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1921-Souther Ill.-Pieper, The Holy Scriptures
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8        Verhandlungen        des        Süd-Illinois-Distrikts        (8.)

Lehrverhandlungen.

(Referent: v. F. Pieper.)

Die Heilige Schrift.

Zu der christlichen Lehre, die Luther vor vierhundert Jahren zu Worms vor der ganzen Welt und Kirche verantwortete und bekannte, gehört vornehmlich auch die Wahrheit, daß die Heilige Schrift die einzige Quelle und Richtschnur der christlichen Lehre ist, weil die Heilige Schrift nicht Menschenwort, sondern unsers großen Gottes und Heilandes Wort sei, und Gott durch dieses sein Wort alle Menschen lehren und in ihren Herzen und Gewissen regieren wolle. Uns allen ist ja die Antwort bekannt, die Luther dem päpstlichen Sprecher gab, als dieser ihn zu Worms ausforderte, endlich eine kurze und klare Antwort zu geben, ob er alles oder etwas von seiner Lehre widerrufen wolle oder nicht. Luthers Antwort lautete: „Es sei denn, daß ich durch Zeugnisse der Schrift oder durch Helle Gründe überwunden werde — denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, dieweil am Tage ist,: daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben —, so bin ich


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überwunden durch die von mir angeführten Stellen der Heiligen Schrift, Und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort. Widerrufen kann ich nicht und will ich nicht, dieweil es unsicher und gefährlich ist, Wider das Gewissen zu handeln." Aus diesen Worten geht klar hervor, daß Luther in der christlichen Kirche und für das Gewissen jedes einzelnen Christen keine andere Autorität anerkannte als die Heilige Schrift. Jede andere Autorität, sei es Papst oder Kirchenversammlung, weist er in der christlichen Kirche ab. Das ist Luthers Stellung,, und an dieser Stellung hat er festgehalten. Luther ist nämlich nicht sofort nach seinem öffentlichen Auftreten am 17. und 18. April abgereist, sondern blieb noch sieben Tage in Worms, bis zum 26. April, Und in dieser Zwischenzeit wurden noch in mehreren Privatversammlungen eine Anzahl Versuche gemacht, auch durch Anwendung von Schmeicheleien, Luther von seiner ^Stellung zur Heiligen Schrift abzudrängen. Diese Versammlungen wurden im Hause des Erzbischofs von Trier abgehalten. Er gehörte zu den wenigen Papisten, zu denen Luther ein gewisses Zutrauen hatte. Luthers Worte: „Ich kann nicht anders, mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort" hatten einen gewaltigen Eindruck gemacht auf die ganze Versammlung in Worms. Und so machte der Erzbischof von Trier mit ändern römischen Theologen den Versuch, ob sie Luther nicht von seinem entschiedenen Standpunkt abbringen könnten. Es fanden noch vier Versammlungen statt, am 24. und 26. April,, vor- und nachmittags. In der ersten Versammlung stellte man Luther vor, er möge doch die Autorität der Konzilien, insonderheit des Kostnitzer Konzils, anerkennen. Luther habe viele gute Schriften geschrieben, die den Christen nützlich zu lesen seien; und man würde diese Schriften nicht lesen, wenn er die Autorität der Konzilien verwerfe. Luther antwortete, daß-auf die Konzilien kein Verlaß sei, habe gerade das Kostnitzer Konzil durch die ungerechte Verdammung des Johann Hus schlagend bewiesen; darum könne er die Konzilien nicht als Autorität anerkennen. Er blieb bei der sola Loriptura. Die Schrift allein müsse die Christenheit lehren und die Herzen und Gewissen regieren.

Die Veranstalter der Versammlung zogen sich zu einer Beratung zurück und traten dann mit dem Vorschlag hervor, Luther möge doch Kaiser und Reich über seine Lehre urteilen lassen. Luther antwortete, dazu sei er von Herzen bereit, unter der Bedingung, daß Kaiser und Reich auf Grund der Schrift urteilen würden. Am folgenden Tage, Donnerstag, den 26. April, wurde nochmals der Versuch gemacht, Luther dahin zu bestimmen, sich dem Kaiser und Reich ohne Vorbehalt zu unterwerfen. Man versprach, dafür sorgen zu wollen, daß Luthers Schriften nur unverdächtigen und gerechten Richtern vorgelegt würden. Luther erwiderte, in Sachen der christlichen Lehre könne und solle man sich überhaupt nicht auf Menschen, auch nicht auf sogenannte unparteiische Menschen, sondern nur auf Gottes Wort verlassen. Er führte Jer. 17, 5 an: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt!"


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Endlich schlug man Luther noch vor, die Entscheidung über seine Lehre wenigstens einem zukünftigen Konzil zu überlassen. Aber Luther fügte auch hier die Bedingung hinzu, daß er sich der Entscheidung eines zukünftigen Konzils nur dann unterwerfen könne, wenn die Entscheidung durch Zeugnisse der Heiligen Schrift bewiesen werde. Man sah nun davon ab, Luther von der sola Scriptura abzubringen. Den folgenden Tag, am 26. April, morgens 10 Uhr, reiste Luther von Worms ab. Von Friedberg aus, nördlich von Worms gelegen, sandte er am 28. April noch ein Schreiben an den Kaiser und die Reichsstände, worin er sich für das gewährte Gehör und das sichere Geleit bedankte und sich zu allem Gehorsam in weltlichen Dingen erbot, aber zugleich wiederholte, daß in Sachen der christlichen Lehre sein Gewissen allein in Gottes Wort gebunden sei.

Wir nun werden kaum in die Lage kommen, daß wir vor Kaiser und Reich gestellt werden wie Luther vor vierhundert Jahren zu Worms. Aber wir sollen nach Gottes Willen dieselbe Stellung zur Heiligen Schrift einnehmen. Und wir haben dieselbe Stellung nötig, wenn wir durch Gottes Gnade das Ende unsers Glaubens, der Seelen Seligkeit, davonbringen wollen. Durch Gottes Gnade nehmen wir diese Stellung auch ein. Aber dabei haben wir schier die ganze Welt, das höllische Heer und den größten Teil der heutigen äußeren Christenheit zu Feinden. Man läßt uns nicht in Ruhe. Mit Anwendung von Spott und Hohn, mit Anwendung von offenbar gottlosen und fromm klingenden Reden, auch mit gelegentlicher Anwendung von Schmeicheleien, daß in unfern Schriften viel Gutes sei, daß man sie gern lese usw., sucht man uns von der Heiligen Schrift als dem einzigen Grund unsers christlichen Glaubens abzudrängen. Dazu kommt noch, daß unser eigenes sündliches Fleisch sehr zage ist, die Heilige Schrift als Gottes eigenes Wort zu erkennen und gelten zu lassen. Aber es gilt, über Teufel, Welt und Fleisch zu siegen. Gottes Wort ist das einzige Licht in der Finsternis dieser Welt, wenn es sich um die Frage handelt: Was muß ich tun, daß ich selig werde? Es ist die einzige Brücke, die uns in diesem Leben mit dem Himmel verbindet und auch durch den Tod ins Leben trägt.

Wohlan, stärken wir uns zu diesem Kampf und Sieg durch eine Lehrbesprechung über die Heilige Schrift, indem wir erstlich uns von der Schrift selbst bezeugen lassen, was sie ist, nämlich Gottes eigenes Wort durch Inspiration, und dann die Einwände, die hiergegen erhoben werden, als nichtig erkennen und zurückweisen. Folgende Sätze über die Heilige Schrift mögen der Besprechung dienen:

I. Die Heilige Schrift ist im Unterschied von allen ändern Büchern in der Welt Gottes eigenes Wort.

II. Die Heilige Schrift ist Gottes Wort durch die Inspiration, das ist, durch die Tatsache, daß Gott den heiligen Schreibern die Schrift eingegeben oder inspiriert hat.

III. Die hiergegen erhobenen Einwände sind nichtig.


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I.

Die Heilige Schrift ist im Unterschied von allen ändern Büchern in der Welt Gottes eigenes Wort.

Es möchte jemand fragen: Gibt es überhaupt einen Menschen, der ein Christ sein will und doch nicht glaubt, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist? Daraus ist zu erwidern: Es gab allerdings eine Zeit, in der diese Wahrheit in der christlichen Kirche kaum von jemand angefochten wurde. Wenn auch in der Zeit, die wir gewöhnlich die Zeit der Kirchenväter nennen, die christliche Lehre öffentlich nicht mehr so rein gelehrt wurde, wie dies in der apostolischen Kirche geschah, so bekennen doch die. sogenannten Kirchenväter der ersten Jahrhunderte in ihren Schriften die unanfechtbare Göttlichkeit der Heiligen Schrift. Ferner: In der Zeit der christlichen Kirche, die wir als das Mittelalter bezeichnen, verfälschten zwar die papistischen Lehrer die christliche Lehre von Grund aus. Sie setzten an die Stelle des Gnadenevangeliums wieder die heidnische Werklehre, und an die Stelle der Heiligen Schrift setzten sie tatsächlich die Dekrete des Papstes und der Konzilien. Aber sie ließen dabei doch, wenn auch nur äußerlich, den Satz unangefochten, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist. Und was die Zeit der Reformation betrifft, so wurde durch Luther neben der Wahrheit, daß der Mensch Vergebung der Sünden durch den Glauben an Christum ohne des Gesetzes Werke erlangt, auch die Wahrheit wieder hell auf den Leuchter gestellt, daß die Heilige Schrift allein Artikel des Glaubens stellen solle, mit der Begründung, daß allein die Schrift Gottes eigenes und untrügliches Wort sei. Diese Wahrheit blieb über zweihundert Jahre in der lutherischen und auch zumeist in der sogenannten protestantischen Christenheit ziemlich unangefochten. Das wurde schon anders im dritten Jahrhundert nach der Reformation. Noch schlimmer wurde es im vierten Jahrhundert.

