(Northern District, Mo. Synod, 1877, Monroe Michigan; CFWW preacher, J.A. Hügli essayist; file N77_14S.DOC; started 1/8/97).
This paper was the basis for some of the discussions during the free conferences of 1903-1906. It was recognized by both sides as the teaching of C. F. W. Walther. See 1904 Lehre und Wehre, vol. 50, p. 35-37 – see this sentence.
2017-08-18: loaded into Gdocs; minor updating, correcting.
========================================
(Seite 3 von Original).
I. N. J.
Die Ehrwürdige Synode von Missouri, Ohio ua Staaten Nördlichen Districts hielt ihre Sitzungen vom 6-12 Juli dI in der Dreieinigkeitskirche des Herrn Pastor Hattstädt zu Monroe, Michigan. Bei dem Eröffnungsgottesdienst am Freitag - Vormittag hielt Ehrw Präses der Allgemeinen Synode, Herr Professor C.F.W. Walther, die Predigt über 2 Tim 1,13. Es wurden im Ganzen eilf Synodalsitzungen gehalten, deren jede mit einem liturgischen Gottesdienst durch den von der Synode bestimmten Kaplan, Herrn Pastor E.C. Georgii, eröffnet und mit dem Gebet des heiligen Vaterunsers durch den Ehrw Districtspräses, Herrn Pastor O. Fürbringer, geschlossen wurde. Der Secretär, Pastor K.L. Moll, wurde am Schlusse der ersten Sitzung des Secretariats für die diesjährige Synodalversammlung enthoben und an seiner Stelle die Pastoren J. Schmidt und Burmester erwählt, unter denen der Erstere die Lehrverhandlungen über die der Synode vorliegenden Thesen zu protokolliren hatte, in der ersten Vormittagssitzung aber von Herrn Pastor Partenfelder vertreten wurde. Außerdem wurden von den Pastoren und Lehrern noch verschiedene besondere Versammlungen abgehalten.
Lehrverhandlungen.
----------
Den Gegenstand der Lehrverhandlungen bildeten, laut vorjährigen Synodalbeschlusses, von Herrn Pastor JA Hügli verfaßte
Thesen über die Analogie des Glaubens.
Dieselben folgen hier nun in der von der Synode angenommenen Form mit den dazu gemachten Erläuterungen.
Thesis I.
Das Wort Analogie ist griechischen Ursprungs und heißt Aehnlichkeit oder zusammenstimmendes Verhältnis. Es wurde auf die Lehre von den Artikeln des Glaubens übertragen, damit anzudeuten, daß dieselben alle in einem harmonischen Verhältnis stehen, sowohl unter einander als auch in Absicht auf die Erlangung ihres Endzweckes, die Ehre Gottes und das Heil der Menschen.
(Seite 15 von Original).
Wer gründlich unterrichtet sein will, frägt zuerst, was das Wort “Analogie” eigentlich heiße, Dieses Wort braucht der Heilige Geist Römer 12,6: “Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich”. Was Luther mit “dem Glauben ähnlich” übersetzt, lautet im Urtext: , dh die Weissagung sei “nach der Analogie des Glaubens”. Manche brauchen anstatt des Wortes “Analogie” die Worte Harmonie, Zusammenhang. Der griechische Philosoph Aristoteles erklärt mit xxxxxx xxx xxxx di Gleichheit des Verhältnisses. In diesem Sinn wird das Wort Analogie vornehmlich von den alten Griechen in der Mathematik gebraucht, zB das Verhältnis von 2 und 4 ist analog dem von 4 und 8. Der Römer Cicero übersetzt mit similitudo rationis; wir Deutschen setzen dafür: Aehnlichkeit oder zusammenstimmendes Verhältnis. So war im Stande der Unschuld zwischen dem Menschen und Gott eine Analogie, ein zusammenstimmendes Verhältnis, indem der Mensch dem Bilde Gottes ähnlich und doch nicht gleich war. Auch jetzt noch nennt man Gott, die Engel und Seelen der Menschen Geister; denn, obwohl Gott etwas ganz anderes ist als alle geschaffene Geister, so findet doch eine Analogie zwischen Gott und den geschöpflichen Geistern Statt. Zwischen dem Adler und anderen Vogelarten besteht ebenfalls eine Analogie, aber nicht zwischen dem Adler und Hund. Wenn jemand ein kleines Haus bauen und statt einer Hausthüre ein großes Scheunenthor anbringen würde, so wäre da keine Analogie, kein harmonisches Verhältnis vorhanden. Auch zwischen einer Kugel und einem Viereck besteht keine Analogie.
Zur zweiten Hälfte der These wurde folgendes schöne Zeugnis aus Rambach angeführt:
“Das ganze System der Glaubenslehren, welche Gott dem Menschen offenbaret hat, kann füglich mit einem Gebäude verglichen werden, wie auch selbst die Stellen (*) der Schrift bezeugen, 1 Cor 3,10; Eph 2,20: “erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten” u.s.w. Judä V 20: “erbauet euch auf euren allerheiligsten Glauben”.
“Dieses Gebäude nun bestehet aus unterschiedenen Teilen, welche Teile dieses Gebäudes alle einzelne heilsame Wahrheiten sind, welche in der schönsten Verbindung, Ordnung, Beziehung und Symmetrie mit einander stehen. Und das sind die vier Stücke, die zur Analogie der christlichen Lehre gehören.
“Sie haben (1) die allergenauste Verbindung mit einander, eine Verbindung der Wahrheit, darin eine Wahrheit mit der andern steht. Denn alle Glaubensartikel sind dergestalt in einander hineingefüget und gepasset, wie die Balken in einem Hause, da man keinen herausreißen kann, ohne zugleich das ganze Gebäude zu beschädigen. Lutherus sagt daher: Fides est copulativa (der Glaube ist ein zusammenhängendes Ganze). Wer zB die Genugtuung Christi leugnet, der muß auch leugnen die Strafgerechtigkeit
------------
(*). Die lateinischen Ausdrücke sind deutsch wiedergegeben.
(Seite 16 von Original).
Gottes, welche eine solche Genugtuung erfordert. Er muß leugnen und verkehren die Lehre von der gerichtlichen Rechtfertigung, darin eine Zueignung des Verdienstes Christi geschieht. Er muß leugnen die Schuld der Sünde, davon wir ohne Genugtuung nicht befreit werden können. Diese und viele andere Fundamentalwahrheiten werden gefährlich verletzt, wenn man die Wahrheit von der Genugtuung Christi leugnet, und zwar geschieht solches wegen der genauen Verbindung, darinnen alle diese Wahrheiten mit einander stehen.
“2). . Das Zweite, was dazu gehört, ist ordo, die schönste Ordnung. Wie nämlich an einem Gebäude ein jeder Balken und Träger an seinem Ort stehet, da er nach den Regeln der Baukunst stehen soll, so stehet auch ein jedes Stück der himmlischen Wahrheiten in dem System der himmlischen Wahrheiten an seinem rechten Orte, wo es stehen soll. ZB der freie Wille in geistlichen Dingen, der gehört nicht in den Stand vor der Bekehrung, da er vielmehr ist ein knechtischer Wille unter der Knechtschaft der Sünde und des Teufels; sondern er gehöret in den Stand nach der Bekehrung, in die Lehre von der Erneurung, da wird er erst ein freier Wille oder befreit von seiner Knechtschaft. Desgleichen die Lehre von den guten Werken im engeren Sinne gehört nicht in den Artikel von der Rechtfertigung, sondern von der Heiligung. Denn es muß erst in der Wiedergeburt ein guter Baum gepflanzet werden, ehe gute Früchte hervorkommen können.
“Es gehöret dazu (3), daß sie sich gegenseitig auf einander beziehen, da sich eine Wahrheit auf die andere beziehet, wie sich in einem Gebäude ein Stockwerk, ein Fenster, ein Balken auf den anderen beziehet. Z.B. die Genugtuung Christi und unsere Rechtfertigung beziehen sich gegenseitigauf einander; es kann eine ohne die andere nicht recht verstanden, erklärt und vorgetragen werden; wer eine leugnet, leugnet auch die andere. Desgleichen die Lehre von der Erneurung bezieht sich auf die Lehre von dem Ebenbilde Gottes, welches in der Erneurung dem Anfange nach wieder hergestellt wird. Wenn man also einen Text über die Erneurung abzuhandeln hat, so muß man mit seinem Gemüth in die Lehre vom Ebenbilde Gottes hineingehen, so wird man von Allem sich deutlichere Ideen machen. Also die Notwendigkeit der Wiedergeburt bezieht sich auf das Nichtvorhandensein des freien Willens. Die Lehre von der geistlichen (mystica) Vereinigung hat ihr Fundament in der Lehre von der persönlichen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christo.
“4). . Gehört dazu eine vollkommene Symmetrie, da sich alle Grundwahrheiten zusammen beziehen auf die Ehre Gottes und das Heil der Menschen. Einige Wahrheiten haben dahin einen mittelbaren Einfluß, andere einen unmittelbaren; einige einen entfernteren, andere einen näheren; einige einen schwächeren, andere einen stärkeren Einfluß. Alle mit einander aber zielen dahin, daß das Heil der Menschen, welches in dem ewigen Genießen Gottes als des höchsten Gutes bestehet und das durch den Fall unterbrochen
(Seite 17 von Original).
worden ist, wiederhergestellt werde hier in dieser Welt dem Anfange nach, dort in jener Welt vollkommen. - - Das sind die vier Theile, die zusammen zu der Harmonie und zur Analogie der göttlichen Wahrheiten gehören”. (Erläuterungen. P.I. Lib. II, p 316 fg.).
Thesis II.
Der Sache nach versteht man unter der Analogie des Glaubens die Summa aller der Lehren, welche die heiligen Schreiber mit klaren, unmißverständlichen Worten in der heiligen Schrift an solchen Stellen aussprechen, welche wie helle Sonnen glänzen und die jedermann leicht verstehen kann. Römer 12,6; 2 Tim 1,13. - - 2 Petri 1,19. Psalm 119,105; Psalm 19,8-9; 2 Cor 4,3-4.
Diese These gründet sich auf Römer 12,6: “Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich”. Damit zeigt der Apostel an: Hat jemand die Gabe und das Amt, die heilige Schrift auszulegen, so sehe er zu, daß dies also geschehe, daß die Harmonie der Glaubensartikel nicht gestört werde. Da man nun nur das glauben soll, was gewiß und klar geoffenbaret ist, so müssen die Glaubensartikel aus unzweifelhaft klaren und deutlichen Schriftstellen geschöpft werden. Unter dem Glauben, der für die Auslegung das Richtmaß sein soll, ist nicht der Glaube im Herzen, womit man glaubt, zu verstehen, sondern der Glaube, den man glaubt, die Glaubensartikel. In Bezug hierauf schreibt
Calov: “Wenn die Analogie des Glaubens nichts anderes wäre, als die Fähigkeit unserer Glaubenseinsicht, - - - so würde folgen, weil wir immer zu weiterer Erkenntnis fortschreiten sollen, daß gerade diese Regel ganz unvollkommen sie, und so würde diese Regel niemals eine Regel sein, da unsere Erkenntnis niemals eine vollkommene ist”. (Bibl illustr ad Rom 12,6). Die Reformirten, Arminianer und Andere legen diese Stelle so aus, als ob der Glaube des Herzens da gemeint sei; hier aber weiset Calov nach, daß dies falsch sein müsse, da der Herzensglaube immer etwas Unvollkommenes sei, und etwas Unvollkommenes nicht der Maßstab des Vollkommenen sein könne.
Die Bezeichnung “Analogie des Glaubens” wird in zwiefacher Bedeutung gebraucht, wovon aber die eine die andere in sich schließt Abstracte wird sie gebraucht, um das harmonische Verhältnis zu bezeichnen; concrete um die regula fidei, die Glaubensregel selbst, die Summa der Glaubensartikel zu bezeichnen. Weil nämlich die Analogie des Glaubens in dem Glauben selbst, den man glaubt, inbegriffen ist und von demselben nicht getrennt werden kann, daher ist es gekommen, daß Analogie des Glaubens ebensowohl in concreto als in abstracto gesagt wird dh darunter ebenso das harmonische Verhältnis der Artikel als die Summa der Artikel, welche in einem harmonischen Verhältnis zu einander stehen, selbst verstanden wird.
(Seite 18 von Original).
Im letzteren Sinne wird regula fidei für analogia fidei ziemlich häufig gebraucht.
Jakob Weller schreibt: “Die Rechtgläubigen legen die Stelle Römer 12,6 von der Glaubensregel aus oder sagen, daß die Worte “dem Glauben ähnlich” nichts anderes bedeuten, als: nach der Regel, Harmonie und Uebereinstimmung der Glaubensartikel; so daß, was damit übereinkommt, wahr, was damit nicht übereinkommt, falsch und unecht ist. Der Sinn ist also dieser: Welche Schriftausleger sind, die müssen bemüht sein, daß ihre Auslegung dem Glauben ähnlich sei, das ist, daß sie mit den Glaubensartikeln und mit den in der Schrift geoffenbarten Hauptstücken der christlichen Lehre übereinstimme”. (Ad Rom. 12,6). Hier zeigt Weller, von welcher Wichtigkeit die Glaubensartikel für einen Christen seien. Was damit nicht übereinstimmt, soll er getrost verwerfen.
In der heiligen Schrift finden wir die Lehre von Gott, von Christo, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben u.s.w. mit solcher Deutlichkeit vorgetragen, daß selbst ein Türke bekennen muß: “Ja, es steht in der Bibel, daß nur ein einiges göttliches Wesen und daß doch der Vater Gott, der Sohn Gott und der Heilige Geist Gott ist; daß alle Menschen Sünder seien; daß Christus Gott und Mensch in einer Person sei u.s.w.”. Wohl glaubt dies der Türke uns Spötter nicht, er muß aber zugeben, daß die Bibel es lehrt. ZB 1 Joh 5,7 steht geschrieben: “Drei sind, die da zeugen im Himmel, der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese drei sind eins”. Wer dies lies`t, der erkennt daraus, daß Gott dreieinig sei. Dasselbe gilt von jedem Glaubensartikel, daß er klar und deutlich in der Bibel gelehret ist. Die Summa aller dieser Artikel oder Lehren nennt man nach Römer 12,6 die Analogie des Glaubens. Gott sei ewig Lob, daß die eigentlichen Glaubenslehren mit solcher Deutlichkeit in der Schrift stehen, daß sie nicht geleugnet werden können! Sobald daher ein Christ merkt, daß damit, sei es nun in der Lehre von Gott oder von der Sünde oder von Christo oder vom Glauben u.s.w., irgend eine Auslegung nicht stimmt, soll solche Auslegung ohne Weiteres als falsch verworfen werden, und wenn der Ausleger noch so klug und berühmt wäre.
Diese Auslegungsregel wird von unserer Kirche in ihren symbolischen Bücher anerkannt: “Die Verständigen und Gelehrten wissen wohl, daß man alle Exempel nach der Regel, das ist nach der klaren Schrift, und nicht wider die Regel oder Schrift, soll auslegen oder einführen”. (Müller`s Ausgabe S 284 § 60).
Dafür legen auch Zeugnis ab die rechtgläubigen Lehrer unserer Kirche in ihren Privatschriften, zB:
Chemnitz: “Analogie des Glaubens ist, wenn man die vornehmsten und höchsten Hauptstücke der himmlischen Lehre nimmt, welche gewiß, fest und deutlich sind, und wenn man in dunkelen, verschiedener Deutung fähigen und uneigentlichen Aussprüchen eine solche Auslegung sucht, die mit jenen vornehmsten
(Seite 19 von Original).
Artikeln nicht streitet, sondern mit denselben übereinstimmt”. (Loc. th. loc. de paupert. P II. c. 4 fol. 154).
Man darf und soll demnach von einem Ausleger verlangen, daß seine Auslegung nicht von den dunkelen, sondern von den hellen Sprüchen der heiligen Schrift ausgehe und mit den anerkannten, unfehlbar gewissen Wahrheiten nicht im Widerspruch stehe. 1 Johann 2,21 steht geschrieben: “Ich habe euch nicht geschrieben, als wüßtet ihr die Wahrheit nicht; sondern ihr wisset sie, und wisset, das keine Lüge aus der Wahrheit kommt”. Hier sagt Gott selbst: Es sei unmöglich, daß der aus einer gewissen Wahrheit richtig gezogene Schluß falsch sei. Wenn nun ein Leugner der Dreieinigkeit Gottes spricht, das Wort “dreieinig” stehe nicht in der Bibel, darum sei es falsch, einen dreieinigen Gott zu lehren und zu glauben, so kann man ihm getrost antworten: “Aus der Wahrheit kommt keine Lüge. Es ist aber nach der Bibel gewisse Wahrheit, daß Ein göttliches Wesen, und doch Vater, Sohn und Heiliger Geist Gott seien; obgleich daher das Wort “dreieinig” nicht in der Bibel steht, so doch die Sache, welche mit diesem Wort bezeichnet wird”. Der würde sich als einen Narren kennzeichnen, der dies bestreiten wollte.
