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Vorträge über die Lutherische Lehre Von Der Rechtfertigung
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DIE LUTHERISCHE LEHRE

VON DER

RECHTFERTIGUNG

IN

Vortraegen Dargelegt

VON

DR. F. PIEPER

Concordia Seminar, St. Louis, Mo.

SEMINARY PRESS

ST. LOUIS,

1916


Begleitwort an den Leser.

        “Gerne komme ich dem Wunsche der Herausgeber nach, einige einleitenden Worte dieser Sammlung von Vorträgen auf den Weg zu geben.

        “Von jeher ist es Brauch an unseren Anstalten gewesen, dass die Lehrer ausser ihren Vorlesungen, Vorträgen liegt kein bestimmtes Schema zu Grunde, auch wird in der Zahl derselben und in ihrer Aufeinanderfolge keine bestimmte Ordnung beobachtet.  Es sind Ansprachen über freigewählte oder gestellte Gegenstände, die etwa veranlasst sind durch Zeitfragen kirchlicher oder allgemeiner Natur, für die sich ein Interesse herausgestellt hat.  Zuweilen werden sie durch den Wunsch der Studentenschaft veranlasst, dass über einen Gegenstand, der mit diesem oder jenem Unterrichtsfach verwandt ist, eine oder mehr Ansprachen gehalten werden möchten.  Zu solchen Vortragsabenden wird dann etwa auch, je nach der Wahl des Gegenstandes, das allgemeine Publikum eingeladen.

        “Unter den vortragsreihen, die den Studenten unseres Seminars gehalten worden sind, bleiben die Lutherstunden D. Piepers denen, die sie besucht haben, unvergesslich.  Es sind das ursprünglich, wie der Name andeutet, Vortragsstunden gewesen, die sich an ein Wort Luthers anschlossen und in denen unter Anknüpfung an ein solches Lutherwort ein Lehrgegenstand, etwa auch eine Seite des theologischen Studiums, behandelt wurde.  Wenn mir recht ist, wurde durch diese "Lutherstunden" eine Einrichtung weitergeführt, die D. Walther begonnen hatte.


        “Vorliegender Band nun enthält eine Reihe von Vorträgen, die in diesen Freitagabend-Stunden gehalten worden sind.  Man hat seinerzeit diese Ansprachen vielfach stenographisch nachgeschrieben, und von diesen Aufzeichnungen hat man dann mimeographische Vervielfältigungen hergestellt.  Die zweite Auflage dieser mimeographierten Drucke erschien im Jahre 1895, und diese mimeographierten Hefte haben die Vorlage zu dem jetzt hergestellten Pressendruck abgegeben.

        “Vierundvierzig Vorträge sind in dieser Sammlung enthalten.  Ueber "Die evangelisch-lutherische Kirche, die wahre sichtbare Kirche Gottes auf Erden," wird in zwei Serien von Ansprachen von insgesamt 24 Nummern geredet.  Zwanzig behandeln "Die lutherische Lehre von der Rechtfertigung."

        “Ein Vorteil dieser Auflage gegen die früheren ist, abgesehen von dem Typendruck, die vollständige Wiedergabe aller Zitate aus den Synodalberichten, an die sich die Vorträge anschliessen.  In den mimeographierten Vervielfältigungen waren nur die Bezugnahmen auf die zitierten Stellen angegeben.  Der Leser musste also die betreffenden Synodalberichte zur Hand haben und während des Lesens in diesen nachblättern.  Diesem Uebelstand ist jetzt durch das Ausdrucken der zitierten Stellen abgeholfen.

        “Und der Inhalt dieser Vorträge?  Darüber brauche ich nichts zu schreiben, denn erstens gehört vorliegendes Büchlein zu denen, die man nicht zu loben braucht, um Käufer für sie zu finden, und was man über Inhalt und Form der Ansprachen sagen könnte, tritt dem Leser unmittelbar entgegen, sobald er die ersten Abschnitte gelesen hat.  Wer das Buch aus der Hand legt, wird dessen froh geworden sein, dass die evangelisch-lutherishce Kirche gewiss, ja ganz gewiss die sichtbare Kirche Gottes auf Erden ist (und wer, der die Schwächen kennt, die unserer Kirche anhaften, brauchte nicht einmal wieder dieser Gewissheit froh zu werden?) und wird dann unter unvergleichlicher Führerschaft in das Herz des Christentums hineingeführt worden sein, nämlich in die Lehre von der Rechtfertigung eines Sünders vor Gott.

                                                Th. Graebner.

                                         Concordia-Seminar, St. Louis.


                        Vorträge.

                        

        DIE LUTHERISCHE LEHRE von der RECHTFERTIGUNG.

        Es ist in der heutigen Christenheit die Meinung weit verbreitet, dass es sehr schwierig sei, sich in der Theologie zurechtzufinden.  Diese Meinung ist so weit verbreitet, dass die meisten es heutzutage ganz in der Ordnung finden, dass nicht alle Christen im Glauben übereinstimmen.  Wenn wir sogenannten Missourier immer wieder betonen, dass alle Christen im Glauben einig sein sollen, so betrachtet man uns als Leute, die ganz überspannte Ideen hegen.

        Ist es nun wirklich so schwer, sich in der Theologie zurechtzufinden?  Ist es wirklich schier unmöglich, unter den vielen kirchlichen Gemeinschaften, welche allesamt das Prädikat "christlich" für sich in Anspruch nehmen, diejenige zu erkennen, welche in allen Stücken bei der Wahrheit bleibt?  Kann niemand mit völliger Gewissheit sagen: "Diese kirchliche Gemeinschaft bleibt völlig bei der Lehre des Wortes Gottes, jene aber weicht mehr oder weniger von der geoffenbarten Wahrheit ab?"  Steht es wirklich so, dass wir mit Cicero in den Tuskulanen sprechen müssen: Harum sententiarum, quae vera sit, deus aliquis viderit; quae verisimilis, magna quaestio est?

        Wenn es so stünde, dann würde ich Sie, meine teuren Freunde, die Sie Theologie studieren wollen, sehr bedauern.  Ja, dann würde ich Ihnen den Rat geben, dass Sie Ihre kaum geleerten Koffer noch heut abend wieder packen möchten, um morgen in aller Frühe abzureisen und diese Anstalt zu verlassen.  Denn wie könnte jemand Lust haben, sich mit der Theologie zu beschäftigen, also mit den Dingen, an denen das ewige Wohl und Wehe der Menschen hängt, wenn er sich von vornherein sagen müsste: "Was eigentlich geistliche Wahrheit sei, das kann man mit Sicherheit nicht erkennen.  Ich muss vielleicht Zeit meines Lebens auf dem Meere der Ungewissheit umherschiffen."

        Gott sei Dank, so steht es nicht!  Gott hat in seiner grossen Gnade für uns arme Menschenkinder besser gesorgt.  Er hat es so eingerichtet, dass wir gewisse, vollkommen gewisse, Tritte tun, dass wir uns in der Theologie durch Gottes Gnade sehr wohl, ja ganz leicht, zurechtfinden können.  Wie denn?  Nicht nur sind in Gottes Wort alle Lehren der christlichen Kirche in klaren stellen geoffenbart, sondern es steht auch eine Lehre so im Mittelpunkt aller Lehren, dass, wen jemand diese eine Lehre klar erkannt hat, er auch in den übrigen Lehren nicht mehr irren kann und wenn er ja zeitweilig aus Schwachheit irrt, er bei der rechten Belehrung


alsbald wieder zurechtkommen kann.  Welche Lehre ist die?  Das ist die Lehre von der Rechtfertigung.  Das ist die Lehre, dass ein Mensch nicht durch seine eigenen Werke, sondern allein aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde.  Dass in dieser einen Lehre die ganze christliche Lehre kurz zusammengefasst sei, das sagt die Heilige Schrift selbst.  Wenn der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther kurz den Inhalt der ganzen von ihm gepredigten Lehre angeben will, dann sagt er: "wir predigen Christum den Gekreuzigten," und im zweiten Kapitel: "Ich heilt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, ohne allein Christum den Gekreuzigten."  Damit sagt der Apostel: Christus der Gekreuzigte ist unsere Gerechtigkeit und unsere Seligkeit, und das ist Kern und Stern, die Summa der christlichen Lehre.  Alle anderen Lehren führen entweder zu dieser Lehre hin, oder aber sie folgen ohne weiteres aus derselben.  Zum Beispiel, wenn jemand glaubt, dass ein Mensch nicht durch seine Werke, sondern allein aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben gerecht und selig werde, so lehrt er auch recht von Christi Person und Werk.  Er glaubt nämlich, dass Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, durch sein stellvertretendes Leben, Leiden und Sterben allen Menschen Gerechtigkeit und Seligkeit erworben habe.  Wenn jemand glaubt, dass man allein aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben selig werde, so lehrt er auch recht von den Gnadenmitteln.  Er glaubt nämlich, dass die durch Christum erworbene Gnade durch die Predigt des Evangeliums und durch die Sakramente den einzelnen Menschen dargereicht und versiegelt werde, sodass sie vom Glauben in Empfang genommen werden kann.  Wer die Rechtfertigung aus Gnaden um Christi willen glaubt, der lehrt auch recht von der Bekehrung.  Er glaubt nämlich, dass die Bekehrung einzig und allein von Gottes Gnade in Christo abhänge, nicht auch zum Teil vom Verhalten, das heisst, von den guten Werken des Menschen.  Wer den Artikel von der Rechtfertigung festhält, der glaubt auch recht von der Kirche.  Er glaubt nämlich, dass die Kirche sei die Gemeinschaft der Gläubigen, die dafür halten, dass sie durch Christi Verdienst einen gnädigen Gott im Himmel haben.

        Wollen Sie daher durch Gottes Gnade mit Leichtigkeit sich in der Theologie zurechtfinden und immer das rechte Licht haben bei allem sich erhebenden Dunkel, so müssen Sie durch Gottes Gnade recht tief den Artikel von der Rechtfertigung ins Herz fassen.  Wenn Sie diesen Artikel recht verstehen, werden Sie auch rechtschaffene Diener der lutherischen Kirche werden.

        Damit Sie nun diese Zentrallehre des Christentums recht erfassen, so wollen wir in diesem Studienjahr in den Abendstunden uns einmal ausschliesslich mit dieser Lehre beschäftigen, und zwar auf Grund von Zitaten aus Luther und anderen rechtgläubigen Lehrern.  Sie finden diese Zitate zusammengetragen in einem gedruckten Referat, welches den Titel trägt: "Die lutherische Lehre


von der Rechtfertigung.    Ein Referat abgestattet für die Sitzungen der deutschen evangelisch-lutherischen Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten Westlichen Distrikts im Jahre 1859 zu Addison, Du Page County, ILL., nebst dem Protokoll der über dasselbe gepflogenen Verhandlungen."  Die Lehre von der Rechtfertigung ist in Bezug auf drei Punkte behandelt.

        I. Dass der evangelisch-lutherischen Kirche allein die reine Lehre von der Rechtfertigung anvertraut sei.

        II. Woher es komme, dass dies Bewusstsein vielfach selbst innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirche verschwunden ist.

        III. Was für Massregeln zu ergreifen seien, dies verschwundene Bewusstsein wieder zu erwecken.

I. Dass der evangelisch-lutherischen Kirche allein die reine Lehre von der Rechtfertigung anvertraut sei.

        Einleitend ist hier nur die Frage behandelt, para 1, dass die Lehre von der Rechtfertigung die WICHTIGSTE Lehre der ganzen Göttlichen Offenbarung sei, oder im Zentrum der christlichen Lehren stehe.

        So heisst es u. a. in dem 4. Artikel der Apologie der Augsburgischen Konfession von der Rechtfertigung:

                "Dieweil aber solcher Zank ist über dem höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, also dass an diesem Artikel ganz viel gelegen ist, welcher auch zu Klarem richtigen Verstande der ganzen heilegen Schrift vornehmlich dienet und zu dem unaussprechlichen Schatz und dem rechten Erkenntnis Christi allein den Weg weiset, auch in die ganze Bibel allein die Tür auftut, ohne welchen Artikel auch kein arm Gewissen einen rechten, beständigen, gewissen Trost haben oder die Reichtümer der Gnaden Christi erkennen mag: so bitten wir, Kaiserliche Majestät wollen von dieser grossen, tapferen, hochwichtigen Sache nach Notdurft und gnädiglich uns hören."

        Der erste in der Apologie hervorgehobene Punkt ist der, dass die Lehre von der Rechtfertigung der vornehmste Artikel der ganzen christlichen Lehre sei, der Artikel, durch welchen sich die christliche Religion von allen anderen sogenannten Religionen unterscheidet.  Der "Zank," wie es hier heisst, war ja zwischen Luther und der damaligen römischen Kirche.  Was lehrte denn diese von der Rechtfertigung?  Ungefähr folgendes: Der Mensch muss sich bemühen, durch seine eigenen Werke sich die Gnade Gottes zuwege zu bringen, und wenn ihm das nicht gelingen will - und das gelingt den meistern nicht -, dann muss er die Werke von anderen Menschen, sogenannten Heiligen, zu Hilfe nehmen.  Die römische Kirche lehrte also vor der Reformation, dass ein Sünder durch Menschenwerke gerecht und selig werden müsse.  Damit war die römische Kirche vom Christentum abgefallen.

        Wie viele Religionen gibt es eigentlich in der Welt?   Wenn


Sie gefragt werden: "Wie viele wesentlich verschiedene Religionen gibt es in der Welt?" dann ist die einzig richtige Antwort: Zwei, nur zwei, und nicht mehr.  Die einen lehren, dass der Mensch durch seine eigenen Bemühungen, durch seine eigene Anstrengung, kurz durch seine eigenen Werke sich die Gnade Gottes erwerben und ein "besseres Jenseits" erringen müsse.  Die anderen lehren: Es kommen bei der Frage nach der Seligkeit gar nicht die eigenen Werke des Menschen in Betracht, sondern der Mensch wird allein aus Gnaden durch fremde Werke, durch die Werke Christi, gerecht und selig.  Die letztere Religion ist die christliche, und in dem zuerst genannten Satz stimmen alle heidnischen Religionen, wie verschiedene Namen sie auch haben mögen, überein.  Darum heisst es in der Apologie der Augsburgischen Konfession in bezug auf den Artikel von der Rechtfertigung, dass er der höchste, vornehmste Artikel der ganzen christlichen Lehre sei.  Wer diese Lehre von der Rechtfertigung leugnet, der leugnet damit das ganze Christentum.  Wer diese Lehre preisgibt, hat das Christentum preisgegeben.

        Ein zweiter Punkt, auf den hier in der Apologie hingewiesen ist, ist der: Die Lehre von der Rechtfertigung dient zu klarem, richtigem Verstand der ganzen Heiligen Schrift.  Die Heilige Schrift selbst sagt, dass ihr eigentlicher Inhalt die Lehre von der Rechtfertigung sei.  Ich erinnere Sie an die Stelle Akt. 10: "Von diesem zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfahen sollen."  Anders ausgedrückt: Alle Propheten lehren, dass man durch den Glauben an Christum, und nicht durch seine eigenen Werke gerecht werden müsse.  Der Herr Christus selbst sagt, indem er die Juden auffordert, in der Heiligen Schrift zu forschen: "Sie ist 's, die von mir zeuget," nämlich von mir, als dem einigen Heiland der Menschen, dass die Menschen allein durch den Glauben an mich selig werden müssen.  So lange daher ein Mensch diese Lehre von der Rechtfertigung in der Schrift noch nicht gefunden hat, ist ihm die Schrift ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch.  Er versteht nichts von der Schrift und wenn er sie ganz auswendig könnte.  Da liest er zwar, dass ein Mensch an Christum glauben soll.  Er liest auch, dass die Kinder Gottes einen gottseligen Wandel führen müssen, und denkt dann: "Diese christliche Religion ist gerade so eine Religion wie die der Heiden und Weltweisen auch."  Die Anhänger des Confucius sagen, man müsse an Confucius glauben und gewisse Vorschriften befolgen, die er gegeben hat, dann kommt man in den Himmel.  Die Muhamedaner sagen, man muss an Muhamed glauben, ihn für den letzten Propheten halten und die Vorschriften befolgen, die im Koran enthalten sind, dann wird man selig.  So steht es mit der christlichen Religion auch.  In der Bibel steht, dass ein Mensch an Christum glauben und in einer gewissen Weise wandeln müsse.  Höchstens gibt man dies zu als eine Prärogative in der Bibel, dass da eine bessere, feinere Moral 


gelehrt sei, als in den andern Religionen.  Das ist freilich wahr.  Auch dadurch unterscheidet sich die Bibel von allen anderen Religionsbüchern, dass sie eine bessere Moral lehrt.  Die Bibel sagt nicht nur, dass unrechte Worte, Gedanken und Regungen vor Gott Sünde seien, sondern die Bibel erklärt auch, dass der sündlich Zustand des Menschen, in dem er geboren ist, vor Gott sündlich und verdammlich sei.  Aber doch ist das nicht das eigentlich Unterscheidende der Heiligen Schrift.  Nicht darin liegt das proprium der Heiligen Schrift, dass sie eine bessere Moral lehrt, sondern darin, dass die Heilige Schrift lehrt, dass ein Mensch überhaupt nicht durch seine Moral, sondern ganz umsonst, ganz abgesehen von seiner Beschaffenheit, von seinem Wandel, von seinen Werken, allein durch die Gnade, welche Christus mit seinem Leiden und Sterben erworben hat, gerecht und selig wird.  Wer dies nicht erkannt hat als das eigentliche Zentrum der Heiligen Schrift, der versteht eben noch nichts von derselben, dem ist sie noch ein gründlich verschlossenes Buch.  In diesem Sinn sagt die Apologie, stände der ganzen Schrift fürnehmlich dienet," und weiter unten, dass diese Lehre "in die ganze Bibel allein die Tür auftut."

        Ein Weiterer in der Apologie erwähnter Punkt ist der, dass man durch die Lehre von der Rechtfertigung zur rechten Erkenntnis Christi kommt.  Wer die Lehre von der Rechtfertigung nicht erkannt hat, der erkennt Christum auch nicht recht.  Da treten uns die Rationalisten entgegen und sagen: "Wir erkennen Christum recht.  Ja, wir haben die eigentliche Quintessenz aus der christlichen Religion gezogen."  Und wenn wir sie fragen: "Was wisst ihr eigentlich von Christo?"  dann sagen sie: "O, wir wissen von Christo, dass er ein überaus tugendhafter Mensch gewesen ist, der tugendhafteste und weiseste Mensch, der je gelebt hat, und wenn man nun diesem Weisen von Nazareth in der Tugend nachzuflogen sich bemüht, dann kommt man auch in den Himmel."  Das ist aber gar keine Erkenntnis Christi.  Einen solchen Christus hat es nie gegeben, der als ein blosser, wenn auch höherer Mensch uns mit seinem Wandel hätte wollen den Weg in dem Himmel zeigen.  Diese Rationalisten bekennen Christum nicht, sondern verleugnen ihn.

        Da treten uns ferner die Papisten entgegen und behaupten, die rechte Erkenntnis Christi zu haben.  Es sieht für die Unerfahrenen auch alles sehr christlich bei den Papisten aus.  In keiner Religionsgemeinschaft sind so viele Kreuze auf die Kirchen gesetzt, wie bei den Papisten; sie haben womöglich ein halbes Dutzend auf jeder Kirche.  Unter den Papisten sind auch viele Bilder von Christo verbreitet, auf welchen das Herz Jesu abgemalt ist.  Aber wenn auch die Papisten viel Kreuze auf ihren Kirchen haben, so kennen sie doch nicht den gekreuzigten Christum.  Wiewohl sie die eben beschriebenen Bilder vor Augen haben, so kennen sie doch das Herz Christi nicht.  Sie meinen, das Herz Christi


stehe so gegen die Sünder, dass es erst noch durch die Fürbitten der Jungfrau Maria und der anderen Heiligen den Sündern geneigt gemacht werden müsse.  Einen solchen Christus gibt es aber nicht.

        Da sind ferner die Synergisten. Die sagen : "Jawohl, wir werden aus Gnaden um Christi willen selig".  Aber das eigentlich Entscheidende, das Ausschlaggebende bei der Bekehrung und Seligkeit der einzelnen Menschen liegt doch in ihnen selbst. Die Gnade Gottes bringt sie an einen gewissen Punkt. Sind sie an diesem Punkt angelangt und entscheiden sie nun selbst fuer das Rechte, dann werden sie selig. So liegt nach der Lehre der Synergisten doch die Bekehrung und Seligkeit des Menschen schliesslich in dessen eigener Hand. Das ist aber keine rechte Erkenntnis Christi. Einen solchen Christus gibt es nicht, der uns nur eine halbe oder dreiviertel Gnade erworben haette. Nein, Christus macht uns ganz, nicht nur zum grössten Teil selig. Recht erkennen Christum nur diejenigen, welche in jeder Hinsicht festhalten : Wir werden bekehrt und selig allein aus Gnade um Christi willen. Der Mensch kann seine Bekehrung verhindern, das Heil von sich werfen, aber er kann sich nicht selbst fuer das Heil entscheiden. Die Entscheidung nach der rechten Seite hin muss immer die Gnade wirken. Es gibt nur zwei Ursachen der Seligkeit, naemlich Gottes Gnade und Christi Verdienst. Nicht ist mit diesen zwei Ursachen noch eine dritte zu verbinden, das gute Verhalten des Menschen, oder die guten Werke. - - Und nun noch ein letzter Punkt. Nur bei der rechten Lehre von der Rechtfertigung, sagt die Apologie, haben die Gewissen einen bestaendigen und gewissen Trost. Es hat kein Mensch die Gewissheit der Vergebung der Sünden, bis er glaubt, dass ihm die Suende ganz umsonst aus Gnaden um Christi willen vergeben werde.  Es koennte jemand einwerfen: Die meisten Menschen glauben ja nicht diese Lehre und doch bemerken wir an ihnen keine Trostlosigkeit.  Wir antworten: Jawohl, aber es kommt dies daher, dass in diesen Menschen noch gar nicht das Gewissen aufgewacht ist.  Die gehen noch in fleischlicher Sicherheit dahin.  Die haben noch nicht den Donner vom Berg Sinai gehoert.  Wem der Blitz von Sinai in die Augen geleuchtet hat, sodass er erkennt, wie er vor Gott aussieht, dass er naemlich ein Suender, ein von Gott gerichteter und verdammter Suender ist, der kommt dann nicht eher zum Frieden seines Gewissens, als bis er die Lehre von der Rechtfertigung erkannt hat, die Lehre, dass ein Suender umsonst, ganz abgesehen von seinen eigenen Werken, aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde. Das hat ja auch Luther erfahren. Wiewohl er ein vor der Welt ehrbarer Mensch war, so musste er doch verzweifeln.  Als das Gesetz Gottes sein Herz recht getroffen hatte, und er waere in dieser Verzweiflung untergegangen, wenn nicht eins geschehen waere, wenn nicht durch Gottes Fuehrung ein alter Klosterbruder ihn daran erinnert haette : "Es gibt eine Vergebung der Suenden," dh


Gott vergibt Suende umsonst aus Gnaden um Christi willen.  Als diese Worte vor Luthers Ohren erklangen und durch die Wirkung des Heiligen Geistes in seinem Herzen Wurzel gefasst hatten, da kam er zum Frieden kommen, nämlich durch die Erkenntnis der reinen Lehre von der Rechtfertigung.

                                             Zweiter Vortag.

        Als im Jahre 1776 die dreizehn Kolonien sich für unabhängig von England erklärten, da gab es in einer lutherischen Gemeinde in Virginia eine aufregende Szene. Der Pastor der Gemeinde, Peter Mühlenberg, ein Sohn des bekannten Heinrich M. Mühlenberg, zog seinen Talar aus und die Offiziersuniform an. Er sammelte ein Regiment, stellte sich an die Spitze desselben und zog in den Krieg. Aus dem lutherischen Pastor wurde im Laufe der Zeit ein General der Vereinigten Staaten von Amerika.

        Was haben wir von der Handlung Mühlenbergs zu halten? Der Pastor Mühlenberg hat nicht recht gehandelt. Nicht als ob das Kriegsdiensteleisten an sich ein sündlicher Beruf wäre, wie die Mennoniten meinen. Gottes Wort sagt gerade den Kindern Gottes: "Suchet der Stadt Bestes." Und wenn der Stadt oder des Landes Bestes nur durch einen gerechten Krieg gesucht werden kann, so können und sollen auch die Christen auf Befehl der Obrigkeit, welche Gewalt über sie hat, in den Krieg ziehen. Und doch ist, wie schon gesagt, der Schritt, den Pastor Mühlenberg tat, entschieden zu missbilligen.

        Wir erörtern hier nicht die Frage, ob die dreizehn Kolonien damals wirklich ein Recht hatten, die Waffen gegen England zu ergreifen. Die Erörterung dieser Frage gehört nicht hierher. Wir richten unsere Aufmerksamkeit nur auf die Frage: Sollte ein leisten in der Meinung, dass dies ein nützlicherer und Höherer Beruf sei? Diese Frage müssen wir entschieden verneinen.

        Das Predigtamt ist das Wichtigste, das nützlichste und das höchste öffentliche Amt, auch wichtiger, nützlicher als das Amt eines Offiziers. Denn wenn ein Offizier tut, was seines Amtes ist, so kann er für die Menschen leibliche Freiheit erkämpfen. Ein Prediger aber kann die Menschen zu geistlicher Freiheit bringen, zur Freiheit von Sünde und Tod. Ein Offizier kann vermöge seines Amtes das leibliche Leben Schützen und retten, ein Pastor kann durch sein Amt das geistliche Leben anzünden und erhalten, ohnes welches geistliche Leben das leibliche doch nur ein Tod ist .

        Aber wodurch ist denn nun das Predigtamt ein so wichtiges, nützliches Amt? Wodurch wendet das Predigtamt den Menschen


die höchsten Güter zu?  Wodurch bringst das Predigtamt den Menschen Befreiung von Sünde und Tod? Durch die Verkündigung der Lehre von der Rechtfertigung. Ja, die Lehre von der Rechtfertigung ist die Lehre, wodurch das Predigtamt das Köstlichste und wichtigste Amt wird. Hätten wir diese Lehre nicht, könnten wir der Welt nicht verkündigen: "Alle Menschen sind durch Christum mit Gott vollkommen versöhnt und wer es glaubt, ist in demselben Augenblick ein Kind Gottes, "hätten wir, sage ich, diese Lehre nicht zu verkündigen, dann könnte man es keinem Menschen so sehr  verdenken, wenn er keine sonderliche Lust zum Predigtamt hätte und dies Amt gelegentlich mit einem bürgerlichen Amt vertauschen wollte. Aber nun haben wir im Predigtamt die Lehre von der Rechtfertigung zu verkündigen. Nun ist das Predigtamt das Amt, welches die Versöhnung predigt, das heisst, die Versöhnung, welche durch Jesum Christum für alle Menschen zustande gekommen ist. Darum ist es nun nicht in der Ordnung, wenn ein Christ den Gott also geführt hat, keine Lust zum Predigtamt hat. Wenn wir nicht das Predigtamt als das höchste, wichtigste, köstlichste Amt ansehen, ja, wohl gar Unlust und Geringschätzung dem Predigtamt gegenüber empfinden, so kann das nur daher kommen, dass wir auf das Predigtamt im Unglauben, statt im Glauben schauen.

        Vertiefen wir uns daher weiter in die Lehre von der Rechtfertigung. Daraus wird Ihnen die rechte Lust und Freudigkeit zum Predigtamt kommen. Und wenn jemand den Versuch machen sollte, Sie, meine Freunde, dem Studium der Theologie zu entfremden - - - mag der Versuch von dem eigenen Fleisch oder von sogenannten Freunden ausgehen, - -- dann werden Sie dies als eine beabsichtigte Degradation ansehen, Sie werden vielmehr Ihrem Gott danken, dass er Sie gewürdigt hat, ihm gerade in diesem Amt hier auf Erden zu dienen. Vergegenwärtigen wir uns weiter die Wichtigkeit der Lehre von der Rechtfertigung. Es folgt ein Zitat aus den Schmalkaldischen Artikeln.

        So heisst es ferner in den Schmalkaldischen Artikeln von der Lehre von der Rechtfertigung:

                "Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden oder was nicht bleiben will. Denn es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch wir können selig werden, spricht Petrus Apost. 4, 12.  Und durch seine Wunden sind wir geheilet, Jes. 53, 5.  Und auf diesem Artikel stehet alles, das wir wider den Papst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum müssen wir dess gar gewiss sein und nicht zweifeln; sonst ist es alles verloren, und behält Papst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht."

        In diesen Worten liegt eine Aussage darüber vor, was es heisse, den Artikel von der Rechtfertigung lehren. Den Artikel von der Rechtfertigung predigen heisst predigen, dass man allein


durch Christum selig werde.  Wer neben Christo noch etwas anderes zum Grund der Seligkeit macht, der wirft die Lehre von der Rechtfertigung fort. Damit wirft er auch zugleich die Seligkeit fort. Denn die Schrift bezeugt: "Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name gegeben, darinnen wir sollen selig werden," und: "Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist." Hiermit ist auch schon die Frage beantwortet, ob man aus irdischen Rücksichten, zB um des leiblichen Friedens willen, im Artikel von der Rechtfertigung nachgeben könne. Da sagen wir: Nein! Nicht um des leiblichen Friedens willen, auch nicht um der ganzen Welt willen, können wir von diesem Artikel auch nur das Geringste nachlassen. Denn "was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?" Aber Schaden an seiner Seele nimmt jeder, jeder verliert seine Seele, der nicht den Artikel von der Rechtfertigung rein glaubt. Denn so sagt der Apostel: "Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch." Darum heisst es in unserem Bekenntnis:

                "Von diesem Artikel kann man nichts weichem oder nachgeben, es falle Himmel und Erden oder was nicht bleiben will. Denn es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch wir können selig werden, spricht Petrus Apost. 4, 12. Und durch seine Wunden sind wir geheilet, Jes. 53, 5."

