schrift hat viel Sinn. Damit kann sich aber kein Christ trösten, weil er dabei fort und fort in Angst sein muß, welches wohl der vom


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heilige Geist beabsichtigte Sinn sei. — Hat die Schrift einen mehrfachen Sinn, so „streitet" sie nicht, das heißt, so kann man durch dieselbe weder die Glaubenslehre beweisen, noch auch die Gegner überführen.

§ 22.

Der sogenannte geistliche Sinn [allegorische *), parabolische ) und typische ‡)] ist nicht ein zweiter Sinn neben dem buchstäblichen, sondern ein vom heilige Geist selbst aufgeschlossener Sinn der Sachen, welche der Buchstabe ausdrückt, und der damit ein buchstäblicher Sinn wird.

Luther: „Welcher die Sprach oder Zungen höret, daß Abraham zween Söhne von zweien Weibern gehabt (Gal. 4, 21.), der bleibt in demselben Sinn, denkt nicht weiter, denn die Zung oder Sprach gibt, bis der Geist weiter führet und öffnet den verborgenen Verstand von Christo und zweierlei Testament und Volke. Das heißen denn Ll^stsria, wie Paulus Ephes. 5, (32) mMerium heißet, Christus und die Kirch in einem Fleisch; so doch von Mann und Weib die Schrift und Buchstab lautet, 1 Mos. 2, (24). Aber hie ist Not , daß nicht ein Jeglicher von ihm selbst m^sterm erdichte, wie etliche tan und noch tun; der Gei>t muß es selber tun oder aus der Schrift muß man es beweisen, wie ich im Büchlein vom Pabsttum geschrieben habe." (Auf bas Puch Bock's Emser zu Leipzig Antwort. Bd. 27, 262.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Es gibt in der Schrift keinen zweiten Wortsinn, sondern nur der Sachen. — Was im Alten Testament von der Hagar erzählt wird, das hat dort nur einen historischen Sinn. Wenn aber der Apostel jene Geschichte im Neuen Testament anführt, so hat dieselbe dort allein einen allegorischen Sinn, welcher aber eben daselbst kein anderer als der buchstäbliche ist. Das ist ans dem Grundtext ersichtlich, wo die Worte, welche Luther übersetzt hat mit: „Die Worte bedeuten etwas," in der wörtlichen Uebersetzung anders lauten, so daß daraus hervorgeht, wie diese Worte bei Paulus einen geistlichen Sinn bekommen haben. — Wenn Luther in seiner Kirchenpostille auch fast jedes Mal die heimliche Deutung des Evangeliums gibt, so hat er das der Schwachheit seiner Zeit zu lieb getan, und es ist Niemand berechtigt, ihm darin nachzufolgen. Die Zuhörer verlangten cs; da aber Luther in diesen heimlichen Deutungen eben auch von nichts weiter, als von Glauben und Liebe redete, so wurden es die Zuhörer zuletzt selbst müde, daher wir denn in der Hauspostille, welche später geschrieben ist, nichts mehr von den heimlichen Deutungen finden. — Was die Auslegung der Gleichnise betrifft, die nicht vom heilige Geist erschlossen sind, so liegt nur in soweit eine gewisse Lehre darin, soweit sie der HErr selbst aufschließt. Z. B. im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen ist fast Alles ausgelegt, nur über die Worte: „Da die Leute schliefen," gibt uns der HErr keinen Aufschluß; legt nun ein Prediger diese Worte aus, so muß diese Auslegung dem Glauben ähnlich sein, aber die Lehre darauf bauen kann Niemand. — Alle Auslegung, die man nicht als Schrift beweisen kann, gilt gar nichts, ja, als Auslegung ist sie sogar zu verwerfen, jedoch nicht als Gottes Wort.

*1 2 Mos 12. 46. vergl. Joh. IS. 86. t) I Mos. 21, 10- vergl. Gal. 4, 21—SI. t) Matth. 13, S. ff.


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§ 23.

Die geistlichen Deutungen, die vom heilige Geist selbst in der Schrift gemacht lyerdcn, sind wohl zu unterscheiden von denen, die von Auslegern gemacht werden; diese letzteren sind nicht für den vom heilige Geist beabsichtigten Sinn mit Sicherheit zu erkennen, darum auch nicht beweiskräftig (obwohl sie dem Glauben ähnlich sein können).