Außer den hellen klaren Stellen finden sich auch dunkele in der heiligen Schrift, da man, um ihres Sinnes gewiß zu werden, andere Stellen hinzunehmen muß. Aus dem Spruch Johann 10, 30: “Ich und der Vater sind eins” kann man nur durch Hinzuziehung anderer Stellen, welche die ewige Gottheit Christi unmißverständlich aussprechen, beweisen, daß Christus Gott sei, Eines Wesens mit dem Vater. Denn wenn sich in der heiligen Schrift keine andere Stellen zum Beweis der Gottheit Christi fänden, so möchte man diesen Spruch auch auslegen: Ich und der Vater sind Eines Sinnes und Willens, wie es in jener Stelle heißt: “Wo zween unter euch Eins werden” u.s.w.. Swedenborg leugnete die Dreieinigkeit Gottes und gab gleichwohl zu, daß Christus Gott sei. Er lehrte nämlich, der Vater sei Mensch geworden, Christus sei darum nicht eine zweite, vom Vater unterschiedene Person, und zum Beweis für seine Lehre berief er sich auf die Stellen: “Ich und der Vater sind Eins”; “Philippe, wer mich siehet, der siehet den Vater”. Aber Christus sagt in der Schrift deutlich, nicht nur, daß er Gott und Eins sei mit dem Vater, sondern ebensowohl, daß der Vater (wie auch der Heilige Geist) ein anderer sei, der von ihm zeuge.
Wenn auch die falschen Lehrer sich auf die Schrift berufen, so hören faule Christen zwar gerne sagen: “Wer will entscheiden, wer recht hat? In der Hauptsache haben alle recht; auf das andere kommt nicht viel an”. Ach, daß diese doch erkennen möchten, wie dies eine List des Teufels ist, damit er die Menschen betrügen will, daß sie gar nichts glauben sollen! Allerdings kann jeder Christ gewiß wissen, was recht ist. Und St Paulus verlangt es, daß man`s wisse, wenn er spricht: “Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich”. Damit zeigt der Apostel an: Gott widerspricht sich nicht in seinem Wort, er sagt nicht zugleich Ja und Nein. Darum verwirf nur
(Seite 20 von Original).
getrost, was dem Glauben, den klaren Stellen des göttlichen Worts, zuwider ist.
Spener umschreibt die Worte Pauli Römer 12,6: “Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich” folgendermaßen: “Wenn jemand die Fähigkeit hat, die Schrift zu lehren und auszulegen, so muß er bemüht sein, daß er nichts wider die Zusammenstimmung der Grundwahrheiten vorbringe, aus welchen die Lehre der wahren Religion besteht und die durch das allerinnigste Band mit einander verknüpt sind”. (S. Pauli ep. ad. Rom. paraphras. illistrat. ad 12,6).
Mögen darum die Irrgeister, als Papisten und Chiliasten, zB Christi Reich zu einem Weltreich machen wollen, so sagt doch Christus mit dürren Worten: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt”, “das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden: es ist inwendig in euch”; und darum muß die diesen klaren Stellen zuwiderlaufende Lehre vom Reiche Christi, wie sie bei den Papisten und Chiliasten im Schwange geht, falsch sein. Mögen nun immerhin die Irrgeister sagen: “Ihr Lutheraner wollt allein klug sein, wollt allein recht haben”, so antworten wir: Nein, nicht wir wollen recht haben mit unseren eigenen Gedanken, sondern Gott in seinem klaren Worte; der soll und muß recht behalten. Die falsche Auslegung zu verwerfen, das lehrt mich die Analogie des Glaubens. Wenn nun ich der Analogie des Glaubens folge und recht behalte, so behält eben Gott recht.
In dem Spruch 2 Tim 1,13 nennt St Paulus die Analogie des Glaubens “das Vorbild der heilsamen Worte”. Das griechische Wort (Vorbild) bezeichnet das Original, das ein Maler zur Vorlagegebraucht, die Vorschrift, darnach ein Schulkind beim Schönschreiben sich zu richten hat. So sollen nach des Apostels Weisung Schrifterklärer in ihrer Auslegung die klaren Stellen der Bibel zu ihrer Vorschrift nehmen.
Daß die Glaubenslehren mit klaren, unmißverständlichen Worten in der heiligen Schrift offenbaret sind, das bezeugen zB die Sprüche: “Wir haben ein festes, prophetisches Wort, und ihr thut wohl, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht” etc. (2 Petri 1,19); “Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege” (Psalm 119,105). Solche Stellen soll sich jeder Christ wohl merken gegen die Papisten und dergleichen Irrgeister, welche sagen, die heilige Schrift sei dunkel, die könnten nur kluge Köpfe und gelehrte Leute verstehen. Ist die Schrift aber ein Licht, so hat sie die Eigenschaft, hell zu sein und zu erleuchten. Man kann aus ihr alle Glaubenslehren erkennen. Dunkel ist sie nur da, wo eine Wolke oder sonst etwas vor das Licht getreten ist. So wenig nun die Sonne am Himmel aufhöret zu leuchten, wenn etwas vor ihr Licht tritt, so wenig kann man von der Schrift sagen, daß sie in sich selbst dunkel sei. Sie ist an vielen Stellen nur uns dunkel. Aber selbst dafür müssen wir Gott danken; denn er will durch die uns dunkleren Stellen unseren Forschungstrieb reizen. Christen ist ja das Wort Gottes süßer als Honig. Darum werden sie bewogen,
(Seite 21 von Original).
daß sie auch in den dunkleren Sprüchen wie Bienen den Honig suchen. Sonst möchten wir um des Fleisches willen des Wortes Gottes auch bald überdrüssig werden und meinen, wir verstünden schon alles. Dem will Gott durch die dunkelen Stellen vorbeugen und uns nöthigen zu thun, was der Heiland sagt: “Suchet in der Schrift” u.s.w.. Nicht blos blättern und lesen, sondern suchen, forschen soll der Christ.
Nach dem Spruch Psalm 19,8-9 macht das Wort Gottes “die Albernen weise”, so muß es doch klar sein. Wir sollen ja unseres Glaubens gewiß sein, darum hat uns Gott sein Wort als ein gewisses und klares gegeben, darauf wir fest stehen können in Noth und Tod. “Es erleuchtet die Augen”. Die Sonne macht blind, wenn man allzulange hineinsieht; die Schrift aber macht die geistlich Blinden sehend. Daß so viele dadurch nicht erleuchtet werden, ist nur ihrer Bosheit Schuld, wie wir aus 2 Cor 4,3-4 sehen” “Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ists in denen, die verloren werden, verdeckt, bei welchen der Gott dieser Welt der Ungläubigen Sinne verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums”. Sagen die Papisten, die Schrift sei dunkel, so soll ihnen ein Christ antworten: “Hier steht, daß die verloren sind, denen die Schrift dunkel ist und bleibt, und daß der Teufel ihre Sinne verblendet hat. Da habt ihr euer Urtheil, ihr blinden Papisten”.
Luther schreibt: “Ich meine die ganze Schrift, kein Stück derselben soll man dunkel heißen. Es bleibt dabei, was St Petrus sagt: Das Wort Gottes sei uns ein scheinendes Licht am dunkelen Ort. Wenn ein Stück sein, denn ein Stück des Lichtes selbst. Christus hat uns nicht also erleuchtet, daß er uns ein Stück in seinem Wort dunkel lassen wollte, sintemal er uns zu demselben weiset; denn vergeblich würde er uns dahin weisen, wenn es nicht leuchtet”. (Lat. Jen. III, 177. , Walch XVIII, 2163, fg.).
Derselbe: “Die Schrift ist offen, unsere Augen sind nicht gar offen”. (Walch XII, 237).
Wenn man sagt, die Schrift sei deutlich und klar, so soll dies nicht so viel heißen als sie sei überall leicht zu verstehen. Man kann wirklich gar manche stellen, sonderlich Weissagungen vor ihrer Erfüllung, nicht so auflösen, daß die Auflösung unanfechtbar wäre. Die Schrift ist klar, das heißt, alle Glaubensartikel sind darin klar und deutlich geoffenbaret und können von jedermann daraus erkannt werden.
Wenn man jedoch sagt, die Schrift sei dunkel, so macht man aus Licht Finsternis und lehrt, man könne aus Gottes Wort nicht klar erkennen, was wir, um selig zu werden, doch wissen und glauben sollen. Das ist nun ein rechter Schriftausleger, der nicht allein den wahren Sinn vorträgt, sondern ihn auch nachweiset, so daß seiner Auslegung für den aufrichtigen Leser oder Hörer das Siegel der vom Heiligen Geist beabsichtigten Wahrheit aufgeprägt ist. Es gilt nicht zu sagen: “So schreibt Athanasius, Augustinus,
(Seite 22 von Original).
Luther, darum ist es wahr”; sondern man muß sagen können: “So legt es der Heilige Geist in der Bibel selbst aus”. Um zum rechten Schriftverständnis zu gelangen, gibt es wohl kein dienlicheres Buch als die sogenannte weimarische Bibel; denn sie zeigt uns, wie Schrift durch Schrift auszulegen sei. Obwohl reine Erbauungsbücher nicht verwerflich sind, sollen sich doch Christen dabei nicht zu viel aufhalten, sondern vor allem die Schrift selbst fleißig studiren. So allein werden sie recht fest gegründet, daß sie nicht Kinder bleiben, die sich wägen und wiegen lassen”. (*).
Thesis III.
Diese Stellen sind überall da zu suchen, wo der Heilige Geist vorsätzlich, mit Absicht oder doch nach dem Zugeständnis aller von einer Sache redet, wo also der sogenannte Sitz der Lehre ist. Vergleichen Matth 19,4 ff.
Nachdem festgesetzt ist, daß die Analogie des Glaubens in den klaren Stellen zu finden sei, so erhebt sich die Frage, woran denn eine vorliegende Stelle als eine solche zu erkennen sei, daß der Sitz einer Lehre darin zu suchen sei. Den Maßstab dafür gibt Thesis III an. Es bringt schon die Natur der Sache mit sich, da s ein Schriftsteller ganz anders von einer Sache redet, wenn er sich vornimmt, dieselbe zu behandeln, als wenn er dieselbe blos beiläufig und zufällig berührt; während er im Letzteren Fall unvollständig davon redet, so redet er im ersteren Fall mit klaren, bestimmten und unmißverständlichen Worten davon. Dasselbe gilt von der Heiligen Schrift. Wenn der Heilige Geist eine Lehre absichtlich behandelt, so redet er davon mit klaren, deutlichen Worten, in unverblümter, eigentlicher Redeweise. Lucas 1 und 2 redet der Heilige Geist vorsätzlich und absichtlich von der Empfängnis und Geburt Christi. Wer darum die Lehre von der Empfängnis und Geburt Christi kennen lernen will, ist dahin zu weisen. Dagegen berührt der Apostel Paulus diese Lehre nur beiläufig, wenn er Galater 4,4 spricht: “Gott sandte seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan”. Wer nun aus dem Wort “Weib” den Schluß machen wollte, Christi Geburt sei eine natürliche Geburt, der würde sehr irren; denn aus dem Sitz dieser Lehre geht unwidersprechlich hervor, daß Christus auf übernatürliche Weise empfangen und geboren sei.
Wann kann man denn aber wissen, daß der Heilige Geist mit Absicht von einer Sache redet?
1). Wenn er es selbst sagt;
2). wenn er es durch den Bericht von der Einsetzung einer neuen Handlung thatsächlich angibt;
3). wenn alle Umstände oder der Zusammenhang es anzeigen, so daß es von jedermann zugestanden wird.
------------------
*). Bis hierher reicht das Protokoll Herrn Pastor Partenselder`s.
(Seite 23 von Original).
Daß er absichtlich von einer Lehre gehandelt hat, zeigt der Heilige Geist selbst ausdrücklich an, wenn der Apostel Römer 3,9 schreibt: “Wir haben droben bewiesen, daß Juden und Griechen alle unter der Sünde sind”. Mit diesen Worten zeigt er an, daß er in den beiden ersten Kapiteln des Römerbriefs von der allgemeinen Sündhaftigkeit aller Menschen gehandelt habe; wir finden also da den Sitz der Lehre von der erblichen und wirklichen Sünde. Wenn der HErr Christus sagt: “das Himmelreich ist gleich” u.s.w., so verräth er es selbst: Jetzt will er von seiner Kirche reden. Wenn Christus das heilige Abendmahl einsetzt, so kann kein Zweifel sein, daß da der Sitz der Lehre vom heiligen Abendmahl sei. Wenn Christus Matth 16 Petro, Matth 18 der Gemeinde und Johann 20 seinen Aposteln die Schlüssel übergibt, so sind dies offenbar solche Stellen, welche den Sitz der Lehre vom Amt der Schlüssel enthalten. - - Römer 3 enthält den Sitz der Lehre von der Rechtfertigung; denn Paulus selbst bezeugt es ausdrücklich und beweist es aus dem Alten Testament, daß allein durch den Glauben die Gerechtigkeit vor Gott erlangt werde. Wollte nun jemand dagegen sagen, Jacobus, Capitel 2,21, lehre, Abraham sei durch sei Werke gerecht worden, und an dieser StSelle sei der Sitz der Lehre von der Rechtfertigung zu suchen, so ist zu antworten: “Nein! Da Jacobus von dem Glauben zu reden anfängt, so gibt er zu verstehen, daß er vom Mißbrauch dieser Lehre reden will; er will nämlich die faulen Christen strafen und bezeugen, daß diejenigen, die sich des Glaubens ohne Werke rühmen, die Lehre St Pauli gänzlich mißverstehen”. In dem oben angeführten Spruch Galater 4,4 will der Apostel, wie der Zusammenhang zeigt, nicht absichtlich lehren, daß Christus geboren, sondern daß er unter das Gesetz gethan sei.
Zwingli fand ja bekanntlich in Johann 6 den Sitz der Lehre vom heiligen Abendmahl. Den Spruch: “Fleisch ist kein nütze” nannte er seine eiserne Mauer. Aber der HErr Christus handelt Johann 6 gar nicht vom heiligen Abendmahl; denn er redet von einem solchen Genuß seines Leibes, der jederzeit zum ewigen Leben nützt. Dies kann nicht vom heiligen Abendmahl gesagt sein, da ja der Leib Christi im heiligen Abendmahl, wie Paulus bezeugt, zum Gericht empfangen werden kann. Johann 6 redet von einem solchen Genuß des Leibes Christi, ohne den niemand selig werden kann; nun lehrt die Glaubensanalogie, dies sei der Glaube. So ists offenbar, daß Johann 6 gar nicht vom sacramentlichen Genuß des Leibes Christi handelt. Den Sitz der Lehre vom heiligen Abendmahl finden wir vielmehr in dem Bericht von der Einsetzung desselben. Uebrigens sagt Christus Johann 6 nicht: Mein Fleisch ist kein nützt. Von Christi Fleisch zu sagen, es sei nichts nütze, wäre gottlos. Vorher hatte Christus wiederholt dem Genuß seines Fleisches das ewige Leben zugeschrieben; und nun sollte er auf einmal sagen: Ach, nein, ich habe mich versehen, es ist kein nütze - - ? Er will vielmehr sagen, es nütze nichts, wenn man seine Worte: “Wer mein Fleisch isset, der hat das ewige Leben” fleischlich verstehen wolle. Er straft die Kapernaiten, die da
(Seite 24 von Original).
meinten, er verspreche, sich hinzulegen, daß sie ihn zerstückeln und Stücke seines Fleisches natürlich genießen sollten.
Auch für die Polemik ist der in der These angegebene Grundsatz von höchster Wichtig keit. Nach dem selben handelt Christus in seiner Disputation mit dem Teufel. Als derselbe ihn aufforderte, sich von der Zinne des Tempels hinabzulassen, und sich dabei auf ein Psalmwort berief, greift Christus auf die klare Stelle zurück: “Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen”. Diesen Grundsatz verlassen Zwingli und, nach seinem Vorgang, die Reformirten, wenn sie 2 Mose 12,11 in den Worten: “Es ist des HErrn Passah” das Wörtlein “ist” in dem Sinn von “bedeutet” auslegen. Und wenn Zwingli als Begründung dazu erzählt, es sei ihm Einer im Traum erschienen (ob er schwarz oder weiß gewesen, wisse er nicht), der habe ihm gesagt: In dieser Stelle (2 Mose 12,11) sei “ist” als “bedeutet” zu nehmen und ebenso in den Einsetzungsworten des Abendmahls, so ist kein Zweifel, daß dies der böse Geist gewesen und es demnach eine teuflische Auslegung sei.