        Zum Bekennen gerade dieses Artikels hat Gott uns Christen in die Welt gesetzt. Wir sollen durch diese Welt wandeln als Zeugen Jesu. Das ist unser Beruf. Ein Zeuge von Jesu sein , heisst aber, bezeugen, dass wir allein durch seinen Namen, sein Verdienst selig werden. Wer etwas anderes zum Grund der Gerechtigkeit und Seligkeit macht, ist nicht ein Zeuge, sondern ein Verleugner Jesu.

        "Und auf diesem Artikel stehet alles, das wir wider den Papst, Teufel und alle Welt lehren und leben."

        Achten Sie wohl auf diese Worte. Damit ist die Wahrheit ausgesprochen, dass die Lehre von der Rechtfertigung die eigentliche Position der christlichen Kirche sei der Welt, dem Teufel und allen falschen Lehrern gegenüber. Gibt die christliche Kirche diesen Artikel preis, dann gibt sie ihre Position auf. Will man die Position des Papsttums kurz angeben, so muss man sagen: Die position des Papsttums ist Leugnung der lehre von der Rechtfertigung. Im Papsttum wird eben gelehrt, dass man nicht allein aus Gnaden um des Verdienstes Christi willen, sondern auch durch seine eigenen Werke gerecht und selig werde. Dazu fügt der Papst noch den anderen Satz hinzu, dass er, der Papst, der Stellvertreter Christi auf Erden, Die Werke zu bestimmen habe, wodurch ein Mensch sich Gerechtigkeit und Seligkeit erwerben könne. Der Papst bestimmt denn auch die Werke. So laufen die Leute, deren


Gewissen vom Papst gefangen sind, in die Klöster.  Sie bemuehen sich mit Fasten, Wachen, Wallfahrten.  Sie stroemen zusammen zur Verehrung von Reliquien, Knochen, Kleidern usw..  Nach Trier pilgern in diesem Jahre (1891) grosse Scharen von Katholiken.  Warum?  Weil die Leute durch Verfuehrung des Papstes glauben, dass man auch durch Werke gerecht werden muesse.  Sobald dieser Wahn den Trierer Pilgern genommen wuerde, wenn den Trierer Pilgern die christliche Erkenntnis kaeme:  "Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Suende"; "So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben"; "Der Gerechte wird seines Glaubens leben", - -  dann wuerden sich die Strassen von Trier viel schneller leeren, als sie sich gefuellt haben.  Trier wuerde bald oede und verlassen dastehen.  So ist die Werklehre die Position, das Leben, das treibende Motiv, das Prinzip im Papstum.  Wenn der Papst seine Werklehre aufgaebe, dann waere es mit seinem Wesen aus; dann koennte er bald am Vatikan einen Zettel anbringen mit der Aufschrift: "For Rent".  Weil wir die Werklehre als die Position des Papsttums erkennen, so muessen wir dem gegenueber an der Position der christlichen Kirche festhalten, naemlich an der Lehre von der Rechtfertigung.  Wollen wir das Papsttum bekaempfen,

so muessen wir dies tun durch Bezeugung der Lehre, dass ein Mensch allein aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben gerecht und selig wird.  Halten wir nicht an dieser Lehre dem Papsttum gegenueber fest, fallen wir von der Gnade auf die Werke, lehren wir auch, dass der Mensch nicht allein aus Gnaden um Christi willen, sondern auch durch eigenes Tun selig werde, dann sollen wir dem Papst gegenueber den Mund halten, dann stehen wir im papistischen Lager. - - Des Teufels Position ist Leugnung der Lehre von der Rechtfertigung.  Die Heilige Schrift offenbart uns, dass die Kirche auch einen furchtbaren unsichtbaren Feind hat.  Das ist der Teufel mit seinen Engeln.  Das hoellische Heer, die hoellischen Pforten stuermen immerfort gegen die christliche Kirche an.  Nun ist der Teufel ein schlauer Geist; er kennt wohl das Zentrum der christlichen Position.  Er weiss, dass das die Lehre von der Rechtfertigung ist.  Darum sucht er der Kirche vor allen Dingen diese Lehre zu entreissen; den es mag in der Kirche äusserlich noch so "christlich" zugehen, gelingt es dem Teufel, die Lehre von der Rechtfertigung zu faelschen, so hat er gewonnenes Spiel.  Denn jeder, der nicht glaubt, dass Christus allein sein Heiland sei, der hat den seligmachenden Glauben verloren.  Darum gilt es, dem Teufel mit den rechten Waffen entgegenzutreten.  Wollen wir diesen furchtbaren Feind recht bekaempfen, dann muessen wir immerfort die Lehre von der Rechtfertigung bezeugen.  Durch diese Lehre wirkt der Heilige Geist den Glauben an Christum, uns versetzt er aus dem Reich des Teufels in das Reich des Sohnes Gottes.  Ja, wenn auch alle anderen Lehren äusserlich beibehalten werden, aber die Lehre von der Rechtfertigung verloren geht, dann haben wir


von der christlichen Lehre nur noch die Huelse; der Kern ist fort.  Was hilft es uns, zum Beispiel, wenn wir sagen: Der wahre Gott ist ein dreieiniger Gott?  Haben wir nicht mehr die Lehre von der Rechtfertigung, dann koennen wir nicht zu diesem wahren Gott kommen.  Was hilft es uns, wenn wir noch äusserlich festhalten, dass Christus wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren sei, wenn wir nicht mehr die Lehre von der Rechtfertigung glauben, das heisst, nicht mehr glauben, dass wir durch des menschgewordenen Gottes Sohnes stellvertretendes Leben, Leiden und Sterben einen gnaedigen Gott haben, - wir müssten trotz dieser äusseren rechten Erkenntnis von der Person Christi ewig verloren gehen.  Was hilft uns die rechte Lehre von den Sakramenten, zum Beispiel, dass im Abendmahl Christi wahrer Leib und Blut dargereicht und empfangen werde, wenn wir nicht die Lehre von der Rechtfertigung haben, wenn wir nicht mehr glauben, Christi Leib und Blut werde uns gereicht zur Vergebung der Suenden um Christi willen.  Dann wuerden wir aus unserem Abendmahlsgang ein äusserliches Werk machen. - - Auch die Position der Welt ist Leugnung der Lehre von der Rechtfertigung.  Wenn es hoch kommt mit der Religion der Welt, so lautet sie: "Durch ein ehrbares Leben kommt man in den Himmel".  Dagegen sagt nun die Heilige Schrift und bezeugen wir auf Grund der Heiligen Schrift den Ungläubigen: "Euer ehrbares Leben ist wohl ganz gut, hat seinen grossen Wert vor Menschen, aber vor Gott zum Seligwerden taugt es nicht.  Vor Gott ist der ehrbare Weltmensch gerade so verloren und verdammt als der groebste Suender".  Und wenn nun der Welt, die auf ihr ehrbares Leben eingebildet ist, bezeugt wird, was der Herr Christus den selbstgerechten Pharisäern bezeugt: "Die Zoellner und Huren moegen wohl eher ins Himmelreich kommen, denn ihr", dann laesst die Welt ihren Spott aus gerade gegen diese Lehre von der Rechtfertigung; dann will die Welt nichts mehr von uns wissen, bis das natuerliche Herz durch Wirkung des Heiligen Geistes erleuchtet wird.  Es darf uns nicht wundern, dass das Papsttum so viele Anhaenger findet.  Die Papstreligion ist eine Religion der Welt, nur äusserlich etwas christlich verbraemt.  Das Papsttum lehrt wie die Welt: "Auch Menschenwerke dienen dazu, sich einen gnaedigen Gott zu verschaffen".  So duerfen wir nicht aufhoeren, der Welt gegenueber die Lehre von der Rechtfertigung zu bezeugen.  Wollten wir der Welt nicht mehr diese Lehre bezeugen, dann waeren wir dummgewordenes Salz.

        So schreibt ferner vorerst Luther in seinen Privatschriften, naemlich in einem Schreiben an Johannes Brentius:

                "Solche Gabe Gottes aber, so vornehmlich in dir vor andern ist, habe ich sonderlich lieb und ehre sie, dass du die Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens in allen deinen Buechern so treulich und rechtschaffen treibst.  Denn dieser Punkt ist das Hauptstueck und der Eckstein,


        der allein die Kirche Gottes gebieret, staerket, erbauet, erhaelt und schuetzet und ohne den kann die Kirche Gottes nicht eine Stunde bestehen; wie du selber, lieber Brenz, wohl weisst und dess mit mir eins bist und derhalben um dieser Ursache willen solchen Artikel also gewaltiglich treibest.  Denn es kann auch keiner in der Kirche etwas rechtschaffen lehren oder einigem Widersacher wohl widerstehen, der dies Stuecke oder (wie es St. Paulus 2 Tim 4, 3 nennet) die gesunde, reine Lehre nicht recht gefasset hat oder, wie Paulus selbst spricht, ueber der Lehre nicht festhaelt." (XIV, 191. 192. )

        Ein Doppeltes wollen wir uns durch diese Worte vor Augen fuehren lassen.  Es heisst hier: Der Artikel von der Rechtfertigung gebiert und erhaelt die christliche Kirche.  Die christliche Kirche sind die Gläubigen.  Was glauben aber die Gläubigen?  Dass es einen Gott gibt?  Jawohl, das glauben sie, aber das glaubt auch die Welt!  Dass es einen Gott gibt, weiss jeder Mensch von Natur.  Wirkliche Atheisten gibt es nicht.  Besteht der Glaube der Christen etwa darin, dass Gott ein gerechter Gott ist, der das Gute belohnt und das Boese bestraft?  Freilich, das glauben sie auch; aber das glaubt auch die Welt.  Beweis dafuer ist das boese Gewissen, das sich auch bei Weltmenschen findet, wenn sie sich in den meisten Faellen auch schaemen, dies zu bekennen.  Was glauben denn eigentlich die Christen?  Was glauben sie, wodurch sie sich von der Welt unterscheiden?  Sie glauben, dass sie durch Christi Verdienst einen gnaedigen Gott im Himmel haben.  Das unterscheidet die Christen von der Welt!  Wie entsteht aber dieser Glaube?  Aus der Predigt des Evangeliums, aus der Predigt von der Rechtfertigung.  So sehen Sie, wie Luther schreiben kann: "Dieser Punkt ist das Hauptstueck und der Eckstein, der allein die Kirche Gottes gebieret, staerket, erbauet, erhaelt und schuetzet".  Wollen wir hierzulande die Kirche Gottes behalten und ausbreiten, so kann es auf keine andere Weise geschehen als durch die Predigt von der Rechtfertigung.  Wenn Sie nun, so Gott will, nach Vollendung ihres Studiums hinausgehen und die Lehre von der Rechtfertigung predigen, dann werden Sie auch durch Gottes Gnade die Kirche bauen.  Nicht durch Ihre Kunst, nicht durch Ihre Weisheit, sondern dadurch, dass Sie die Lehre von der Rechtfertigung bezeugen.  Durch die Predigt dieser Lehre wird ein jeder von Ihnen Seelen selig machen.  Darum sehen Sie zu, dass Sie diese Lehre recht verstehen und ins Herz fassen.  Endlich heisst es noch: "Ohne diesen Artikel kann die Kirche Gottes nicht eine Stunde bestehen".  Was soll das heissen?  Bedenken Sie, die christliche Kirche ist nicht ein äusseres Gebäude.  Gebäude kann man bauen und erhalten ohne die Lehre von der Rechtfertigung.  Die christliche Kirche ist auch nicht eine bloss äusserliche Versammlung von Leuten.  Es gibt viele äusserliche Versammlungen, die sich christlich nennen, ohne dass in denselben die Lehre von


der Rechtfertigung herrschte.  Die Kirche sind diejenigen, in deren Herzen durch Wirkung des Heiligen Geistes der Glaube ist: Wir haben durch Christum einen gnädigen Gott.  Sobald dieser Glaube im Herzen eines Menschen ist, tritt derselbe in die christliche Kirche ein.  Sobald dieser Glaube im Herzen eines Menschen verlischt, tritt er aus der Kirche aus.  Dass es jetzt eine christliche Kirche auf Erden gibt, kommt daher, dass es durch Wirkung des Heiligen Geistes ueberall auf Erden, nur Gott bekannt, Menschen gibt, in deren Herzen diese Ueberzeugung herrscht: Wir haben durch Christum Gottes Gnade. --- Angenommen es gaebe in diesem Augenblick keinen Menschen mehr auf Erden, in dessen Herz diese Ueberzeugung herrschte, so haette die christliche Kirche zu existieren aufgehoert.  So sagt Luther: "Ohne den kann die Kirche Gottes nicht eine Stunde bestehen".

                        Dritter Vortrag.

Alle Parteien behaupten von dem Predigtamt in ihrer Mitte, dass es zu Gottes Ehre gereiche.  Der Papst behauptet, dass er sein Reich in magnam Dei gloriam aufgerichtet habe und dass die von ihm bestellten Priester Gottes Ehre auf Erden foerdern.  Auch die Calvinisten behaupten, dass ihre Sonderlehre von der Praedestination zur Verdammnis zu Gottes Ehre gereiche, naemlich zur Verherrlichung seiner Souveränität, seiner absoluten Macht.  Auch die Synergisten treten mit der Behauptung auf, dass sie mit ihrer Lehre von dem guten Verhalten als dem ausschlaggebenden Faktor bei der Bekehrung und Seligkeit, sich der Ehre Gottes annehmen, naemlich der Ehre, dass Gott unparteiisch sei und jedem nach seinem "Verhalten" gebe.

Aber diese alle irren.  Sie lassen sich die Ehre Gottes nicht von der Heiligen Schrift definieren, sondern machen sich eine Ehre Gottes nach ihren eigenen Gedanken zurecht.  Was zunaechst die Calvinisten betrifft, so ist es ja wahr, dass schliesslich auch die Verdammnis der Verlorengehenden zur Ehre Gottes gereichen muss, naemlich zur Verherrlichung seiner Strafgerechtigkeit.  Durch die Verdammnis der Ungläubigen liegt es dann tatsaechlich vor Augen, dass alle diejenigen verloren gehen, welche im Unglauben Christum als ihren Heiland zurueckgewiesen haben.  Aber Gott will nicht so geehrt sein, dass er die Suender ob ihrer Suenden verdammt, sondern so, dass er alle Suender um Christi willen selig macht.  Was die Papisten betrifft, so lehren diese, dass Gott den Menschen aus seinen eigenen Werken rechtfertige und selig mache.  Aber so will Gott nicht geehrtr sein, sondern eine andere Ehre Gottes ist in seinem Wort geoffenbart.  Nach der Heiligen Schrift ist die rechte Ehre Gottes die, dass er ohne die Werke des Menschen


allein aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig macht. Die Synergisten lehren, dass Gott zwar viel, aber nicht alles bei der Bekehrung tue, dass der Mensch selbst durch sein Verhalten den Ausschlag gebe zur Bekehrung und zur Erlangung der Seligkeit.  So will Gott wiederum nicht geehrt sein, sondern Gottes Ehre ist die, dass wir bekennen: Er wirket in uns ganz allein das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen, unsere Bekehrung und Seligkeit steht ganz und gar in Gottes Hand und nicht auch in unserer Hand.

        Wie muss daher die Predigt beschaffen sein, durch welche Gott wahrhaft geehrt wird, so geehrt, wie er nach seinem Wort von uns geehrt sein will?  Die Predigt muss dieses Inhalts sein: Gott vergibt Suenden aus Gnaden um Christi, seines Sohnes, willen.  Rechtfertigung und Seligkeit stehen weder ganz noch zur Haelfte noch zum tausendsten Teil auf des Menschen Werk und Wuerdigkeit.  Mit anderen Worten: Gott wird allein recht geehrt durch die Predigt der Lehre von der Rechtfertigung.  Wenn Sie die Lehre von der Rechtfertigung recht predigen, dann gereicht Ihr Dienst Gott wahrhaft zur Ehre, dann wird in der Kirche, in welcher Sie einst predigen werden, recht gesungen: Allein Gott in der Höh sei Ehr.  Dann ist die Kirche, in welcher Sie predigen, wahrhaft ein Tempel Gottes, in welchem Loblieder zum Preise Gottes erschallen, wie sie Gott angenehm sind.  Hingegen predigen Sie nicht die Lehre von der Rechtfertigung, dann werden Sie Gott verunehren und wenn es äusserlich noch so "kirchlich" in der Gemeinde zugeht.  Wie wichtig also fuer Sie, dass Sie die Lehre von der Rechtfertigung in allen Punkten scharf auffassen!  Beschaeftigen wir uns daher weiter mit der Lehre von der Rechtfertigung.  

        Ferner schreibt hiervon Luther ueber 1 Mos. 21,17:

                "Dieses ist der höchste Artikel unseres Glauben.  Wenn man nun denselben entweder hinwegnimmt, wie die Juden tun, oder aber verfaelschet, wie die Papisten, so kann weder die Kirche bestehen, noch Gott seine Ehre behalten.  Welche Ehre die ist, dass er gnaedig und barmherzig ist und dass er uns um seines Sohnes willen die Suende vergeben und uns selig machen will." (I, 2163)

Auch die Welt, weil sie noch weiss, dass es einen Gott gibt, urteilt darueber, wodurch Gott geehrt werde.  Sie meint, der jenige lebe Gott zu Ehren, welcher es sich recht sauer werden lasse, Gottes Wohlgefallen sich zuwege zu bringen.  Daher macht auch die Möncherei und Nonnerei der Papstkirche auf die Welt noch immer einen gewaltigen Eindruck.  Möncherei und Nonnerei sperren, wie Luther sagt, der Welt das Maul auf.  Mönche und Nonnen scheinen sichs recht sauer werden zu lassen, in den Himmel zu kommen, und davor hat die Welt Respekt.  Und doch, wie steht 's vor Gott?  Es steht so nach Gottes Wort, dass jedes Werk, welches in der Meinung getan wird, Gottes Gnade und den Himmel sich zuwege zu bringen, eine Schändung Gottes ist, eine


Schändung Christi des Heilandes.  Jedes Werk in der Meinung getan, sich den Himmel zu erwerben, ist ein Schlag ins Angesicht Christi des Heilandes.  Denn dann wird tatsächlich geleugnet, dass Christus mit seinem Blut uns Gottes Gnade und den Himmel erworben habe.  Und so ist es in Bezug auf alle Werke, die in der Meinung getan werden, sich dadurch den Himmel zu erwerben.  Wenn jemand Almosen gibt, vor der Welt rechtschaffen lebt, in die Kirche und zum Abendmahl geht in der Meinung, sich durch diese Werke ein Anrecht an dem Himmel zu erwerben, der handelt gottlos.  Denn er erklärt damit tatsächlich: "Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, ist nicht der einzige Heiland, sondern unsere Werke sind auch Heiland".  Ja, die mit des Gesetzes Werken umgehen, das heisst, die Werke tun, in dem Sinn, sich dadurch Gottes Gnade zuwege zu bringen, sind Götzendiener.  Sie verehren nicht den einigen, wahren Gott, der sich uns in Christo Jesu offenbart hat.  Denn dieser Gott ist ein solcher, der nur um Christi willen, abgesehen von der Würdigkeit oder Unwürdigkeit des Menschen, den Himmel gibt.  Alle, welche zwar mitten in der Christenheit leben, aber sich doch den Himmel mit ihren Werken erwerben wollen, sind gerade so blind wie die blindesten Heiden.  Sie beten einen Götzen an, einen Gott, den es garnicht gibt.  Denn ein solcher Gott, der auf Grund der Werke rechtfertigt und selig macht, existiert nicht.  Der wahre Gott rechtfertigt und macht selig um Christi willen.  Sie sehen, wie viel daran liegt, dass die Lehre von der Rechtfertigung rein gepredigt und geglaubt werde.  Wenn die Lehre von der Rechtfertigung recht gepredigt wird, dann ist der rechte Gottesdienst da.  Wird diese Lehre nicht gepredigt, so ist Götzendienst da, so wird der wahre Gott verleugnet.  Nicht nur diejenigen kennen Gott nicht, welche ausserhalb der äusseren Christenheit leben, sondern auch diejenigen leben ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt, welche meinen, sie müssten mit ihren Werken vor Gott Gnade erlangen.  Der Papist, welcher seinen Papismus wirklich glaubt, ist gerade so weit von der rechten Erkenntnis Gottes entfernt als irgend ein Heide.  Ein Papist, der sein ganzes Leben hindurch es sich sauer werden lässt, in der Meinung, damit den Himmel zu stürmen, ist ebenso vom Himmel ausgeschlossen, als der blinde Heide, welcher einen Götzen, aus Stein oder Holz gemacht, anbetet.

        Luther schreibt weiter zu Jes. 53,4:

                "So lange die Kirche diesen Artikel bekennet hat, ist sie im Glauben geblieben; und der Glaube ist zu einer Zeit heller, zu einer andern dunkler gewesen.  Er spricht selber Matth 28,20: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende; ohne diesen Artikel stehet die Kirche nicht.  Mahomet hat zwar die Kirche verwüstet und der Papst die Lehre vom Glauben verdunkelt, aber wo dieser Artikel geblieben ist, daselbst hat Gott seine Kirche erhalten". (VI, 1156)


        Der Gradmesser für den Stand der Kirche ist die Lehre von der Rechtfertigung.  Wo diese Lehre durch das Predigtamt öffentlich im Schwange geht,da mag die Kirche äusserlich in ganz bedrängten Umständen sich Befinden, da mögen zum Beispiel die Christen äusserlich verfolgt werden, sodass sie nur des Nachts in Höhlen sich zum Gottesdienst versammeln können: dennoch steht es in der Kirche gut. Weil die Lehre von der Rechtfertigung gepredigt wird, so werden Gott fort und fort geistliche Kinder geboren. Dagegen steht es schlecht in der Kirche, wenn die Lehre von der Rechtfertigung nicht mehr öffentlich im Schwange geht, sondern nur nebenbei, gelegentlich einmal, sozusagen im Winkel, verkündigt wird. Das ist zum Beispiel im  Papsttum der Fall. Durch die doctrina publica des Papsttum wird die Lehre von der Rechtfertigung geleugnet, und insofern kann im Papsttums kein Mensch zum Glauben kommen und selig werden. Aber nun wird im Papsttum zufällig, gelegentlich auch noch einmal das Evangelium laut, wenn zum Beispiel Abschnitte aus der Heiligen Schrift und unter diesen auch evangelische Worte vorgelesen werden. Durch dieses zufällige Predigen des Evangeliums können Einzelne zum Glauben kommen und im Glauben bleiben, indem der Heilige Geist die Seelen bewahrt, dass der herrschende papistische Irrtum nicht im Herzen haftet. Unter dem Papsttumkann ein Mensch sozusagen nur nebenbei, im Winkel, ein Kind Gottes und selig werden. Das ist ein Kläglicher Stand der Kirche. Dagegen hat die Kirche dort ganz aufgehört zu existieren, wo weder öffentlich noch auch privatim die Lehre von der Rechtfertigung bekannt wird.  Da fehlt gänzlich der Same, aus dem die Kinder Gottes geboren werden.  Denn der Glaube an Christum, den einigen Sünderheiland, entsteht nur wo die Predigt dieses Inhalts erschallt.  Bei uns steht es jetzt, bei allen Schwächen und Gebrechen in unserem Kirchenwesen, durch Gottes Gnade gut, sehr gut.  Denn alle unsere Prediger predigen die Lehre von der Rechtfertigung.  Gott erhalte uns diese Gnade!  Gott gebe uns Gnade, dass wir dieses Artikels nicht überdrüssig werden, sondern ihn Tag und Nacht an uns selbst erleben, um ihn dann auch anderen mit rechter Begeisterung predigen zu können.

        Luther sagt noch, dass durch diesen Artikel Christus bei seiner Kirche wohne.  Wie ist das zu verstehen?  Christus ist ja allgegenwärtig; er ist überall, im Himmel und auf Erden, nach seiner Machtwirkung.  Bei seiner Kirche hingegen ist er in Gnaden gegenwärtig.  Christi Gnade aber hat die Kirche nur durch das Evangelium, durch die Lehre von der Rechtfertigung.  Wo Werke gelehrt werden, nämlich als Grund der Rechtfertigung und Seligkeit, da ist Christus nicht mit seiner Gnade, sondern da ist das Gesetz mit seinem Fluch und seiner Verdammnis, wie Gal. 3,10 geschrieben steht: "Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch".  Soll daher Christus in Gnaden bei uns bleiben, da müssen wir das Evangelium, die Lehre von der Rechtfertigung, rein erhalten.


        Ferner 1531 in seiner "Warnung an seine lieben Deutschen":

                "Diesen Artikel wollen sei ( die Papisten ) schlecht nicht leiden ; so koennen wir sein nicht geraten. "

        Hier ist der eigentliche Gegensatz zwischen dem Papsttum und der lutherischen Kirche ausgedrueckt. Die Papisten koennen den Artikel von der Rechtfertigung nicht leiden und wir Lutheraner koennen diesen Artikel nicht entbehren. Das Papsttum als solches ist eine ausdrueckliche Negation des Artikels von der Rechtfertigung. Es lehrt diesen Artikel nicht, sondern verflucht ihn auch ausdruecklich als Irrlehre. In den Beschluessen des tridentinischen Konzils heisst es, dass alle diejenigen verflucht sein sollen, welche lehren, dass ein Suender gerecht werede allein durch Vergebung der Suenden um Christi willen. Sodann ist das ganze Wesen des Papsttums auf die Verdraengung der Lehre von der Rechtfertigung angelegt. Moencherei, Nonnerei, Fasten. Wallfahrten, Messe lesen, Busswerke von Priestern auferlegt: alles hat den Sinn: Der Mensch muss durch seine Werke gerecht und selig werden. -- Bei uns Lutheranern ist gerade das Gegenteil der Fall. Wir bekennen die Lehre von der Rechtfertigung als die Zentrallehre des Christentums. "so halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben": darauf ist das ganze lutherische Kirchenwesen gebaut. Wir schaerfen zwar auch mit allem Ernst die guten Werke ein. Wir sagen, dass ueberall, wo mder wahre Glaube ist, auch die guten Werke sich befinden muessen. Aber wir halten dabei fest, dass kein gutes Werk in Betracht kommt bei der Frage, wie ein Mensch vor Gott gerecht und selig werde. Die protestantischen Sekten werfen uns Lutheranern vor, dass wir noch " katholische Tendenzen " haetten. Wenn wir sie um eine Begruendung ihres Vorwurfs bitten, sagen sie: "Ihr habt an euren Pastoren Chorrocke, in den Kirchen habt ihr Altaere Kruzifixe und Leuchter. Auf euren Kirchen stehen Kreuze. Ihr habt die Privatbeichte, was doch wohl so viel ist, wie die papistische Ohrenbeichte," usw.   Est ist kindisch, so zu reden. Denn gerade wir Lutheraner stehen im ausgesprochensten Gegensatz zum Papsttum. Die protestantischen Sekten dagegen zeigen bei naeherer Pruefung eine ganz bedenkliche Verwandtschaft mit dem Papsttum, und zwar gerade in Bezug auf den Hauptpunkt der christlichen Lehre, in Bezug auf die Lehre, wie man vor Gott gerecht wird. Nicht nur die Unitarier lehren ein Seligwerden durch menschliche Tugenduebung, sonder auch unter den Kongregationalisten, Baptisten, Methodisten und auch unter den Presbyterianern gibt es veile, welche auf die Frage, was eigentlich die Summa des Christentums sei, antworen: Keep the commandments.

        Luther schreibt weiter:  

                “Denn wo der Artikel weg ist, so ist die Kirche weg und mag keinem Irrtum widerstanden werden, weil ausser diesem Artikel der Heilige Geist nicht bei uns sein


        will und kann, denn er soll uns Christum verklären.  Ueber diesem Artikel ist die Welt so oft zu Scheitern gangen durch Sündflut, Wetter, Gewässer, Krieg und alle Plagen.  Ueber diesem Artikel ist Abel erwürget und alle Heiligen, und müssen auch alle Christen drüber sterben".

        Wir haben vorhin gesehen, dass Christus ohne das Evangelium, oder ohne die Lehre von der Rechtfertigung nicht in Gnaden gegenwärtig ist.  Ohne diese Lehre ist aber auch der Heilige Geist nicht bei uns.  Was soll das heissen?  Wirkt nicht der Heilige Geist durch jedes Wort Gottes, also auch durch das Wort des Gesetzes?  Allerdings.  Auch das Gesetz ist ein Instrument des Heiligen Geistes.  Dass das Wort des Gesetzes das sichere Menschenherz zerschlägt, wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst, kommt daher, dass der Heilige Geist in den Worten des Gesetzes wirksam ist.  Aber durch das Wort des Gesetzes wirkt der Heilige Geist nur am Herzen des Menschen, kommt er nicht in das Menschenherz hinein, wird das Menschenherz nicht eine Wohnstätte des Heiligen Geistes.  Letzteres geschieht einzig und allein durch die Predigt des Evangeliums, durch die Predigt von der freien Gnade Gottes in Christo Jesu, wie der Apostel den Galatern zuruft: "Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke, oder durch die Predigt vom Glauben", das heisst, durch die Predigt der Lehre von der Rechtfertigung?  Ja, da wo die Lehre von der Rechtfertigung geglaubt wird, ist der Heilige Geist ins Herz eingekehrt.  Da ist das Menschenherz eine Wohnung des Heiligen Geistes geworden.  Hiernach kann jeder prüfen, ob er ein Wiedergeborener, ein bekehrter Mensch sei.  Wenn jemand sagen kann: "Ich glaube das Evangelium von der gnädigen Vergebung der Sünden", in dessen Herz wohnt der Heilige Geist, der ist wiedergeboren.  Wer das nicht von sich sagen kann, wer in seinem Sündenelend nicht allein auf Gottes Gnade in Christo vertraut, der ist noch kein Wiedergeborener.  Durch den Artikel von der Rechtfertigung, durch das Evangelium wirkt der Heilige Geist geistliches Leben, und auf keine andere Weise.  Wollen Sie daher einst das Werkzeug Gottes sein, rechtes geistliches Leben in Ihren Gemeinden zu wirken, dann müssen Sie dies tun durch treue Predigt der Lehre von der Rechtfertigung.  Durch die Predigt des Gesetzes kann niemand zum geistlichen Leben kommen.  Wohl ist die Predigt des Gesetzes nötig.  Sie muss der Predigt des Evangeliums vorausgehen.  Aber geistliches Leben kann einzig und allein durch die Predigt des Evangeliums gewirkt werden.