Gegenwärtig ist in der sogenannten protestantischen Christenheit die Lehre, daß die Heilige Schrift Gottes Wort und darum unfehlbare Wahrheit ist, von den meisten öffentlichen Lehrern, die das große Ansehen haben, aufgegeben. Die Heilige Schrift soll nicht Gottes Wort selbst sein. Sie soll nicht das Buch sein, worin Gott selbst zu uns redet, sondern nur eine Art Gemeindeprotokoll der ersten christlichen Gemeinden, in dem Menschen uns sagen, wie sie die Lehre von Christo aufgefaßt und verstanden hätten. Diese Menschen hätten zwar unter der Erleuchtung des in der Kirche wirkenden Heiligen Geistes gestanden, aber dabei seien doch menschliche Anschauungen und Irrtümer nicht ausgeschlossen. Man nennt die Schrift „gottmenschlich" in dem Sinn, daß in der Schrift neben der göttlichen Wahrheit auch menschlicher Irrtum sich finde. Es sei daher die Ausgabe der Kirche, insonderheit der gelehrten Theologen, zwischen Wahrheit und Irrtum zu scheiden. Damit ist aber der sichere Grund der Apostel und Propheten aufgegeben und alles in Zweifel gestellt.


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Wir Missourier und unsere Glaubens- und Bekenntnisgen offen werden in weiten Kreisen als „rückständige", in der nötigen Entwicklung zurückgebliebene Leute angesehen. Aber durch Gottes Gnade lassen wir uns nicht irremachen. Wir halten daran fest, daß die Heilige Schrift im Unterschied von allen ändern Schriften, die es sonst noch in der Welt gibt, Gottes eigenes Wort ist. Wenn wir die Schrift aufschlagen, dann wissen wir, daß Gott zu uns redet. Wenn die Schrift vorgelesen wird, erhebt sich die Gemeinde, denn Gott redet zu ihr. Es gibt freilich sehr viele Schriften in der Welt, die Gottes Wort enthalten. Seit der Apostel Zeit sind Hunderttausende von Schriften geschrieben worden, die Gottes Wort in der Weise enthalten, daß Gottes Wort in sie aus der Schrift ausgenommen ist. Augustins Schriften, im fünften Jahrhundert geschrieben) und Anselms Schriften, im Mittelalter geschrieben, enthalten mehr oder weniger rein Gottes Wort. Luthers, Gerhards, Walthers Schriften enthalten Gottes Wort. Und solche Schriften sind auch nützlich zu lesen. Auch sollen wir das in solchen Schriften enthaltene Wort Gottes so ansehen und zu Herzen nehmen, als ob Gott selbst es zu uns redete. Aber was wirklich Gottes Wort in diesen Schriften ist, das ist aus der Heiligen Schrift in sie hineingekommen. Auch sind durch das Lesen solcher Schriften viele Menschen zu Christo bekehrt worden. Aber diese selige Wirkung haben diese Schriften nur insofern und dadurch gehabt, daß sie das Wort der Heiligen Schrift in sich aufnahmen. Das ist nicht ein Menschengedanke, sondern klare Lehre Christi, wenn er Joh. 17, 20 im hohepriesterlichen Gebet sagt, daß alle Christen bis an den Jüngsten Tag „durch ihr" — der Apostel — „Wort an mich glauben werden". Der Apostel Wort aber haben wir in den Schriften der Apostel, die wir nun die Heilige Schrift nennen. Darum sagt Luther in seiner bekannten Anweisung zum theologischen Studium mit Recht: „Erstlich sollst du wissen, daß die Heilige Schrift ein solches Buch ist, das aller ändern Bücher Weisheit zur Narrheit macht, weil keines vom ewigen Leben lehret ohne dies allein." Wenn, Gott sei Dank, auch andere Bücher vom ewigen Leben, nämlich recht den Weg zum ewigen Leben, lehren, so ist das aus der Heiligen Schrift genommen. Wir haben Bücher von griechischen Philosophen. Aber sie enthalten nicht Gottes Wort und lehren nichts vom ewigen Leben, weil den Schreibern dieser Bücher die Heilige Schrift unbekannt war. Für den weisesten aller Griechen gilt Sokrates. Als der sterben sollte — er mußte nämlich den Giftbecher trinken —, da hat er nicht die Zuversicht ausgesprochen,, daß er durch den Glauben an Christum einen gnädigen Gott habe, sondern gesagt: „Vergeßt nicht, dein Äskulap einen Hahn zu opfern!"

So bleiben auch wir mit Luther dabei, daß die Heilige Schrift ein Buch von einzigartiger Beschaffenheit, nämlich im Unterschied von allen Büchern Gottes Buch ist, das ist, Gottes eigenes Wort. Die Heilige Schrift bildet unter allen Büchern, die es sonst noch gibt, eine Klaffe


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für sich, "forming a class by itself”.1) Wenn wir bei der Ordnung der Bücher in einer Bibliothek die Beschaffenheit der Bibel äußerlich zum Ausdruck bringen wollten, könnten wir die Bibel etwa auf ein Bücherbrett stellen, das für sich dasteht oder im Zentrum der Bibliothek Ausstellung gefunden hat. Kurz, unsere These halten wir fest, daß die Heilige Schrift im Unterschied von allen ändern Büchern in der Welt Gottes eigenes Wort ist.

Woher wissen wir das? Wie wir alle ändern Lehren aus der Schrift nehmen, so auch die Lehre über die Schrift selbst. Wir fragen also: Was sagt die Heilige Schrift von sich selbst? Und da lautet die Antwort: Die Schrift sagt von sich selbst, daß sie Gottes Wort ist, und zwar auf mehrfache Weise.

1.        Die Worte der Schrift Alten Testaments werden im Neuen Testament schlechthin als Gottes Worte angeführt. Matth. 1, 23 werden aus dem Propheten Iesaias, .nämlich aus Ies. 7, 14, die Worte zitiert: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären." Von diesen Worten aber heißt es V. 22, daß der HErr sie durch den Propheten gesagt habe. Matth. 2,18 sind aus Hos. 11,1 die Worte angeführt: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen." In bezug aus diese Worte wird sogleich bezeugt, daß der HErr sie durch den Propheten gesagt habe. Apost. 4,25 ist aus dem 2. Psalm zitiert: „Warum empören sich die Heiden, und die Völker nehmen vor, das umsonst ist?" Von diesen Worten aber heißt es zugleich, daß Gott sie durch den Mund seines Knechtes David geredet habe. Apost. 28, 26 werden den Juden in Rom die Worte Ies. 6, 9.10 vorgehalten: „Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Mt den Ohren werdet ihr's hören und nicht verstehen, und mit den Augen werdet ihr's sehen und nicht erkennen" usw. Und zu diesen Worten wird zugleich das Urteil hinzugefügt, daß der Heilige Geist sie wohl (das ist, zutreffend) durch den Propheten Iesaias zu den Vätern Israels geredet habe, B. 25. Hebr. 3, 7 heißt es von einem Zitat aus dem 96. Psalm: „Wie der Heilige Geist spricht: Heute, so ihr hören werdet seine Stimme, so verstecket eure Herzen nicht!"  Röm. 3, 2 heißt die ganze Heilige Schrift Alten Testaments, die der jüdischen Kirche anvertraut war: „was Gott geredet hat" (ta logia tau Theou, Gottes Aussprüche, Gottes Worte). Und weil die ganze Schrift Alten Testaments Gottes eigenes Wort ist, darum sagt Christus Joh. 10, 36 von dieser Schrift, daß sie auch nicht in einem einzigen Wort gebrochen werden kann.

Noch mehr. Es gibt eine Reihe von Schriftstellern die manchmal übersehen werden, wenn man davon redet, daß die Schrift Gottes Wort ist. Aber sie sind ein gewaltiger Beweis für die Göttlichkeit der Schrift. Es sind dies die Schriftstellen, in denen gesagt, ist, daß alle Ereignisse in der Welt sich nach dem Wort der Schrift richten oder geschehen müssen. Alles, was geschehen ist und geschehen wird, vom An-

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1) Davis, Bible Dictionary, sub “Bible."


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fang bis zum Ende der Welt, das mußte und wird geschehen, wie es geschrieben steht. So heißt es Matth. 1, 22, wie wir bereits hörten, von der Geburt Christi aus der Jungfrau Maria, daß sie geschehen sei, damit die Schrift erfüllet werde". Joh. 17,12 redet der Heiland von Judas' Abfall und Ende und setzt hinzu: „daß" (hina, damit) „die Schrift erfüllt würde". Als Petrus im Garten Christum vor der Gefangennahme mit dem Schwert bewahren will, wehrt ihm Christus auch mit den Worten: „Wie würde die Schrift erfüllet? Es muß also geschehen." Und von allem, was mit Christo geschehen ist, insonderheit von seinem Leiden und der darauffolgenden Herrlichkeit, sagt Christus selbst Luk. 24,44 ff.: „Es muß alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Moses, in den Propheten und in Psalmen" usw. Muß alles geschehen, was in der Schrift geschrieben steht, so muß die Schrift nicht Menschenwort, sondern das Wort dessen sein, der alles im Himmel und aus Erden in seiner Hand hat, der alle Ereignisse lenkt, ohne den nichts im Himmel und auf Erden geschehen kann, der allmächtig und allwissend, kurz, der große, majestätische Gott selbst ist.