Wie Christus, so bestätigt auch St Paulus durch sein Beispiel obigen Grundsatz. In der Gemeinde zu Corinth waren Streitigkeiten entstanden und mancherlei Unordnung ging bei der Feier des heiligen Abendmahls im Schwange. Nachdem der Apostel die Corinther gestraft hatte und sie nun zurechtweisen will, fährt er also fort: “Ich habe es von dem HErrn empfangen” u.s.w.: er geht also auf die Einsetzungsworte zurück. Er läßt sich nicht auf andere Gründe ein und spricht etwa: “Bedenkt, es ist der Leib Christi, es ist die Communion des Blutes Christi”; sondern durch Berufung auf die Einsetzungsworte schlägt er alle Widerrede wie mit einem Schlage nieder. Und doch war Paulus bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls nicht zugegen gewesen, er war aber ohne Zweifel in der himmlischen Universität durch den HErrn selbst gelehrt worden. Wie wichtig muß aber dieser Gegenstand sein, da der HErr sich herabläßt und selbst es dem Apostel mit den Worten berichtet: “Der HErr JEsus in der Nacht, da er verrathen ward” etc!
Zum Zweck der gründlichen Darlegung und Entscheidung einer Lehre muß man auf den Sitz derselben zurückgehen. Dies lehrt uns der HErr Christus durch sein Beispiel. Matth 19 wird berichtet, daß die Pharisäer dem HErrn die Frage vorgelegt hätten, obs recht sei, daß sich ein Mann von seinem Weibe scheide um irgend einer Ursache willen, Christus beantwortet die Frage, indem er auf die Schöpfung zurückgeht und aus der Einsetzung und ursprünglichen Ordnung der Ehe seine Entscheidung nimmt. Als nun die Pharisäer sich auf ein Gesetz in 5ten Buch Mose berufen, nach welchem es erlaubt sei, einen Scheidebrief zu geben, als sie auf diese Weise ein Gesetz dem anderen, Mosen sich selbst gegenüber stellen, was thut da der HErr Christus? Er beruft sich auf den Sitz der Lehre von der Ehe, auf ihre Einsetzung: “Von Anbeginn ists nicht also gewesen”.
(Seite 25 von Original).
Es kann den Christen nicht zu oft und zu ernstlich eingeschärft werden, diese Regel wohl zu lernen und anzuwenden. Es gibt schlaue Prediger, die mit vielen Künsten ihren Zuhörern etwas vorzugaukeln wissen. Da gilt es, daran festzuhalten: Für alle Lehren gibt es gewisse Stellen in der Schrift, da die Wahrheit so klar ausgesprochen ist, daß kein Zweifel darüber sein kann. Was sonst in der Schrift vorkommt, das muß durch diese Stellen erleuchtet werden, wie der Mond von der Sonne.
Wenn man in der Schrift keine andere Stelle von Christo fände, als die: “Der Vater ist größer denn ich”, so hätte man keinen Grund, an Christi Gottheit zu glauben. In diesem Spruch ist auch gar nicht von JEsu noch seiner Gottheit die Rede. Denn Sitz der Lehre von der Gottheit Christi finden wir Johann 1. Da heißt es von ihm, daß er sei das ewige Wort, das Gott ist, das Wort, das Himmel und Erde erschaffen hat. Dann finden wir im Ganzen ersten Kapitel des Hebräerbriefs eine lange Abhandlung von der Gottheit Christi. Darnach gibts noch andere Stellen, die auch von der Gottheit Christi handeln, zB: “Christus, welcher herkommt ans den Vätern nach dem Fleisch, ist Gott über alles, hochgelobet in Ewigkeit”; “JEsus Christus ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben”; wenn Christus seinen Gläubigen verheißt: “Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich thun”; wenn der Apostel Paulus schreibt, er sei berufen “nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen, sondern durch JEsum Christum”, womit Christus deutlich von gewöhnlichen, bloßen Menschen unterschieden wird. Aus diesem allen folgt: Wenn der Vater größer ist, als Christus, so gilt dies allein nach Christi Menschheit; denn die Menschheit Christi ist nie Gottheit geworden, sondern allein göttlicher Eigenschaften theilhaftig gemacht; darum bleibt Christus als Mensch immer kleiner, unendlich kleiner als Gott.
Die Pharisäer citirten das Gesetz Mosis zum Beweis, daß es frei stehe, sich von seinem Weibe zu scheiden um irgend eine Ursach. Aber Christus tritt ihnen entgegen und zeigt an, die Entscheidung dieser Frage müsse aus der Stelle genommen werden, wo die Einsetzung der Ehe berichtet wird, also der Sitz der Lehre von der Ehe ist. Aehnlich gehts uns heutzutage in Bezug auf die bei der Verehelichung verbotenen Verwandtschaftsgrade. Da kommen die Gegner und weisen uns zum Beweis, daß die Ehe mit der Schwägerin erlaubt sei, auf die Leviratsehe. Gott hatte nämlich geboten, wenn ein Mann ohne Kinder stürbe, so solle sein Bruder dessen hinterlassen Wittwe zur Ehe nehmen, und das erste Kind aus dieser Ehe galt gesetzlich als das Kind des verstorbenen Bruders, weil unter dem Volk Israel Kinderlosigkeit als ein Fluch angesehen wurde und Jeder, der aus dem betreffenden Stamm und später aus dem betreffenden Geschlecht war, gern an der Geburt des Messias theilnehmen wollte, oder doch wenigstens wünschte, daß einer seiner Nachkommen bei der Ankunft des Messias lebe, damit er sich der Geburt desselben freuen könnte. Gott hatte also nur geordnet, daß der Bruder
(Seite 26 von Original).
die Wittwe des verstorbenen Bruders heirathen sollte, und dieses Gebot hatte nur unter dem jüdischen Volk, und zwar bis auf die Geburt des Messias, Geltung, Daraus kann also durchaus kein Schluß gegen die verbotenen Ehegrade gezogen werden. Will jemand wissen, innerhalb welcher Verwandtschaftsgrade die Ehe verboten sei, der soll 3 Mose 18 vor sich nehmen. Da gibt Moses an, er wolle die verbotenen Grade nennen. Und weil Gott sagt, daß er wegen Uebertretung dieser Gebote die Heiden im Land Canaan vertilgen wolle, so ists ja sonnenklar, daß da kein jüdisches Polizeigesetz sich vorfindet, sondern das ewig giltige Moralgesetz, nach welchem Gott die Welt richten will. Diese Eheverbote sind darum auch im Neuen Testament noch verbindlich. Hat Gott jemals den Heiden eine Strafe angedroht wegen Unterlassung der Beschneidung, der Sabbathsheiligung, des gottesdienstlichen Tempelbesuchs zu Jerusalem? Dies ging nur die Juden an; darum wurden die gläubig gewordenen Heiden von den gläubig gewordenen Juden im Neuen Testament als liebe Kinder Gottes angesehen, trotzdem sie sich nicht beschneiden ließen und das Ceremonialgesetz nicht hielten. Wegen Uebertretung der Eheverbote werden aber auch die Heiden verantwortlich gehalten. Dazu kommt, daß Paulus die Blutschande jenes corinthischen Gemeindegliedes, der seine Stiefmutter zur Ehe genommen hatte, als einen mehr als heidnischen Greuel straft. Das war eine im zweiten Grad verbotene Ehe, wie auch alle Fälle in Mose solche des zweiten Grades sind, und diese verbotenen Ehen des zweiten Verwandtschaftsgrades sind also durch Paulus bestätigt. Nur ein Fall, 3 Mose 18,14, da die Ehe mit des Onkels Wittwe verboten wird, ist ein Fall im dritten Grad, und dieser wird nicht wegen zu naher Verwandtschaft untersagt, sondern weil es unschicklich sei; darum auch der Heilige Geist hinzusetzt, “denn sie ist deine Base”. (Respectus parentelae).
Es gibt nun Leute, die auf gut rationalistisch hiergegen einwenden: “Die Gebote und Verbote des Alten Testaments haben für Christen keine Verbindlichkeit, wenn sie nicht im Neuen Testament wiederholt werden; denn für Christen ist das Neue Testament der Sitz der Glaubenslehren. Der betreffende Fall des Mannes zu Corinth ist ein Vergehen gegen das vierte Gebot gewesen. Jakobs, Abrahams, Amrams Ehen werden nirgends in der Schrift als Sünde gestraft. Was vor Mose einem Abraham, Jakob, Amram erlaubt war, das kann unmöglich die Ursache sein, daß ebendeswegen die Heiden vertilgt werden sollten. Außerdem ist insonderheit die Regel betreffs der Ehe mit der Schwägerin eingeschränkt durch den Zusatz, “dieweil sie lebet”. Nun ist jedes Wort Gottes nütze zur Lehre, also auch dieser Zusatz. Wäre die Ehe mit der Schwägerin nach des Weibes Tode verboten, so würde die Regel durch diesen Zusatz verdunkelt”.
Gegen diese Einwürfe des Rationalismus ist zu merken, daß dadurch die heiligen zehn Gebote abgeschafft würden. Es gilt vielmehr dies: Wo es im Alten Testament bei einem Gebot oder Verbot kein Kennzeichen gibt, daß
(Seite 27 von Original).
es ein positives Gesetz sei, das gehört zum Moralgesetz. Wenn dem Zusatz “dieweil sie lebet” (3 Moses 18,18) die vorhin angeführte Auslegung gegeben werden müßte, so könnte man auch aus dem Spruch: “Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend” den Schluß ziehen: Im Alter braucht man also nicht mehr an ihn zu gedenken. Was nun den Zusatz “weil sie noch lebet” betrifft, so beweiset dasselbe, daß an jener Stelle nicht von der Schwägerin - Ehe gehandelt wird; es ist in jenem Vers (3 Moses 18,18) vielmehr das Verbot der Polygamie enthalten. Die ganze christliche Kirche hat bis auf die Zeit des Rationalismus an den Eheverboten 3 Moses 18 als dem allezeit giltigen Moralgesetz festgehalten. Diejenigen, welche die Verbindlichkeit dieser Verbote aufheben, führen die Christen in schreckliche Sünden. Wenn Gott der Heilige Geist sagt, die Heiden seien wegen solcher Uebertretung der Eheverbote vertilgt worden, so darf man nicht mehr fragen: “Wie ists denn möglich”? Wenn der Heilige Geist von einem Gesetze anzeigt, daß es nicht blos für die Juden, sondern auch für die Heiden verbindlich, also ein Theil des Moralgesetzes sei, so bedarf es keines Apostels Paulus, Petrus u.s.w. im Neuen Testament, um dies zu bestätigen und gewiß zu machen. Es ist schon vorher gewiß.
Christen sollen sich Tag und Nacht keine Mühe verdrießen lassen und rechten Fleiß anwenden, den Sitz der christlichen Hauptlehren kennen zu lernen. Jedes confirmirte Kind schon soll billig denselben wissen, wie viel mehr ein Mündiger oder Hausvater, der ja ein Hausbischof sein soll! Mag dann ein Methodist mit seiner Lehre von der vollkommenen Heiligung, oder ein Zwinglianer mit seiner falschen Abendmahlslehre kommen: er kann sie bald ihres Irrthums überführen. Und kommt ein Papist mit der Behauptung, der Pabst sei der Statthalter Christi, so kann er ihm bald zeigen, daß derselbe ein Statthalter des Teufels ist. Nicht darum erhielt Petrus die Schlüsselgewalt, weil er im Amte stand, sondern weil er an JEsum glaubte und ihn bekannte; daraus folgt, daß alle Christen die gleiche Gewalt wie Petrus haben. Keine Stelle widerlegt das Pabstthum mehr als Matth 16, die ja das Pabstthum als sein Fundament ansieht, weil da der Heiland vor der Uebergabe der Schlüsselgewalt sagt: “Fleisch und Blut hat dir das” (nämlich das Glaubensbekenntnis: “Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn”) “nicht offenbaret, sondern mein Vater im Himmel”. In diesen Worten werden diejenigen beschrieben, welchen die Schlüssel gehören; wenn ich darum glaube und bekenne, so gehört mir die Schlüsselgewalt so gut wie Petro. Diese Stelle, da gesagt wird, daß jeder Christ die Schlüsselgewalt hat, ist manchem noch herrlicher, als die Matth 18, wo sie als der Gemeinde gehörig bezeichnet wird. Diese Stellen leuchten wie Sonnen in der Bibel und die Lehre von der Schlüsselgewalt strahlt mit Sonnenklarheit daraus entgegen.
Der Sitz einer Lehre ist, wo der Heilige Geist nach dem Zugeständnis aller von einer Sache redet. Nur aus solchen Stellen kann man Widersachern
(Seite 28 von Original).
sachern gegenüber seine Waffen nehmen und schlagende Beweise führen. Daß eine Stelle der Sitz einer Lehre sei, ist nicht immer so deutlich angezeigt wie Römer 3,9, oder in den Worten: “Das Himmelreich ist gleich” etc. Aber es gibt eine Menge stellen, darin nach dem Zugeständnis aller von gewissen Lehren die Rede ist. ZB Alle, mit Ausnahme der verstockten Baptisten, geben zu, daß Johann 3,5 von der heiligen Taufe die Rede sei. Bei einer Disputation mit Baptisten könnte ich darum diese Stelle nicht anwenden. Aber Marc 16 ist selbst nach der Baptisten Eingeständnis von der heiligen Taufe die Rede. Diese Stelle ist also eine strahlende Sonne. Was steht denn nun da? Daß man durch die Taufe selig wird und daß der Glaube dabei sein muß. Und eben das ist die lutherische Lehre, die also keine andere ist, als die der Heilige Geist im Worte Gottes offenbaret hat. Die Baptisten dagegen machen aus der Taufe eine bloße, äußerliche Ceremonie, die weiter keine Frucht und Wirkung habe, und das hat sie der Teufel gelehrt. In dem, was die Lehre vom Wege zur Seligkeit betrifft, muß jeder Christ eine gewisse, klare Erkenntnis haben. Ein Laie und Zuhörer muß der Lehre so gut gewiß sein wie sein Pastor. Der Hebräerbrief und Paulus im Epheserbrief ermahnen uns, in der Erkenntnis nicht Kinder zu bleiben, sondern Meister zu werden. Dazu gehört auch dies, daß man die Stellen wisse, darin die christlichen Hauptlehren ihren Sitz haben; dann kann ein jeder auch einfältige Christ mit jedem Widersacher fertig werden und wenns ein Goliath wäre mit einer Waffe wie ein Wberbaum.
In Bezug darauf, daß Glaubensartikel an gewissen Stellen als dem eigentlichen Sitz der Lehre abgehandelt werden, schreibt:
Gerhard: “Jeder Glaubensartikel hat gleichsam seinen gewissen und eigentlichen Sitz irgendwo in der Schrift; anderwärts aber wird er nur berührt. Von jedem Glaubensartikel muß man daher aus dem eigentlichen Sitz desselben urtheilen; jene Stellen aber, in denen nur wie im Vorbeigehen, beiläufig oder zufällig von demselben gehandelt wird, sind nicht gegen die im eigentlichen Sitze gegebene Behandlung hervorzuheben. So wird die Lehre von der Rechtfertigung absichtlich (ex professo) und wie in ihrem eigenen Sitze behandelt Römer 3 und 4, Epheser 2, Galater 2 und 3; die übrigen Stellen, welche von der Rechtfertigung handeln, sind daher nach demselben abzuwägen. Der eigentliche Sitz des Artikels vom Abendmahl ist Matth 26, Marc 14, Luc 22, 1 Cor 10 und 11; aus diesen Stellen ist daher die Lehre vom Abendmahl zu schöpfen, nicht aus fremdartigen Stellen”. (Loc. de interpret. S. s. I§ 212).
Col 1,24 wird von den Papisten angezogen zum Beweis, daß Paulus durch seine Werke auch noch etwas Verdienstliches gethan und das Verdienst Christi ergänzt habe. In dieser Stelle befindet sich aber nicht der Sitz der Lehre von der Genugthuung und dem Priesterthum Christi, sondern es ist da von etwas ganz anderem die Rede. Der Sitz der eben genannten Lehren findet sich Hebr 7-10 und in dem Worte Christi: “Es ist vollbracht!”
(Seite 29 von Original).
