1879 Illinois District essay, Walther- Certainty of Grace Standing; OCR'd by BackToLuther, August 16, 2015.
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Lehrverhandlungen.
Der ehrw. Synode lagen folgende von Herrn Vr. C. F. W. Walther verfaßte und von Herrn Pastor T. I. Große von Addison vertretene
Thesen über die Gewißheit des Gnadenstandes
zur Besprechung vor:
I.
Die Lehre der Papisten, daß kein Mensch ohne besondere Offenbarung seines Gnadenstandes völlig gewiß sein könne, ist ein antichristischer Jrr-thum. Ebr. 11, 1. Matth. 11, 28—30.
II.
Die Lehre der Seelen, daß die Gewißheit des Gnadenstandes nur in einem süßen Gefühl der Gnade bestehe, ist eine gefährliche Schwärmerei. Röm. 7, 24. 1 Joh. 3, 20. Phil. 4, 7.
III.
Die Gewißheit des Gnadenstandes gründet sich allein fest und unerschütterlich auf die Gnadenmittel. Joh. 15, 3. 1 Joh. 5, 8.
IV.
Eine auf die Gnadenmittel gegründete Gewißheit wirkt der Heilige
Geist allein in dem Bußfertigen. Röm. 8, 16.
V.
Die Gewißheit des Gnadenstandes wird durch jede Sünde erschüttert, durch Todsünden vernichtet. 1 Joh. 3, 21. Ps. 66, 18. Joh. 5, 44.
VI.
Die Gewißheit des Gnadenstandes besteht auch im Zweifel des Bußfertigen, so lange der Mensch dagegen kämpft. (Anfechtungsstand.) Marc. 9, 24.
VII.
Je eifriger ein Mensch in der Heiligung ist, desto mehr hat er durch seine Liebe und guten Werke Zeugnisse, daß er bei Gott in Gnaden stehe. 2 Petr. 1, 10. 1 Joh. 3, 14.
Einleitend bemerkte der Referent: Obgleich die Gewißheit der Seligkeit und der ewigen Erwählung mit der Gewißheit des Gnadenstandes auf das innigste verbunden ist, so ist unsere Aufgabe für diesmal nicht, auch
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darauf einzugehen, sondern lediglich, von der Gewißheit des Gnadenstandes zu handeln; darüber zur klaren Erkenntniß zu kommen, ob ein Mensch dessen hier auf Erden im Glauben völlig gewiß und fröhlich werden könne, daß er ein Kind Gottes sei, daß er Vergebung aller seiner Sünden habe und daß ihm Gott gnädig und sein Freund und Vater sei. Die Gewißheit hierüber ist von der höchsten Wichtigkeit und voll des herrlichsten und süßesten Trostes.
Daß nach Gottes Willen der Mensch zur Gewißheit über seinen Gnadenstand kommen soll, kann Niemand in Abrede stellen, der die heilige Schrift nur einigermaßen kennt; denn dieselbe lehrt uns fast auf jedem Blatt, daß ein Mensch der Gnade Gottes gewiß sein und sich derselben freuen soll; sodaß man sich darüber wundern muß, wie es Leute geben kann, die hieran auch nur zweifeln. St. Paulus spricht nicht bloß in seinem, sondern im Namen aller Christen 2 Tim. 1,12.: „ Ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiß, daß er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag", und Röm. 8, 38. 39.: „Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Creatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo JEsu ist, unserm HErrn." Es zeigen uns ferner alle die Sprüche heiliger Schrift, wo die Gläubigen jauchzen, wo sie fröhlich sind in ihrem Gott, wie gewiß sie ihres Heils und ihrer Seligkeit waren. So z. B. jubelt Jesaias (Cap. 61, 10.): „Ich freue mich im HErrn und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils, und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam, mit priesterlichem Schmuck gezieret, und wie eine Braut in ihrem Geschmeide berdet." Und wenn Hanna (1 Sam. 2, 1.) betet: „Mein Herz ist fröhlich in dem HErrn . . denn ich freue mich deines Heils", so beweis't dies, wie gewiß sie ihres Gnadenstandes war. Nicht bloß David allein, sondern die ganze rechtgläubige Kirche des alten Bundes hat, der göttlichen Gnade gewiß, gesungen : „Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat; der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben erlöset; der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit; der deinen Mund fröhlich machet, und du wieder jung wirst, wie ein Adler." (Ps. 103, 1—5.)
Die unerschütterliche Gewißheit der göttlichen Verheißungen im Evangelium zeigt ferner klar und deutlich, daß ein Mensch seines Gnadenstandes gewiß werden soll und kann. Wir unterscheiden hier die Verheißungen des Gesetzes von denen des Evangeliums. So bestimmt und gewiß auch alle Verheißungen Gottes sind, so können doch die Verheißungen des Gesetzes nie einen Menschen seines Gnadenstandes gewiß machen, weil sie die Bedingung einer vollkommenen Erfüllung bei sich haben und unser Gewisser
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uns bezeugt, daß wir das Gesetz nicht vollkommen erfüllt haben. Die evangelischen Verheißungen aber von der freien Gnade Gottes in Christo sind allen armen Sündern gegeben; sie sind an keine Bedingung geknüpft; daher können und sollen sie jeden armen Sünder göttlich gewiß machen, daß er bei Gott in Gnaden ist. — Man bedenke ferner, wie sicher, fest und gewiß Gottes Verheißungen sind. Welch ein gewaltiger Unterschied ist zwischen Gottes Versprechungen und des Teufels, sowie auch der Menschen Verheißungen! Wenn der Teufel, um die Menschen zur Sünde zu verführen, ihnen allerlei Genüsse und Vortheile verspricht, so wird es sich am Ende zeigen, daß seine Verheißungen nicht blos ungewiß, sondern lügnerisch und betrügerisch waren. Auch die Verheißungen und Versprechungen der Menschen sind unzuverlässig; denn wenn dieselben auch oftmals im vollsten Ernste gegeben sind, so steht es doch nicht immer in des Menschen Macht, das Versprochene zu leisten. Ganz anders verhält es sich mit den Verheißungen Gottes; denn er ist die Wahrheit selbst, und was er zusagt, das hält er gewiß. Dies wird uns in einer großen Anzahl von Sprüchen bezeugt. So z. B. Röm. 3, 3. u. 4.: „Sollte ihr Unglaube Gottes Glauben aufheben (d. i. seine treue und theure Verheißung zu nichte machen) ? Das sei ferne. Es bleibe vielmehr also, daß Gott sei wahrhaftig und alle Menschen falsch." Ferner 2 Tim. 2, 13.: „Glauben wir nicht, so bleibet er treu, er kann sich selbst nicht leugnen." 1 Joh. 5, 10. heißt es : „Wer Gott nicht glaubet, der macht ihn zum Lügner." Hiernach ist Zweifeln an der göttlichen Verheißung, und somit auch an der Gewißheit des Gnadenstandes, die sich auf die göttliche Verheißung gründet, eine ganz erschreckliche Sünde, denn dadurch werden die göttlichen Verheißungen für lügnerische und trügerische, also für teuflische erklärt.
Um uns zur vollsten Gewißheit an die unerschütterliche Festigkeit seiner Verheißungen zu bringen, hat Gott dieselben auch noch hoch und theuer durch Eide bekräftigt, so z. B. Ezech. 33, 11.: „So wahr als ich lebe, spricht der HErr HErr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe." Höher denn bei sich selbst kann Gott nicht schwören. Auch unser lieber HErr Christus bekräftigt seine Verheißungen eidlich. Joh. 5, 24. spricht er : „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen", und Joh. 8, 51.: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich." Nun macht nach Gottes Wort (und die tägliche Erfahrung bestätigts) der Eid ein Ende allem Hader, daß es fest bleibt bei dem, was beschworen ist (vergl. Ebr. 6,16—18.): welch einen mächtigen Einfluß auf die Gewißheit unseres Gnadenstandes muß der Eid des großen Gottes haben, der um unsertwillen seine Verheißungen eidlich bekräftigt, damit wir starken, gewissen Trost, nämlich die Gewißheit
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des Heils in ihm, haben! Daher ruft auch der alte Kirchenlehrer Ter-tullian aus : „O, wir Glücklichen, um derentwillen Gott schwört! O, unglücklich sind wir, wenn wir dem schwörenden Gott nicht glauben", und Hieronymus schreibt: „Gott schwört deshalb, damit, wenn wir dem verheißenden Gott nicht glauben, wir dann doch dem für unser Heil schwörenden Gotte glauben." Aehnlich Augustinus: „Was ist des lebendigen und wahrhaftigen Gottes Schwur anders, als eine Bestätigung seiner Verheißung und, so zu sagen, ein Schelten des Ungläubigen?" und zu Ps. 88.: „Das hat Gott gesagt! das hat Gott verheißen! Ist das noch nicht genug, so höre: Das hat Gott beschworen! Weil daher die Verheißung fest ist, nicht um unseres Verdienstes willen, sondern um seiner Barmherzigkeit willen, so wollen wir glauben und ihn anbeten." In die Fußstapfen dieser alten Kirchenlehrer tritt auch unser Vater Luther, welcher zu 1 Mos. 22. also schreibt: „Gott scheidet durch seinen Schwur den päbstlichen und fleischlichen Zweifel vom Glauben: »Wer Gott nicht glaubet, der macht ihn zum Lügner', 1 Joh. 5, 10., — ja, nicht nur zum Lügner, sondern auch zu einem Meineidigen."
Man sollte, da Gott uns seine Gnade eidlich zugesichert hat, meinen, daß es keinen Sünder auf Erden geben könnte, der nicht jauchzte: Gott Lob, ich habe Vergebung der Sünden, Gott ist mir nicht mehr feind, er hat mich zu Gnaden angenommen und ich bin nun sein liebes Kind! Ja, wir sollen rühmen und singen von der uns zu Theil gewordenen göttlichen Gnade und uns die Gewißheit dieser Gnade nicht rauben lasten. Und wenn alle Welt, wenn alle Teufel und, Wenns möglich wäre, alle Engel uns sagen würden: Du bist nicht bei Gott in Gnaden, so sollen wir sie verfluchen und unsern gnädigen Gott nicht zu einem Meineidigen stempeln lasten.
Man bedenke ferner : wozu hat Gott uns denn seinen Heiligen Geist verheißen, geschenkt und gegeben, wenn nicht dazu, daß wir unseres Gnadenstandes gewiß werden sollen? Deshalb wird er ja auch der Tröster genannt. Rechten Trost können wir nur dann haben, wenn wir der göttlichen Gnade gewiß sind. So lange ein Mensch noch im Zweifel hin und her schwankt, und der göttlichen Gnade nicht gewiß ist, so lange fehlt es ihm auch noch an dem rechten Trost. Der Heilige Geist ist aber nicht nur ein Tröster aus vielen, sondern der Tröster, d. i. der einzige, der uns rechten, wahren, beständigen Trost ins Herz bringt. — Der Heilige Geist wird ferner genannt ein Geist der Wahrheit. Jeder Zweifel gehört in das Reich der Lüge. Da nun der Heilige Geist in alle Wahrheit leitet, so muß er uns auch gewiß machen über unsern Gnadenstand und uns allen Zwe fel benehmen. — Alle Sprüche heiliger Schrift, welche von dem Amt und Werk des Heiligen Geistes handeln, bezeugen uns, daß sein Amt darauf gerichtet ist, uns der göttlichen Gnade gewiß zu machen. So z. B. Röm. 8,14—17.: „Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten
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müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater. Derselbe Geist gibt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben." So lange der Mensch noch seines Heils in Christo nicht gewiß ist, hat er einen knechtlichen Geist und fürchtet sich vor Gott; wenn aber der Heilige Geist die gewisse Ueberzeugung von der göttlichen Gnade gegen uns in unser Herz ausgießt, so muß der knechtliche Geist Weichen und dem kindlichen Geiste Platz machen, durch welchen wir nun getrost und mit aller Zuversicht zu unserm himmlischen Vater beten können. Wenn wir der Versöhnung mit Gott, und daß die Scheidewand der Sünde hinweg gethan sei, nicht gewiß wären, so könnten wir dies nimmermehr. — Ebendasselbe, nämlich, daß des Heiligen Geistes Amt und Werk sei, die göttliche Gnade den Herzen der Menschen gewiß zu machen und zu versiegeln, wird uns noch in vielen ändern Sprüchen gelehrt. Man vergleiche: Gal. 4, 6. 1 Cor. 2, 12. 2 Cor. 1, 21. 22. Eph. 1, 13. 14. 4, 10. u. s. f. Aus diesem Allen ersehen wir nicht blos, daß es wirklich eine Gewißheit des Gnadenstandes gibt, sondern auch, daß es Gottes ernstlicher Wille ist, daß wir auch zu dieser Gewißheit kommen sollen. Daraus folgt aber, daß dieser Gegenstand von der höchsten Wichtigkeit ist. 'Dies erkannte auch Luther, darum treibt er auch mit allem Fleiß darauf, den Leuten zur Gewißheit ihres Gnadenstandes zu helfen. In der „Passionspredigt vom Nutzen des Leidens Christi" schreibt er also:
„Wir alle erfahren, wie tief der Unglaube in unsern Herzen steckt, daß wir von wegen unserer Sünden nimmer können recht.zufrieden sein, denken immerdar: Ach, wärst du frömmer, so würde es besser um dich stehen, so würdest du Gnade von Gott gewißlich zu hoffen haben. Wo die Herzen so zweifelhaftig sind, da muß Angst und Unmuth sein. Wiederum, wo wir fest gläuben und auf Gottes Güte recht vertrauen könnten, da würden unsere Herzen auch in allerlei Widerwärtigkeiten an solchen Trost sich halten, fröhlich und guter Dinge sein. Aber es will nirgend fort. Derhalben hat der Pabst allerlei Gottesdienst angerichtet, auf daß die Leute ein Vertrauen zu Gott schöpfen und desto weniger an Gottes Hülfe verzagen. Daher ist das Anrufen der Heiligen, Wallfahrten, Ablaßkaufen, Messe und Vigilien, Klosterleben und allerlei Abgötterei kommen. Wer es dahin konnte bringen, der gedachte, er wollte es gebessert sein und im Himmel genießen.
„Und es ist nicht weniger; ein rechter Prediger soll auf kein Stück mehrAcht haben und größeren Fleiß legen, denn wie er die Leute zum rechten Vertrauen bringen und solchen Unglauben ihnen aus den Herzen reißen könne. Wie man aber solches recht und meisterlich thun möge, stehet man hier aus St. Pauli Worten, der ein gewiß Zeugniß von unserm HErrn Christo hat, daß er ein rechter Prediger und ein erwählter und köstlicher Rüstzeug sei zu pflanzen das Reich Gottes. Derohalben sollen wir auf seine Worte gut Achtung haben." (XIII. 758.)
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Hierinnen hat Luther vollkommen Recht ; denn die seligste Aufgabe des heiligen Predigtamtes ist es, die Zuhörer zum festen Glauben oder zur festen Gewißheit ihres Gnadenstandes zu bringen. Ein höheres Ziel kann sich auch das heilige Amt nicht stecken. Wir leben leider in einer Zeit, wo von unzähligen Kanzeln herab die armen Zuhörer ihres Heils nicht etwa gewiß gemacht werden, sondern vielmehr ihnen alle Gewißheit ihres Gnadenstandes vorenthalten oder geraubt wird. Aber wehe denen, die, Wenns zum Sterben geht und die Stunde der Entscheidung für alle Ewigkeit schlägt, der göttlichen Gnade nicht gewiß sind! sie sind verloren.
Thesis I.
Die Lehre der Papisten, daß kein Mensch ohne besondere Offenbarung seines Gnadenstandes völlig gewiß sein könne, ist ein antichristischer Jrrthum. Ebr. 11, 1. Matth. 11, 28—30.
. Diese Thesis enthält Zweierlei: 1) wird darinnen die Behauptung aufgestellt : die Papisten lehren, daß kein Mensch ohne besondere Offenbarung seines Gnadenstandes völlig gewiß sein könne, und 2) daß diese Lehre ein antichristischer Jrrthum sei. Beides muß nachgewiesen werden.
1) Daß die Papisten diese Lehre, kein Mensch kann ohne besondere Offenbarung seines Gnadenstandes völlig gewiß sein, wirklich haben, beweisen uns ihre eigenen Schriften. Pabst Leo X. verdammt in einer Bulle vom 14. Juni 1520 folgenden Satz Luthers: „Die Sünden sind keinem vergeben, wenn er sie nicht auch vergeben glaubt; denn die Vergebung der Sünde und die Verleihung der Gnade genügt nicht, sondern man muß glauben, daß sie vergeben sei." (Smets S. 210.) — Die auf dem Concil zu Trident versammelten Bischöfe und Patres erklärten in der 6ten Sitzung, in welcher von der Rechtfertigung gehandelt wurde, im 9. Kapitel, überschrieben: „Gegen die eitle Zuversicht der Ketzer", Folgendes: Obgleich es aber notwendig ist, zu glauben, daß niemals Sünden vergeben werden, noch je vergeben worden seien, außer aus Gnaden, durch die göttliche Barmherzigkeit, um Christi willen, so „darf doch Niemand, der sich der Zuversicht und Gewißheit der Vergebung seiner Sünden rühmt und es dabei bewenden läßt, sagen, daß seine Sünden vergeben werden, oder vergeben worden seien, obschon bei den Ketzern und Abtrünnigen diese eitle und von aller Gottesfurcht entfernte Zuversicht bestehen kann, ja wirklich zu unseren Zeiten besteht und mit großem Zankeifer wider die katholische Kirche gepriesen wird. Aber auch dieses soll man nicht behaupten, daß diejenigen, die wahrhaft gerechtfertigt sind, ohne im mindesten irgend zu zweifeln, annehmen müßten, daß sie gerechtfertigt seien, und daß Niemand von Sünden entbunden und gerechtfertigt werde, als nur derjenige, der für gewiß glaubt, daß er entbunden und gerechtfertigt sei, und daß allein durch diesen Glauben
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die Entbindung und Rechtfertigung vollbracht werde, gleichsam, als ob derjenige, der solches nicht glaubt, an den Verheißungen Gottes und an der Kraft des Todes und der Auferstehung Christi zweifelte. Denn so wie kein Frommer an der Barmherzigkeit Gottes, am Verdienste Christi und an der Kraft und Wirkung der Sacramente zweifeln soll, so kann auch ein Jeder, wenn er sich und seine eigene Schwachheit und Unordentlichkeit ansieht, hinsichtlich seiner Gnade sich fürchten und besorgt sein, da Keiner durch Gewißheit des Glaubens, welcher nichts Falsches enthalten kann, zu verkennen vermag, ob er die Gnade Gottes erlangt habe." (8ess. 6. 6s jugtik. eap. 9.)
Dies haben sie auch durch Concilsbeschlüffe ausdrücklich festgesetzt.
Canon 13. des Tridentiner Concils lautet also: „Wenn Jemand sagt, es sei einem jeden Menschen die Vergebung der Sünden zu erlangen nöthig, daß er gewißlich und ohne alles Bedenken wegen der eigenen Schwäche und fehlerhaften Gemüthsbeschaffenheit glaube, die Sünden seien ihm vergeben: der sei verflucht."
Canon 14.: „Wenn Jemand sagt, der Mensch werde von Sünden losgesprochen und gerechtfertigt deshalb, wett er sich gewißlich losgesprochen und gerechtfertigt glaube, oder daß Niemand wahrhaftig gerechtfertigt sei, als der sich gerechtfertigt glaube, und daß durch diesen Glauben allein die Lossprechung und Rechtfertigung geschehe: der sei verflucht." (Smets S. 33. 34.)
Chemnitz analysirt diese Sätze also:
„1. Geben sie zu, ,es sei nothwendig zu glauben, daß die Sünde vergeben werde umsonst (gratis — aus Gnaden) durch die göttliche Barmherzigkeit, um Christi willen'. Daß man dies glauben müsse, wissen wir daher, weil das Evangelium diese Verheißung dem Glauben vorlegt.
2. Gleich aber fügen sie hinzu: »doch darf Niemand, der in dieser Zuversicht allein und in der Gewißheit der Vergebung seiner Sünden beruht, sagen, daß ihm die Sünden vergeben seien'. Der Glaube des Tridenti-nischen Concils glaubt also der Verheißung des Evangeliums von der gnädigen Vergebung der Sünden um Christi willen so, daß er doch bei dieser gewissen Zuversicht sich nicht zu beruhigen wagt; ja, sie scheuen sich nicht, zu sagen, daß Niemandem die Sünden vergeben werden, der in dieser Zuversicht und Gewißheit der Vergebung seiner Sünden sich beruhigt.
3. Führen sie als Grund an: »weil eine eitle und von aller Gottseligkeit entfernte Zuversicht auch bei Ketzern statt haben kann'.
4. Fügen sie hinzu, »daß nicht einmal die, die wirklich (vsrs) gerechtfertigt sind, ohne irgend welchen Zweifel bei sich selbst behaupten können, daß sie gerechtfertigt seien'.
5. Sagen sie, »es dürfe nicht behauptet werden, daß Niemand von Sünden absolvirt und gerechtfertigt werde, als der gewiß glaubt, er sei ab-solvirt und gerechtfertigt'. Sie meinen also, daß die Menschen absolvirt
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werden, auch wenn sie nicht glauben, daß sie absolvirt seien; d. i. sie lehren eine Absolution ohne Glauben.
6. Erklären sie, »daß die Frommen zwar im Allgemeinen nicht zweifeln dürfen an den Verheißungen Gottes, an der Geltung (Wirkung) des Todes Christi, an dem Verdienste Christi, an der Kraft der Sacramente; aber was die Anwendung auf die Einzelnen betrifft, so könne ein Jeder, wenn er auf seine eigene BeschaffArheit sieht, hinsichtlich seiner Begnadigung nur beben und sich fürchten'. (Wer lehrt ihn denn dabei aus seine Beschaffenheit sehen?) »Denn es könne Keiner mit so gewissem Glauben, dem nichts Falsches (kein Betrug) anhafte, wissen, daß er die Gnade Gottes erlangt habe.'
7. Endlich verfluchen sie Jeden, der da sagt, »jedem Menschen sei zur Erlangung der Vergebung seiner Sünden nöthig, daß er ohne Zweifel und ohne Bedenken wegen seiner Schwachheit glaube, daß die Sünden ihm vergeben seien'." (S. 190.)
Wahrlich, hiermit haben die Papisten ihrer ganzen Theologie einen Stempel aufgedrückt, daran man erkennen kann, was sie ist, nämlich ein« Zweifelstheologie. Hier haben wir den Beweis aus ihrem eigenen Bekenntniß. „Solche Zweifel", sagt Chemnitz, „kann auch die Philosophie oder irgend eine heidnische Religion lehren." Dazu hätte es wahrlich nichl der christlichen Religion bedurft.
Auf Grund der Tridentinischen Beschlüsse predigte im Jahre 1607 der Jesuit Osorius: „Wenn Jemand gleich tausend Jahre sein Leben wie Johannes der Täufer geführt und alle Tage Todte erweckt und alle Tage du Engel und Christum gesehen und unzählige Marter um Christi willen erlitten hätte; und du würdest ihn fragen: »Weißt du gewiß, daß du die Seligkeit erlangen wirst? Weißt du gewiß, daß du in Gottes Gnade stehest?', so wird er antworten: »Das weiß ich nicht'." — Auf den Einwurf, daß nach der Schrift ja der Heilige Geist unserm Geiste Zeugniß gebe, antwortet er. „An sich selbst möge es ja gewiß sein, wir könnten uns aber nicht gewif darauf verlassen, weil wir ja nicht gewiß wüßten, daß solches allerdings vom Heiligen Geiste, nicht aber vom Teufel herkomme." Carzov, dessen Predigten von der Herrlichkeit der Gläubigen Vorstehendes entnommen ist, ruft hierbei aus: „der HErr schelte dich, du Satan! die Gnadenwirkung des Heiligen Geistes also in Zweifel zu ziehen, daß man ihr zutraue, sie könne auch Wohl vom Teufel Herkommen!"
Daß der Zweifel an der Gewißheit des Gnadenstandes zu Luther« Zeit, ja, auch von ihm selbst, als er noch in der papistischen Blindheit stak, gelehrt wurde, bezeugt er selbst zu 1 Mos. 27, 38.:
„Da wir Mönche waren", schreibt er, „haben wir mit unserem Kasteien nichts ausgerichtet. Denn wir wollten unsere Sünde und gottlos Wesen nicht erkennen; ja, wir wußten von der Erbsünde nichts, und haben nicht verstanden, daß der Unglaube Sünde wäre. Ja (dasnochmehrist),
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wirhielten und lehrten auch, daßman an Gottes Gnade und Barmherzigkeit zweifeln müßte. Derohalben, je mehr ich lief und begehrte zu Christo zu kommen, je weiter er von mir wich. Nach der Beichte und wenn ich Messe gehalten hatte, konnte ich in meinem Herzen nimmer zufrieden sein; denn das Gewissen kann keinen rechten und gewissen Trost haben von den Werken." (II, 467.)
Derselbe: „Wiederum, höre, Ein lieber Bruder. Wenn sie nun einen armen Menschen beredet haben mit ihren prächtigen Worten von der Mönchtaufe und heiligen Orden, daß er dadurch so rein sei als ein unschuldig Kind, so aus der Taufe kommt, so wenden sie hernach das Blatt, und haben eine andere Lehre, die heißet: sunt^usti, st Ismen nssoit domo, an ockio vsl «.mors äiAnus sit. Lool. 9. Das deuten sie also: Wenn ein Mensch gleich fromm und gerecht ist, so weiß er doch nicht, ob er vor Gott in Gnaden oder Ungnaden fei, sondern es bleibt Alles ungewiß, bis aufs zukünftige (vernimm), das jüngste Gericht. Dieser Spruch ist durchgangen im Pabstthum und hat alle Gewissen erschreckt und betrübet. Denn er hat regiert über alle Klöster, Stift, Schulen und was nur Christen heißen; wie das ihre Bücher und Schriften allenthalben zeugen, und ich samt meines Gleichen elendiglich erfahren habe, auch viel gesehen, die darüber verschmachtet, zuletzt verzweifelt, als die Unsinnigen, gestorben sind. Denn, ach lieber HErre Gott! wenn ein betrübt Gewissen gern wollte Ruhe und einen gnädigen Gott haben, und mit Ernst gern selig wäre, und dieser Spruch, Lool. 9., in seinem Herzen steckt, was soll oder kann es doch anders thun, denn verzweifeln? Und dieweil es denkt : wer weiß, ob ich in Gnaden bin oder nicht: so ist der Teufel flugs da, und gibt den höllischen Mordstoß und spricht: O, du bist in Ungnaden und verloren; wie er Evam stieß, da sie begunnte zu zweifeln und disputiren. So geht die arme Seele dahin, das mag man denn danken der lieben heiligen Mönchtaufe." (Dreifacher Anhang einiger Streitschriften Lutheri. II. Anhang. Wider Herzog Georgen. XIX, 2314 f.)