2.        Dies ist zunächst von der Schrift des Alten Testaments gesagt. Daß aber die Schriften der Apostel des Neuen Testaments von derselben Beschaffenheit sind, nämlich .auch Gottes eigenes Wort, ist 1 Petr. 1, 10—12 gelehrt, wo es zunächst von den Propheten des Men Testaments heißt, daß sie durch den Geist Christi, der in ihnen war, von der zukünftigen Gnade des Neuen Testaments geweissagt haben, dann aber in bezug auf die Apostel des Neuen Testaments hinzugefügt wird: „Welches euch nun (zur Zeit des Neuen Testaments) verkündigt ist durch die, so euch das Evangelium verkündiget haben durch den Heiligen Geist, vom Himmel gesandt." Hier ist klar gelehrt, daß, wie das Wort der Propheten des Alten Testaments, so auch das Wort der Apostel des Neuen Testaments des Heiligen Geistes Wort ist. Der Einwand, daß hier nur von dem mündlichen Wort, nicht von den Schriften der Apostel die Rede sei, gilt nicht, weil die Apostel ausdrücklich sagen, daß sie dasselbe geschrieben haben, was sie mündlich verkündigten. So schreibt der Apostel Johannes 1 Joh. 1,3.4: „Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch, . . . und solches schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei." Ebenso ermahnt der Apostel Paulus die Thessalonicher, zwischen dem, was der Apostel ihnen mündlich verkündigte, und dem, was er ihnen geschrieben hat, keinen Unterschied zu machen, indem er sagt: „So stehet nun, liebe Brüder: und haltet an den Satzungen, die ihr gelehret seid, es sei durch unser Wort oder Epistel", 2 Thess. 2, 16. Ja, noch mehr: die Apostel dringen hehr entschieden aus sola Scriptura, aus das geschriebene Wort. Der Apostel Paulus verweist die christlichen Gemeinden seiner Zeit ausdrücklich aus seine Briefe und fordert, daß die Gemeinden die von ihm geschriebenen Briefe als Gottes Wort und Gebot annehmen sollen. In der Gemeinde zu Korinth waren Leute, die sich


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rühmten, daß sie auch Propheten seien und den Heiligen Geist hätten, und deshalb ihr Wort neben und über Pauli Wort stellten. Denen gegenüber weist der Apostel daraus hin, daß alle, die sich rühmten, Propheten und geistlich zu sein, sich als rechte Propheten und wirklich geistliche Leute dadurch ausweisen müßten, daß sie des Apostels geschriebenes Wort als Gottes Wort anerkennen und diesem Wort sich unterwerfen. Er schreibt 1 Kor. 14,37: „So sich einer lasset dünken, er sei ein Prophet oder geistlich, der erkenne serkenne an), was ich euch schreibe, denn es sind des HErrn Gebote." Schon zur Zeit der Apostel kam es vor, daß man sich auf mündliche Überlieferung, das ist, aus Worte, die angeblich von den Aposteln gesprochen waren, und aus Briese, die angeblich von den Aposteln stammten, berief. Paulus schreibt daher 2 Thess. 2, 2 an die Christen zu Thessalonich, daß sie sich nicht wankend machen und in Schrecken versetzen lassen sollten, „weder durch Geist noch durch Wort noch durch Briefe, als von uns gesandt". Damit die christlichen Gemeinden echte Apostelschristen Von untergeschobenen unterscheiden könnten, verweist Paulus 2 Thess. 3,17 auf seine Handschrift: „Der Gruß mit meiner Hand Pauli. Das ist das Zeichen in allen Briefen; also schreibe ich." So reichlich ist in der Schrift bezeugt, daß, wie die Schrift des Alten Testaments, so auch die Schrift des Neuen Testaments Gottes Wort ist.

So Luther und die alten lutherischen Lehrer. Luther: „Du sollst also mit der Schrift handeln, daß du denkst, wie es Gott selbst redet." (St. L. III, 21.) Gerhard: „Der Sache nach ist kein Unterschied zwischen Gottes Wort und der Heiligen Schrift." (L. de Scriptura Sacra, § 7.) Es ist nur ein Unterschied im Ausdruck, ob wir sagen: „Die Schrift sagt" oder: „Gott sagt." Der Sache nach ist es ein und dasselbe.

Die Wahrheit, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, tritt uns leicht in den Hintergrund, weil die Heilige Schrift in so einfältigen, menschlichen Worten zu uns redet und auch aus die Dinge des menschlichen Lebens, z.B. aus Haushalt, Ackerbau, Viehzucht, aus Kleidung und Speise usw., eingeht. Es geht daher der Heiligen Schrift, wie es Christo zu der Zeit, da er auf Erden, wandelte, erging. Weil Christus an Gebärden wie ein Mensch erfunden wurde, so hielt ihn das jüdische Publikum für einen bloßen Menschen wie Johannes den Täufer, Elias, Jeremias oder der Propheten einen, Matth. 16,14. So auch in bezug auf die Heilige Schrift. Weil sie in einfältiger, menschlicher Sprache geschrieben ist, so wird sie nicht für Gottes Wort gehalten, sondern in eine Klasse mit menschlichen Büchern gestellt und kritisiert. Möge nie ein lutherischer Pastor auf der Kanzel oder ein Lehrer in der Schule die Schrift kritisieren!  Möge Gott uns auch insonderheit vor Professoren bewahren, die Gottes Wort kritisieren, weil die Schrift äußerlich ein so schlichtes Kleid anhat!  Luther sagt in seiner Vorrede auf das Alte Testament (St.L. XIV, 3f.): „Ich bitte und warne treulich einen jeg-


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lichen frommen Christen, daß er sich nicht stoße an der einfältigen Rede und Geschichte, so ihm oft begegnen wird, sondern zweifle nicht daran, wie schlecht (gering) es sich immer ansehen läßt, es seien eitel Worte, Werke, Gerichte und Geschichte der. hohen göttlichen Majestät, Macht und Weisheit. Denn dies ist die Schrift, die alle Weisen und Klugen zu Narren macht und allein den Kleinen und Albernen offen steht, wie Christus sagt Matth. 11, 25. Darum laß deinen Dünkel und Fühlen fahren und halte von dieser Schrift als dem allerhöchsten, edelsten Heiligtum, als von der allerreichsten Fundgrube, die nimmer genug ausgegründet werden mag, auf daß du die göttliche Weisheit finden mögest, welche Gott hier so albern und schlicht vorlegt, daß er allen Hochmut dämpfe."

Ist auch uns persönlich die Schrift Gottes Wort?

Wir schließen diesen Abschnitt mit einer Selbstprüsung, ob auch wir für unsere Person die Heilige Schrift mit rechtem Ernst für Gottes Wort und die einzige Quelle und Richtschnur der christlichen Lehre halten. Fragen wir uns:

1.        Bedenken wir jedesmal, wenn wir unsere Bibel ausschlagen, daß das ein Buch ist, worin nicht ein Mensch, sondern der große Gott selbst, der Schöpfer Himmels und der Erde, und unser Seligmacher zu uns redet? Und doch ist es tatsächlich so. Walther pflegte zu sagen: „Wenn ich meine Bibel unter dem Arm habe, dann komme ich mir überaus reich vor; denn in dieser Bibel redet Gott zu mir." Wenn wir so die Bibel gebrauchen, dann gebrauchen wir sie, wie es der Wahrheit entspricht, daß die Bibel Gottes eigenes Wort ist. Gott ist uns in diesem Leben ein unsichtbarer Gott; niemand hat Gott je gesehen. Wir wissen freilich, Gott ist und wirkt überall. Wir sehen aus jedem Grashälmlein: das ist Gottes Werk. Aber das Schöpfungswerk schließt uns nicht Gottes Herz auf, wie es zu uns Sündern steht. Es steht weder auf den Bergen noch in den Tälern, weder an den Sternen noch in den Tresen der Erde geschrieben, daß Gott uns nicht verdammen, sondern in den Himmel nehmen will um Christi willen; das sagt uns Gott nur in seinem Wort. Da redet er zu uns, wie ein Mensch zu Menschen redet. Wir können Gott in diesem Leben zu unserm Heil nicht näher kommen als in seinem Wort. Wir lassen uns nicht dadurch irremachen, daß manche sagen: Mir ist Christus erschienen. Luther spricht sich wiederholt dahin aus, er wünsche nicht, daß Christus durch Erscheinungen mit ihm Verkehre, weil dabei doch die Möglichkeit vorhanden wäre, daß unter Gottes Zulassung der Teufel sich in einen Engel des Lichts verstelle. Er, Luther, sei aber gewiß, daß Christus bei ihm sei, nicht stumm, sondern redend, in seinem geosfenbarten Wort. (St. L. 1,1118 ff.) So ist es. Aus sein Wort hat uns Christus gewiesen: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen", Joh. 8, 31. 32. Bedenken wir das, wenn wir unsere Bibel ausschlagen oder die Bibelworte


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hören, damit wir in Ehrfurcht vor Gott in seinem Wort anbeten und sprechen: „Rede, HErr, denn dein Knecht höret!"