Christus erklärt damit, daß niemand weiter etwas zu thun nöthig habe, um die Seligkeit zu erwerben; er offenbart dadurch, von welcher Kraft und Wirkung sein Thun und Leiden ist. Christus verwirft mit diesem Worte alle diejenigen als seine Feinde, welche lehren, man müßte noch etwas leiden und thun, um sich die Seligkeit zu verdienen. Dieses Wort Christi ist eine helle Sonne, welche ihre Strahlen wirft auf Golgatha, den Oelberg und alles, was er schon vorher vollbracht hatte. - - Solche Stellen der Heiligen Schrift, welche zu lehren scheinen, daß Gott die Menschen verstocke, zur Sünde reize, dieselben absolut zur Verdammnis bestimmt habe, müssen also ausgelegt werden, daß sie den klaren Stellen oder der Analogie des Glaubens nicht widerstreiten. Es gibt eine Menge klarer Stellen, welche von dem Erbarmen und Gnadenwillen Gottes gegen alle Menschen zeugen. Wer nun Römer 9 so auslegt, als ob Gott einen Theil der Menschen absolut zur Verdammnis bestimmt habe, der legt diese Stelle wider die Analogie des Glaubens, also falsch, aus.
Wo der Heilgie Geist anerkanntermaßen (ex professo) von einer Lehre handelt, da gebraucht er nicht figürliche, sondern klare, deutliche Worte und wer diese Worte nach ihrem eigentlichen Sinn auslegt, der findet die vom Heiligen Geist beabsichtigte Lehre. Dunklere Stellen müssen so ausgelegt werden, daß sie mit den sonnenhellen Sprüchen im Einklang stehen.
Quenstedt schreibt hiervon also: “Dunklere Aussprüche, welche der Erklärung bedürfen, können und sollen durch andere hellere Aussprüche der Schrift erkläret werden, und so reicht die Schrift selbst die Auslegung der dunkleren Stellen dar, wenn dieselben mit den hellen (wo eine Lehre gleichsam ihre Heimath hat, wie Dannhauer redet in seiner Herm sacra Seite 77) verglichen werden, so daß Schrift durch Schrift erklärt wird. Denn es gibt allerdings gewisse biblische Aussprüche, welche gleichsam Sonnen sind in Beziehung auf die anderen, und von welchen diese wie Sterne erleuchtet werden. Der selige Dannhauer sagt am angezogenen Ort Seite 87: “Die Schrift ist wie ein Himmel, an welchem immer eine Sonne erscheint, von welcher die dunkleren Sterne ihre Licht schöpfen””. (Theol did pol Th I, Cap 41, Sect 2 Fr 14 fol 199).
Thesis IV.
Eine kurze Summa der ganzen Analogie des Glaubens findet sich schon in unserem kleinen Katechismus.
Es möchte jemand sagen: “Ich bin noch nicht so gefördert und so geübt, daß ich die Analogie des Glaubens schon verstünde, um in Anfechtung und falschen Lehrern gegenüber mir helfen zu können”. Darauf ist zu antworten: Wer seinen Katechismus wohl kennt, der hat schon eine Summa der Analogie, und wer ihn recht zu gebrauchen weiß, der kann sich schon damit helfen.
Vom Gebrauch des Katechismus als Glaubensregel schreibt Luthers:
(Seite 30 von Original)
“Denn wo ein Christ fleißig wäre, und hätte nicht mehr denn den Katechismus, die zehn Gebote, den Glauben, das Vater Unser, und die Worte des HErrn von der Taufe und Sacrament des Altars, der könnte sich sein damit wehren und aufhalten wider alle Ketzereien. Kein besser Wort noch bessere Lehre wird aufkommen, denn im Katechismus aus der heiligen Schrift kürzlich verfasset ist. Darum soll man dabei bleiben, auf daß, wenn ein Ketzer oder Schwärmer auftritt und anders lehret, man sagen könne: das ist nicht recht gelehret, denn es stimmet nicht mit meinem Katechismus”. (Hauspostille am 8ten Sonntag nach Trin).
Mit derartigem Gebrauch des Katechismus geschieht nichts Neues und Unerhörtes in der Kirche. Schon vor Alters wurden die öffentlichen Bekenntnisse als Regel des Glaubens angesehen und verwandt. Der Kirchenvater Irenäus hat sich auf das apostolische Symbolum als “einen unerschütterlichen Kanon der Wahrheit”, also als auf die regula fidei berufen. Augustin verlangt, daß man der regula fidei folgen solle, welche erhelle aus der Schrift und Autorität der Kirche. Unter “Autorität der Kirche” verstand Augustin die Symbole der christlichen Kirche; obwohl er aber mit diesem Ausdruck einen richtigen Sinn verband, so ist doch der Ausdruck selbst mißverständlich und darum von der lutherischen Kirche nie acceptirt worden.
Der Lutherische Katechismus enthält die Wahrheit der heiligen Schrift so klar und rein, daß er erscheint wie Gold, das durchs Feuer siebenmal bewähret ist. Wer mit Ernst darin forscht, der bekommt das Siegel, daß ihm darin das lautere Gold der Wahrheit angeboten wird. Da nun nach 1 Joh 2,21 “keine Lüge aus der Wahrheit kommt”, so muß das, was mit dem Katechismus übereinstimmt, Wahrheit, und was dawider streitet, Irrthum und Lüge sein. Nur wenige ahnen, was für einen Schatz wir in unserem kleinen Katechismus besitzen. Der Heidelberger Katechismus sieht frömmer, erbaulicher aus, steckt aber voll Irrthümer. Auch in der Anlage hat er nach der Meinung mancher einen Vorzug vor dem lutherischen, weil er seine Lehre in systematischer Form bringt; der Lutyherische dagegen bietet die christliche Lehre gleichsam in Bruchstücken, die erst nach und nach im Geist der Schüler zu einem Ganzen sich zusammenschließen. Luther hat aber nicht blos die Hauptstücke der christlichen Lehre in den Katechismus aufgenommen, sondern auch auf eine solche Weise, wie sie am einfachsten und verständlichsten sind, Die zehn Gebote, wie sie auf Sinai geschrieben und den Juden gegeben wurden, enthielten manches, was sich allein auf diese bezog. Da aber Luther seinen Katechismus für Christen schrieb, so nahm er die zehn Gebote auf, wie sie im Lichte des Neuen Testaments lauten, und hat demgemäß das ausgemerzt, was für die Christen keine Verbindlichkeit mehr hat. Welche Blindheit ists darum, wenn die reformirten Secten schreien: “Euer Katechismus stimmt nicht mit Gottes Wort, die zehn Gebote sind verstümmelt und gefälscht”! Freilich hat ja Luther manches weggelassen, was doch im 2ten Buch Mose, Capitel 20, steht, zB die Worte “der ich dich aus Egyptenland, aus
(Seite 31 von Original).
dem Diensthause, geführet habe”. Von wem gilt dies aber? doch allein von den Juden. Aber nicht für Juden, sondern für Christen hat Luther den Katechismus verfaßt. Ferner hat Luther den Zusatz zum 3ten Gebot gestrichen, weil seine Verbindlichkeit im Neuen Testament aufgehört hat. Beim 4ten Gebot hat Luther die Worte weggelassen: “im Lande, das dir der HErr dein Gott gibt”. Das galt ja wiederum allein von dem Volk Israel, welchem Gott Palästina verheißen und gegeben hat. Den Christen aber hat Gott kein besonderes Land verheißen. Wir haben deshalb hohe Ursache zur Freude, daß uns Gott in Luther einen solchen Lehrer gegeben hat, der ein solch klares Verständnis des Wortes Gottes besaß und uns gleichsam einen neutestamentlichen Dekalog zugerichtet hat. Diese Auslassungen gereichen Luther und seinem Katechismus nicht zum Tadel und Vorwurf, sondern sind sein Verdienst und Ruhm. Etwas anderes wäre es noch, wenn Luther als Ueberschrift des ersten Hauptstücks gesagt hätte: “Das sind die zehn Gebote, wie Gott sie auf Sinai gegeben hat”; aber nun lautet die Ueberschrift also: “Die zehn Gebote. Wie sie ein Hausvater seinem Gesinde einfältiglich vorhalten soll”. Keine andere Kirche hat einen so herrlichen Katechismus wie wir; alle anderen Kirchengemeinschaften haben judenzende Katechismen, die auch verkehrt gestellt sind.
Melanchthon, der Lehrmeister Deutschlands genannt, erkannte den hohen Vorzug des Lutherischen Katechismus gar wohl und darum schrieb er: “Die allgemeine Lehre unseres Katechismus enthält die Summa der ganzen heiligen Schrift von den nothwendigen Artikeln. Wenn immer ihr daher eine mit irgend einem Artikel des Katechismus streitende Lehre hört, so sollt ihr wissen, daß dieselbe gewißlich falsch sei und mit der Lehre nicht übereinkomme, welche klar und unbestreitbar von den Propheten, von Christo und von den Aposteln überliefert ist”. (Opp. Tom. VI f. 401). Welch ein Schatz ist darum der Katechismus besonders auch für den einfältigsten Christen? Manche können wegen geringer Begabung nicht tief eindringen in die Erkenntnis der christlichen Lehre. Sie besitzen am Katechismus einen sicheren Prüfstein, darnach zu urtheilen, ob die Lehre falsch oder recht sei. Niemand soll sich weis machen lassen, die Schrift sei schwer zu verstehen, darum dürften die Laien bei Lehrfragen nicht mitreden. Sie dürfen und sollen sprechen: Wir haben keinen solchen Hirten, der uns hilflos dem Wolfsrachen der falschen Lehrer preis gibt, sondern einen solchen Hirten, der für uns aufs beste gesorgt hat, daß wir wohl unterscheiden können, ob etwas seligmachende wahrheit sei oder Irrlehre, die zu Hölle führt.
Die Lehre von der Rechtfertigung ist die Hauptlehre, von welcher alle anderen Lehren ihr Licht erhalten. So jemand diese Lehre rein hat, so wird er alle übrigen Lehren rein behalten; und so er ja eine Zeit lang in einer Lehre abirren sollte, so wird er doch immer wieder auf die rechte Bahn kommen. Die Darlegung dieser Lehre im zweiten Artikel ist so schön und lieblich, daß es wohl in der christlichen Literatur nichts Schöneres gibt, und darin hat ein
(Seite 32 von Original).
Christ gleichsam einen Panzer gegen alle Irrlehre. Die Darlegung dieser Lehre im kleinen Katechismus ist auch darum so herrlich, weil die Lehre von den Gnadenmitteln damit in Verbindung gebracht ist. Die Secten reden wohl auch von der Rechtfertigung und rühmen sich dieser Lehre; aber wenn nun gefragt wird, wie man zur Rechtfertigung gelangen könne, schneiden sie den weg ab, indem sie nicht auf die Gnadenmittel, sondern auf des Menschen eignes Werk, als Beten, Kämpfen und dergleichen, weisen.
Zwar ist der Katechismus nicht vom Heiligen Geist unmittelbar eingegeben, wie die Schriften der Propheten und Apostel; aber die darin enthaltene Lehre ist die himmlische Wahrheit des göttlichen Worts und kann dem einfältigen Christen dazu dienen, die reine Lehre vom Irrthu m zu unterscheiden und die falschen Lehren zu entlarven. Wer darum in seinem Katechismus wohl Bescheid weiß, der hat eine gute geistliche Rüstung. Hätte man dem Arius die Stelle aus dem zweiten Psalm: “du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget” vorgehalten und gefragt, ob er dies glaube, so hätte ers gewißlich bejaht. Hätte man ihm aber den Sinn dieser Stelle mit den Worten des 2ten Artikels: “Ich glaube, daß JEsus Christus sei wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren” vorgehalten und gefragt, ob er dies glaube, so hätte ers gewißlich verneint und der Irrlehrer wäre entlarvt gewesen.
Daß die Hauptstücke des Katechismus eine Regel des Glaubens seien, bezeugt Glassius, wenn er schreibt:
“Die Analogie oder Regel des Glaubens ist nichts anderes als eine gewisse Summa der himmlischen Lehre, die aus ganz klaren Stellen der Schrift gesammelt ist und zwei Theile hat, von denen der erste vom Glauben handelt, dessen vornehmste Hauptstücke im apostolischen Symbolum vorgelegt werden, der andere von der Liebe, deren Summa die zehn Gebote enthalten. Beides faßt der Apostel 2 Tim 1,13 in folgenden Worten zusammen: “Halte an dem Vorbilde der heilsamen Worte, die du von mir gehöret hast vom Glauben und von der Liebe in Christo JEsu.”” (Phil s Lib II P II s 2 p 498)
Unserem Katechismus verdanken wir zum guten Theil nächst Gott die Ausbreitung unserer rechtgläubigen Synoden in diesem Lande. Weil die Leute ihren Katechismus gelernt hatten und daran noch festhielten, blieben sie vor den Irrlehrern bewahrt. Deswegen haben die oft schon geistlich sehr verwilderten Leute unsere Prediger aufgenommen, weil sie merkten, daß von denselben eben die Wahrheiten verkündigt wurden, die in ihrem Katechismus enthalten waren. Wäre in unserer irche nur die Bibel und kein solcher Auszug derselben dem Religionsunterricht zu Grunde gelegt worden, so hätten wir bei solchen Leuten nicht so leicht Eingang gefunden, ja, wären vielleicht als eine neue Secte angesehen worden. O, welche große Wohlthat und reicher Segen ist darum durch den Lutherischen Katechismus auch über die lutherische Kirche Amerika`s bereits ausgegossen worden! Die Schullehrer
(Seite 33 von Original).
sollen demgemäß die Kinder fleißig ermahnen, am Katechismus festzuhalten und nach demselben alle Lehre zu beurtheilen.
Für uns in Amerika ist besonders auch die unter uns eingeführte Auslegung des Lutherischen Katechismus von Conrad Dietrich von so hoher Wichtigkeit, weil darin neben Darlegung der reinen Lehre auch auf die Widerlegung der Irrlehre Rücksicht genommen wird. Der Lehrer wird freilich dem Dietrich`schen Katechismus keinen Geschmack abgewinnen können, der nach demselben unterrichten will ohne gewissenhafte Vorbereitung und ohne fleißiges Studium desselben. Ist der Lehrer selbst seines Gegenstandes nicht recht mächtig, so wird auch der Unterricht kahl und matt ausfallen. Außer anderem kann und soll er auch das von Dietrich lernen, die Kinder zur Prüfung der Irrlehren nach dem Katechismus anzuleiten; er soll es auch ihnen selbst vormachen, wie sie dies anzufangen haben. ZB im 3ten Artikel steht: der “am jüngsten Tage mich und alle Todten auferwecken wird”; daraus folgt, daß der Chiliasmus falsch ist; denn die Chiliasten sagen, am jüngsten Tage würden nur die Bösen und die nicht besonders fromm gewesen sind, auferstehen, während die Frommen schon tausend Jahre früher auferstanden seien: aber siehe, nach Deinem Katechismus gibts nur Eine Auferstehung. Ferner heißts im 3ten Artikel: “Ich glaube Eine heilige christliche Kirche”. Was ist der Glaube? “Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet”. Du siehst daraus, daß man die Kirche nicht sehen kann. Wer Dir darum sagt, die Kirche des 3ten Artikels sei sichtbar, der bringt falsche Lehre. Und so verfahre man bei jedem Hauptstück. O gesegnete, selige Kinder, die nicht blos zur Seligkeit unterrichtet, sondern auch mit dem Schwert umgürtet und gewaffnet sind, sich zu wehren, wenn sie von Seelenräubern angefallen werden.
Die Seelenräuber sehen oft ganz unschuldig und fromm aus; die Methodisten zB können zuweilen ganz erschütternd beten, sind wohl auch mit dem Heiligenschein menschlicher Frömmigkeit umgeben. Ist nun ein Christ wohl gerüstet, so läßt er sich dadurch nicht bestechen und irre machen; er merkt, daß seine Lehre wider den Katechismus streitet, und erkennt daraus, daß ein Wolf in Schafskleidern vor ihm steht. Der Methodist will den Menschen durch sein eigen Wirken, Beten, Kämpfen in den Himmel bringen und darüber führt er ihn, und mag er dabei noch so viel vom Glauben reden, zur Hölle. Wer nun einen solchen treuen Schullehrer, dafür, man Gott nie genug danken kann, nicht gehabt hat, der muß das Versäumte nachholen, seinen Katechismus sich wohl einprägen und ihn als Prüfstein der Lehre gebrauchen lernen.
Daß der Katechismus als Prüfstein der Lehre gebraucht werden soll, bezeugt unsere Kirche in ihren Bekenntnisschriften.
In der Einleitung zur Concordienformel heißt es nämlich: “Weil diese hochwichtigen Sachen auch den gemeinen Mann und Laien belangen, welche ihrer Seligkeit zu gutem, dennoch als Christen zwischen reiner
(Seite 34 von Original).
und falscher Lehre unterscheiden müssen, bekennen wir uns auch einhellig zu dem kleinen und großen Katechismo Dr Luthers, wie solche von ihm geschrieben und seinen Tomis einverleibet worden, weil dieselbige von allen der Augsburgischen Confession verwandten Kirchen einhellig approbiert, angenommen und öffentlich in Kirchen, Schulen und Häusern gebraucht worden sind, und weil auch in denselbigen die christliche Lehre aus Gottes Wort für die einfältigen Laien auf das richtigste und einfältigste begriffen und gleichergestalt nothdürftiglich erkläret worden”. (Müller a a O Seite 570). Unter “Laie” wird hier ein Solcher verstanden, der nicht die Gelehrsamkeit hat, um im Lehramt zu stehen, kurz ein Zuhörer.