Luther: „Weiter ist hie auch zu sehen, was die Tür in der Seiten" (der Arche Noahs), „das Fenster über der Tür und die zweischichtigen und dreischichtigen Gemach uuten am Boden des.Kastens bedeut. Nun Hab ich oft gesagt, man solle für allen Dingen bei der Schrift bleiben, im einfältigen Verband, so die Buchstaben geben, lauter und rein; wenn das geschehen, mag man darnach mit Figuren und Deutung spielen; wie wir zum ersten nach den einfältigen Worten hin diese Historien gehandelt. Auch soll man solche Deutungen nicht führen als gewiß und sicher, es sei denn, daß man aus der Schrift beweisen könnte, daß sie solchs soll deuten. Wo das nicht ist, magst du wohl hindeuten; aber es soll sich Niemand darauf verlassen. Zu wehren ist es nicht, daß einer nach seinem Geist spiele; aber was den Glauben lehren soll, muß so gegründet uns gewiß sein, daß man auch das Leben darf darüber lassen. So haben wir oben aus St. Peters Spruch gegründet, daß die Sündfluth die Taufe bedeutet, aber davon haben wir keinen Spruch, daß die Tür ans der Seiten deute die Wunden in der linken S^ite Christi (wie mans bisher gedeutet hat): oder auch, daß die Arche den Leib Christi deuto; darum darauf nicht zu bauen ist. Es ist wohl an ihm selbst wahr, daH dadurch die Deutung angezeigt wird, ob aber auch die Deutung recht sei, und sich dazu reime, kann man nicht für einen Artikel des Glaubens haben. Wenn du cs aber so deutest, daß der Kasten die christliche Kirche sei, die Tür aber deute das Wort, dadurch man in die christliche Gemeine kommt; wie auch Lt. Paulus pflegt die Predigt zu heißen, als zun Korinthen»: die Tür ist mir anfgetan und sind viel Widersacher; desgleichen auch Christus im Johanne sagt, er sei die Tür, dadurch man in den Schafstall aus- und eingehet: das nehme ick an als der Schrift nicht ungemäß. Wer es aber nicht annehmen will, lassen wir seines Sinnes walten; denn wir müssen bei dem Hauptverstand bleiben, so der Buchstabe gibt; das andere mögen wir schmücken und ausstreichen, wie wir können." (Predigten über das 1. B. Mos. Bv. 33, 178. 179.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Nur die Deutung ist eine beweiskräftige, welche der heilige Geist selbst gibt. — Die Sündfluth deutet der heilige Geist selbst auf die Taufe; aber die ändern Deutungen: von der Arche, der Tür in dieselbe u. s. w., sind zwar dem Glauben ähnlich, aber darum noch nicht beweiskräftig. — Tie Opferung Isaaks wird in der heilige Schrift so erzählt, daß man dieselbe als ein Vorbild auf Christum auslegen muß. — Wenn die Papisten in der heilige Schrift lesen, daß im Neuen Testament geopfert werden soll, und daß das Opfer zur Zeit des Antickrius aufhören werde, so deuten sie das auf das Meßopfer. Die Sociniancr vergleichen Christi Erlösung mit der Erlösung Israels aus Egypten, und legen dabei den ganzen Nachdruck darauf, daß diese ohne Lösegeld geschehen sei.


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§ 24.

Der buchstäbliche Sinn ist nicht immer in der eigentlichen, sondern auch oft in der uneigentlichen bildlichen Bedeutung der Worte zu finden.