        Weiter schreibt Luther:

                “Ueber diesem Artikel ist die Welt so oft zu Scheitern gangen, durch Sündflut, Wetter, Gewässer, Krieg und alle Plagen.  Ueber diesem Artikel ist Abel erwürget und alle Heiligen, und müssen auch alle Christen drüber sterben".


        Alle, welche noch ein Fuenklein christlicher Erkenntnis haben, geben zu, dass Gott ueber die Welt seine Strafgerichte kommen laesst, weil die Welt die Offenbarung Gottes verachtet. Was ist aber das Zentrum der Offenbarung Gottes? Dies, dass Gott seinen Sohn hat Mensch werden lassen und um seines menschgewordenen Sohnes willen den Menschen die Suenden vergibt. Wegen der Verachtung der lehre von der Rechtfertigung laesst daher Gott seine Strafgerichte ueber die Welt ergehen. --- Aber wie ist dies zu verstehen: " Ueber diesem Artikel ist Abel erwuerget und alle Heiligen und muessen auch alle Christen drueber sterben." Wo steht etwas davon in der Schrift, dass Abel wegen des Artikels von der Rechtfertigung ermordet worden sei? Es steht wahrlich da! Sehen wir nur genau zu. Kain und Abel brachten beide dem Herrn Opfer dar. Kains Opfer gefiel Gott nicht, Abels Opfer gefiel ihm. Weshalb? Abel brachte sein Opfer in frommer, kindlicher Gesinnung, aus Dankbarkeit gegen Gott dar; Kain tat aeusserlich dasselbe Werk, aber in Muerrischem Geist, als ein Werkheiliger. Aber handelte also mit Gott als ein durch den Glauben an die Rechtfertigung bereits Gerechtfertigter; Kain dagegen als ein solcher, der erst durch sein Werk sich Gottes Gnade erwerben wollte. Als Kain nun sah, dass er mit seiner Weise keinen Erfolg hatte, dass er Gott nicht angenehm war durch das blosse aeusserlich Werk, da wurde sein Herz mit Hass gegen Abel erfuellt. So ist Abel wirklich als ein Bekenner der Lehre von der Rechtfertigung gestorben. Im Ebraeerbrief heisst es ausdruecklich: " Durch den Glauben hat Abel Gott ein groesser Opfer getan, denn Kain."So mordet das Papsttum, wie die Offenbarung ausdruecklich bezeugt, " die Zeugen Jesu," das heisst, diejenigen, welche glauben, dass sie durch Christum vor Gott gerecht und selig werden.

                                                          Vierter Vortag.

        Wodurch ist ein Mensch ein Christ? Was macht das Wesen eines Christen aus? Auf diese Frage muessen Sie sich eine klare, bestimmte Antwort geben koennen. Denn das heilige Predigtamt, auf welches Sie sich vorbereiten, hat keinen anderen Zweck als den, aus Menschen Christen zu machen. So ist es klar, dass Sie das heilige Predigtamt nur dann recht verwalten koennen, wenn Sie klar erkannt haben, wodurch eigentlich ein Mensch ein Christ sei. Wuerden Sie das Wesen Eines Chrisyen nicht klar erkannt haben, so wuerden Sie bei der Verwaltung des Predigtamtes im dunkeln tappen. So wenig ein Baumeister ein Gebaeude auffuehren kann, von derm er gar keinen Begriff hat, so wenig kann durch den Dienst eines Predigers ein Mensch ein Christ werden, wenn der Prediger selbst nicht erkannt hat, wodurch eigentlich ein Mensch ein Christ sei. Also, wodurch ist ein Mensch ein Christ?


        Es hat zu allen Zeiten Leute gegeben, und es gibt deren zu unserer Zeit sonderlich viele, welche sagen: "Ein jeder ehrbare Mensch ist ein Christ".  Das ist eine heidnische Antwort.  Denn äusserlich ehrbar leben kann auch der Heide auf Grund der natürlichen Gotteserkenntnis.  Gottes Wort aber sagt von allen Heiden, nicht nur von den offenbar ruchlos lebenden, sondern auch von den ehrbaren Heiden, dass sie Gott nicht erkennen, dass sie ohne Gott und ohne Hoffnung in dieser Welt leben.  Noch andere sagen: "Freilich, nicht jeder ehrbare Mensch ist ein Christ, wohl aber jeder wohltätige Mensch".  Wenn sie daher Leute an sogenannten philanthropischen Bestrebungen sich beteiligen, Wohltätigkeitsanstalten, zum Beispiel Waisenhäuser, errichten und unterstützen sehen, dann sagen sie: "Das sind Christen, die haben den Geist des Christentums erfasst, die leben wirklich im Sinne Christi".  Auch das ist heidnisch geredet.  Denn Werke der Wohltätigkeit tun - das vermögen auch Heiden auf Grund des natürlichen Mitleids.  Viele Heiden haben solche Werke getan und tun sie noch.  Es kann jemand alle seine Habe den Armen geben, es kann jemand Millionen für Waisenhäuser hinterlassen und doch weit vom Himmelreich entfernt sein.

        Wollen Sie eins nicht vergessen, sondern stets sich gegenwärtig halten: Werke machen überhaupt nie einen Menschen zum Christen, auch nicht die in der rechten Gesinnung getanen Werke, auch nicht die wahren Christenwerke.  Freilich alle Christen tun gute Werke.  Die guten Werke lassen sich vom Christentum so wenig scheiden, wie Luther sagt, wie das Leuchten und das Wärmen sich vom Feuer scheiden lässt.  In den Herzen der Christen ist die Liebe, die Liebe zu Gott und zum Nächsten und die Liebe wird sich auch jederzeit in Werken kundtun.  Gute Werke sind ganz notwendig mit dem Christenstande verbunden.  Durch die guten Werke wird auch den Christen selbst und anderen Menschen der Glaube offenbar.  Diese guten Werke gefallen auch Gott wohl.  Gott will auch die guten Werke der Christen mit einem ewigen Lohn krönen.  Luther sagt, er wolle das geringste seiner Werke nicht hergeben um die Welt.  Die Welt verbrennt am jüngsten Tage.  Aber die guten Werke folgen den Christen nach in die Ewigkeit.

        Und doch alle in der rechten Gesinnung getanen Werke, alle Gott wohlgefälligen Werke, alle Werke, die Gott belohnt, machen dicht das Wesen des Christentums aus.  Aller Werke müssen wir geschweigen, wenn gefragt wird: "Wodurch ist eigentlich ein Mensch ein Christ?"

        Ja, wodurch ist eigentlich ein Mensch ein Christ?  Luther sagt: "Ein Christ ist ein Christ von Christo".  Ein Christ ist jemand durch die Zuversicht des Herzens, dass er durch Christum, als seinen Heiland, einen gnädigen Gott habe.  Wer sich als einen verdammungswürdigen Sünder erkannt hat und dennoch glaubt, dass Gott ihm um Christi willen gnädig sei, der ist ein Christ.  Das


Trauen des Herzens auf die Gnade Gottes in Christo macht das Wesen des Christen aus. Wo diese Zuversicht des Herzens ist, da ist Christentum.  Wo diese Zuversicht des Herzens mangelt, wo man sich nicht auf Christi Verdienst, sondern auf die eigenen Werke verlässt, da ist kein Christentum.  Oder noch anders ausgedrückt: Ein Mensch ist ein Christ dadurch, dass er die Lehre von der Rechtfertigung glaubt.

        So wissen Sie denn, was Sie zu predigen haben, wenn Sie den Zweck des Predigamtes erreichen, wenn Sie Menschen zu Christen machen wollen.  Die Lehre von der Rechtfertigung muss Kern und Stern sein ihrer Oeffentlichen Predigt und auch der Bezeugung des Worts im Privatverkehr.  Wir wollen aus daher weiter in diese Lehre vertiefen.

        Ferner zu Jes 42,22:

                "Derowegen soll man den Artikel von der Gerechtfertigung, welchen wir heutzutage allein lehren, fleissig lernen und behalten".

        Luther sagt von dem Artikel von der Rechtfertigung, dass denselben er und die Seinen zu jener Zeit allein lehrten, naemlich voellig rein.  So muessen wir auch zu unserer Zeit bekennen.  Nur die treuen Lutheraner lehren den Artikel von der Rechtfertigung ganz rein.  Dass der Papst den Artikel von der Rechtfertigung nicht lehre, liegt auf der Hand.  Er lehrt ausdruecklich, dass man nicht allein durch die Gnade Gottes in Christo, sondern auch durch eigene Werke, die er die eingegossene Gnade nennt, selig werde, und darauf ist das ganze Papsttum zugeschnitten.  Des Papsttums Fundament ist die Werklehre.  Sobald der Papst diese Lehre aufgeben wuerde, wuerde das ganze Gebäude des Papsttums zusammenstuerzen.  Ferner liegt es auf der Hand, dass diejenigen unter den Sekten, welche das "die Gebote halten" fuer die Quintessenz der christlichen Religion erklaeren, auch die Lehre von der Rechtfertigung nicht erkennen.  Aber lehren diesen Artikel nicht doch die besseren unter den Sekten?  Es ist ganz unmoeglich, dass die reformierten Sekten den Artikel von der Rechtfertigung rein lehren, solange sie die Gnadenmittel leugnen.  Die Sekten alle miteinander leugnen ja, dass die Gnade Gottes gegeben werde durch das äusserliche Wort, die Predigt des Evangeliums und durch die Sakramente.  Sie sagen, es waere zu mechanisch und noch ein Ueberbleibsel vom Papsttum, dass man sich die Gnade Gottes durch äussere Wort und die Sakramente wolle geben lassen.  Aber wie kommt es denn nun zu stehen, wenn man sich nicht durch das objektive Wort Gottes, durch die objektiven, von Gott gestifteten Sakramente, sagen lassen will, dass Gott uns gnaedig sei?  Dann muss man zum Gradmesser der Gnade Gottes die gratia infusa machen, das, was die Gnade gewirkt hat im Menschen, kurz, die gute Beschaffenheit des Menschen.  So wird die gute Beschaffenheit des Menschen zum Gradmesser der Gnade Gottes gemacht, und damit ist die Lehre von der Rechtfertigung dahingefallen.  Freilich, viele Tausende,


ja, viele Millionen unter den Sekten glauben die Lehre von der Rechtfertigung.  Ja, alle Christen auf dem weiten Erdboden, moegen sie unter dem Papsttum oder unter den Sekten sich befinden, glauben den Artikel von der Rechtfertigung.  Dadurch sind sie ja Christen.  Aber so glauben sie trotz der bei ihnen im Schwange gehenden Irrlehre.  Unter den Lutheranern lehren nur diejenigen die Lehre von der Rechtfertigung rein, welche wirklich bei der Lehre der Kirche der Reformation bleiben.  Die synergistischen Lutheraner Zum Beispiel haben durch ihre Irrlehre den Artikel von der Rechtfertigung aufgegeben.  Wenn jemand lehrt, dass ein Mensch bei der Hervorbringung seines Glaubens mitwirke, dann kann er nicht mehr lehren, dass die Rechtfertigung aus Gnaden um Christi willen geschehe.  Wenn er dann auch sagt:  "Allein durch den Glauben" wird der Mensch gerecht und selig: er hat ja bereits den Glauben selbst zu einem halben Menschenwerk gemacht und so lehrt er ein Gerechtwerden und Seligwerden durch Menschenwerk.  Der Synergismus ist der Todfeind der reinen Lehre von der Rechtfertigung.  Wollen wir den Fundamentalartikel des Christentums, die Lehre von der Rechtfertigung, festhalten, so duerfen wir nicht den Synergismus unter uns aufkommen lassen.  Wenn die amerikanisch - lutherische Kirche der Versuchung erlegen waere, den Synergismus hier einzufuehren, dann haette hierzulande die Kirche der Reformation in ihrer Reinheit zu existieren aufgehoert.  Gott hat die Kirche in Gnaden vor dieser Gefahr bewahrt.

        Weiter sagt Luther:

                "Denn wenn wir diesen verloren haben, so werden wir keiner Ketzerei, keiner falschen Lehre, wenn sie auch noch so laecherlich und eitel waere, widerstehen koennen; wie es unter dem Papsttum hergegangen ist, da wir solche Dinge gegläubet haben, deren wir uns anjetzo schaemen und die uns gereuen".

        Luther spricht hier den Gedanken aus:  Hat man die Lehre von der Rechtfertigung preisgegeben, dann kann man sich keines Irrtums mehr erwehren, auch nicht des unsinnigsten und laecherlichsten.  Das liegt in der Natur der Sache, und das beweist die Geschichte.  Warum liegt es in der Natur der Sache?  Wenn ein Mensch nicht Heil in Christo gefunden hat und er gibt sich doch noch mit religiösen Dingen ab, er will noch selig werden, dann macht er sich selbst auf die Suche, sich das heil zu erwerben.  Dabei verfaellt er auf die verschiedensten Werke, je nach seiner natuerlichen Veranlagung und nach seiner Umgebung.  Da wollen zum Beispiel, ich denke an Indien, die einen sich fleissig waschen oder baden.  Andere erwaehlen das Entgegengesetzte, sie wollen sich garnicht waschen, sondern lassen sich von Ungeziefer peinigen und hoffen auf diese Weise Gott naeherzukommen.  Die einen lassen sich eine Platte scheeren oder glatt rasieren; andere wieder lassen Haare und Naegel wachsen.  Die einen wollen das Endziel mit Sauersehen erreichen; wiederum andere versuchen es, immer froehlich und


heiter zu sein und es so zum Ziel zu bringen.  So sucht der Mensch, wenn er selber die Seligkeit sich erwerben will, die verschiedensten und laecherlichsten Mittel.  Luther erinnert hier an das, was ihm selber im Papsttum passiert ist.  Er sagt: "Da wir solche Dinge gegläubet haben, deren wir uns anjetzo schaemen und die uns gereuen".  Luther nennt wieder holt als ein solches Ding, dessen er sich spaeter schaemt, das Messelesen.  Das ist allerdings etwas, was dem Christentum gerade ins Angesicht schlaegt,.  Da stellt sich ein Priester hin, verrichtet seine Messzeremonien, und das soll nun nicht nur Abwesenden, sondern auch Toten zugute kommen.  Woher dieser Irrtum?  Nun, man erkennt nicht die Lehre von der Rechtfertigung.  Man weiss nicht, dass Christus mit einem Opfer die Suenden aller Menschen gesuehnt hat, und dass die Suehne allen denen zugute kommt, die sie auf Grund des Evangeliums glauben, dass es daher nicht einer "unblutigen" Wiederholung des Opfers Christi beduerfe.  Luther erinnert ferner daran, dass unter dem Papsttum Leute, welche gewiss selig werden wollten, Bestimmung trafen, dass sie in einer Moenchskutte begraben wuerden.  Woher dieser laecherliche Irrtum?  Weil man nicht die Lehre von der Rechtfertigung erkannte.  Man wusste nicht, dass Christus mit seinem Leiden und Sterben fuer alle Menschen ein Kleid der Gerechtigkeit gewoben hat, das alle anziehen, die Christum als ihren Heiland im Glauben ergreifen.

                "Christi Blut und Gerechtigkeit,

                Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,

                Damit will ich vor Gott bestehn,

                Wenn ich zum Himmel werd eingehn".

        Wer so spricht auf Grund einer rechten evangelischen Erkenntnis, der kann natuerlich nicht auf den laecherlichen Irrtum verfallen, sich zur Erlangung der Gerechtigkeit vor Gott in einer Moenchskutte begraben zu lassen.  Luther nennt ferner den Ablass als etwas, was der Lehre von der Rechtfertigung diametral entgegengesetzt sei.  Der Papst oder die von ihm Beauftragten geben Ablasszettel aus, und wer sie erwirkt, dem werden auf so und so viel Jahre die Suenden vergeben, deren Strafe sonst der Mensch selbst tragen muesse.   Woher dieser Wahn der Papisten?  Weil sie die Lehre von der Rechtfertigung nicht erkennen.  Man kennt den Ablass Christi nicht.  Man weiss nicht, dass Christus allen Menschen vollkommenen Ablass erworben und im Evangelium auch publiziert hat, und dass jeder, der das Evangelium glaubt, Vergebung der Suende habe.  Luther denkt auch wohl an die Dinge, die er in Rom getrieben hat.  In Rom wurde und wird die sogenannte Pilatusstiege gezeigt, einen Stiege, die von dem Richthaus des Pilatus nach Rom gebracht sein soll und vom Papst mit Ablass bedacht worden war.  Wer diese Stiege auf den Knien hinaufrutsche, dem werde auf so und so viele Jahre Ablass zuteil.  Luther wollte sich diesen ablass auch sichern.  ER wollte sich alle geistlichen Wohltaten zuwenden, deren man in Rom habhaft werden konnte.  


Freilich wurde er, wie berichtet wird, durch einen evangelischen Spruch in seiner falschen Andacht gestoert.  Gerade als er dabei war, in der eben beschriebenen Weise sich die Stiege hinauf zu bemuehen, fiel ihm das Wort ein:  Der Gerechte wird seines Glaubens leben.  Da soll er aufgesprungen und die Stiege in der allgemein ueblichen Weise hinaufgegangen sein.  Luther weist ferner hin auf den Reliquienschwindel.  Der Reliquienschwindel bluehte freilich ganz besonders zu Anfang des 16 Jahrhunderts.  Ich erinnere Sie an eine Stelle aus Guerickes Kirchengeschichte, die Ihnen schon bekannt sein wird.  Daselbst werden die Reliquien beschrieben, ueber welche der Kardinal Albrecht in Halle verfuegte.  Der Kardinal hatte folgenden Reliquienschatz:

                "25 Partikel vom brennenden Vusche Mosis, Stuecke von dem Altar, darauf der heilige Johannes fuer Marien Messe gelesen, von dem Felde, da Adam Busse getan, vom Steine, da Maria zum Himmel gefahren (neben anderen Stuecken von dem Steine, darauf sie im Grabe gelegen), von Rinden, darauf Christus mit blossen Knien gebetet, vom Damascenischen Acker, davon Gott den Menschen erschaffen, von der Arche Noä, vom Steine, den Moses geschlagen,; und daraus Wasser geflossen, Reste von dem Heu, darauf das Christkind gelegen, vom Weihrauch und Myrrhen der heiligen drei Koenige, von dem Wein, den Christus aus Wasser gemacht, vom Tischtuch, welches er am Abendmahl gebraucht, ein Pfennig aus den dreissigen, darum Christus, das unschuldige Laemmlein, verkauft worden ist, elf ganze Dornen und vier andere Stuecke von seiner Dornenkrone, achtmal vom Haar der Jungfrau Marie, fuenfmal von ihrer Milch, fernher vom Hemd Mariä, darin sie Christum geboren, ein Finger St Johannis des Täufers, damit er Jesum gezeigt und gesprochen: das ist Gottes Lamm; ein ganzer Finger St Thomä, damit er Christo in seine Seite gegriffen, ein halber Kinnbacken mit 4 Zaehnen von St Paulo, auch 5 Partikel von seinem heiligen Blut der Stein, damit St Stephanus getoetet, ein ganzer unverweseter Körper von einem der unschuldigen Kindlein" usw, usw "Summa Summarum alles hochlobwuerdigen (Hallischen) Heiligtums" 8133 Partikel und 42 ganzer heiliger Körper; "macht der Ablass neun und dreissig tausend mal tausend, zwei hundert mal tausend, fuenf und vierzig tausend, hundert und zwanzig Jahr, zweihundert zwanzig Tage." (II, 6.)

        In Schaffhausen zeigte man sogar den Atem des heiligen Joseph, von Nikodemus in seinem Handschuh aufgefasst; im Wuerttembergischen sah man eine Schwungfeder aus einem Fluegel des Erzengels Michael.  Diese laecherlichen Dinge trieb man, weil man nicht wusste und nicht glaubte, dass man durch Christum Vergebung der Suenden habe.  Man wollte Vergebung der Suenden durch das Wallfahrten zu diesen Reliquien und durch das Anruehren derselben erlangen.  Der Reliquienschwindel wuerde sofort aufhoeren, sobald die rechte Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung in die Gewissen kaeme.  Wir duerfen aber nicht meinen, dass dies papistische Unwesen aufgehoert habe.  Wir duerfen nicht denken, unser Jahrhundert mit seiner Bildung treibe nicht mehr so laecherliche Dinge.  Unser Jahrhundert mit aller seiner Bildung treibt den laecherlichsten Reliquienschwindel.  Das haben wir dies


Jahr (1891) in Trier erlebt.   Nach Trier, zu dem sogenannten heiligen Rock, sind in einigen Wochen beinahe 2 Millionen Menschen gewallfahrtet.  Es sind auch mehrere Tausend Amerikaner nach  Trier gepilgert.  Weshalb?  Der Papst hatte die Pilgerfahrt nach Trier mit einem "vollkommenen Ablass" bedacht.  Diesen Ablass wollten die Leute sich durch die Wallfahrt und wo moeglich durch die Beruehrung der Reliquien sichern.  Es scheint, als ob gerade in diesem erleuchteten neunzehnten Jahrhundert der Papst so recht  der Welt spotten wollte.  Das Papsttum treibt seinen Greuel ärger als zuvor, und doch bleiben Millionen und aber Millionen -- unter ihnen auch gebildete Leute -- unter dem Papsttum gefangen.  Windhorst war gerade so gut ein geistlicher Gefangener des Papstes, als der unwissendste katholische Arbeiter.  Es bleibt dabei, wie Luther sagt in diesem Zitat:

                "Denn wenn wir diesen verloren haben, so werden wir keiner Ketzerei, keiner falschen Lehre, wenn sie auch noch so laecherlich und eitel waere, widerstehen koennen; wie es unter dem Papsttum hergegangen ist, da wir solche Dinge gegläubet haben, deren wir uns anjetzo schaemen und die uns gereuen."

        Noch ein Beispiel aus unserer Zeit.  Im Jahre 1888 wurden in Aachen Reliquien gezeigt.  Darueber berichteten wir in "Lehre und Wehre," 1888, S. 230.  Da gewahren Sie genau denselben Unfug, den man im 16 Jahrhundert trieb.  In demselben Jahre, 1888, fand sie sogenannte Springprozession zu Echternach statt.  Das ist auch eine sogenannte religiöse Uebung, wodurch die Menschen sich einen geistlichen Segen zuwenden wollen.  Hierueber findet sich eine ausfuehrliche Mitteilung in "Lehre und Wehre", 1888, Seite 232.  Die Springprozession ist von einem Augenzeugen beschrieben:  "Schon bei der Einfahrt in den Bahnhof sehen wir grosse Volksmassen in den engen Strassen auf - und niederwogen, und unsere des Staubes entwoehnte Kehle erbangt vor der Staubwolke und vor der bei solchen Menschenanhäufungen in Glutsonnenhitze unvermeidlich entstehenden Atmosphaere, die es nun einzuatmen gilt.  --  Unkundige moechten meinen, es handle sich hier um einen wichtigen Kram - und Vieh - Markt, wie sie in so manchen kleinen Staedten Deutschlands als Mittelpunkte der Volksbelustigung grosse Anziehungskraft auf das Landvolk auszuüben pflegen.  Aber ein Blick aus einer der Nebenstrassen auf die Hauptstrasse zeigt uns ein wunderliches Schauspiel und -- belehrt uns eines Besseren.  Ziemlich unreine Polkamusik, auf schlechten Instrumenten hervorgebracht, schlaegt an unser Ohr.  Was ist das?  Haben etwa schon am fruehen Morgen die Tanzlokale der unverwuestlichen Tanzlust ihre Pforten aufgetan, oder sollen unermuedlich sich drehende Karussels uns Schwindel bereiten?   Nein, auf der Strasse zieht ein Dorfmusikkorps daher, und unbedeckte Häupter von Maennern und Frauen sehen wir wie Meereswellen aufund niedersteigen.  Die Leiber, auf denen sie sitzen, werden dem


Blick noch durch eine undurchdringliche Mauer von Zuschauern verborgen, welche die etwa 4 - 6 Mann starken Glieder auf beiden Seiten der Strasse umgibt.  Wir treten unter die Zuschauer, den Hut auf dem Kopfe, denn - bei dieser Prozession  ueben die Katholiken eine ihnen sonst ungewohnte Toleranz. Wir schauen zu.  Da tanzen Vaeter vorueber, die Kinder an der Hand, alte Mütterchen mit weissen Häubchen auf dem spaerlichen grauen Haupthaar, derbe vierschrotige Bauernburschen in blauen Blusen und zarte, schwaechliche Maedchengestalten.  Jetzt kommt eine Reihe junger Maedchen oder Frauen heran in der Bluete der Jahre.  Der Schweiss laeuft ihnen in Stroemen vom Kopf, die Haare flattern wirr, sie achten es nicht, sie tanzen ernst und fanatisch Hand in Hand nach dem Klange der greulichen Polkamusik, 5-7 Schritt vor und 4-6 Schritt zurueck in dichtgedrängten Reihen.  Aus dem Fenster eines Hauses an der Kirche schauen gutmuetige Nonnengesichter wohlgefaellig laechelnd auf sie herab. Und hier und da steht ein Priester, entblössten Hauptes, mit andaechtigem, freudestrahlendem Antlitz" -- da bluehte naemlich sein Weizen.

        Der Berichterstatter schliesst seinen Bericht mit den Worten: "Wir sagen, Gott sei Dank! und wollen Gott bitten, dass er auch dieses Aergernis bald aus unserer Kirche tilgen moege!"  Das wird nicht sobald geschehen.  Dieses Greuel wird bleiben, solange der Antichrist bleibt und solange es ihm gelingt, die Leute von der Erkenntnis abzuhalten, dass sie allein aus Gnaden um Christi willen einen gnaedigen Gott im Himmel haben.  Wir aber wollen Gott danken, dass er uns vom Papsttum und von allem, was damit verbunden ist, erloest hat, und dabei nie vergessen, dass  wir nur dann sicher sind vor dir Verfuehrung des Papsttum, wenn wir durch Gottes Gnade an der Lehre von der Rechtfertigung festhalten.

                        Fuenfter Vortrag.

        Viele Wege haben nach Rom, das heisst, in die Gemeinschaft der roemischen Kirche, gefuehrt.  August den Starken von Sachsen trieb dorthin das Verlangen, Koenig von Polen zu werden, und auch die Meinung, dort bei ungebrochenem Herzen leichter Ablass fuer seine Fleischessuenden zu erlangen.  Geldverlegenheit und die Aussicht auf die Verheiratung mit einer reichen Erbin fuehrte einst den Herzog Karl Alexander von Wuerttemberg Rom in die Arme.  Kuenstlerische Interessen vermochten einen Winkelmann, der um keine Religion etwasgab, sich äusserlich Rom anzuschliessen.  Leute wie Graf Stolberg, Friedr Schlege, Zacharias Werner wurden durch die Romantik oder Sentimentalitaet in die Weihrauchsatmosphaere Roms gefuehrt.  Ganz heruntergekommene Charaktere wie Ida Gräfin Hahn-Hahn haben noch zuletzt äusserlich in Rom


einen Halt gesucht.   In gaenzlicher Verzweiflung an der Erkenntnis der Wahrheit haben noch andere sich schliesslich Rom zugewandt, in der Meinung, es sei am sichersten, es mit dem grossen Haufen zu halten, Rom sei aber eine grosse, in sich einige, Kirche.

        Aber durch eins wird  der Weg nach Rom gruendlich verbaut.  Durch die Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung.  Wer zur Erkenntnis seiner Suenden und auch zur Erkenntnis des Evangeliums von der gnädigen Vergebung der Suenden um Christi willen gekommen ist, der geht nicht nach Rom, sondern der flieht und verabscheut Rom wie Gift und Pestilenz. Denn das Wesen der roemischen Kirche besteht ja gerade in der Negation der Wahrheit, dass die Suender allein durch Christi Verdienst selig werden, in der Negation der Wahrheit, durch welche allein Suender in den Himmel kommen koennen.  Auf einen Christen, der in der klaren Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung steht, macht auch der äussere Glanz Roms nicht mehr einen verlockenden, sondern vielmehr einen durchaus abschreckenden Eindruck.  Ein solcher erkennt naemlich in dem äusseren Glanz Roms den in der heiligen Schrift geweissagten Hurenschmuck, mit welchem das Papsttum, die grosse geistliche Hure, die Voelker an sich zieht.  In der äusseren geschlossenen Einheit Roms erkennt er nur einen festgeschlossenen Bund wider die seligmachende Wahrheit.  Die Kirchelichkeit, die äussere Heiligkeit, der Weihrauchduft, mit welchem Rom sich umgibt, erkennt er als die Huelle, hinter welcher der Fuerst der Finsternis, der Feind der Kirche, sein Wesen treibt.  Die Wohltaetigkeitsanstalten.  Waisenhäuser, Hospitaeler, durch welche Rom sich als Menschenfreund vor aller Welt darzustellen sucht, erkennt er als ebensoviel geistliche Menschenfallen, durch welche die armen Opfer zwar äusserlich versorgt, aber dabei ewig in die Hoelle gefuehrt werden. Denn an all diesen Staetten werden die armen Seelen nicht zu Christo, sondern von Christo weg auf ihre eigenen Werke und auf die Werke der Heiligen und somit in die ewige Verdammnis gefuehrt.  So sehen wir, die wahre Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung schuetzt vor dem Abfall zu Rom.  Rom treibt auch noch zu unserer Zeit sein Verfuehrungswerk, sonderlich auch in unserem Lande.  So ist es denn von der grössten Wichtigkeit, dass Sie, die Sie einst Prediger werden wollen, selbst recht gewappnet werden Rom gegenueber und somit auch andere vor Rom bewahren koennen.  Das geschieht durch allseitige Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung.  Wir wollen heute weiter hoeren, was Luther ueber die Wichtigkeit dieses Artikels sagt.