Es soll ja kein Lehrer meinen, es gereiche ihm zur Schande, wenn er so einfältig den Katechismus treibe. Die größten Theologen sind darin vorangegangen. Als Jacob Andreä 1573 sechs Predigten über die nach Luthers Tod entstandenen Streitigkeiten (den Keim der späteren Concordienformel) herausgab, so gab er schon auf dem Titel als Regel des Glaubens den Katechismus an, “wie sich ein einfältiger Pfarrherr und gemeiner Laie, so dadurch möchte verärgert sein worden, aus seinem Katechismo darein schicken soll”. Und als manche bei der Einführung der Concordienformel die Befürchtung aussprachen, es solle ein Bekenntnis eines neuen Glaubens eingeführt werden, so sagte Andreä, die Concordienformel sei nichts anderes als unser Katechismus, der Katechismus sei nur darin verwertet.
Wir hier in Amerika leben in ganz anderen Verhältnissen als unsere Väter in Deutschland. Sobald da ein Irrlehrer auftrat und nicht revociren wollte, wurde er seines Amtes entsetzt; Schriften, welche Irrlehren enthielten, durften nicht verbreitet werden. So erklärt sich`s, daß in den Katechismen damaliger Zeit wenig oder nichts von Polemik sich findet. Wir dagegen leben mitten unter Falschgläubigen, in einer indifferentistischen, glaubensmengerischen Zeit. Um so nöthiger ist ein Buch, dadurch unsere Kinder in Hinsicht auf Beides, Lehre und Wehre, wohl ausgerüstet werden, und um so herrlicher ist die Wohlthat, daß unserer Kirche providentiell im Dietrich ein solches Buch geschenkt ist, und diese besondere Gnade sollen wir nicht unbenützt von der Hand weisen. Auch Gemeinden sollen ein wachsames Auge darauf haben, daß dieses herrliche Buch nicht abgeschafft werde, wenn etwa der Lehrer einen anderen Katechismus vorzieht, weil derselbe leichter zu behandeln wäre.
Jeder Christ, und wenn er schon graues Haar trüge, sollte den Katechismus als das köstlichste Buch nach der Schrift betrachten. Niemand braucht sich desselben zu schämen. Luther war auch ein Katechismusschüler, wie ein Schulkind betete er denselben täglich und dadurch ist er ein so großer Theolog geworden. Der Katechismus enthält nämlich einen solchen Reichtum der Gedanken Gottes, daß er in Ewigkeit nicht ausgeschöpft werden kann. Wer eine lebendige Erkenntnis des Katechismus hat, der ist klug
(Seite 35 von Original).
auch in anderer Hinsicht, der weiß die ganze Welt in religiöser und moralischer Hinsicht zu beurteilen. Der Katechismus enthält die höchste Weisheit, das größte Wunder der Liebe Gottes, den geheimsten Ratschluß zur Seligkeit der Menschen, die höchsten Geheimnisse der Gnadenwunder. Wenn diese göttlichen Wahrheiten in das Kinderherz ausgesäet werden, so bekommt es ein solches Licht, das alle Weltweisheit der Philosophen weit übertrifft. Wer die weltliche Weisheit kennt, der weiß, wie beschränkt sie ist. Aber die Weisheit im Katechismus umspannt Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, umfaßt Gott, Menschen und Engel, gibt Aufschluß über Ursprung und Ziel des Menschen. Weil wir jedoch dies herrliche Buch von Kindheit auf in den Händen haben, so verblendet uns der Teufel, daß wir den hohen, köstlichen Inhalt desselben nicht erkennen. Weil der Teufel ihm spinnefeind ist, Fleisch und Blut so faul und träge, und die Welt so verächtlich davon redet, daher kommts, daß der Katechismus so gering geachtet wird, während er werth wäre, in Gold gefaßt und mit Edelsteinen besetzt zu werden. Denn der Katechismus ist nichts anderes als der süße Kern, der aus dem Wort Gottes genommen und in eine Kapsel gelegt ist, daß ihn auch ein Kind finden und genießen kann. In der Hausandacht sollte neben Bibel und Gesangbuch auch der Katechismus fleißig gebraucht werden. Deswegen ist der Katechismus in Frage und Antwort gestellt, daß auch der einfältige Hausvater wisse, wie ers anzufangen hat, die Hauptstücke christlicher Lehre mit seinen Kindern und seinem Gesinde zu treiben.
Viele Pastoren machen die traurige Erfahrung, daß die sonntäglichen Christenlehren schlecht besucht werden. Dies kommt daher, daß wir noch gar nicht recht erkennen, welchen Schatz wir im Katechismus besitzen. Der Christ, der auch nur ein Gebot allseitig und gründlich versteht, muß erst noch geboren werden. Jedes ist so reich, daß wir nur Bruchstücke fassen. Und um nun vollends eine Bitte, einen Artikel vollkommen zu verstehen, dazu reicht das Studium des längsten Lebens nicht aus. Die traurige Erfahrung in Bezug auf die Christenlehren ist darum ein trauriges Symptom der Geringschätzung der höchsten Wohltaten. Sie ist aber auch bei manchem Prediger ein Symptom davon, daß er keinen Fleiß bei den Christenlehren anwendet. Wenn der Prediger eine eintönige Katechese hält, selbst schläfrig dabei ist, allgemeine, uninteressante Fragen stellt, keine Anwendung auf Personen, Zeit - und Gemeindezustände macht, keine Ansprachen hält, keine Geschichten einflicht, kurz, niemals etwas hineinmischt, dadurch das Interesse der Kinder und Erwachsenen hereingezogen wird, so ists kein Wunder, wenn die Christenlehren ohne Theilnahme bleiben. Der Pastor muß sich auf das Examen so gut vorbereiten, wie auf die Predigt. Er muß in seinem Gegenstand gleichsam gebadet und davon ganz angefüllt sein, daß es für ihn eine Freude ist, von seinem Reichthum mitzutheilen, wie für eine Mutter, die ihr Kind stillt. der Apostel Paulus führt uns selbst auf dies Bild, indem er die Prediger Ammen nennt, die ihren Zuhörern Milch einflößen. Der Prediger,
(Seite 36 von Original).
dem die Christenlehre leicht dünkt, ist sehr im Irrtum. Dazu ist eifrige, gewissenhafte Vorbereitung und fleißiges Gebet erforderlich. Doch auch dann, wenn der Prediger seiner Pflicht nicht gebührend nachkommt, ist die Gemeinde bei Versäumnis der Christenlehren von Schuld nicht freizusprechen. Wenn auch nur der Katechismus aufgesagt würde, sollte man dabei nicht fehlen; denn es ist dies die herrlichste Predigt. Wahrlich, es ist nichts Geringes, wo der Katechismus gehandelt wird: da findet man die höchsten Wahrheiten und tiefsten Geheimnisse; höheres wissen selbst die heiligen Engel nicht, wie denn der Apostel sagt, daß es die Engel gelüstet, in das Geheimnis der Menschwerdung Christi zu schauen. Darum ists aber auch so schrecklich, wenn Eltern ihre Kinder in die öffentlichen Schulen schicken, wo kein Katechismus gelehrt werden darf. Das ist schrecklicher, als wenn sie ihnen das Brod versagten; denn da verschmachtet nur der Leib, aber hier die Seele. Dieses Elend des geistlichen Verschmachtens sieht man freilich nicht, aber Gott siehts und wirds richten.
Viele Christen haben das Wort Gottes lieb, wissen es aber nicht recht anzufangen, für sich fruchtbar zu machen. Da sollen die Prediger nun auch im Examen solchen Leuten dienen, indem sie die göttlichen Wahrheiten gleichsam zerteilen und ihnen dieselben zubereitet anbieten.
Luther ermuntert dazu in der Vorrede zum kleinen Katechismus: “Darum siehe darauf, Pfarrherr und Prediger! Unser Amt ist nun ein ander Ding worden, denn es unter dem Pabst war; es ist nun ernst und heilsam worden. Darum hat es nun viel mehr Mühe und Arbeit, Fahr und Anfechtungen, dazu wenig Lohn und Dank in der Welt. Christus aber will unser Lohn selbst sein, so wir treulich arbeiten”. (Müller a. a. O. Seite 353).
Der Prediger darf nicht denken: Ach, was soll ich mich viel quälen! ich will mich auf die Eingebung des Augenblicks verlassen, sonst wird meine Katechisation steif und unbeholfen. Das mag wohl zutreffen, wenn die Vorbereitung unvollständig war. Ist aber die Vorbereitung rechter Art gewesen, so gibt sie dem Katecheten Freiheit und Beweglichkeit. Wenn der Prediger mit Freude und Lust, voll Geist und Leben das Examen hält, daß mans ihm anmerkt, er ist seines Gegenstandes voll, er will etwas ausrichten: so werden dadurch Kinder und Erwachsene zum willigen und fleißigen Besuch der Christenlehren gereizt. Freilich gibts auch solche faule Christen, wenn selbst ein Engel vom Himmel käme und noch so lieblich und anziehend Examen hielte, so würde das dich keinen Eindruck auf sie machen. Sie meinen: Wenn man des Sonntags einmal zur Kirche gewesen ist, so ists genug. Ja, wenn Du nicht mehr haben könntest, so wäre es genug; aber schlimm genug stehts, wenn Dir`s genug ist. Vom Wort Gottes kann ein Christ nie zuviel bekommen. Es lehrt auch die Erfahrung, daß ein durchgreifender Unterschied stattfindet zwischen solchen Gemeindegliedern, welche die Christenlehren regelmäßig besuchen, und solchen, die dies nicht thun: die ersteren sind die kenntnißreichsten Gemeindeglieder und wissen auch Gemeindefragen am
(Seite 37 von Original).
besten zu beurtheilen. Daß es übrigens um die Christenlehren so mancher Prediger so ärmlich bestellt ist, davon trägt gewißlich auch die Gemeinde die Schuld mit: Sie betet nicht für ihren Seelsorger, und so segnet Gott auch nicht.
Katechismuspredigten dienen auch dazu, das Interesse am Katechismus zu wecken und zu vermehren. Veit Ludwig von Seckendorf, jener hochgestellte Staatsmann und tief gegründete Christ, stellte die Katechismuspredigten in Rücksicht auf ihre Wichtigkeit über die Evangelien - und Epistelpredigten. Bei Anstellung von Predigern richtete er sich nicht so sehr nach Gelehrsamkeit als darnach, ob sie einfache und gründliche Katechismuspredigten halten konnten. Ein schönes Lob gibt dem Katechismus.
Polycarpus Leyser, wenn er in der Vorrede zu den Locis von Chemnitz schreibt: “Noch Eins will ich um unserer Zeit willen hinzufügen. Ich will es klar darthun, daß die Art und Weise und die Form zu lehren in unseren Kirchen dieselbe sei, welche die Propheten im Alten und die Apostel im Neuen Testament beobachtet haben. Denn wir haben ja außer den gewöhnlichen Predigten, in welchem biblische Texte vorgenommen oder irgend ein Lehrstück zum Unterricht der Einfältigen erklärt wird, unsere kurzen Summen, die mit dem ausdrücklichen Wort Gottes übereinstimmen, nach deren Norm jene weiteren Auseinandersetzungen sich richten; denn nachdem Gott nach seiner unendlichen Barmherzigkeit in diesen letzten Zeiten der Welt die christliche Lehre. . . . durch sein sonderbares Werkzeug Martin Luther gereinigt und in ein klares Licht gesetzt hat: hat jener heilige Mann sich nichts mehr angelegen sein lassen, als daß er jene weiteren Auseinandersetzungen, welche er in seinen verschiedenen Büchern auf das gründlichste gegeben hatte, nach dem Beispiele Gottes selbst in eine gewisse kurze Summa zusammengetragen, so daß die Einfältigen dieselbe ihrem Gedächtnis anvertrauen und in den gewöhnlichen Predigten sich merken könnten, zu welchem Sitz der Lehre die vorgetragenen Hauptstücke zu rechnen wären. Er hat also den kleinen Katechismus geschrieben, der köstlicher ist als Gold und Edelsten, und in welchem die prophetische und apostolische Reinheit der christlichen Lehre in eine zusammenhängende Summa und mit solchen klaren Worten dargelegt ist, daß sie nicht mit Unrecht für würdig erkannt wird (deswegen, weil alles aus der Kanonischen Schrift geschöpft ist), ein Kanon zu sein. Ich kann mit Wahrheit behaupten, daß in jenem kleinen Büchlein so viele und eine solche Fülle von Sachen enthalten ist, daß wenn alle treuen Prediger ihr ganzes Leben lang nicht anderes in ihren Predigten behandelten als die geheime Weisheit Gottes, die in jenen Worten zusammengefaßt ist, dem einfältigen Volke gehörig erklärten, und die Gründe jener einzelnen Worte aus der heiligen Schrift nachwiesen, so würden sie jenen unergründlichen Abgrund doch nie ausschöpfen.
“Darum ist nicht genug zu loben die Sitte gewisser Kirchen, unter welchen unsere Braunschweiger mit gutem Recht oder vornehmlich zu loben
(Seite 38 von Original).
(Gott sei Dank!), da alle Vierteljahre die Leute jedes Geschlechtes und jedes Standes zahlreich einige Tage lang zusammenkommen und da alle anderen Betrachtungen der Schrift unterlassen und nur damit beschäftigt sind, daß sie sich in der Wiederholung des Katechismus üben”.
Thesis V.
Alle Schriftauslegung soll sich nach der Analogie des Glaubens richten. - - Römer 12,6.
Jedermann setzt voraus, daß ein Autor von gesunden Sinnen und hinreichender Gelehrsamkeit sich nicht widerspreche. Wenn darum an einer Stelle, in einem Satz oder Ausdruck der Autor dunkel ist und sich zu widersprechen scheint, so wird man die Meinung des Autors recht treffen, wenn man die betreffende stelle, den Satz oder Ausdruck nach dem Zusammenhang des Ganzen, nach seinem System versteht und also das Dunkle, Mißverständliche einer einzelnen Stelle nach dem offenbaren Sinn der leitenden Gedanken seiner Rede versteht. Aus Stellen, wo eine Sache beiläufig berührt wird, darf kein solcher Sinn genommen werden, welcher dem des Ganzen widerspricht. Handelt man nach solcher Voraussetzung bei menschlichen Schriftstellern, so ist noch viel weniger anzunehmen, daß der Heilige Geist sich widerspreche, wenn in gewissen dunkelen Stellen sich scheinbar ein anderer Sinn findet als in den klaren, hellen Stellen. Alles in der heiligen Schrift sich Befindliche steht im schönsten Einklang unter einander.
Zur Erläuterung wollen wir einige Beispiele anführen, wie dieser Grundsatz allgemein anerkannt und angewandt wird. Wenn man wüßte, daß ein Autor ein Copernikaner ist (also das System als wahr annimmt, nach welchem nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonn kreiset), und bei ihm fände sich etwa der folgende Satz: “Als ich aufstand, ging die Sonne auf”, so würde niemand daraus schließen, daß der Autor seine wissenschaftliche Ueberzeugung geändert habe, sondern man würde annehmen, daß er in dem betreffenden Satz nach dem Augenschein geredet habe. Warum? Weil man weiß, daß er ein Copernikaner ist, deren System wohl bekannt ist. Wenn ich in der Schrift eines anerkannten Baptisten den Satz fände: “Wer kein Kind ist, kann nicht getauft werden”, so würde es Torheit sein, aus diesem Satz den Schluß zu ziehen, daß der Autor im Widerspruch mit sich selbst stehe und die Kindertaufe anerkenne. Weil er ein Baptist ist, so verstehe ich den Sinn seiner Worte, daß er sich in dem Satze nur dem bekannten Wort Christi akkommodiert hat und meint, daß man geistlich ein Kind sein müsse. Wenn ein Arianer (der doch leugnet, daß Christus Gott, von Ewigkeit gleichen Wesens mit dem Vater sei), spricht: “Freilich ist Christus wahrer Gott”, so weiß ich, dieser Schurke spricht wohl so, meint aber einen solchen Gott, der erst kurz vor Schöpfung der Welt geworden ist, hält also Christum für eine gottgewordene Creatur. Wenn
(Seite 39 von Original).
ich in Calvin lese: “Im heiligen Abendmahl genießen wir den wahren, wesentlichen Leib Christi”; so werde ich nicht den Schluß daraus machen: Also hat auch Calvin den lutherischen Glauben vom heiligen Abendmahl gehabt. Ich weiß vielmehr aus dem System Calvin`s, wie fern er davon ist, - - daß ein solcher Satz betrügerische Worte enthält, damit die Einfältigen hinter Calvin`s wahre Meinung nicht kommen möchten, und daß Calvin`s wahre Meinung diese ist: Man genießt Christi Leib mit dem Munde des Glaubens. Nach diesem Grundsatz handelt vorkommenden Falls ein Jeder. Gesetzt den Fall, einer unter uns bekäme einen Brief von einem Mann, der ihm als ein ernster, gottseliger Christ bekannt ist, und darin fände sich folgender Satz: “Ich kann nicht glauben, daß es einen Gott gibt”. Niemand würde ihn um dieses Satzes willen für einen Atheisten halten, sondern man würde sofort denken: Ach, das ist ein Schreibfehler, vor dem “einen” hat er das weggelassen und er will sagen: “Ich kann nicht glauben, daß es keinen Gott gibt”. Mit solcher Auslegung verdreht er nicht den Sinn des Schreibers, sondern gibt vielmehr den Worten den Sinn, der nach der ihm sonst bekannten Herzensgesinnung des Mannes allein möglich ist.