Hierzu folgende Bemerkungen:

In der heilige Schrift wird z. B. von Gott gesagt: er habe einen Arm, er sitze u. s. »v. Was für Abgeschmacktheiten folgen daraus, wenn inan diese Worte im eigentlichen Sinne nimmt! Wollte man die Worte des Vaterunsers: „der du bist in dem Himmel," eigentlich verstehen, so würde daraus folgen, daß Gott im Himmel eingeschlossen sei. — Die Sccten werfen uns vor: Ihr Lnthcrane, wollt bei dem Buchstaben bleiben und weicht dennoch von demselben ab! Wem Christus sagt: „Ich bin der Weinstock"; wenn er genannt wird: das Lamm GotteS, u. s. w.: so nehnit ihr das auch nicht im eigentlichen Sinne: darurr weichen auch wir mit Recht vom Buchstaben ab. Aber dieser Vorwurf ist gary verkehrt. Der Sinn des Buchstabens ist freilich nicht immer der vom heilige Geis beabsichtigte Sinn, aber doch muß der Sinn aus dem Buchstaben herausgeholl werden. — Der buchstäbliche Sinn ist der, welcher notwendig aus den Worten die in der Bibel stehen, folgt. — Wenn Christus „der Weinstock" genannt wird so können diese Worte nicht eigentlich verstanden werden. Christus ist doch keir natürlicher Weinstock, der in der Erde wurzelt; und dennoch ist es der buchs.äb licke Sinn, wenn wir diese Worte uneigcntlich verstehen, weil sonst gar keir Sinn, sondern lauter Unsinn herauskommen wurde. — Christus spricht: „Ar ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Jedermann sieht, daß hier unter „Früch len" nicht Aepfel und Birnen zu verstehen sind, sondern die reine Lehre. — Wenn Christus den Herodes einen Fuchs nennt, so gebraucht er das Wort ir einer uneigentlichen Bedeutung. Er will sagen: Herodes ist ein listiger, verschlagener Mensch. Und das ist der buchstäbliche Sinn, weil Christus nicht vor einem Tiere redet, sondern von einem Menschen, der die Eigenschaften eine« Fuchses hat. — In der Lehre vom heilige Abendmahl muß man aber Alles in sei «er eigentlichen Bedeutung nehmen, weil Christus darin seinen Leib und Blu beschreibt. — Es sind eine Menge bildlicher Redensarten in die Sprache dei gemeinen Lebens eingeführt. So ist die Rede: „christlicher Wandel" doch offen bar nicht in ihrer eigentlichen Bedeutung zn nehmen. — Es ist gotteslästerlich, ii der Geschichte von der Versuchung Christi die Worte: „Und der Versucher tra zu ihm," so zu deuten, als ob dies die bösen Gedanken gewesen, die in JEsu auf gestiegen wären, da er doch gar keine bösen Gedanken hatte, sondern die Sünd nur von außen an ihn herantreten konnte.

§ 25.

Zu entscheiden, ob eine Stelle eigentlich oder uneigentlich zu verstehen sei steht in keines Menschen Willkür.

§ 26.

Von der eigentlichen Bedeutung eines Wortes oder Satzes dürfen wir nich abgehen, es nötige uns denn die Schrift selbst dazu.


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§ 27.

Solche nötigenden Gründe sind: die Umstände des Textes, Parallelstellen und die Aehnlichkeit des Glaubens.

Luther: „Lieber, die natürliche Sprach ist Frau Kaiserin, die geht über alle subtile, spitzige, sophistische Dichtungen: von dem muß man nicht weichen, es zwinge denn ein offenbarlicker Artikel des Glaubens; sonst bliebe kein Buchstabe in der Schrift für den geistlicher» Gäukelern." (Wider die himmlischen Propheten. Bd. 29, 258.)

Derselbe: „Denn ich Hab oft gesagt, daß. wer in der heilige Schrift studiren will, soll je darauf sehen, daß er auf deu einfältigen Worten bleibe, wie er immer kann, und je nicht davon weiche, es zwinge denn irgend ein Artikel des Glaubens, daß man's müsse anders verstehen, denn die Wort lauten. Denn wir Müssen des sicher sein, daß kein einfältiger Rede auf Erden kommen sei, denn das Gott geredt hat. — Denn dir sollst also mit der Schrift handeln, daß du denkest, wie es Gott selbst rede. Weil es aber Gott redet, so gebühret dir nicht sein Wort aus Frevel zu lenken, wo du bin willst, es zwinge denn die Not , einen Text anders zu verstehen, denn wie die Wort lauten, nämlicb wenn der Glaub solcken Verstand, als die Wort geben, nicht leidet." (Predigten über das 1. Buch Mos. Bd. 33, 24. 25.)