Derselbe zu Gal. 4, 6. : „Darum gehets in des Widerchrists Reich so zu, daß sie zum ersten aufs herrlichste rühmen, wie ein köstlich, heilig Ding es sei um ihre Gesetze, Orden, Regeln, und verheißet denen, so sie halten, Vergebung der Sünden und das ewige Leben nur gewiß. Darnach, wenn die armen unseligen Leute ihre Leiber lange Zeit mit Wachen und Fasten rc. jämmerlich gemartert und geplagt haben, wie ihnen durch menschliche Gesetze fürgegeben und aufgelegt ist, kriegen siedaszumLohn, daßsie erst zweifeln müssen, ob ihnen Gott gnädig fei oder nicht. So greulich hat der leidige Satan seine Lust gebüßet, und fein Müthlein gekühlet in der armen Seelen Mörderei, dazu ihm die Papisten, als seine lieben Getreuen, getrost geholfen und gedienet haben. Derhalben auch Niemand zweifeln soll, daß das Pabstthum eine rechte Mordgruben der Seelen und Gewissen und des Teufels eigen Reich und Kaiserthum sei." —
Doch nicht genug damit, daß die Papisten eine besondere Lehre vom
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Zweifeln am Gnadenstande haben: es zielt vielmehr das ganze Lehrgebäud des Pabstthums dahin, den Sünder im Zweifel zu lasten, ja, ihn zweifeln zu lehren, ob er bei Gott in Gnaden stehe.
Von der Rechtfertigung behaupten sie, der Mensch werde nichl gerecht durch eine fremde, ihm zugerechnete Gerechtigkeit, sondern durch ein« ihm innewohnende und ihm eingegoffene Gerechtigkeit. Fühlt nun ein Mensch nichts von dieser Gerechtigkeit, so muß er verzweifeln. Indem si« die Werke in die Rechtfertigung mischen, so ist ja die natürliche Folge, das der Mensch nie seines Gnadenstandes gewiß werden kann, da sein Gewisser ihm stets bezeugen muß, daß seine armseligen Werke ihn nicht vollkommen machen können. Vertrauen auf Werke besteht ja nicht und kann nicht bestehen in der Anfechtung. Wer darauf vertraut, der baut auf Sandgrund.
Bei der Buße reden sie kein Wort vom Glauben, sondern rechnen als dazu gehörend : 1) die Reue (und zwar nicht als ein Erschrecken des Gewissens, sondern als einen, von dem Sünder freiwillig gewirkten, verdienstlichen Schmerz, verbunden mit dem Vorsatz, das Leben zu bessern); 2) die Beichte aller Sünden vor dem Priester; 3) die Genugthuung, oder die Verrichtung der vom Priester auferlegten Bußwerke. — Von der Reu« heißt es im Römischen Katechismus: „denn obwohl wir zugestehen, daß die Sünden durch die Reue getilgt werden; wer weiß denn aber nicht, daß dieselbe so heftig, bitter und heiß sein müsse, daß die Bitterkeit der Schmerzen mit der Größe der Sünde verglichen und gleich gestellt werden könne?" (Buffe I, 233. Vgl. Fick, Geheimniß der Bosheit, S. 45.) Von der Beichte heißt es ebendaselbst: „Die Seelsorger aber sollen hauptsächlich dies lehren, daß man in der Beichte Sorge tragen müsse, daß sie ganz und vollständig fei." — Von der Genugthuung wird gelehrt, daß wohl die ewigen Strafen durch die Absolution erlassen würden, aber nicht die zeitlichen. Die müßten, wenn nicht hier abgebüßt, vollends im Fegfeuer gebüßt werden.
Ganz erschrecklich ist hierbei auch die greuliche Lehre von der Intention des Priesters bei allen Amtshandlungen. Wenn z. B. der Priester, so lehren sie, in der Taufhandlung nicht auch die Absicht hat, die Taufe zu vollziehen, so ist sie ungültig und der Täufling ist trotz der äußerlichen Handlung nicht getauft. So auch bei anderen Amtshandlungen. Ja, wenn der Priester irgend etwas Anderes bei den Amtshandlungen denke, so seien dieselben ungültig. JmTridentinum heißt es gradezu: „Wenn Jemand sagt, es werde von den Kirchendienern, wenn sie die Sacramente zubereiten, nicht wenigstens die Willensmeinung (intsntio) erfordert zu thun, was die Kirche thut: der sei verflucht." (Oanon 11. Smets,
S. 41.) Kann nun ein Mensch nicht gewiß sein, ob er recht getauft ist, ob er die rechte Absolution und das rechte Abendmahl empfängt, wo bleibt da die Gewißheit des Gnadenstandes!
Von der Taufe heißt es im Concilium Tridentinum: „Wenn
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Jemand sagt, alle nach der Taufe begangenen Sünden werden durch die bloße Erinnerung und den Glauben an die empfangene Taufe nachgelassen oder läßlich: der sei verflucht." (Smets, S. 42.) Hiermit verflucht der Antichrist die Lehre der Hl. Schrift, daß durch die Taufe die Sünden vergeben, die Jemand nach Empfang derselben begangen hat, wenn er sich seiner Taufe bußfertig und gläubig getröstet, und Hebt damit die selige Frucht der Hl. Taufe völlig auf.
Das Hl. Abendmahl muß es sich ebenfalls gefallen lassen, von den Papisten nicht zu einem Gnadenmahl, sondern zu einem Zweifelsmahl gemacht zu werden.*) — Doch wann wollten wir fertig werden, wollten wir es an allen Lehren der Papisten Nachweisen, daßsie dieselben ihrer Zweifelstheologie dienstbar gemacht haben! Das ganze Pabstthum ist auf dem Zweifel aufgebaut; es hat das Eine große Ziel, die Menschen in Zweifel und Unsicherheit zu stürzen, damit sie ja nicht ihres Gnadenstandes gewiß werden. Der eigentliche Grund dieser Zweifelslehre ist der Geldbeutel; denn predigten sie die Gewißheit des Gnadenstandes, so würde kein Mensch mehr Messe lesen lassen und dafür bezahlen. Unsere Bekenntnißschriften nennen daher auch die papistischen Prediger mit vollem Rechte untreue Prediger, weil sie die Hauptaufgabe des heil. Predigtamtes, nämlich die Christen ihres Gnadenstandes gewiß zu machen, nicht bloß schändlich unterlassen, sondern gradezu umkehren.
In der Apologie (Müller, S. 108.) heißt es: „Darum sind wahrlich die Widersacher untreue Bischöfe, untreue Prediger und Doctores, haben bisanher den Gewissen übel gerathen und rathen ihnen noch Übel, daß sie solche Lehre führen, da sie die Leute lassen im Zweifel stecken, ungewiß schweben und hangen, ob sie Vergebung der Sünden erlangen oder nicht. Denn wie ist's möglich, daß diejenigen in Todesnöthen und letzten Zügen und Aengsten bestehen sollten, die diese nöthige Lehre von Christo nicht gehört haben oder nicht wissen, die da noch wanken und im Zweifel stehen, ob sie Vergebung der Sünden haben oder nicht?"
Der große Schade dieser Untreue wird auch in der Apologie nachgewiesen. S. 183 (Müller) heißt es: „Die Widersacher, wenn sie lang predigen und lehren außer dieser Lehre, lasten sie die armen Gewissen im Zweifel stecken. Da ist nicht möglich, daß da sollt Ruhe sein, ein still oder friedlich Gewissen, wenn sie zweifeln, ob Gott gnädig sei. Denn so sie zweifeln, ob sie einen gnädigen Gott haben, ob sie Recht thun, ob sie Vergebung der Sünden haben: wie können sie denn im Zweifel Gott anrufen,wie können sie gewiß sein, daß Gott ihr Gebet achte und erhöre? Also ist alle ihr Leben ohne Glauben und können Gott nicht recht dienen. Das ists, das Paulus zu den Römern sagt: Was nicht
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*) Vgl. Luther buch von Fick, S. 38.
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aus dem Glauben ist, das ist Sünde. Und dieweil sie in dem Zweifel allezeit und ewig stecken bleiben, so erfahren sie nimmer, was Gott, was Christus, was Glaube sei. Darüber geht's zuletzt also, daß sie in Verzweiflung, ohne Gott, ohne alle Gottes Erkenntniß sterben. Eine solche schädliche Lehre führen die Widersacher. Nämlich eine solche Lehre, dadurch das ganze Evangelium wird weggethan, Christus unterdrückt, die Leute in Herzleid und Qual der Gewissen, endlich, wenn Anfechtungen kommen, in Verzweiflung geführet. —
Luther schreibt: „Solches rede ich alles'darum, auf daß ich die schädliche Lehre der Sophisten und Mönche verwerfe und widerlege, welche also gehalten und gelehret haben, daß Niemand gewiß wissen kann, ob er in Gnaden oder Ungnaden sei, wenn er gleich aufs allerbeste lebe und wandele. Und solche Meinung ist durch das ganze Pabstthum für so gewiß gehalten worden, als wäre es der fürnehmsten Gründe einer und Artikel des Glaubens. Was greulichen und großen Schadens aber sie mit dieser heillosen, gottlosen Lehre angerichtet haben, ist nicht auszusagen. Denn die Lehre des Glaubens haben sie damit allerdings unterdrückt, den Glauben zerstört, die Gewissen verwirret, Christum aus der Christenheit hinweg geraubet, alle Wohl-thaten und Gaben des Heiligen Geistes verdunkelt und verleugnet, den rechten wahrhaftigen Gottesdienst abgethan, dagegen allerlei Abgötterei, eitel Gottes Verachtung und Lästerung in der Menschen Herzen angerichtet. Denn wer zweifelt an Gottes gnädigem Willen, und hält nicht gewißlich, daß er einen gnädigen Gott habe, derselbe kann nimmermehr gläuben, daß ihm die Sünden vergeben werden, daß Gott sich seiner annehmen und ihn selig machen wolle. .. Für diesem gottlosen Jrrthum, darauf das ganze Pabstthum gegründet ist, sollt ihr jungen Leute, weil ihr damit noch unbeschmeißet seid, fliehen, und dafür eine Scheu haben, als für der allergiftigsten und schädlichsten Pestilenz, so da sein mag." (Leipz. Ausg. XI, 269.)
Der Jesuit Köster behauptet : „Christus will nicht, daß in uns eine Glaubensgewißheit ohne allen Zweifel sei." (sk. Osrl». D. äs sust. §81.) Der Jesuit Bellarmin schreibt : „Es ist nicht zuträglich, daß die Menschen ordentlicher Weise Gewißheit haben über ihre Gnade, weil diese Gewißheit Stolz, die Ungewißheit aber Demuth erzeugt." (ok. Gsrb. I. s. § 108.) Das also soll die christliche Demuth sein, wenn man Gott zum Lügner und Meineidigen macht, dagegen das soll Hochmuth sein, wenn man Gott seine Ehre gibt! Wer erkennt hieraus nicht die teuflische Bosheit des Antichrists! Ganz anders redet der alte Kirchenlehrer Augustinus: „Wenn du sagen würdest", schreibt er, „daß du aus dir selbst heilig seiest, so bist du stolz; wiederum du Christgläubige.r
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und Glied Christi, wenn du nicht sagen würdest, daß du heilig bist, so bist du undankbar. Daher, damit du weder stolz noch undankbar seiest, so sprich zu deinem Gott: Ich bin heilig, weil du mich geheiligt hast, weil ich empfangen, nicht weil ich gehabt habe; weil du gegeben hast, nicht weil ich verdient habe." (Zu Ps. 85.) Und ferner: „Alle deine Sünden find dir vergeben, deshalb bringe nichts hervor von deinem Thun, sondern nur von Christi Gnade, denn aus Gnaden seid ihr selig, spricht der Apostel : es ist daher keine Anmaßung, zu preisen, was du empfangen hast, es ist kein Stolz, sondern Ehrerbietung." (8ermo 28. cks vsrlris Domini.)
Wenn Bellarmin oben sagt, die Menschen könnten ordentlicher Weise keine Gewißheit über ihre Gnade haben, so weis't er damit hin auf die römische Lehre, daß eine solche Gewißheit der Gnade oder des Gnadenstandes nur auf eine außerordentliche Weise oder durch besondere Offenbarung erlangt werden könne. Denn die Papisten gestehen allerdings zu, daß es Menschen gegeben habe, die ihres Gnadenstandes völlig gewiß gewesen seien, aber dieselben seien nicht durch die Gnadenmittel, sondern durch besondere Offenbarung und daher auf außerordentlichem Wege zu dieser Gewißheit gelangt; z. B. der Gichtbrüchige, welchen der HErr seiner Gnade versicherte; Petrus, Paulus, sämmtliche Apostel und viele andere. Aber dies ist nichts als eitel Täuscherei. Wir werden nirgends in der heiligen Schrift wegen der Gewißheit unseres Gnadenstandes auf besondere Offenbarung, sondern stets nur auf das gewisse Gottes-Wort, das in der heiligen Schrift uns vorgelegt ist, verwiesen. Und dieses Gottes-Wort allein ist der feste Grund unseres Glaubens. Der Glaube bedarf solcher besonderen Offenbarungen auch gar nicht; bedürfte er derselben, so wäre er kein Glaube mehr. Daß der Glaube der göttlichen Gnade auch ohne besondere Offenbarung gewiß sein könne und gewiß sei, lehrt uns Gottes Wort.
Ebr. 11, 1. heißt es: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht deß, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehe t." Also auch ohne zu sehen, oder, was ganz dasselbe ist, auch ohne besondere Offenbarung, ist der Glaube in seiner Hoffnung gewiß, und hat die gewisse Zuversicht, daß er bei Gott in Gnaden ist; ja, er hat nicht bloß eine solche Zuversicht, sondern er ist diese gewisse Zuversicht selbst. Denn gerade in dem zuversichtlichen Ergreifen der göttlichen Gnade besteht ja das Wesen des Glaubens. Wenn daher gesagt wird, der Mensch bedürfe, um seines Gnadenstandes gewiß zu werden, einer besonderen Offenbarung, um ihn göttlich gewiß zu machen, so wird damit das Wesen des Glaubens gänzlich aufgehoben, nämlich geleugnet, daß er eine gewisse Zuversicht sei deß, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehet.
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Wozu sollte auch eine besondere Offenbarung noch nöthig sein, nachdem der Mund der Wahrheit gesagt hat Matth. 11, 28—30.: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir ; denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht." Also nicht durch besondere Offenbarung soll die Ruhe für die Seele erlangt werden oder, was dasselbe ist, die Gewißheit des Gnadenstandes, denn durch diese Gewißheit kommt die Seele einzig und allein zur Ruhe; sondern dadurch, daß du zu Christo als ein mühseliger und beladener Sünder kommst und dich von ihm erquicken läßt, d. H. an ihn glaubest. Und nicht bloß einzelne wenige besonders Bevorzugte sollen zur Gewißheit ihres Gnadenstandes kommen, sondern Alle, die mühselig und beladen sind, und daher nach Gnade und Erbarmung ein Verlangen haben, sollen erquickt werden, d. i. die Gewißheit, daß Gott ihnen gnädig sei, erlangen. — Daß Niemand durch besondere Offenbarung zur Gewißheit des Gnadenstandes komme, dafür ist Paulus ein schlagender Beweis. Es ist wahr: Paulus hat besondere Offenbarungen gehabt, aber dadurch ist er nicht einmal zu Christo bekehrt worden und zur gläubigen Erkenntniß Christi gekommen, sondern er wurde von dem ihm erscheinenden Christo zu Ananias in Damascus gewiesen, damit derselbe ihm das Evangelium verkündige. Auch durch die späteren ihm widerfahrenen Offenbarungen ist er nicht erst zur Gewißheit seines Gnadenstandes gekommen, er beruft sich daher auch niemals auf diese besonderen Offenbarungen, wenn er die Gewißheit seines Gnadenstandes ausspricht, sondern stets auf das Evangelium und auf nichts anderes. Er beansprucht deswegen auch keine größere Gewißheit als Andere, sondern stellt sich in Eine Reihe mit ändern Gläubigen, die keine solchen Offenbarungen gehabt hatten, wie er. So z. B. 2 Cor. 4, 13. 14.: „Dieweil wir aber denselbigen Geist de-Glauben- haben (nach dem geschrieben steht: Ich glaube, dämm rede ich): so glauben wir auch; darum so reden wir auch, und wissen, daß der, so den HErrn JEsum hat auferweckt, wird uns auch auferwecken durch JEsum und wird uns darstellen sammt euch.
1 Tim. 1, 15. 16. schreibt Paulus: „Das ist je gewißlich wahr, und ein theuer werthes Wort, daß JEsus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin. Aber dämm ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich JEsus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben." Damit erklärt er nicht bloß das Evangelium von Christo als das einzige Mittel, wodurch er die Gewißheit der ihm widerfahrenen göttlichen Gnade habe, sondern damit stellt er stch auch als Beispiel für alle Bußfertigen auf, daß nämlich alle durch dasselbe Evangelium zur Gewißheit der Gnade kommen können und sollen, wie er.
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Wodurch wir zur Gewißheit des Gnadenstandes kommen, davon wird in der 3ten Thesis ausführlicher gehandelt werden. Die angeführten Sprüche aber zeigen zur Genüge, daß weder Paulus durch besondere Offenbarung zu der Gewißheit seines Gnadenstandes gekommen ist, noch daß wir, um zu dieser Gewißheit zu kommen, auf besondere Offenbarungen warten sollen. —
2) In unserer Thesis wird hervorgehoben, daß die Lehre der Papisten, daß kein Mensch ohne besondere Offenbarung seines Gnadenstandes völlig gewiß sein könne, ein antichristischer Jrrthum sei. Denn es ist nicht zu leugnen, daß dieser Jrrthum das Antichristenthum recht eigentlich kennzeichnet, weil dadurch die ganze Lehre Christi, das heilige Evangelium, umgestoßen wird, wie dies im Vorhergehenden schon mehrfach nachgewiesen ist. —
Luther schreibt: „Wenn gleich im Pabstthum sonst alles recht und gut wäre, wie es doch nicht ist, so wäre doch das, daß sie die Leute an Gottes Gnade und Willen so zweifeln lehren, ein solch ungeheuerer schä.dlicher Jrrthum, daßnicht zu sagen ist. Und ob es Wohl unleugbar ist, daß die Feinde Christi eitel ungewiß Ding lehren (denn, wie gesagt, sie heißen die Gewissen an Gottes Gnade zweifeln), sind sie gleichwohl so voll teuflischer Wütherei, daß sie uns mit aller Sicherheit als die allerärgsten Ketzer dahin verdammen und morden, allein darum, daß sie die Leute dahin führen, daß sie Gott, der nicht lügen kann, gläuben sollen rc., und thun solches, als wären sie ganz gewiß, ihre Lehre wäre recht und göttlich. Darum sollen wir unserm lieben Gott danken in Ewigkeit, daß wir von dem verzweifelten Jrrthum los worden, und können nun fürwahr wissen und halten, daß der Heilige Geist, wie St. Paulus sagt, in unseren Herren schreiet und ein unaussprechlich Seufzen anrichtet. Und dies ist unsere Grundfeste. Das Evangelium heißt uns ansehen nicht unsere guten Werke und Vollkommenheit, sondern Gott selbst, der die Verheißung thut; item Christum, der da ausgerichtet und ans Licht bracht hat das, so verheißen war. Dagegen aber heißt der Pabst ansehen nicht Gott, der da verheißet, auch nicht Christum, der unser Mittler und Hoherpriester ist, sondern unsere Werke und Verdienste; da kann nichts anderes folgen, denn daß man ungewiß wird, ob uns Gott gnädig sei, und endlich verzweifeln. Denn die Sache ist gegründet auf unser Werk, Verdienst und Gerechtigkeit rc. Wenn es aber auf Gottes Verheißung und Christum, den rechten unbeweglichen Fels, gegründet ist, ist man der Sache gewiß, sicher und fröhlich im Heiligen Geist; denn sie stehet auf Gott, welcher treu ist und nicht lügen noch trügen kann. Denn so sagt er : Siehe, da gebe ich meinen eigenen Sohn in den Tod, auf daß er dich durch sein Blut erlöse von den Sünden und Tod: da kann ich der Sache nicht ungewiß sein, ich wolle denn Gott allerdings verleugnen.
„Dies ist der Grund, daraus wir fürwahr wissen und beweisen können.
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daß unsere Theologie oder Lehre rechtschaffen und gewiß sei, nämlich, daß sie uns nicht läßt fußen und bauen auf unser Thun, sondern führet uns von dem unsern, und gründet uns auf eine andere Grundfeste, die außer uns ist; also, daß wir uns nicht verlassen auf unsere Kräfte, Gewissen, Fühlen, Person und Werk, sondern auf das, das außer uns ist, d. i. auf Gottes Verheißung und Wahrheit, auf Christum, der zur Rechten Gottes sitzet und unsere Gerechtigkeit ist, die uns der Teufel nicht umstoßen noch nehmen kann. Davon weiß und versteht der Pabst mit seinem Haufen gar nichts, darum leugnet und lästert er so greulich und unchristlich Ding mit seinem Haufen, gibt für, es wisse Niemand, wie fromm und weise er auch sei, ob er in Gnaden oder Ungnaden bei Gott sei? Nicht also, sondern wer gerecht und weise ist, der weiß fürwahr und gewiß, daß ihn Gott lieb hat: oder, wo er solches nicht weiß, so ist er eigentlich weder gerecht noch weise." (VIII, 2419—21.)
Der eigentliche Grund, weshalb die Papisten die Lehre von der Gewißheit des Gnadenstandes nicht glauben, ist, weil der Geist des Antichrists sie beherrscht, der den Grund des Glaubens und alle Glaubenslehren umstoßen will. — Die Gewißheit des Gnadenstandes ist eine Gewißheit des Glaubens und findet sich und kann sich nur bei denen finden, die den wahren Glauben haben. Des Antichrists Werk aber ist, die Christen ihres Glaubens zu berauben und zwar unter dem Schein, als ob ihnen das wahre rechte Christen-thum dafür geboten würde, als ob die Creaturen des Antichrists die rechten Christen seien. Indem der Pabst die reine Lehre zu unterdrücken, dagegen seiner widergöttlichen Lehre Anerkennung zu verschaffen sucht, setzt er sich als der rechte Antichrist an Gottes und Christi Statt. Gottes Wort lehrt uns, daß wir durch unsere Werke unseres Gnadenstandes nicht gewiß werden können, sondern allein durch den Glauben. Diese Lehre aber erklärt der Antichrist für eine schädliche und unsittliche Lehre, weil man durch eine^ solche Lehre die Leute dahin bringen würde, daß sie keine guten Werke mehr thun. Und durch die guten Werke soll ja, nach der Lehre des Antichrists, der Mensch selig werden. Diese Lehre geht dem Menschen sehr glatt ein, weil er sein Heil gern sich selber verdienen möchte. — Um die Menschen zu guten Werken anzutreiben, brauchen sie ihre verfluchte Zweifelslehre als Sporn. Ein Feldherr, sagen sie, welcher eine gefahrvolle Unternehmung auszuführen hat, gibt nicht große Belohnung, ehe es in den Kampf geht, sondern verheißt sie denen, die den Sieg erringen. So werde auch Gott nicht so thöricht sein, erst den Himmel zu schenken und dann gute Werke thun zu lassen, sondern er werde erst die Werke verrichten lassen und dann den Himmel zur Belohnung geben. So macht der Antichrist den Leuten einen falschen Wahn, als wären sie dann rechte eifrige Christen, wenn sie sich den Himmel mit Werken zu verdienen trachten, und er verabscheut die Lehre als gottlos, welche den Himmel als Geschenk der freien Gnade Gottes ohne Verdienst der Werke verheißt. Das aber ist antichristisch, wenn diese
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Werktreiberei für das wahre Christenthum ausgegeben wirb. Darinnen offenbart sich das Geheimniß der Bosheit. Der wahre Glaube verbindet unsere Herzen mit Christo. Das läßt der Antichrist nicht gelten. Er macht den Glauben zu einem bloßen historischen Wissen von Christo. Daß wir dadurch noch nicht mit Christo verbunden sind und dadurch auch der Gnade Gottes nicht theilhaftig werden können, ist gewiß. Der Glaube soll nach des Pabstes Lehre ein unzuverlässiges Mittel zur Seligkeit sein; aber seine Mittel, die er angibt, zur Seligkeit zu gelangen, die sollen es ausrichten. Damit macht der Antichrist den Leuten einen falschen Trost. Den rechtfertigenden Glauben und die gewisse Zuversicht des Herzens verdammt er in die Hölle. Wenn geschrieben steht: „der Glaube ist eine gewisse Zuversicht", so sagt er: Das ist nicht wahr; und wenn Christus alle armen Sünder zu sich einladet, so sagt er: Seid nicht so frech, ihr elenden Menschen, zu ihm hinzugehen; denkt nur nicht, daß er euch anblicken werde; vertraut euch aber mir an, gebt euch m meine Hand, ich will euch schon — zur Hölle führen. —
Gott will uns armen elenden Sündern nicht bloß seine Gnade geben, sondern er will uns auch gewiß machen, daß wir sie haben. Dahin gehen die herrlichsten Mittel, die Gott in seiner Weisheit zum Heil der Menschen erdacht hat, nämlich sein heiliges Wort und die heil. Sacramente, die Siegel dieses Wortes. — Von Natur fürchten wir uns alle vor Gott und fliehen vor ihm. Durch die Bekehrung aber kehren wir um, zu Gott zurück, in seine Vaterarme. Diese Umkehr zu Gott kann aber nur statt-sinden, wenn wir aus dem Wort die große Liebe Gottes gegen uns erkennen und uns zum Glauben bringen lasten. Das Antichristenthum aber kehrt alles um, lehrt nicht auf Gottes Gnade vertrauen, sondern zweifeln. Wie der Teufel im Paradies zu Eva sprach: „Sollte Gott gesagt haben?", so spricht er auch jetzt durch den Antichrist in Betreff aller Glaubenslehren: Ja, sollte Gott gesagt haben? Dieser Teufel sucht sich zwar als Engel des Lichts zu geberden, ist aber dennoch ein wahrer Teufel. Ob nun der weiße Teufel im Pabstthum herrscht, oder der schwarze Teufel in den Kindern des Unglaubens, das ändert an der Sache nichts. Beide sind des Teufels, ja, die vom weißen Teufel Beherrschten zwiefältig.