2. Lesen wir die Schrift fleißig? So geziemt es sich. Die Heilige Schrift ist ein Brief Gottes an uns Menschen. Luther sagt wiederholt: Herren- und Fürstenbriefe soll man zwei- oder dreimal lesen, denn sie sind bedächtig geschrieben. Aber die Schrift, unsers Gottes Brief, sollte man unaufhörlich, hundert- und tausendmal lesen. (St. L. 1,1055; XXII, 644. 1069.) Nun gibt es kaum ein Haus in unserer Synode, in dem nicht eine Bibel sich findet. Ja, die Bibel ist Wohl in mehreren Exemplaren in fast allen Häusern vorhanden. Aber um uns nun daraus zu prüfen, ob wir die Heilige Schrift in rechtem Ernst für Gottes Wort halten, sollten wir uns die Frage vorlegen: Ist die Bibel in unserm Hause das gelesenste oder das am wenigsten gelesene Buch? Wenn wir nachforschen, so werden wir finden, daß in diesem Punkt von uns viel gesündigt wird. Und das kommt daher, daß wir vergessen: die Bibel ist Gottes eigenes Wort, Gottes Brief, an jeden Menschen geschrieben. Wollen wir fleißiges Bibellesen in unsern Gemeinden Herstellen, so müssen wir immer wieder darauf Hinweisen: Bedenke, lieber Christ, was du an deiner Bibel hast! Sie ist Gottes Brief, gerade auch an deine Person gerichtet. Darin wird dir gesagt: Gott ist dir gnädig; du, Sünder, bist durch Christi Tod mit Gott versöhnt; Gott hat dich um des Blutes Christi willen angenommen.

3. Hören wir fleißig Gottes Wort, wenn es in öffentlicher Predigt verkündigt wird? Gott will sein Wort nicht bloß gelesen haben, sondern er hat auch die Ordnung getroffen, daß sein Wort in öffentlicher Predigt verkündigt werde von dazu tüchtigen und dazu berufenen Personen. Was folgt daraus? Alles, was Füße hat zum Gehen und Ohren zum Hören, das soll in die Kirche zur öffentlichen Predigt gehen, es sei denn, daß Gott selbst uns durch die vorliegenden Umstände sagt: Du gehst heute nicht in die Kirche. Nur Dienste der Liebe, z. B. Krankenpflege, sollten uns daran verhindern. Es liegt eine Verachtung der Heiligen Schrift als des Wortes Gottes vor, wenn wir saumselig und träge werden im Besuch der öffentlichen Gottesdienste.

4. Lassen wir Gottes Wort reichlich unter uns wohnen, auch in der Unterhaltung und im Verkehr mit den Brüdern? Christen können und sollen miteinander auch von den Dingen reden, die in ihren weltlichen und bürgerlichen Beruf gehören. Auch die Zeitereignisse werden sie besprechen. Die Welt irrt in der Beurteilung der Zeitereignisse. Die Christen brauchen nicht mit der Welt zu irren. Sie können und sollen alle diese Dinge in das Licht des Wortes Gottes rücken. Dazu hat Gott den Brief seines Wortes an sie geschrieben. Darum reden Ehesten untereinander vor allen Dingen auch von Gottes Wort und kirchlichen Dingen. Das war früher in unserer Synode Wohl besser als jetzt. Wir Pastoren sollten allezeit unsere Gemeinden er-


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mahnen, nicht zu vergessen, in ihren gesellschaftlichen Zusammenkünften das Wort Christi reichlich unter sich wohnen zu lassen.

5. Sind wir fleißig, möglichst viele Worte der Schrift unserm Gedächtnis einzuprägen, so daß Gottes Wort als unsers Fußes Leuchte und als ein Licht auf unserm Wege uns gegenwärtig ist, auch wenn wir unsere Bibel nicht bei uns haben? Es sollte im Hause und in der Schule darauf geachtet werden, daß eine solche Auswahl von Geschichten und Bibelsprüchen auswendig gelernt werde, in denen die Hauptstücke der christlichen Lehre und des christlichen Lebens zum Ausdruck kommen.

6. Beweisen wir Fleiß und Eifer in der Bibelverbreitung? Die Bibel soll gelesen werden. „Suchet in der Schrift!" Vergessen wir nicht: wenn wir die Bibel verbreiten, dann bringen wir in die Hände auch der Ungläubigen das Buch, worin Gott zu ihnen redet. Mit der Rede Gottes in der Schrift ist aber der Heilige Geist verbunden, sowohl mit dem Gesetz als auch mit dem Evangelium. Durch das Gesetz wirkt der Heilige Geist Erkenntnis der Sünde, durch das Evangelium den Glauben an Christum. Also, give the Bible a chance! Das tun wir durch die Bibelverbreitung. Viele Ungläubige sind durch das Lesen der Bibel zu Christo bekehrt worden. Alle Christen, nicht bloß die Pastoren, sollten daher stets Bibeln und Testamente im Hause haben, um sie gelegentlich austeilen zu können. So geziemt sich's, wenn wir dafürhalten, daß die Bibel Gottes eigenes Buch ist, an alle und jeden einzelnen Menschen geschrieben.

7. Sind wir fleißig in dem Werk der Ausbildung von Lehrern und Predigern, die es zu ihrem Lebensberus machen, Gottes Wort zu lehren? Gott will sein Wort auch im öffentlichen Predigtamt verkündigt haben, wie wir bereits gehört haben. Die Prediger aber müssen wir ausbilden. Christus selbst hat seine Jünger drei Jahre unterrichtet. Die Apostel haben auch schon eine Art Seminar gehabt. Der Apostel Paulus schreibt an Timotheus: „Halt an dem Vorbilde der heilsamen Worte, die du von mir gehöret hast!" 2 Tim. 1, 13; und Timotheus soll in den Gemeinden sich umsehen nach solchen Leuten, „die da tüchtig sind, auch andere zu lehren", Kap. 2, 2. Das müssen auch wir tun. Cs soll unaufhörlich unsere Sorge sein, daß Leute, die die Heilige Schrift öffentlich lehren, zu diesem Amte auch ausgebildet werden. Eine Synode, die ihre Lehranstalten vernachlässigt, beweist, daß sie nicht von Herzen glaubt, daß die Schrift Gottes eigenes Wort ist.

II.

Die Heilige Schrift ist Gottes Wort durch die Inspiration, das ist, durch die Tatsache, daß Gott den heiligen Schreibern die Schrift eingegeben oder inspiriert hat.

Die Heilige Schrift berichtet uns nicht nur die Tatsache, daß sie Gottes Wort ist, sondern lehrt auch sehr klar und deutlich, woher


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dies komme, nämlich daher, daß die Heilige Schrift den Männern, durch welche sie geschrieben ist, von Gott eingehaucht oder eingegeben wurde. Es heißt 2 Tim. 3,16 von der Heiligen Schrift: „Alle Schrift von Gott eingegeben" und 2 Petr. 1,21 von den Schreibern der Heiligen Schrift: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist." In dieser göttlichen Handlung der Einhauchung oder Inspiration ist es begründet, daß die Heilige Schrift, obwohl durch Menschen und in menschlicher Sprache geschrieben, nicht Menschenwort, sondern Gottes Wort ist. In den angeführten Schrist-aussagen über die Inspiration ist folgendes enthalten:

1. Die Inspiration der Schrift ist Eingebung der Worte der Heiligen Schrift, im theologischen Ausdruck: Verbalinspiration, verbot Inspiration, plsrrarx Inspiration. Es ist ganz merkwürdig, wie hin und Wieder auch wohlmeinende Leute, die für die Göttlichkeit der Schrift ein-treten wollen, dennoch in bezug auf die Wort- oder Verbalinspiration Zweifel äußern. In Deutschland gibt es eine Anzahl Pastoren, die den: Unglauben gegenüber für die Göttlichkeit der Heiligen Schrift, auch für die Inspiration der Schrift, eintreten wollen, aber wunderlicherweise die Inspiration der Worte der Schrift ablehnen. Man will zugeben, daß die Personen, die die Schrift geschrieben haben, inspiriert waren (Personalinspiration), aber die Inspiration soll sich nicht aus die Worte erstrecken, die von den heiligen Schreibern gebraucht wurden. Man will auch zugeben, daß die Sachen, über die sie geschrieben haben, den heiligen Schreibern dargereicht wurden (Realinspiration), aber die Inspiration soll sich nicht auch auf die Worte erstrecken, mit denen die Sachen beschrieben werden. Aber das sind sowohl törichte als schriftwidrige Gedanken. So gewiß es 2 Tim. 3,16 von der Schrift heißt „von Gott eingegeben", und die Schrift, wie jedermann zugesteht, nicht aus „Personen" oder „Sachen", sondern aus Worten besteht, so gewiß ist die Inspiration der Schrift Wort- oder Verbalinspiration. Dasselbe geht aus 2 Petr. 1, 21 hervor: „Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist." Aus dieser Stelle geht hervor, daß die heiligen Menschen Gottes unter dem Getriebensein vom Heiligen Geist nicht bloß gedacht oder Betrachtungen angestellt, sondern daß sie geredet, das ist, Worte hervorgebracht haben. Daß hier die Rede ist von den geschriebenen Worten der Heiligen Schrift, nicht bloß von dem mündlichen Wort, wird im vorhergehenden Verse (V. 20) noch ausdrücklich gesagt, wo die von den heiligen Menschen Gottes hervorgebrachten Worte näher bezeichnet werden als „Weissagung in der Schrift". Und wenn wir auf den Gebrauch sehen, den Christus und die Apostel von der Schrift gemacht haben, so sehen wir, daß sie gerade auf die Worte der Schrift dringen. Wenn Christus Joh. 10,.36/bon der Schrift sagt, daß sie nicht gebrochen werden könne, so versteht er das gerade von den Worten der Schrift. Er gründet nämlich sein Argument gegen die Juden, daß er nicht Gottes-