In Bezug auf diese Auslegungsregel schreibt Rambach: “Die Vernunft selbst gibt uns dieses Princip und Auslegungsregel an die Hand, daß man die dunkelen Stellen eines Schriftstellers nach der Analogie der Lehre, welcher derselbe zugethan gewesen, untersuchen und erklären solle. ZB Seneca schreibt in Epistel 73: “Du wunderst dich, daß die Menschen zu Gott gehen, Gott kommt in die Menschen”. (*). Das scheint übereinzukommen mit den Worten Christi Johann 14,23: “Wir wollen zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen”. Aber weit gefehlt! Man muß diesen Ausspruch Seneca`s nach der Analogie der Lehre der Stoiker auslegen. Nach der stoischen Philosophie ist Gott nichts anderes, als die Weltseele, die sich durch alle Creaturen ergießt und davon auch die menschliche Seele ein kleiner Theil ist, die daher auch von den Stoikern ein kleiner Theil des göttlichen Wesens genannt wurde. Wenn nun also Seneca sagt, daß Gott in die Menschen kommt, so ist die Meinung diese, Gott habe dem Menschen einen Theil seines Wesens, nämlich die vernünftige Seele, mitgetheilt; die ist der “Gott, der in die Menschen kommt”, und also kriegen die Worte einen ganz anderen Verstand, als wenn Christus spricht: “Wir wollen zu ihm kommen”. Da schließen wir nun vom Kleineren auf das Größere: Thut man dies bei menschlichen Schriftstellern, bei, weltlichen Scribenten, welche doch irren und ihren eigenen Grundsätzen widersprechen können, wie viel mehr muß man es thun bei den heiligen Schriftstellern, die zwar auch Menschen gewesen, die aber aus Leitung und Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben haben, welcher sich selbst unmöglich widersprechen kann”. (Erläuterung der Instit. herm. sacrae. Gießen 1738 I, 324).
----------------
(*) Miraris, homines ad Deum ire, Deus in homines venit.
(Seite 40 von Original).
Gewöhnliche Leute und selbst sehr gescheite Männer widersprechen sich zuweilen, indem sie (1) einen falschen Schluß machen oder (2) vergessen, was sie vielleicht vor einem Jahr gesagt haben, oder (3) anderen Sinnes werden. Aber keiner dieser Fälle ist in der heiligen Schrift möglich, denn “die heiligen Männer Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist”. Der Heilige Geist als die höchste Weisheit kann sich nicht irren, kann nichts vergessen, kann nicht anderen Sinnes werden. Obgleich man darum die Rede eines Menschen zuweilen so verstehen muß, daß ein Widerspruch herauskommt, so findet dies doch nicht beim Heiligen Geist statt. Darum ist Römer 12,6 eine solche Auslegungsregel gegeben, die nie betrügt, dabei immer Wahrheit herauskommt. Es ist ein Irrthum der neueren Theologen, wenn sie zwischen einem Paulinischen, Petrinischen u.s.w. Lehrbegriff unterscheiden. Das ist falsch; denn “der Heilige Geist hat die heiligen Männer Gottes getrieben”, die heiligen Schriftsteller “reden Worte, die der Heilige Geist lehret”, der Heilige Geist aber kann sich nicht widersprechen. Es ist darum auch unmöglich, daß dunkele Stellen der heiligen Schrift den klaren widersprechen. Wir gehen also ganz sicher, wenn wir die dunkelen Stellen so auslegen, daß sie im Einklang mit den klaren Stellen bleiben. Wer eine dunkele Stelle so auslegt, daß sie einer klaren widerspricht, eine solche Auslegung trägt das Kennzeichen an der Stirn, daß sie falsch ist, so gewiß der Heilige Geist sich nicht widerspricht.
Gesetzt den Fall, es findet jemand in einem rationalistischen Buch den Satz: “Es ist falsche Lehre, daß ein Mensch aus Gnaden durch den Glauben gerecht und selig werde; zu dem Zweck muß er gute Werke thun”; und er liest nun in Luthers Sermon vom ehelichen Leben: “Das sollen die Eheleute wissen, daß sie Gott, der Christenheit, aller Welt, ihnen selbst und ihren Kindern kein besser Werk und Nutzen schaffen mögen, denn daß sie ihre Kinder wohl aufziehen. . . . Denn dasselbe ist ihre richtigste Straße gen Himmel, mögen auch den Himmel nicht eher und besser erlangen, denn mit diesem Werk. . . . Also wiederum ist die Hölle nicht leichter verdienet, denn an seinen eigenen Kindern: mögen auch kein schädlicher Werk nicht thun, denn daß sie die Kinder versäumen, lassen sie fluchen, schwören, schandbare Worte und Liedlein lehren und nach ihrem Willen leben”. (W. X, 761): müßte man nun Luther um dieser Worte willen für einen Rationalisten halten, der von seiner Lehre abgefallen sei? Mit nichten! Luther hat in den angeführten Worten recht nachdrücklich reden wollen und hat es den gesunden Sinnen seiner Lutheraner zugetraut, daß sie ihn verstehen. Er will nichts anderes als dieses sagen: Es gibt kein gottwohlgefälligeres Werk als das, daß man seine Kinder christlich aufzieht.
In Luthers Schriften finden sich eine Menge Stellen, die einen der Lehre Luthers entgegengesetzten Sinn enthalten, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen und ohne Rücksicht auf andere Stellen in Luthers Schriften ausgelegt werden. So muß auch ein Zuhörer seinem Prediger einen
(Seite 41 von Original).
nicht ganz Adäquaten Ausdruck zu gute halten, wenn er aus sonstigen Reden desselben weiß, daß er in der Lehre rein ist; da wäre keine Ursache zur Absetzung vorhanden. Etwas anderes ists freilich, wenn ein Prediger falscher Lehre verdächtig ist; da müssen freilich alle seine Worte auf die Wagschale gelegt werden. Es wäre nun ganz greulich, wenn wir bei Luther und anderen Menschen in der bezeichneten Weise verfahren würden, aber bei dem Heiligen Geist wollten wir annehmen, er habe sich widersprochen und geirrt. Nein, wenn wir den Kern und Stern der heiligen Schrift kennen, so haben wir nun auch den Wegweiser, wie die dunkelen Stellen auszulegen sind.
Es kann durchgängig nachgewiesen werden, wie sich alle Schriftauslegung nach der Analogie des Glaubens richten müsse. ZB den Spruch Luc 12.32: “Fürchte dich nicht, du kleine Heerde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben” legen Viele aus und appliciren ihn also, als ob niemand selig werden könne außerhalb der sichtbaren, rechtgläubigen Kirche. So lehrte Grabau schon in seinem 2ten Synodalbrief; die Kirche im eigentlichen Sinn sei sichtbar und außerhalb der lutherischen Kirche werde niemand selig. Er verstand also unter der kleinen Heerde die lutherische Kirche und eigentlich wohl nur die, die es mit ihm hielten. Dies ist eine gottlose Auslegung und streitet wider die Analogie des Glaubens; den nach der heiligen Schrift macht der Glaube allein und allezeit selig. Nun muß man zugeben, daß jemand den seligmachenden Glauben haben kann und ist doch nicht innerhalb der lutherischen Kirche. Sobald die Zugehörigkeit zur lutherischen Kirche als Bedingung zur Seligkeit gefordert wird, so macht nicht der Glaube allein selig. Darum ist die genannte Lehre Grabau`s ein großer, grundstürzender Irrthum und schändliche Ketzerei.
Dieser Satz, daß es auch in falschgläubigen Kirchengemeinschaften Schwache gibt, welche den seligmachenden Glauben haben und selig werden, streitet nicht wider das Athanasianum:: “Wer den christlichen Glauben nicht ganz und rein hält, der wird ohne Zweifel ewiglich verloren sein”. Athanasius hat hier die Grundlehren von der Dreieinigkeit Gottes und vom Gottmenschen, dem Erlöser der Welt, im Auge. Dem Sinne nach sagt der Heiland dasselbe: “Das ist das ewige Leben, daß sie dich, daß du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen”; und Petrus: “Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden”. Wer in diesen Grundartikeln irrt, der geht verloren, ob er nun außerlich in der Gemeinschaft der lutherischen oder irgend einer anderen Kirche wäre. Wer also innerhalb einer falschgläubigen Kirche steht, in den schlechterdings zur Entstehung des Glaubens nöthigen Grundartikeln falsche Lehre festhält und sie in sein Herz läßt, der kann nicht selig werden. Dasselbe gilt von denjenigen, welche trotz besserer Erkenntnis in einer falschgläubigen Kirche bleiben; denn sie beweisen damit, daß ihnen Irrthum und Wahrheit ganz gleich gilt, mit einem Wort, daß sie gottlose Menschen sind. - -
(Seite 42 von Original).
Die oben angeführte Lehre Grabau`s streitet aber auch noch in anderer Hinsicht wider die Analogie des Glaubens. Nach der Glaubensanalogie hört die Kirche nicht auf, wird niemals überwältigt (Matth 16,18), sondern bleibt bis zum jüngsten Tage. Wenn aber die sichtbare lutherische Kirche die Kirche wäre, außer welcher kein Heil ist, so wäre die Kirche ein Jahrtausend lang ausgestorben gewesen. Zeugen gab es wohl vor der Reformation, aber keine rechtgläubige Kirchengemeinschaft; denn die Waldenser, böhmischen Brüder und selbst Huß waren nicht ganz rein in der Lehre. So kennzeichnet sich die Grabauische Lehre auch durch diesen Verstoß gegen die Glaubensanalogie als Ketzerei.
Die Methodisten berufen sich zum Beweis für Lehre von der vollkommenen Heiligung, daß nämlich ein Wiedergeborener sündlos leben könne, auf 1 Johann 3,9. “Hört ihr`s, ihr Lutheraner?” rufen sie uns zu, “hier steht`s ausdrücklich: “Wer aus Gott geboren ist, der thut nicht Sünde””. Nun gestehen die Methodisten selbst zu, man könne ein wahrer Christ und doch noch nicht vollkommen heilig sein, während doch in dieser Stelle, wie sie behaupten, das gerade Gegentheil gefordert wird. Dazu kommt, daß die genannte Lehre der Methodisten der Glaubensanalogie zuwider ist. Das allen Menschen gemeinsame sündliche Verderben wird an unzähligen Stellen der heiligen Schrift bezeugt; so spricht zB Paulus: “Sie sind allzumal Sünder”, und Johannes selbst: “So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns”, und Salomo: “Es ist kein Mensch auf Erden, der Gutes thue und nicht sündige”.
Wie ist denn aber die Stelle 1 Johann 3,9 zu verstehen? Die Auslegung dazu finden wir Römer 7,19-20: “Das Gute, das ich will, das thue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das thue ich. So ich aber thue, das ich nicht will, so thue ich dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnet”. Soweit ein Mensch wiedergeboren ist, sündigt er nicht und kann nicht sündigen; aber soweit er nicht wiedergeboren ist, hat er noch Sünde an sich. In einen Christen sind nämlich zwei Menschen, die einander gegenüberstehen: Alter und neuer Mensch, Fleisch und Geist. Der Wiedergeborene als Wiedergeborener kann nicht sündigen, denn er ist ein neuer, göttlich, himmlisch gesinnter Mensch.
Wenn in der heiligen Schrift dem Menschen geboten wird, sich zu bekehren, als: “Bekehret euch von aller euerer Uebertretung”; “machet euch ein neu Herz und einen neuen Geist” (Hesek 18,30-31), so machen viele daraus den Schluß, daß es in des Menschen freier Entscheidung liege, ob er bekehrt und selig wird oder nicht; denn Gott fordere es von ihm, darum müsse er auch das Vermögen dazu haben. Eine solche Auslegung ist wider die Glaubensanalogie. Der heilige Apostel Paulus sagt ausdrücklich, daß der natürliche Mensch in Sünden todt sei (Col 2,13). So wenig aber ein leiblich Todter im Leiblichen, ebensowenig kann ein geistlich Todter im Geistlichen etwas thun. Die Stellen, welche zum Guten auffordern, beweisen
(Seite 43 von Original).
nicht, daß der Mensch das Gute thun könne und es in seinem Willen liege, sich fürs Gute zu entscheiden, sondern zeigen nur die Verpflichtung des Menschen an. Wenn ich eine Schuldforderung besitze, so habe ich das Recht zu fordern und der andere hat die Pflicht zu bezahlen; ob er aber auch das Vermögen dazu hat, das ist eine andere Frage. Durch solche Forderungen offenbart also Gott sein Recht und des Menschen Schuldigkeit; es ist aber dies auch eine Gnade, weil nur durch solche göttliche Forderungen der Mensch zur Erkenntnis seines sündlichen Elends gebracht und also aufs Evangelium vorbereitet werden kann.
Daß die Stellen, welche vom Menschen die Bekehrung fordern, falsch ausgelegt werden, wenn man daraus folgert, daß der Mensch es auch zu thun vermöge, dies sehen wir auch aus Römer 9,16:: “So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen”. Das Wollen eines Menschen ist also nicht die Ursache seiner Bekehrung und Seligkeit. Kein Mensch kann von Natur das Gute wollen, und keiner kann dies Unvermögen ändern. Gute Vorsätze sind bei ihm doch nur Heuchelei. Erst dann wirds anders, wenn Gott seinen Geist ins Herz gibt. Die Irrlehre der Iowaer, daß die letzte Entscheidung zur Bekehrung in des Menschen freiem Willen liege, raubt Gott Seine Ehre. Derjenige würde für einen Wahnsinnigen angesehen, der da behauptete, er habe etwas dazu beigetragen, daß er leiblich lebe und erschaffen sei; fast noch schlimmer aber ists, wenn ein Mensch die Ursache seines geistlichen Lebens in sich sucht. Niemand wird im ewigen Leben sagen können: “Ich bin hier, weil ich mich für die Bekehrung entschieden habe”. Es wird vielmehr ein jeder Selige bekennen müssen: “Daß ich hier im Himmel bin, ist das größte Wunder, das ich hier schaue; ich habe nichts aus mir selber gethan, als was die Hölle verdient”. Wohl thut ja ein Christ hier auf Erden manches Gute, aber eigentlich thut es Gott durch ihn. Wie wenn ein Vater seinem Kindlein beim Schreiben die Hand führt, da sind die schönen Züge allein auf des Vaters Rechnung zu setzen und ohne seine Handleitung würde das Kind eine bloße Kritzelei zuwegebringen: so gebührt Gott allein die Ehre von dem Guten, was ein Christ thut, dagegen dem Christen selbst die Ehre von dem Bösen, was er verrichtet.
Ueber dem Spruch Ebr 12,17: “Wisset, daß Esau hernach, da er den Segen ererben wollte, verworfen ist; denn er fand keinen Raum zur Buße, wiewohl er sie mit Thränen suchte” ist schon manches angefochtene Kind Gottes in Angst und Schrecken gewesen. So geht mirs auch, denken sie, Gott gibt mir die Buße nicht. Das ist aber eine falsche Auslegung; denn eine Menge Stellen leuchten wie Sonnen der Wahrheit, daß Gott alle Menschen gern selig machen will “Gott will, daß allen Menschen geholfen werde” (1 Tim 2,4); “Gott will nicht, daß jemand verloren werde” (2 Pet 3,9); “So wahr als ich lebe, spricht der HErr HErr, Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre
(Seite 44 von Original).
von seinem Wesen und lebe” (Hesek 33,11). Gott fügt seinem Wort einen Eid hinzu. Ists nun nicht erschrecklich, wenn jene dunkele Stelle also ausgelegt wird, daß sie der klaren, mit einem Eid bekräftigten Stelle widerspricht? Wer gern Buße thun will, der steht schon in der Buße; es ist Verblendung des Teufels uns Blindheit des eigenen Fleisches, wenn ein bußfertiger Christ durch diesen Spruch im Hebräerbrief in Schrecken versetzt wird.