        Wir hatten uns zuletzt nach Luther vergegenwaertigt, dass man ohne die Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung keines Irrtums, auch nicht des laecherlichsten, sich erwehren koenne.  So ist nun aber auch das Gegenteil wahr.  Wenn die Lehre von der Rechtfertigung von uns erkannt wird, so sind wir sicher vor Ketzerei.  Warum?   Wer die Lehre von der Rechtfertigung im


Glauben angenommen hat, in dessen Herz wohnt der heilige Geist, und wo der heilige Geist wohnt, da ist ein Mensch so gesinnt, dass er spricht: "Rede, Herr, denn dein Knecht hoeret.  Lass mich dein Wort hoeren und ich will es im Glauben annehmen".  Wo es aber so steht, da kann man von der Wahrheit nicht mehr abweichen.  Denn aller Abfall von der Wahrheit kommt lediglich daher, dass man Gottes Wort nicht hoert.  Man koennte hier die Frage aufwerfen:  Kann denn ein Christ gar nicht irren?  Jawohl, ein Christ kann irren, doch nicht in Grundartikeln, und sonderlich nicht im Artikel von der Rechtfertigung.  Wir sind ja Christen dadurch, dass wir glauben, wir haben um Christi willen einen gnaedigen Gott im Himmel. Fallen wir von dieser Lehre ab, dann hoeren wir auf, Christen zu sein.  Die Christen sind solche Leute, welche durch Glauben an Christum selig werden wollen.  Wo dieser Glaube erlischt, da hoert eo ipso das Christentum auf.  Solange jemand ein Christ ist, kann er auch nicht in den Artikeln irren, welche dieser Lehre zur unmittelbaren Voraussetzung dienen, wie die Lehre von der Person Christi, von dem dreieinigen Gott usw.  Wer zum Beispiel nicht glaubt, dass Christus Gottes Sohn sei, kann auch nicht glauben, dass er durch Christum einen gnaedigen Gott habe.  Freilich ein Christ kann zeitweilig in solchen Artikeln irren, welche mehr auf der Peripherie der christlichen Lehre liegen.  Auch das ist nichts Gleichgiltiges.  Damit suendigt der Christ; denn jedes Abirren von der Wahrheit ist Suende und bedarf der Vergebung der Suenden.  Aber solange jemand den Artikel von der Rechtfertigung glaubt, so lange hat er einen gnaedigen Gott und so werden ihm auch die Suenden des Irrtums vergeben.  Sodann steht es also: Ein Christ, der aus Schwachheit in gewissen Stuecken irrt, tritt alsbald von dem Irrtum ab, sobald ihm Gottes Wort entgegengehalten wird.  Das ist gewiss wahr!  Dass so viele Christen in falschgläubigen Kirchen bleiben, kommt daher, dass ihnen die Wahrheit aus Gottes Wort nicht klar und deutlich vorgestellt wird und somit nicht zum Bewusstsein kommt.  Sobald ein Christ erkennt, dass er sich in irgend einem Stuecke in Widerspruch mit Gottes Wort befindet, tritt er von dem Irrtum ab, verlaesst die irrgläubige Gemeinschaft und begibt sich zur rechtgläubigen Kirche.  

        Ferner in den Tischreden:

                "Dies ist der fuernehmste Artikel der ganzen christlichen Lehre, naemlich wie wir selig werden".

        Die meisten hier beruehrten Punkte haben wir schon ausfuehrlich besprochen.  Der Artikel von der Rechtfertigung beantwortet ganz direkt die Frage:  Wie werde ich selig?  Er antwortet darauf:  Durch den Glauben an Christum.  Alle anderen Artikel beantworten diese Frage nur insofern, als sie der Lehre von der Rechtfertigung zur Grundlage und Voraussetzung dienen.  Zum Beispiel der Artikel von der Person Christi beantwortet  nicht an sich die Frage:  Wie werde ich selig?  Ich kann wissen:  Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch und doch noch nicht wissen,


wie ich selig werde.   Aber sobald ich diesen Artikel in Beziehung bringe zu der Lehre von der Rechtfertigung, dann beantwortet auch dieser Artikel die Frage: Wie werde ich selig?  Wenn ich naemlich sage: Christus ist wahrer Mensch, damit er fuer mich Suender eintreten konnte mit seinem Leben, Leiden und Sterben, und Christus ist wahrer Gott, damit sein Leben, Leiden und Sterben genugtuend waere fuer mich und fuer die ganze Welt, dann beantwortet auch dieser Artikel die Frage nach der Seligkeit, aber nur in Verbindung mit der Lehre von der Rechtfertigung.

                "Auf diesen sollen alle theologische Disputationes sehen und gerichtet werden".

        Dieser Artikel ist der einzig richtige Endzweck aller theologischen Disputationen, Schriften und Predigten.  In der Kirche disputieren, schreiben und predigen, sie nur zu dem Zweck, um den Artikel von der Rechtfertigung an den Mann zu bringen.  Wir sagen vieles, was nicht die Lehre von der Rechtfertigung ist.  Aber bei allem haben wir diese Lehre vor Augen.  Wir predigen das Gesetz.  Zu welchem Zweck?  Um die Zuhoerer dadurch selig zu machen?  O nein!  Um die Zuhoerer durch die Predigt des Gesetzes zur Erkenntnis der Suende zu fuehren.  Wenn Sie diese Vorarbeit getan haben, dann kommen Siezu Ihrer eigentlichen Arbeit.  Dan verkündigen Sie die Gnade Gottes in Christo: dadurch sollen Sie die Menschen selig machen.  -- Hier stehen wir auch im Gegensatz zu der modernen Theologie.  Diese gibt eine andere Zweckbestimmung fuer die theologischen Disputationen und alle theologischen Schriften.  Die modernen Theologen sagen:  Der Prediger auf der Kanzel mag sein Absehen darauf richten, die Menschen selig zu machen, aber der Theologe als solcher hat noch eine ganz andere Aufgabe, naemlich die, "den Erkenntnistrieb der Christen zu befriedigen," die einzelnen christlichen Lehrartikel "mit der Vernunft und dem menschlichen Wissen zu vermitteln".  Aber wir wollen von dieser Zweckbestimmung der Theologie nichts wiesen.  Man will durch dieselbe die Theologie heben, aber tatsaechlich degradiert man sie dadurch.  Die Theologie ist nur dadurch eine so herrliche "Wissenschaft," die Wissenschaft, dass sie diesen Endzweck hat: Durch das Lehren des Evangeliums.  Suender selig zu machen.  Was nicht diesem Endzweck dient, ist nicht theologisch.

        Behalten Sie das auch fuer das Studium der Theologie im Auge.  Sie muessen ja mancherlei lernen.  Aber all diese einzelnen Dinge werden durch einen Endzweck zusammengehalten und zu einer festen Einheit verbunden:  Sie sollen einst Leute selig machen durch die Predigt des Evangeliums.  Dieser Endzweck soll Ihnen vorschweben beim Studium der Theologie.  Sprachliche Studien sollen Sie mit allem Fleiss treiben, aber zu dem Zweck, um die heilige Schrift desto besser verstehen zu koennen und Kern und Stern der heiligen Schrift ist Jesus Christus, der einige Heiland der Welt.  Sie studieren auch die alten Sprachen, die hebräische


 und griechische Sprache, um Christum der Welt offenbar zu machen, um der Welt desto klarer und deutlicher und eindruecklicher verkuenden zu koennen, dass in keinem andern Heil ist, auch kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darin wir sollen selig werden, denn der Name Jesu, des hochgelobten Heilandes.  Also Sie treiben alle sprachlichen Studien um des Artikels von der Rechtfertigung willen.  -- So müssen Sie auch Ihre historischen Studien treiben.  Sie studieren Kirchengeschichte.  Zu welchem Zweck?  Um sich mit interessanten Ereignissen zu beschaeftigen?  O nein!  Sondern aus der Kirchengeschichte sollen Sie etwas lernen fuer das Zentrum der christlichen Lehre, fuer die Lehre von der Rechtfertigung.  Sie sollen da beobachten, wie die christliche Lehre verderbt worden ist, auch gerade in ihrem Zentrum, und wie dadurch ein Niedergang der Kirche bewirkt wurde; und Sie sollen beobachten, wie hinwiederum die Kirche in hellem Glanz gestrahlt hat, wenn die Lehre von der Rechtfertigung wieder auf den Plan kam, wie in der Reformation.  Ja, auch wenn Sie rein formale Studien treiben, wie zum Beispiel Logik, auch das muss der Lehre von der Rechtfertigung dienen.  Durch das Studium der Logik soll Ihr Verstand geschaerft werden, um falsche Schluesse von richtigen unterscheiden zu koennen.  Das kommt der reinen Lehre zugute.  Sie muessen zum Beispiel in scharfer logischer Scheidung Werke und Glauben, Heiligung und Rechtfertigung auseinander halten koennen.  Denn nur, wenn Rechtfertigung und Heiligung klar und scharf geschieden werden, kann die Lehre von der Rechtfertigung rein bleiben.  Sie sollen es sofort merken, wenn Werke auch in verhüllter Gestalt und in geringem Masse in die Lehre von der Rechtfertigung gemischt werden.  So sollen alle theologischen Bemuehungen auf den Artikel, wie wir sollen selig werden, gerichtet sein.  Unter diesem Gesichtspunkt sollen wir auch in der Kirche polemisieren.  Wir wuerden uns jetzt zum Beispiel nicht so bemuehen mit unserer Polemik wider die synergistischen Lutheraner hier in Amerika, wenn wir nicht ueberzeugt waeren:  Es gilt hier den Artikel von der Rechtfertigung rein zu erhalten.  Aber wie kann die Lehre von der Rechtfertigung bestehen bei dem Satz, dass des Menschen Bekehrung und Seligkeit nicht allein von Gottes Gnade, sondern auch in gewisser Beziehung vom Verhalten des Menschen abhaenge?  Das ist ja ausdrueckliche Leugnung der Lehre von der Gnade Gottes in Christo.

        Luther fuegt hinzu:

                "Den haben alle Propheten am meisten getrieben und sich damit gebläuet".

        Ist das wahr?  Haben wirklich die Propheten am meisten diesen Artikel getrieben, und ist ihr Absehen immer darauf gerichtet gewesen, den Artikel von der Rechtfertigung rein zu behalten?  Das ist ganz gewiss wahr!  Das sagt die heilige Schrift selbst ganz klar und deutlich, Akt 10: "Von diesem (naemlich Jesu) zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen, die an


 ihn glauben, Vergebung der Suenden empfahen sollen".  Damit ist gesagt: "Alle Propheten geben dem Artikel von der Rechtfertigung Zeugnis, denn die Lehre, dass man durch den Glauben an Christi Namen Vergebung der Suenden empfangen soll, ist der Artikel von der Rechtfertigung.  -- Christus selbst sagt: "Suchet in der Schrift; den ihr meinet, ihr habt das ewige Leben darinnen; und sie ist 's, die von mir  zeuget".  Die Schrift zeugt also von Christo, und zwar so, dass sie sagt, dass man in Christo allein das Leben habe.  So hat man das Leben nicht durch eigene Werke.  Christus selbst bezeugt also, dass die Lehre von der Rechtfertigung Kern und Stern der Schrift sei.  Aber wie?  Wenn die Propheten immerfort das Volk Israel ermahnen, nicht von dem Gott Israels abzufallen, treiben sie dann auch den Artikel von der Rechtfertigung?  Ganz gewiss!  Wer war denn der Gott Israels?  Der Gott Israels ist der, welcher geoffenbart hat, dass er Israel und der ganzen Welt den Messias als Erloeser senden wolle.  Wenn also die Propheten ermahnen.  Israel soll nicht von seinem Gott abfallen, so heisst das soviel als:  Fallet ja nicht von dem Gott ab, der euch gnaedig ist um des Messias willen.  darum geht auch durch alle Propheten das Strafen des äusseren, toten Werkdienstes.  Aber wer treibt denn toten, äusseren Werkdienst?  Nur derjenige, welcher nicht glaubt, dass er aus Gnaden um Christi willen einen gnaedigen Gott hat.  Wer glaubt, dass er um Christi willen einen gnaedigen Gott im Himmel hat, der treibt nicht mehr äusserlichen, toten Werkdienst, sondern der tut alle seine Werke aus Liebe zu Gott, aus Dankbarkeit fuer die Gnade, die ihm widerfahren ist.  So muessen Sie das alte Testament lesen, dann verstehen Sie es recht.  Dann verstehen Sie, wie Act 10 gesagt sein kann: "Von diesem zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Suenden empfahen sollen".  Wer den Artikel von der Rechtfertigung, Christum den Heiland der Welt, nicht ueberall in den Propheten findet, der versteht die Propheten nicht recht.  

        "Denn wenn dieser Artikel von unserer Seelen Seligkeit mit gewissem und festem Glauben gefasst und behalten wird, so kommen und folgen die andern Artikel allgemächlich hernach, als von der Dreifaltigkeit.  Auch hat uns Gott keinen Artikel so oeffentlich und deutlich erkläret, als diesen, naemlich dass wir allein durch Christum selig werden".

        Der Artikel von der Rechtfertigung liegt nicht in der Schrift tief verborgen, sodass man nur durch langes Suchen dahinter kommen koennte, was eigentlich der Inhalt dieses Artikels sei.  O nein, es steht ganz anders.  Der Artikel von der Rechtfertigung ist in jedem evangelischen Spruch geoffenbart.  Wenn jemand nur diesen einen Spruch weiss:  "Das Blut Jesu Christi seines Sohnes macht uns rein von sller Suende," so erkennt er den Artikel von der Rechtfertigung.  Macht das Blut Christi uns rein von allen Suenden, dann tun es nicht unsere eigenen Werke.  Ferner wenn es


heisst:  "Christus ist fuer unsere Suenden gestorben nach der Schrift," dann brauchen wir nicht mehr um unserer Suenden willen zu sterben, dann brauchen  wir nicht mehr unsere Suenden zu bezahlen; so will Gott uns unsere Suenden vergeben und uns in den Himmel nehmen.  Und wenn es heisst: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben," so liegt da der ganze Artikel von der Rechtfertigung geoffenbart vor.  Hat Gott aus unendlicher Liebe der Welt seinen Sohn zum Heilande gegeben, und ist es sein Wille, dass wir durch den Glauben an diesen Heiland selig werden, dann müssen uns die Gedanken vergehen, dass wir durch eigene Worte Gottes Wohlgefallen uns zuwege bringen wollen.  Ja, Gott hat es so eingerichtet mit dem Seligwerden, dass der arme Suender die Antwort auf die Frage: Was muss ich tun, dass ich selig werde?  gar leicht in der Schrift finden kann.

        "Wiewohl er auch viel von der Dreifaltigkeit gesagt hat, doch hat er allezeit auf diesem Artikel von der Seelen Seligkeit geruhet".

        Wir hören in der Schrift: Der wahre Gott ist Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.  Aber dabei lässt es die heilige Schrift nicht bewenden, dass sie uns sagt: Es sind drei Personen, sondern die Schrift sagt: Der Vater ist der, welcher die Welt also geliebt hat, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Lebe haben; der Sohn Gottes ist der, der in der Zeit Mensch geworden und aus Liebe zu den Menschen sich ans Kreuz hat nageln lassen und fuer die Menschen sein Blut vergossen hat, sie zu erloesen; der Heilige Geist ist der, welcher durch seine Gnadenwirkung den Glauben an das Evangelium im Menschenherz anzündet, damit der Mensch des erworbenen Heils teilhaftig werde.  Sie sehen, dass alles in der Schrift in Verbindung steht mit der Lehre von der Rechtfertigung.  So muessen auch Sie diese Lehre vornehmlich treiben.  "Es ist auch wohl an den andern viel gelegen, aber an diesen ist es am allermeisten gelegen".  Ja, alle Artikel werden unbrauchbar, nutzlos fuer uns Christen, wenn der Artikel von der Rechtfertigung verloren gegangen ist.  Was hilft es uns, wenn wir wissen, dass Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist wenn wir nicht wissen, dass dieser Gottmensch durch sein stellvertretendes Leben, Leiden und Sterben uns, Suender erloest und in den Himmel gefuehrt hat?  Was hilft es uns, wenn wir erkannt haben, dass im Abendmahl Christi wahrer Leib und Blut gegenwaertig sei, wenn wir nicht wissen, dass diese wunderbaren Gueter deswegen gegeben werden, damit wir der Vergebung der Suenden gewiss werden, die Christus uns erworben hat?  Kurz, wir behalten nur wertlose Huelsen in den uebrigen Lehrartikeln, wenn die Lehre von der Rechtfertigung abhanden gekommen ist.


                "Denn um deswillen sind auch alle Werke der Papisten eingesetzet und vorgenommen, dass sie die ewige Seligkeit dadurch erlangten.

        Die Papisten verdrehen den status controversiae, indem sie sagen; Die Lutheraner wollen keine guten Werke.  Die Lutheraner predigen mehr und besser von den guten Werken als Papisten.  Aber bei den Papisten haben die guten Werke einen andern Zweck als bei den Lutheranern.  Bei den Papisten haben die guten Werke den Zweck, dass die Menschen sich durch dieselben noch erst Gottes Gnade erwerben sollen.  Bei den Papisten wird durch die Werke das Werk Christi geschaendet.  Denn das ist Schändung des Werkes Christi, wenn jemand die Gnade Gottes und Seligkeit noch von einem andern Werk als von dem Werk Christi abhaengig macht.  Bei uns haben die guten Werke einen ganz anderen Zweck.  "Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes," sagt der Apostel, "dass ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefaellig sei".  Bei uns haben die guten Werke den Zweck, dass sie der Ausdruck der Dankbarkeit des erloesten und gerechtfertigen Suenders seien.

                "Aber sie werden betrogen, denn ausser Christo ist keine Seligkeit, welchen man aber allein im Wort durch den Glauben ergeifet und fasset.  Da dieser Artikel rein bleibet, so bleibet auch die Kirche rein; wird er aber verfaelschet oder faellet, so ist die Kirche zur Hure worden und dahin; wie wir im Papsttum gesehen und erfahren haben".  (XXII., 751, 752.)

        Wir stehen in der rechten und wahrhaftigen Gemeinschaft mit Gott durch den Artikel von der Rechtfertigung, dadurch, dass wir glauben, Gott sei unser versoehnter Vater um Christi willen, und solange wir dies glauben, sind wir wahre Kinder Gottes.  Sobald wir diesen Glauben fahren lassen, fallen wir von Gott ab, dann ist das Band zerschnitten, das uns mit Gott verbindet.  Es gibt kein anderes Band zwischen Gott und den Menschen, als das Band des Glaubens an Christum, wodurch die Menschen Gottes Kinder werden.  Wer darum den Artikel von der Rechtfertigung einem Menschen aus dem Herzen reisst, der lehrt denselben von Christo, von Gott, abfallen, der verfuehrt einen solchen zum geistlichen Ehebruch.  Deshalb heisst in der heiligen Schrift das Papsttum die grosse Hure, weil eben das Wesen des Papsttums darin besteht, den Glauben an Christum zu hindern, und wo er besteht, aus dem Herzen zu reissen.

                Sechster Vortrag.

        Der Apostel Paulus schreibt in seinem ersten Briefe an Timotheus im vierten Kapitel: "Der Geist aber sagt deutlich, dass in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abtreten


und anhangen den verfuehrerischen Geistern und Lehren der Teufel;   durch die, so in Gleisserei Luegenredner sind und Brandmal in ihrem Gewissen haben, und verbieten, ehelich zu werden und zu meiden die Speisen, die Gott geschaffen hat".  An diesen Worten haben schon manche befremdlich gefunden, dass der Apostel so starke Ausdruecke, wie "Luegenredner," "Lehren der Teufel" gebraucht, da es sich doch hier um äusserliche Dinge, um Ehe und Speisegebote handele.  Vielleicht sind auch Ihnen schon, wenn Sie diese und aehnliche Stellen der Schrift lasen, Gedanken gekommen wie diese: Warum nennt der Apostel das Speiseverbieten usw Teufelslehre?

        Wenn wir diesen Punkt im Licht der heiligen Schrift naeher erwaegen, so tritt uns hauptsaechlich ein doppelter Grund entgegen, warum der Apostel so starke Ausdruecke gebraucht.  Erstlich, jene Irrlehrer verbieten den Christen etwas, was Gott ihnen nicht verboten hat.  Gott hat seinen Christen das Ehelichwerden und das Essen aller Speise, die er geschaffen hat, erlaubt.  Diese Irrlehrer aber treten vor die Christen hin und sagen: "Beides verbieten wir euch".  Damit setzen sich diese Irrlehrer an Gottes Stelle.  Sie versuchen es, sich zum Gott der Christen zu machen; denn den Christen etwas zu gebieten oder zu verbieten, das hat Gott sich selbst vorbehalten.  So spricht der Heiland ausdruecklich zu allen Gläubigen: "Einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brueder".  Indem nun die Irrlehrer den Christen etwas verbieten, was Gott ihnen freigelassen hat, sagen sie tatsaechlich zu den Christen: "Nicht Gott allein ist euer Meister; sondern wir sind auch eure Meister.  Ihr müsst nicht bloss Gott, sondern auch uns untertan sein".  Jene Irrlehrer versuchen also die Christen zum Abfall von Gott als ihrem einigen Herrn, sie versuchen sie zum Goetzendienst, und das ist wahrhaftes Teufelswerk.  Sodann tritt uns im Licht der heiligen Schrift noch ein anderer Grund entgegen, warum der Apostel hier so starke Ausdruecke gebraucht.  Jene Irrlehrer schrieben das Ehelosbleiben und das Sichenthalten von gewissen Speisen vor als den Weg zur Seligkeit.  Das müssten, sagten sie, die Christen tun und an sich finden lassen, damit sie selig wuerden.  Auf dem Weg wollten sie die Christen in den Himmel fuehren.  Jene Irrlehrer tasteten also die Zentrallehre des Christentums, die Lehre von der Rechtfertigung an, die Lehre, dass ein Mensch nicht durch seine Werke, sondern aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde.  Jene Irrlehrer setzten an Stelle des Verdienstes des menschgewordenen Gottessohnes elende Menschenwerke.  Sie wollten die Menschen abfuehren von dem einzigen Weg, der zur Seligkeit fuehrt, vom Verdienst Christi, und das ist rechte Teufelslehre!  So erkennen wir von der Lehre von der Rechtfertigung aus, warum der Apostel hier und an andern Stellen so starke Ausdruecke gebraucht, so zum Beispiel auch im Brief an die Philipper.  Da nennt der Apostel die judaisierenden Irrlehrer, welche die Christen nicht allein durch den Glauben wollten selig werden


lassen, sondern auch die Beschneidung forderten, Hunde.  "Sehet," sagt der Apostel, "auf die Hunde, sehet auf die boesen Arbeiter, sehet auf die Zerschneidung".

        Warum stösst man sich in unserer Zeit, gerade auch in dem "lutherischen" Lager, naemlich bei den modernen Theologen, so sehr an einer entschiedenen Polemik?  Deshalb, weil man nicht im Zentrum der christlichen Lehre steht, die Lehre von der Rechtfertigung nicht recht erkennt und infolgedessen auch nicht gewahr wird, wie alle Irrtuemer schliesslich seelengefaehrlich sind.  Gott erhalte uns die rechte Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung!  Dann erkennen wir auch recht die Schwere der Irrlehre.  Dann werden wir uns auch, wie Gott es von uns fordert, mit allen Kraeften der Irrlehre zu wehren suchen.

        Lesen wir noch einige Zitate aus Luther ueber die Lehre von der Rechtfertigung.

        Luthers Kommentar ueber den Brief an die Galater ist die grossartigste menschliche Schrift, welche je ueber die Lehre von der Rechtfertigung geschrieben worden ist.  Sobald Sie daher im Amt Zeit gewinnen zu zusammenhaengenden Studien, sonderlich auch zum zusammenhaengenden Lesen der Schriften Luthers, so vertiefen Sie sich auch gerade in Luthers Kommentar ueber den Brief an die Galater.  Auch Sektenleute, welche Notiz genommen haben von diesem Buch Luthers, haben es ausgesprochen, es gaebe keine Schrift, welche so gewaltig den Artikel von der Rechtfertigung bezeugt, als Luthers Kommentar ueber den Brief an die Galater.  Dieser Kommentar erschien schon im 16 Jahrhundert auch in englischer und franzoesischer Uebersetzung.  In der Einleitung zu seiner Auslegung des Briefes an die Galater schreibt Luther:

                "Wenn der Artikel, so da lehret, wie man vor Gott sündlos und gerecht wird, verloren wird, so geht zugleich die ganze christliche Lehre dahin, und alle die Menschen, so auf dem ganzen Erdboden sind und diese Lehre nicht haben, die muessen eigentlich entweder Juden oder Tuerken, Papisten oder Rotten und Ketzer sein.  Durch diese Lehre allein wird die heilige Christenheit beide gepflanzet, erbauet und erhalten".  (VIII, 1552, 1553).

        Luther weist in diesen Worten darauf hin, dass der Artikel von der Rechtfertigung der Artikel sei, welcher die christliche Religion von allen andern Religionen unterscheidet.  Wer den Artikel von der Rechtfertigung nicht glaubt, der steht ausserhalb der christlichen Kirche.  Durch den Glauben an diesen Artikel ist man ein Christ, gehoert man zur Gemeinde der Gläubigen, der Heiligen.  Ohne diesen Glauben ist man extra muros ecclesiae.  Wenn Sie erkennen wollen, ob ein Mensch, mit dem Sie zusammentreffen, ein Christ sei oder nicht, so müssen Sie ihn veranlassen, sich ueber die Frage auszusprechen, wie er selig zu werden gedenke.  Antwortet der Gefragte:  "Ich will durch den Glauben an Christum, durch das Vertrauen auf Christi Verdienst selig werden,"


dann ist der Betreffende ein Christ, wenn die Antwort seines Herzens Meinung ausdrueckt. Antwortet er aber zum Beispiel: "Fragen Sie die Nachbarn, sie koennen mir nicht Böses nachsagen," oder sagt er zwar: "Ich halte mich ganz kirchlich; ich gehe zur Kirche," spricht er sich aber bei naeherer Nachfrage nicht dahin aus, das er allein auf Christi Verdienst seine Zuversicht setzt, dann sind Sie nicht berechtigt, den Betreffenden fuer ein Glied der christlichen Kirche zu halten.  Es gibt, wie schon oft erinnert, nur zwei wesentlich verschiedene Religionen in der Welt.  Die eine Religion ist die Religion des Glaubens an Christum, die andere ist die Religion der Werke.  Die erstere ist die christliche und zur zweiten Art gehoeren alle nichtchristlichen Religionen.  Die nichtchristlichen Religionen stimmen alle darin ueberein, dass sie einen Weg der Werke zum ewigen Leben vorschreiben.  Es ist in der Religionzwischen Juden, Türken, Heiden und Papisten als solchen kein Unterschied.  Oft wird auf die Frage, wie viele Religionen es gebe, geantwortet: Vier Hauptreligionen, 1 - die christliche, 2 - die jüdische, 3 - die türkische, 4 - die heidnische.  Das ist schlechte Logik.  Hier wird etwas koordiniert, was gar nicht koordiniert ist.  Das ist gerade als wenn jemand vier Klassen von amerikanischen Bürgern angeben wollte und sagte: Die erste Klasse sind die Weissen; die zweite die Schwarzen; die dritte die Bürger von deutscher Abstammung, und die vierte die Bürger von englischer Abstammung.  Das ist schlechte Logik, weil Nummer drei und vier Nummer eins subordiniert sind.  So steht es auch mit der Einteilung der Religionen der Erde in vier Hauptreligionen.  Die jüdische, türkische und die offizielle papistische Religion gehoeren zur heidnischen.  Von der Lehre von der Rechtfertigung aus ist es sehr leicht, sich unter den vielen Religionen zurechtzufinden.  Bei Anlegung eines andern Massstabes koennte man dahin kommen, nicht nur vier, sondern vierhundert, ja tausend Religionen zu zaehlen.  Alle nichtchristlichen Religionen unterscheiden sich nur durch die Verschiedenheit der Werke, aber darin stimmen sie ueberein, dass sie auf dem Weg der Werke die Menschen in den Himmel fuehren wollen.  Die Christen hingegen sprechen: So halten wir es nun, das der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben.

        Zu Gal. 2,16:

                "Sobald wir diese Sonne verlieren, fallen wir gewisslich wiederum zurück in die Finsternis, darinnen wir vorhin gewesen sind". (VIII, 1832).