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lästerung begehe, wenn er sich „Gottes Sohn" nenne, darauf, daß im 82. Psalm das Wort „Götter" sogar von den bloßen Menschen, von den Richtern auf Erden, gebraucht ist. Daß es in der Schrift gerade auf die Worte ankomme, und durch die Worte jede Streitsache entschieden werde, sehen wir aus der Geschichte von der Versuchung Christi. Mit dem dreimaligen „Es stehet geschrieben" stellt Christus dem Teufel die Worte der Schrift entgegen und gewinnt den Sieg. Der Heiland sagt: „Es stehet geschrieben: ,Der Mensch lebet nicht vom Brot alleine, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geheü", Matth. 4, 4. „Wiederum stehet auch geschrieben: ,Du sollst Gott, deinen HErrn, nicht versuchen^", V. 7. „Es stehet geschrieben: ,Du sollst anbeten Gott, deinen HErrn, und ihm allein dienew", V. 10. Daß es bei der göttlichen Offenbarung an die Menschen gerade auf die Worte ankomme, an die der Glaube sich zu halten habe, sagt Christus auch Joh. 8, 31. 32: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede [das ist, an meinem Wort], so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen." So sehr kommt alles auf die Worte an, daß der Apostel Paulus von allen Lehrern, die nicht an Christi Worten bleiben, sagt, daß sie verdüstert sind und nichts wissen, 1 Tim. 6, 3 ff. Kurz, wollten wir nicht festhalten, daß die Inspiration der Schrift Wortinspiration oder Verbalinspiration ist, so daß die Worte der Schrift Gottes Worte sind, so wäre uns die Schrift nichts nütze, weil wir stets im Zweifel darüber bleiben mühten, ob die menschlichen Schreiber in den hohen göttlichen Sachen auch die richtigen Worte gefunden hätten'. Nun aber die Schrift — das ist, die Worte, aus denen die Schrift besteht — von Gott inspiriert ist, so hat unser Glaube ein Fundament, worauf er sicher ruhen kann, weil es fester steht als Himmel und Erde. Darum wagen wir es auch nicht, in irgendeinem Stück von Gottes geschriebenem Wort zu Weichen. Luther nennt diejenigen leichtfertige Verächter der Schrift, die auch nur über einen klaren Spruch sich hinwegsetzen, als ob er nicht dastände, und seht für seine Person hinzu: „Mir ist also, daß mir ein jeglicher Spruch die Welt zu enge macht." (St. L. XX, 788.) Kurz, die Heilige Schrift lehrt nichts anderes als Verbalinspiration.

2.        Die Inspiration der Schrift besteht nicht in einer bloßen Leitung der heiligen Schreiber (assistentia, assistance, direction) und Bewahrung derselben vor Irrtum, sondern in der göttlichen Darreichung oder dem göttlichen Geben der Worte, aus denen die Schrift besteht. Es heißt 2 Tim. 3,16 von der Schrift nicht bloß: „Alle Schrift von Gott gelenkt oder dirigiert", sondern: „Alle Schrift von Gott eingegeben." Von Gott gelenkt oder dirigiert und von Gott eingegeben sind ganz verschiedene Begriffe. Innerhalb der lutherischen Kirche des siebzehntem Jahrhunderts wollte der Helmstedter Theolog Georg Calixt in bezug auf solche Dinge in der Schrift, die den heiligen Schreibern schon vorher bekannt waren und überhaupt minder wichtig seien, eine bloße göttliche


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Leitung und Bewahrung vor Irrtum annehmen .2)  Manchen: scheint dies auf den ersten Blick unverfänglich zu sein. Aber mit Recht wurde Calixts Meinung von den alten lutherischen Theologen als schriftwidrig verworfen, weil dadurch eine Änderung in der Schriftaussage 2 Tim. 8,16 vorgenommen, nämlich für die Aussage „von Gott eingegeben" eine andere, dem Inhalt nach verschiedene Aussage: „von Gott dirigiert oder gelenkt", eingesetzt werde. Ferner wurde mit Recht von unfern alten Theologen darauf hingewiesen, daß bei den: Substitut „Leitung" an Stelle von „Eingebung" oder „Inspiration" die Schrift allenfalls fehlerloses Menschenwort, nicht aber Gottes Wort selbst Wäre. Das majestätische Gotteswort selbst ist die Schrift nur durch die Inspiration.3)

In der Kirche Gottes soll nur „aus Gottes Mund" geredet werden. So warnt schon der Prophet Jeremias die Kinder Israel: „Gehorchet nicht den Worten der Propheten, so euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie predigen ihres Herzens Gesicht und nicht aus des HErrn Munde", Jer. 23,16. Achten wir auf den Unterschied zwischen Kirche und Staat: Im Staat ist den Menschen erlaubt, ja, besohlen, aus der Vernunft zu reden; die bürgerliche Gesellschaft soll aus der Vernunft über Gut und Böse belehrt werden. Aber in der Kirche herrscht eine ganz andere Ordnung. Die Kirche ist Gottes Haus, Gottes Tempel, und in diesem Hause soll bloß, wie Luther oft sagt, des großen Hauswirts Wort erklingen. Wenn z. B. ein Gemeindeglied zun: Pastor kommt und etwa sagt: „Herr Pastor, ich kann nicht annehmen, was Sie vorgetragen haben", so muß der Pastor sagen und beweisen können: Ich habe aus Gottes Mund geredet, nicht aus meinem Mund; so sagt Gott in seinem Wort. Ebenso müssen unsere Schullehrer und Professoren sagen können: Ich lehre aus Gottes Mund; so spricht der HErr; so steht in der Schrift geschrieben.

3.        Die Inspiration erstreckt sich nicht bloß auf einen Teil der Schrift, etwa auf die Hauptsachen oder auf das, was den heiligen Schreibern vorher unbekannt war usw., sondern auf die ganze Schrift. Was ein Teil der Schrift ist, ist auch von Gott eingegeben. Das und nichts anderes kommt zur Aussage in den Worten: „Alle Schrift von Gott eingegeben." Wir würden diesen Worten Gewalt antun, wenn wir Teile in der Schrift von der Inspiration ausnehmen wollten, etwa die Teile, welche eingeflochtene geschichtliche Bemerkungen enthalten oder Beschreibungen von Ländern und natürlichen Dingen darbieten oder auch Ereignisse, die den heiligen Schreibern schon vorher bekannt waren. Wir unterstreichen bei der Erörterung der Frage, wie weit bei der Schrift die Inspiration sich erstrecke, das Wort „alle": „alle

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2) So schon von Calixt der Jesuit Bellarmin († 1621) und andere Jesuiten. Bei Quenstedt I, 99 sg. Ebenso Grotius († 1645 in Rostock). Bei Quenstedt, I. c., p. 100.

3) Quenstedt I, 98 sq., gegen Calixt und Bellarmin.


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Schrift von Gott eingegeben".4) Auch Joh. 10,35 gehört wieder hierher: «Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden."

4.        Die Inspiration der Schrift schließt selbstverständlich auch den göttlichen Antrieb und den Befehl zum Schreiben in sich. Wenn römische Theologen, wie Bellarmin und andere Jesuiten, zwar zugeben, daß auch die Schriften des Neuen Testaments den Evangelisten und Aposteln von Gott eingegeben oder inspiriert seien, aber trotzdem leugnen, daß die Evangelisten und Apostel für ihr Schreiben Gottes Willen und Befehl gehabt hätten,s) so ist das ein Widerspruch in sich selbst. Gott Hütte den heiligen Schreibern ihre Schriften nicht eingegeben oder inspiriert, wenn sie zum Schreiben derselben nicht Gottes Willen und Auftrag gehabt hätten. Mit Recht sagen daher die alten lutherischen Theologen, daß die Inspiration stets Gottes Willen und Befehl, den Akt des Schreibens auszuüben, in sich schließe (importare). Daß die Römischen dies unsinnigerweise leugnen, kommt daher, daß sie das Ansehen der Heiligen Schrift herunterdrücken und dagegen das Ansehen der von ihnen fabrizierten „mündlichen Überlieferung" heben wollen. Auch solche neuere Protestanten, die die Inspiration der Heiligen Schrift leugnen, haben behauptet, die Apostel hätten aus „zufälliger Veranlassung" ihre Briefe geschrieben. Die Absicht ist dieselbe wie bei den Römischen. Sie wollen sich ebenfalls der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift entziehen. Sie argumentieren also: Die Schriften der Apostel seien nur durch besondere Zustände in den einzelnen Gemeinden ihrer Zeit veranlaßt und könnten daher nicht Regel und Richtschnur für die Kirche der späteren Zeiten bis an den Jüngsten Tag sein. Der Römerbrief fei dadurch veranlaßt, daß der Apostel Paulus „zufällig" noch nicht in Rom gewesen war und daher auf den Gedanken kam, der römischen Gemeinde einen Brief zu schreiben, Röm. 1,13 ff. An die Korinther habe der Apostel geschrieben, weil ihm „zufällig" durch die aus Chloes Gesinde bekannt geworden war, daß die Gemeinde an Parteiwesen litt. Aber wer diese Veranlassungen „zufällig" nennt und daraus beweisen will, daß der Apostel Wort nicht für die Kirche aller Zeiten Quelle und Richtschnur der christlichen Lehre sei, muß im Grunde leugnen, daß es einen Gott gibt, der alle „zufälligen Gelegenheiten" in seiner Hand hat. Christus sagt ausdrücklich, daß er die Christenheit bis an den Jüngsten Tag durch seiner Apostel Wort belehre, Joh. 17, 20. Auch sind die Apostel sich bewußt, daß ihre Lehre den ganzen Zeitraum der Kirche bis an das Ende der Zeit deckt, 1 Kor. 11,26; 13,12; 1 Tim. 6,13.14. Auch Luther war bereits der Cin-wand bekannt, daß die Briefe der Apostel nicht allgemeine Geltung haben könnten, weil sie durch besondere Umstände in den einzelnen Gemeinden veranlaßt seien. Er geht darauf ein in seiner Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche", wo er sagt (XIX, 19 f.):

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4) Quenstedt I, 98.        .