Derselbe: „Hier hat nun die Diatribe eine neue Kunst funden, den dürre,,, klaren, Hellen Sprüchen, so wider de», freien Willen siud, zu entschlüpfen, Nämlich, daß sie aus dürren, einfältigen Worten ein verblümtes Wort (einen Tropus) will machen. . . Wir sollen es aber billig also halten, daß wir weder eine Folge, noch einen Tropus sollen zu lassen in Einigerlei Sprüchen der Schrift, wo nicht das zwingt ein klarer Umstand der Worte oder eine offenbare gegen einen Glaubensartikel anstoßende Ungereimtheit der Sache; sondern man soll allenthalben bei der einfachen und reifen und natürlichen Bedeutung der Worte bleiben, welche die Grammatik und der Sprachgebrauch mit sich bringt, Wie Gott die Sprache unter de »»Menschen geschaffen hat. Denn wenn ein Jeder sollte Macht haben, aus deu reinen, einfältigen Worten zu treten und Folgen und Tropen in der Schrift zu erdichten nach seiner Willkür, Was wäre denn die Schrift anders, dem» ein Rohr, das der Wind schlägt und webet, oder ein Bertumnus. Wenn das sollte ein Jeder zu tun Macht haben, so konnte mau nichts Gewisses schließen oder beweisen in einigerlei Artikel des Glaubens, man nicht durch diese Weise (daß ich spreche, es »st ein Tropus und ^tcht einfältig zu verstehen) könnte anfechten. Ich sage aber also, man soll jeden Tropus ineiden und fliehen wie Gift und bei den bürgen, klaren Worten bleiben, wo nicht die Schrift selbst '^^*»,get, etliche Sprüche als ein verblümt Wort zu verstehen. ^Ehet doch nur, wie es Origeni gangen ist, der in Auslegung der Schrift allent-balbe« Tropen gemacht hat; wie gute Ursache gibt er Porphyrio, alles anzuftchten, ^lso, daß auch Hieronymus, der doch Origenem schützet, saget, es thue wenig zur Sache» Item, wie »st's gangen den Arianern mit jenen» Tropus, nach welchen« sie


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Christum zu einem Namen-Gott machten? Item, wie ist es bei unserer Zeit gangen den nenen Propheten mit deu Worten Christi Matth. 26, 26.: ,Das ist mein Leib' ? Da Einer in den» Wörtlein ,das', der Andere in dem Wörtlein ist, der Dritte in dem Wort.Leib' einen Tropus annahm? Ich habe sonderliche Achtung darauf gehabt, daß alle Ketzereien und Irrtum in der Schrift nicht aus den einfältigen Worten der Schrift oder der Bibel kommen sind (wiewohl durch die ganze Welt die Sophisten das Sprüchwort aufgebracht haben, die Bibel sei ein Ketzerbuch), sondern aller Irrtum ist daher kommen, daß man die klaren Worte hat fahren lassen und hat sonderliche Auslegung durch Folgen und Trop en aus eigenem Gehirne erdichtet. .. Wir haben nicht genug dran, wenn du also sagst: Es kann in dem Spruch ein Tropus sein oder ist ein verblümt Wort, sondern man fragt darnach, ob es auch ein solcher Spruch sei, der nicht anders, als tropischer Weise, verstanden werden kann noch soll (als ich oben gesagt habe), ob es ein solcher Spruch sei, da sich der einfältige Verstand gar nicht reimen will. Ja, wenn du das nicht klar und deutlich anzeigest, daß da mr, ß ein Tropus sein und der einfältige Verstand nicht kann Statt haben, so richtest du nichts aus." (Antwort an Erasmus, daß der freie Wille nichts sei, vom I. 1525. XVIII, 2270—75.)