Der arme Sünder soll nach Gottes Willen sein Vertrauen einzig und allein darauf setzen, daß Gott ihm aus lauter Gnade die Seligkeit geschenkt hat, auf daß er durch den Glauben seiner Seligkeit gewiß werde. Aber dies Vertrauen auf Gottes Gnade nennt der Pabst Vermessenheit. Er macht aus der Sünde eine Tugend und aus der Tugend eine Sünde. Dies alles beweis't, daß das Pabstthum sich durch alle seine Lehren, sonderlich aber durch seine Zweifelslehre, als das rechte wahre Antichristenthum erweis't. —
Luther schreibt: „Die heilige christliche Kirche (ich rede jetzt mit den Unseren, denn bei dem Pabstesel, oder bei den Heinzen, Klötzen und Steinen,
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ist keine Vernunft, Sehen noch Hören) ist nicht ein Rohr noch Zahlpfennig. Rein, sie wanket nicht und gibt nicht nach, wie des Teufels Hure, die päbst-liche Kirche; die, wie eine Ehebrecherin, meinet, sie müsse nicht feste Hallen bei ihrem Ehemanne, sondern möge Wanken, nachgeben, zulasten, wie es der Hurenjäger haben will ; sondern sie ist (spricht St. Paulus 2 Tim. 3,15.) ein Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit. Sie stehet feste (spricht er), ist eine Grundfeste und fester Grund, dazu nicht ein falscher oder Lügengrund, sondern ein Grund der Wahrheit, leuget und trüget nicht, geht nicht mit Lügen um. Was aber wanket und zweifelt, das kann nicht Wahrheit sein. Und wozu wäre nütze oder noth in der Welt eine Kirche Gottes, wenn sie wollte Wanken und ungewiß sein in ihren Worten, oder alle Tage was Neues setzen, jetzt das geben, jetzt das nehmen? Ja, wozu wäre ein solcher Gott nütze, der uns also wollte wanken und zweifeln lehren? Der Papisten Theologie lehret, man müsse zweifeln an der Gnade ; davon sonst ist genug geschrieben. Denn wo sonst die Papisten in allen Sachen hätten gewonnen, sind sie doch in diesem Hauptstück verloren, da sie lehren, daß man zweifeln müsse an Gottes Gnaden, wo wir nicht zuvor würdig genug sind durch unsere eigene Genugthuung oder Verdienst und Fürbitte der Heiligen. Da sind ihre Bücher, Briefe und Siegel, Klöster, Stift und auch noch ihre jetzige Platten und Messen. Weil sie aber dieses Stück lehren, daß sie auf ihren Werken und Zweifel stehen, wie sie nicht anders können: so ist es gewiß, daß sie des Teufels Kirche sein müssen ; denn es find und können nicht mehr Wege sein, denn diese zween: einer, der auf Gottes Gnaden sich verläßt; der andere, so auf unser Verdienst und Werk bauet. Der erste ist der alten Kirchen und aller Patriarchen, Propheten und Apostel Weg, wie die Schrift zeuget; der andere ist des Pabsts und seiner Kirchen; das kann Niemand, auch die Heinzen und alle Teufel selbst nicht leugnen. Da stehet (wie oft gesagt) Zeugniß, Bücher, Bullen, Siegel, Brief, Stifte, Klöster, daß mans aller Welt beweisen kann." (Vom Feldzug der Protestanten wider Herzog Heinrich. XVII, 1680 f.)
Aegidius Hunnius schreibt: „Endlich wird durch dies Wort: ich glaube, der päbstliche Zweifel als Unrecht und dem Glauben zuwider aus dem Christenthum verwiesen und zur Hölle verdammt. Denn die Schrift setzet den Glauben und Zweifel als widerwärtige Dinge einander entgegen. Will man den Glauben Preisen, so muß der Papisten Zweifel untergehen. Wer aber den Zweifel des Gegentheils gut und recht heißt, der hebet auf und vernichtet den Glauben. Matth. 21. spricht der HErr zu seinen Jüngern: ,So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich auf und wirf dich ins Meer? Damit will Christus lehren, daß Glauben haben sei so viel als nicht zweifeln. Wie denn die Epistel an die Hebräer den Glauben beschreibt, daß er sei eine gewisse Zuversicht deß, das man hoffet, und nicht zweifeln (spricht der Apostel) an dem, das man nicht fiehet. Welches
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St. Jacobus mit bestätiget im ersten Capitel : ,So jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibet einfältiglich Jedermann und rückets Niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben (sagt er) und zweifle nicht? Aus jetzt angeführten Sprüchen siehet eure Liebe, wie der Glaube und Zweifel einander als widerwärtige Dinge entgegen gesetzet sein. Darum wer von Herzens-Grund spricht: Ich glaube, der gibt zu verstehen, er zweifle nicht. Sind also gläubige Christen schuldig, den leidigen Zweifel, so ihnen von Gott, seinem Wesen oder Willen einfallen wollte, als des Teufels feurige Pfeile mit dem Schild des Glaubens auszuschlagen. Und was Gott durch das Wort seiner Verheißung zusagt, demselben steif und fest zu glauben und nicht schwach werden darinnen. Wie von Abraham stehet, er habe nicht gezweifelt an der Verheißung Gottes, sondern sei stark worden im Glauben, habe Gott die Ehre gegeben und aufs allergewisseste gewußt, was Gott verheißt, das könne er thun; darum es ihm auch zur Gerechtigkeit ist gerechnet." (Katechismus-Predigten, Blatt 125.)
Thesis II.
Die Lehre der Secten, daß die Gewißheit des Gnadenstandes nur in einem süßen Gefühl der Gnade bestehe, ist eine gefährliche Schwärmerei. Röm.7,24. I Joh.3,20. Phil. 4,7.
Auch diese These enthält, wie der Augenschein lehrt, zwei Theile, nämlich 1. wird die Behauptung aufgestellt, die Secten lehren, daß die Gewißheit des Gnadenstandes nur in einem süßen Gefühle bestehe, und 2. daß dies eine gefährliche Schwärmerei sei.
Daß die Seelen, wie die Methodisten und Baptisten, überhaupt fast alle aus der reformirten Kirche entstandenen Kirchenpartheien, lehren, die Gewißheit des Gnadenstandes bestehe nur in einem süßen Gefühle, ist offenbar am Tage. Sie weisen nämlich die Leute wegen der Gewißheit ihres Gnadenstandes nicht auf das Wort Christi, sondern auf ihre eigenen Gefühle und auf die Erregungen ihres Herzens. Kein Methodist wird einen Menschen für einen Christen halten, der nicht sagen kann, er fühle, daß er bei Gott in Gnaden sei. Daher ist auch ihre stehende Frage, zumal bei ihren sogenannten Classenversammlungen: Wie fühlst du? Fühlt ein Mensch diese Gnade nicht mehr, dann sagen sie ihm: Du mußt beten, ringen und kämpfen, bis du das Gefühl der Gnade wieder bekommst. Das Treiben auf das Gefühl, oder daß der Mensch das innere Zeugniß des Heiligen Geistes (wie sie es nennen) fühle, ist recht eigentlich das Erkennungszeichen des schwärmerischen Geistes, der die Secten beherrscht. Auf diesen und jenen Umstand, durch welchen sie ein süßes, seliges Gefühl erlangt haben, gründen sie ihre Gewißheit, daß sie bei Gott in Gnaden seien. Das aber ist eitel Schwärmerei.
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Die Herrnhuter beschreiben in ihrem Katechismus den wahren lebendigen Glauben als „Ueberzeugung und Erfahrung des innersten Hebens und Lebens". (S. 53.)
Wenn die Reformirten denjenigen für einen todten Buchstabenhelden erklären, der seinen Glauben auf das Wort allein gründet, so zeigen sie damit, daß sie ihren Glauben auf etwas anderes, als auf Gottes Wort, gründen. Sie, wie alle Secten, sehen vom Wort ab und sehen auf das Gefühl.
Unsere ganze Zeit krankt hieran. Es ist ja nicht zu leugnen, daß es innerhalb der Secten gar Manche gibt, die gerne zur Gewißheit ihres Gnadenstandes kommen möchten; aber werden sie auf ihr Gefühl verwiesen, so können sie nimmermehr zu einer festen Gewißheit kommen, die auch in aller Anfechtung, dem rechten Prüfstein des wahren Glaubens, unerschüttert bleibt, sondern schweben gleichsam immer zwischen Himmel und Hölle. Haben sie ein seliges Gefühl, so meinen sie auch wahre Christen zu sein; fehlt dieses süße Gefühl der Gnade, so kämpfen sie mit der Verzweiflung.
Welch unglückselige Menschen z. B. die Methodisten bei ihrem Gefühlschristenthum sind, ist in einem im 4. Jahrgang des „Lutheraner" S. 164 mitgetheilten Gespräch eines lutherischen Predigers mit einem methodistischen naturgetreu geschildert. Dasselbe lautet:
„Ich fragte einmal einen methodistischen Prediger, der schon zwölf Jahre predigt, was es denn heiße, wenn im Apologeten aus dem Bericht des Hrn. Prediger N. N. gedruckt stehe: »gestern (gewöhnlich nach Anwendung der Bußbank) kamen zehn Seelen in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes?
Antwort: Nun sie fühlten die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden in Christo kräftig in ihren Herzen und bezeugten es auch laut durch ihren Mund.
Ich: Wenn sie aber morgen nichts mehr davon fühlen, wie dann?
Er: Nun sie müssen ernstlich beten und flehen, daß sie es wieder fühlen!
Ich: Wenn dies aber nicht hilft und die Trockenheit eher zu- als abnimmt?
Er: Sie müssen noch ernstlicher beten und ringen.
I ch: Wenn sie dies aber nicht können, ja, wenn am Ende gar Gewissen und Gesetz wieder gegen sie aufstehen und die Dürre zur Angst wird, wie dann?
E r: Dann sind sie nicht gründlich bekehrt.
I ch: Aber sie waren ja an der Buß- und Gnadenbank und im Apologeten stand ja gedruckt: .sie kamen in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes?
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Er: Ja! es gibt auch Manche, die doch wieder abfallen.
I ch: Nun, da solltet Ihr wenigstens etwas vorsichtiger sein und nicht immer gleich so eilfertig und zuversichtlich die bestimmte Zahl im Apologeten angeben, als wäret Ihr Herzenskündiger wie der HErr selber, und wüßtet genau, was im Menschen ist. Doch dies beiläufig. Um aber wieder auf unfern Fall zurückzukommen: könnt Ihr Euch nicht denken, daß jene geistlich dürren oder gar durch Mosen wieder erschreckten Seelen nicht wieder muthwillig in Sünde zurückfielen und doch nicht das Gefühl der Freude in Christo und des Trostes des Heiligen Geistes wieder gewinnen können, nachdem sie oft und ernstlich darum gebetet, ja, daß sie gar nicht mehr recht beten können?
Der Methodistenprediger schwieg eine gute Weile, denn es schien ihm doch fast unglaublich, daß Seelen, die an der Bußbank vielleicht nach besonderem Gestöhne und Gejauchze zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes gekommen waren, nachher nicht mehr sollten recht beten können, ohne wieder abgefallen zu sein.
Endlich sagte er: .Gott ist ja doch aber größer als unser Herz? Recht, erwiederte ich ihm : aber wo steht das anders, als in dem Worte Gottes? dahinein, in die tröstlichen Zusagen des treuen Gottes in der heiligen Schrift müssen jene bekümmerten und angefochtenen Seelen gewiesen werden, wenn man zuvor versichert ist, daß nicht sündliche Rückfälle diesen Zustand der Dürre oder der Angst bewirkt haben; nicht aber darf man ihnen, gleichsam als ein neues Gesetz, jene Gebetstreiberei aufladen. Hierauf sagte er nun weiter nichts mehr und ich ging meines Weges." (Gespräche zwischen zwei Lutheranern über den Methodismus. Erstes Gespräch. — Von vr. Sihler.)
Wir leugnen nun zwar nicht, daß Gott seinen Kindern auch herrliche Gefühle seiner Gnadennähe schenkt. Dies geschieht vornehmlich dann, wenn der Sünder bekehrt wird und zu Gott kommt. Dann gibt Gott oftmals aus großer Gnade den überschwänglichen Reichthum seiner Gnade zu schmecken. Es sind dies die Liebesküfse des himmlischen Vaters. Denn wie der verlorne, aber bußfertig heimkehrende Sohn zu seinem Vater kam, da herzte und Mßte ihn sein Vater. So macht es auch der himmlische Vater, und dies thut er deshalb, damit er den Sünder um so entschiedener von der Welt losreiße. Wenn der arme Sünder die Gnade Gottes erfährt, aus der Schande der Sünde zur Ehre, aus der Hölle in den Himmel, aus dem Tod in das Leben versetzt wird, wie! sollte sich der nicht freuen? Das wäre ein schönes Christenthum, wo keine Dankbarkeit und Empfinden der Gnade wäre! Wir arbeiten also auch dahin, daß die Gnade Gottes geschmeckt und gefühlt werde, daß der Christ jauchze und singe: „Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat." Aber wehe dem, der auf dies Gefühl die Gewißheit seines Gnadenstandes
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baut! Denn dieses Gefühl der Gnade findet sich nicht immerdar bei den Christen ; oftmals fühlt der Christ nicht anders, denn als ob er von Gott verlassen und verstoßen sei. Die Gewißheit des Gnadenstandes kann darum nicht von dem Fühlen und Empfinden der Gnade abhängen. Daß ein Christ nicht immer die seligsten Empfindungen der göttlichen Gnade in seinem Herzen spüre, zeigt uns das Beispiel des Apostels Paulus recht deutlich, welcher in dem unserer Thesis beigefügten Spruch Röm. 7, 24. ausruft: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe diesesTodes?" Dies sagt derselbe Apostel, der zu anderer Zeit froh triumphirend spricht : „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag." (2 Tim. 1, 12.) Woher kam das, daß er so kläglich nach Erlösung schrie? Daher, weil ihm sein ganzes sündliches Verderben vor Augen stand, weil er lebendig erkannte, welch eine armselige Creatur er sei. Obwohl nun Paulus, als er seufzte: „Ich elender Mensch" u. s. w., nicht die süße Empfindung der Gnade gehabt hat, so war er doch trotzdem in Gnaden und er war auch bei alledem seines Gnadenstandes gewiß. 1 Joh. 3, 20. heißt es : „Daß, so uns unser Herz verdammt, daß Gott größer ist als unser Herz." Auch diese Worte bezeugen uns, daß Solche, die ihres Gnadenstandes gewiß sind, oftmals nichts als das Verdammen in ihrem Herzen empfinden.
Wer das Buch Hiob und die Psalmen gelesen hat, der muß bekennen, daß nicht bloß derjenige ein bekehrter Mensch ist, welcher die Gnadennähe des Heilandes fühlt und schmeckt. Denn darinnen steht für ewige Zeiten ausgezeichnet, daß die wahren Kinder Gottes oftmals nichts als Tod und Verdammniß in sich fühlten. Zum Belege mögen einige Stellen aus dem Buche Hiob dienen. Hiob war seines Gnadenstandes gewiß und dennoch klagt er (Cap. 3, 20.): „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen, und das Leben den betrübten Herzen?" und (V. 24—26.): „Denn wenn ich essen soll, muß ich seufzen, und mein Heulen fährt heraus wie Wasser. Denn das ich gefürchtet habe, ist über mich kommen, und das ich sorgte, hat mich getroffen. War ich nicht glückselig? War ich nicht fein stille? Hatte ich nicht gute Ruhe ? Und kommt solche Unruhe?" Ferner (Cap. 6, 4.): „Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, derselben Grimm säuft aus meinen Geist, und die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet"; und (Cap. 7, 1.): „Muß nicht der Mensch immer im Streit sein auf Erden, und seine Tage sind wie eines Taglöhners?" (V. 11. .) „Darum will ich auch meinem Munde nicht wehren, ich will reden von der Angst meines Herzens, und will heraussagen von der Betrübniß meiner Seele." (V. 21..) „Und warum vergibst du mir meine Mifsethat nicht, und nimmst nicht weg meine Sünde? Denn nun werde ich mich in die Erde legen; und wenn man mich ^morgen suchet, werde ich nicht da sein." Namentlich diese letzten Worte beweisen, daß er wegen der Vergebung seiner Sünden Anfechtung hatte. Diese große Anfechtung zeigt sich auch in den Worten
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(Cap. 19, 21.): „Erbarmet euch mein, erbarmet euch mein, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich gerühret." Dennoch, trotz aller inneren geistlichen hohen Noth und Anfechtung setzt Hiob hinzu: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebet" u. s. w.
Daß man zu Zeiten die Gnade Gottes im Herzen fühlt, ist eine selige Frucht des Glaubens und eine köstliche Zugabe, gehört aber nicht zum Glauben selbst. Wie die guten Werke dem Glauben folgen, so auch die süßen Empfindungen der Gnade; doch ist hierbei auch noch der Unterschied Wohl zu beachten, daß die guten Werke eine nothwendige Frucht und Folge des Glaubens sind, dagegen die Empfindung der göttlichen Gnade, oder das süße Gefühl der Gnade, kann bei dem Glauben da sein und auch nicht da sein. Glaube und böse Werke vertragen sich nicht mit einander, aber wohl kann der wahre Glaube da sein und das Gefühl der göttlichen Gnade fehlen. Wer das Fühlen der Gnade zu einem Bestandtheil des Glaubens macht, der stößt damit die Lehre vom Glauben gänzlich um; denn „der Glaube ist ja eine gewisse Zuversicht deß, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehet." (Hebr. 11, 1.) Was ich nicht sehen, nicht fühlen, nicht wahrnehmen kann, das soll ich glauben. Wie der Glaube beschaffen sein soll, lehren uns auch die an Thomas gerichteten Worte Christi: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." Wenn wir auf die Führungen der Heiligen Acht haben, so werden wir erkennen, daß Gott einzelnen Personen bestimmte Verheißungen gegeben hat, und dabei hat er sie so geführt, daß sie das gerade Gegentheil von diesen Verheißungen gefühlt haben. Dies lehrt uns das Beispiel Abrahams, Isaaks und Jakobs. Gott verhieß ihnen das Land Canaan, aber sie waren Fremdlinge darinnen zeitlebens, und wurden zuletzt noch wieder hinausgeführt nach Egypten. Aber dennoch glaubten sie der göttlichen Verheißung, und gerade dies wird in der heiligen Schrift an ihnen gerühmt. Christus selbst sagt es auch seinen Jüngern geradezu voraus, daß sie trotz der vielen herrlichen ihnen gegebenen Verheißungen große Trübsale leiden müßten, eben deshalb, damit ihr Glaube sich trotz alles äußeren Gefühls an das Wort der Verheißung anklammere. Ein solcher Glaube wird dann auch immer herrlich gekrönt werden.
Daß der Glaube sich nicht auf das Gefühl gründen solle, hat unsere Kirche je und je gelehrt und bekannt. In der Concordienformel heißt es hiervon : „Von der Gegenwärtigkeit, Wirkung und Gaben des Heiligen Geistes soll und kann man nicht allerwegen ex sensu, wie und wenn mans im Herzen empfindet, urtheilen, sondern weil es oft mit großer Schwachheit verdeckt wird und zugehet, sollen wir aus und nach der Verheißung gewiß sein, daß das gepredigte und gehörte Wort Gottes sei ein Amt und Werk des Heiligen Geistes, dadurch er in unfern Herzen gewißlich kräftig ist und wirket." (veolaratio. Art. 2. Vom freien Willen.)
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In ihren herrlichen Kirchenliedern singt unsere Kirche :
„Ob sichs anließ, als wollt er nicht,
Laß dich es nicht erschrecken;
Denn wo er ist am besten mit,
Da will ers nicht entdecken;
Sein Wort laß dir gewisser sein,
Und ob dein Fleisch sprach lauter Nein,
So laß doch dir nicht grauen." (St. L. Gesangb. 237, 12.)
Und:
„Ich glaub, was JEsu Wort verspricht,
Ich fühl es oder fühl es nicht." (234, 10.)
Luther schreibt: „So sprichst du: Was predigest und gläubest du denn? So du selbst bekennest, daß mans nicht fühle und empfinde, so muß ja deine Predigt nichts und ein lauter Traum sein. Denn sollte es etwas anders sein, so müßte ja die Erfahrung auch etwas davon zeigen. Antwort: Das ifts, das ich sage, daß es schlecht über die Erfahrung will vorhin ge-gläubet sein, das menschlich nicht zu gläuben ist, und gefühlet, das man nicht fühlet; also, daß eben in dem, daß der Teufel dem Fühlen nach mein Herr ist, muß er mein Knecht sein, und wenn ich unten liege und alle Welt mir überlegen ist, so liege ich oben. Wie das? Soll es wahr sein, so muß je die Erfahrung dazu kommen und empfunden werden? Ja recht; aber es heißt also, das Fühlen soll hernach gehen, aber der Glaube muß zuvor da sein, ohne und über das Fühlen. Also muß mein Gewissen in dem, daß es die Sünde fühlet, und sich dafür fürchtet und zaget, ein Herr und Siegsmann werden über die Sünde; nicht im Fühlen noch Gedanken; sondern im Glauben des Worts, und dadurch sich trösten und erhalten Wider und über die Sünde, so lange bis die Sünde gar hinweg muß, und nicht mehr gefühlet wird." (VIII, 1168 f.)
Sehr wichtig ist auch der bei unserer Thesis angeführte Spruch Phil. 4, 7.: „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo." Denn hiermit wird uns gelehrt, daß dieser in Gottes Herzen durch Christum geschloffene Friede über alle sinnliche Empfindung hinweg geht und mit der Vernunft nicht begriffen werden kann. Von diesem Frieden schreibt
Luther: „Der Friede ist zwiefach, in Gott und dem Nächsten. In Gott ist er : denn er machet ein gut Gewissen den Menschen, und gründet sich auf die Barmherzigkeit Gottes ; aber er übertrifft zuweilen alle Empfindlichkeit und Sinnlichkeit, wenn er betäubet wird, und sich Gott verbirgst, und sein Angesicht abwendet und die Gewissen ihm selbst läßt." (IX, 331.)
Derselbe: „Ich sage allezeit, daß der Glaube schlecht nichts denn das Wort für sich haben soll, und nur kein Klügeln noch Gedanken leiden; sonst ist nicht möglich, daß er bleibe und erhalten werde. Denn Menschen Weisheit und Vernunft kann nicht höher noch weiter kommen, denn richten und schließen, wie sie vor Augen siehet und fühlet, oder mit Sinnen
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begreifet; aber der Glaube muß über und wider solch Fühlen und Verstehen schließen, und haften an dem, das ihm vorgetragen wird durchs Wort; das kann er aus Vernunft und menschlichem Vermögen nicht thun, sondern ist des Heiligen Geistes Werk im Herzen; sonst dürfte er des Glaubens noch Heiligen Geistes nirgend zu, wenn ers könnte mit Vernunft fassen, oder sollte darnach sehen und schließen, was sich mit ihr reimet oder nicht." (VIII, 1164.)
Viele verstehen das Wort „Friede Gottes" ganz falsch; sie meinen, nur dann, wenn sie in sich Ruhe fühlen und das Gewissen sie nicht verklagt, seien sie desselben theilhaftig. Aber dieser Friede ist vornehmlich in Gott; er besteht darinnen, daß Gott Frieden mit dir geschloffen hat, daß er mit dir versöhnt ist. Das mußt du erst glauben, dann will dir auch Gott hie und da diesen Frieden zu schmecken geben.
Luther: „Nun erhebt sich allhier eine Frage: Dieweil denn Christus den Tod und unsere Sünde weggenommen hat und mit seiner Auferstehung uns gerecht gemacht, warum wir doch noch die Sünde und Tod in uns fühlen? Denn die Sünden beißen noch, das Gewissen sticht uns, und dasselbe böse Gewissen machet denn die Furcht vor der Hölle. Antwort: Ich habe vormals oft gesagt, es sei zweierlei Art, fühlen und glauben. Der Glaube ist der Art, daß er nichts fühlet, sondern die Vernunft fallen läßt, die Augen zuthut und sich schlecht ins Wort ergibt, demselbigen nachfolgt durch Sterben und Leben. Fühlen aber gehet nicht weiter, denn was man mit Vernunft und Sinnen begreifen kann, als, was man höret, siehet und fühlet, oder mit den äußerlichen Sinnen erkennet. Derohalben ist Fühlen wider den Glauben; Glaube Wider das Fühlen.
„Daher beschreibt der Meister der Epistel zu den Ebräern 11, 1. den Glauben also, daß er sei eine gewisse Zuversicht deß, das zu hoffen ist, und richtet sich nach dem, das nicht scheinet. Denn wenn man Christum sichtig-lich droben im Himmel schweben sähe, wie die leibliche Sonne, so dürfte man es nicht glauben; nun aber Christus gestorben ist um unserer Sünde willen und wieder auferstanden um unsrer Gerechtigkeit willen, das siehet man nicht, man fühlet's auch nicht, man kann es auch mit keiner Vernunft begreifen; darum muß man hier vom Fühlen abtreten und schlecht das Wort in die Ohren fassen, und darnach ins Herz schreiben und daran hangen, wenn es gleich keinen Schein hat, daß meine Sünden von mir hinweg sind, wenn ich sie gleich in mir noch fühle. Das Fühlen muß man nicht ansehen, sondern feste darauf dringen, daß der Tod, Sünde und Hölle überwunden sei, ob ich gleich wohl fühle, daß ich im Tode, Sünde und Hölle noch stecke. Denn obgleich das Fühlen der Sünde noch in uns bleibet, so geschieht es doch nur allein darum, daß es' uns zum Glauben treiben soll, und den Glauben stark machen, daß wir wider alles Fühlen das Wort aufnehmen, und darnach das Herz und Gewissen immerzu auf Christum knüpfen. So führet uns denn der Glaube fein stille, wider alles Fühlen und Begrei-
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fm der Vernunft, durch die Sünde, durch den Tod und durch die Hölle; darnach sehen wir die Erlösung vor Augen, da werden wir denn erst recht vollkömmlich gewahr, was wir geglaubet haben, nämlich, daß der Tod und alles Unglück überwunden ist." (XI, 857.)
Derselbe: „Der Glaube erfordert nicht Kundschaft, Wissenschaft oder Sicherheit, sondern frei Ergeben und fröhliches Wagen auf Gottes un-empfundene, unversuchte und unerkannte Güte." Wie schwer dies aber ist, sagt Luther mit folgenden paffenden Worten: „Mit dem Glauben von Vergebung der Sünden ist es eben, als wenn Jemand mit einer geladenen Büchse auf dich zielte, und jetzt auf dich abschießen wollte, und du solltest dennoch sagen und glauben, es sei nichts."
Derselbe: „Das ist eine Ursache, warum ich sage, daß die, so recht fromm sollen werden, erst müssen an sich selbst und allen ihren Werken verzagen, daß sie also Gottes Gnade mögen suchen und erlangen. Die andere Ursach: Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht deß, das zu hoffen ist, und richtet sich nach dem, das nicht scheinet. Nun kann der Glaube nicht Statt haben, es sei denn alles, das ich glaube, verborgen und unsichtbar: denn was ich sehe, das gläube ich nicht. Es kann aber ein Ding nicht tiefer verborgen werden, denn wenn es gleich Widersinnes scheinet, und ich gleich anders in der Erfahrung für Augen sehe, fühle und greife, denn mich der Glaube weiset. Also thut nun Gott in allen seinen Werken; wenn er uns lebendig machen will, so tödtet er uns; wenn er uns will fromm machen, trifft er uns das Gewissen und macht uns erst zu Sündern ; wenn er uns will gen Himmel aufrücken, so stößet er uns zuvor in die Hölle, wie die Schrift saget: Der HErr tödtet und macht lebendig, er führet in die Hölle und wieder heraus. 1 Sam. 2." (Leipz. Ausg. XIX, 26.)