5) Bellarmin, De Vero Dei IV, 3; bei Quenstedt I, 94.


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„Wenn wir zugäben, daß irgendein Brief des Paulus oder eine Stelle irgendeines Briefes die allgemeine Kirche nicht angehe, dann ist schon das ganze Ansehen des Paulus vernichtet. Denn die Korinther werden sagen, das, was er im Briefe an die Römer über den Glauben lehrt, gehe sie nicht an. Was könnte Lästerlicheres und Unsinnigeres erdichtet werden als diese Tollheit? Das sei ferne, das sei ferne, daß irgendein Tüttel im ganzen Paulus sei, dem die ganze allgemeine Kirche nicht Nachfolgen und den sie nicht halten sollte! Solche Meinung haben' die Väter nicht gehabt bis auf diese gefährlichen Zeiten, in welchen, wie Paulus borhergesagt hat, Lästerer und Blinde und Leute von zerrütteten Sinnen sein würden."

5.        In der Tatsache, daß die Heilige Schrift von Gott eingegeben und also Gottes eigenes Wort ist, ist auch ihre völlige Irrtumslosigkeit eingeschlossen (infallibilitas Scripturae Sacrae, infallibility, inerrancy of Holy Scripture), Weil „irren menschlich", aber nicht göttlich ist. Daß in der Heiligen Schrift kein Irrtum Vorkommen kann, dafür Haben wir denn noch, wie wir uns wiederholt erinnerten, das Zeugnis des Sohnes Gottes selbst, wenn er Joh. 10, 35 sagt: „Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden." Einer unserer alten lutherischen Theologen, nämlich Quenstedt, sagt: „In der kanonischen Heiligen Schrift findet sich keine Lüge, keine falsche Angabe, kein, auch nicht der geringste Irrtum, weder in Sachen noch in Worten, sondern das Ganze und das einzelne ist völlig wahr, was immer darin gelehrt wird, mag es Glaubenslehre oder Sittenlehre oder Geschichte, Zeitrechnung, Ortsbeschreibung oder Namenangaben betreffen, und kein Nichtwissen, keine Unbedachtsamkeit oder Vergeßlichkeit, kein Gedächtnisfehler kann oder darf den Schreibern des Heiligen Geistes beim Schreiben der Schrift zugeschrieben werden."6) Diese Worte Quenstedts klingen modernen Ohren entsetzlich, aber sie gehen nicht auch nur um eine Linie über Christi Worte hinaus: „Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden" und über seines Apostels Worte: „Alle Schrift von Gott eingegeben."

Das Verhältnis des Heiligen Geistes zu den Schreibern der Heiligen Schrift.

Neuere Theologen erklären das Verhältnis des Heiligen Geistes für ein unlösbares Problem. Sie wollen das Verhältnis unbestimmt gelassen wissen. Sie reden hier aber von einem unlösbaren Problem im Interesse ihrer Stellung, wonach sich die Grenze zwischen Wahrheit und Irrtum in der Schrift nicht klar bestimmen lasse. Aber die Schrift gibt Las Verhältnis zwischen dem Heiligen Geist und den Schreibern der Heiligen Schrift sehr genau an, indem sie sagt, daß der HErr „durch den Propheten" ,gesagt hat (Matth. 1,22; 2,15), der Heilige Geist „durch den sMnd Davids geredet hat" (Apost. 1,16; 4, 25). Hiernach hat Gott die heiligen Schreiber als seinen Mund, das heißt, als

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6 System I, 112.


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seine Organe oder Instrumente, gebraucht, und zwar in der Weise als seine Organe und Instrumente, daß sie nicht ihr Wort, sondern Gottes Wort schrieben. Paulus sagt der korinthischen- Gemeinde 1 Kor. 14, 37: „Was ich' schreibe, sind des HErrn Gebote", und begründet damit die Forderung, daß alle, die in der Gemeinde sich für „Propheten" und „geistlich" hielten, seinem Wort untertan seien. Das Volk der Juden hatte vor ändern Völkern den Vorteil, daß ihm mit der Heiligen Schrift das anvertraut war, was „Gott geredet hat". So gibt also die Schrift selbst sehr klaren Aufschluß über das Verhältnis des Heiligen Geistes zu den Schreibern der Heiligen Schrift. Die heiligen Schreiber waren nicht mehr und nicht weniger als Organe oder Werkzeuge des Heiligen Geistes beim Zustandekommen der Heiligen Schrift. Um dies Verhältnis (der Jnstrumentalität) zu bezeichnen, nennen sowohl die Kirchenväter als auch die alten lutherischen Theologen die heiligen Schreiber Federn des Heiligen Geistes, Hände des Heiligen Geistes, Notare, Schreiber, Sekretäre des Heiligen Geistes. Diese Ausdrücke werden von neueren Theologen viel verspottet. Aber diese Ausdrücke sind schriftgemäß, solange der Vergleichungspunkt (das tsrtiura soraxaratiouis) festgehalten wird, nämlich, daß die heiligen Schreiber beim Schreiben der Heiligen Schrift nur Gottes Werkzeuge-waren. Sie sollen nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck bringen, als daß die heiligen Schreiber nicht ihr eigenes Wort, sondern Gottes Wort geschrieben haben. Und das ist richtig, wie wir aus der Schrift selbst gesehen haben. Daß aber die heiligen Schreiber nicht tote, mechanische, sondern lebendige, mit Vernunft und Willen und einem bestimmten Stil, einer bestimmten Ausdrucksweise (moäus äissucki) ausgerüstete Werkzeuge waren, ist auch von den alten Theologen sehr nachdrücklich betont worden. Wenn neuere Theologen unfern alten Theologen einen rein mechanischen Jnspirationsbegriff zuschreiben, so ist das eine pure Erfindung und im besten Falle auf Unkenntnis der alten Dogmatiker zurückzusühren. Quenstedt führt 1,109 f. in Zitaten aus den Kirchenvätern und lutherischen Lehrern des längeren aus, daß der Heilige Geist die natürliche Anlage und Bildung der einzelnen Schreiber in seinen Dienst genommen habe. Er braucht auch das Bild der Kirchenväter von. einem musikalischen Instrument. In einem musikalischen Instrument (z. B. in einer Orgel) klingen die Pfeifen ungleich, aber der Spieler ist nur einer. Quenstedt beschreibt auch im einzelnen den verschiedenen Stil in den Schriften des Alten und Neuen Testaments.

III.

Die Einwände gegen die Inspiration der Schrift sind nichtig.

Die Einwände gegen die wörtliche Eingebung der Heiligen Schrift offenbaren nicht Klugheit oder Schärfe des Verstandes, sondern das gerade Gegenteil. Wir haben in den Einwänden ein klares Beispiel für die Tatsache, daß jeder Kritiker des Wortes Gottes von Gottes Straf-


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gericht getroffen wird, und zwar auch in der Hinsicht, daß der Kritiker auch seinen natürlichen Verstand verleugnet, unvernünftig und unlogisch wird. Dies wird uns bei der Prüfung der Einwände entgegentreten.

1.        Gegen die Inspiration ist eingewendet worden der verschiedene Stil, der sich in den einzelnen Büchern der Heiligen Schrift findet. Unter Stil verstehen wir die bestimmte Art und Weise, die wir an einem bestimmten Schreiber wahrnehmen im Gebrauch bestimmter Worte und Redeweisen, in der Gestaltung der Sätze, in der Verbindung der Sätze miteinander usw. Wie sich die Menschen unterscheiden durch die Gesichtszüge, so daß man sie voneinander kennen kann — nebenbei bemerkt: eine sehr nützliche göttliche Einrichtung unter den Mensen —, so unterscheiden sich die Menschen auch voneinander durch die Weise, wie sie mündlich und schriftlich ihre Gedanken ausdrücken. Um einige Beispiele anzuführen: Luther schreibt einen ändern Stil als Melanchthon und Chemnitz, Gerhard einen ändern als Dannhauer, Walther einen ändern als Sihler, Goethe einen ändern als Schiller, Shakespeare einen ändern als Longsellow. So auch in der Heiligen Schrift. Iesaias schreibt klar erkennbar einen ändern Stil als Amos, Matthäus einen ändern als Johannes, Paulus einen ändern als Petrus. Das ist auch in- den Übersetzungen erkennbar. Das Argument, dessen die Leugner der Inspiration sich bedienen, verläuft nun so: Wenn alle Schrift von Gott eingegeben wäre, so müßte sich in der ganzen Schrift auch nur ein Stil finden. Aus dies Argument bildet man sich viel ein, und doch ist es sehr töricht. — Wir antworten auf dies Argument: Der verschiedene Stil widerspricht nicht der göttlichen Inspiration, sondern ist von ihr gefordert, weil Gott nicht bloß durch einen, sondern durch mehrere Menschen geredet hat, von denen jeder seinen eigenen Stil hatte, und den Gott zur Mitteilung seines Wortes gebrauchte, wie er ihn bei den einzelnen Schreibern Vorsand. Seinen eigenen göttlichen Stil konnte Gott, wenn er mit uns Menschen reden wollte, nicht gebrauchen, weil wir den gar nicht verstehen würden. Das geht z. B. auch aus 2 Kor. 12 hervor. Da berichtet der Apostel Paulus, daß er entzückt war in das himmlische Paradies und daselbst Worte hörte. Es waren aber „unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann", 2 Kor. 12,4, nämlich auf Erden, in der menschlichen Gesellschaft. Gott sei Dank für seine Gnade, daß er im menschlichen Stil, den er bei den heiligen Schreibern Vorsand, zu uns Menschen geredet hat, um uns in den Himmel zu führen! Den himmlischen Stil, den wir hier aus Erden nicht verstehen können, werden wir einst im Himmel verstehen. Quenstedt sagt (1,109): „Wie die heiligen Schreiber gebildet oder gewohnt waren, erhabener oder einfältiger zu reden und zu schreiben, so hatwer Heilige Geist sie gebraucht und sich der Beschaffenheit der Menschen anpassen und zu derselben herablassen wollen." Es verhält sich mit der menschlichen Rede in der Schrift wie mit dem Wandel