Derselbe: „Daß Matth. 16, 18. Christu s sich einen Fels heißt, taugcte nicht, daß ich darnach Christum daraus wollte machen, wo ich in der Schrift Fels fünde. Wiederum, da Moses in der Wüste einen Fels schlägt taugt nicht, daß ich demnach wollte Matth. 16. auch einen leiblichen Felsen machend Wie soll man denn tun? Also soll man tun: Ein jeglich Wort soll man lassen stehen in seiner natürlichen Bedeutung, und nicht davon lassen, es zwinge denn der Glaube davon. Als das Wörtlein Fels Matth. 16. sollte ich lassen stehen in seiner natürlichen Deutung, daß es einen leiblichen Fels hieße, aber der Glaube leidets nicht und dringet mich von solcher natürlichen Deutung, und zwingt mich dahin, daß ich einen geistlichen Fels muß verstehen. Denn der Glaube leidet nicht, daß ich die Christenheit ans einen leiblichen Fels baue. Darum, wenn ich hie sage, Christus ist der Fels, kann das Wörtlein ,ist' nicht so viel heißen, als Christum bedeut der Fels, sondern er ists wahrhaftig selbst. Wiederum' wem» ich von dem Fels Mosis in der Wüste rede, und spräche: Christus ist der leibliche Fels in der Wüste, hie zwänge mich der Glaube, daß ich das Wörtlein .ist' müßte durch ,bedeuten' verstehen; also: Christus ist bedeut durch den leiblichen Fels Mose; denn der Glaube leidet's nicht, daß Christus, der ein Mensch ist, ein natürlicher Stein sei." (Vom Anbeten des Sakraments an die Brüder in Böhmen. Vom I. 1523. XIX, 1601.)

Derselbe: „Man muß nicht so freveln an Gottes Worten, daß Jemand ohne ausgedrückt klare Schrift einem Wort wollt eine andere Deutung geben, denn sein natürlich Deuten ist; als diese tun, die das Wörtlein ,ist' frevelich ohne Grund der Schrift zwingen dahin, es solle so viel heißen, als das Wörtlein ,bedeut'; und machen diesem Spruch Christi eine solche Nafe, ,das ist mein Leib', solle so viel gelten, als das 'bedeut meinen Leib' 2c. Aber


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wir wollen und sollen einfältig an Christus Worten bleiben, der wird uns nicht betrügen, und solchen Irrtum mit keinem ändern Schwert zurückschlagen, denn vamit, daß Christus nicht spricht: das bedeut meinen Leib, sondern: Das ist inein Leib. Denn wo man solchen Frevel an einem Ort zuließe, daß man ohne Grund der Schrift möchte sagen: Das Wörtlein ,ist' heiße so viel als das Wörtlein ,bedeut, so könnte man's auch an keinem ändern Ort wehren und würde die ganze Schrift zunichte; sintemal kein Ursache wäre, warum solcher Frevel an Einem Orte gülte und nicht an allen Orten. So möchte man denn sagen, daß Maria ist Jungfrau und Gottes Mutter, das ist, Maria bedeut Jungfrau und Gottes Mutter; item, Christus ist Gott und Mensch, das ist, Christus bedeut Gott und Mensch; item, Röm. 1, 16.: Das Evangelium ist Gottes Kraft, das ist, das Evangelium bedeut Gottes Kraft. Siehe, welch ein greulich Wesen wollt hieraus werden? Darum so solcher Frevel an keinen» ändern Ort zu leiden ist, soll mau auch nicht hie leiden, daß Christus Leib bedeutet werde durch's Brod, weil die Worte Helle, dürre und klar dastehen: ,Das ist mein Leib', es sei denn, daß man gewisse Helle Sprüche hervorbriuge, daß hie das Wörtlein 'ist' soll 'bedeuten' heißen." (Ebds. S. 1598 f.)