Derselbe zu den Worten Joh. 16, 10. : Und ihr mich hinfort nicht sehet : „Da ist die Art und Natur des Glaubens fürgebildet, daß der Glaube nicht fühlet, noch tappet, noch deren Dinge auch eine Wissenschaft begehrt, sondern erwäget sich fröhlich, die Dinge zu glauben, die er nicht fühlet, noch mit allen seinen Kräften, inwendig oder außen ermessen kann. Denn Paulus saget: Wie kann ich deß hoffen, das man siehet? Darum spricht wohl der HErr: Und ihr werdet mich fort nicht sehen. Als wollte er sprechen: Dieser Gang des Werkes will nicht gesehen oder mit den Sinnen gefaßt sein, sondern geglaubet." (Leipz. Ausg. XIII, 616.)
Derselbe: „Also haben wir allenthalben in der Schrift, daß der Glaube so ein unaussprechlich groß Ding ist, daß man nimmer genug davon predigen und mit Worten erlangen kann: man hörets und siehets nicht; darum muß man es allein glauben. Denn der Art. ist der Glaube, daß er gar nichts fühlet, sondern nur den Worten folget, die er höret, und daran hanget. Glaubet ers, so hat ers; glaubet ers nicht, so hat ers nicht." (Leipz. Ausg. XIII, 643.)
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Brenz: „Denn das, wie Christus gegen uns gesinnet sei, muß man nicht nach dem Gefühl unseres Herzens, sondern nach den Verheißungen und dem Wort des Evangelii von Christo schätzen." (V, 774.)
Der beste Prüfstein, welcher uns erkennen lehrt, daß wir unsere Zuversicht oder die Gewißheit unseres Gnadenstandes nicht auf das Gefühl gründen dürfen, sondern allein auf Gottes Wort gründen müssen, ist die Anfechtung. Davon schreibt Luther: „Darum sollen wir in Aengsten und Anfechtungen, da das Gewissen anders nichts fühlt, denn eitel Sünde, und nicht anders denket, als Gott sei gar erzürnet und Christus allerdings von uns abgewandt, nicht dem Fühlen unseres Herzens, sondern Gottes Wort folgen und dasselbe zu Rathe ziehen, welches sagt, daß Gott nicht zürne, sondern sich gnädiglich erzeige gegen den Elenden und die zerschlagenen Geistes sind, und sich für seinem Wort fürchten Jes. 66., und Christus sich nicht wendet von denen, die so mühselig und beladen sind. Matth. 11." (Zu Gal. 6, 5.)
Daß die lutherische Kirche zu allen Zeiten wider die Schwarmgeister darauf gedrungen hat, den Glauben nicht.auf das Gefühl zu gründen, ersehen wir auch aus dem, was H. Müller schreibt : „Fühlest du die freudenreiche Bewegung des Geistes nicht, so laß dichs nicht verdrießen. Dies Empfindniß ist nicht eben nöthig zur Seligkeit. Christus spricht: Wer glaubt, soll selig werden. Marc. 16,16. Nun aber gründet sich der Glaube nicht auf das Empfinden, sondern auf das Verheißen Gottes; ja dies ist die höchste Kraft des Glaubens, wenn er ohne und wider alles Empfinden sich dennoch fest an Gottes Verheißung hält, wie von Abraham geschrieben ist Röm. 4, 18., daß er ohne, ja wider Hoffnung gehofft habe. Und eben darum entzeucht Gott oft seinen süßen Trost, daß er den Glauben probire, ob er auch an seinem Wort fest halte." (Himml. Liebeskuß, C. 13, § 59.) —
Die Schwärmer sind auch inconsequent, wenn sie lehren, der Mensch könne nur dann seines Gnadenstandes gewiß sein, wenn er die Gnade im Herzen fühle; denn dem zu Folge müßten sie auch lehren, daß der Mensch, so lange er den Zorn Gottes über die Sünde noch nicht in seinem Herzen fühlt, auch noch nicht unter dem Zorn sei. Muß man aber einem solchen Sünder, der in Sicherheit lange Zeit dahin geht, ohne die Sünde zu fühlen,' sagen: Wenn du auch deine Sünde nicht wie eine schwere Last fühlst, so bist du dennoch unter dem Zorn und gehst verloren, denn Gottes Wort bezeugt dies: so muß man auch dem, der sich im Glauben an die göttliche Verheißung hält, sagen: Wenn du auch nicht das süße, selige Gefühl der Gnade in deinem Herzen empfindest, so bist du dennoch ein seliger Mensch.
Luther macht daher diesen Schluß: „Gott vergibt die Schuld zweierlei Weise: heimlich und daß wir es nicht empfinden; gleichwie er vielen Menschen Schuld zurechnet und behält, die sie gar nicht empfinden oder achten. Zum anderen: öffentlich und daß wir es empfinden, gleichwie
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er Etlichen 'zurechnet Schuld, daß sie es empfinden, als durch Strafe und Schrecken des Gewissens. Die erste Vergebung ist allezeit vonnöthen; die andere ist zuweilen vonnöthen, daß der Mensch nicht verzage. . ." (Luther will hiermit natürlich nicht sagen, daß es eine ihrem Wesen nach verschiedene Vergebung gebe, sondern nur anzeigen, daß verschiedene Wirkungen da sind.) „Die erste Vergebung ist uns bitter und schwer, aber sie ist die edelste und allerbeste; die andere ist leichter, aber desto geringer. Alle beide zeigt der HErr Christus an Maria Magdalena. Die erste, da er ihr den Rücken kehrt und doch zu Simon sprach: ,Jhr sind viele Sünden vergeben'; da hatte sie noch nicht Friede; die andere, da er sich zu ihr wandte und sprach: ,Dir sind deine Sünden erlassen, gehe hin in Frieden'; da ward sie zufrieden. Also die erste macht rein, die andere macht Friede. Die erste wirkt und bringt, die andere ruhet und empfähet. Und ist gar ein unmäßlich Unterschied zwischen beiden. Die' erste ist blos im Glauben und verdienet viel. Die andere ist im Fühlen und nimmt ein den Lohn. Die erste wird gebraucht mit den hohen Menschen, die andere mit den Schwachen und Anhebenden." (Zu Luc. 7, 47—50.)
Die Lehre der lutherischen Kirche ist also diese, daß Niemand die Gewißheit seines Gnadenstandes auf das Gefühl, auch nicht einmal auf das durch das Wort gewirkte Gefühl gründen darf. Aber die Schwärmer gründen ihre Zuversicht nicht einmal auf das durch das Wort in ihnen erzeugte Gefühl. Wenn Jemand z. B. bei einer methodistischen Lagerversammlung zu großer Traurigkeit oder zu einem freudigen Gefühl kömmt, so kömmt dies nicht allemal aus dem Wort und durch das Wort, sondern häufig, oder, richtiger gesagt, in den allermeisten Fällen, aus einer ganz anderen Quelle. Denn wir wollen durchaus nicht in Abrede stellen, daß, da ja Gottes Wort auch noch bei ihnen gepredigt wird, der Heilige Geist auch da sein Werk noch habe, herrscht doch der HErr mitten unter seinen Feinden. In den meisten Fällen find jene Gefühle jedoch verursacht durch Nervenreiz oder sympathische Einwirkung. Denn weil bei ihnen das Gefühl durch alle ihre Predigten bearbeitet wird, so ist die Traurigkeit sowohl, als auch ihre übermäßige Freude eine natürliche Folge davon. Wie eine heitere lustige Musik den Menschen freudig, eine Trauermusik dagegen traurig stimmt; wie ferner ein begeisterter Redner seine Zuhörer zu gleicher Begeisterung fortreißt, oder durch eine mit traurigem, weinerlichem Affecte vorgetragene Rede zu Thrä-nen rührt: so findet ganz dasselbe statt bei den schwärmerischen Gefühlsbearbeitungen. — Es ist nicht zu leugnen, daß für den Unerfahrenen in dem Treiben der Schwärmer große Gefahr liegt. Sieht nämlich mancher einfältige Christ dasselbe an, so kann er leicht auf den Gedanken kommen, dort finde er, was er suche, nämlich Gewißheit seines Gnadenstandes und Frieden für seine Seele, und wird jämmerlich betrogen. Daher eifere man doch ja mit rechtem Eifer gegen alles Sectenthum und warne auf das ernsteste vor ihrer Schwärmerei, denn sie ist in der That äußerst gefährlich. —
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Dreierlei großen Schaden richten die Secten mit ihrer Schwärmerei an. Denn
Erstlich führen sie zu einem ganz falschen Heiland, nämlich zu ihren Empfindungen und Gefühlen; sobald nämlich ein Mensch auf seine Gefühle, sei es auf seine selbst gemachten, oder auch auf die durch Gottes Wort gewirkten, die Gewißheit seines Gnadenstandes baut, so gründet er sich nicht mehr allein auf Christum und sein Wort. Ein Solcher kann dann nicht mehr sagen: „Es ist in keinem Anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden." Auf das Gefühl bauen läuft auf puren Unglauben hinaus. Luther schreibt daher ganz recht: „Was thut aber derselbige Unglaube? Er siehet nicht mehr, denn er fühlet: Leben und Sicherheit fühlet er nicht, sondern die Wellen über dem Schiff und das Meer, das den Tod und alle Fährlichkeit fürhält. Und weil sie dasselbige fühlen und darauf achten, und sich nicht davon wenden, höret das Schrecken, Zittern und Zagen nicht auf; ja, je mehr sie darauf sehen und dasselbige fühlen, je härter sie der Tod und Zagen treibet, und will sie alle Augenblicke fressen. Aber der Unglaube kann solch Fühlen nicht lassen und keinen Augenblick anders denken, denn er hat sonst nichts, daran er sich halte und tröste; darum kann er auch keinen Augenblick Friede haben und stille sein. Also wirds auch in der Hölle zugehen, daß da wird sein eitel Zagen, Zittern und Schrecken, und nimmer kein Aufhören." (Leipz. Ausg. XIII, 371.) Der Mensch kommt durch solche Gefühlstreiberei auch gar leicht dahin, daß er sich einen falsch e n T r o st machet, und in seiner Sicherheit dahinfährt.
v r. Burk schreibt: „Wir müssen Gott zuerst trauen lernen, hernach erfahren, zuerst die Speise in dm Mund nehmen, hernach läßt es sich gut schmecken. Sonst kommt es hinter sich für sich heraus. Hintennach aber gibt Gott auch zu schmecken und wir trauen nun um so viel mehr. Die Ursache aber, warum manchmal einige unlautere Seelen den wichtigen Schluß zu früh machen (daß sie Vergebung haben), ist eben diese: durch das strenge Treiben auf Versicherung geschieht es, daß man hernach, wenn man meint, man habe so etwas erhascht, begierig darauf hinfällt, es für einen Raub achtet und sich darin beruhigt." — „Es ist nicht einmal das Zeugniß (des Heiligen Geistes) beständig. Man zeugt eine Sache nicht immer nur so für die lange Weile, sondern alsdann, wenn sie in Zweifel kommt, wenn sie streitig gemacht wird." (Buch von der Rechtfertigung. §§13.14.30.)
Ein zweiter großer Schaden ist, daß die Schwärmer mit ihrem Gefühlschristenthum viele Menschen zuHeuchlern machen. Nicht selten nämlich erheucheln sie ein gutes Gefühl; denn da ein Christ nicht alle Tage daS gleiche gute Gefühl hat, sie aber doch, obgleich sie dies gute Gefühl nicht haben, nicht als Unchristen erscheinen wollen, so ist es ganz natürlich, daß sie heucheln und wider das Gewissen lügen lernen. Man frage einmal
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Solche, die wieder aus den schwärmerischen Secten durch Gottes Gnade herausgekommen sind, ob sie immer so gefühlt haben, wie sie bekannt haben? — Ach, wie schrecklich ist es, fast fortwährend heucheln, lügen und trügen bei Gottes Namen!
Ein dritter großer Schaden, der durch solches Treiben auf das Gefühl angerichtet wird, ist der, daß die redlichen Seelen zum Verzagen undVerzweifeln getrieben werden. Solche, die ihr Sündenelend fühlen, können gar nicht begreifen, wie Andere sich eines so seligen Gefühls rühmen können. Sie kommen endlich auf den Gedanken: weil du nicht zu so süßen Gefühlen kommen kannst, so wehrt es dir der Geist Gottes, du bist ein Verlorner, du bist nicht erwählt, darum kannst du nicht „durchkommen". Das ist schrecklich. Solche gehen dann in der furchtbarsten Verzweiflung dahin, kein Trost und Friede kommt in ihr Herz. — Ach, wie selige Menschen sind dagegen wir, die wir durch das Wort Gottes zu festem Glauben kommen und jauchzen können: Ich bin bei Gott in Gnaden, trotz alles gegentheiligen Fühlens!
AlbrechtBengel schreibt mit Recht: „Das Dringen auf Versicherung von der Rechtfertigung kann redliche Seelen erst irre und verzagt machen und unlautere Seelen in eine eigenmächtige XaLorelie (Nachäfferei) treiben. Kein größeres Dringen aber kann sein, als wenn man einer Seele die Rechtfertigung abspricht oder in Zweifel zieht, sofern sie deren Versicherung nicht mit vollem Munde darthun kann." (Abriß der Brüdergemeine. S. 478.)
Luther: „Wenn du willst nach dem dich richten, das du flehest und fühlest, und, wenn man dir Gottes Wort vorhält, dein Fühlen willst dagegen halten und sprechen: du sagst mir Wohl viel, aber mein Herz sagt mir viel anders und wenn du fühltest, was ich fühle, so würdest du auch anders sagen: so hast du dein Gottes Wort nicht im Herzen, sondern ist durch deine eigenen Gedanken, Vernunft und Nachsinnen gedämpft und ausgelöscht.... Kurz, wo du das Wort nicht willst lassen mehr gelten, denn alle dein Fühlen, Augen, Sinnen und Herz, so mußt du verloren werden und dir ist nicht mehr zu helfen. Darum mußt du allein nach dem Wort dich richten, unangesehen, was man fühle oder sehe. Ich fühle auch meine Sünden und Gesetz und den Teufel auf dem Halse, daß ich darunter liege, als unter einer schweren Last. Aber was soll ich thun? Soll ich mich solchem Fühlen schließen, so müßte ich und alle Menschen verzweifeln und verderben. Will ich aber, daß mir geholfen werde, so muß ich wahrlich mich herum wenden und nach dem Wort sehen und dem nach sprechen: Ich fühle wohl Gottes Zorn, Teufel, Tod und Hölle, aber das Wort sagt anders, daß ich einen gnädigen Gott habe durch Christum, welcher ist mein HErr über Teufel und alle Creaturen." (VIII, 1164.)
Daß die schwärmerischen Secten ihren Glauben nicht auf das Wort allein gründen, kommt daher, weil sie im Grunde genommen der ealvinischen
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Lehre von der Gnadenwahl zugethan find. Denn nach dieser Lehre nehmen sie einen heimlichen Rath Gottes an, nach welchem er wolle, daß die meisten Menschen verdammt werden; er habe darum auch keine Gnade für sie und habe sie auch nicht erlösen lassen. Daß Gott in seinem Worte von einer allgemeinen Gnade und einer allgemeinen Erlösung redet, können sie ja nicht leugnen; aber, um ihre Meinung fest zu halten, sagen sie, Gott rede in seinem Worte anders, als er in seinem Herzen denke; in seinem Worte, sagen sie, sei nicht der Wille seines Wohlgefallens ausgedrückt, denn wer nicht erwählt sei, der höre wohl auch das Wort Gottes, aber Gott denke dabei: ihr sollt mir nicht an das Wort glauben, es soll euch vielmehr zu tiefem Falle dienen. Solche Lehre reißt die Menschen los vom Worte Gottes. Was ist da natürlicher, als daß sie die Gewißheit ihres Gnadenstandes in sich selber, in ihren Gefühlen suchen? —
Der Jrrthum der Secten ist geistesverwandt mit dem Jrrthum der Papisten; ja, er ist ganz derselbe, nur in anderer Gestalt. Der Antichrist sagt: du kannst deines Gnadenstandes nicht gewiß werden ohnebesondere Offenbarung; hast du keine, nun, so gehe unseren Weg und versuche es mit den Werken, aber zweifeln mußt du bei alledem. Damit fährt man schließlich zur Verzweiflung. Die schwärmerischen"Secten, voran die Methodisten, sagen: du kannst nicht anders deines Gnadenstandes gewiß werden, als weyn du die Gewißheit fü h l st. Wenn du sie nicht fühlst, so bete, ringe, kämpfe, bis du sie fühlst. Kannst du nicht zu diesem Gefühl kommen, — nun, so mußt du verzweifeln. Es kommt darum auf eins hinaus: der feste Grund der Gewißheit fehlt. —
Thesis ILI.
Die Gewißheit des Gnadenstandes gründet sich allein fest und unerschütterlich auf die Gnadenmittel. Joh. 15,3. 1 Joh. 5, 8.
In den vorigen Thesen wurde gezeigt, daß ein Mensch, um seines Gnadenstandes gewiß zu werden, diese Gewißheit weder auf seine Werke, noch auf seine Gefühle und die inneren Erfahrungen seines Herzens gründen dürfe. Denn mit den Gefühlen kann uns der Teufel äffen und unsere besten Werke uns so zu Schanden machen, daß nichts Gutes daran bleibt. Wir bedürfen eines festeren und sichreren Grundes. Der Grund, worauf wir die Gewißheit unseres Gnadenstandes allein gründen können, muß außer uns sein — etwas, was Gott gegeben und geordnet hat, was wir mit unseren Augen sehen, mit unseren Ohren hören und worauf wir mit Sicherheit fußen können. Unsere Thesis zeigt uns den rechten festen Grund dieser Gewißheit. Es sind dies nämlich die Gnadenmittel. Der letzte Grund der Gnade Gottes gegen uns Sünder liegt ja in dem Herzen Gottes. Da Gott unsere Noth, in die das Menschengeschlecht durch
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den Sündenfall gerathen würde, voraussah, so hat er schon vor Grundlegung der Welt beschlossen, sich des armen, verlornen Menschengeschlechtes anzunehmen, und hat auch in der Zeit seinen Heilsrath durch seinen Sohn hinausgeführt. Was wüßten wir aber von seiner Erbarmung, wenn er uns dieselbe nicht offenbart hätte durch sein Wort? Aus seinem geoffen-barten Wort allein können wir wissen, daß es eine Gnade für uns gibt. Zwar redet auch Gottes Stimme in unserem Gewissen, aber diese Stimme predigt uns nur Gottes Gerechtigkeit, daß er den Sünder verdammen müsse. Es ist die Stimme des Gesetzes. Die Erbarmung Gottes dagegen wird uns nur vom Heiligen Geist, dem rechten Tröster, durch das Wort des Evangeliums gepredigt. Das Herz der Menschen aber ist, wie die Schrift sagt, ein trotzig und verzagt Ding. Trotzig, denn es will seine Sünde nicht erkennen. Wenn es aber durch die Predigt des Gesetzes dahin kommt, daß es seinen Jammer und Noth erkennt, dann fängt das Verzagtsein an; es will kein Trost im Herzen haften bleiben. Da hat nun der erbarmungs-reiche Gott auf Mittel gesonnen, die Menschen seiner Gnade so fest zu versichern, daß sie sich auf dieselben, trotz Teufel, Welt, Fleisch, Gesetz und der Stimme im Gewissen, die die Menschen verklagt, fest gründen können. Der Tröster, der Heilige Geist, führt uns aber nicht auf besondere Offenbarungen, auch nicht auf das Fühlen unseres Herzens, sondern auf das ewig gewisse Gottes-Wort, das bleiben wird, auch wenn. Himmel und Erde vergehen werden. Taufe und Abendmahl dienen auch dazu, uns fest und unerschütterlich in der Gnade zu gründen; denn sie versiegeln uns die im Wort gepredigte Gnade. Das Wort des Evangeliums predigt dem armen Sünder, wie Gott in seinem Herzen gegen ihn gesinnt sei, thut ihm kund die Erlösung durch Christum, und daß Gott ihm alle Sünden um Christi willen vergeben will, und dies beschwört Gott sogar. Das sollte ja freilich den armen Sünder der göttlichen Gnade gewiß machen. Aber Gott weiß, wie schwer das verzagte Menschenherz zum Glauben zu bringen ist ; deshalb hat er zum Wort die Taufe hinzugethan, und weil ihm dies noch nicht genug war, so hat er uns auch das Hl. Abendmahl gegeben, und gibt uns darinnen nicht blos abermal ein Zeugniß seiner Gnade, sondern ein Unterpfand der Vergebung der Sünden, das Lösegeld selbst, welches Christus für uns bezahlt hat, nämlich seinen Leib und sein Blut. Hieraus erkennen wir: Gott hat alles gethan und geht fort und fort damit um, unsere Herzen seiner Gnade gewiß zu machen, während der Teufel darauf aus ist, uns dieselbe ungewiß zu machen. Womit haben wir so große Gnade verdient? Womit haben wir auch das verdient, daß wir vor Anderen diese Gnade Gottes erkennen und derselben so gewiß werden können, während Andere fortwährend an derselben zweifeln? Was sind wir von Natur besser als die Papisten und Schwärmer, daß Gott gerade uns diesen herrlichen Schatz anvertraut hat? — Laßt uns diesen Schatz wohl erkennen, Gott dafür danken und desselben recht gebrauchen, ihn auch dazu anwenden, so Viele, als nur immer
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möglich, aus dem Jrrthum und aus der Ungewißheit herauszureißen und ihnen zur Gewißheit ihres Gnadenstandes zu helfen.
Unsere Thesis sagt Zweierlei aus: 1.) die Gewißheit des Gnadenstandes gründe sich allein auf die Gnadenmittel; 2.) sie gründe sich darauf fest und unerschütterlich.
1) Ohne wahren Glauben an Christum haben wir weder die göttliche Gnade, noch können wir derselben gewiß sein. Wodurch wir nun zum Besitz der göttlichen Gnade gelangen, dadurch allein können wir auch zur Gewißheit unseres Gnadenstandes gelangen. Dies läßt sich nicht bestreiten. Da wir nun aber allein durch das Wort des Evangelii (Taufe und Abendmahl eingeschloffen) zum Glauben und dadurch zur Gnade gelangen können, so auch allein durch diese Gnadenmittel zur Gewißheit unseres Gnadenstandes. Daher bezeugt auch Christus selbst
Joh. 15, 3.: „Ihr seid jetzt rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe." Also auf das Wort, und zwar auf das Wort, welches er geredet hat, d. i. auf das Evangelium, baut der Sohn Gottes selbst es, daß seine Jünger im Gnadenstande leben, und lehrt damit, daß sie durch dasselbe auch allein zur Gewißheit ihres Gnadenstandes kommen können.
Luther schreibt zu diesen Worten: „Er spricht aber deutlich: durch das Wort seid ihr rein, das ich zu euch geredet habe. Das ist nichts anders, denn die ganze Predigt Christi, wie er vom Vater gesandt ist in die Welt, daß er durch sein Leiden und Sterben für unsere Sünde bezahlet- und den Vater versöhnte, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verdammt noch verloren werden, sondern um seinetwillen Vergebung der Sünde und das ewige Leben haben. Dies Wort machet den Menschen rein (wo es durch den Glauben im Herzen gefaffet wird), das ist, es bringet Vergebung der Sünde, und machet angenehm für Gott, daß um deffelbigen Glaubens willen, durch welchen allein solch Wort empfangen und ergriffen wird, wir, so daran hangen, gar rein und heilig für Gott gerechnet nnd gehalten werden, ob wir wohl unserer Natur und Lebens halben noch nicht rein genug sind, sondern immerdar Sünde, Schwachheit und Gebrechen, so noch zu reinigen sind, an uns bleiben, dieweil wir auf Erden leben. Also lehret er mit diesem Spruch das rechte Hauptstück der christlichen Lehre, wie und wodurch die Person für Gott rein und gerecht werde und bleibe, also, daß dieselbige Reinigkeit, .so für Gott gelten soll, Wider die Sünde gar nicht soll gegeben und zugemeffen werden unserm Thun oder Leiden, ob es gleich von denen, so Christen sind, geschieht, und nun rechte, gute, reine Früchte heißen. Denn er redet allhier eben mit seinen lieben Aposteln, so nun gläubig oder Christen waren, und spricht: rein seid ihr und doch nicht deshalben, daß ihr gute Früchte traget, sondern um meines Wortes willen. Wie gehet das zu? Wie sind sie zugleich nicht rein und doch rein? Sind sie rein, warum sagt er denn, daß
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sie immer müssen gereinigt werden? Oder wozu beten sie das Vater Unser: Vergib uns unsere Schuld! Item: Dein Wille geschehe, u. s. w., damit sie je bekennen, daß sie noch Sünde haben und unrein sind. Denn der heißt ja nicht rein, so um Vergebung der Sünde bittet und klaget, daß GotteS Wille nicht gethan sei. Wiederum aber sind sie unrein und müssen noch gereiniget werden, wie heißt er sie denn rein? Wie reimen sich die zwei zusammen? Antwort: also, wie ich gesagt habe, daß der Mensch erstlich durch Gottes Wort rein gesprochen wird um Christus willen, an den er glaubt. Denn durch solchen Glauben des Worts wird er dem Weinstock Christo eingeleibet, und in desselbigen Reinigkeit gekleidet, daß sie ihm zugerechnet wird, als wäre sie sein eigen, und so vollkommen und ganz, wie sie in Christo vollkommen und ganz ist. Das geschieht alles durchs Wort, so es im Glauben empfangen und gefaffet wird, darinnen ich höre Gottes Willen und Verheißung, daß er mir um Christi willen die Sünde vergeben, und mich rein schätzen und halten will. Und wenn ich also das Wort durch den Glauben ergreife, so machet solch Wort (durch den Heiligen Geist, der dadurch wirket) neu Herz und Gedanken in mir, welche an demselbigen fest halten und nicht zweifeln, darauf leben und sterben. Weil ich denn daran hange, so wird mir um desselben willen nicht zugerechnet, was noch unreines und Sünde an mir ist; sondern dieselbe schwache, stücklichte, angefangene Reinigkeit für ganz vollkommene Reinigkeit gerechnet, und Gott das Kreuz drüber macht, und die übrige Unreinigkeit an mir nicht ansiehet. Wo nun solche Reinigkeit durchs Wort im Glauben ist und gehet, da führet Gott darüber zu, treibet und übet sie durchs Kreuz und Leiden, daß sie stärker und völliger werde, damit der Glaube zunehme, und die übrige Unreinigkeit und Sünde von Tag zu Tag abnehme und ausgefeget werde bis in die Grube. Das heißt denn die Reben, so in dem Weinstock und nun durchs Wort rein sind, immerdar beschnitten und gereiniget, wie er droben gesagt hat. . . . Das ist der Christen Lehre von rechtschaffener Reinigkeit, welche kein Unchrist, Papist, noch Rottengeist verstehen kann. Denn es ist ihnen nicht möglich die zwei zusammen reimen, daß ein Christ sollte zugleich rein und unrein sein, denn sie wissen und kennen die Kraft Christi und seines Worts nicht, wie wir um seinetwillen durchs Wort gar rein gesprochen werden (wie er rein ist), ob wir Wohl an uns selbst noch immerdar unrein sind unserer sündlichen Natur halben. Denn der Teufel wird das Wort nicht tadeln, noch lügenstrafen, noch Christum unrein machen; dieweil aber das Wort recht und wahr und Christus rein bleibet, wollen wir in ihm auch rein und heilig bleiben und soll uns Niemand unrein, noch zu Sündern machen, und doch also, daß darneben solche Reinigung in uns auch gute Frucht schaffe, wie er gesagt hat." (Leipz. Ausg. X, 103.)