        Luther vergleicht hier die Lehre von der Rechtfertigung mit der Sonne.  Er nennt die Lehre von der Rechtfertigung die Sonne an dem Himmel der Kirche.  Das ist ein ueberaus treffliches Bild.  Wo die irdische Sonne scheint, da erwacht das Leben in der Natur, da sprosst es und gruent es, da blueht es.  Wo das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo gepredigt wird, das heisst, wo die Lehre von der Rechtfertigung gepredigt wird, da entsteht


geistliches Leben, weil der Glaube an Christum entsteht.  Durch den Glauben an Christum werden wir Kinder Gottes.  Ferner wo die Sonne scheint, da ist es hell, da kann man sehen, da kann man den rechten Weg erkennen und den rechten Weg gehen.  So ist es da geistlicherweise, wo die Lehre von der Rechtfertigung gepredigt, erkannt und geglaubt wird.  Da erkennt man den rechten Weg zum Himmel, da erkennt man den, der gesagt hat: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben".  Da erkennt man den, von welchem der Apostel sagt:  "Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden".  Da ist so viel geistliches Licht, dass man zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann.  Wo aber diese geistliche Sonne, das Evangelium von Christo, die Lehre von der Rechtfertigung nicht ist, da ist, wie Luther sagt, Finsternis, vollkommene Finsternis.  Nichts in der Welt kann die Lehre von der Rechtfertigung ersetzen, keine Kultur, keine Bildung, kein Fortschritt im menschlichen Wissen.  Wenn jemand in unserem 19 Jahrhundert bei elektrischem Licht stirbt, aber ohne Evangelium, ohne im Glauben an die Lehre von der Rechtfertigung zu stehen, so faehrt der ebenso in tiefer, schwarzer, geistlicher Nacht dahin, als der, welcher im 16 Jahrhundert bei der duesteren Tranlampe seine letzten Atemzuege tat; und die Herren des Geistes, ein Plato, ein Aristoteles; in neuerer Zeit: ein Kant, ein Herbart, sind ebensowohl in geistlicher Finsternis, ohne das Evangelium, ohne die Lehre von der Rechtfertigung, wie der Ungebildete, der gar nicht lesen kann.  Nichts, nichts ersetzt die Sonne des Evangeliums.  Wo das Evangelium nicht ist, da ist, wie Luther weiter unten sagt, nicht bloss Finsternis, sondern höllische Finsternis, geistlicher Tod, geistliches Verderben.  Die grösste Gnade, welche einem Lande zuteil werden kann, ist die, wenn in einem Lande die Predigt des Evangeliums erschallt, das Licht des Evangeliums aufgeht.  Allerdings ist es von Vorteil fuer ein Land, wenn Kuenste und Wissenschaft bluehen; denn die haben grossen Wert, naemlich fuer das irdische Leben.  Aber in geistlicher Beziehung bricht dann erst fuer ein Land das Licht herein, wenn die Predigt des Evangeliums im Lande erschallt, wenn das Evangelium von Jesu Christo auf den Leuchter gestellt wird.  Deshalb hat die Kirche in einem Lande den Beruf, mit allen Kraeften dafuer zu sorgen, dass das Licht des Evangeliums ueberall im Lande leuchte.  Wir in unserer Zeit und in unserem Lande haben die helle Sonne des reinen Evangeliums.  Gott hat sie in Gnaden ueber uns aufgehen lassen, und wir wollen uns dieses Lichtes freuen, wir wollen Gott taeglich auf den Knien fuer diesen Segen danken.  Aber wir wollen auch erkennen, dass Gott das Licht des Evangeliums uns geschenkt hat, damit es durch uns auf den Leuchter gestellt werde.  Sie werden ja durch Gottes Gnade auch in diesen seligen Dienst der Kirche treten.  Ein seliges Leben liegt hinter Ihnen, wenn Sie am Ende dieses Lebens angelangt sind und dann sagen


koenne:   "Ich habe meine Kräfte verzehrt im Dienste des Evangeliums, im Dienst der Lehre von der Rechtfertigung".

        Zu Gal. 2,11:

                "St Paulus handelt hier nicht um einen Taubenfuss und Birnstiel, redet auch nicht um Brots willen; sondern handelt von dem grössten und fürnehmsten Hauptartikel der ganzen christlichen Lehre, an welchem so viel gelegen ist, dass, wo er recht verstanden und betrachtet wird, man alles andern liederlich vergisst und fahren lässt.  Denn was ist Petrus und Paulus, was ist ein Engel vom Himmel, was sind alle Kreaturen, gegen diesem Artikel gerechnet, so da lehret, wodurch und wie man der Suenden los, vor Gott gerecht und selig werde"?

        Die Engel koennen uns nicht selig machen.  Auch Petrus und Paulus und grosse kirchliche Lehrer koennen uns auch nicht selig machen.  Darum koennten wir Engel, Apostel und Lehrer allenfalls entbehren, wenn es Gott Gefallen haette, den Dienst, welchen sie uns leisten, auf andere Weise zu ersetzen.  Aber eins koennen wir nicht entbehren.  Das ist die Lehre von der Rechtfertigung, das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo, dass Gott umsonst die Suender in den Himmel nimmt.  Denn dadurch allein entrinnen wir der ewigen Verdammnis und werden wir Erben des ewigen Lebens.

                "Verstehen wir diesen Artikel recht und rein, so haben wir die rechte himmlische Sonne; verlieren wir ihn aber, so haben wir auch nichts anderes, denn eitel höllische Finsternis.  Darum wenn du merkest, dass derselbe geschwaecht wird und darnieder liegt, so scheue weder Petrum noch Paulum, ja auch keinen Engel vom Himmel, sondern widerstehe ihnen; denn man kann ihn nimmermehr hoch genug heben und verteidigen".  (VIII,769).

        Luther sieht hier auf Gal. 1,8, wo der Apostel gerade in Bezug auf die reine Lehre von der Rechtfertigung sagt: "Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch wuerde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht".  Natuerlich nur ein angenommener Fall, denn die Engel -- die guten Engel sind hier zu verstehen -- treten nicht als Verfälscher der Lehre von der Rechtfertigung auf.  Aber der Heilige Geist will uns recht einschaerfen, dass wir ja an dem Artikel von der Vergebung der Suenden, ohne des Gesetzes Werke, festhalten, und sagt daher: "Selbst wenn ein Engel vom Himmel kaeme und wollte euch diesen Artikel faelschen, so sollt ihr sagen: "Der soll verflucht sein; denn er will uns das nehmen, woran unsere Seligkeit haengt; er will uns das nehmen, was Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, durch sein Leiden und Sterben erworben hat.  Darum darf die Kirche auch den schwersten Kampf nicht scheuen, wenn die Lehre von der Rechtfertigung angetastet wird,


weil damit unsere Seligkeit angetastet und Christi Werk verleugnet wird.  Und wir sollen nicht erst dann kaempfen, wenn jemand geradezu leugnet, dass der Mensch aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde, sondern auch wenn jemand Lehren fuehrt, die in ihrer Konsequenz die Lehre von der Rechtfertigung umstossen.  Der Apostel sagt gerade in Bezug auf diese Lehre im Galaterbrief; "Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig".  Die Gnade, die Christus erworben hat und durch die wir die Seligkeit erlangen, duldet eben nicht den geringsten Zusatz von Werken.  Gnade ist der Gegensatz zu allen Werken.  Das geringste Werk hebt den Begriff der Gnade auf, und das geringste Werk, der Gnade an die Seite gesetzt, raubt auch den Menschen die Gewissheit der Seligkeit, denn wer recht sich selbst erkannt hat, der sieht, dass er auch nicht mit einem seiner Werke vor Gott bestehen kann.  Er weiss, dass in ihm, das ist, in seinem Fleische, wohnet nichts Gutes.

        Zu Gal. 4, 29:

                "Darum soll man vor allen Dingen den Artikel, so da lehret, wie man durch den Glauben an Christum vor Gott muss gerecht werden, mit Fleiss und wohl fassen; derselbe allein kann uns wider alle Aergernisse aufrichten und erhalten".

        Stehen wir nicht in der Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung, dann koennen wir uns gar leicht aergern und zu Fall kommen.  Zum Beispiel die Papstkirche steht  äusserlich gross, maechtig da als eine gewaltige, geschlossene Einheit mit viel ausserem Glanz, mit prachtvollen Kirchen, vielen Waisenhäusern, Erziehungsanstalten usw.  Dieser grosse äusserliche Glanz hat manchem imponiert, und er ist deshalb zum Papsttum abgefallen.  Aber vor Abfall ist man sicher, solange man glaubt, dass ein Suender allein aus Gnaden um Christi willen gerecht werden koenne.  Sieht man in diesem Licht auf das Papsttum, dann merkt man: Im Papsttum ist lauter Finsternis trotz des äusseren Glanzes; denn da werden die Seelen nicht auf Christum als ihren Heiland gefuehrt, sondern auf eigene Werke, und das ist Tod und Verdammnis.

                "Dazu in allerlei Anfechtungen und Verfolgung trösten".  (VIII, 2563).

        Glaubt man, dass man einen gnaedigen Gott im Himmel hat -- und so glaubt man, wenn man die Lehre von der Rechtfertigung erkannt hat -- dann kann man schliesslich alles aushalten: dann kann man Armut ertragen, dann kann man Verbannung ertragen, dann kann man Krankheit ertragen, dann braucht man auch im Tod nicht zu verzagen.  Haben wir einen gnaedigen Gott, steht uns der Himmel offen, dann koennen wir alle Dinge, die auf dieser Welt sind, wohl entbehren.  So wichtig ist also die Lehre von der Rechtfertigung fuer jedes Christenleben.  Ja, kein Christ kann in der Anfechtung in christlicher Weise standhalten, wenn nicht in


seinem Herzen durch Wirkung des Heiligen Geistes die Ueberzeugung ist , dass er einen gnaedigen Gott im Himmel hat.

        Zu Gal. 3,13:

                "Darum soll man, wie ich oftmals zu vermahnen pflege, den Artikel, dass Christus, Gottes Sohn, Mensch worden sei, fuer uns gelitten, gekreuziget, gestorben usw, mit allem Fleiss aufs beste lernen.  Denn in demselbigen werden alle andern Artikel unseres Glaubens begriffen; wenn der rein und rechtschaffen ist, so steht es recht und wohl um die andern alle.  Derhalben, wenn wir lehren, dass die Leute gerecht werden durch Christum, dass Christus ueberwunden habe Suende, Tod und den ewigen Fluch, lehren wir auch zugleich, dass er von Natur rechter und wahrhaftiger Gott sei".

        Hier kommt kaum ein neuer Punkt vor.  Nur auf eins wollen wir noch unsere Aufmerksamkeit richten.  Luther setzt hier fuer den Ausdruck "die Lehre von der Rechtfertigung" den Ausdruck ein "der Artikel, dass Christus, Gottes Sohn, Mensch worden sei, fuer uns gelitten, gekreuzigt, gestorben".  Was er so oft von dem Artikel von der Rechtfertigung gesagt hat, das sagt er hier von dem Artikel von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und dessen Leiden und Sterben.  Diese Artikel haengen sehr eng zusammen.  Der Artikel von der Rechtfertigung ist nur das Resultat des Artikels von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und dessen Leiden und Sterben.  Im Artikel von der Rechtfertigung kommt das zur Verwendung fuer den Einzelnen, was Christus durch seine Menschwerdung mit seinem Leiden und Sterben allen Menschen erworben hat.  Wer den Artikel von der Rechtfertigung leugnet, der leugnet damit auch, dass der Sohn Gottes Mensch geworden und fuer uns Menschen gestorben sei.  Wollen Sie das wohl festhalten.  Wenn jemand wirklich glaubt: Der Sohn Gottes ist vom Himmel gekommen, ist Mensch geworden, um die Menschen selig zu machen, kann der noch auf den Gedanken kommen: Nun muss ich auch noch mit meinen eigenen Werken dazu helfen, dass ich selig werde?  Wenn jemand wirklich glaubt, dass Gottes Sohn in den Tod gegangen ist, um der Menschen Suenden zu bezahlen, kann der noch auf den Gedanken kommen: Nun muss ich auch noch versuchen, Gottes Gnade mir zuwege zu bringen?  O nein!  Wer noch meint, dass er mit eigenem Werke sich Gottes Gnade und Seligkeit zuwege bringen müsse, der glaubt nicht, dass der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, um uns Gnade zu erwerben.  Wer da meint, noch erst durch seine Werke Gott gnädig stimmen zu müssen, der glaubt nicht, dass der Sohn Gottes zur Tilgung unserer Suende am Kreuz gehangen hat.  Also halten Sie das wohl fest: Wer lehret, dass der Mensch auch noch durch seine Werke sich Gerechtigkeit und Seligkeit zuwege bringen müsse, der glaubt nicht den Zweck der Menschwerdung und des Leidens und Sterbens des Sohnes Gottes.


                Siebenter Vortrag.

        Wenn jemand Ihnen mitteilte, dass er gesonnen sei, den Ozean auszuschoepfen, oder vorhabe, eine Reise nach dem Monde zu machen, oder willens sei, aehnliche unmoegliche Taten zu tun, dann wuerden Sie zunaechst denken, dass der Redende sich einen Scherz erlaube.  Gewahrten Sie aber, dass der Redende sich einen Scherz erlaube.  Gewahrten Sie aber, dass es dem Also Redenden voller Ernst sei, wuerden Sie gar sehen, dass er Anstalten traefe, seine Plaene auszufuehren, dann wuerden Sie auf einen ganz anderen Gedanken kommen, Sie wuerden dann denken, und zwar ganz mit Recht, dass Sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun haetten.

        Und doch Millionen und aber Millionen Menschen behaupten allen Ernstes, ein Werk tun zu koenne, ja, sind allen Ernstes beschaeftigt, ein Werk zu vollbringen, das in noch hoeherem Grad unmoeglich ist, als eine Reise nach dem Monde, oder das Ausschoepfen des Ozeans.  Millionen und aber Millionen Menschen naemlich wollen durch eigene Werke in den Himmel kommen, wollen durch eigene Werke vor Gott gerecht werden und die Seligkeit erlangen.  Das ist Wahnsinn!  Es ist geistlicher Wahnsinn.

        Es hat einer ganz andern Veranstaltung bedurft, um die gefallenen Adamskinder in den Himmel zu bringe: Der ewige Sohn Gottes ist vom Himmel auf diese Erde herniedergekommen durch die Menschwerdung, hat das Gesetz erfuellt, hat den Tod am Kreuz erlitten.  Dadurch ist fuer die Menschen Vergebung der Suenden und die Seligkeit zuwege gebracht worden.  Alle Anstrengungen seitens der Menschen, dies Ziel zu erreichen, sind durchaus hoffnungslos, ja, es ist das hoffnungsloseste Unternehmen, dem sich ein Mensch hingeben kann.  Die Heilige Schrift sagt: Die mit des Gesetzes Werken umgehen, das heisst, die durch ihre Werkgerechtigkeit die Seligkeit erlangen wollen, die sind unter dem Fluch, das heisst, die erwerben sich nicht gottes Wohlgefallen, erlangen nicht die Seligkeit, sondern deren Teil ist Gottes Zorn und die ewige Verdammnis.  Darum fleht David zu Gott: "Gehe nicht in Gericht mit deinem Knechte; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht".  Darum bekennt Hiob: "Wenn ich mich gleich mit Schnee - Wasser wuesche, und reinigte meine Haende mit dem Brunnen; so wirst du mich tunken in Kot, und werden mir meine Kleider scheusslich anstehen".  Ja, die ganze Heilige Schrift bezeugt, es ist ein hoffnungslosses, ja ein wahnwitziges Werk, wenn Menschen durch sich selbst, durch Anstrengung ihrerseits, durch ihre Werke, durch ihre Wuerdigkeit vor Gott gerecht werden und die Seligkeit erlangen wollen.

        Und doch, in dieser Raserei stecken alle natuerlich gesinnten Menschen.  Die Heiden wollen allesamt auf dem Wege ihrer Werke Gott versoehnen.  Und auch wiele, viele, die sich Christen nennen, nehmen teil an dieser Raserei.  Wir haben schon naeher uns vor


gefuehrt, wie das ganze Papsttum auf die Werklehre gegruendet ist, und viele sogenannte Protestanten fassen die christliche Religion auch dahin zusammen, dass man sich nur zu bemuehen habe, die Gebote zu halten;  dann werde man die Seligkeit erlangen.  Ja, was sage ich; alle ernsten Christen stehen noch bis an den Tod in der Gefahr, vom Glauben wieder auf die Werke zu fallen, die geistliche Weisheit, die sie aus dem Evangelium erlangt haben, zu verlieren, und wieder in die Werkerei des natuerlichen Menschen zu verfallen.  

        So sehr steckt der Wahn von der justitia legis dem natuerlichen Menschen in Fleisch und Blut.  Der Mensch meint von Natur, wie er durch seine boesen Werke den Himmel verloren habe, so koenne er auch durch seine guten Werke dazu beitragen, wieder in den Himmel zu gelangen.

        Wenn ich Ihnen nun kurz die Aufgabe des Amtes, auf welches Sie sich verbereiten, zusammenfassen soll, so muss ich sagen: Ihre Aufgabe ist, die Menschen von dem Wahn abzubringen, durch eigene Werke selig werden zu wollen, und dagegen den Menschen den Glauben an Christum, den Glauben an das Evangelium, durch welches Gnade umsonst den Menschen dargeboten wird, als den einzigen Weg zum Leben zu verkuenden, das heisst, Ihre Aufgabe ist, die biblische Lehre von der Rechtfertigung zu predigen.  Hoeren wir noch die letzten Aussprueche Luthers zu unserem ersten Paragraphen:

        Zu Joh 6,53:

                "Solches behaltet ja euer Lebenlang, dass es alles zu tun ist um den einigen Artikel; welches ich oft wiederhole und man kann es nicht genug treiben, auf dass man ihn erhalte und wir fein richtig in dem Glauben bleiben, dass man von Christi Fleisch habe Vergebung der Suenden, Erloesung vom Tod und Teufel".

        Von Christi Fleische hat man Vergebung der Suenden, Erloesung vom Tod und Teufel das heisst, davon, dass der Sohn Gottes im Fleisch erschienen, ein Mensch geworden ist, fuer die Menschen das Gesetz erfuellt, und fuer die Menschen die Uebertretung des Gesetzes durch sein Leiden und Sterben gut gemacht hat.  Davon hat man nun Vergebung der Suenden und Erloesung vom Tod und Teufel.  Von allen Werken, die die Menschen vor diesem Ereignis taten und von allen Werken, die die Menschen nach diesem Ereignis tun werden bis an den juengsten Tag, kommt nicht Vergebung der Suenden, kommt nicht Erloesung von Tod und Teufel.  Das ist eben der wunderbare Inhalt der christlichen Religion: Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch vor Gott gerecht, Roemer 3, ja, die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch, Gal. 3.  Das muss man, wie Luther sagt, immerfort treiben.  Man kann es nicht genug treiben.  Warum nicht?  Weil diese Lehre so ganz und gar der Art des natuerlichen Menschen widerspricht.  Wenn der natuerliche Mensch sich Gedanken macht darueber: Wie


kann ich Gottes Gnade erlangen?  Wie kann ich in den Himmel kommen? dann faellt er auf nichts anders als auf eigene Werke.  Darum bezeugt die Heilige Schrift das Evangelium von der gnaedigen Vergebung der Suenden um Christi willen als etwas, "das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehoert hat, und in keines Menschen Herz kommen ist".  Sobald wir Christen unsere Augen abwenden von dem in der Heiligen Schrift geoffenbarten Evangelium und uns dem Gefuehl unseres eigenen Herzens ueberlassen, irren wir sofort vom rechten Weg ab.  Wenn ein Christ nur einige Tage nicht auf Grund des Wortes Gottes ueber den Artikel von der Rechtfertigung nachdenkt, ueber die Frage:  Wie erlange ich Vergebung der Suenden und ewige Seligkeit?  dann wird ihm die christliche Religion schon ferner treten.  Darum gilt es, immerfort mit diesem Artikel umzugehen.  Nun, wir tun es ja auch schon dadurch, dass wir im Morgen - und Abendsegen immerfort beten, Gott wolle uns gnaedig sein um Christi des Heilandes willen.  Ferner:  Alle unsere liturgischen Gebete schliessen: "Um Christi deines lieben Sohnes willen", "um Christi des Heilandes willen" usw.  Das ist nicht zufaellig, sondern geschieht in der Erkenntnis, dass Christus und der Glaube an ihn das Zentrum der christlichen Religion ist, das Zentrum, welches wir nach dem natuerlichen Menschen so leicht vergessen; darum aber ruecken wir es immerfort vor Augen.

                "Wo diese Lehre auf der Kanzel bleibet, so hat es keine Not, man ist sicher vor allen Ketzern und Irrtuemern; dieser Artikel leidet keinen Irrtum bei sich; so ist der Heilige Geist auch dabei, und die solches gläuben, dulden keinen Irrtum.  Werden sie aber verfuehrt, so ist es ein gewisses Zeichen, dass sie den Artikel nicht verstanden haben.  Haetten sie ihn recht gefasset, so waeren sie nicht betrogen worden".  (VII, 2107).

        Luther sagt hier: wer den Artikel von der Rechtfertigung glaubt, der duldet keinen Irrtum.  Der Artikel von der Rechtfertigung macht, wo er ins Herz kommt, wahrhaft gottesfuerchtig.  Er macht uns zu Kindern Gottes und bewirkt in uns infolgedessen auch kindliche Gesinnung Gott gegenueber.  Zur kindlichen Gesinnung Gott gegenueber gehoert nun aber vor allem dies, dass wir an dem Worte unseres Gottes unverrückt festhalten, dasselbe in keinem Artikel der Lehre preisgeben.  In unserer Zeit urteilt und handelt man ganz anders.  Der Unionismus ist jetzt in der Luft, er ist, sozusagen, die Atmosphaere in der äusseren Christenheit.  Jetzt nennt man diejenigen geistliche, heilige, fromme Leute, welche sich an einigen "Hauptsachen" genuegen lassen und in einer Anzahl Lehrartikeln "nachgeben", und Irrtum dulden koennen.  Die Leute dagegen, welche an jedem Artikel der christlichen Lehre festhalten wollen, nennt man nicht geistlich, sondern fleischlich gesinnt.  Man macht sich eben selbst einen Begriff von Gottesfurcht und Froemmigkeit zurecht.  Es steht so: So ungereimt es


waere zu sagen, ein rechter Christ ist der, welcher auch immer etwas stiehlt, so ungereimt ist es zu sagen, ein rechter Christ ist derjenige, der auch in einigen Artikeln der Lehre etwas Irrtum dulden kann.  Denn so klar und deutlich in der Heiligen Schrift jedem Christen das Stehlen verboten ist, ebenso klar und deutlich ist dem Christen in der Heiligen Schrift auch gesagt, dass er an Gottes Wort festhalten und in keinem Stueck von Gottes Wort abweichen soll.  Ja, das letztere ist noch an viel mehr Stellen in der Heiligen Schrift eingeschaerft als das erstere, weil es viel noetiger ist.  Denn dass ein Christ nicht stehlen soll, das weiss er noch aus dem Naturgesetz, das sagt ihm m\noch die Vernunft, aber dies vergisst man immer wieder gar zu leicht, dass ein Christ auch in Bezug auf die Lehre keinen Irrtum hegen und anerkennen soll.  Wer wahrhaft fromm und gottesfuerchtig ist, der spricht mit Luther: Mir ist also, dass mir ein jeglicher Spruch der Heiligen Schrift die Welt zu eng macht.  Gott fordert von den Christen als seinen Kindern, dass sie bleiben an seiner Rede, dass sie aufsehen auf die, die Zertrennung und Aergernis anrichten, neben der Lehre, die sie gelernet haben und von denselben weichen.  Die Leute, welche so bereitwillig Irrtuemer dulden, werden bei naeherer Nachfrage auch zu erkennen geben, dass sie nicht das Wesen des Christentums, den Artikel von der Rechtfertigung, aufgefasst haben.  Daher das Schwanken zwischen Wahrheit und Irrtum; daher die Versuchungen selbst zum Papsttum abzufallen.  Wer vom Papsttum verfuehrt wird, der hat zuvor vergessen, dass der Mensch aus Gnaden um Christi willen vor Gott gerecht wird und die Seligkeit erlangt.  Solange jemand dies noch glaubt, kann er sich nicht vom Papsttum gefangen nehmen lassen;  denn das Papsttum leugnet ja gerade diese Lehre.  Ferner: wer sich von den Synergisten verfuehren laesst, der muss zuvor vergessen haben, dass wir allein aus Gnaden um Christi willen gerecht werden.  Denn die Synergisten halten den Glauben fuer ein teilweises Menschenwerk und leugnen damit, dass der Mensch allein aus Gnaden gerecht und selig werde.  Wer zu den Schwaermern geht in der Meinung, er müsse noch erst durch einen besondern Busskampf sich Gottes Gnade erringen, der muss zuvor vergessen haben, dass das Evangelium jedem Suender Gnade und Vergebung der Suenden zusagt, weil Christus bereits fuer alle Menschen Gnade und Vergebung erworben hat.

        Nachdem Luther gezeigt hatte, dass auch der 117 Psalm, obwohl es manchem nicht so scheinen moechte, von der Rechtfertigung allein durch den Glauben handle, so faehrt er also fort:

                "Solches tue ich allermeist darum, dass ich damit allen andern, so es beduerfen, Ursache oder Anweisung gebe, das Hauptstueck unserer christlichen Lehre in der Schrift allenthalben zu suchen und zu handeln, naemlich dass wir ohne allen Verdienst, durch lauter Gottes Gnaden, in Christo uns geschenkt, fromm, lebendig und selig werden


        müssen, und dass sonst kein anderer Weg noch Steg, keine andere Weise noch Werk uns dazu helfen moege".

        Dass man nicht auf andere Weise fromm und selig wird, hat Luther selber erfahren.  Er rief in seiner Herzensangst, als er im Gewissen vom göttlichen Gesetz getroffen war: "O, wann werde ich doch einmal einen gnaedigen Gott haben!  O, wann werde ich doch einmal fromm werden!".  Es war keiner da, der ihm den rechten Weg zeigen konnte, so trat er die Reise nach dem Monde an, so wollte er den Ozean mit dem Loeffel ausschoepfen, das heisst, er ging in das Kloster, um fromm zu werden durch eigenes Tun, um durch eigene Werke zur Gewissheit zu kommen: Nun habe ich einen gnaedigen Gott.  aber er selber bekennt: "Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein, die Suend hatt' mich besessen".  Er ging den Weg zur Verzweiflung.  Trost kam erst dann in sein Herz, als durch Gottes Schickung ihm gesagt wurde: Hoere auf, selber wirken zu wollen, hoere auf, durch eigenes Tun dir einen gnaedigen Gott machen zu wollen.  Glaube, es gibt eine Vergebung der Suenden; Christus hat allen Menschen, auch dir, die Gnade erworben.  Nicht fuer gemalte Suenden, fuer wirkliche Suenden ist Gnade da.  So hat es Luther erfahren, dass allein dieser Artikel von der freien Gnade fromm, lebendig und selig mache.  Darum will nun auch Luther diesen Artikel immerfort treiben und alle seine Schueler lehren, dass sie ja dies Hauptstueck nicht aus den Augen verlieren.  Luther faehrt fort:

                "Denn ich sehe und erfahre taeglich allzuwohl, wie mannigfältiglich der leidige Teufel diesem Hauptstueck nachstellet, dass er es wieder ausrotte".

        Ganz gewiss, der Teufel hat es mit allen seinen Angriffen vornehmlich auf diesen Punkt abgesehen.  Er weiss, dass dies der articulus stantis et cadentis ecclesiae ist, der Artikel, mit dem die Kirche steht und faellt.  Gelingt es dem Teufel, einer Gemeinschaft diesen Artikel zu nehmen, dann hat er gewonnenes Spiel.  Dann hat er ihnen Christum und damit die Seligkeit genommen.  Darauf hat es der Teufel immerfort auch hier in Amerika abgesehen.  Unsere lutherische Kirche, speziell unsere Kirchengemeinschaft, ist von allem Anfang an gerade auch in Bezug auf diesen Artikel angefochten worden.  Die falsche Amtslehre, welche die romanisierenden Lutheraner vortrugen, schaedigten den Artikel von der Rechtfertigung.  Da wurden Gnade und Vergebung der Suenden schliesslich davon abhaengig gemacht, dass jemand rite ordinatus in der Kirche war.  Christliche Lehre, lutherische Lehre, missourische Lehre ist diese: Wo immer das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo verkuendigt wird, da kann ich mich dieses Evangeliums getrösten, ob es ein Prediger oder ein Laie, ein Erwachsener oder ein Kind, Mann oder Weib, ein ordnungsmaessig berufener und ordinierter Prediger, oder ein hergelaufener Prediger verkuendigt.  Die Gnade Gottes, von Christo erworben, ist im Evangelium niedergelegt, und auf welche Weise immer das Evangelium an uns


herantritt, so koennen wir aus diesem Evangelium die Gnade Gottes nehmen.  Ja, wenn uns niemand das Evangelium sagt, wenn wir es nur in einem Spruche an der Wand vor uns sehen, so gibt uns der Spruch die Gnade Gottes, die durch Christum erworben ist, und wir haben die Gnade, sobald wir sie um Glauben ergreifen.  Ferner stellten hier in Amerika die Synergisten den Satz auf. dass des Menschen Bekehrung und Seligkeit im letzten Grunde auf seiner eigenen freien Selbstentscheidung beruhe.  Damit wurde die Lehre von der Rechtfertigung gefaelscht.  Wenn naemlich die Seligkeit aus Gottes Hand genommen und in des Menschen Hand gelegt, wenn gesagt wird, dass die Bekehrung und Seligkeit im letzten Grunde auf des Menschen Entscheidung stehe, dann wird der Mensch nicht mehr allein aus Gnaden, sondern zum Teil, ja ausschlaggebend, durch sich selbst gerecht und selig.  Spaeter haben die Synergisten geradeheraus gesagt, dass des Menschen Bekehrung und Seligkeit garnicht allein von Gottes Gnade, sondern in gewisser Beziehung auch von Menschen abhaenge.  Das ist eine Unverschaemtheit des Teufels, innerhalb der lutherischen Kirche eine solche Rede zu fuehren.  Aber der Teufel weiss wohl, dass es immer unachtsame Leute gibt, die sich betoeren lassen.  Behauptete man doch, man wolle durch die Lehre, dass Bekehrung und Seligkeit teilweise auch vom Verhalten des Menschen abhaenge, die allgemeine Gnade retten.  Durch Gottes Gnade haben wir dem Teufel die Larve vom Gesicht gerissen, und wir wollen es durch Gottes Gnade noch ferner tun.