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Christi auf Erden in den dreiunddreitzig Jahren. Um uns Menschen erlösen zu können, das heißt, um an unserer Stelle das Gesetz erfüllen und an unserer Stelle leiden und sterben zu können, mutzte Christus gleich werden wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden werden, Phil. 2, 7. Wäre er in göttlicher Herrlichkeit aufgetreten, so wäre alles im jüdischen Lande vor ihm geflohen von Dan bis Beersaba. So ist Christus nun auch, nachdem er für die ganze Menschheit das Heil erworben, in der Heiligen Schrift Mensch geworden, um das erworbene Heil an die Menschen austeilen zu können. Dies konnte nicht in himmlischer Rede, die wir Menschen nicht verstanden haben würden, geschehen, sondern nur in der Rede und der Ausdrucksweise, in der Menschen miteinander hier auf Erden verkehren.

2.        Gegen die Inspiration ist auch die Tatsache eingewendet worden, daß sich die heiligen Schreiber auf menschliche Forschung, menschliche Mitteilungen und menschliches Wissen berufen. Das ist allerdings der Fall. Der Evangelist Lukas sagt, daß er, was er schreibt, „alles von Anbeginn erkundet habe" (Luk. 1, 3). Der Apostel Paulus sagt 1 Kor. 1,11: „Mir ist Vorkommen (das ist, angezeigt, berichtet worden) durch die aus Chloes Gesinde (Familie), daß Zank unter euch sei." Der Apostel Johannes sagt 1 Joh. 1,8. 4: „Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch, . . . und solches schreiben wir euch." Das Argument, das hieraus die Leugner der Inspiration gegen die Inspiration entnehmen wollen, verläuft nun so: Wenn den heiligen Schreibern von Gott eingegeben wurde, was sie schreiben sollten, warum berufen sie sich denn für das, was sie geschrieben haben, auf eigene Erforschung, Mitteilung von ändern und auf die eigene Erfahrung? Das widerspricht sich! Warum bleiben sie nicht einfach dabei, was sie ja freilich auch sagen: Gott, Christus, der Heilige Geist redet durch uns? Antwort: Dieser Cinwand gehört in dieselbe Klasse wie der Einwand, der von dem verschiedenen Stil hergenommen ist. Wie der Heilige Geist den Stil benutzte, den er bei den einzelnen Schreibern vorfand, so gebrauchte er auch die geschichtlichen Kenntnisse, die die Schreiber durch eigene Erfahrung oder durch Forschung oder durch Mitteilung anderer Personen hatten. Ein Beispiel hierfür haben wir in dem Bericht über das erste Pfingsten, Apost. 2. Von der Auferstehung Christi wußten die Apostel durch eigene Erfahrung. Sie hatten den Auferstandenen gesehen und gehört. Dennoch redeten sie am ersten Pfingsttage auch von der Auferstehung Christi, „wie ihnen der Geist gab auszusprechen", Apost. 2,4. In den Psalmen redet David von Sündenangst und Gnadentrost auch aus eigener Erfahrung, und zugleich schreibt er seine Psalmen der Eingebung des Heiligen Geistes zu, wenn er 2 Sam. 28, 2 gerade auch von seinen Psalmen sagt: „Der Geist des HErrn hat durch mich geredet, und seine Rede ist durch meine Zunge geschehen." Dazu bemerkt Luther (St. L. III, 1890): „Welch ein herrlicher, hochmütiger Ruhm ist das! Wer sich rühmen darf, daß der Geist des HErrn durch


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ihn redet, und seine Zunge des Heiligen Geistes Wort rede, der muß freilich seiner Sachen sehr gewiß sein. Das wird nicht sein David, Isais Sohn, in Sünden geboren, sondern der zum Propheten durch Gottes Verheißung erweckt ist. Sollte der nicht liebliche Psalmen machen, der solchen Meister hat, der ihn lehret und durch ihn redet? Höre nun, wer Ohren hat zu hören! Meine Rede ist nicht meine Rede, sondern wer mich höret, der höret Gott; wer mich verachtet, der verachtet Gott. Denn ich sehe, daß meiner Nachkommen viel werden meine Worte nicht hören, zu ihrem großen Schaden. Solchen Ruhm dürfen weder wir (Luther — Chemnitz, Gerhard, Quenstedt — Walther, Sihler — Professoren in St. Louis — Pastoren auf der Kanzel — Lehrer im Schulzimmer) noch niemand führen, der nicht ein Prophet ist. Das mögen wir tun, sofern wir auch heilig und den Heiligen Geist haben, daß wir Katechumenen und Schüler der Propheten uns rühmen, als die wir nach sagen und predigen, was wir von den Propheten und Aposteln gehört und gelernt haben, und auch gewiß sind, daß es die Propheten gelehrt haben. Das heißen in dem Alten Testament der »Propheten Kindett, die nichts Eigenes noch Neues setzen, wie die Propheten tun, sondern lehren, das sie von den Propheten haben, und find ,Israel, wie David sagt, dem er die Psalmen macht." Die Schriften christlicher Lehrer enthalten Gottes Wort, aus der Schrift genommen; die Heilige Schrift hingegen ist Gottes Wort, gerade auch in den Psalmen, die der Heilige Geist „aus Davids Erfahrung heraus" redet.

3.        Gegen die Inspiration der Heiligen Schrift sind ferner eingewendet worden die verschiedenen Lesarten (Varianten), die sich in den Abschriften finden, die wir von den ursprünglichen Schriften haben. Diese verschiedenen Lesarten sind allerdings eine Tatsache. Die Sachlage ist diese: Wir besitzen nicht mehr die ursprünglichen Apostelschriften, die im ersten Jahrhundert geschrieben sind, sondern nur Abschriften. Die ältesten Abschriften, die uns erhalten sind, stammen aus dem vierten Jahrhundert der christlichen Kirche. Und in diesen Abschriften finden sich an manchen Stellen geringe Verschiedenheiten, die durch Versehen der Abschreiber entstanden sind. Das Argument, das hieraus die Leugner der Inspiration entnehmen wollen, gestaltet sich so: Weil in den Abschriften offenbar Schreibfehler vorgekommen sind/ so läßt sich nicht mehr genau seststellen, welches die ursprünglichen Gottesworte sind, und darum ist die Wortinspiration als unnütz aufzugeben. Daraus ist erstlich zu antworten: Schreibfehler in Abschriften haben nicht das Geringste mit der Inspiration der Urschriften zu tun. Nehmen wir ein Beispiel aus unfern bürgerlichen Verhältnissen. Unsere Staatslegislaturen nehmen Gesetze cyst. Wenn nun in den Abschriften oder Abdrücken aus einem Versehen der Abschreiber oder aus einem Versehen des Druckers Fehler borgekommen, so ziehen wir daraus vernünftigerweise nicht den Schluß, daß das Gesetz überhaupt nicht in einem bestimmten Wortlaut


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angenommen worden sei. Den weiteren Einwand, daß wir also doch nicht genau wissen könnten, ob wir zu unserer Zeit noch das nötige Gotteswort haben, das Christus durch seine Apostel der Kirche gegeben hat. widerlegen wir auf doppelte Weise. Daß wir trotz der geringen Verschiedenheiten in den Abschriften dennoch der Apostel Wort besitzen,, wissen wir erstlich ganz genau und vor aller menschlichen Untersuchung aus der göttlichen Zusage. Unser Heiland sagt Joh. 8, 31.32: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede (an meinem Worts, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen." Diese Mahnung Christi, an seinem Wort zu bleiben, gilt natürlich für die ganze Zeit der christlichen Kirche bis an den Jüngsten Tag. Die Ermahnung aber, an seinem Wort zu bleiben, setzt voraus, daß Christi Wort bis an den Jüngsten Tag vorhanden ist. Daß wir aber Christi Wort im Wort seiner Apostel haben, sagt Christus selbst im hohepriesterlichen Gebet, Joh. 17, wo es V. 20 heißt: „Ich bitte aber nicht allein für sie (nämlich für die Apostels, sondern auch für die, so durch ihr (nämlich der Apostels Wort an mich glauben werden." Kommen alle Christen bis an dem Jüngsten Tag durch der Apostel Wort zum Glauben, so ist damit vorausgesetzt und verheißen, daß der Apostel Wort bis an den Jüngsten Tag nicht verloren geht, sondern vorhanden ist. Dasselbe geht hervor aus Eph. 2, 20, wo es von der christlichen Kirche für die ganze Zeit ihres Bestehens heißt: „Erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten." Daß wir trotz der geringen Verschiedenheiten in den Abschriften dennoch der Apostel Wort besitzen, wissen wir aber auch zweitens durch menschliche Untersuchung, die wir auch wissenschaftliche Forschung nennen können. Wir können nämlich seststellen, daß durch die vorliegenden verschiedenen Lesarten (Varianten) an keiner christlichen Lehre auch nur das Geringste geändert wird. Das geben gerade auch die Männer zu, welche die Erforschung der verschiedenen Lesarten zum. besonderen Studium gemacht haben. Es wäre ein nichtiger Einwand, wenn jemand sagen wollte: Weil 1 Joh. 6,7 die Worte von den drei Zeugen im Himmel in den ältesten Abschriften fehlen, darum fehle im Neuen Testament das Zeugnis über die heilige Dreieinigkeit. Torheit'! Für diese Lehre finden sich andere sehr klare Stellen, z. B. Matth. 26,19: „Taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes", und 2 Kor. 13,13: „Die Gnade unsers HErrn JEsu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!"