Ein anderer herrlicher Spruch, welcher uns lehrt, daß wir die Gewiß-
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heit unseres Gnadenstandes auf die Gnadenmittel allein gründen müssen, ist 1 Joh. 5, 8.: „Drei sind, die da zeugen auf Erden: der Geist, das Wasser und das Blut, und diese drei sind beisammen." Unter Geist versteht der Apostel das Wort, welches der Heilige Geist den heiligen Schreibern eingegeben hat, wodurch er zeugt und immerdar wirken will. Unter Wasser ist die heil. Taufe und unter Blut das heil. Abendmahl zu verstehen. Wort, Taufe und Abendmahl zeugen auf Erden. Der Vater, das Wort (der Sohn Gottes Joh. 1, 1.) und der Heilige Geist zeugen im Himmel, wie es im vorhergehenden Verse heißt. Aber wie könnte ein Mensch irgend Etwas von diesem Zeugniß der heiligen Dreieinigkeit wissen, wie könnte er seines Heils und seiner Seligkeit, welche ja der dreieinige Gott so ernstlich will, gewiß sein, wenn nicht die heilige Dreieinigkeit auch ein Zeugniß auf Erden erschallen ließe? Darum folgt : „Drei sind, die zeugen auf Erden" u. s. w. Durch diese drei Zeugen thut Gott seinen Gnadenwillen, und was er zu unserem Heil gethan hat, kund, was sonst Niemand hätte wissen können; dadurch tritt Gott aus seinem Dunkel, in welches kein Mensch hineinschauen kann. Auf nichts Anderes können und sollen wir daher auch die Gewißheit unseres Gnadenstandes bauen, als auf diese drei uns von-Gott gegebenen Zeugen: Wort, Taufe und Abendmahl. Man beachte auch die Schlußworte dieses Spruches: „und diese drei sind beisammen" oder, nach dem griechischen Grundtext: „sie gehen auf eins." Die moderne Theologie müht sich ab, einen Unterschied in den Wirkungen der einzelnen Gnadenmittel anzugeben. Durch das Wort soll etwas Anderes gewirkt werden als durch die Taufe, durch die Taufe etwas Anderes als durch das heil. Abendmahls und durch das heil. Abendmahl wieder ein Anderes. Aber das ist thörichte Bemühung. Da Gott barmherzig ist, so gibt er uns statt Eines Zeugen drei, die alle ein und dasselbe uns bezeugen, denn „diese drei gehen auf eins", d. i. sie haben Einen Endzweck. Daß ich armer Sünder um JEsu Christi willen zu Gnaden angenommen bin, das sagt mir das Wort, das sagt und bezeugt mir auch die heil. Taufe und das heil. Abendmahl. Dies ist auch die Lehre unserer symbolischen Bücher. In der
Apologie heißt es : „Denn dazu sind die äußerlichen Zeichen eingesetzt, daß dadurch bewegt werden die Herzen, nämlich aufs Wort und äußerliche Zeichen zugleich, daß sie gläuben, wenn wir getauft werden, wenn wir des HErrn Leib empfahen, daß Gott uns wahrlich gnädig sein will durch Christum, wie Paulus sagt: der Glaube ist aus dem Gehöre. Wie aber das Wort in die Ohren gehet, also ist das äußerliche Zeichen für die Augen gestellet, als inwendig das Herz zu reizen und zu bewegen zum Glauben. Denn das Wort und äußerliche Zeichen wirken einerlei im Herzen, wie Augustinus ein fein Wort geredet hat. Das Saerament, sagt er, ist ein sichtlich Wort. Denn das äußerliche Zeichen ist ein Gemälde, dadurch dasselbe bedeutet wird, das durchs Wort
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gepredigt wird; darum richtet beides einerlei aus." (Art. 13. Müller, 202. f.)
Daß die heil. Taufe und das heil. Abendmahl nicht vom Worte Gottes verschiedene Mittel verschiedener Gnaden seien, ist ja auch daraus ersichtlich, daß dasselbe Gottes Wort mit den äußerlichen Zeichen des Sacra-ments verbunden ist, so daß wir, wenn wir unsern Glauben auf die Sakramente gründen, ihn damit eben auch auf das Wort selbst gründen. —
Es steckt uns allen von Natur im Herzen, daß wir die Gewißheit unseres Gnadenstandes nicht allein auf die Gnadenmittel bauen wollen. Auf die Werke und auf die Gefühle seines Herzens meint gar Mancher vertrauen zu dürfen. Und die Folge davon ist, daß er nie zur Gewißheit seines Gnadenstandes kömmt. Wer auf die Werke baut, macht sich einen falschen Trost. Gewöhnlich tröstet sich ein Solcher, wenn er sieht, daß er das Gesetz nicht vollkommen halten kann, damit, daß er denkt, Gott werde es doch nicht gar so genau nehmen, er werde zufrieden sein mit dem, was wir eben thun könnten.
Hierauf antwortet Luther mit vollem Recht : „Ein Mensch, der sich dünken lässet, er wolle zu Gnaden kommen, wenn er soviel thut, als ihm möglich ist, häufet Sünde mit Sünde, daß er doppelt Verdammniß empfahe." (Heidelb. Disp. 1518. XVIII, 59. Th. 16.) — Es müssen von dem Grund der Gewißheit alle Werke ausgeschlossen bleiben; denn obwohl die guten Werke ein äußerliches Zeugniß geben von dem Dasein des Gnadenstandes, so darf sich doch die Gewißheit des Gnadenstandes niemals auf diese guten Werke gründen, sondern einzig und allein auf das feste und gewisse Gottes Wort. Daher auch St. Paulus Röm. 4, 5. schreibt : „Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube" (der durch das Wort gewirkt ist und sich auf dasselbe gründet) „gerechnet zur Gerechtigkeit." — Ebenso gefährlich ist es auch, sich auf das Gefühl zu verlassen; denn schwindet das gute Gefühl, so muß nothwendig auch die darauf gegründete Gewißheit des Gnadenstandes dahinfallen.
Luther: „Nun, wenn ein anderer Weg wäre zum Himmel, er hätte ihn auch wohl gesetzet; nun ist kein anderer; darum laßt uns hier an den Worten hangen, unser Herz fest darauf steuern und lehnen, und laßt uns unsere Augen zuthun und sagen : Wenn ich schon aller Heiligen Verdienst hätte, aller Jungfrauen Heiligkeit und Reinigkeit, dazu St. Petri Frömmigkeit, so gebe ich doch auf mein Ding nichts ; sondern einen ändern Grund muß ich haben, da ich mich auf baue, nämlich auf diese Worte: Gott hat seinen Sohn gegeben, auf daß, wer da an ihn gläubet, welchen der Vater aus Liebe gesandt hat, der sollseligsein. Und mußt darauf trotzen, daß du mußt erhalten sein, und mußt dich kecklich gründen auf seine Worte, welche kein Teufel, Hölle oder Tod unterdrücken mag; sondern das Wort
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reißet der Vater durch Hölle, Teufel und Tod, und alles, was sich daran hänget. Darum, es gehe wie es wolle, so sage: Da stehet Gottes Wort, das ist mein Fels und Änker, darauf ich mich baue, und das bleibt; und wo das bleibt, da bleibe ich auch bestehen. Denn Gott kann nicht lügen, und müßte ehe Himmel und Erde zu Trümmern gehen, ehe denn der geringste Buchstabe oder Tüttel von seinem Wort sollte nachbleiben." (Leipz. Ausg. XIII, 716 ff.) —
Zwar ist es nicht unrecht geredet, wenn wir sagen, die Gewißheit des Gnadenstandes gründe sich auf das Zeugniß des Heiligen Geistes im Herzen ; denn „der Geist gibt ja Zeugniß unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder find." Unter diesem Zeugniß des Heiligen Geistes ist aber nichts Anderes zu verstehen, als das durch den Heiligen Geist in uns lebendig gemachte Wort; denn durch nichts Anderes als durch das Wort gibt er unserem Herzen Zeugniß. Wollte man jedoch unter dem Zeugniß des Heiligen Geistes im Herzen irgend eine Wirkung des Heiligen Geistes, die nicht durch das Wort hervorgebracht ist, oder die nur vom Wort getrennt wäre, verstehen, so wäre das nichts als eitel Schwärmerei. Dies ist aber eben der große Jrrthum bei den Reformirten und den Seelen, daß sie den Geist vom Worte trennen. Dieser Jrrthum ist die Mutter aller Schwärmerei.
Luther: „Ich bitte dich, christlicher Leser, wollest darauf sehen, ich will dir, ob Gott will, den Teufel aufdecken in diesen Propheten, daß du ihn greifen mögest: es geschieht doch dir und nicht mir zu gut. was ich schreibe. Und die Sache gehet also zu:
„So nun Gott sein heiliges Evangelium hat aus lassen gehen, handelt er mit uns auf zweierlei Weise. Einmal äußerlich; das anderemal innerlich. Aeußerlich handelt er mit uns durch das mündliche Wort des Evangelii und durch leibliche Zeichen, als da ist, Taufe und Saerament. Innerlich handelt er mit uns durch den Heiligen Geist und Glauben sammt ändern Gaben, aber das alles der Maßen und der Ordnung, daß die äußerlichen Stücke sollen und müssen vergehen und die innerlichen hernach und durch die äußerlichen kommen, also, daß ers beschlossen hat, keinem Menschen die innerlichen Stück zu geben, ohne durch die äußerlichen Stück; denn er will Niemand den Geist noch Glauben geben ohne das äußerliche Wort und Zeichen, so er dazu eingesetzet hat, wie er Luc. 16, 29. spricht: Laß sie Mosen und die Propheten hören. Daher auch St. Paulus darf nennen die Taufe ein Bad der neuen Geburt, darinnen Gott den Heiligen Geist reichlich ausgeußt. Tit. 3, 5. 6. 7.
„Auf diese Ordnung habe Acht, mein Bruder, da wirds ganz und gar an liegen. Denn wiewohl sich dieser Rottengeist stellt, als hielte er groß von Gottes Wort und Geist, und rühmet treffliche Brunst der Liebe und Eifers zur Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes, so ist doch das seine Meinung-daß er diesen Orden umkehre und einen widersinnischen aufrichte aus eigenem Frevel und führet die Sache dermaßen:
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^Erstlich, was Gott äußerlich ordnet zum Geist innerlich, wie gesagt ist, ach wie höhnisch und spöttisch schlägt er das in Wind, und will zuvor hinein in den Geist. Ja, spricht er, sollt mich eine Hand voll Wassers von Sünden rein machen? Der Geist, der Geist, der Geist muß es inwendig thun. Sollte mir Brot und Wein helfen? Sollt das Hauchen über das Brot Christum ins Saerament bringen? Nein, nein, man muß Christus Fleisch geistlich essen: die Wittenberger wissen nichts drum, sie stehlen den Glauben aus den Buchstaben, und der prächtigen Worte viel, daß, wer den Teufel nicht kennet, möcht Wohl meinen, sie hätten fünf Heilige Geiste bei sich.
„Wenn man sie aber fragt, wie kömmt man denn zu demselbigen hohen Geist hinein? so weisen sie dich nicht aufs äußerliche Evangelium, sondern ins Schlauraffenland und sagen: Stehe in der Langweile, wie ich gestanden bin, so wirst du es auch erfahren: da wird die himmlische Stimme kommen und Gott selbst mit dir reden. Fragst du weiter nach der Langweil, so wissen sie ebensoviel davon, als vr. Carlstadt von griechischer und hebräischer Sprache. Siehest du da den Feind göttlicher Ordnung? Wie er dir mit den Worten: Geist, Geist, Geist, das Maul aufsperret, und doch dieweil beide Brücken, Steg und Weg, Leiter und alles umreißt, dadurch der Geist zu dir kommen soll, nämlich, die äußerliche Ordnung Gottes in der leiblichen Taufe, Zeichen und mündlichem Wort Gottes, und will dich lehren, nicht wie der Geist zu dir, sondern wie du zum Geist kommen sollt, daß du sollt lernen auf den Wolken fahren und auf dem Winde reiten; und sagen doch nicht, wie oder wann, wo oder was, sondern sollsts erfahren selbst wie sie." (Wider die himml. Propheten von Bildern und Saerament. Erl. Ausg. 29, 208—210.)
Derselbe über das Ev. am 1. Sonntag nach Epiph.: „Gott will nicht leiden, daß wir uns sollen auf etwas Anderes verlassen oder mit dem Herzen hangen an Etwas, das nicht Christus in seinem Wort ist, es sei wie heilig und voll Geistes es wolle. Der Glaube hat keinen ändern Grund, darauf er bestehen könne.... Wir müssen Christum suchen in dem, das des Vaters ist, d. i., daß wir uns schlecht und bloß an das Wort des Evangelii halten, welches uns Christum recht zeigt und zu erkennen gibt. Und lerne nur in diesen und allen geistlichen Anfechtungen, so du willst Andere oder dich selbst recht trösten, also mit Christo sagen: Was ist es, daß du so hin und wieder läufst, dich selbst so zermarterst mit ängstigen und betrübten Gedanken, als wolle Gott dein nicht mehr Gnade haben und als sei kein Christus zu finden, und willst nicht ehe zufrieden sein, du findest ihn denn bei dir selbst und fühlest dich heilig und ohne Sünde ; da wird nichts aus, es ist eitel verloren Mühe und Arbeit. Weißt du nicht, daß Christus nicht sein will, noch sich finden lassen, denn in dem, das des Vaters ist? nicht in dem, das du oder alle Menschen sind und haben? Es ist nicht der Fehl an
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Christo und seiner Gnade, er ist und bleibet Wohl unverloren und läßt sich allezeit finden. Aber es fehlet an dir, daß du ihn nicht recht suchest, da er zu suchen ist, weil du deinem Fühlen nach richtest und meinst ihn zu ergreifen mit deinen Gedanken. Hierher mußt du kommen, da nicht dein noch einiges Menschen, sondern Gottes Geschäft und Regiment, nämlich da sein Wort ist, da wirst du ihn treffen, hören und sehen, daß weder Zorn noch Ungnade da ist, wie du fürchtest und zagest, sondern eitel Gnade und herzliche Liebe gegen dir. . . Aber schwer wird es, ehe es (das Herz) dazu kommt und solches ergreifet: es muß zuvor anlaufen und erfahren, daß alles verloren und vergeblich Christum gesucht heißet, und zuletzt doch kein Rath ist, denn daß du dich außer dir selbst und allem menschlichen Trost allein in das Wort ergebest." (XI, 623—625.)
Die Gewißheit unseres Gnadenstandes gründet sich allein auf die Gnadenmittel, darauf aber auch fest und unerschütterlich.
Im Wort wird uns diese Gewißheit sogar eidlich versichert und durch die Sacramente wird sie uns versiegelt. Der Siegel bedient man sich, um ein schriftliches Dokument unumstößlich fest und gewiß zu machen. Taufe und Abendmahl sind nun auch solche Siegel, die uns Gottes, in seinem Wort verkündigte, Gnade versiegeln sollen. Ein Christ soll daher lernen auf seine Taufe fußen. Der Teufel wird ihm freilich einreden: Du hast ja deinen Taufbund übertreten. Das dir in der Taufe angezogene Kleid der Gerechtigkeit Christi ist ja beschmutzt. Aber laß dich durch solche und ähnliche Einflüsterungen Satans nicht irre machen: denn auf Gottes Seite bleibt der in der Taufe geschloffene Bund fest stehen. Jes. 54, 10. bezeugt Gott: „Es sollen Wohl Berge Weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir Weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen." Gott bricht nicht, was er versprochen hat, sondern dabei bleibt es ewig fest und gewiß. Wohl darum dem Menschen, daß er trotz aller Sünde und Untreue wiederkehren darf durch wahre Buße, daß er getrost sprechen kann: Ich bin getauft und habe i ch gleich den in der Taufe geschloffenen Bund übertreten, so steht er doch auf Gottes Seite fest und darum nimmt Gott mich auch wieder in Gnaden an.
Wie lieblich und trostreich ist ferner das heilige Abendmahl! Wenn ein Mensch das heilige Abendmahl recht bedenkt, so ist es unmöglich, daß er dadurch nicht der göttlichen Gnade gewiß gemacht werde, daß er nicht fröhlich und getrost vom heiligen Abendmahl hinweg gehe. Denn im heiligen Abendmahl sind die äußerlichen Zeichen, Brot und Wein, und der allmächtige und wahrhaftige Gott verspricht mir, daß, wenn ich an den Altar trete und das Brot effe und den Wein trinke, ich auch den Leib Christi essen und sein Blut trinken soll. Dies alles dazu, damit ich gewiß sein soll, daß Christus seinen Leib für mich dahin gegeben und sein Blut für mich vergossen hat zur Vergebung meiner Sünden, und mich erlös't hat. Denn er
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selbst, der Sohn Gottes, sagt ja ausdrücklich, daß er seinen Leib für uns, ja für uns, dahin gebe, und sein Blut für uns vergieße zur Vergebung unserer Sünden. Aber Viele lassen sich auch hier vom Teufel irre führen und den Gedanken in sich aufkommen: Du bist noch nicht, wie du sein solltest; werde erst fromm, dann gehe zum heiligen Abendmahl. Oder einer fühlt gerade dann, wenn er zum heiligen Abendmahl gehen will, leer, kalt und dürre. Soll denn ein Christ dann etwa denken, nun sei alles unsicher? Nein, bei Leibe nicht; denn gerade um ihn der göttlichen Gnade zu versichern, um ihn zur festen und unerschütterlichen Gewißheit seines Gnadenstandes zu bringen, ist ja das heilige Abendmahl eingesetzt.
Wie köstlich ist hierbei, um zur Gewißheit des Gnadenstandes zu kommen, auch die rechte Lehre von der Inspiration (Eingebung) der heiligen Schrift, daß nämlich jedes Wort der Schrift Gottes Wort und darum gewisse Wahrheit ist! Wenn die Reformirten sagen, du mußt dieses und jenes in der heiligen Schrift nicht so nehmen, wie die Buchstaben lauten, so geht dies auf nichts anderes hinaus, als dir das Wort Gottes selbst und damit auch die Gewißheit deines Gnadenstandes zu rauben. Und wenn die Unirten sich indifferentistisch gegen das Wort Gottes verhalten, so ist der Grund davon kein anderer, als Rationalismus und Unglaube. Man gehe hin, wohin man will, so wird man finden, daß außerhalb der rechtgläubigen, lutherischen, Kirche der Teufel überall die Kunst übt, Gottes Wort unsicher zu machen. Und wenn es ihm auch nur gelingt, dies oder jenes scheinbar Unwichtige, z. B. was auf die Geschlechtsregister Bezug hat und wovon man meint, daß nicht viel darauf änkommen könne, ungewiß zu machen, dann ist Thor und Thür geöffnet, die ganze Schrift ungewiß zu machen. Wer sich Ein Wort der Schrift nehmen läßt, der hat keins mehr gewiß. — Gott hat das heilige Predigtamt, die Taufe und das heilige Abendmahl geordnet, damit er selbst dadurch kräftiglich wirke. Wird mir daher auf Christi Befehl die Absolution gesprochen, so soll ich nicht sehen auf den Menschen, der sie spricht, sondern auf Gottes Wort. Es soll immermehr bei uns dahin kommen, daß wir uns fest auf dieses Wort verlassen. Mag der, welcher es verkündigt, ein armer Sünder und unbeholfener Prediger sein, so soll ich das nicht ansehen, sondern Christum, der durch ihn zu mir redet. Nur dann können wir unseres Gnadenstandes gewiß und fröhlich werden.
Luther: „Darum soll man lernen, daß Gott kein ungewisser, zweifel-hastiger oder wandelbarlicher Gott sei, und der viel Bedeutungen habe, und gleichwie ein ungewisses Rohr sei; sondern der nur einerlei Bedeutung hat, und ganz gewiß ist, der da sagt: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes : Ich absolvire und spreche dich los von deinen Sünden u. s. w. Daselbst irren Gott der Vater, der Sohn und Heilige Geist nicht, werden nicht von einem Winde hin und her getrieben, sondern sind gleich wie ein harter Fels und Sela; wie Gott in den
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Psalmen oft genennet wird, daß er ganz gewiß sei, auf welchen du dich gewißlich magst verlassen und sagen: Ich bin heilig und selig, bin ein Kind und Erbe Gottes; denn ich bin ja getauft.
„Und man soll die Zweifelung der Mönche weit hintan setzen, soll nicht also sagen: Siehe, ich habe gethan, was ich habe thun sollen, ob es aber nun Gott gefalle oder nicht, kann ich nicht wissen. Man sollnicht auf dasUngewisse laufen, oder als die in dieLuft streichen, wie Paulus sagt 1 Cor. 9,26. Unser Gang soll gewiß und beständig sein, daß wir mit gewisser Zuversicht sagen: Ich schlafe im Namen des HErrn und weiß, daß auch mein Schlaf Gott gefällt. Wenn ich aber wache und meine gewöhnliche Arbeit thue in meinem Berufe, mit Schreiben, Lesen, Meditiren oder Betrachten und mit Beten, zweifle ich daran nicht, daß solche Arbeit Gott auch angenehm sei, und wenn ich wüßte, daß es ihm mißfällig wäre, wollte ich mich dessen viel lieber enthalten. Ich bin aber des gewiß, daß ich Gott wohlgefalle mit alle meinem Thun, nicht um meinetwillen, der ich solches thue, sondern um Gottes willen, der sich meiner erbarmet, mir die Sünde vergibt, mich liebet, führet und mit dem Heiligen Geiste regieret. Diese Vergewisserung und (wie es auf griechisch heißet) soll man
behalten. Denn sonst ist die Taufe, die^Absolution und auch der Brauch des Abendmahls des HErrn unnütze und vergeblich. Gleichwie es denn uns im Pabstthum also ergangen ist, als Paulus sagt 2 Tim. 3,7.: Sie lernen immerdar und können nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. Denn es ist eine greuliche Blindheit und Jrrthum gewesen, der in alle Wege zu verdammen ist, wenn auch sonst nichts mehr Unrechtes oder sündliches gewesen wäre in des Pabstthums Lehre, nämlich, daß sie gelehrt haben, wir sollen immer hin und her im Zweifel gehen, Wanken, ungewiß sein und an unserer Seligkeit zweifeln. Denn solche Ungewißheit oder Zweifel nimmt mir meine Taufe und Gottes Gnade. Ich bin vergeblich ein Christe, arbeite und lebe vergeblich.
„Darum betet der Prophet im 51. Psalm, V. 12.: Gib mir einen neuen gewissen Geist, d. i., gib mir einen rechten gewissen Glauben, der nicht hinke auf beiden Seiten, wie die Baaliten thaten, die in ihrem Gottesdienst viele Bedeutungen hatten und darinnen unbeständig waren : sie arbeiteten, opferten, thaten ihrem Leibe wehe, kreuzigten ihr Fleisch und waren doch ungewiß, ob sie auch Gott gefällig wären." (Auslegung des 41. Cap. des 1. B. Mosis. V. 32. II, 1985—87.)
Derselbe schreibt ferner in seiner Schrift von den Schlüsseln: „Darnach denke, daß die Schlüssel oder Vergebung der Sünden nicht stehet auf unserer Reue oder Würdigkeit, wie sie lehren und verkehren; denn das ist ganz pelagianisch, türkisch, heidnisch, jüdisch, wiedertäuferisch, schwärmerisch und endechristifch; sondern, wiederum, daß unsere Reue, Werk, Herz und was wir sind, sollen sich auf die Schlüssel bauen und mit ganzem Erwägen getrost darauf verlassen, als auf Gottes Wort und bei Leibs und Seelen
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Verlust ja nicht zweifeln, was dir die Schlüssel sagen und geben, es sei so gewiß, als rede es Gott selber; wie er's denn gewißlich selbst redet; denn es ist sein Befehl und Wort und nicht eines Menschen Wort oder Befehl. Zweifelst du aber, so lügenstrafest du Gott, verkehrst seine Ordnung und bauest seine Schlüssel auf deine Reue und Würdigkeit. Reuen sollt du (das ist wahr), aber daß darum die Vergebung der Sünden sollte gewiß werden und des Schlüssels Werk bestätigen, das heißt den Glauben verlassen und Christum verleugnet. Er will dir die Sünde nicht um deinetwillen, sondern um sein selbst willen, aus lauter Gnaden, durch den Schlüssel vergeben und
schenken Christus spricht: Was ihr bindet auf Erden rc. Merke hie,
daß er gewiß, gewiß zugesagt, es solle gebunden und los sein, was wir auf Erden binden und lösen, hie ist kein Fehlschlüssel. Er spricht nicht: Was ich im Himmel binde und löse, das sollt ihr auf Erden auch binden und lösen, wie die Lehrer des Fehlschlüssels narren. Wann wollten wir erfahren, was Gott im Himmel binde oder lösete? Nimmermehr, und wären die Schlüssel vergebens und kein nütze. Spricht auch nicht: Ihr sollt wissen, was ich im Himmel binde und löse; wer wollt's oder könnt's wissen? Sondern so spricht er: Bindet ihr und löset auf Erden, so will ich mit binden und lösen im Himmel; thut ihr der Schlüssel Werk, so will ich's auch thun; ja, wenn ihr's thut, so soll's gethan sein, und ist nicht noth, daß ich's euch nachthue. Was ihr bindet und löset (spreche ich), das will ich weder binden noch lösen, sondern es soll gebunden und los sein ohne mein Binden und Lösen; es soll einerlei Werk sein meines und eures, nicht zweierlei; einerlei Schlüssel meine und eure, nicht zweierlei ; thut euer Werk, so ist meines schon geschehen; bindet und löset ihr, so Hab ich schon gebunden und gelöset. Er verpflichtet und verbindet sich an unser Werk, ja er befiehlst uns sein selbst eigen Werk; warum sollten wir's denn ungewiß machen, oder umkehren und vorgeben, er müsse vorhin binden und lösen im Himmel? Gerade als wäre sein Binden und Lösen im Himmel ein anders, denn unser Binden und Lösen auf Erden, oder als hätte er andere Schlüssel droben im Himmel, denn diese auf Erden, so er doch deutlich und klärlich sagt, es seien des Himmels Schlüssel und nicht der Erde Schlüssel. .. Es kommen aber solche Gedanken von zweierlei Schlüsseln daher, daß man Gottes Wort nicht für Gottes Wort hält, sondern weil es durch Menschen gesprochen wird, so siehet man es eben an, als wären's Menschenworte, und denkt, Gott sei hoch droben und weit, weit, weit von solchem Wort, das auf Erden ist, gaffet darnach gen Himmel hinauf und dichtet noch andere Schlüssel. . . Laß dich hie nicht irren das pharisäische Geschwätz, damit sich etliche selbst närren, wie ein Mensch möge Sünde vergeben, so er doch die Gnade nicht geben kann, noch den Heiligen Geist. Bleibe du bei den Worten Christi und sei du gewiß, daß Gott keine andere Weise hat, die Sünde zu vergeben, denn durch das mündliche Wort, so
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er uns Menschen befohlen hat. Wo du nicht die Vergebung im Worte siehst, wirst du umsonst gen Himmel gaffen nach der Gnade oder, wiesiesagen, nach der innerlichen Vergebung. Sprichst du aber, wie die Rottengeister und Sophisten auch thun: hören doch viel der Schlüssel Binden und Lösen, kehren sich dennoch nicht dran und bleiben ungebunden und ungelöset, darum muß etwas anders da sein, denn das Wort und die Schlüssel: der Geist, Geist, Geist muß es thun. Meinst du aber, daß der nicht gebundm sei, der dem Bindeschlüffel nicht glaubet? Er soll's wohl erfahren zu seiner Zeit, daß um seines Unglaubens willen das Binden nicht vergeblich gewesen ist, noch gefehlet hat. Alsoauch, wer nicht glaubet, daßer los sei und seineSünde vergeben, der soll's mit der Zeit auch wohl erfahren, wie gar gewiß ihm seine Sünden jetzt vergeben sind gewesen, und er's nicht hat wollen glauben. St. Paulus spricht Röm. 3, 3.: Um unseres Unglaubens willen wird Gott nicht fehlen. So reden wir auch jetzt nicht, wer den Schlüsseln gläubet oder nicht; wissen fast wohl, daß wenig glauben, sondern wir reden davon, was die Schlüssel thun und geben. Wer's nicht annimmt, der hat freilich nichts; der Schlüssel fehlet darum nicht. Viele gläuben dem Evangelio nicht, aber das Evangelium fehlet und lüget darum nicht. Ein König gibt dir ein Schloß : nimmst du es nicht an, so hat der König darum nicht gelogen, noch gefehlet, sondern du hast dich betrogen und ist deine Schuld, der König hat's gewiß gegeben... Denn es ist Gottes Befehl und Wort, das jener spricht und dieser hört; sind beide schuldig, bei ihrer Seelen Seligkeit, solches so gewiß und fest zu gläuben, als alle andere Artikel des Glaubens." (XIX, 1172—77.)