                "Und ob es die ueberdrüssigen Heiligen ein unnoetiges Ding achten, so fast (sehr) und immerdar solches zu treiben (den sie lassen sich dünken, dass sie es fast wohl willen, und haben es laengst ausgelernet), so weiss ich doch wohl, wie weit solch ihr Dünkel fehlet, und wissen nichts ueberall davon, wie viel an diesem Stuecke gelegen ist.  Denn wo dies einige Stueck rein auf dem Plan bleibet, so bleibet die Christenheit auch rein und fein eintraechtig und ohne alle Rotten; sintemal dies Stueck allein, und sonst nichts, macht und erhaelt die Christenheit.  Alle andere Stuecke moegen bei falschen Christen und Heuchlern auch gleissen; wo es aber nicht bleibet, da ist es nicht moeglich, dass man einigem Irrtum oder Rottengeist wehren moege.  Das weiss ich fürwahr und habe es versucht also viel, dass ich weder der Tuerken noch Juden Glauben koennte verlegen, wo ich ohne dies Stueck sollte handeln".

        Ein merkwuerdiges Bekenntnis aus Luthers Munde!  Er sagt, wenn er den Artikel von der Rechtfertigung nicht haette, dann koennte er der Tuerken und Juden Glauben nicht widerlegen.  Aber was Luther bekennt, ist Tatsache.  Gibt man den Artikel preis, dass der Mensch ohne Werke aus Gnaden um Christi willen gerecht wird, nimmt man dagegen als rechte Lehre an, dass ein


Mensch auch durch Werke sich Gottes Huld zuwege bringen koenne, dann geht die Disputation darueber an, welche Werke die besten seien.  Und da geht es nach dem Spruch: Jedem Narren gefaellt seine Kappe.  Die Tuerken sagen, ihre Werke seien die besten.  Die Juden und die heidnischen Religionsstifter sagen von ihren Werken dasselbe.  Aber im Lichte der christlichen Lehre von der Rechtfertigung brauchen wir garnicht zu entscheiden, welche Werke die besten und groessten seien zur Beantwortung der Frage: Was muss ich tun, dass ich selig werde?  Wir wissen: Die Seligkeit ist ganz und gar von den Werken unabhaengig.

        Welches die grössten und besten Werke seien, diese Frage interessiert uns erst dann, wenn wir durch den Glauben an Christum Gottes Kinder geworden sind.  Nun entsteht die Frage: Wie sollen wir als Gottes Kinder Gott wohlgefaellig wandeln?  Dann schauen wir in das geoffenbarte Gesetz hinein und erkennen daraus Gottes Willen.

                "Und wo auch Rotten aufkommen oder anfahen, da habe du keinen Zweifel, dass sie gewisslich von diesem Hauptstueck gefallen sind, unangesehen, dass sie mit dem Maule viel von Christo plaudern und sich fast putzen und schmücken.  Denn dies Stücke lässt keine Rotten aufkommen; sintemal es nicht kann sein, der Heilige Geist muss auch da sein, der nicht Rotten lässt anfahen, sondern Eintracht gibt und erhaelt". (V, 1697, 1698).

                        Achter Vortrag.

        Es gibt ein Gut hier in der Welt, das ist das grösste aller Gueter, welche ein Mensch hier auf Erden geniessen kann.  Wenn der Reiche es nicht hat, dann ist er bei allem Reichtum arm.  Wenn der Arme es hat, dann ist er bei aller Armut reich.  Wenn jemand in dieser Welt weiter nichts erlangt haette als dies Gut, so haette er doch nicht vergeblich gelebt, sondern das Ziel dieses Lebens erlangt, und wenn jemand dieses Gutes in dieser Welt nicht teilhaftig geworden ist, dann hat er in der Tat vergeblich, ja, sich zum Schaden gelebt, und wenn er Millionen an irdischem Gut aufgehäuft und einen grossen Schatz an irdischem Wissen gesammelt haette.

        Welches ist diese Gut?  Das ist die Vergebung der Suenden!  Ja, die Vergebung der Suenden ist das grösste Gut, welches ein Mensch hier auf Erden besitzen kann.  Deshalb preist der Heilige Geist durch David im 32 Psalm den Menschen glücklich, der dies Gut erlangt hat.  "Wohl dem," sagt er, "dem die Uebertretungen dem der Herr die Missetat nicht zurechnet".  Wenn der Reiche nicht Vergebung der Suende hat, dann ist er arm, denn er geht bei seinem Reichtum ewig verloren.  Wenn der Arme Vergebung der


Suenden hat, dann ist er bei seiner Armut reich; denn durch die Vergebung der Suenden ist der Himmel sein.  Wenn jemand in diesem Leben Vergebung  der Suenden erlangt hat und weiter nichts, dann hat er nicht vergeblich gelebt, sondern dieses Lebens Ziel erlangt, naemlich die Seligkeit, und wenn jemand in diesem Leben nicht der Vergebung der Suenden teilhaftig wird, dann hat er vergeblich, ja sich zum Schaden gelebt.  Denn dieses Leben ist ihm nicht, wie es doch sein sollte, der Eingang zum ewigen Leben, sondern im Gegenteil der Eingang zur ewigen Verdammnis geworden!

        Wie erlangt nun aber ein Mensch dies hoechste aller Gueter?  Nur auf eine Weise.  "Es mag niemand erwerben, noch ererben Durch Werke deine Gnad, Die uns errett vom Sterben," singt Paul Speratus.  Der Vergebung der Suenden wird man nur auf eine Weise teilhaftig.  Gott laesst uns die Vergebung der Suenden als ein Geschenk zuteil werden aus Gnaden um Christi willen.  Aus dem Evangelio müssen wir die Vergebung der Suenden im Glauben hinnehmen.  Wer die Vergebung der Suenden nicht so erlangen will, der erlangt sie nie.

        Die Aufgabe des Amtes nun, auf welches Sie sich vorbereiten, besteht darin, dass Sie der Welt durch die Predigt des Evangeliums dieses grösste aller Gueter, die Vergebung der Suenden bringen.  O, welch ein herrliches, welch ein wichtiges Amt!  Gott gebe Ihnen Gnade, dass Sie dieses Amt treulich ausrichten.

        Endlich schreibt Luther zu Joh 16,3:

                "Darum liegt es gar an diesem Artikel von Christo und hanget alles daran; wer diesen hat, der hat alles, und müssen die Christen darob im höchsten Kampf stehen und stetigs streiten, dass sie dabei bleiben moegen; darum auch Christus und die Apostel nicht ohne Ursach allenthalben darauf dringen.  Denn die andern Artikel, wiewohl sie auch in der Schrift gegruendet sind (als: dass Maria, eine reine Jungfrau, Christum geboren habe), doch treibet sie solche nicht so hart, dass St Paulus (da er ueber diesem Artikel streitet) auch nicht achtet, die Mutter zu nennen, noch die Ehre der Jungfrauen anzeucht, sondern schlechts dahin sagt Gal. 4,4: Natum ex muliere, das ist, von einem Weibe geboren.  Aber in dem ist er gar und ganz, dass wir nicht durch Werk und Gesetz, sondern allein durch diesen Mittler, Christum, Gnade und Seligkeit bei Gott erlangen".

        Worauf Luther hier aufmerksam macht, ist dies: Christus und seine Erkenntnis tritt in der Schrift ueberall in den Vordergrund.  Das wird jeder aufmerksame und verstaendige Bibelleser bestaetigt finden.  Luther fuehrt hier als Beispiel Gal. 4 an.  Gal. 4 handelt der Apostel davon, wie durch die Erscheinung des Sohnes Gottes im Fleisch wir Menschen vom Fluch des Gesetzes erlöst und Gottes Kinder geworden seien, und indem er diesen Gegenstand behandelt, erwaehnt er auch die, aus welcher der Sohn


Gottes sein Fleisch, seine menschliche Natur, an sich genommen hat.  Aber er haelt sich nun nicht lange dabei auf, die Ehrentitel der Gebenedeiten unter den Weibern anzufuehren, ja, er nennt nicht einmal ihren Namen, den Namen "Maria", sondern er sagt einfach: "Da aber die Zeit erfuellet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan".  Warum lässt der Apostel Paulus, oder vielmehr der Heilige Geist durch den Apostel Paulus, hier Maria so in den Hintergrund treten?  Nun, der Apostel handelt hier von göttlichen Werken, von dem Werke, durch welches die Menschen von dem Fluch des Gesetzes erloest, der Gnade  Gottes teilhaftig geworden und in den Himmel gehoben worden sind, und bei diesem Werk soll Maria und kein Mensch neben Christo zu stehen kommen.  Christus hat dieses Werk allein vollbracht.  Er hat die Kelter des Zornes Gottes ganz allein getreten.  Im Papsttum freilich ist es anders.  Da tritt nicht Christus ueberall in den Vordergrund, sondern Maria.  Das Papsttum als solches ist auch eine ganz andere Religion als die christliche Religion.  Im Papsttum werden die Menschen auf Menschenwerke hingewiesen, auf die Werke der Maria und anderer Heiligen.  Hingegen nach der Heiligen Schrift werden alle Menschen nur auf Christum, den einzigen Heiland, als ihren Erretter hingewiesen.  Ein anderes Beispiel.  Im ersten Kapitel des Evangelii Lucä wird uns die wunderbare Geschichte Johannis des Täufers berichtet, die wunderbare Ankuendigung seiner Geburt usw.  Als nun aber dem Vater Zacharias der Sohn der Verheissung geboren war, und als ihm dem bisher Stummen, am Tag der Beschneidung die Rede wiedergegeben wurde, wovon redet er da?  Redet er zunaechst von seinem Sohn?  O nein!  Die ersten acht Verse von dem Lobgesang des  Zacharias handeln von dem Heiland der Menschen, von Christo.  Dann erwaehnt er in zwei Versen auch seinen Sohn:  "Du Kindlein" usw und un den letzten zwei Versen wendet er sich wieder in seiner Rede dem Heiland zu.  Diese Bemerkung, welche Luther hier macht, beruht auf sorgsamem Studium der Heiligen Schrift.  Christus tritt ueberall in den Vordergrund.  Alles andere wird nur erwaehnt, um Christo zu dienen.  Denn Christus ist Kern und Stern der Heiligen Schrift.  Ja, Christi wegen ist ueberhaupt die Heiligen Schrift geschrieben.  Gaebe es keinen Heiland, dann gaebe es auch keine Heilige Schrift.  Denn die Heilige Schrift ist ein Zeugnis Gottes davon, dass wir arme Suender durch den menschgewordenen Sohn Gottes selig werden sollen.  "Suchet in der Schrift sie ist 's, die von mir zeuget".  Weiter macht Luther darauf aufmerksam, dass sowohl die Welt als auch die falschen Kirchen der wahren Kirche Gottes feind sind wegen der Lehre von der Rechtfertigung.  Den Punkt haben wir schon frueher ausfuehrlich eroertert.  In der Lehre von der Rechtfertigung konzentriert sich der Gegensatz der christliche Kirche sowohl der Welt, als auch der falschen Kirche gegenueber.  Die Welt, wenn sie noch fromm sein will, will durch Werke selig werden, und das


Papsttum ist eben in seiner Froemmigkeit weiter nichts als Werktreiberei.  Da ist es denn nicht zu verwundern, dass die falschen Kirchen und die Welt der christlichen Kirche feind sind gerade wegen dieses Artikels.  Das erfahren auch wir in unserer Zeit.  Wir Missourier werden zu dieser Zeit angefochten, angefeindet, verlästert, weil wir den Artikel von der Rechtfertigung predigen.  Das ist gewisslich so.  Hier in Amerika hallt es wieder von dem Geschrei: "Die Missourier sind Calvinisten!"  Ein Koen-igsber Professor hat kuerzlich, als er einen Vortrag in einer grossen Versammlung hielt, mit Genugtuung darauf hingewiesen, dass die Missourier nun endlich doch einmal in einen Irrtum gefallen waeren!  Sie waeren auf eine zum Calvinismus fuehrende abschuessige Bahn geraten.  Aber warum sollen wir denn Calvinisten sei?  Leugnen wir etwa die allgemeine Gnade?  O nein!  Wir bekennen es mit lautem Munde, dass Gott alle Menschen selig machen wolle.  Ja, unsere synergistischen Gegner sagen gelegentlich:  Ganz gewaltig reden die Missourier von der allgemeinen Gnade.  Leugnen wir den, dass Christus alle Menschen erloest hat?  O nein!  Wir lehren die Allgemeinheit des Verdienstes Christi.  Leugnen wir denn, dass der Heilige Geist alle Hoerer durch das Wort des Evangelii zum Glauben bringen und selig machen wolle?  O nein!  Das leugnen wir auch nicht, sondern das bekennen wir mit aller Entschiedenheit.  Aber warum denn in aller Welt sollen wir Missourier Calvinisten sein?  Deshalb, sagen die Synergisten, weil die Missourier lehren, dass Bekehrung und Seligkeit allein von der Gnade Gottes abhaengt, waehrend man doch sagen muss, dass Bekehrung und Seligkeit nicht allein von der Gnade Gottes, sondern auch in gewisser Hinsicht vom Verhalten des Menschen abhaengig sei.  So ist es klar: wir werden jetzt vor der Welt und vor der ganzen Kirche verlästert, weil wir an dem Artikel von der Rechtfertigung festhalten, an der Lehre, dass ein Mensch bekehrt und selig werde allein aus Gnaden um Christi willen, dass in ihm nicht die geringste Veranlassung, die geringste Ursache der Bekehrung und Seligkeit liege, sondern dass Gott allein in jeder Hinsicht diese Ursache sei.  Luther sagt darueber:

                "Denn das ist auch allein der Artikel, der da allezeit muss Verfolgung leiden vom Teufel und der Welt.  Wie denn davon verkuendiget ist bald im Anfang in der ersten goettlichen Predigt, so zu dem Menschen nach dem Fall geschehen ist, 1 Mos 3,15: Ich will Feindschaft legen zwischen deinem Samen und der Schlange, und derselbige Same wird dir den Kopf zertreten, du aber wirst ihn in die Ferse stechen usw.  Das ist eben die Feindschaft, davon Christus hier sagt, dass seine Christen um seines Erkenntnisses willen und dass sie von ihm predigen, müssen beide, in Bann getan und getoetet werden.  Andere Artikel haben auch Anfechtung gehabt, aber keiner so viel Blutvergiessen und Marter gemacht, als dieser.  Denn es auch so bald angefangen hat in den zweien Brüdern Kain und Abel, dass der eine darum hat müssen sterben


        von des andern Haenden, und wird nicht aufhoeren, so lange die Welt stehet.    Wo dieser aufgehet, da ist der Teufel toll und toericht und brennet die Welt in eitel Feuer und lichterlohe vor Zorn und Toben".

Nun haben wir noch von Luther eine gewaltige Zusammenfassung der Zentralstellung des Artikels von der Rechtfertigung:

                "Und man siehet in allen Historien, dass alle Ketzerei und Irrtum entstanden sind, wo dieser Artikel gefallen ist, da die Leute sicher worden, als koennten sie ihn sehr wohl, und also von diesem auf andere Dinge gefallen und angefangen zu disputieren von der Person Christi, ob er wahrhaftiger Gott, oder lauter Mensch waere, und mit solchem Spekulieren und Fragen alles Unglueck eingeführet, da einer die Gottheit Christi, ein anderer die Menschheit, item, etliche die Person des Heiligen Geistes, etliche die Jungfrauschaft Mariä verleugnet: aber alle zumal, so viel ihrer gewesen sind, auch in diesem Hauptstueck geirret und verfuehret haben.  Denn in diesem hanget und stehet es alles und zeucht die andern alle mit sich und ist alles um diesen zu tun, dass, wer in den andern irret, hat gewisslich auch diesen nicht recht, und ob er gleich die andern haelt, und diesen nicht hat, ist es doch alles vergeblich.  Wiederum hat auch dieser Artikel die Gnade, wo man mit Fleiss und Ernst dabei bleibet, dass er nicht laesst in Ketzerei fallen, noch wider Christum und seine Christenheit laufen.  Denn er bringet gewisslich den Heiligen Geist mit sich, welcher dadurch das Herz erleuchtet und haelt in rechtem, gewissem Verstande, dass er kann rein und dürre Unterscheid geben und rechten von allen anderen Artikeln des Glaubens und dieselben gewaltiglich erhalten und verteidigen.  Wie man auch wohl siehet in den alten Vaetern:  wo sie bei solchem Artikel bleiben und ihre Lehre darauf gegruendet und daraus gefuehret, sind sie in allen Stuechken fein rein blieben; wo sie aber davon gegangen und ausser diesem disputiert, sind sie auch irre gangen und weidlich gestrauchelt; wie auch den aeltesten, Tertulliano und Cypriano, unterweilen geschehen ist.  Und was mangelt noch nicht allein den Papisten, sondern unsern Rottengeistern allen, so wider die Taufe und andere Artikel schwaermen, denn dass sie , schon von diesem gefallen, sich nicht damit bekuemmert und dafuer andere Dinge aufgeworfen, und damit den Verstand verloren haben, dass sie hievon nichts Rechtes lehren und keinen Artikel gewiss erhalten koennen?  wie man in ihren Buechern wohl sehen kann: darnach weiter von einam Irrtum in den andern fallen, bis sie zuletzt sich und andere Leute ins Verderben fuehren.  Denn wo diese Erkenntnis Christi hinweg ist, da hat die


        Sonne ihren Schein verloren und ist eitel Finsternis, dass man nichts mehr recht verstehet und kann sich keines Irrtums noch falscher Lehre des Teufels erwehren.  Und ob man wohl die Worte vom Glauben und Christo behaelt (wie sie im Papsttum blieben sind), so ist doch kein Grund einiges Artikels im Herzen, und was mehr da bleibt, das ist eitel Schaum und ungewisse persuasiones oder Dünkel oder ein gemalter, gefaerbter Glaube".

        Das ist gewiss so, Der christliche Glaube hat einen ganz bestimmten, konkreten Inhalt, sodass, wenn dieser Inhalt nicht da ist, dann ist auch kein christlicher Glaube da.  Ein Christ ist nicht ein Mensch, der irgend etwas glaubt, sondern ein Christ glaubt, dass er allein aus Gnaden um Christi willen einen gnaedigen Gott im Himmel habe.  Das ist der christliche Glaube.  Hat der Glaube nicht diesen Inhalt mehr, dann ist er ein gemalter, ein gefaerbter Glaube.  Wer das nicht glaubt, kann auch an Muhamed und Konfucius glauben.  Es kommt immer dasselbe Resultat heraus.  Er geht ewig verloren.

        "Wie sie selbst ihren Glauben nennen fidem acquisitam et informem, das ist, ein loser, fauler, lediger Gedanke, der nichts tut noch taugt, weder haelt noch kaempft, wenn es zum Treffen gehet, dass er halten und sich beweisen soll.  Und zwar, dass ihr Ruehmen vom Glauben und Christo ganz falsch und erlogen ist, beweisen sie selbst mit der Tat, dass sie diesen Artikel vom Erkenntnis Christi und rechtem Glauben nicht leiden wollen, sondern dawider toben mit Bannen und Morden".

        Mit Wort und Tat streitet das Papsttum immerfort gegen diesen Artikel.  Die lebendigen Zeugen dieser Wahrheit, die Zeugen Jesu, hat das Papsttum immer gemordet.  Und mit Worten tut das Papsttum soviel, dass es im Tridentinum, seiner Hauptbekenntnisschrift, den Artikel von der Rechtfertigung verflucht.  Das ist die Stellung des Papsttums zu diesem Artikel.

        "Wiederum, wo diese Sonne scheinet und leuchtet im Herzen, da ist ein recht gewisser Verstand von allen Sachen, dass man kann fest stehen und halten ob allen Artikeln, als: dass Christus wahrhaftiger Mensch ist, geboren von der Jungfrau Maria".

        Denn nur ein Mensch, der ein Mensch war wie wir, konnte an unsere Stelle treten und so Vergebung der Suenden uns erwerben.  "Und auch wahrhaftiger, allmaechtiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren".  Denn nur wenn das Gewicht der Gottheit daran haengt, ist Christi Genugtuung hinreichend fuer alle Menschen und Christi Blut so kostbar, dass es die Suenden aller Menschen wegwäscht.  "Herr ueber Engel und alle Kreaturen; item, also gläubet und lehret er recht von dem Heiligen Geist".  Der Heilige Geist verklaert Christum dadurch, dass er den Glauben an Christi Verdienst im Herzen anzündet.  "Von der  Taufe,


Sakrament".  Er fasst die Taufe und das Heilige Abendmahl auf als Gnadenmittel, als Roehren, durch welche Gott uns die Gnade, die Christus durch sein Blut erworben hat, zukommen lässt.  "Guten Werken".  Luther sieht die Werke an lediglich als Fruechte des Glaubens, nicht als ein Mittel, die Vergebung der Suenden zu erwerben.  "Auferstehung der Toten".  Er glaubt, dass alle diejenigen herrlich zum ewigen Leben auferstehen werden, welche im Glauben an Christum, den einzigen Heiland, verschieden sind, und haelt ebenso fest, dass alle Ungläubigen auferstehen werden zur ewigen Verdammnis, weil sie den einigen Heiland verworfen haben.  "Gehet also einfaeltiglich im Glauben, disputiert und klügelt nicht ueber Gottes Wort, richtet kein Gezänk noch Zweifel an.  Und wo jemand koemmt, der solcher Artikel einen oder mehr anficht, so kann sich ein Christ wehren und dieselben zurueckschlagen: denn er hat den rechten Meister (den Heiligen Geist), welcher allein diesen Artikel vom Himmel offenbaret und allen denen gegeben wird, so dies Wort oder Predigt von Christo hoeren und annehmen.  Darum wird sich ein solcher nicht lassen verfuehren in Ketzerei und Irrtum, und oberschon etwa fehlt und strauchelt, doch, so er nur hiervon nicht faellet, kommt er bald wieder auf die Bahn".  Das haben wir auch erfahren in dem Streit ueber die Lehre der Gnadenwahl.  Da standen Hunderte von Gemeinden zunaechst im Zweifel, welcher Seite sie sich zuwenden sollten, ob sie in der Gemeinschaft unserer Synode bleiben, oder ob sie vielleicht den Gegnern zufallen sollten.  Aber als unsere Gemeinden darueber belehrt wurden: Wenn ihr den Synergisten zufällt, dann verleugnet ihr eure christliche Erkenntnis, die ihr aus dem dritten Artikel habt: Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft usw, da erkannten sie auf wessen Seite die Wahrheit sei, sodass, als schliesslich die Gemeinden in ihren Delegaten gefragt wurden, ob sie an der reinen Lehre, die von uns verkuendigt wurde, festhalten wollten, da erscholl von allen Seiten das freudige Ja!  Wollen Sie Irhe Gemeinden vor Irrtum bewahren, wollen Sie sie recht fest gruenden wider alle Verfuehrer, dann sorgen Sie dafuer, dass in denselben die Erkenntnis bleibt, dass ein Mensch aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig werde.

                "Denn dies Licht die Wolken und Finsternis verzehret und vertreibet und ihn wieder weiset und aufrichtet.  Verlieret er aber dies Licht, so ist ihm nicht zu helfen.  Denn wo diese Erkenntnis weg ist, so nimmt sie es alles mit ihr, und magst darnach alle Artikel fuehren und bekennen (wie denn die Papisten tun), aber es ist kein Ernst noch rechter Verstand, sondern wie man im Finstern tappet, und ein Blinder von der Farbe hoeret reden, die er nie gesehen hat.  Das tun die, so unter ihnen die Besten und Frömmsten sind.  Denn der andere grosse Haufe müsse dies erfuellen, so hier Christus sagt, dass sie


        mit dem Kopf dawider laufen, laestern und verfolgen, bannen und morden die rechten Christen, aus keiner andern Ursache, ohne allein um dieser Erkenntnis willen, und werden also besessen, verblendet und verstockt, ja, eitel Teufel aus denen, so dieses Artikels Erkenntnis nicht haben (ob sie gleich sonst ernstlich trachten, heilig und fromm zu sein), gleichwie aus denen, die ihn erkennen und gläuben, eitel Gottes Kinder werden". (VIII, 502 - 506).

                "Obgleich nun die folgenden Lehrer unserer Kirche nicht so gewaltig von der Wichtigkeit des Artikels von der Rechtfertigung gezeugt haben, so haben sie dies doch in demselben Sinne getan".

        Es gibt eben nur einen Reformator.  Gewoehnen Sie sich nie an zu sagen: "Reformatoren".  Es gibt nicht Reformatoren, sondern nur einen Reformator, das ist Luther.  Brenz Bugenhagen und eine Zeitlang auch Melanchthon, waren Gehilfen dieses Reformators.  Es heisst ganz und gar die Wohltat, die Gott durch Luther der Kirche erwiesen hat, verkennen, wenn man von Reformatoren redet, das heisst von Maennern, die auf gleicher Stufe staenden mit Luther.  Die Spaeteren, selbst ein Chemnitz, haben Luther nur nachgestammelt.  Die wandelten in dem Licht, das durch Luther wieder auf den Leuchter gestellt war.  Sie schoepften aus der Quelle, welche Luther, durch Gottes Gnade erschlossen hatte.  Chemnitz freilich ist unstreitig der Grösste Lehrer  der lutherischen Kirche im 16 Jahrhundert naechst Luther, weshalb er auch der alter Martinus genannt wird.  Chemnitz gebraucht ein überaus passendes Beispiel, um einzuschaerfen, dass der Artikel von der Rechtfertigung keinen Irrtum neben sich leidet.

                “Dieser Artikel ist gleichsam die Burg und Hauptschutzwehr der ganzen christlichen Lehre und Religion; wenn dieser entweder verdunkelt, oder verfaelscht, oder umgestossen wird, so ist es unmoeglich, die Reinheit der Lehre in andern Artikeln zu erhalten.  Wenn aber dieser Artikel unversehrt bleibt, so fallen von selbst alle Abgoettereien, aller Aberglaube und was es nur fuer Verfaelschungen in allen andern Artikeln geben mag, gleichwie 1 Sam 5, 1-4, als die Bundeslade in dem Tempel der Philister neben das Götzenbild Dagon gestellt wurde, jenes Bild sogleich weggerückt wurde, und obgleich man es wiederholt an seine vorige Stelle brachte, doch, so lange die Lade des HErrn da stand, nicht fest stehen konnte, ja, endlich gänzlich zertrümmert wurde". (Loc theol II, 200).

Das ist ein sehr schoenes und die Sache bezeichnendes Gleichnis.

        So schreibt ferner Johann Gerhard:

                "Die höchste Würde dieses Artikels ist mit ebenso


        grossem Nutzen und ebenso grosser Notwendigkeit desselben verbunden, sintemal die gottselige und unverfaelschte Handlung desselben:

                "1. Christo die schuldige Ehre zueignet;"

        Eine Ehre ist es, die will Christus von uns Menschen haben.  Wenn wir ihm diese Ehre nicht geben, dann ehren wir ihn gar nicht, im Gegenteil, wir verunehren ihn nur.  Welche Ehre ist das?  Die Ehre, dass wir nicht durch irgend ein Werk unsererseits, sondern einzig und allein durch sein Werk gerecht und selig werden.

                "2. den erschrockenen Gewissen einen festen Trost zeigt;"

        Nur wenn der Artikel von der Rechtfertigung rein gelehrt und im Glauben erfasst wird, dann kommt ein Suender zur Gewissheit der Vergebung der Suenden.  Dann hat er den rechten Trost.  Solange ein Mensch nicht der Vergebung der Suenden gewiss ist, hat er keinen Trost.  Wenn er an den Tod denkt, erschrickt er.  Wenn er sich vorstellt: Der jüngste Tag kommt, so erschrickt er.  Ist er aber der Vergebung der Suenden gewiss, dann hat er wirklichen Trost.  Dann spricht er: "So komm' mein End heut oder morgen, Ich weiss, dass mirs mit Jesu glückt".  Und wenn er sich vorstellt, dass in diesem Augenblick der juengste Tag hereinbreche, auch dann ist er getrost, denn er weiss:  Christus erscheint ihm nicht als Richter, sondern als sein Heiland, um ihn in die ewige Freude zu holen.  Aber diese Gewissheit hat man lediglich, wenn man den Artikel von der Rechtfertigung rein glaubt.

                "3. den Unterschied des Gesetzes und Evangeliums wie mit Verschanzungen umgibt".