4.        Endlich leugnet man die Inspiration der Schrift durch die Behauptung, daß es in der Schrift Stellen gebe, die sich widersprächen. In bezug auf diese angeblichen Widersprüche steht es, kurz zusammengesaßt, so: Bei einigermaßen gutem Willen und bei einigermaßen fleißigem Aufmerken läßt sich in den meisten Fällen die Möglichkeit eines Ausgleichs leicht Nachweisen. Man hat z. B. einen


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Widerspruch gefunden zwischen 1 Kor. 10, 8 und 4 Mos. 28, 9. An der ersteren Stelle schreibt der Apostel Paulus: „Es fielen auf einen Tag 23,000", während es an der letzteren Stelle heißt: „Es wurden getötet in der Plage 24,000." Diesen scheinbaren Widerspruch gab ganz kürzlich ein außerhalb unserer Synode stehender Pastor als Grund an, Weshalb er die Wortinspiration der Heiligen Schrift nicht annehmen könne. Aber auch hier ist ein Ausgleich leicht möglich. Der Apostel Paulus gibt die Zahl derer an, die an einem Tage fielen, wie er selbst sagt, und das waren 23,000, während 4 Mos. 28, 9 die Zahl derer angegeben ist, die in der ganzen Plage getötet wurden. Wenn Paulus nur 28,000 angibt, so zählt er nicht die Obersten des Volks mit, die Moses nach 4 Mos. 26, 4 aus Gottes Befehl durch Erhängen töten ließ. Dies können gar Wohl 1000 gewesen sein. Zählt man diese hinzu, so kommen die 24,000 heraus. Jedermann sollte zugeben, daß dieser Ausgleich möglich ist. Und eine Möglichkeit eines Ausgleichs muh jedem billig denkenden Menschen genügen. Es ist unvernünftig, den Nachweis zu fordern, daß eine bestimmte Lösung des scheinbaren Widerspruchs die einzig richtige sei. Weil wir bei manchen berichteten Ereignissen die.näheren Umstände (Orts- und Zeitverhältnisse) nicht ganz genau kennen, so müssen wir von vornherein mehrere Möglichkeiten des Ausgleichs zugeben. So sprechen sich unsere alten lutherischen Theologen aus. So auch Luther, wenn er öfter erinnert, es komme nichts darauf an, ob man einen scheinbaren Widerspruch so oder anders auflöse, übrigens gibt es auch in der Gemeinschaft der Sekten noch hin und wieder Theologen, die die Schrift entschieden für Gottes Wort erklären und darum auch das Richtige über die Auslösung der scheinbaren Widersprüche sagen. So sagt A. T. Robertson (in Broadus, Harmony of the Gospels, p. 232):  "In explaining a difficulty, it is always to be remembered that even a possible explanation is sufficient to meet the objector.  If several possible explanations are suggested, it becomes all the more unreasonable to contend that the discrepancy is irreconcilable.  It is work of supererogation to proceed to show that this or that explanation is the real solution of the problem."  Sollte uns aber ein Fall Vorkommen, wo wir eine Möglichkeit des Ausgleichs nicht erkennen, so lassen wir als Christen die Sache auf sich beruhen, weil wir die Irrtumslosigkeit der Schrift auf die Autorität und das klare Zeugnis des Sohnes Gottes hin glauben, der Joh. 10, 36 gerade in bezug auf die Worte der Schrift sagt: „Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden." V. G. Schulze in Walslcben sagte sehr richtig: „Wir erwarten die Zeit, wo es sich aufklären wird, und sterben getrost, auch wenn es nicht geschieht." (Zitiert in L. u. W. 1891, ^(867.) Alle Einwände gegen die Inspiration und also auch gegen die Irrtumslosigkeit der Schrift sind eines Christen unwürdig, weil sie menschliches Urteil in bezug aus die Heilige Schrift über das Urteil Christi, des Sohnes Gottes, stellen. Wer Christo Joh.


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3,16        glaubt: „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen ein gebornen Sohn gab", kann ihm auch Joh. 10, 36 glauben, wo er sagt: „Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden."

Das ist auch Luthers Urteil über die Schrift, und zwar nicht nur zu Anfang seines Auftretens, sondern auch -am Ende seines Lebens. Er schreibt im Jahre 1620: „Die Schrift kann nicht irren." (St. L. XIX, 1073.) In demselben Jahre: „Die Schrift hat noch nie geirrt." . (XV, 1481.) Im Jahre 1624: „Die Schrift stimmt allenthalben überein." (111,18.) Im Jahre 1527: „Es ist gewiß, daß die Schrift nicht mag mit sich selbst uneins sein." (XX, 798.) Im Jahre 1638: „Es ist unmöglich, daß die Schrift Wider sich selbst sein sollte, ohne allein daß die unverständigen, groben und verstockten Heuchler (es) also dünket." (W. VIII, 2141.) In den Jahren 1641 und 1645 redet Luther in seinem „Chronikon" davon, daß die Zeitangaben der alten menschlichen Geschichtschreiber manchmal mit den Zeitangaben der Heiligen Schrift nicht stimmen, und fügt hinzu, daß in solchem Falle die Heilige Schrift stets recht habe, weil sie Gottes Wort ist. Luther sagt (St. L. XIV, 491): „Ich gebrauche derselben (nämlich der menschlichen Geschichtschreibers so, daß ich nicht gezwungen werde, der Schrift zu widersprechen. Denn ich glaube, daß in der Schrift der wahrhaftige Gott rede, aber in den Historien gute Leute ihren Fleiß und ihre Treue (aber als Menschen) erweisen, oder wenigstens, daß die Abschreiber haben irren können."

Zusammenfassung.

Vergessen wir also nicht: Die Heilige Schrift ist das Buch, worin Gott selbst zu uns redet. Laßt uns täglich bedenken, welch ein wunderbares, einzigartiges Buch das ist, das wir in unfern Häusern haben und jederzeit gebrauchen können. Gott offenbart uns darin erstlich unsere Sünde, womit wir Gottes Zorn und die ewige Verdammnis verdient haben. Aber Gott offenbart uns in der Bibel unsere Sünde, nicht um uns zu verderben, sondern um uns durch dieselbe Bibel die Vergebung der Sünden um Christi .willen zuzusagen. — Ferner: Gott selbst sagt uns auch nicht bloß einmal, sondern oft in der Bibel, welches die Werke sind, die ihm Wohlgefallen, und welche Werke wir meiden müssen, damit wir unser himmlisches Erbe nicht verlieren. Und wenn Trübsal über uns kommt, und wir schlagen unsere Bibel aus, oder jemand liest uns aus der Bibel vor, dann ist Gott selbst es, der uns Trost zuspricht, wie einen seine Mutter tröstet.

Gott sei Dank, daß er uns die Heilige Schrift gegeben hat! Mit der Bibel in der Hand können wir getrost und sicher durch dies Leben wandern. In ihr haben wir hinreichend Licht in der Finsternis dieser Welt. In ihr haben wir auch hinreichend Kraft in unserer Schwachheit; denn weil die Bibel Gottes Wort ist, so ist ihr göttliche Kraft eigen, die in uns wirksam wird und in uns übergeht, sooft wir


der Synode von Missouri, Ohio u. a. St. 1921.        31

die Bibel gebrauchen. Sie wirkt in uns sowohl, daß wir nicht mit der irrenden Welt irren, als auch, daß wir nicht mit ihr in dasselbe unordentliche Wesen laufen. Sie bewahrt uns auch vor Trägheit in den Werken, die Gott von uns haben will und die ihm Wohlgefallen. Denn wenn wir zu guten Werken kalt und träge werden wollen, so schlagen wir unsere Bibel auf und erwärmen unser Herz an dem Feuer der göttlichen Liebe, das uns entgegenschlägt in solchen Bibelworten wie: „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben", Joh. 3,16. Darum ist unser Gebet:

Dein Wort, o HErr, laß allweg sein

Die Leuchte unfern Füßen,

Erhalt es bei uns klar und rein,

Hilf, daß wir draus genießen Kraft, Rat und Trost in aller Not,

Daß wir im Leben und im Tod Beständig darauf tränen!

Gott Vater, laß zu deiner Ehr'

Dein Wort sich weit ansbreiten;

Hilf, JEsu, daß uns deine Lehr'

Erleuchten mög' und leiten;

O Heil'ger Geist, dein göttlich Wort Laß in uns wirken fort und fort

Geduld, Lieb', Hoffnung, Glauben!

(Nr. 178, 9.10.)

Amen.