Thesis IV.
Eine auf die Gnadenmittel gegründete Gewißheit wirkt der Heilige Geist allein in dem Bußfertigen. Röm. 8, 16.
Nachdem in der 3ten Thesis gezeigt worden ist, welchen Grund die Gewißheit unseres Gnadenstandes habe, so wird nun in dieser vierten gelehrt, auf welche Weise ein Mensch zu dieser seligen Gewißheit kommen könne. Unsere Thesis zeigt uns nämlich 1. den Werkmeister dieser Gewißheit, den Heiligen Geist, der durch Wort und Saerament in unseren Herzen thätig ist und uns zur Gewißheit unseres Gnadenstandes bringen will. Darnach 2. wird auch das Herz beschrieben, in welchem der Heilige Geist diese Gewißheit allein wirken kann.
Wie ohne durch den Heiligen Geist Niemand zum wahren Glauben kommen kann, so auch nicht zur Gewißheit seines Gnadenstandes.
Daß der Heilige Geist die Gewißheit des Gnadenstandes wirke, lehrt uns der unserer Thesis beigefügte Spruch Röm. 8, 16.: „ Derselbige
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Geist gibt Zeugniß unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind." Dieser Spruch lehrt uns aber nicht bloß, daß der Heilige Geist uns gewiß macht unserer Gotteskindschaft, sondern auch, wem er dies Zeugniß gibt, nämlich unserem Geiste, der in dem vorhergehenden Verse beschrieben wird als ein solcher, der vorher in Schrecken und Angst gewesen ist über seine Sünde und daher vor Gott sich knechtisch fürchtete. Daß nur in dem Herzen eines Bußfertigen die Gewißheit des Gnadenstandes gewirkt werden könne, lehrt auch der ganze Zusammenhang des Römerbriefes. Erst macht der Apostel alle Menschen zu Sündern, d. H. er lehrt sie ihre Sünde erkennen, darnach predigt er das Evangelium und sagt schließlich, der Heilige Geist gebe Zeugniß unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind. —
So lange der Mensch noch in Sicherheit dahin geht, Gottes Zorn über die Sünde noch nicht in seinem Herzen empfindet, nicht glaubt, daß er von Natur ein verfluchter und verdammter Sünder sei, die Sünde noch liebt, in sich selbst noch nicht gebrochen ist und an sich selbst noch nicht verzagt, so lange ist es unmöglich, daß er zur Gewißheit seines Gnadenstandes kommen und sprechen könne: Ich bin bei Gott in Gnaden u. s. w. Dies kann allein geschehen bei denen, die zerschlagenen Herzens und von der schweren Last ihrer Sünden zuvor niedergedrückt sind, die sich fürchten vor Gott und seinem Zorn wider die Sünde und die nun cheilsbegierig anfangen zu fragen: Was muß ich thun, daß ich selig werde? Denn erst dann kann der Heilige Geist, nachdem er zuerst durch die Predigt des Gesetzes eine wahre Erkenntniß der Sünden im Herzen gewirkt hat, den wahren Glauben und die Gewißheit des Gnadenstandes wirken.
Solche, die innerhalb der christlichen Kirche ausgewachsen, aber allmäh^ lich innerlich, wohl bisweilen auch äußerlich, von Christo abgefallen sind, machen sich dennoch gar leicht die falsche Hoffnung, sie seien bei Gott in Gnaden, und hoffen, trotz der über sie herrschenden Sünde, dennoch selig zu werden; aber sie befinden sich in einem teuflischen Wahn, und kommen sie nicht zur Erkenntniß ihres Sündenelendes und zu einem brünstigen Verlangen, aus solchem Jammer befreit zu werden, so sind sie verloren. Wir wollen ja Niemandem die Gewißheit seines Gnadenstandes auch nur wankend machen, aber eben so wenig dürfen wir Jemandem einen falschen Trost machen, oder ihn in seinem falschen Wahn bestärken. Wer noch niemals über seine Sünde erschrocken, noch nie an sich selbst verzweifelt ist, und dennoch glaubt, er stände bei Gott in Gnaden, der gibt sich einer eitel» Täuschung, einem leeren Traum hin. — Wir reden hier nicht von Graden der Büßfertigkeit, daß ein Mensch so viel Betrübniß über seine Sünden, so viel Angst und Schrecken vor Gottes Gericht empfunden haben müsse, ehe er es wagen dürfe, sich der göttlichen Gnade zu getrösten; auch darf dies nicht so verstanden werden, als ob ein Mensch durch die Schrecken der Reue, die er empfindet, sich selbst zu dieser Gnade bereiten könne; sondern das lehren wir, daß die Lehre des Evangeliums allein von einem solchen Herzen
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gefaßt werden könne, welches sein Sündenelend erkannt hat und vor Gottes Zorn über dasselbe erschrocken ist. Fragen wir: Was würde dem Menschen fehlen, der zwar unbußfertig gewesen wäre, in welchem aber der Heilige Geist doch den wahren Glauben gewirkt hätte? so müßten wir sagen: wenn er,den wahren seligmachenden Glauben hätte, so fehlte ihm rein gar nichts; denn unser Heil beruht auf Gottes Gnade und Christi Verdienst, welches durch den Glauben ergriffen wird. Aber hierbei ist zu bedenken, daß der Heilige Geist den Glauben nicht in den Unbußfertigen wirkt, weil sie seiner Gnadenwirkung eben durch ihre Unbußfertigkeit widerstreben. Die Gnadenwirkung des Heiligen Geistes ist nicht eine Wirkung seiner Allmacht, sondern eben seiner Gnade. (Vergl. Conc.-Formel, Art. 2., besonders S. 602 und 603. Ausg. von Müller.)
Weil ohne Erkenntniß der Sünde und ohne wahre Reue über dieselbe der Heilige Geist weder wahren Glauben noch (was im Grunde genommen ganz dasselbe ist) die Gewißheit der Gnade schenken und wirken kann, so darf die Predigt des Gesetzes keineswegs unterlassen werden. Denn ob es Wohl wahr ist, daß wir allein durch den Glauben gerecht werden vor Gott, und der Glaube nicht durch die Predigt des Gesetzes, sondern durch die Predigt des Evangeliums gewirkt wird, so muß doch durch die Predigt des Gesetzes das Herz erst zubereitel und zugerichtet werden, damit der Heilige Geist den Glauben in demselben wirken könne. — Indem nun der Heilige Geist durch das Gesetz die Reue und durch das Evangelium den Glauben wirkt, führt er uns den seligen Weg, auf welchem wir allein zur Gewißheit unseres Gnadenstandes kommen können. — Ja, dies ist auch der einzige Weg, auf welchem der Mensch zur Seligkeit des Himmels gelangen kann. Man denke sich einmal den Fall, es wäre möglich, daß ein Mensch auch ohne wahre Buße in den Himmel kommen könnte ; würde es einem solchen im Himmel behagen? — Nein, nein, der würde bald sagen : Hier gefällt es mir nicht. Darum ist gerade dies, daß Gott uns erst den großen Sündenjammer erkennen läßt, ein nothwendiges Erforderniß, damit die Seligkeit des Himmels eine Seligkeit für uns sei.
Luther schreibt in Bezug auf den Inhalt unserer Thesis : „Darum wird der Heilige Geist Niemand gegeben, denn eben denen, die da stehen in Betrübniß und Angst : da schaffet das Evangelium Nutz und Frucht; denn biese Gabe ist zu hoch und edel, darum wirft sie Gott nicht vor die Hunde und Säue, welche, wenn sie schon darauf fallen, daß sie es hören predigen, so fressen sie es und wissen nicht, was sie fressen. Es müssen solche Herzen fein, die da fühlen und sehen ihr Elend und nicht heraus können kommen: denn es muß gezappelt sein, soll der Heilige Geist kommen und helfen; und soll's ihm Niemand in den Sinn nehmen, daß es anders werde zugehen. Das sehen wir auch hier in dieser Historie: die lieben Jünger waren bis daher gesessen in Furcht und Schrecken, und waren noch ungetrost, war auch mpch kein Muth da, lagen noch im Unglauben, daß sie gleich verzagten, daß
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Christus viel Mühe und Arbeit mit ihnen hatte, daß er sie wieder aufnchtete-und war doch kein ander Gebrechen da, denn ihr eigen blöde Herz, daß sie fürchteten, der Himmel fiele auf sie; daß sie der HErr selbst nicht genug trösten konnte, so lange, bis er zu ihnen sagt: der Heilige Geist soll zu euch vom Himmel kommen, der wird mich in euer Herz drücken, daß ihr mich erkennet, und darnach auch durch mich den Vater. So wird denn euer HeH getrost und gestärket, und voll Freuden werden; wie denn solches heute an ihnen erfüllet ist." (Kirchen-Postille, über die Epistel am 1. Pfingsttag. Erl. Ausg. VIII, 311. 312.)
Ferner: „Also im Sturm und Widerwärtigkeit geußt Gott Gnade ein, wie geschrieben steht Jes. 41, 3. : ,Gott verfolget sie, und also wandelt er friedlich in ihnen? Und der Prophet Nahum, Cap. 1, 3. : ,Gott ist ein HErr, des Wege sind eitel Donnern, Blitzen und Ungewitter, und seine Fußstapfen sind gleich wie dicke Pulverwolken', als sollte er sagen: Gott, welchen er will begnaden, den greift er also an, daß er alle Unglück über ihn führet, inwendig und auswendig, daß der Mensch meinet, er soll untergehen vor großem Sturm und Anfechtung. Und welche solche sein Werk und Wege nicht leiden, die treiben von sich seine Gnade, und können Gott, der ihnen begegnet, nicht grüßen, und seinen Gruß nicht verstehen, noch danken. Denn greulich ist sein Gruß im Anfang, doch tröstlich am Ende. Wie auch der Engel Gabriel Mariam im Gruß greulich erschreckt, und doch aufs allerlieblichste wieder tröstet. Darum die Buße, die mit den friedlichen Gedanken sich übet, ist Heuchelei. Es muß ein großer Ernst und tief Wehthuungdasein, soll der alteMenschausgezogenwerden." (XV, 1794.)
Thesis V.
Die Gewißheit des Gnadenstandes wird durch jede Sünde erschüttert, durch Todsünden vernichtet. 1 Joh. 3,21. Ps.66,18. Joh. 5, 44.
Diese Thesis enthält zwei Sätze : 1. Die Gewißheit des Gnadenpandes wird durch jede Sünde erschüttert. 1 Joh. 3, 21. 2. Sie wird durch Todsünden vernichtet. Ps. 66, 18. Joh. 5, 44.
Die Gewißheit des Gnadenstandes kann also erschüttert, ja selbst vernichtet werden. Wenn der Teufel uns in allerlei Sünde zu stürzen sucht, so ist sein letzter Endzweck, die Gewißheit des Gnadenstandes in uns zu vernichten, inzwischen aber dieselbe zu erschüttern. Wir stehen aber nicht bloß dann in Gefahr, diese Gewißheit zu verlieren, wenn wir vom Teufel zu groben Sünden versucht werden, sondern auch die Ruhe kann uns gefährlich werden; denn durch dieselbe werden wir leicht achtlos, so daß wir eS mit der Sünde nicht mehr so genau nehmen, nicht mehr in der tägliche» Buße stehen, eine Sünde nach der ändern, die bei vorsichtigem Wandel
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hätte vermieden werden können und sollen, wird begangen; und ist das Gewissen gegen Schwachheitssünden abgehärtet, so bleiben die Bosheitssünden auch nicht aus. Wohl ist es wahr, daß Schwachheitssünden nicht aus der Gnade Gottes stoßen; aber wir dürfen es mit den Schwachheitssünden dennoch nicht leicht nehmen, denn erschüttert wird die Gewißheit des Gnadenstandes dadurch auch.
Der Spruch 1 Joh. 3, 21.: „Ihr Lieben, so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott", lehrt uns, daß wir dann eine Freudigkeit oder ein zuversichtliches Herz zu Gott haben, wenn uns unser Herz nicht verdammt, d. i. wenn uns unser eigenes Gewissen nicht bezeugt, daß wir Wider Gott gesündigt haben. Dagegen wird diese Freudigkeit zu Gott erschüttert und das Bewußtsein des Gnadenstandes verdunkelt, wenn uns unser Herz bezeugt, daß wir Wider Gott gesündigt haben. — Hier in diesem Spruch ist von Wiedergebornen und Gläubigen die Rede, und wer wüßte nicht aus Erfahrung, wie leicht auch ein solcher, z. B. durch irgend eine Beleidigung, die ihm widerfährt, gereizt wird und in Zorn geräth? Ist dies aber der Fall, wer kann da ein -freudiges Vater Unser beten? Wer hätte es nicht erfahren, so wir um etwas bitten wollen und Zutritt suchen zum Vater, wie schwer dies hält. Wenn eine innere Stimme uns sagt: Gott muß dich ja strafen? Eine weitere Folge ist, man unterläßt das Beten und flieht vom Vater weg. — Wenn uns aber unser Herz nicht verdammt, dann können wir mit Freudigkeit und Zuversicht beten und der Zusage Gottes gewiß sein. So lange man nicht die Anklage des Gewissens durch wahre Buße zum Schweigen gebracht hat, so lange kann man auch nicht mit Freudigkeit hintreten; ist dies aber geschehen, so kömmt diese Freudigkeit wieder, und findet sich dort, wo man in Vorsicht wandelt und in der Heiligung einhergeht. Wenn wir aber nicht mehr so vorsichtig wandeln, so fängt diese Gewißheit und Zuversicht wieder an schwankend zu werden. —
Wenn es in der Thesis heißt, die Gewißheit des Gnadenstandes werde durch jede Sünde erschüttert, so soll damit nur die wissentliche Sünde als die Gewißheit des Gnadenstandes erschütternd bezeichnet werden. Wenn es hieße : „Der Gnaden st and wird durch jede Sünde erschüttert", so könnte das von jeder Sünde absolut gesagt werden, auch von den unerkannten, ja auch von der Erbsünde, nämlich an sich; allein, da von der Gewißheit des Gnadenstandes die Rede ist, so kann dieselbe nur durch wissentliche Sünden erschüttert werden. Dies zeigt auch der angeführte Spruch 1 Joh. 3, 21.: „So uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott." Das Verdammen des Herzens kann aber nur dort stattfinden, wo wissentlich aus Schwachheit (nicht etwa aus Vorsatz, trotz der Warnung des Heiligen Geistes durchs Wort, denn dres wäre ja eine Todsünde) gesündigt worden ist, oder wo die unwissentlich begangene Sünde zum Bewußtsein kömmt. Auch dann erschüttern unwissentliche
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Sünden die Gewißheit des Gnadenstandes, wenn die Unwissenheit eine nicht unüberwindliche ist, sonderlich wenn die Unwissenheit nur iZnorsntiL oov6oiuit»n8 (d. i. eine Unwissenheit, da Jemand zwar nicht weiß, daß eS Sünde ist, was er thut, aber es doch thun würde, wenn er auch wüßte, daß es Sünde ist) oder gar i^norantia eonseguens »llsetuts. ist (d. i. da Jemand einfach nicht wissen will, daß es Sünde ist, was er thut, obgleich er es wissen könnte); aber diese unwissentlichen Sünden sind im Grunde den Wissentlichen gleich, («f. LaisrL Oomp. tdeol. pos. k. II. o. 3. § 11.)
Entgegen sind natürlich alle Sünden, auch die unerkannten, der Gewißheit, aber darum erschüttern sie noch nicht dieselbe. Da unsere Thesen einen in der Gnade wirklich Stehenden zu ihrem Subjecte (Gegenstand) haben, so kann von einer Erschütterung der Gewißheit des Gnadenstandes nur dann die Rede sein, wenn der Sündigende, wenn auch nicht ganz klar, doch dunkel sich dessen bewußt wird, daß er sündige. Wenn auch die unwissentlichen Sünden die Gewißheit erschütterten, so könnte ein Christ nie ohne erschütterte Gewißheit sein; aber die Gewißheit des Gnadenstandes setzt ja voraus, daß der Christ gewiß sei, daß ihm seine Sünden vergeben seien, nicht, daß er keine habe. Aber durch wissentliche Sünden wird die Gewißheit erschüttert, denn sie betrüben den Heiligen Geist in ihm, wenn sie auch nur in faulem Geschwätz bestehen. Eph. 4, 29. 30.
Ein wahrer Christ weiß, daß die Sünde eine Scheidewand zwischen ihm und seinem Gott bildet; er hat darum ein überaus zartes Gewissen; sobald er erkennt, er habe gegen ein Gebot Gottes gefehlt, so ist das fröhliche Gewissen hin und damit auch die Gewißheit des Gnadenstandes erschüttert.
„Die Kraft der Sünde", schreibt Luther, „ist die, daß sie uns an-klage, beschuldige, verdamme, beiße, plage und martere und dem Herzen keinen Frieden lasse, uns den Zorn Gottes, die Hölle rc. erhalte." (V, 731.) Dies hat er auch an sich selbst erfahren, daher schreibt er ferner : „Ein böses Gewissen ist die Hölle selbst, und ein gutes Gewissen ist das Paradies und Himmelreich." (X, 2236.)
Daß unbekehrte Menschen von diesem Schrecken vor der Sünde nichts wissen, auch nicht begreifen können, warum ein Christ so ängstlich ist in keine Sünde zu willigen, ja lieber sterben würde, kommt daher, weil sie noch nicht erkannt haben, wie schrecklich die Sünde ist. Das bezieht sich aber nicht bloß auf besondere äußere grobe Fälle, sondern auch auf die inneren Bewegungen des Herzens. Ein Christ achtel auch auf sein Herz, auf seinen inneren Wandel vor Gott. Ein böser Gedanke in seinem Herzen, bei welchem er sich ertappt, kann solche Folgen bei ihm haben, daß er meint, er habe die Gnade verloren.
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Luther: „Das Gewissen ist der Sünde zu schwach, ja es ist keine Sünde so klein, dawider das Gewissen sich könnte widersetzen, und wenn sie gleich so klein Ware, als Lachen in der Kirche." (XI, 1351.)
Derselbe: „Ein Herz, das sich schuldig weiß, fürchtet sich auch vor einem guten Gerücht. Denn man pflegt zu sagen: Oonsoisnti» will« teste« (das Gewissen ist gleich tausend Zeugen)." (II, 2344.)
Derselbe: „Die Christen müssen täglich an ihnen selbst erfahren und fühlen, was Sünde und Tod für Kraft hat. Denn dieser Stachel kömmt nicht allein den groben Sündern, als Ehebrechern, Hurern, Tod-fchlägern und Mördern zur Zeit des Reuels, sondern kommt auch frommen Leuten vor der Welt, die sich mit ihren Sünden beißen müssen im Herzen, daß sie Gott nicht gefürchtet, ihm nicht geglaubt und vertrauet, ihm nicht gedient haben. ... Ich habe solchen Stachel, Spieß und Gift, d. i. den Reuel im Gewissen, sehr oft schmecken und fühlen müssen, daß mir der Angstschweiß darüber ausgebrochen ist.
„Dasselbe Aechzen im Herzen und Gewissen, es komme nun von groben äußerlichen Sünden oder von subtilen, innerlichen Sünden, als Unglauben und Blindheit rc., nennet St. Paulus des Todes Stachel, darum, daß der Tod durch solch Aechzen den Menschen würget, wenn er gleich gesund ist.... Die Sünde ist des Todes Stachel; d. i. der böse Reuel im Herzen, wie gesagt, ist die rechte Gift, so den Menschen tödtet. Wenn die Sünde aufwacht und der Reuel kommt und spricht: Du bist ein Kind des Todes, du bist verloren und verdammt, so gehet der Mensch darüber hin, wenn ihm nicht geholfen wird. . . . Denn wenn es lange währt, so muß der Mensch nicht allein sterben, sondern auch verzweifeln." (Erl. Ausg. 19, 176. 177.)
Der zweite Theil unserer Thesis lehrt uns, daß durch Todsünden die Gewißheit des Gnadenstandes vernichtet werde. Was sind denn Todsünden? Alle solche Sünden, durch welche der Mensch, wenn er sie begeht, aus dem Reich Gottes in das Reich des Teufels geräth; Sünden, wobei es unmöglich ist, im Glauben zu stehen, wodurch der Glaube und das gute Gewissen verloren geht. Dahin sind zu rechnen die vom Apostel Paulus Gal. 5, 19—21. namhaft gemachten Werke des Fleisches: „Offenbar find die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß die solches thun, werden das Reich Gottes nicht ererben." Es kann sogar eine jede Sünde zu einer Todsünde werden. Nicht die Größe der Sünde an sich, sondern die Natur derselben, ob sie aus Schwachheit oder aus Bosheit geschieht, entscheidet, ob Etwas eine Todsünde ist oder nicht. Wer da weiß, daß dies und jenes Sünde ist, und thut solches dennoch vorsätzlich, trotz aller Strafe des Heiligen Geistes, der begeht damit eine Todsünde. Dies lehrt uns auch der unserer
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Thesis beigefügte Spruch Ps. 66, 18.: „Wo ich Unrechts vorhätte in meinem Herzen, so würde der HErr nicht hören." ^Hier redet David von wissentlichen und vorsätzlichen Sünden und will sagen: Wenn ich mir etwas wider Gottes Gesetz vornehmen würde zu thun, so würde ich damit aufhören, ein Kind Gottes zu sein, denn dabei könnte der Glaube nicht bestehen. — Die Gewißheit des Gnadenstandes steht und fällt mit dem Glauben. Was den Glauben aufhebt, hebt auch die Gewißheit des Gnadenstandes auf. Kann nun bei vorsätzlichen Sünden der Glaube nicht bestehen, so muß nothwendig dadurch auch die Gewißheit des Gnadenstandes vernichtet werden.
Luther schreibt : „So ein Mensch in Sünden ist wider sein Gewissen, d. i. so er wissentlich und williglich thut Wider Gott, als ein Ehebrecher oder Frevler, der Jemand wissentlich Unrecht thut u. s. w., derselbe, so lange er solchen Willen wissentlich behält, ist er ohne Reue und ohne Glauben, und ist Gott nicht gefällig. Als, so lange Einer eines Ändern Eheweib bei sich hält, ist keine Reue, kein Glaube, keine Heiligkeit da; das ist ja öffentlich. Denn wo Glaube ist, dadurch wir gerecht werden, da muß auch gut Gewissen sein. Und ist ganz unmöglich, daß diese zwei Dinge beisammen stehen sollten, Glaube, der auf Gott vertrauet, und böser Vorsatz oder, wie mans nennet, böses Gewissen. Glaube und Anrufung Gottes sind zarte Dinge und mag leichtlich eine sehr kleine Wunde des Gewissens sein, die stößt Glauben undAnrufung weg, wie ein jeder geübter Christ sehr oft erfahren muß. Darum setzt Paulus diese Stücke zusammen 1 Tim. 1, 5.: Dieses ist die Summa von der Lehre: Liebe von reinem Herzen und gut Gewissen und ungefärbter Glaube; item 1 Tim. 1, 19.: Behalte den Glauben und gut Gewissen; item 1 Tim. 3, 9.: Die des Glaubens Geheimniß halten mit reinem Gewissen rc. Diese und dergleichen mehr Sprüche zeigen an, daß, wo nicht gut Gewissen ist, da ist kein Glaube und keine Heiligkeit." (X. 1997.)
Wenn Luther sagt, es könne auch eine sehr kleine Wunde des Gewissen-sein, welche den Glauben wegstößt, so will er damit sagen, daß die Todsünde nicht immer eine offenbare Sünde zu sein brauche, sondern, daß sie ganz im Verborgenen geschehen könne, z. B. heimlicher Ehrgeiz, eine bewußte Unlauterkeit oder Unredlichkeit, wie sie sich die Unwiedergebornen im Geschäftsleben erlauben. Hierbei empfängt das Gewissen eine Wunde. Erfolgt keine wahre Buße, so eitert diese Wunde, die für klein geachtete Sünde, weiter und bringt endlich den Tod. —
Auch eine einmalige Begehung einer Todsünde stößt die Gewißheit des Gnadenstandes um. Man hört oftmals sagen: „Einmal ist keinmal." Die Leute wollen sich auch nicht über eine einmalige Sünde, wenn sie sonst immer rechtschaffen gelebt haben, strafen lassen; sie meinen, Gott werde darüber nicht so genau richten. Aber grade dies, daß sie ihre Sünde noch vertheidigen
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wollen, zeigt es deutlich genug an, daß sie nicht mehr im Glauben stehen und ch>aß die Gewißheit des Gnadenstandes vernichtet ist. —
Joh. 5, 44. heißt es: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmt? Und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht." Hier sagt also der HErr den Pharisäern, es sei unmöglich, daß sie glauben könnten, darum weil sie Ehre von einander suchten und vor Ändern geachtet und angesehen sein wollten; sie seien deshalb, weil solche Sünde sie daran hindere zu glauben, um dieser Sünde willen Kinder des Todes. — Wir wundern uns manchmal darüber, daß manche deutsche, lutherisch genannte Theologen, von denen man hört, daß sie liebe, fromme, demüthige und gottselige Leute seien, und die man auch, wenn man sie nur in ihren Häusern kennt, für die besten Christen hält, — daß dieselben Herren, wenn sie auf das Katheder kommen, bald dies, bald jenes an der Schrift auszusetzen haben. Die Ursache ist di;se, sie suchen ihre eigene Ehre bei den Leuten. Sie wollen Helden der Wissenschaft sein, und sie hätten ja keine Wissenschaft, wenn sie beim Buchstaben der Schrift blieben. Die Ehre, die sie suchen, stellt ihnen ein Bein. Weil sie die eigene und nicht Gottes Ehrx suchen, so fehlt die Furcht vor Gott und seinem Wort. — Es gibt aber nicht bloß einen wissenschaftlichen Hochmuth und Ehrgeiz, es gibt auch einen Pfaffendünkel, einen Lehrerdünkel, einen Bauerndünkel und andere mehr. Alle diese Dünkel, wenn man sie duldet, rauben Gott seine Ehre, und der Glaube und die Gewißheit des Gnadenstandes kann nicht dabei bestehen.