        Wir müssen das Gesetz in Bezug auf seine Sphäre sehr bestimmt abzugrenzen verstehen, oder wehe uns!  Das Gesetz sagt: "Welche Seele suendigt, die soll sterben".  "Verflucht sei, wer nicht alle Worte des Gesetzes erfuellet, dass er darnach tue".  Wie wollen wir uns mit diesen Worten auseinandersetzen?  So, dass wir sagen:  Es ist nicht so ernstlich gemeint?  Das waere eine Luege.  Es ist wirklich so gemeint, wie es lautet.  Jede Seele, welche suendigt, soll sterben, ewig sterben.  Aber, wenn wir den Artikel von der Rechtfertigung erkannt haben, wissen wir:  Das Gesetz soll nur gelten bis auf Christum.  Sobald ich Christum als meinen Heiland anrufe und ihn im Glauben als meinen Erretter von Suende und Tod annehme, dann wird der Fluch des Gesetzes in Bezug auf meine Person aufgehoben.  Wer an Christum glaubt, der ist gerecht.  So sagen wir zum Gesetz, wie Luther so oft ausführt: Das ist wahr, ich bin ein fluchwuerdiger und verdammungswürdiger Suender, aber die "Folgerung", dass ich nun deswegen verdammt werden soll, gebe ich nicht zu, denn Christus hat mich erloest von dem Fluch des Gesetzes, darauf stütze ich mich.  Du Gesetz sollst mir weiter nichts tun, als meine Suenden offenbaren.  Das hast du getan.  Dank dafuer!  Aber ob ich nun verdammt werde oder nicht, das will ich mit meinem Heiland abmachen.  Ich will hoeren, was


der mir sagt.  Der sagt: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken".  "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen".  Aber nur wenn Sie das Gesetz auf seine rechte Sphaere beschränken.

                "4. die noetige Glaubensgewissheit in wahrer und gottgefaelliger Anrufung erweckt".

        Dass wir Gott anrufen duerfen als unseren gnaedigen Vater, das ist unser Trost.  Es ist unser Trost, dass wir des Morgens Gott anrufen und uns seinem Schutz befehlen dürfen, und es ist unser Trost, dass wir des Abends wieder Zuflucht nehmen duerfen zu demselben Gott in dem Vertrauen, dass er uns wohl bewahren, dass uns kein Haar vom Haupte fallen wird wider Gottes Willen.  Aber woher kommt solche Zuversicht in das Herz?  Woher diese Zuversicht, Gott so anzurufen und ihm so zu vertrauen?  Einzig und allein daher, dass wir zuvor gewiss geworden sind durch den Artikel von der Rechtfertigung, dass uns Gott um Christi willen  gnaedig sei.  Fehlt diese Gewissheit der Gnade Gottes, so koennen wir auch Gott nicht anrufen; mit Lippen koennen wir allenfalls beten, abe nicht von Herzen.  Nur da kann gebetet werden, wo der Artikel von der Rechtfertigung geglaubt wird.  Anderswo wird nur geplappert

                "5. die Herzen der Frommen zu ernstlichem Eifer in guten Werken entflammt".  (Loc theol de justif  paragr 2).

        Luther sagt: Die guten Werke werden nicht von der Erde aus getan, sondern vom Himmel aus, das heisst, gute Werke tut nicht derjeinige, der da meint, er müsse erst mit seinen Werken sich den Himmel erschliessen, sondern nur derjenige, der durch den Glauben an Christum bereits den Himmel hat, der gewiss ist, dass er ein Kind Gottes, im Besitz des ewigen Lebens sei.  Dann tut er aus Dankbarkeit gegen Gott auch gute Werke.  Anders kommt es nicht zu guten Werken.

        So schreibt ferner Balthasar Meisner:

                "Dieser Artikel ist gleichsam das Zentrum (der Mittelpunkt) der Gottesgelahrtheit, dahin alles zielt, der heilige Ozean, in welchem alles zusammenfliesst, die Glaubensarche, welche alles sicher und unversehrt erhaelt".  (Anthropolog, D 3, disp 24, p 139). [A].

        Das ist der Prüfstein fuer Sie, ob Sie schon angefangen haben, wahre Theologen zu werden, wenn Sie die Zentralstellung des Artikels von der Rechtfertigung erkennen.  Sehen Sie ein wie im der Schrift und in der ganzen christlichen Lehre alles auf den Artikel von der Rechtfertigung hinweist, dann haben Sie schon theologische Erkenntnis, und je mehr Ihnen der Artikel von der Rechtfertigung ins Zentrum tritt, alle Ihre Gedanken von diesem Artikel ausgehen und wieder darauf zurückzuführen, je mehr wachsen Sie in der rechten Theologie.


                Neunter Vortrag.

        Wir haben uns bisher wiederholt daran erinnert, dass alle Menschen mit Ausnahme der Christen durch Werke selig werden wollen.  Dies deutet darauf hin, dass dieser Wahn bei den Menschen tief eingewurzelt sei, ihnen gleichsam im Blute liegen müsse.  Und in der Tat, so ist es.  Der natuerliche Mensch, das heisst, der durch die Suende verderbte Mensch, kann nach seiner Art, nach seiner Natur,  nach seiner Beschaffenheit, nicht anders als dafuer halten, dass er durch Werke vor Gott gerecht und selig werden müsse.  So wenig der natuerliche Mensch das Suendigen lassen kann, so lange er ein natuerlicher Mensch ist, so wenig kann er sich von dem Wahn losmachen, dass er durch Werke selig werde.  Die Papisten irren daher sehr, wenn sie meinen, die Lehre, dass der Mensch aus Gnaden um Christi willen, also durch den Glauben an das Evangelium und nicht durch eigene Werke selig werde, das sei eine Religion des Fleisches.  Gerade das Umgekehrte ist der Fall.  Durch Werke selig werden wollen, das ist die Religion des Fleisches, des natuerlichen Menschen.  Aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben an das Evangelium selig werden wollen, das kann nur der, welcher durch den Heiligen Geist wiedergeboren, ein neuer Mensch geworden ist.

        Daher kommt es nun auch, dass die Lehre von der Rechtfertigung eine schwere, ja die schwerste Lehre ist, auch noch fuer den Christen.  Freilich, alle Christen ohne Ausnahme kennen und glauben diese Lehre, denn dadurch sind wir ja Christen.  Alle Christen finden auch diese Lehre klar in der Heiligen Schrift in jedem evangelischen Spruch geoffenbart, und gerade darum ist ihnen die Heilige Schrift ein so koestliches, troestliches Buch.  Die Christen sollen auch allesamt diese Lehre andern bezeugen, denn nur so verkuendigen sie die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.  Aber nun haengt den Christen auch noch bis an den Tod der natuerliche Mensch, das Fleisch, an, und das Fleisch sucht sie fortwährend an der Lehre von der Rechtfertigung irre zu machen.  Das Fleisch reizt jeden Christen fortwaehrend, sich, anstatt allein auf Gottes Gnade, auch auf seine Werke zu verlassen.  Das Fleisch sucht auch fortwaehrend den Christen das klare Urteil in Bezug auf die Lehre von der Rechtfertigung zu trueben, sodass sie nicht immer klare Zeugen dieser Lehre sind.  So kann der Christ nur im Kampf, im fortwährenden Kampf gegen das Fleisch bei der rechten Lehre von der Rechtfertigung bleiben.

        So ist es zu verstehen, wenn nun Luther sagt, dass kein Christ die Lehre von der Rechtfertigung in diesem Leben je auslerne, ja, dass der noch nicht angefangen habe, die Lehre von der Rechtfertigung recht zu verstehen, der da meint, er habe sie schon ausgelernt.  Auf diesen Ausspruch Luther lassen Sie uns heute Abend achten.  


        Es heisst in der These, S 14, parag 2:

                "Diejenigen irren sehr, welche sich dünken lassen, die Lehre von der Rechtfertigung recht zu fassen und vorzutragen, sei einen leichte Sache, oder die wohl gar vermeinen, diese Lehre  längst ausgelernt zu haben.

        Dazu sagt Luther in der Auslegung des 117 Psalms:

                "Wo du einen unzeitigen und unreifen Heiligen hoerest, der sich ruehmet, er wisse fast wohl, dass wir ohne unser Werk durch Gottes Gnade selig werden müssen, und stellet sich, als sei es vor ihm eine schlechte, geringe Kunst; da zweifle du nichts ueberall, dass derselbige nicht weiss, was er sagt; soll es vielleicht auch wohl nimmermehr erfahren noch schmecken.  Denn es ist nicht eine Kunst, die sich lässt auslernen, oder rühmen, dass man sie könne; es ist eine Kunst, die uns will zu Schülern behalten und Meisterin bleiben".

        Weiterhin fuehrt nun Luther aus, es sei Kennzeichen eines rechten Theologen, wenn er erkennt, dass er diese Lehre noch nicht ausgelernt habe.

        "Und alle, die sie recht koennen und verstehen, die ruehmen sich nicht, dass sie es alles koennen, sondern fühlen wohl etwas davon als einen lieblichen Schmack und Geruch, dem sie nachtrachten und  -laufen, verwundern sich und koennen es nicht fassen, noch zu Ende ergreifen, wie sie gerne wollten; dürsten, hungern und sehnen sich immer mehr und mehr darnach und werden es nicht satt zu hoeren noch zu handeln.  Wie St Paulus Phil 3,12 selbst bekennet, dass er es noch nicht ergriffen habe, und Christus Matth 5,6 selig spricht, die solchen Hunger und Durst fühlen nach der Gerechtigkeit".

        Wir finden es taeglich an uns selbst, dass wir die Lehre von der Rechtfertigung noch nicht "von Grund aus" verstehen.  Wir wuerden sonst stets von himmlischer Freude erfuellt sein, keine Traurigkeit wuerde in unsern Herzen auch nur einen Augenblick wohnen, wir wuerden nie betrübt umhergehen.  Bedenken Sie, wer die Lehre von der Rechtfertigung glaubt, der weiss sich dadurch als Kind Gottes, der weiss, dass Gott nicht mehr Gedanken des Zorns wider ihn hat, sondern nur Gedanken der Gnade, der weiss sich im Besitz des ewigen, himmlischen Erbes.  Wenn wir das fortwährend recht glaubten, dann würde die Trübsal der Zeit auch nicht einen Augenblick uns traurig machen.  Dass wir so oft den Kopf haengen lassen, ja, dass ein Christ, wie Luther sagt, oefter traurig ist, als froehlich, das kommt daher: wir haben die Kunst, die Lehre von der Rechtfertigung zu glauben, noch nicht ausgelernt.  Merkwuerdig ist das folgende Selbstbekenntnis Luthers:

                "Und wen es gelüstet, der denke mein bei diesem Exempel, das ich hiermit bekennen will.  Es hat mich der Teufel etlichemal erwischet, da ich an dies Hauptstueck


        nicht gedachte, und mit Spruechen der Schrift also geplaget, dass mir Himmel und Erde zu enge ward.  Da waren Menschenwort und Gesetze alle recht, und im ganzen Papsttum kein Irrtum.  Kuerzlich, es hatte niemand jemals geirret, ohne der Luther allein, alle meine besten Werke, Lehre, Predigt und Buecher mussten verdammt sein.  Auch waere mir beinahe der schaendliche Mahomet zum Propheten und beide, Türken und Juden, eitel Heilige worden.  Darum lieber Bruder, sei nicht stolz noch allzu sicher und gewiss, dass du Christum wohl kennest.  Du hoerest jetzt, wie ich dir beichte und bekenne, was der Teufel vermochten hat wider den Luther, welcher doch auch schier sollte ein Doktor sein in dieser Kunst; er hat wohl so viel davon geprediget, gedichtet, geschrieben, geredet, gesungen und gelesen, und muss dennoch ein Schüler darinnen bleiben und zuweilen wohl weder Schueler noch Meister ist.  Darum lass dir raten, und sprich nicht: Hui!  Du stehest; siehe aber zu, und falle nicht; du kannst es alles; siehe aber zu, dass dir die Kunst nicht fehle.  Fuerchte dich, sei demuetig, und bete, dass du in dieser Kunst mögest wachsen, und behütet werdest vor dem kundigen Teufel, der da heisset Klügel oder Kündlin, der alles kann und alles im Flug lernet". (V, 1698 - 1700).

Achten wir noch auf die Worte, die Luther zu Jes 53, 7 schreibt:

                "So das wahr ist, dass er hat fuer uns gelitten, so muss man alle unsere Gerechtigkeit, gut Werke und Verdienst, darinnen unser Vertrauen stund, fuer nichts (ja, wie St Paulus zun Philippern am 3, V 8, sagt, fuer Kot) achten, und müssen also uns selbst treten und weichen und von ganzem Herzen auf eine fremde Gerechtigkeit uns verlassen und erwaegen, dass wir gleich als zwischen Himmel und Erde schwebend mit festem Glauben ergreifen und hangen an der Gerechtigkeit, die man weder sehen noch fuehlen kann, welche uns allein im Wort angeboten und geschenket wird.  Und ist dies die Ursache, dass niemand diese Lehre von der christlichen Rechtfertigung begreifen noch verstehen kann ohne den rechten Meiste und Lehrer, den Heiligen Geist". (VII, 996).

        Die Lehre von der Rechtfertigung ist deshalb eine so schwere Lehre, weil dabei der Christ, wie Luther sagt, gänzlich aus sich selbst heraustreten muss.  Was heisst das?  Bedenken Sie:  Die Gerechtigkeit, durch welche wir vor Gott gerecht sind, kommt nie in uns hinein, sondern bleibt immer ausser uns.  Wir haben uns auf eine Gerechtigkeit zu verlassen, von der wir nichts fuehlen und nichts empfinden, ja wir haben uns auf diese Gerechtigkeit zu verlassen, wenn wir im Herzen ganz und gar das Gegenteil fuehlen, naemlich Tod und Verdammnis.  Die Gerechtigkeit, durch welche wir vor Gott gerechtfertigt werden, ist ja die Gerechtigkeit Christi,  


welche er vor 1900 Jahren fuer uns alle erworben hat und die er nun nicht in uns hinein giesst, sodass wir nun dadurch in uns selbst gerecht waeren, sondern die er in das Evangelium gelegt hat, von welcher uns das Evangelium sagt und welche wir dadurch haben, dass wir sie glauben, glauben wider alles Fuehlen und Empfinden des eigenen Herzens.  Deshalb hat es in der Praxis mit der Lehre vonder Rechtfertigung seine Schwierigkeit.  Wir müssen die Praxis befolgen koennen, die in dem Lied ausgesprochen ist: "Ich glaube, was Jesu Wort verspricht, Ich fühle  es oder fühle es nicht".  Freilich, so lehren nur wir Lutheraner von der Rechtfertigung.  Die Schwaermer lehren ganz ander davon, die reden so, als ob die Gerechtegkeit der Christen vor Gott in der Umwandlung oder Erneuerung gestehe, die allerdings mit dem Menschen vor sich geht, wenn er an Christum glaubt.  Die Rechtfertigung ist ihnen das Fuehlen der Gnade.  Es ist wahr: durch Gottes Gnade fuehlen wir auch manchmal die Gnade.  Es ist manchmal eine geistliche, himmlische Freude in unseren Herzen ob der Gnade Gottes.  Aber dies Fuehlen der Gerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit, durch die wir vor Gott gerecht sind.  Die Gerechtigkeit, durch die wir vor Gott gerecht sind, bleibt ausser dem Menschen im Wort.  Aus dem Wort muss sie im Glauben genommen werden.  Darum koennen wir nun auch den Angefochtenen sagen, wenn sie uns bekennen: "Ich fuehle in meinem Herzen Tod und Verdammnis.  Wie kann ich mich der Gnade Gottes troesten und vor Gott gerecht sein"?  Hoere: Die Gerechtigkeit, durch welche du vor Gott gerecht wirst, hat Christus erworben und ist im Evangelium vorhanden.  Das Evangelium sollst du glauben.  Es handelt sich nicht um eine gute Beschaffenheit in dir, sondern um die Gerechtigkeit, die Christus erworben hat und dir im Evangelio verkuendigt wird.  Möchtest du die haben?  Ja, die möchte ich haben.  Nun gut, dann ist die Sache abgemacht.  Wer den Namen des Herren anruft, soll selig werden.

        Weiter schreibt Luther zu Gal. 2,17:

                "Daraus man denn wohl siehet, dass alle die, so da den Artikel von der Rechtfertigung nicht verstehen, nicht anders tun koennen, denn dass sie die zwei Stuecke, Gesetz und Evangelium, unter einander vermengen müssen".  (VIII, 1855).  An einer andern Stelle bezeugt er aber zugleich: "Darum, welcher diese Kunst, das Gesetz vom Evangelio zu scheiden, wohl kann, den setze obenan und heisse ihn einen Doktor der Heiligen Schrift.  Denn ohne den Heiligen Geist ist es unmöglich, diesen Unterschied zu treffen.  Ich erfahre es an mir selbst, sehe es auch taeglich an andern, wie schwer es ist, die Lehre des Gesetzes und Evangelii von einander zu sondern.  Der Heilige Geist muss hier Meister und Lehrer sein, oder es wird kein Mensch auf Erden verstehen noch lehren koennen.  Darum vermag kein Papst, kein falscher Christ,


        kein Schwaermer diese zwei von einander zu teilen".  (Predigt ueber Gal. 3,23-24 vom Jahre 1532.  IX, 415 - 416).

        Die Lehre von der Rechtfertigung ist ferner deshalb, wie Luther schreibt, eine schwierige Lehre, weil man dabei Gesetz und Evangelium von einander scheiden muss.  Gesetz und Evangelium müssen beide gelehrt und geglaubt werden.  Aber sie müssen auch scharf von einander geschieden werden.  Ungläubige machen sichs leicht.  Sie leugnen einfach die Schärfe des goettlichen Gesetzes.  Sie sagen:  Nun, Gott wird nicht gleich um jeder Suende willen den Suender verdammen.  Dadurch betruegen sie sich selbst.  Nein, wir müssen festhalten: Das goettliche Gesetz ist ein ewig gueltiges Wort Gottes, und jeder Christ muss bekennen: Ich bin durch das goettliche Gesetz verdammt.  Und doch kann und soll der Christ sagen: Ich gehe nicht verloren.  Ich bin dennoch Gottes Kind.  Nicht die Verdammnis, sondern die Seligkeit wird mein Teil sein.  Wie kommt der Christ zu solcher Rede?  Er scheidet Gesetz und Evangelium, wir es das Wort Gottes vorschreibt.  Er weiss: die Frage, wie ein Mensch gerecht und selig werde, soll gar nicht aus dem Gesetz beantwortet werden, sondern aus dem Evangelio.  Das Gesetz ist dazu da, dass es uns sage, wie wir Menschen beschaffen seien.  Aber wenn weiter die Frage entsteht:  Wie werden wir selig?  so sollen wir uns die Frage allein aus dem Evangelio beantworten lassen.  Das Evangelium ladet alle, die vom Gesetz verurteilt sind, ein, Gnade um Christi willen in Empfang zu nehmen.  Das Gesetz hat nur Geltung bis auf Christum, das heisst, das Gesetz kann die nicht mehr verdammen, welche im Glauben ihre Zuflucht nehmen zu Christo.  Diese Scheidung von Gesetz und Evangelio kann ein Christ nur vollziehen durch die Wirkung des Heiligen Geistes.

        Endlich weist Luther darauf hin, dass die Lehre von der Rechtfertigung deshalb eine so schwere Lehre sei in der Praxis, weil wir bei derselben Werke und Glauben scharf von einander scheiden müssen.  Wir müssen beides lehren: Werke und Glauben.  Wir müssen lehren, dass die guten Werke notwendig seien.  Das sollen die Pastoren lehren das sollen die Schullehrer lehren, das sollen die Hausväter lehren, das sollen wir immerfort uns selbst lehren: So gewiss wir Menschen sind, zu Gottes Dienst erschaffen, so gewiss sollen wir auch jeden Augenblick, jede Minute, jede Stunde, jeden Tag im Dienste Gottes zubringen mit guten Werken.  Wir müssen fortwährend bedenken, wie wichtig die guten Werke seien.  Die guten Werke werden von Gott mit einem herrwie ich schon oefters erwaehnt habe, dass er die ganze Welt nicht naehme um ein gutes Werk, das er getan hat, so entschieden müssen Sie auch auf gute Werke dringen bei andern und bei sich selbst.  Und doch duerfen Sie nie so von guten Werken reden, als ob um dieser guten Werke willen ein Mensch auch nur zum


 tausendsten Teil vor Gott gerecht und selig werden koenne.    Sie müssen auf gute Werke dringen und doch dürfen Sie sie nicht zum geringsten zum Fundament der Gnade, des Gnadenstandes und der Seligkeit machen.  Da heisst es: Aufpassen!  Darum ist die Lehre von der Rechtfertigung einen schwierige Lehre und kann sie nur der lehren, der den Heiligen Geist hat.

        Endlich schreibt Luther zu Gal. 4,15-16:

                "Es ist sehr schwer und gefaehrlich, dass man soll lehren, dass wir ohne Werke durch den Glauben allein gerecht werden, und doch gleichwohl auch lehren, dass man die Werke tun soll.  Wo da nicht treue und kluge Diener Christi und Haushalter ueber Gottes Geheimnisse sind, die das Wort der Wahrheit recht auszuteilen wissen, ist es bald versehen, dass Glaube und Werke unter einander vermenget wirden.  Man soll und muss beiderlei Lehre, vom Glauben und Werken, fleissig und treulich in der Christenheit lehren und treiben, doch also, dass man mit keinem zu weit fahre; sonst, wo man allein von Werken lehret, wie im Papsttum geschehen ist, so verlieret man den Glauben; lehret man aber allein vom Glauben, so lassen ihnen die groben fleischlichen Menschen alsbald träumen, die Werke seien nicht vonnoeten".  (VIII, 2705 - 2706).

        Gute Werke erhalten nicht den Glauben, sondern der Glaube wird allein durch Gottes Gnade erhalten, aber böse Werke zerstoeren den Glauben und bringen so den Menschen um seine Seligkeit.  Der Mensch kann nie neutral sein.  Tut ein Mensch keine guten Werke, dann tut er böse Werke.

                Zehnter Vortrag.

        Es wird viel von der Reformation Luthers in der Welt geredet.  Die Reformation ist eben ein weltgeschichtliches Ereignis.  Man nimmt auch in weiten Kreisen fuer Luther Partei, namentlich den unverschaemten Angriffen der Roemischen auf Luther gegenueber.  Durch Luther ist eine neue bessere Zeit nicht nur fuer die Kirche, sondern auch fuer das buergerliche und staatliche Leben angebrochen.  Das muss auch der Blindeste sehen.

        Aber wir wuerden uns sehr täuschen, wenn wir meinten, dass alle, welche Luther loben, nun auch die eigentliche Bedeutung der Reformation erkannt haetten.  Nein, viele preisen Luther, welche das eigentliche Wesen der Reformation verwerfen.

        Worin besteht dieses?  In nichts anderem als in der Wiederverkündigung des ewigen Evangeliums, in der Wiederverkuendigung der christlichen Lehre, dass ein Suender aus Gnaden um Christi willen gerecht und selig wird.  Diese Lehre, die Zentrallehre des Christentums, war unter dem Papsttum in


Vergessenheit geraten.  Mitten in der Christen heit wusste man damals nicht, wie ein Mensch selig werde.  Wenn diese Frage in dem Herzen eines Menschen auftauchte und er sich um Beantwortung an die wandte, welche das Lehramt in der Kirche verwalteten, dann wurde ihm nicht die Antwort: "Glaube an den Herrn Christum".  "Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Suende," sondern dann wurde ihm der Bescheid: "Tue die Werke, die die Kirche geboten hat, und rufe die Heilgen um ihre Fuerbitte an, und willst du ja ganz gewiss sein, dass du Gott wohlgefaellst, dann gehe ins Kloster".  Durch diese Werklehre, verbunden mit dem Anspruch, dass der Papst der Stellvertreter Christi auf Erden sei, hat das Papsttum eine so furchtbare Gewalt ueber die Gewissen, und zwar gerade ueber die Gewissen, die etwas von dem Ernst des Gesetzes erkannt hatten, ausgeübt.  Durch die Werklehre wurden die armen Leute in Ungewissheit erhalten ueber die Gnade Gottes und die Seligkeit.  Und so liessen sie sich von einem unsinnigen Werk in das andere treiben.  Auch Luther, im Papsttum aufgewachsen und erzogen, machte anfaenglich diese Raserei mit.  Auch er ging schliesslich in das Kloster, um auf diese Weise der Gnade Gottes und der Seligkeit gewiss zu werden.  Aber da gefiel es Gott, ihn die rechte Lehre von der Rechtfertigung  erkennen zu lassen und ihn so zu fuehren, dass er diese Lehre oeffentlich bekennen und gegen alle Angriffe verteidigen musste.  So und nicht ander ist Luther der Reformator der Kirche geworden.  Es heisst in parag 3:

"Dadurch, dass Luther durch Gottes Gnade zur reinen und klaren Erkenntnis des Artikels von der  Rechtfertigung kam, ist er zum Reformator von oben geboren, gesalbt und ausgerüstet worden".

Fragen wir zunaechst: Worin besteht eigentlich das Verderben der Kirche?  Worin besteht ihre Deformation?  Darin, wenn nicht mehr das Evangelium in ihr erschallt.  Dann koennen in der Kirche nicht mehr Kinder Gottes geboren werden, denn allein durch das Evangelium von der Gnade Gottes in Christo werden Menschen zu Christen.  So erhellt auch, worinnen die Reformation einer gefallenen Kirche besteht, naemlich darin, dass das vergessene Evangelium von der Gnade Gottes in Christo wieder hervorgezogen, wieder auf den Leuchter gestellt wird.  Wir wandeln hier in der amerikanischen Kirche wieder im vollen Licht der Reformation, weil wir die Lehre von der Rechtfertigung rein erkannt haben und alle unsere Pastoren sie von der Kanzel verkuenden.  Moegen auch manche unserer Pastoren an weltlicher Bildung den Pastoren in andern Ländern nachstehen, aber eins haben alle unsere Pastoren erkannt: die Zentrallehre des Christentums, die Lehre von der Rechtfertigung, und die predigen sie und darum bauen sie recht die Kirche.  Achten wir nun auf Luthers Bericht, wie er zur Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung gekommen ist.

        Luther war anfaenglich so blind wie irgend ein Papist; hatte


er doch die papistische Schule durchgemacht.  Gott wirkte aber in ihm eine Erkenntnis, die in der Kirche damals nicht vorhanden war, wenn wir auf das öffentliche Lehramt sehen.  Luther ist das volle Licht nicht mit einem Mal aufgegangen, sondern nach und nach unter schweren Kaempfen.  Luther war am Rande der Verzweiflung, weil er durch die im Papsttum vorgeschriebenen Werke der Gnade Gottes nicht gewiss werden konnte.  Er erzaehlt, dass er so gerne den Brief an die Roemer verstanden haette, und er konnte ihn doch nicht verstehen.  Es fehlte ihm an dem Verstaendnis eines Ausdrucks, an dem Verstaendnis des Ausdrucks, den er spaeter in seiner Bibeluebersetzung wiedergegeben hat mit den Worten: "Die  Gerechtigkeit, welche vor Gott gilt".  Roemer 1,17.  Was Luther so umschrieben, und zwar ganz richtig umschrieben hat, heisst im Griechischen kurz: "Gerechtigkeit Gottes", ----------- ----.   "Im Evangelium "heisst es, wird die ----------- ----, die Gerechtigkeit Gottes, "offenbart".  Unter dieser "Gerechtigkeit Gottes" verstand Luther, wie er gelehrt war, die wesentliche Gerechtigkeit Gottes, die Eigenschaft in Gott, nach welcher er gegen die Suender ein verzehrend Feuer ist, die Suender straft und verdammt.  Bei diesem Verstaendnis war Luther das Evangelium ganz schrecklich.  Er zuernte und haderte mit Gott, wie er selber bekennt.  Er sagte: Ist es Gott nicht genug, dass er uns im Gesetz den Zorn ueber unsere Suenden verkuendigt?  Muss nun auch noch das Evangelium Gottes Zorn offenbaren und den Suendern sagen, dass sie verdammt seien?  Aber durch Gottes Gnade merkte Luther, wie er weiter berichtet, auf den Kontext.  Den Worten: ------------ -- ---- ---------- ---- -- ------- --- ------ wird naemlich die Begründung hin zugefuegt: ----- --------- - -- ------- -- ------- -------.  Im Evangelium also wird Gottes Gerechtigkeit offenbart, wie geschrieben steht: "Der Gerechte wird seines Glaubens leben".  Da, sagt Luther, merkte er, wie die Worte an einander hingen.  Er zog das Abstraktum in das Konkretum, das Abstraktum Gerechtigkeit auf das Konkretum der Gerechte.  Er merkte, die Gerechtigkeit, von welcher hier die Rede ist, ist nicht eine Eigenschaft in Gott, sondern etwas, was auf den Suender uebergeht, wodurch der Mensch ein Gerechter wird, und zwar -- -------, aus dem Glauben, nicht aus den Werken.  Die Gerechtigkeit Gottes ist an dieser Stelle dies, dass Gott einen Suender fuer gerecht achtet, der an Christum glaubt.  Damit war Luther das Verstaendnis des Roemerbriefes und des ganzen Evangeliums aufgangen.  Er sagt, es sei ihm gewesen, als ob er ins Paradies versetzt worden waere; nun habe er den Himmel offen gesehen.  Nun wusste er: Im Evangelium verdammt Gott keinen Menschen, sondern bietet er jedem Suender Gnade an.  Gott haelt nach dem Evangelium den fuer gerecht, der an Christum glaubt.  Dieser Artikel herrschte nun in Luthers Herzen.  Alle seine Gedanken, die er ueber Gott und goettliche Dinge hatte, flossen nun aus diesem Artikel, wie er berichtet.  So ist Luther zur rechten Erkenntnis der Lehre von der


Rechtfertigung gekommen.