Derselbe: „Euch, als die Unsern, weiter zu unterrichten, sollt ihr wissen, daß ein lauter Gedicht ist, wer da saget, daß dies Wörtlein ,ist' so viel heiße, als deutet'. Es kanns kein Mensch nimmermehr beweisen an einigem Ort der Schrift; ja, ich will weiter sagen: Wenn die Schwärmer in allen Sprachen, so auf Erden sind, einen Spruch bringen, darinnen .ist' so viel gelte als deutet', so sollen sie gewonnen haben. Aber sie sollen's wohl lassen; es mangelt den hohen Geistern, daß sie die Redekunst, Grammatik oder, wie sie es nennen, Tropus, so man in den Kinderschulen lehret, nicht recht ansehen. Dieselbige Kunst lehret, wie ein Knabe solle aus Einem Wort zwei oder dreie machen oder wie er einerlei Wort einen neuen Brauch und mehr Deutungen geben möge. Als, daß ich mit etlichen Exempeln beweise: Das Wort .Blume': nach seiner ersten und alten Deutung heißt es eine Rose, Lilie, Viole und dergleichen, die aus der Erden wächst und blühet; wenn ich nun Christum wollt mit einem seinen Lobe preisen, und sähe, wie er von der Jungstau Maria kommt, so ein schön Kind — mag ich das Wort .Blume' nehmen und einen Tropum machen oder eine neue Deutung und Brauch geben und sagen: Christus ist eine Blume. Hie sprechen alle Grammatici oder Redemeister, daß Blume sei ein neu Wort worden und habe eine neue Deutung und heiße nun nicht mehr die Blume auf dem Felde, sorrdern das Kind Jesus und müsse hie nicht das Wort ‘ist zur Deutelei werden; denn Christus bedeutet nicht eine Blume, sondern er ist eine Blume, doch eine andere Blume, denn die natürliche. Denn so spricht der Poet Horatius: Dixeris egregie, notum si callida verbum reddiderit junctura novum, d. i., gar sein ist's geredt, wenn du ein gemein Wort kannst wohl vernenen. . .  Wenn nun Christus spricht: Johannes ist Elias', so kann Niemand beweisen, daß Johannes bedeute Elias; denn es auch lächerlich wäre, daß Johannes sollte Elias bedenten, so viel billiger Elias Johann em bedeutet. Und nach Zwingel's Kunst müßte es Christus umkehren und sagen: Elias ist Johannes, d.i., er bedeutet Johannem. Sondern Christus will sagen,


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was Johannes sei, nicht was er bedeute, sondern was er für ein Wesen oder Amt habe, und spricht: Er sei Elias.' Hier ist Elias ein neu Wort worden, und heißt liicht den alten Elias, sondern den neuen Elias, wie wir Deutschen sagen: Johannes ist der rechte Elias, Johannes ist ein anderer Elias, Johannes ist ein neuer Elias. Ebenso ist's auch geredt: Christus ist ... ein Fels’, item: Christus ist ein rechter Weinstock'. Lieber, wie klappet's, wenn du solches also willst deuten nach Zwingel's Dünkel: Christus bedeute den rechten Weinstock? Wer ist denn der rechte Weinstock, den Christus bedeutet? So höre ich wohl, Christus sollte ein Zeichen oder Deutung sein des Holzes im Weinberge? Ach, das wäre sein Ding! Warum hätte denn Christus nicht billiger also gesagt: Der rechte Wemstock ist Christus, das ist, der hölzerne Weinstock bedeutet Christum? Es ist ja billiger, daß Christus bedeutet werde, denn daß er allererst bedeuten sollte, sintemal das da (nur) deutet allemal geringer ist, denn das bedeutet wird, und alle Zeichen geringer sind, denn das Ding, so sie bezeichnen, wie das alles auch Narren und Kinder wohl verstehen. . . . Drum kann auch ist' hie nicht Deutelei sein, sondern Christus ist wahrhaftig und hat das Wesen eines rechten, neuen Weinstocks. . . . Aber hie wird vielleicht die andere Rotte sich brüsten und sagen: Hiermit wirst du bestätigen des Oecolampadii Zeichelei, weil derselbe nach solcher Lehre Horatii auch ein neu Wort und Tropum machet aus dem gemeinen, und spricht: Mein Leib' heiße hie meines Leibes Zeichen. Hierauf ist bald geantwortet: daß die Grammatici (Redemeister) dazu auch alle christliche Lehrer verbieten, man solle nimmermehr von gemeiner alten Deutung eines Wortes treten und nene Deutung annehmen, es zwinge denn der Text und der Verstand, oder werde aus ändern Ortern der Schrift mir Gewalt bewiesen; sonst würde man nimmermehr keinen gewissen Text, Verstand, Rede noch Sprache behalten. Als, wenn Christus spricht: Johannes ist Elias', hie zwinget der Text und Glaube, daß Elias ein neues Wort sein muß, weil das gewiß ist, daß Johannes nicht ist, noch sein kann der alte Elias. Item: Christus ist ein Fels', zwinget abermal der Text selbst und der Glaube, daß Fels hie ein neu Wort (ein Tropus) ist, weil Christus nicht ist, noch sein kann ein natürlicher Fels. Daß nun Oecolampad hie aus dem Wort Leib' macht ,Leibes Zeichen', gestehet man ihm nicht, denn er tuts mutwilliglich und kanns nicht beweisen, daß der Text oder Glaube so erzwinge. Gleich als wenn einer mutwillig wollte also tropisiren oder Wort vernenen: Das Evangelium ist Gottes Kraft', Röm. 1, 16., sollte so viel gelten: Das Evangelium ist des Roland's Schwert. Also möchte einer Christum Belial, Paulum Judas heißen oder deuten, wer will's ihm wehren? Aber man nimmts nicht an, er beweise es denn und zwinge es aus dem Text." (Bekenntnis vom Abendmahl Christi, vom J. 1528. XX, 1131—38.)