Joh. Gerhard legt in seiner Lodoln kietatis den angeführten Spruch Joh. 5, 44. so aus: „Wie könnt ihr glauben und durch den Glauben Gottes Ehre suchen, die ihr Ehre von einander nehmet? Das ist, weil ihr eure eigene Ehre suchet und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht. Seine eigene Ehre suchen ist große Sünde, denn St. Paulus Röm. 1, 30. setzet unter die größten Sünder die Rühmst red ig er, d. i., die aus Begierde eigener Ehre viel rühmen und gerühmet sein wollen, als wären sie etwas Sonderliches, und sind doch nichts. 2 Tim. 3, 2. setzeter diejenigen, so viel von sich selbst halten, zu den Geizigen, Ungehorsamen, Ungeistlichen, Unkeuschen und den größten Uebertretern. Alle Ehre gebühret allein Gott, dem HErrn, dieweil wir alles von ihm haben, uns aber gebührt nicht eigene Ehre zu suchen, dieweil wir nichts von uns selber haben. Ps. 115, 1.: .Nicht uns, HErr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre? Wenn du dich wahrhaftig und von Grund deines Herzens für nichts achtest, und nicht deine Ehre suchest, so wird Gott, der HErr, dich ehren; das ist viel eine größere Ehre, als welche die ganze Welt dir geben kann. Joh. 12, 16. spricht Christus: .Wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren'; nun kann aber Niemand Christo rechtschaffen dienen, er sage denn ab seiner eignen Ehre und verleugne sich selbst. Daraus folget, daß
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wer seiner eignen Ehre absaget, den werde Gott, der HErr, selbst ehren. Joh. 8, 50. spricht Christus: .Ich suche nicht meine Ehde, es isi aber einer, der sie suchet und richtet.' Daraus folget, daß du Ehre dessen, der seine eigne Ehre nicht suchet, Gott selber wolle suchen." (S. 365.)
Was die Todsünde sei, und daß die Gewißheit des Gnadenstandes dadurch vernichtet werde, möge uns die Betrachtung einiger Beispiele lehren. Adam und Eva waren sich vor dem Sündenfall dessen bewußt, daß si« Gottes liebe Kinder waren ; sobald sie aber in jene schreckliche Todsünde gefallen waren, war alle Zuversicht zu Gott dahin, denn sie flohen vor ihm, versteckten sich, mochten seine Stimme nicht mehr hören, und so bewiesen sie, daß sie zu Gott kein Zutrauen mehr hatten, kurz, daß die Gewißheit des Gnadenstandes in ihnen vernichtet war. — David träumt sich wohl ein« Zeit lang nach seinem schrecklichen Fall, er sei bei Gott in Gnaden. Er wird auch nicht aufgehört haben mit seinen gottesdienstlichen Uebungen. Aber er bekennt hernach selber, es sei ein lauter leerer Wahn gewesen: „Denn da ichs wollte verschweigen", spricht er, „verschmachteten meine Gebeine, durch mein täglich Heulen. Denn Heine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. SelP" — Nathan sagt auch nicht zu ihm: Nun, siehe, du hast zwar in der Uebereilung schwer gesündigt, aber du bist dennoch bei Gott in Gnaden, die Gewißheit deines Gnadenstandes ist wohl erschüttert, aber nicht vernichtet ; sondern er erklärt ihm dürre heraus: „Du bist der Mann des Todes", d. i. du hast das Heil, du hast die Seligkeit verloren. — So lange Saul im Gehorsam gegen Gott wandelte, war er auch seines Gnadenstandes gewiß; als er aber wider Gottes Befehl selbst opferte, da Samuel über die Zeit verzog, so schlug ihm das Gewissen sogleich. Sein ganzes Verhalten wurde, da er sein Unrecht nicht bußfertig erkannte, in Folge davon auch ganz ein anderes. Er wollte nach eigenem Gutdünken durch Eifer für des HErrn Gottesdienst wieder gut machen, was er gesündigt hatte, und fiel dadurch doch nur immer tiefer in Sünde rc. Statt durch wahre Buße, durch ein entschiedenes Bekennen: ich habe Unrecht ge-than, Gott sei mir gnädig! zu Gott zurückzukehren, so beharrte er vielmehr in seiner Unbußfertigkeit, und ein unruhiger Geist vom HErrn kam über ihn, wie die Schrift meldet.
Todsünden müssen nicht nothwendig grobe äußerliche Sünden sein, durch welche der Mensch augenblicklich in den geistlichen Tod versinkt, sondern es kann damit auch auf ähnliche Weise zugehen, wie mit dem leiblichen Tode. Der Eine kömmt im Augenblick, etwa durch den Blitz oder durch irgend einen ändern Unglücksfall, zu Tode, ein Anderer kränkelt Jahre lang an der Schwindsucht, bis endlich alle Lebenskraft erschöpft ist. So kann auch das geistliche Leben eines Menschen allmählich zu Ende gehen, etwa auf diese Weise: Gott segnet einen Christen im Irdischen, derselbe ist in
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der Gemeinde geliebt und geehrt, und siehe da, er wird sicher, er erlaubt sich dieses und jenes, was er früher für Sünde hielt und was er daher um keinen Preis gethan haben würde. Er kommt so allmählich in einen solchen Zustand hinein, daß er Glauben und gut Gewissen verliert. Es ist ihm auch bewußt, es stehe nicht mehr mit ihm, wie früher, aber anstatt nun um Erbarmung zu rufen, sucht er sein Gewissen zu beschwichtigen und wiegt sich immer tiefer in Sicherheit hinein. Ein solcher ist denn bereits aus der Gnade gefallen, während vielleicht Andere ihn noch für einen besonders wackeren Christen halten.
Luther schreibt in Bezug hierauf also: „Je überflüssiger Einer die fleischlichen Güter genießet, desto unglückseliger wird seine Seele zermalmet, indem sein Gewissen unaufhörlich erschüttert wird. Denn je mehr er sündigt, desto mehr verliert er von dem Vertrauen auf Gott, und vermehren sich dagegen Zweifel, Bisse, Unruhe, Schrecken und Bestürzung des Gewissens; und wenn es denn von außen scheinet, als ob ihm Alles nach Wunsch gehe, und daß er mit Lust wachse, so wird ihm indessen von innen gleichsam das Mark aus den Beinen gesogen, nämlich die Kraft der guten Zuversicht; und wenn nun alle Kräfte bei ihm erschöpft sind, so wird bei ihm auf das erbärmlichste Alles zu Grund und Boden gerichtet, daß er endlich nothwendig auWwig verzweifeln muß." (IV, 1123.)
Vor dem Selbstbetrug, in dem so Viele, die im geistlichen Tode liegen oder demselben entgegen gehen, sich befinden, warnt Luther also: „Darum gehe hier ein jeglicher heim in sein Herz, und forsche sich selbst, wie es um ihn stehet, und verlasse sich nicht auf solche Gedanken: ich bin getauft und heiße ein Christ, habe Gottes Wort gehört und gehe zum Sacrament. Denn allhier scheidet er selbst falsche Christen von den rechtschaffenen Christen; als sollte er sagen: Seid ihr recht gläubig an mich und habt meinen Schatz, so wirds sich Wohl erzeigen und sehen lassen: wo nicht, so denket nicht, daß ich euch für meine Jünger erkennen und annehmen wolle ; und werdet Niemand getäuschet und betrogen haben, denn euch selbst, zu ewigem Spott und Schaden: das Evangelium und Christus werden Wohl ungetäuschel und unbetrogen bleiben. Solches hat er müssen vermahnen; und muß stets getrieben werden in der Christenheit', weil wir sehen, wie allzeit solcher viel unter uns sind. Denn er will kurzum keine falschen Christen haben noch kennen, wie er Matth. 7, 23. zeuget, da er ein schrecklich Urtheil über sie fället und spricht, daß er werde zu ihnen sagen an jenem Tage: Weichet von mir, alle Uebelthäter, ich habe euch noch nie erkannt. Denn solche falsche Leute wären ebensomehr gar Heiden und Unchristen ; so thäten sie doch der Christenheit nicht Schaden mit ärgerlichem Exempel, zu Schanden und Lästerung des heiligen Namens Christi und seines Wortes." (Auslegung des 15. Cap. St. Johannis zu Vers 10—12. Vlll. 339. f.)
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ThesiS VI.
Die Gewißheit des Gnadenstandes besteht auch im Zweifel des Bußfertigen, so lange der Mensch dagegen kampft. (Anfech-tungSpand.) Marc. 9, 24.
In der 5ten Thesis haben wir gehört, daß die Gewißheit des Gnadenstandes durch die den Christen noch immer anklebende Sünde Wohl erschüttert, aber nicht vernichtet werde; aber es frägt sich, ob ein Christ auch dann noch seines Gnadenstandes gewiß sein könne, wenn er von allerlei Zweifeln, z. B. ob er wirklich ein rechtschaffener Christ, ob er wirklich in Gnaden und ob ihm diese und jene Sünde vergeben sei rc., angefochten wird? Unsere Thesis antwortet: Ja, auch da bleibt dennoch diese Gewißheit bestehen, so lange nämlich der Mensch gegen diese Zweifel kämpft. Wenn freilich der Kampf dagegen aufhören würde, so würde allerdings die Gewißheit des Gnadenstandes auch aufhören. Solcher Zweifel ist nämlich ebensowohl Sünde als irgend welche Thal Wider Gottes Gesetz; ja, dieser Zweifel ist sogar eine Hauptsünde, wiewohl man häufig meint, daß derselbe keine Sünde, oder doch keine sonderlich große Sünde sei. Der Zweifel ist eine heimliche Feindschaft Wider Gott, eine heimliche Furcht vor ihm und ein heimliches Zürnen mit Gott; was kann es aber für eine schrecklichere Sünde geben, als dies ist? So lange ein Mensch gegen diese Sünde des Zweifels kämpft, ist sie eine Schwachheitssünde, die daher die Gewißheit des Gnadenstandes wohl erschüttert, aber nicht vernichtet. Diese Zweifel sind dem inwendigen neuen Menschen eine schwere Last, welcher er gerne los wäre; das offenbart sich durch sein Kämpfen gegen dieselben. Der Kampf gegen die Zweifel ist auch ein Kampf des Geistes wider das Fleisch. Zwar meint der Christ, welcher sich im Stande der Anfechtung befindet, er habe keinen Glauben mehr; aber grade durch sein Kämpfen gegen die Zweifel beweis't er 'chatsächlich, daß er im Glauben stehe, daß darum auch die Gewißheit seines Gnadenstandes fortbestehe. Solche Zweifel kommen nie aus dem neuen Menschen, sondern aus dem Fleisch durch den Teufel. Der neue Mensch, der aus Gott geschaffen und vom Heiligen Geist erfüllt ist, kann gar nicht zweifeln. Kommen nun dem Christen durch das Fleisch, welches noch in ihm ist, gleich allerlei Zweifel, so kann dies dem neuen Menschen die Gnade Gottes nicht ungewiß machen. So lange er gegen solche Zweifel kämpft, bleibt auch die Gewißheit des Gnadenstandes, wenn es gleich dem Menschen nach seinem Fühlen nicht also scheint.
Burk schreibt: „Im Stand der Anfechtung kann es zuweilen begegnen, daß, wie einem gleichwohl lebenden Menschen im Schlaf oder in Ohnmacht der ^otus reüexus, oder die wirkliche Empfindung seines Lebens fehlt, also in allerlei geistlichen Ohnmächten einem Kinde
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Gottes sein Glaube und Gnadenstand unempfindlich wird." (Epistel-Predigten II, 617.)
Ein Beispiel, woraus wir lernen sollen, wie wir gegen den Zweifel kämpfen sollen, haben wir an dem Vater des mondsüchtigen Knaben Marc. 9. Sein Zweifel sprach sich aus in den Worten: „Kannst du aber was, so erbarm dich unser und hilf uns." Als aber der HErr zu ihm sprach: „Wenn du könntest glauben; alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet", da schrie alsbald des Mndes Vater mit Thränen und sprach (V. 24.): „Ich glaube, lieber HErr, hilf meinem Unglauben." Bei diesem Mann stand es also, daß er Wohl hoffte, Christus werde seinem Sohne helfen, darum hatte er ja auch denselben zu ihm gebracht; aber zu gleicher Zeit wurde er auch von schweren Zweifeln angefochten. Er will wohl auf die Gütigkeit und Freundlichkeit seines Heilandes im Glauben fußen, aber zu gleicher Zeit ist sein Herz von Zweifeln an der Macht Christi erfüllt. Durch Christi Hülfe siegt er endlich über alle Zweifel und erfährt die mächtige Hülfe des HErrn. — Ein herrliches Beispiel, um zu zeigen, wie der Glaube, und darum auch die Gewißheit des Gnadenstandes, auch in der größten Anfechtung bestehe, ja, grade dadurch stark und groß gemacht werde, haben wir an dem cananäischen Weibe. Ihr Kampf mit Christo ist ein Bild, wie Christus noch heute mit den Seinen verfährt. Wie Christus zuerst auf das flehentliche Rufen des armen Weibes gänzlich schwieg, so scheint es auch oftmals, wenn wir zu ihm schreien um Erbarmung und um Vergebung unserer Sünden, als ob er ferne von uns wäre und uns nicht hören wolle, während er uns doch nahe ist. Wie darnach der HErr die Hülfe dem cananäischen Weibe, als derselben gänzlich unwerth, zu versagen scheint, so müssen auch wir oftmals erfahren, daß Gott uns unsere Unwürdigkeit recht fühlen läßt, daß wir angefochten werden, ob wir auch zu den Auserwählten gehören; ja, daß wir schließlich nichts anderes als das Verdammungsurtheil aus dem Munde Gottes zu vernehmen meinen. Aber bei allen diesen Anfechtungen und den dabei in uns aufsteigenden Zweifeln, woran es dem cananäischen Weibe auch nicht wird gefehlt haben, sollen wir es machen wie sie und den guten Kampf des Glaubens kämpfen. Und wenn der Glaube trotz alles Fühlens im Kampf wider alle Zweifel und Anfechtungen feststeht, so wird er auch endlich den Sieg davon tragen und herrlich gestärkt und gekrönt werden; ja, dann wird Christus auch zu einem Solchen sagen, wie zu dem cananäischen Weibe: Dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst.
In seiner Kirchenpostille stellt Luther die Maria auf der Hochzeit zu Cana als ein Exempel hin, daran man siehet, wie „der Glaube im rechten Kampfe stehet". Christus stelle sich unfreundlich und hart, aber sie deute es in ihrem Herzen nicht auf Zorn oder wider seine Güte, sondern sie bleibe fest auf dem Sinn, er sei gütig und gnädig, und denkt: Die Schlappe will ich in mich fressen und schamroth werden; „sauer stellet
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er sich, doch ist er süße, das weiß ich." Dann setzt Luther hinzu: „Also lasset uns auch thun, so sind wir rechte Christen." (Leipz. Ausg. XIII, 351.) —
In einer Trostschrift vom Jahre 1522, worin Luther das als „das höchste unter allen Geboten Gottes" erklärt, daß wir uns seinen lieben Sohn JEsum Christum sollen vor- und einbilden, spricht er sich auch darüber aus, was man mit den Gedanken machen soll, die uns in der Anfechtung wegen der Versehung in das Herz kommen. Nachdem er nämlich gezeigt hat, daß sie „gewißlich des leidigen Teufels Einblasen und feurige Pfeile sind", fährt er unter anderem also fort: „Es muß gestritten sein und immer von den Gedanken gelassen. Fallen sie ein, so laßt sie wieder ausfallen, gleichwie einer flugs ausspeiet, so ihm Koth ins Maul fiel." (Leipz. Ausg. XXII, 517.) So muß man also auch mit allen Zweifeln an der Gewißheit des Gnadenstandes thun. —
Die Römischen lehren, wie wir bei der ersten Thesis gesehen haben, daß man an der Gewißheit des Gnadenstandes zweifeln müsse: diesen Jrr-thum suchten sie auch der lutherischen Lehre anzudichten, weil wir lehren, daß die Zuversicht oft schwach sei. Darauf antwortet
Chemnitz: „Wir wollen auch bekennen, daß der wahre Glaube in dieser Schwachheit des Fleisches nicht vollkommen sei, sondern oft von vielen und mancherlei Zweifeln angefochten werde, so daß die Zuversicht bei Anfechtungen oft unter Zittern sehr schwach ist. Wir lehren aber, daß man sich dem Zweifel nicht hingeben, sondern beständig mit demselben käm, pfen und beten müsse : Ich glaube, HErr, aber hilf du meinem Unglauben, Marc. 9, 24., und: HErr, mehre uns den Glauben, Luc. 17, 5. ... Und freilich, nicht daher, daß wir auf unsere Schwachheit oder auf unsere neuen (guten) Eigenschaften und Tugenden sehen, fassen wir die Zuversicht, daß wir von Gott gewiß angenommen seien zum ewigen Leben. Denn da bekennen wir ausdrücklich mit Paulo: darin bin ich nicht gerechtfertigt." (Lx. Oooo. Drick. IX. cke ticke, p. 192. Lck. kreuss.)
Hierzu wurde noch bemerkt: Es sei nöthig, daß wir, wenn wir in Anfechtung kommen, nicht auf uns sehen, sondern auf das, was Gott uns gegeben hat, woran wir uns nach seinem Willen halten sollen. Wenn unser Glaube gleich schwach und unvollkommen sei, so sei doch das vollkommen, woran er sich hält, nämlich Gottes Gnade und Christi Verdienst, welches uns durch die Gnadenmittel mitgetheilt wird. Ein Goldstück bleibt ein Goldstück, ob es von der Hand eines schwachen Kindes oder eines starken Mannes gehalten wird. So lange ich darum die göttliche Gnade festhalte, wenn auch nur mit schwachem Glauben, so bleibt auch die Gewißheit des Gnadenstandes bestehen. —
Anfechtungen bleiben bei den Christen nicht aus. Wozu wäre ihnen sonst auch die 6te Bitte: „Führe uns nicht in Versuchung", in den Mund gelegt, wenn nicht allerlei Versuchung dem Christen widerführe? Die
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schwerste Versuchung Satans ist aber ohne Frage, wenn er unser Herz mit Zweifeln an der Gnade Gottes, und ob wir Vergebung der Sünden haben, zu erfüllen sucht. Und gerade solchen Versuchungen sind die besten Christen ausgesetzt, daher Luther mit Recht sagt : „Je heiliger Mensch, je größere Anfechtung." (VIII, 2727.)
Beherzigenswerth ist auch, was Luther im Großen Katechismus zur 6ten Bitte schreibt: „Dazu kömmt nun der Teufel, hetzet und bläset auch allenthalben zu. Aber sonderlich treibt er, was das Gewissen und geistliche Sachen betrifft, nämlich, daß man beide, Gottes Wort und Werk, in Wind schlage und verachte, daß er uns vom Glauben, Hoffnung und Liebe reiße, und bringe zu Mißglauben, falscher Vermessenheit und Verstockung; oder wiederum zur Verzweiflung, Gottesverleugnen und Lästerung und ändern unzähligen und greulichen Stücken. Das sind nun die Stricke und Netze, ja die rechten feurigen Pfeile, die nicht Fleisch und Blut, sondern der Teufel aufs allergiftigste ins Herz schießet. Das sind ja große, schwere Fahr und Anfechtungen, so ein jeglicher Christ tragen muß, wenn auch jegliche für sich alleine wäre ; auf daß wir je getrieben werden, alle Stunden zu rufen und zu bitten, weil wir in dem schändlichen Leben sein, da man uns auf allen Seiten zusetzt, jagt und treibt, daß" uns Gott nicht lasse matt und müde werden und wieder zurückfallen in Sünden, Schand und Unglauben; denn sonst ists unmöglich, auch die allergeringsten Anfechtungen zu überwinden. Solchs heißet nun nicht einführen in Versuchung, wenn er uns Kraft und Stärke gibt zu widerstehen, doch die Anfechtung nicht weggenommen noch aufgehoben. Denn Versuchung und Reizungen kann Niemand umgehen, weil wir im Fleisch leben und den Teufel um uns haben, und wird nichts anders draus, wir müssen Anfechtung leiden, ja darin stecken; aber da bitten wir für, daß wir nicht hineinfallen, und darin ersaufen. Darum ist's viel ein ander Ding, Anfechtung fühlen, und darein verwilligen, oder Ja dazu sagen. Fühlen müssen wir sie alle, wiewohl nicht einerlei, sondern etliche mehr und schwerer; als, die Jugend fürnehmlich vom Fleisch; darnach, was erwachsen und alt wird, von der Welt; die ändern aber, so mit geistlichen Sachen umgehen, d. i. die starken Christen, vom Teufel. Aber solch Fühlen, weil es wider unfern Willen ist, und wir sein lieber los wären, kann Niemand schaden. Denn wo mans nicht fühlete, könnte es keine Anfechtung heißen. Bewilligen aber ist, wenn man ihm den Zaum läffet, nicht darwider stehet und bittet." (Erl. Ausg. 21, 125. f.)
In Bezug auf die Angefochtenen schreibt Luther: „Darum ist's ein Wunderding, wer da keine Sünde hat, der fühlet und hat sie, und wer die Sünde hat, der fühlet sie nicht und hat keine; denn es wäre nicht möglich, daß er über und wider die Sünde klagte, wenn er nicht in der Gerechtigkeit und Gnade lebte. Denn ein Teufel jagt den ändern nicht aus, Luc. 11,18.
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Sünde verklagt auch ihr Gleichen nicht, und ein Wolf beschreiet einen ändern nicht; und ist doch unmöglich, daß er sollte ohne Sünde sein, der wider si« schreiet. Denn er muß ja nicht mit erdichteten Worten vor Gott reden; es muß wahr sein, daß er Sünde hat, als er saget, und doch auch wahr, daß er ohne Sünde sei, und also, gleichwie Christus zugleich lebendig und tod! wahrhaftig war, also zugleich müssen sie voll Sünde und ohne Sünde sein, die rechte Christen sind." (IV, 2295.)
Derselbe: „Gott liebet die Anfechtungen und ist ihnen gram. Liel hat er sie, wenn sie uns zu dem Gebet reizen und treiben; gram ist er ihnen aber, wenn wir dadurch verzweifeln. Aber es heißet: das Lobopfer heilige! mich, Ps. 51, 19. Darum, ist euch Wohl, so psallirt und lobet Gott mi! einem schönen Liedlein; ist euch übel, d. i. kommen Anfechtungen, so betet." (XLII, 150.)
Luther beschreibt auch die Ursache, warum Gott seinen Heiligen solch« Anfechtungen zusendet: „Warum läßt Gott solches seinen Liebsten widerfahren? Freilich nicht ohn Ursach und geschieht je nicht aus Zorn oder Ungnade, sondern aus großer Gnade und Güte, damit uns zu zeigen, wie er es in allen Stücken freundlich und väterlich mit uns meine, und wie treulich er für die Seinen sorget, und sie also regiert, daß sich ihr Glaube je mehr und mehr übe und je stärker und stärker werde. Sonderlich aber thut ers um folgender Ursachen willen.
„Zum Ersten, daß er die Seinen bewahre Wider die Vermessenheit, aus daß die großen Heiligen, die sonderlich hohe Gnade und Gaben von Got! haben, nicht darauf fallen und sich auf sich selbst verlassen. Denn wenn si« allezeit so stark im Geist wären und nichts anderes, denn eitel Freude und Süßigkeit sollten fühlen, möchten sie zuletzt in die leidige Teufels-Hoffart gerathen, die Gott verachtet und auf sich selbst trotzet. Darum muß es ihnen also gesalzen und gemenget werden, daß sie nicht immerdar eitel Stärke des Geistes fühlen, sondern unterweilen ihr Glaube zappelt und ihr Herz zaget, auf daß sie sehen, was sie sind, und bekennen müssen, daß sie nichts vermögen, wenn sie Gott nicht durch seine lautere Gnade erhält. Also behält er sie in der Demuth und Erkenntniß ihrer selbst, daß sie nicht stolz noch sicher werden auf ihren Glauben und Heiligkeit, wie St. Petro geschah, da er sich vermaß, für Christum sein Leben zu lassen, Joh. 14, 37. Darum ist solche Versuchung den Heiligen ja so noth und nöthiger, denn Essen und Trinken, daß sie in Furcht und Demuth bleiben, und lernen, allein sich zu Gottes Gnaden halten.
„Zum Ändern läßt ihnen Gott solches widerfahren Anderen zum Exempel, beide die Sicheren zu schrecken, und die Blöden, Erschrockenen zu trösten. Die Ruchlosen und Unbußfertigen mögen sich hierin spiegeln, daß sie lernen sich bessern und vor Sünden sich hüten, weil sie sehen, wie Gott auch mit den Heiligen also handelt, daß sie in solche Angst kommen, daß sie nichts denn Zorn und Ungnade fühlen und in solch Schrecken fallen, als
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hätten sie die schwerste Sünde begangen, die je ein Mensch möchte gethan haben. So nun die frommen Herzen solch schwerer und schier unerträglich Schrecken und Angst überfället, was will denn werden mit den Ändern, die in rechten Sünden ruchlos und sicher liegen und beharren, und Gottes Zorn nur Wohl verdienen und sammeln? Wie wollen die bestehen, wenn sie einmal plötzlich eine Angst treffen wird, wie ihnen alle Stunden Wohl widerfahren kann? Wiederum solche Exempel dienen, die erschrockenen und geängsteten Gewissen zu trösten, wenn sie sehen, daß Gott nicht allein sie, sondern auch die höchsten Heiligen also hat angegriffen und eben solche Anfechtung und Schrecken leiden lassen. Denn so wir in der Schrift kein Exempel hätten, daß es den Heiligen auch also ergangen wäre, so könnten wir es nicht ertragen und würde das blöde Gewissen immer also klagen: Ja, ich bin es allein, der in solchem Leide steckt. Wann hat Gott die Frommen und Heiligen also versuchen lassen? Darum muß es ein Zeichen sein, daß mich Gott nicht haben will. Nun wir aber sehen und hören, daß Gott mit allen hohen Heiligen also gehandelt, so haben wir daran diese Lehre und Tröstung, daß wir in solchem Leiden nicht verzagen, sondern stille halten und warten, bis er uns heraushilft, wie er denn allen lieben Heiligen geholfen hat.