Welches ist denn aber die rechte Auslegung dieser Stelle? Gehen wir aufs Alte Testament (1 Mose 24) zurück. Wir hören da: Esau weinte darüber, daß er den Segen verloren hatte; er wünschte, daß sein Vater Isaak Buße thue, das ist, seine Meinung ändere; Esau bittet mit Thränen darum, ihm den Segen zu schenken. Isaak hatte aber bereits Jakob gesegnet, darum konnte er Esaus Bitte nicht willfahren.
Die neueren Theologen Deutschlands haben eine greuliche Lieblingslehre von der Person Christi in Umlauf gesetzt. Weil sie sehen, daß Christus auf Erden gewandelt, geredet, gegessen, geschlafen hat wie ein Mensch, so können sie`s mit ihrer Vernunft nicht reimen, daß er gleichwohl der allmächtige, allwissende, allgegenwärtige Gott sei. daher legen sie Phil 2,6-7 also aus: Christus habe die genannten göttlichen Eigenschaften bei seiner Menschwerdung abgelegt und darin bestehe seine Erniedrigung, daß die Gottheit Christi sich in ein Pünktlein gleichsam zusammengezogen habe, so daß Christus auch selbst nicht gewußt, welch eine hohe Person er sei; allmählich habe sich die Gottheit immer mehr ausgebreitet, Christus sei sich seiner immer besser bewußt worden, bis er durch die Auferstehung der in ihm wohnenden Gottheit ganz gewiß geworden sei. Solche Irrlehrer werden Kenotiker genannt. Diese Auslegung streitet wider die Glaubensanalogie; denn im 102ten Psalm lesen wir: “Du bleibest, wie du bist”. Ist nun Christus ein solcher Gott, der veränderlich ist, seine göttlichen Eigenschaften abgelegt hat, so ist er nicht der Gott, an den wir glauben. die angeführte Lehre der Kenotiker hebt auch die Gottheit Christi auf. Hat Christus die göttlichen Eigenschaften nicht, so ist er auch nicht Gott; denn Gott ohne göttliche Eigenschaften ist ein Widerspruch in sich selbst.
Der in der These angeführte Grundsatz wird von den rechtgläubigen Lehrern unserer Kirche anerkannt. So schreibt zB.
Luther: “Darum ist das unser Grund, wo die heilige Schrift etwas gründet zu glauben, da soll man nicht weichen von den Worten, wie sie lauten, noch von der Ordnung, wie sie da stehet, es zwinget denn ein ausgedrückter Artikel des Glaubens, die Worte anders zu deuten oder zu ordnen. Was wollt sonst die Bibel werden? Als da der Psalter spricht: “Gott ist mein Fels”, Psalm 18,3; hier stehet das Wort “Fels”, das einen natürlichen Stein sonst heißet. Aber weil der Glaube lehret, daß Gott kein natürlicher Stein ist, zwinget er mich, daß ich an dem Ort muß das Wort “Fels” anders deuten, denn seine natürliche Deutung gibt. Also auch Matth 16,18: “Auf diesen Fels will ich meine
(Seite 45 von Original).
Kirche bauen”. Weil aber hier (im heiligen Abendmahl) kein Artikel zwingt, daß dies Stücklein sei abzusondern und herauszuzwacken oder daß das Brod nicht Christi Leib sei, soll man schlecht die Worte nehmen, wie sie lauten”. (Wider d himml. Propheten. Walch XX, 285 f.).
Pfeiffer: “Die Worte dürfen nicht eigentlich und nach dem Laut der Buchstaben (xxxx xxxxx) genommen werden, sondern figürlich, wenn die eigentliche Bedeutung offenbar und wirklich gegen einen Artikel des Glaubens oder gegen ein Gebot der Liebe anläuft. Dies wird damit bewiesen: denn die Aehnlichkeit des Glaubens ist die über die Glaubensartikel klar geoffenbarte göttliche Wahrheit, welcher daher nichts widersprechen darf oder kann. ZB der Aehnlichkeit des Glaubens entspricht es, daß Gott nicht die Ursache der Sünde sei, Psalm 5,3. Darum wenn irgend welche Stellen das Gegentheil zu behaupten scheinen, wie 2 Samuel 24,1 (wo es heißt: “Und der Zorn des HErrn - - - reizte David unter ihnen, daß er sprach: Gehe hin, zähle Israel und Juda”), so sind dieselben nach der Aehnlichkeit des Glaubens so zu erklären, daß dies unerschüttert bleibt, daß Gott nicht die Ursache der Sünde sei”. (Thesaurus Herm. c. 3. § 3 con. 4 p. 137).
2 Samuel 24,1 hören wir, Gott habe David gereizt, das Volk zu zählen, und doch wird David deshalb gestrast. Aus dieser dunkelen Stelle sucht Calvin seine Lehre vom absoluten Rathschluß Gottes zu beweisen, nach welchem Gott beschlossen habe, den größten Theil der Menschen in die Sünde zu stürzen, um an ihnen seine Strafgerechtigkeit zu offenbaren; hinwiederum habe er zwar auch den kleineren Theil der Menschen in die Sünde zu stürzen beschlossen, aber um sich desselben zu erbarmen und sie selig zu machen. Diese Auslegung ist wider die Glaubensanalogie. Nach der Glaubensanalogie ist Gott nämlich heilig, ohne Sünde, gerecht und straft die Sünde.
Welches ist nun die rechte Auslegung vorliegender Stelle? Wir finden sie, wenn wir 1 Chron 22,1 vergleichen. Diese Stelle sagt ausdrücklich, daß Satan den David zur Sünde gereizt habe. Dies scheint der vorigen Stelle zu widersprechen. Es ist aber eine falsche, gottlose Art der Schriftauslegung, zwei scheinbar einander widersprechende stellen so auszulegen, daß ein Widerspruch anerkannt wird. Die rechte Auslegung der obigen Stelle ist diese: Der Teufel hat David zur Sünde gereizt. Nun hätte Gott es ihm wehren können, wie wir in der 6ten Bitte darum bitten: “Führe uns nicht in Versuchung”, das ist, laß dem Satan nicht zu, daß er mich versuche, tritt ihn mit seinen Versuchungen unter die Füße. Nach 2 Samuel 24,1 hat Gottes Zorn den David gereizt. David war nämlich fleischlich sicher geworden, hatte des HErrn und seiner Wohlthaten vergessen und sich auf Fleischesarm verlassen. Damit erregte er Gottes Zorn und das war die Ursache, warum Gott den Satan an der Versuchung nicht hinderte und David zur Strafe dem Satan zuließ, ihn zu fällen. Daß Gott dem Satan zuweilen gestatte, die Gläubigen zu versuchen, sehen wir aus Hiobs Geschichte.
(Seite 46 von Original).
Satan verdächtigte Hiobs Gottesfurcht; da gab ihm Gott Gewalt über Hiobs Hab und Gut, Kind und Leib. Hiob jedoch bestand die Prüfung und blieb treu, Satan aber mußte mit Schanden abziehen. Diese Versuchung mußte also dazu dienen, um Gottes Namen zu verherrlichen; anders jedoch bei David, dem sie eine Zuchtruthe sein sollte. Gott bewahrte den David nicht, sondern überließ ihn in der Versuchung sich selbst. Wenn Gott nichts thut, dann fallen wir hin. Die Sonne braucht nichts zu thun, sondern nur zu unterlassen, so wirds finster und kalt. Also braucht Gott nur seine Hand zurückzuziehen, so bricht die Strafe herein.
Es ist ein ungerechter Vorwurf, wenn die neueren Theologen unsere alten Theologen beschuldigen, dieselben hätten nur aus dogmatischem Interesse so manche Stellen anders, als sie selbst, ausgelegt. Wenn die neueren Theologen diesen Vorwurf darum erheben, weil unsere alten Theologen der Weisung des Apostels gemäß nach der Glaubensanalogie auslegen, so beweisen sie damit, daß sie nach der vom Heiligen Geist selbst gegebenen Regel für Schriftauslegung nichts fragen, frei und ungebunden sein und nach ihrer Phantasie auslegen wollen.
Es ist auch wohl zu beachten, daß man nur dann nach der Glaubensanalogie auslegt, wenn man den Unterschied zwischen dem Alten und Neuen Testament im Auge behält. Im Alten Testament gehörte zB das Gebot der Beschneidung, der Sabbathsheiligung mit zur Glaubensanalogie, im Neuen Testament dagegen nicht.
Darauf weiset Buddeus hin: “Um den spitzfindigen Einwürfen der Gegner zu begegnen, welche diese Meinung unserer Kirche bemäkeln, so ist erstlich zu beachten, daß diese sogenannte Analogie des Glaubens nicht aus diesem oder jenem Compendium oder System der Theologie, wovon es sowohl bei uns, als bei denen, welche von der Wahrheit abgehen, eine überaus große Menge gibt; sondern aus der heiligen Schrift zu beurtheilen ist. Denn in sehr vielen Schriftstellen wird, was zum Glauben und Leben zu wissen und zu glauben nöthig ist, so klar und deutlich vorgelegt, daß es von einem jeden Sterblichen, wenn er auch nur einen mittelmäßigen Fleiß anwendet, leicht verstanden werden kann. Hat daher jemand die Hauptstücke der wahren Religion und was zum Grunde des Glaubens gehört, daraus genommen, so wird es ihm nicht allzuschwer sein, daraus abzunehmen, daß in etwas dunkelen Stellen derjenige Sinn, welcher diesen Hauptstücken und Grundlehren widerstreitet, nicht der wahre sein könne; denn es sei unmöglich, daß der göttliche Geist durch die heiligen Schreiber mit sich selbst im Widerspruch Stehendes ausspreche. Und das ist es, was wir die Analogie des Glaubens nennen. Jedoch gestehen wir willig zu, daß dabei auf die verschiedenen Haushaltungen des Bundes, den Gott mit den Menschen aufgerichtet hat, und also auf den Unterschied des Alten und Neuen Testaments Rücksicht genommen werden müsse; wie denn auch mit Fleiß darauf zu achten ist, daß man nichts ohne Weiteres
(Seite 47 von Original).
zum Glaubensfundament rechne, was darin fehlen kann, und daß nicht weggelassen werde, was allerdings dazu gerechnet werden mußte. Wenn man dies festhält, so ist leicht einzusehen, daß uns die Gegner vergeblich einwerfen, daß dies ein ungewisser Auslegungsgrundsatz sei, da ein Jeder, in was für einer Socke er sich befinden möge, sich auf die Analogie des Glaubens berufe, und daher behaupten könne, daß die Auslegung der Schrift nach seinen vorgefaßten und irrigen Meinungen, als der Norm und Regel, anzustellen sei. denn dies ist ein Fehler verkehrter Menschen, welche ihre Erdichtungen und Irrthümer für die Analogie des Glaubens ausgeben oder diesen Auslegungsgrundsatz mißbrauchen, aus dem nicht folgt, daßder Grundsatz selbst, wenn er richtig und vorsichtig angewendet wird, zu verwerfen. Doch sieht man auch dies ein, daß bei uns keineswegs alles auf einen Cirkelbeweis hinauslaufe, was man uns ebenfalls vorwirft, oder daß wir das Zweifelhafte und Ungewisse durch etwas ebenso Ungewisses zu erklären suchten. Denn wir setzen zum Voraus, und die Sache selbst lehrt es, daß gewisse Stellen der Schrift dasjenige, was zum Grund des Glaubens gehört, so klar, so deutlich vorlegen, daß es niemandem, dem seine vorgefaßten Meinungen nicht den Verstand verfinstern, zweifelhaft oder dunkel sein kann. Wer aber aus den helleren Stellen die dunkleren erklärt, der befolgt eine Auslegungsmethode, welche die Vernunft selbst billigen muß”. (Glassii Phil. sacra. Praef. c. b.).
Thesis VI.
Jede Schriftauslegung, die mit der Analogie des Glaubens streitet, ist somit gewiß falsch.
Der Inhalt dieser These ist schon in der 5ten These als Gegensatz enthalten und darum in der Besprechung daselbst mitbehandelt worden, weil es ja unmöglich ist, etwas zu begründen, ohne zugleich das Gegentheil als unbegründet zu leugnen. Ein Zeugniß für unsere These von Pfeiffer lautet also:
“Welche Auslegung der Schrift dem Glauben nicht ähnlich ist, dieselbe ist falsch und irrig. . . . Nun aber ist die chiliastische “Weissagung” oder Auslegung dem Glauben mit nichten ähnlich. Also ist sie falsch und irrig. . . . . Wenn nur Ein Glaubensartikel angetastet wird, so ist die Auslegung schon dem Glauben nicht ähnlich. Jedoch will ich für diesmal mit unwidertreiblichen Gründen darthun und erweisen, daß der chiliastische Schwarm drei hochwichtige Artikel unseres Glaubens, nämlich. . . . (1) vom Reiche Christi, (2) von der Zukunft Christi zum Gericht, (3) von der Auferstehung der Todten, obschon nicht direct und gleichzu umstoße, jedoch indirect und nach nothwendigen, in der heiligen Schrift festgestellten Eigenschaften und Umständen gefährlich antaste und ihnen einen gewaltsamen Stoß gebe”. (Antichiliasmus, Seite 138 f.). Nach der heiligen Schrift ist nämlich Christi
(Seite 48 von Original).
Reich nicht ein weltliches, wie Pabst und Sultan hat, sondern es ist inwendig in den Herzen; daselbst richtet Christus seinen Thron auf durchs Wort und den Heiligen Geist, und so viele solcher Herzen es gibt, so viele sind auch Unterthanen in Christi Reich. Der Chiliasmus aber träumt von einem solchen Reich Christi das tausend Jahre dauert, sichtbar ist und von den Frommen äußerlich regiert wird. Nach der Schrift kann die Wiederkunft Christi jederzeit, jeden Augenblick eintreten, und der HErr nennt den einen Schalksknecht, der da sagt: “Mein Herr kommt noch lange nicht”; demnach sind alle diejenigen Schalksknechte, die mit ihrer Lehre vom tausendjährigen Reiche bekennen: “Christus kann nicht jede Stunde zum Gericht kommen, sondern zuvor muß das Reich in Stand gebracht werden, welches tausend Jahre währen soll”. Johann 6 sagt Christus viermal nach einander, daß er seine Gläubigen auferwecken will am jüngsten Tage; aber die Chiliasten lehren, daß der HErr Christus die Frommen tausend Jahre vor dem jüngsten Tage auferwecken würde. Es gibt auch noch andere klare Stellen, dagegen der Chiliasmus streitet, zB der Hebräerbrief kennt nach Capitel 9,28 nur eine zweimalige Zukunft Christi, die erste ins Fleisch, die zweite ( ) zum Gericht: also kann keine dritte zum tausendjährigen Reich dazwischen liegen. Als den Iowaern auf dem Colloquium zu Milwaukee diese Stelle vorgehalten wurde, waren sie dadurch so völlig geschlagen, daß sie gleich in der nächsten Sitzung zugestanden, Christus sei vor dem jüngsten Tage nicht bleibend auf Erden zu erwarten. Später freilich haben die Iowaer dies Zugeständnis wieder vergessen.
.
Thesis VII.
Daraus, daß die Auslegung irgend einer Schriftstelle nicht mit der Analogie des Glaubens streitet, folgt noch nicht, daß sie auch die richtige Auslegung dieser Stelle sei.