Joh. Gerhard: „Wenn man sagt, die Glaubensregel zwinge uns, von dem buchstäblichen Sinne (in den Worten des heilige Abendmahls) abzugehen, weil nämlich nach der Glaubensregel behauptet werden müsse, daß Christi Leib ein wahrer und natürlicher Leib sei, ferner, daß Christus mit seinem Leibe


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gen Himmel gefahren sei, dann kommt die Bemerkung zu Hilfe, daß die Regel des Glaubens ganz anzunehmen und die Teile derselben, nicht einander entgegenzusetzen seien. Die heilige Schrift lehrt beides, daß Christi Leib ein wahrer menschlicher Leib sei, und daß derselbe dennoch wirklich und wahrhaftig im heilige Abendmahle ausgeteilt werde; beides muß daher geglaubt und nicht das Eine dem Andern entgegengesetzt werden. Denn Christi Leib ist nicht nur ein wahrhaft menschlicher Leib, sondern auch des Sohnes Gottes eigener Leib, und Christus ist nicht nur gen Himmel gefahren, sondern sitzt auch zur Rechten Gottes." (Loc. de interpret.. S. S. § 154.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Wenn man in der Schrift etwas uneigentlich versteht, so muß man es beweisen. — Die Schrift gibt ganz klar an, in welcher Bedeutung sie ein Wort nimmt. Wenn sie eine uneigentliche Rede enthält, so wird dieselbe an ändern Stellen mit eigentlichen Worten erklärt. — Was die Umstände des Textes betrifft, so gehört dahin z. B., daß Christus den Herodes einen Fuchs nennt; daß der sterbende Jakob spricht: „Isaschar ist ein beinerner Esel," und was Ies. 11, 6. ff. geschrieben steht, welche Stelle von den Chiliaste», auf das tausendjährige Reich bezogen wird, woselbst aber die Umstände des Textes ausdrücklich anzeigen, wie diese Worte nicht eigentlich verstanden werden sollen, weil es gleich darauf heißt: „denn das Land ist voll Erkenntnis des HErrn, wie mit Wasser des Meeres bedeckt." — Die Parallelstellen dürfen nicht willkürlich gewählt werden, sondern es müssen ganz gewisse sein. — Wenn die Reformirten das Wort „ist" so auslegen, daß es heißen soll „es bedeutet," so ist das verkehrt, weil das Wort „ist" ein Mittel ist, wodurch zwei Begriffe mit einander verbunden werden.

§ 28.

In derjenigen Stelle, die der Sitz einer Lehre ist oder darin etwas Neues eingesetzt wird, sind die Worte ohne allen Zweifel in der eigentlichen Bedeutung gebraucht.