„Zum Dritten kommt nun die rechte Ursach, warum Gott fürnehmlich solches thut, nämlich, daß er seine Heiligen will lehren, wie sie sollen Trost suchen und sich drein schicken, daß sie Christum finden und behalten." (XI, 618.)
Ein Christ ist einem guten Baume gleich, der in gutem Erdreich wurzelt. Blickt er unter sich, so sind da die Wurzeln, d. i. der Glaube, in Gottes unwandelbarem Wort gegründet; blickt er in sich, so findet er da den bleibenden Saft, den Heiligen Geist, und blickt er über sich, so erblickt er da die Zweige mit mancherlei Früchten. Dies alles sieht er aber nur außer dem Stand der Anfechtung. Im Stand der Anfechtung dagegen erscheint sich der Christ wie ein Baum im Winter, dürre und erstarrt. Er spürt und empfindet nichts von dem alles durchdringenden Saft (d. i. von den Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes), er sieht keine Frucht (d. i. gute Werke); aber er wuselt dennoch in gutem Grunde (d. i. sein Glaube gründet sich dennoch in Gottes Wort). Ist der Winter (d. i. Stand der Anfechtung) vorüber, dann empfindet er auch wieder, wie der Saft in ihm emporsteigt (d. i. wie der Heilige Geist in ihm wirket), dann kommen auch die Früchte, die guten Werke, wieder zum Vorschein. Darum, so lange der Christ noch an Gottes Wort festhält, so lange steht er trotz alles gegentheiligen Fühlens noch im Glauben und in der Gnade Gottes.
Thesis VII.
Je eifriger ein Mensch in der Heiligung ist, desto mehr hqt er durch seine Liede und guten Werke Zeugnisse, daß er bei Gott in Gnaden stehe. 2 Petri 1,10. 1 Joh. 3, 14.
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Wenn ein Christ eifrig ist in der Heiligung oder Erneuerung, so bezeugt er damit, daß er mit der Sünde und mit der Welt gebrochen habe und auf Gottes Seite hinüber getreten sei. Denn wenn sich ein Mensch bekehrt, so kehrt er sich damit von der Welt ab und zu Gott hin. Daher ist es gar nicht anders möglich, als daß der gläubige Christ auch Liebe erweise und gute Werke thue. Je mehr sein Glaube zunimmt, um so mehr nimmt auch seine Liebe zu und um so eifriger wird er auch im gottseligen Wandel. Dieser sein Wandel in der Liebe ist dann ein Zeugniß dafür, daß er bei Gott in Gnaden stehe. Die Begründung hierfür findet sich
2 Petr. 1, 10.: „Darum, lieben Brüder, thut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu mgchen. Denn wo ihr solchesthut, werdet ihr nicht straucheln." Der Apostel Petrus beginnt seine zweite Epistel sogleich mit einer Vermahnung zu einem gottseligen Wandel. Und nachdem er V. 3. und 4. gezeigt hat, was Gott an den Menschen gethan hat, schreibt er V. 5—7. also: „Wendet allen euren Fleiß daran (nämlich nach Vers 4. die vergängliche Lust der Welt zu fliehen) und reichet dar in eurem Glauben Tugend, und in der Tugend Bescheidenheit, und in der Bescheidenheit Mäßigkeit, und in der Mäßigkeit Geduld, und in der Geduld Gottseligkeit, und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe, und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe." Er zeigt dann in den folgenden Versen, daß sich der Glaube also erweisen müsse, und fährt darauf im 10. Vers also fort: „Darum, lieben Brüder, thut desto mehr Fleiß" u. s. w. Damit will er sagen: übt euch in einem gottseligen Wandel, damit ihr daran ein Zeugniß habt, daß ihr gewißlich bei Gott in Gnaden steht und daß der Heilige Geist in euch wohne.
Wenn gesagt wird, daß wir uns der Heiligung befleißigen sollen, um dadurch unfern Beruf und Erwählung fest zu machen, so soll damit nicht gesagt werden, daß dadurch unser Beruf und Erwählung bei Gott fester werde. Nein, nimmermehr! Die in der Ewigkeit geschehene Erwählung und die in der Zeit erfolgte Berufung steht auf Gottes Seite unerschütterlich fest; aber bei mir soll der Beruf und die Erwählung fest gemacht werden; ich soll immer fester und gewisser werden, daß Gott mich zur Seligkeit berufen und erwählt hat. Dies geschieht dadurch, daß ich mich der Heiligung befleißige. Alle, die Gott erwählt hat, hat er erwählt zu Lob seiner herrlichen Gnade; dazu hat er sie auch berufen. Wird nun aber Gottes herrliche Gnade durch meinen Wandel gerühmt und gepriesen, so folgt auch für mich daraus, daß ich zu den Erwählten gehören muß, daß also der Eifer in der Heiligung, wie für meinen Glauben, so auch für die Gewißheit meines Gnadenstandes ein Zeugniß sei.
Luther schreibt zu dieser Stelle 2 Petr. 1, 10. 11.: „Also siehest du, was dieser Apostel den Früchten des Glaubens gibt. Wiewohl dieselben dem Nächsten gehören, daß ihm damit gedient werde, so bleibt doch auch die Frucht nicht außen, daß der Glaube dadurch stärker wird und immer mehr
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und mehr gute Werke thut. Also ist das gar viel eine andere Kraft, denn die leibliche. Denn jene nimmt ab und wird verzehret, wenn man ein Ding zu viel braucht und treibet; aber diese geistliche Kraft, je mehr man sie übet und treibet, je stärker sie wird, und nimmt ab, wenn man sie nicht treibet. Darum hat Gott die Christenheit zum Ersten also geführet, getrieben und geübt mit dem Kampfe des Glaubens, in Schande, Tod und Blutvergießen, daß sie recht stark und kräftig würde, und je mehr sie gedrückt wurde, je mehr sie über sich ging. Das meint nun St. Petrus, daß man den Glauben nicht soll lassen ruhen und stille liegen, wei^ er also geschickt ist, daß er von treiben und üben immer mehr und mehr kräftig wird, so lange, bis er der Berufung und Erwählung gewiß wird und nicht fehlen kann. Und hier ist auch ein Ziel gesteckt, wie man mit der Versehung handeln soll. Es sind viel leichtfertige Geister, die nicht viel vom Glauben gefühlet haben, die fallen herein, stoßen oben an, und bekümmern sich zum Ersten mit diesem Ding, und wollen durch die Vernunft ergründen, ob sie versehen sind, auf daß sie gewiß werden, woran sie seien. Davon stehe nur bald ab, es ist nicht der Griff dazu. Willst du aber gewiß werden, so mußt du durch den Weg dazu kommen, den dir hier St. Petrus.vorschlägt. Nimmst du einen ändern vor dich, so hast du schon gefehlt; es muß dichs deine eigene Erfahrung lehren. Wenn der Glaube Wohl geübt und getrieben wird, so wirst du zuletzt der Sache gewiß, daß du nicht fehlest; ivie nun weiter folgt :
,Denn wenn ihr solches thut, werdet ihr nicht fallen.'
„Das ist, ihr werdet fest stehen, nicht straucheln noch sündigen, sondern richtig hindurch und frisch von Statten gehen, und wird sich alles selbst recht schicken. Sonst, wenn ihr es mit euern Gedanken wollt ausrichten, wird euch der Teufel bald stürzen in Verzweiflung und Haß Gottes.
»Vers 11.: Und also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem ewigen Reich unsers HErrn und Heilandes JEsu Christi.'
„Das ist die Straße, durch welche man ins Himmelreich gehet: darum soll ihm Niemand in Sinn nehmen, durch solchen Traum und Gedanken Vom Glauben, den er selbst in seinem Herzen erdichtet hat, hineinzukommen; es muß ein lebendiger, wohl geübter und getriebener Glaube sein. Hilf Gott, wie haben unsere Verführer wider diesen Text geschrieben, gelehrt und gesagt : welcher auch den mindesten Grad und nur ein Fünklein vom Glauben habe, wenn er sterben soll, der werde selig. Wenn du es dahin willst sparen, und solchen Glauben so unversehens und geschwind überkommen, so wirst du zu lang geharret haben. Hörest du doch wohl, daß, die da stark sind, genug zu schicken haben. Wiewohl man doch an solchen Schwachen nicht verzweifeln soll. Denn es kann auch wohl geschehen, daß sie hindurchkommen; es wird aber sauer und schwer werden, und viel Mühe kosten. Wer es aber wohl im Leben übet, daß der Glaube mit guten Werken getrieben und stark wird, der wird einen reichlichen Eingang haben, und mit
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gutem Muth und Zuversicht hineingehen in jenes Leben, also, daß er trotzig -lich sterbe und das Leben verachte, und gleichsam mit Prangen dahinfahre, und mit Freuden hineinspringe. Jene aber, wo sie anders hineinkommen, werden nicht also mit Freuden hinfahren, die Thüre wird ihnen nicht so Weit offen stehen, werden auch nicht solchen reichlichen Eingang haben; sondern wird ihnen enge und sauer werden, daß sie zappeln und lieber ihr Lebtag schwach sein wollten, denn sie einmal sollten sterben." (Auslegung der 2. Epistel St. Petri Cap. 1, V. 10. 11. IX, 846—48.)
Ueberaus wichtig ist es, daß Luther hinweis't auf die rechte Vorbereitung auf das letzte Stündlein, denn dann versucht es der Teufel noch einmal, uns die Gewißheit unseres Gnadenstandes zu rauben. Wohl dem, der auch dann hintreten und sprechen kann: du weißt es, mein Gott, ich habe mit aufrichtigem Herzen vor dir gewandelt nach deinen Geboten und der Heiligung nachgejagt ; aber doch soll dies mein Trost nicht sein, sondern ich verlasse mich allein auf deine Gnade und auf das Verdienst meines Heilandes; deß will ich mich trösten.
Ein anderer Spruch, welcher uns lehrt, daß wir durch die Liebe Zeugniß haben für unseren Glauben und die Gewißheit unseres Gnadenstandes, ist 1 Joh. 3, 14.: „Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben kommen sind, denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode." Nach diesem Spruch wissen es also alle Christen ganz gewiß, daß sie aus dem Tode in das Leben gekommen sind; und welches ist das Zeugniß, welches ihnen diese Gewißheit bestätigt? — Es ist die Bruderliebe; „denn wir lieben die Brüder". In dieser Liebe zu den Brüdern, die kein Mensch von Natur hat, hat der Christ ein Zeugniß seines Gnadenstandes.
Luther schreibt zu diesem Spruch: „Nun, woher wissen wir denn, daß wir aus dem Tode ins Leben kommen sind? Daher, spricht er, .denn wir lieben die Brüder'. Was ist das? Ist nicht das unsere Lehre, .daß er uns zuvor geliebet hat' (wie St. Johannes selbst saget), ,da er ist für uns gestorben und auferstanden, ehe wir ihn geliebet haben' ? Wo das geglaubet wird, da gehet dann erst die Liebe< beide, gegen Gott und den Nächsten. Warum sagt er denn: .Wir sind aus dem Tode ins Leben kommen, denn wir lieben die Brüder' ? Es liegt aber an dem Wort: Wir wissen ; denn er sagt deutlich: »daher wissen wir, daß wir aus dem Tode sind kommen', d. i. daran kann man spüren und erkennen, wo und welche die Leute sind, da der Glaube rechtschaffen ist; denn St. Johannes hat diese Episteln vornehmlich geschrieben wider die falschen Christen, wie der viel sind, die da auch Christum rühmen (wie der glaublose Kain), und doch bleiben ohne Frucht des Glaubens. Darum redet er nicht davon, wie und wodurch man von Sünden und Tod zum Leben kommt, sondern woran man solches erkenne: Xon <1tz 6UU8S., sack cke elleetu (Nicht von der Ursache, sondern von der Wirkung). Denn es ist nicht genug, daß wir rühmen, wir find aus
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dem Tode ins Leben kommen, sondern es muß sich auch zeigen und sehen lassen. Denn der Glaube ist nicht ein solch Ding, das da gar ledig und todt uege ; sondern wo er im Herzen lebt, da muß sich ja auch desselben Kraft bewerfen; wo er das nicht thut, da ist der Ruhm falsch und nichts. Damit bewerfet sichs aber, so man die Frucht spüret, daß des Menschen Herz, durchgossen mit dem Trost und gewissen Vertrauen der göttlichen Gnade und Liebe, beweget wird, daß er auch gegen dem Nächsten gütig, freundlich, sanft-müthrg, geduldig ist, Niemand neidet noch hasset, sondern Jedermann gerne drenet und, wo es noth ist, hilft mit Leib und Leben.
- beweiset und bezeuget, daß gewißlich
solcherMensch ist ausdemTode ins Leben kommen; denn wo er solches nicht g lau bete, sondern zweifelte an der Gnade und Liebe Gottes, so würde er auch nicht solch Herz können haben, Gott zu Liebe und Dank, dem Nächsten auch seineLiebe zu erzeigen." — Hiermit zeigt Luther, woher es komme, daß der Mensch willig wird, Liebe zu üben, nämlich daher, weil er gewiß weiß, Gott ist mit ihm versöhnt. Dies macht ihn fröhlich, nicht bloß Gott, sondern um Gottes willen auch dem Nächsten zu dienen. Sobald aber ein Mensch zweifelt, ob er bei Gott in Gnaden stehe, dann fehlt ihm auch die Liebe, dann hat er auch keme Lust, in Gottes Geboten zu wandeln. Daher spricht auch David nn 119. Psalm V. 32.: „Wenn du mein Herz tröstest, so laufe ich den Weg demer Gebote." — Luther fährt fort: „Wo aber dieser Glaube ist und erkennet solche große Gnade und Wohlthat, daß ihm aus dem Tode zum Leben geholfen, so wird dadurch sein Herz entzündet, wiederum zu lieben und alles Gutes zu thun (auch seinen Feinden), wie Gott ihm gethan hat.
„Also ist recht geredet und verstanden, das St. Johannes sagt: .Wir wissen, daß wir aus dem Tode kommen sind, denn wir lieben die Brüder ' Also, daß der Grund bleibe: .daß wir allein durch den Glauben gerecht, d. r. vom Tode erlöset werden'. Das ist das erste Stück der christlichen Lehre. Darnach ist eine andere Frage: ob der Glaube rechtschaffen da sei, oder gefärbet, oder ob es ein falscher Schein und lediger Ruhm des Glaubens sei? Darum redet er deutlich also, daß wir nicht durch die Liebe aus dem Tode errettet werden; sondern, nun wir daraus errettet sind und uns das Leben geschenket ist, das wissen und sehen wir dabei, daß es solches in uns wirket, daß wir nicht mehr, wie Kain, hoffärtig, vermessen auf uns selbst, den Nächsten verachten, voll Neides, Hasses, Bitterkeit sind, sondern Jedermann gern geholfen sehen und, so viel an uns ist, ihm dazu dienen und alles Gutes thun." (Kirchenpostille über die Epistel vom II p Drin Erl. B. IX, S. 48. 49.) ^ '
Derselbe: „Die Werke machen die Person nicht gerecht, sondern die Person, so nun gerecht ist, thut auch gerechte Werke, und richten dennoch die Werke solches aus, daß dadurch der Glaube geübet und gemehret wird. . . . So heißet nun St. Petrus 2. Epist. 1, 10., daß wir unfern Beruf und Er^
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Wählung feste und gewiß machen sollen durch gute Werke. Denn sie sind ein Zeugniß, daß Gottes Gnade in uns kräftig sei, und daß wir berufen und erwählet sind." (I, 1692.)
Derselbe: „Willst du aber wissen, ob du fruchtbarlich zum Sacra-ment gangen seiest, so kannst du es nicht besser treffen, denn daß du Acht habest, wie du dich gegen deinen Nächsten erzeigest. Du darfst nicht darnach denken, wie große Andacht du gehabt hast, oder wie Wohl dir die Worte im Herzen schmecken. Es sind wohl gute Gedanken, es ist aber nicht gewiß und kann dir fehlen. Damit aber wirst du gewiß, daß es dir kräftig sei, daß du darauf siehest, wie du gegen deinen Nächsten stehest. Findest du es also, daß dich die Worte und das Zeichen oder Sacrament erweichen und bewegen, daß du deinem Feind hold seiest, und dich deines Nächsten annehmest, und helfest ihm seinen Jammer und Leid tragen, so gehets recht; sonst, wo du das nicht thust, so bleibest du ungewiß, wenn du einen Tag hundertmal das Sacrament genießest mit großer Andacht, daß du auch vor Freuden Weinetest; denn solche wunderliche Andacht vor Gott nichts ist, die so eingehet, und Wohl so gefährlich als sie gut ist. Darum müssen wir vor allen Dingen deß bei uns selbst gewiß sein, wie St. Petrus sagt 2 Petr. 1, 10.: »Thut Fleiß, euren Beruf fest zu machen durch gute Werke.' Es ist zwar wohl gewiß an ihm selbst das Wort und Sacrament, denn darüber zeugt Gott selbst mit allen Engeln und frommen Leuten, aber es fehlet noch an dir, ob du auch dasselbe Zeugniß gebest. Denn wenn gleich alle Engel und die ganze Welt von dir zeuget, daß du das Sacrament nützlich genommen hast, so ist es doch viel schwächer, denn das Zeugniß, das du selber gibst. Aber dazu kannst du nicht kommen, du siehest denn dein Wesen an, ob es hervorleuchte, und in dir gewirket und Frucht geschaffet habe." (II, 818 f.) —
Es ist ein ganz ungerechter Vorwurf, den uns die Papisten machen, wenn sie behaupten, die Lutheraner lehrten, man brauche überhaupt keine guten Werke zu thun. Sie allerdings dringen immerdar auf die Werke, aber auch nicht vornehmlich auf die von Gott gebotenen, sondern auf die von ihnen selbst erdachten Werke. Da sie den wahren Christenglauben nicht kennen, und die Natur desselben nicht verstehen, so können sie auch nicht einmal auf wahrhaft gute Werke, die Gott gefallen, dringen. Ihr ganzes Thun und Treiben geht nur auf den äußeren Schein; ihre Werke, auch die besten derselben, sind nur scheinbar gute Werke, weil sie nicht aus der rechten Quelle, aus dem Glauben, geschehen, sondern sie geschehen aus Zwang. Ihrer Zweifelstheologie, die den Menschen in Betreff der Gewißheit seines Gnadenstandes in Ungewißheit läßt, bedienen sie sich als Sporn, um die Menschen zu guten Werken zu treiben. Solche nicht frei aus dem Glauben gethane, sondern erzwungene Werke können auch kein Zeugniß für die Gewißheit des Gnadenstandes sein. Wo rechter, wahrer Glaube ist, da folgen diese Werke von selbst, wie Luther so köstlich in der Vorrede zum Römer-
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brief sagt: „O es ist ein lebendig, schäftig, thätig, mächtig Ding um denGlauben, daß unmöglich ist, daß er nicht ohn Unterlaß sollte Guts wirken. Er fraget auch nicht, ob gute Werke zu thun sind; sondern ehe man fragt, hat er sie gethan undistimmerimThun. Wer aber nicht solche Werke thut, der ist ein glaubloser Mensch, tappet und siehet um sich nach dem Glauben und guten Werken, und weiß weder, was Glaube noch gute Werke sind, waschet und schwatzet doch viel Worte vom Glauben und guten Werken." Diese guten Werke, welche der Glaube thut, haben die Rückwirkung, daß sie uns bezeugen, daß auch der Glaube, welcher solche guten Werke zu Früchten hat, rechter Art sein müsse. Ist aber der Glaube durch die Werke bezeugt, so ist damit auch die Gewißheit des Gnadenstandes bezeugt.
Daß die Heiligung immerdar sogleich auf den Glauben folge und so dem Glauben Zeugniß gebe, lehrt uns das Beispiel des Schächers am Kreuz. Nicht selten wird es so dargestellt, als sei der Schächer durch einen Glauben selig geworden, der, weil die Gelegenheit dazu gefehlt hätte, sich nicht durch gute Werke erwiesen habe, was aber jedenfalls der Fall gewesen sein würde, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber man sehe diesen Schächer nur einmal recht an, so wird man erkennen, daß er, sobald er zum Glauben gekommen war, in eitel guten Werken die wenigen Stunden, die er noch zu leben hatte, hinbrachte, daß er durch den Glauben ein lebendiger Heiliger geworden war. Denn was that er? Erstens strafte er seinen Mitgesellen, er hatte also eine herzliche Liebe zu ihm und möchte ihn deshalb auch gerne zu Christo bringen. Zweitens legt er ein herrliches Bekenntniß von Christo ab, daß er Gottes Sohn sei, obgleich die Hohenpriester und die Vornehmen des jüdischen Volkes denselben verlästerten. Drittens betete er auch mit herzlicher Inbrunst, indem er sich an seinen Heiland wendet und spricht: HErr, gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst. Dies alles war eine Frucht seines Glaubens. Diesen seinen Eifer in der Heiligung wird Gott der HErr einst denen vor Augen stellen, welche meinten, er sei durch einen Glauben ohne Heiligung zur Seligkeit gekommen. Zwar durch die Heiligung wird Niemand selig, aber auch nicht ohne dieselbe, weil, wo wahrer Glaube ist, durch welchen wir der Seligkeit allein theilhaftig werden, auch diese Frucht des Glaubens sich gewißlich findet. Also der Grund, worauf wir die Gewißheit unseres Gnadenstandes gründen sollen, ist die Heiligung keineswegs; aber sie ist ein sicheres Zeugniß für das Vorhandensein des Gnadenstandes, sowohl für uns selbst, als auch der Welt gegenüber. Sobald sich Jemand auf seine Werke verläßt zur Seligkeit, alsobald hört der Gnadenstand selbst auf; denn Verdienst der Werke und Gnade vertragen sich nicht miteinander. Doch hören wir hierüber
Luther, in einer Predigt über 1 Joh. 4, 6—21. Daselbst heißt es also: „Das ist eben der Unterschied, wie ich allezeit gelehret habe aus der Schrift : wenn es kömmt zur Hauptfreudigkeit, dadurch ich vor Gott stehen
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soll Wider meine Sünde, wenn er mit mir will Rechenschaft halten, da wird mein Leben, Werk und Liebe nimmer vollkommen oder genugsam sein; sondern ich muß einen ändern Mann dazu haben, welcher heißt Christus, gesandt vom Vater, wie St. Johannes zuvor gesagt hat, zur Versöhnung für unsere Sünde. Das heiße ich die Hauptfreudigkeit, oder den Hauptruhm und höchsten Trost, der es allein thun und halten muß, wenn Gottes Gericht daher gehet, und stehen Wider seinen Zorn, dadurch alle mein Leben und Thun zur Hölle verdammt sein müßte. Also hat ers auch selbst droben genennet Cap. 2, 28., da er uns heißet bei dem Christo bleiben, auf daß, wenn er offenbaret wird, daß wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden vor ihm und in seiner Zukunft. Das meinet er auch mit den vorhergehenden Worten V. 15.: ,Wer da bekennet, daß JEsus Gottes Sohn ist, in dem bleibet Gott, und er in Gott.' Ueber das aber müssen wir auch noch einen Ruhm haben, nicht allein gegen Gott, sondern auch vor Gott und vor der Christenheit, gegen alle Welt, daß uns Niemand verdammen könne, noch mit Wahrheit verklagen; wie St. Paulus Actor. 24, 15.16. vor dem Landpfleger rühmet Wider seine Verkläger und spricht : .Nachdem ich bin gläubig worden, und habe die Hoffnung zu Gott, daß zukünftig sei die Auferstehung der Todten; so fleißige ich mich in demselben zu haben ein unverletzt Gewissen allenthalben, beide gegen Gott und den Menschen' rc., das ist, so zu leben, daß sich Niemand an mir stoßen noch ärgern kann. Item, 2 Cor. 1, 12.: .Unser Ruhm ist das, nämlich das Zeugniß unseres Gewissens, daß wir in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit auf der Welt gewandelt haben, d. i., daß Niemand uns zeihen kann, daß wir mit Heuchelei und bösen Tücken sind umgangen.'" (IX, 1289 f.)
Ein Christ lebt in der Welt, daß es scheint, als solle er sich die Seligkeit mit Werken verdienen, und doch baut er sie nicht auf seine Werke, sondern sein einziger Trost ist, daß Christus für ihn gestorben und auferstanden ist. Wenn ein Christ auch in der Todesstunde sagen kann: Ich habe mich bemüht, ein unverletzt Gewissen zu haben, so wird er doch mit Paulo sprechen, 1 Tim. 1, 15.: „Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß Christus JEsus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin", und mit der rechtgläubigen Kirche von Herzensgrund singen:
Der Grund, da ich mich gründe,
Ist Christus und sein Blut,
Das machet, daß ich finde Das etvge wahre Gut.
An mir und meinem Leben Ist nichts auf dieser Erd,
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe werth.
(St. Louiser Gesangbuch 366, 3.)
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Aus unseren ganzen Verhandlungen haben wir also ersehen, daß die Gewißheit des Gnadenstandes mit dem Glauben zusammenhängt; ja, daß die Gewißheit des Gnadenstandes eigentlich nichts anderes ist, als daß man im Glauben gewiß sei. Sobald uns dies klar ist, ist uns jede einzelne Thesis klar und gewiß. Was man von dem Einen sagen kann, das kann auch von dem Ändern gesagt werden:
Wie keine neuen Offenbarungen nöthig sind, um zum Glauben zu kommen: so sind auch keine neuen Offenbarungen nöthig, um zur Gewißheit des Gnadenstandes zu kommen;
wie es gefährlich ist, auf das Gefühl den Glauben zu bauen: so muß es auch gefährlich sein, die Gewißheit des Gnadenstandes darauf zu bauen;
wie sich der Glaube allein auf die Gnadenmittel gründet: so kann sich die Gewißheit des Gnadenstandes auch allein auf die Gnadenmittel gründen;
wie der Glaube allein erlangt wird durch den Heiligen Geist von den Bußfertigen: so auch die Gewißheit des Gnadenstandes ;
wodurch der Glaube gestärkt, erschüttert und vernichtet wird, dadurch wird auch die Gewißheit des Gnadenstandes gestärkt, erschüttert und vernichtet;
solange der Glaube besteht, besteht auch die Gewißheit des Gnadenstandes; und
wodurch der Glaube besiegelt und bezeugt wird, dadurch wird auch die Gewißheit des Gnadenstandes besiegelt und bezeugt.
Wer den Glauben hat, der hat auch die Gewißheit des Gnadenstandes. Diesen Zusammenhang darf man nicht aus den Augen verlieren, sonst verliert man alle Klarheit und kommt in ein Schwanken, wodurch der Glaube und die Gewißheit des Gnadenstandes erschüttert, ja wohl gar vernichtet wird.