Wenn der heilige Apostel sagt: “Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich”, so gibt er damit eigentlich nur an, daß der Widerspruch gegen die Glaubensanalogie ein Kennzeichen falscher Auslegung sei. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Uebereinstimmung mit der Glaubensanalogie schon Bürgschaft biete, daß der Sinn gefunden sei, den der Heilige Geist in der betreffenden Stelle niedergelegt hat. Kein Lehrer und Prediger kann in der Lehre rein sein, wenn seine Auslegung der Glaubensanalogie widerstreitet. Aber es stünde schlimm für die Prediger, wenn der Apostel gesagt hätte: “Hat jemand Weissagung, so muß er jederzeit gewiß sein, den rechten Sinn der Stelle getroffen zu haben, sonst wehe ihm”! Wie manchmal steht der Prediger vor einer Stelle, bei der er nicht sicher ergründen und sich unzweifelhaft gewiß werden kann, ob er die rechte Auslegung gesunden habe; da müßte er dann wie im Feuer des göttlichen Gerichts stehen, voll Angst, daß Gott ihn verwerfe. Aber Gott ist nicht, um uns so auszudrücken, so grausam,
(Seite 49 von Original).
eine solche Forderung an uns zu stellen. Wir müssen nur darüber gewiß sein, daß der Sinn, den wir einer Stelle entnehmen, in Gottes Wort enthalten ist. ZB: Es ist nach der Schrift unwidersprechlich gewiß, daß Christus wahrer Gott ist. Es wäre nun möglich,daß ein Prediger in einer Stelle die Lehre von der Gottheit Christi zu finden meinte und sie demgemäß auslegte, aber in Wahrheit handelte diese Stelle gar nicht von dieser Lehre. Solche Auslegung wäre jedoch keine falsche Lehre, weil der Artikel von der Gottheit Christi in vielen deutlichen Stellen klar gelehret ist. Solche unrichtige Auslegung treffen wir häufig bei den Kirchenvätern an und die hauptsächliche Ursache davon war, daß die meisten derselben die hebräische Sprache nicht verstanden. So legt Augustinus eine Psalmstelle, darin er nach der Vulgata das Wort principium fand, durch Vergleichung mit Johann 1 ( = principium) von der Gottheit Christi aus, während da von etwas ganz anderem die Rede ist. So war Augustin`s Auslegung der betreffenden Stelle freilich unrichtig, der Inhalt seiner Auslegung jedoch, die Lehre selbst, ist in sonnenklaren stellen der heiligen Schrift anderwärts enthalten. Durch solche Fehlgriffe wird ein Ausleger noch nicht zum falschen Lehrer; denn ein Irrlehrer ist nur der, der die heilige Schrift der Glaubensanalogie entgegen auslegt dh der eine solche Auslegung gibt, die anderen hellen, klaren Schriftstellen widerspricht.
Lutherschreibt in der Vorrede zu seiner Auslegung der Psalmen: “Ich muß aufrichtig bekennen, daß ich nicht weiß, ob ich den rechtmäßigen Verstand der Psalmen überall getroffen habe oder nicht; wiewohl ich daran nicht zweifle, daß der Verstand, den ich hier erkläret habe, der Wahrheit gemäß sei. Denn alles, was der Heilige Augustinus, Hieronymus, Athanasius, Hilarius, Cassiodorus und andere über den Psalter zusammengetragen haben, ist zwar auch der Wahrheit vollkommen gemäß, aber sie gehen von dem Wortverstande bisweilen sehr ab”. (Walch IV, Seite 267 f.).
Derselbe: “Die lieben heiligen Väter haben nicht allein an diesem Ort, sondern auch wohl an mehr Orten die Schriftgeführt nach ihrem Sinn und guter Meinung; nicht daß sie damit haben wollen Artikel des Glaubens stellen, noch jemand darüber ermordet, oder verdammt haben; wie denn sonderlich St Bernhard oft der Schrift Sprüche aus der Maßen reichlich braucht, obs gleich nicht der Schrift eigentliche Meinung ist, und doch ohne Schaden wohl so mag verstanden werden, so fern, daß man nicht Ernst noch Artikel daselbst aus mache. Das muß ich mit Exempeln beweisen. Als wenn Augustinus spricht, auf den 4ten Psalm V 9: In pace in id ipsum dormiam, und deutet mit langen Worten, daß Id ipsum heiße Gott selbst; so es doch im Lateinischen und Griechischen solches nicht gibt, viel weniger im Ebräischen. Sollte man dem guten Mann solche Gedanken nicht billig zu gut halten? weil er doch keinen Irrthum, sondern eitel gute christliche Gedanken da hat, ob sie wohl an dem Ort nicht, sondern anderswo gegründet sind”. (Walch XVIII, 1067).
(Seite 50 von Original).
Derselbe: “Solche Sprüche der lieben heiligen Väter wollte ich über tausend aufbringen, darin sie etwa gefehlet, auch etwa gute Gedanken, aber nicht an rechtem Ort gehabt”. (Ib. Seite 1070).
Wenn das 20ste Kapitel der Offenbarung St Johannis so ausgelegt wird, daß Christus mit seinen Heiligen tausend Jahre lang sichtbar und herrlich hier auf Erden regieren werde, so ist dies die chiliastische Auslegung, die wider die Analogie des Glaubens streitet in den Artikeln von der Kirche Christi als einem Kreuzreich, von der Auferstehung der Todten am jüngsten Tage, und von Christi Wiederkunft zum Gericht. Was aber die tausend Jahre zu bedeuten haben, davon geben auch reine Lehrer gar verschiedene Auslegung. Luther legt sie so aus, daß sie anfangen von Christi Himmelfahrt und dem Pfingstfest, da die christliche Kirche gleichsam ihren Siegeslauf wider Welt, Teufel und Hölle begonnen habe. Daß aber schon über 1800 Jahre seitdem verstrichen sind, ist kein stichhaltiger Grund dagegen, da ja nach Gottes Wort “Ein Tag vor dem HErrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie Ein Tag”. Diese Auslegung Luthers stimmt mit der Glaubensanalogie und hat gewiß vieles für sich. Anders legt Johann Gerhard aus, daß nämlich die tausend Jahre mit Kaiser Constantin dem Großen beginnen, da die christliche Kirche nach überstandenen blutigen Verfolgungen sich des Weltreichs bemächtigt hat. Auch diese Auslegung stimmt mit der Glaubensanalogie; denn in dieser Auslegung wird Christi Reich nicht zu einem weltlichen gemacht, keine theilweise Auferstehung der Todten vor dem jüngsten Tage gelehrt, und die Wiederkunft Christi darf, da die Erfüllung der Weissagung hinter uns liegt, stündlich erwartet werden. - - Der HErr Christus sagt Matth 11,11, daß der Kleinste im Himmelreich größer, denn Johannes der Täufer, sei. Luther legts von Christo selbst aus, als der sich aufs tiefste erniedrigt hat. Andere legen es von dem geringsten neutestamentlichen Christen aus, der wegen der Freiheit von der Bürde des Gesetzes größer sei als der alttestamentliche Gläubige Johannes. Da mag man nun disputiren, welche Auslegung am besten in der Stelle gegründet sei. - - Es ist nicht überall gewiß zu machen, ob der rechte Sinn getroffen sei. So legt Luther das Evangelium am Sonntag Septuagesimä nach dem Scopus des Textes aus, daß alles, was wir von Gott bekommen, lauter Gnade und kein Verdienst sei. Was aber unter den Ersten und Letzten, den verschiedenen Stunden und dem Groschen zu verstehen sei, darauf komme nichts an. Wollte man aber ja den “Groschen” deuten, so könnte man darunter das zeitliche Gut verstehen, das Jeder bekommt, aber diejenigen, welche murren und ihre Werke angesehen haben wollen, verlieren darüber Gottes Gnade.
Es kommt bei einer Auslegung alles darauf an, daß sie nicht wider die Glaubensanalogie verstößt. Das haben sich Gemeindeglieder wohl zu merken, damit sie nicht ihren Pastor zum Ketzer machen, wenn derselbe von einer Schriftstelle eine andere Auslegung gegeben hat, als sie etwa in einem rechtgläubigen
(Seite 51 von Original).
gläubigen Buche finden. Es soll aber hiemit dem Prediger kein Faulkissen gemacht sein, als ob er nichts darnach zu fragen habe, welches der richtige, vom Heiligen Geist intendirte Sinn sei. O nein, der Prediger soll freilich fleißig und mit brünstigem Gebet um Erleuchtung suchen und forschen; wenn er aber trotz aller Mühe und Arbeit zu keiner gewissen Klarheit kommt, so darf er sich damit zufrieden geben, daß seine Auslegung der Glaubensanalogie nicht widerspricht. Daher schreibt
Gerhard: “Wir müssen, wenn wir ja den eigentlichen, vom Heiligen Geist beabsichtigten Sinn jeder Stelle nicht immer erreichen können, doch sorgfältig uns hüten, daß wir nichts gegen die Aehnlichkeit des Glaubens vorbringen”. (Exeg. loc. de Scr. s. § 531).
Buddeus: “Damit die Anwendung jener Regel, daß die Auslegung dem Glauben ähnlich sein müsse, recht geschehe, so behaupten wir, daß aus derselben zwar mit Recht geschlossen werde, daß der Sinn, welcher der Analogie des Glaubens entgegen ist, nicht der wahre und rechte sei, nicht aber ebenso, daß der, welcher der Analogie des Glaubens gemäß ist, auch immer der wahre sein müsse. Denn auch ein anderer Sinn kann der Analogie des Glaubens gemäß sein, da die Erfahrung zeigt, daß zwei und mehr Ausleger in ihren Auslegungen verschiedener Meinung sein können, obgleich keiner einen der Analogie des Glaubens widerstreitenden Sinn annimmt. Daher müssen auch die übrigen Auslegungsregeln zu Hilfe gerufen werden, so daß man erst denjenigen für den wahren und rechten Sinn der Schrift achtet, welcher sich bei richtiger Anwendung der Auslegungsregeln ergibt und der Analogie des Glaubens gemäß ist”. (Glassii Phil. sacra. Praef. c. b.).
Solche Auslegungsregeln sind unter anderen: (1.) aus den Worten muß man nachweisen, daß es der rechte Sinn der Stelle sei; (2.) der Zusammenhang muß beachtet werden. Wenn man in der Schrift etwas aus dem Zusammenhang reißt, so kann man auf greuliche Dinge kommen. Als wenn jemand aus Psalm 14,1: “Die Thoren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott” die Worte “es ist kein Gott” aus dem Zusammenhang nähme und dies als Bibellehre hinstellte, so wäre das das gerade Gegentheil von dem, was in dem Spruch steht; denn da heißts: “die Thoren”, di die Gottlosen, “sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott”. Salomo sagt Pred 3, daß Menschen Seele davonfahre wie das Vieh; aber der Zusammenhang zeigt, daß Salomo hiermit die Gedanken der Gottlosen angibt.
Ein Prediger muß nicht blos recht auslegen, sondern auch nachweisen können, daß seine Auslegung die rechte sei. Ein rechtgläubiger soll sich auch hierin von den Schwarmgeistern und Schwätzern unterscheiden. Will er seiner Gemeinde eine Wahrheit beweisen, so soll ers mit Sprüchen thun, deren Sinn er überzeugend darthun kann. Christen wollen wissen, was wahr, und nicht, was blos wahrscheinlich und möglich ist. Ungewisse Auslegung ist eigentlich gar keine Auslegung.
(Seite 52 von Original).
Luther schreibt: “Petrus hat verboten, du sollst nicht selbst auslegen: der Heiligen Geist soll selbst auslegen, oder soll unausgelegt bleiben. Wenn nun der heiligen Väter einer beweisen kann, daß er seine Auslegung aus der Schrift hat, die da bewähret, daß es also solle ausgeleget werden, so ists recht: wo nicht, so soll ich ihm nicht gläuben”. (Walch IX, 858).
Derselbe: “Das ist nicht genug, zu sagen, solcher Spruch möge ihren Verstand geben; sondern sie müssen beweisen, daß er solchen Verstand erzwinge und dringe. Man muß in diesen Sachen gewiß fahren, die das Gewissen betreffen, und nicht darauf stehen uns sagen: Es mag also verstanden werden. Mögen und müssen ist nicht eins; du mußt beweisen, es müsse also und nicht anders verstanden werden. So lange du solch “müssen” nicht beweisest, bringet dein Spruch und Verstand nichts”. (Walch XIX, 1604 f.).
Luther sagt hiermit: Auf Menschen Auslegung kann ich mich nicht verlassen; Menschen sollen nicht Ausleger, sondern Instrumente der Auslegung sein. Wo kann man denn aber die rechte Auslegung herbekommen, wenn der Heilige Geist allein es ist, der sie hat? Er hat sein Wort so eingerichtet, daß ich durch sein Wort gezwungen werde, so und nicht anders auszulegen. Lesen wir Johann 1,1. Wenn wir blos diesen Vers hätten, so könnten wir einem Leugner der Gottheit Christi nicht beweisen, daß Christus wahrer Gott ist; denn in diesem Vers ist nur vom “Wort” die Rede. Lesen wir aber weiter bis zum 14ten Vers, so sehen wir, daß der Sohn Gottes unter dem “Wort” verstanden ist: der Heilige Geist selbst hat es so ausgelegt. Es kommt auch zuweilen vor, daß in einer stelle der heiligen Schrift sich ein bildlicher Ausdruck findet und gleich daneben die Erklärung; zB Offenbarung 5,8 wird der bildliche Ausdruck “Räuchwerk” als “die Gebete der Heiligen” gedeutet, und 19,8: “Die Seide aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen”.
.
Thesis VIII.
Nicht alles, was der Analogie zu widerstreiten scheint, widerspricht auch wirklich der Analogie des Glaubens.
Die Regel, alle Auslegung nach der Glaubensanalogie zu beurtheilen, ist eine gewaltige Waffe gegen die falschen Lehrer. Das fühlen auch die Feinde und wollen sie wider uns kehren in der Lehre vom heiligen Abendmahl. Die Reformirten argumentiren nämlich so: “Hat Christus einen wahren menschlichen Leib, so kann er nicht allenthalben, also auch nicht im heiligen Abendmahl gegenwärtig sein”. Dieser Schluß ruht auf einer falschen Voraussetzung und ist darum falsch; denn wie in der Schrift steht, daß Christus einen wahrhaft menschlichen Leib gehabt, so steht ebensowohl darin, daß sein Leib der Leib einer Person ist, die Gott der HErr ist. so nimmt Mancher etwas an, was zur Glaubensanalogie gehört, und verwirft dabei
(Seite 53 von Original).
etwas Anderes, das nicht weniger zur Glaubensanalogie gehört. Man darf aber nicht der halben, sondern muß der ganzen Glaubensanalogie folgen. Freilich lehrt die Schrift, daß Christus einen wahren menschlichen Leib gehabt, zB in dem Spruch: “Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist ers gleichermaßen theilhaftig geworden”; aber ebensowohl lehrt sie, daß Christi Blut nicht bloßes Menschenblut, sondern Gottes Blut sei, zB Ap Gesch 20,28: Gott hat die Gemeinde “durch sein eigen Blut erworben”. Wenn Gott sich mit dem menschlichen Leibe vereinigt, muß das nicht große, wunderbare Folgen haben? Der Mond ist dunkel, bis die sonne ihn bescheint; der menschliche Körper kann sich nicht regen und thätig sein, es sei denn die Seele mit ihm vereinigt. Wenn eine solche natürliche Verbindung und Vereinigung solche Folgen hat, so muß die Vereinigung Gottes mit dem Menschen doch gewiß die wunderbarsten Folgen für den letzteren nach sich ziehen. Eine Folge ist, daß der Mensch Christus überall gegenwärtig sein kann; wenn dem nicht so wäre, so müßte der allgegenwärtige, ewige Gott durch die menschlichen Natur gefangen und gebunden worden sein, oder man müßte leugnen, daß der Sohn Gottes mit der menschlichen Natur persönlich vereinigt ist. Wenn der Apostel Col 2,9 sagt: “In Christo wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig”, so zeigt er damit ausdrücklich an, daß auch der Leib von der Fülle der Gottheit durchdrungen sei. Die Reformirten lästern freilich, wir lehrten, daß Christi Leib über das ganze Weltall wie ein Tuch ausgespannt sei; eine solche Entstellung unsere Lehre bedarf keiner Widerlegung; denn eine solche läppische Vorstellung fällt uns nicht im Traum ein, da wir wohl wissen, daß Gott über Zeit und Raum erhaben sei.
In Bezug darauf, daß man bei der Auslegung nicht einer theilweisen, sondern der ganzen Glaubensanalogie folgen müsse, schreibt
Glassius: “Die Theologen lehren dieses: daß die Glaubensregel ganz angenommen werden müsse und daß die Theile derselben einander nicht entgegengesetz werden dürfen, oder, was dasselbe ist, daß eine Glaubenslehre, welche mit hellen und deutlichen Worten vom Heiligen Geist in der Schrift vorgelegt wird, nicht durch eine andere Glaubenslehre bestritten werden darf, deren Darlegung ebenfalls hell und deutlich in der Schrift vorkommt. Es haben dies einstmals die Arianer gethan, welche aus der Einigkeit des göttlichen Wesens die Dreieinigkeit der Personen und die wahre Gottheit des Sohnes bestritten haben, während uns doch beides durch klare Aussprüche des Heiligen Geistes zu glauben geboten ist. Dasselbe thun zu unserer Zeit auch die Calvinisten, welche die wahre und wesentliche Gegenwart des Leibes und Blutes des HErrn durch die wahrheit der menschlichen Natur oder des menschlichen Leibes in Christo bestreiten, während doch beides deutlich in der Schrift zu glauben vorgelegt wird”. (Phil. sacra, p 499).
--------------------------------