Concordienformel: „Nun ist ja kein so treuer und gewisser Ausleger der Wort JEsu Christi, denn eben der HErr Christus selbst, der seine Wort und sein Herz und Meinung am besten versteht und dieselbigen zu erklären am weisesten und verständigsten ist, welcher allhie alles in Stiftung seines letzten Willens und Testaments und stets währender Bündnis und Vereinigung, wie sonsten in allen Artikeln des Glaubens und aller ändern Bund- und Gnadenzeichen oder Sacrament Einsetzung, als der Beschneidung, der mancherlei Opfer im Alten Testament, der heilige Taufe, nicht verblümte, sondern ganz eigentliche, unzweifelhaftige und klare Wort gebraucht und damit ja kein Mißverstand einfallen könne mit den Worten „für euch gegeben, für euch vergossen," deutlicher erkläret, lässet auch seine Jünger in dem einfältigen, eigentlichen Verstand bleiben und befiehlets ihnen, daß sie alle Völker also lehren sollen alles das zu halten, was er ihnen, den Aposteln, befohlen hat." (Erklärung VII. x. 740.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Es ist keine Lehre, die nickt an irgend einer Stelle der Schrift mit eigentlichen und deutlichen Worten gelehrt wird. Gehört etwas zu den Glaubensartikeln,


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das irgendwo in der Schrift mit uneigentlichen und undeutlichen Worten gelehrt wird, so ist die Schrift nicht vollkommen und deutlich, sondern zweifelhaft und ungewiß. — Aus jeder Stelle, die der Sitz einer Lehre ist, kann man erweisen, daß daselbst nicht uneigentlich geredet wird. — Von einer unbekannten Sache darf man nicht bildlich reden; würde die Schrift das tun, so wäre sie keine Offenbarung. Wo die Schrift von Lehre handelt, redet sie nicht in Tropen. — Die Papisten sagen: die Schrift sei dunkel. Fragt man sie aber, wie sie denn die Schrift verstehen könnten, so berufen sie sich auf den Pabst, der allein die Schrift aufschließen könne. Wie er sie aber auslegt, geht z. B. daraus hervor, daß er die Stelle, wo von der Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen die Rede ist, auf sich bezieht, indem er sich für die Sonne, den Kaiser für den Mond und die kleineren Fürsten für die Sterne erklärt.

§ 29.

Der Beweis, daß eine Stelle uneigentlich zu verstehen sei, muß augenscheinlich und hillreichend sein.

Luther: „Ich versah mich auch zu der Zeit, da ich wider die himmlischen Propheten schrieb, und des Carlstadts Tuto angriff, daß noch dahinten sollten sein, die mit dem Est und Significat sich sollten herfür tun und sonderlich so gelehrte Männer, weil es doch so ein kindischer untüchtiger Grund ist, der kein Exempel in der Schrift hat, und wenn er schon ein Exempel hätte, dennoch damit nicht beweiset mocht werden, daß auch in den Worten „das ist mein Leib" sollte und müßte so genommen werden. Das werden sie nimmermehr beweisen, das weiß »Hs fürtvahr. Denn es gar viel ein anderes ist, wenn ich sage: das mag so heißen; und wenn ich sage: das muß so heißen, und kann nicht anders. Auf das erste kann sich das Gewissen nicht verlassen, auf das andere aber kann sich's verlassen." (Vorrede zu dem 87n§rnmma. 8u6vicorum. Bd. 65, 180. 181.)

Derselbe: „Es ist fährlich, also mit Gottes Wort spielen, dadurch die Gewissen und Glauben soll regiert werden. Darum soll es Helle und gewiß sein und alles einen festen, sichern guten Grund habe»», darauf man sich möge tröstlich verlassen." (Wider die himmlischen Propheten. Bd. 29, 258. 259.)

Hierzu folgende Bemerkungen:

Dies ist gegen die Socinianer gerichtet, welche sagen: Diese oder jene Stelle heilige Schrift kann auch so oder anders verstanden werden. Auch gegen die Reformirten, die ihre bildliche Auslegung mit nicht dazu gehörenden Beispielen, die sie mit Gewalt herzuziehen, zu beweisen suchen. — Dieser Paragraph wirft auch den Chiliasmus über den Haufen, denn es muß überhaupt ein jeder Spruch so beschaffen sein, daß er so und nicht anders verstanden werden muß. In der christlichen Kirche fragt man nur, ob es ganz unzweifelhaft gewiß ist. Wer so nicht predigen kann, der schweige in der Kirche, denn: „Wer da redet," sagt der Apostel, „daß er es rede als Gottes Wort." Kein Chiliast kann in solcher Gewißheit vor Gott und Gericht einst unerschrocken auftreten. Ein Christ hat es nur mit solchen Dingen zu tun, die so gewiß sind, daß er daraus leben und sterben kann.