        Doch hoeren wir ihn selbst darueber:

                "Ich hatte in der Wahrheit eine herzliche Begierde und Lust, St Pauli Epistel an die Roemer eigentlich zu verstehen, und hatte mich bisher daran nichts anders gehindert denn allein das einzige Wörtlein justitia Dei (Gerechtigkeit Gottes) im ersten Kapitel, V 17, da Paulus spricht: Die Gerechtigkeit Gottes werde im Evangelio offenbaret.  Diesem Wort "Gottes Gerechtigkeit" war ich sehr feind, und war nach Gebrauch und Gewohnheit aller Lehrer nicht anders berichtet und unterwiesen, denn dass ich's philosophischer Weise von solcher Gerechtigkeit verstehen müsste, in welcher Gott fuer sich gerecht ist, recht tut und wirket und alle Suender und Ungerechten strafet, welche Gerechtigkeit man die wesentliche (formalem) oder wirkliche (activam) Gerechtigkeit nennt.  Nun stund es um mich also: ob ich gleich als ein heiliger und unsträflicher Mensch lebte, befand ich mich doch einen grossen Suender vor Gott und dazu eines aengstlichen und unruhigen Gewissens, getrauet auch nicht, mit meiner Genugtuung und Verdiensten Gott zu versöhnen.  Derwegen liebete ich diesen gerechten und zornigen Gott gar nicht, welcher die Suender strafet, sondern ich hassete denselbigen und (so dieses keine Lästerung gewesen oder zu achten ist) zürnete heimlich und mit rechtem Ernst wider Gott; sagete oftmals: Genueget denn Gott an diesem nicht, dass er uns arme, elende Suender und durch die Erbsünde zum ewigen Tod allbereit Verdammte mit allerlei Jammer und Trübsal dieses Lebens neben des Gesetzes Schrecken und Bedräuung beleget, dass er noch muss durchs Evangelium dieses Jammers und Herzeleides mehr machen und durch desselbigen Predigt und Stimme seine Gerechtigkeit und ernsten Zorn ferner dräuen und verkuendigen?  Hier ergrimmete ich oftmals in meinem verwirreten Gewissen; hielt aber dennoch mit mehrerem Nachdenken bei dem lieben Paulo an, was er doch an demselbigen Orte meinete, und hatte herzlichen Durst und Begierde, dasselbige zu wissen.  Mit solchen Gedanken brachte ich Tag und Nacht zu, bis ich durch Gottes Gnade merkete, wie die Worte an einander hingen, naemlich so: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelio offenbaret, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens.  Hieraus habe ich dieselbige Gerechtigkeit Gottes, in welcher der Gerechte durch Gottes Gnaden und Gabe allein aus dem Glauben lebet, verstehen lernen, und gemerkt, dass des Apostels Meinung diese waere: es wuerde durchs Evangelium die Gerechtigkeit offenbaret, die vor Gott gilt, in welcher uns Gott aus Gnaden und eiteler


Barmherzigkeit durch den Glauben rechtfertiget, welche man zu Latein justitiam passivam nennet, wie geschrieben stehet:  Der Gerechte lebet seines Glaubens.  Hie fuehlet ich alsbald, dass ich ganz und neu geboren waere und nun gleich eine weit aufgesperrte Tuer, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden haette; sahen mich auch die liebe heilige Schrift nunmals viel anders an, denn zuvor geschehen war; lief derhalben bald durch die ganze Bibel, wie ich mich derselbigen erinnern konnte, und sammelte auch in andern Worten nach dieser Regel alle ihre Auslegungen zusammen, als: dass Gottes Werk dies heisse, dass Gott in uns selbst wirket: Gottes Kraft, damit er uns kraeftig und stark machet; Gottes Weisheit, damit er uns weise machet; also die andern: Gottes Staerke, Gottes Heil, Gottes Herrlichkeit und dergleichen.  Wie ich nun zuvor dieses Wörtlein "Gottes Gerechtigkeit" mit rechtem Ernst hassete, so fing ich auch dagegen an, dasselbe als mein allerliebstes und troestlichstes Wort teuer und hoch zu achten und war mir derselbige Ort in St Paulo in der Wahrheit die rechte Pforte des Paradieses. "(XIV, 460-462.)  

        Dasselbe bezeugt Luther zu 1 Mos 27,38, wenn er schreibt:

                "Da wir Mönche waren, haben wir mit unserm Kasteien nichts ausgerichtet.  Den wir wollten unsere Suende und gottloses Wesen nicht erkennen: ja, wir wussten von der Erbsuende nichts, und haben nicht verstanden, dass der Unglaube Suende waere.  Ja (das noch mehr ist), wir hielten und lehrten auch, dass man an Gottes Gnade und Barmherzigkeit zweifeln müsset.  Derhalben, je mehr ich lief und begehrte, zu Christo zu kommen, je weiter er von mir wich.  Nach der Beichte und wenn ich Messe gehalten hatte, konnte ich in meinem Herzen nimmer zufrieden sein; denn das Gewissen kann keinen rechten gewissen Trost haben von den Werken . . . .  Ich arbeitete fleissig und ängstlich, wie ich doch den Spruch Pauli Roemer 1,17 verstehen sollte, da er sagt: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium geoffenbaret.  Daselbst suchte ich lange und klopfte immer an;  denn das Wort "die Gerechtigkeit Gottes" lag mir im Wege, welches man nach gemeinem Gebrauche also auszulegen pflegte:  Die Gerechtigkeit Gottes ist eine solche Tugend, dadurch er fuer sich gerecht ist und die Suender verdammet.  Also hatten alle Doktores diesen Spruch ausgelegt, Augustinum ausgenommen, dass sie sagten: Die Gerechtigkeit Gottes, das ist der Zorn Gottes.  So oft aber, als ich den Spruch las, wünschte ich allezeit, dass Gott das Evangelium niemals moechte geoffenbaret haben.  Denn wer koennte den Gott lieben, der da zürnet, richtet und


verdammet?  Bis dass ich endlich durch Erleuchtung des Heiligen Geistes den Spruch des Propheten Habakuk etwas fleissiger erwogen habe, der da sagt im 2 Kapitel, Vers 4: Der Gerechte wird seines Glaubens leben.  Daraus habe ich abgenommen und geschlossen, dass das Leben aus dem Glauben muss herkommen, und zog also das abstractum in das concretum (wie man es in den Schulen zu nennen pfleget), das ist, ich zog das Wort "Gerechtigkeit" auf das Wort "gerecht", naemlich, dass der Mensch vor Gott gerecht wuerde durch den Glauben usw.  Da wurde mir die ganze heilige Schrift und der Himmel selbst auch geöffnet".  (II, 467 - 469).

        Ich richte Ihre Aufmerksamkeit noch auf die Worte: "Je mehr ich lief und begehrte zu Christo zu kommen, je weiter er von mir wich".  Das ist das Ergebnis, wenn man durch eigene Werke zu Gott kommen will: Man kommt immer weiter von Gott ab.  Um ein grobes Beispiel zu gebrauchen: Jemand begibt sich auf eine Reise, deren Ziel im Sueden liegt; aber er reist stracks nach Norden, und zwar ganz eifrig nach Norden.  Wird er ans Ziel gelange?  O nein! Je eifriger er nach Norden reist, desto weiter entfernt er sich vom Ziel, bis er schliesslich am Nordpol im Eis stecken bleibt.  So ist es, wenn jemand durch seine eigenen Werke zu Gott kommen will.  Er kommt immer weiter von Gott ab, und je eifriger er ist, je mehr er sich bemueht und Werke aufeinander häuft, zu Gott zu kommen, desto weiter kommt er von Gott ab.  Er türmt die eigenen Werke wie eine hohe scheidende Mauer zwischen sich und Gott auf.  Er verbarrikadiert sich immer mehr gegen Gottes Gnade.  Gottes Gnade ist eben eine freie Gnade.  Darum sagt auch der Herr Christus, dass die Zöllner und die Huren eher ins Himmelreich kommen werden, als die gerechten Pharisäer, die wirklich viele Werke taten, um auf diese Weise Gottes Gnade zu erlangen.  Ein selbstgerechter Pharisäer, der sich iefrig abmüht, mit allerlei Werken Gottes Gnade zu erwerben, ist noch weiter antfernt von Gottes Gnade als ein offenbarer Suender.  Denn ein offenbarer Suender kommt noch eher zur Erkenntnis, dass es nichts ist mit den Werken, dass man allein aus Gnaden selig werden müsse.  Will jemand zu Gott kommen, einen gnaedigen Gott haben, dann muss er aufhoeren mit eigenen Werken, dann muss er stille sein, rein garnichts, auch nicht das Geringste tun wollen, um Gottes Gnade zu verdienen.  Er muss sich die Gnade rein schenken lassen.  So und nicht anders kommt man zur Gnade Gottes.  Nun sind, wie ich schon früher ausgefuehrt habe, alle Menschen von Natur auf der Reise nach Norden, und Ihr Amt ist es nun, ihnen zuzurufen: "Haltet ein!  Das ist der verkehrte Weg!"  Sie Müssen der Welt bezeugen:  Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind nicht auf dem Weg zur Seligkeit, sondern unter dem Fluch.  Sie offenbaren der Welt durch das Gesetz ihre Verdammungs-würdigkeit, und zwar gerade auch die


Verdammungswürdigkeit ihrer Werke, mit denen sie vor Gott bestehen will.       Darauf verkündigen Sie die freie Gnade, die Christus erworben hat.  So führen Sie Menschen zu Gott.

        Nachdem Luther das Licht des Evangeliums aufgegangen war, schreibt er:

                "In meinem Herzen herrschet allein und soll auch herrschen dieser Artikel, naemlich der Glaube an meinen lieben HErrn Christum, welcher aller meiner geistlichen und goettlichen Gedanken, so ich immerdar Tag und Nacht haben mag, der einige Anfang, Mittel und Ende ist".  (VIII, 1524).

        So soll auch jeder von Ihnen sprechen koennen.  Es wird keiner von Ihnen ein Luther werden, aber in dem Stueck muss jeder von Ihnen Luther gleich sein, dass er auch eine klare Erkenntnis des Artikels von der Rechtfertigung hat.  Dann sind Sie wirklich Theologen.  Ohne Erkenntnis dieses Artikels nuetzen Ihnen alle Kenntnisse nichts.  Ja, dann werden Sie alle Kenntnisse nur zum Schaden der Kirche verwenden, naemlich dazu, um Werklehre zu predigen.  Wenn jemand den Artikel von der Rechtfertigung nicht erkannt hat und will doch in der Kirche lehren, dann lehrt er Werke.  So wuerden Sie alle Gaben und Kenntnisse ohne eine rechte Erkenntnis des Artikels von der Rechtfertigung nur zum Schaden und nicht zum Vorteil der Kirche verwenden.  Erkennen Sie dagegen die Zentrallehre des Christentums, die Lehre von der Rechtfertigung, dann werden Sie der Kirche mit Ihren Gaben wahrhaft dienen.  Es verdient jemand, bei aller sogenannten wissenschaftlichen die Lehre von der Rechtfertigung erkannt hat.  Denn durch die "Wissenschaft" macht man keinen Menschen selig.  Das geschieht allein durch die Predigt der Lehre von der Rechtfertigung.

        Aus dem folgenden Zitat geht hervor, wie gewiss Luther der rechten Lehre von der Rechtfertigung gewesen ist und mit welchem heiligen Eifer er diese Lehre gegen alle Irrlehrer behauptet hat.

                "Weil ich sehe, dass diesen Hauptartikel der Teufel immer muss lästern durch seine  Säulehrer und nicht ruhen noch aufhoeren kann: so sage ich, Doktor Martinus Luther, unsers HErrn JEsu Christi unwuerdiger Evangelist, dass diesen Artikel:  Der Glaube allein ohne alle Werke macht gerecht vor Gott -- soll lassen stehen und bleiben der Roemische Kaiser, der türkische Kaiser, der tartarische Kaiser, der Perser Kaiser, der Papst, alle Kardinäle.  Bischöfe, Pfaffen, Mönche, Nonnen, Könige, Fürsten, Herren, alle Welt samt allen Teufeln, und sollen das höllische Feuer dazu haben auf ihren Kopf und keinen Dank dazu.  Das sei mein, Doktor Luthers, Einsprechung vom Heiligen Geist und das rechte, heilige Evangelium.  Denn da steht der Artikel, den die Kinder beten:


         Ich gläube an JEsum Christum, gekreuziget, gestorben usw.  Es ist ja niemand fuer unsere Suende gestorben, denn allein JEsus Christus, Gottes Sohn; noch einmal  sage ich, allein JEsus, Gottes Sohn, hat uns von Suenden erlöset, das ist gewisslich wahr und die ganze Schrift; und sollten alle Teufel und Welt sich zerreissen und bersten, so ist 's je wahr.  Ist er 's aber allein, der Suende wegnimmt, so koennen wir 's mit unsern Werken nicht sein; so ist 's je unmoeglich, dass ich solchen einigen und allein Erloeser von Suenden, JEsum, anders denn mit dem Glauben fassen und erlangen moege, mit Werken ist und bleibt er unergriffen.  Weil aber allein der Glaube, vor und ehe die Werke folgen, solchen Erloeser ergreifet, so muss es wahr sein, dass allein der Glaube vor und ohne Werke solche Erloesung fasse; welches nichts anderes sein kann, denn gerecht werden.  Denn von Suenden erloeset oder Suenden vergeben haben, muss nichts anderes sein, denn gerecht sein oder werden usw.  Aber nach solchem Glauben oder empfangener Erloesung von Suende und Vergebung oder Gerechtigkeit folgen alsdann gute Werke, als solches Glaubens Fruechte.  Das ist unsere Lehre und also lehret der Heilige Geist und die ganze heilige Christenheit, dabei wir bleiben in Gottes Namen, Amen!"  (XVI, 2046 -- 2048).

        Luther weist noch einmal auf einmal auf den Grund hin, warum es garnicht anders sein koenne, als dass ein Mensch allein durch den Glauben an Christum und nicht durch eigene Werke gerecht werde.  Christus hat uns mit seinem Werk erloest, und diese Erloesung, die Christus ausgerichtet hat, die wird nun im Evangelium verkuendigt.  Durch welches Mittel allein kann also die Erloesung angeeignet werden?  Durch den Glauben.   Einem verkuendigten, gepredigten Heil gegenueber ist der Glaube das einzige Mittel, um des Heils teilhaftig zu werden.  Keine Liebe kann da helfen, keine Werke koennen da nuetzen!  Was muss ich, wenn mir jemand ein Geschenk hinreicht, tun, um das Geschenk zu empfangen?  Hilft da die Liebe?  Die Liebe hilft mir nichts, wenn ich dabei die Haende auf den Ruecken halte.  Nein, ich muss das Geschenk mit meiner Hand in Empfang nehmen.  Dann habe ich es.  Die Hand allein stellt die Verbindung mit der dargereichten Gabe her.  Die Hand auf dem geistlichen Gebiet ist der Glaube.  Gott reicht durch die Predigt des Evangeliums uns Seligkeit dar und wir nehmen sie mit der Hand des Glaubens in Empfang.

                Elfter Vortrag.

        Die kirchliche Gemeinschaft, welcher wir angehoeren, hat in der ganzen Welt den Namen "Missouri" bekommen, und wir


müssen uns, wohl oder Uebel; diese Benennung gefallen lassen.

        Fragen wir daher: Was ist eigentlich ein Missourier?  Nicht alle Definitionen, welche ueber Missouri im Umlauf sind, sind ganz zutreffend.  So sagt man zum Beispiel:  Ein Missourier ist ein Mensch, welcher mit allen Kirchengemeinschaften, die nicht mit ihm im Glauben übereinstimmen, in fortwährender Fehde lebt.  Ein Missourier haelt den Papst fuer den Antichrist.  Mit den reformierten Sekten will er keine Kirchengemeinschaft halten und er erkennt auch nicht alle Gemeinschaften, welche sich lutherisch nennen, als echt lutherisch an.

        Was sollen wir zu dieser Beschreibung eines Missourier s sagen?  Wir sagen: Sie ist ganz äusserlich und darum durchaus nicht zutreffend.  Was ist ein Missourier?  Ein Missourier ist ein Christ, dem das Evangelium von Christo, die reine Lehre von der Rechtfertigung, Ein und Alles ist.  Ein missourischer Prediger will nicht vornehmlich Irrlehre bekaempfen, sondern er will vor allen Dingen die Lehre von der Rechtfertigung an den Mann bringen.  Er haelt dafuer, dass er zur Verkuendigung dieser Lehre von Gott und von der Kirche eigentlich berufen sei.  Freilich, ein Missourier ist auch ein eifriger Polemiker, aber nicht aus Liebe zum Kampf, als ob der Kampf selbst ihm behage, sondern vornehmlich aus einem doppelten Grund: Erstens, weil er weiss, dass der Herr Christus von den Seinen haben will, dass sie in allen Stuecken bei der geoffenbarten Lehre bleiben, dass sie allen Irrtum, wo er ihnen entgegentritt, bekaempfen und den Irrtum auch tatsächlich meiden, und sodann, weil er erkennt, dass schliesslich jeder Irrtum die Zentrallehre des Christentums, die Lehre von der freien Gnade, die Lehre von der Rechtfertigung schädigt.    Wer aus fleischlichem Eifer gegen Irrlehre kämpft,wer Gefallen hat an dem Streit an sich, der ist nicht ein rechter Missourier.  Ein Missourier ist vor allen Dingen ein Gnadenprediger.  Er bezeugt von der Gnade erstlich, dass sie eine allgemeine sei, das heisst, auf alle Menschen ohne Ausnahme sich erstrecke.  Zum andern bezeugt er, dass die Gnade eine freie sei, das heisst, nicht auf irgend eine Würdigkeit im Menschen sich gruende, sondern allein auf Christi Verdienst.  Ein rechter Missourier will auch alles in der Kirche ausrichten durch die Predigt des Evangeliums, durch die Predigt der Lehre von der Rechtfertigung.  Er weiss, dadurch allein kann er den Zweck erreichen, zu welchem er gesetzt ist, naemlich, Menschen zum Glauben zu bringen und im Glauben zu erhalten.

        Sie wollen auch einst in unserer Gemeinschaft das Predigtamt verwalten.  So merken Sie sich wohl das Charakteristikum eines Missouriers.  Sie müssen ein brennendes Herz haben gerade in Bezug auf diese Lehre, in Bezug auf die Lehre von der freien Gnade in Christo.  Sie müssen durch die Predigt dieser Lehre alles ausrichten wollen.  Daher müssen Sie auch


gerade diese Lehre recht zu erkennen suchen und sich fort  und fort in dieselbe vertiefen.     Sie duerfen auch dieser Lehre nicht überdrüssig werden im Laufe der Zeit.  Nein, wenn Sie zwanzig oder dreissig oder mehr Jahre im Predigtamt gestanden haben, dann müssen Sie diese Lehre noch mit derselben heiligen Begeisterung predigen, mit welcher Sie dieselbe zum erstenmal verkuendigten.  Das ist die Art eines rechten Predigers.  Gott gebe uns in Gnaden ein solches Ministerium.  Dann wird es wohl stehen um unsere Synode.  Würden wir dagegen in diesem Punkte eine falsche Stellung einnehmen, wuerden wir fleischliche Polemiker, wuerden wir Gesetzestreiber werden, dann haetten wir unsere Krone verloren.  Lassen wir uns warnen.  Der Fall in dieser Beziehung ist sehr leicht und vollzieht sich meistens ganz unmerklich.  Zu unserer Warnung achten wir auf einige Aussprueche Luthers.

        Schon Luther klagt, dass zu seiner Zeit nur wenige die reine Lehre von der Rechtfertigung gruendlich verstünden und vortruegen, viele aber derselben überdrüssig geworden seien, dass daher diese Lehre nach seinem Tode wieder verdunkelt werde und verloren gehen werde.

        So schreibt er im Jahre 1530 zu Joh 17,21:

                "Ich sage es auf meine Seele, so viel ich gesehen und erfahren habe, beide, Prediger und Schreiber, so jetzt die besten sein wollen und sollen (gar wenig ausgenommen), wissen doch von diesem Stueck gar nichts; und ob sie gleich zuweilen einmal hinzu raten und treffen, so ist 's doch als in einem Traum geredet  oder gehoeret.  Papst, Moenche und Pfaffen schelten koennen sie alle wohl; aber des rechten Grundes, damit man das Papsttum und allerlei falsche Lehre stuerzen muss, wissen ihrer wahrlich wenig.  Darum muss ich auch so fleissig vermahnen, dass man ja solche Sprueche und dies ganze Kapitel lerne wohl ansehen; denn ich weiss  sonst nirgends dieses Hauptstueck der ganzen christlichen Lehre so reichlich und auf einen Haufen gefasset und mit so gewaltigen Worten getrieben, naemlich, dass wir alles in dem Christo haben, was wir haben sollen, und nichts in uns oder einigem Menschen.  Einfaeltig und albern sind die Worte; das machet auch, dass die klugen Geister darueber rauschen und verachten, als haetten sie es lange an Kinderschuhen zertreten, und dieweil mit ihren Träumen und eigenen Gedanken die Welt voll schreiben und predigen".  (VIII, 788 - 789).

Zu Joh 6,57 schreibt 1531 der teure Mann:

        "Ich handle den Artikel nicht vergeblich so fleissig; denn ich besorge, man wird bei dem Artikel nicht bleiben.  Und es sind leider! bereits unter uns viel, die ihn verachten und des Artikels nicht hoch sich annehmen werden.  So ficht der Papst und die Bischöfe hart dawider.  Werden nachmals Prediger kommen, die schläfrig, lass und faul


        den Artikel predigen und treiben:  so ist 's darum bald geschehen und wird ein Irrtum ueber den andern kommen.  Denn allbereit unter dem Gebiet unsers Landfürsten hebt sich eine solche Verachtung des Evangelii, Undankbarkeit und Vergessen heit an, dass mir mein Herz zerbrechen moechte.  Ich haette nicht gedacht, dass man des Jammers und Elends, darinnen wir gesteckt sind im Papsttum, alsobald sollte vergessen haben und nichts mehr dran gedenken.  Wir leben so sicher, als waeren wir ewig in dieser Freiheit gewesen.  So will auch niemand zu Kirchen, Predigtstuehlen und Schulen mehr etwas geben.  Koennte man die Prediger Hungers sterben, so taete man es zum allerwilligsten, verfolgen auch die Prediger; und koennten sie dieselben zum Land hinausjagen, so taeten sie es viel lieber.  Aber es ist dem Evangelio zuvor auch also gangen, und wird ihm nochmals also gehen.  Es waren die Kinder von Israel in Egypten übel geplaget, dass ihre jungen Kinder ersäuft wurden und sie gar untergedrueckt waren; aber da sie herauskamen und von den Egyptern erlöset wurden, da war 's bald rein vergessen.  Sie gedachten allein an die Zwiebeln und Fleischtöpfe.  Dergleichen geschieht noch heutzutage;  wir gedenken nur darauf, was zum Frieden und Wollust dienet.  Wohlan, es werden allerlei Plagen darauf folgen, dass teure Zeit die armen Leute druecken wird und die Pestilenz die Reichen wuergen, ja, auch Blutvergiessen kommen wird, viel Tyrannen und Rottengeister werden sich ereignen, das Wort Gottes wird auch wieder fallen.  Ich will aber an dem Artikel lernen und lehren, so lange ich lebe, er soll in meinen Predigten fleissig getrieben werden; denn ich sehe wohl, was er tut, wo er ist, und dagegen, was es auch Schaden bringet, wo er nicht ist".  (VII, 2129 - 2130).

                Zwoelfter Vortrag.

        Einem Menschen das leibliche Leben nehmen, ist ein grosser Greuel.  Denn Gott hat allen Menschen das Gebot gegeben: Du sollst nicht toeten.  Wenn wir daher lesen, wie zum Beispiel zur Zeit der französischen Revolution in den Jahren 1793 - 94 die Menschen mit kaltem Blut einander hinschlachteten, und wenn wir jetzt in den Zeitungen lesen, dass bei Sklavenjagden im Innern von Afrika Tausende von Menschenleben vernichtet werden, als ob das Menschenleben gar keinen Wert haette, so wundern wir uns ueber die Langmut Gottes, die solche Greuel duldet.

        Aber es gibt noch einen grösseren Greuel in der Welt.  Das ist der Unglaube dem Evangelio gegenueber, die Suende, mit welcher sich die Menschen nicht nur am Gesetz Gottes, sondern am


Evangelio Gottes versündigen.  Bedenken Sie: Gott hat seines eingeborenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn fuer uns alle dahingegeben.  Gott hat seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt und durch dessen Blut und Tod uns verlorene Menschen von der ewigen Verdammnis erloesen lassen und Gott lässt nun den Menschen das Evangelium predigen, worin er den verlorenen Menschen die von Christo erworbene Gnade und Seligkeit zusagt.  Kann es nun einen grösseren Greuel geben als diesen, dass die Menschen im Unglauben sprechen: Wir bedürfen keines Heilandes.  Wir wollen keinen Heiland?  Ja, wenn sie wohl gar den Heiland und das süsse Evangelium mit frechem Munde laestern.  Wir wundern uns ueber die unbegreifliche Langmut Gottes, die diesen Greuel der offenen Verwerfung, ja der Verlästerung des Evangelii duldet.

Und doch, es gibt einen noch grösseren Greuel in der Welt.  Dieser Greuel regte sich bereits zur Zeit der Apostel und ist dann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr hervorgetreten bis zur vollstaendigen Entwicklung.  Es gibt hier in der Welt eine satanische Macht, welche vorgibt, eine Freundin Christi und seiner Kirche zu sein, ja, welche behauptet, sie sei die eine wahre christliche, alleinseligmachende Kirche hier auf Erden, und diese Behauptung mit einem grossen Schein der Frömmigkeit und der Kirchlichkeit unterstuetzt und der es daher auch gelingt, Hunderte von Millionen an sich zu locken.  Zu unserer Zeit haelt sie mehr als 200 Millionen Menschen in ihrem Zauberbann gefangen.  Und doch, was tut diese "Kirche"?  Wenn sie die Millionen an sich gelockt hat, dann stösst sie den Unwissenden geistlicherweise das Mordschwert ins Herz, indem sie ihnen Christum nimmt, den einigen Heiland, wodurch allein ein Mensch selig werden kann.  Das ist der Greuel aller Greuel auf Erden, und dieser Greuel ist das Papsttum.  Das Papsttum behauptet, die allein seligmachende Kirche zu sein, und diese Behauptung unterstützt es mit einem grossen Schein der äusseren Heiligkeit, mit allerlei luegenhaften Kraeften und Zeichen und Wundern.  Und doch -- die ganze Maschinerie des Papsttums ist weiter nichts als eine grosse Höllenmaschine, eine gewaltige Mordmaschine, denn alles darin ist darnach geartet und darauf angelegt, die Menschen nicht auf Christum als ihren einigen Heiland vertrauen zu lassen, sondern sie von dem Vertrauen auf Christum auf Menschenwerke zu fuehren und so in die ewige Verdammnis zu stuerzen.  Darum ist das Papsttum der grösste aller Greuel auf Erden, ein grösser Greuel auch als der offenbare Unglaube, der Christum offen verwirft.  Darum ist das Papsttum der wahre, grosse Antichrist, von welchem der Apostel Paulus im Neuen Testament, sonderlich 2 Thess 2, weissagt.  Diese Erkenntnis, dass das Papsttum das Antichristentum sei, haben wir nur durch die klare Erkenntnis der Lehre von der Rechtfertigung, dass naemlich diese Lehre das Charakteristikum der christlichen Lehre sei.  Weil das


Papsttum unter dem Schein der Kirchlichkeit der grösste Feind des Evangeliums, der Lehre von der Rechtfertigung ist, darum ist es auch der grösste Feind der christlichen Kirche.       Fassen wir nun naeher die Stellung des Papsttums zur Lehre von der Rechtfertigung in die Augen.

        Concilium Tridentinum Sessio VI c VII.

                "Die Rechtfertigung ist nicht einen blosse Nachlassung der Suenden, sondern auch die Heiligung und Erneuerung des inneren Menschen durch die freiwillige Aufahme der Gnade und der Gaben.  -- Die einzige formale Ursache (das heisst, die Ursache, um welcher willen ein Gerechtfertigter tatsächlich und wirklich gerecht ist und heisst) ist die Gerechtigkeit Gottes, nicht die, durch welche er selbst gerecht ist, sondern durch welche er uns gerecht macht, durch welche wir naemlich von  ihm begabt, im Geiste unseres Gemüts erneuert werden und nicht allein fuer gerecht geachtet, sondern wahrhaftig Gerechte genannt werden und es auch sind, indem wir Gerechtigkeit in uns aufnehmen, ein jeder nach dem Masse, welches der Heilige Geist austeilet den einzelnen, wie er will, und nach eines jeden eigener Bereitung und Mitwirkung.  Denn obwohl niemand kann gerecht sein, als nur derjenige, dem die Verdienste des Leidens unseres HErrn JEsu Christi zugeteilt werden, so geschieht dies doch in dieser Rechtfertigung des Gottlosen, indem durch das Verdienst desselben heiligsten Leidens die Liebe Gottes in die Herzen derer, welche gerechtfertigt werden, ausgegossen wird und ihnen innehaftet, daher denn der Mensch eben in der Rechtfertigung mit Vergebung der Suenden dieses alles mit eingegossen empfaengt, den Glauben , die Hoffnung und die Liebe, durch JEsum Christum, dem er eingepflanzt wird.  Denn der Glaube, wenn die Hoffnung und die Liebe nicht hinzukommen, vereinigt weder vollkommen mit Christo, noch auch macht er zum lebendigen Gliede seines Leibes".

                Dreizehnter Vortrag.

        Das deutsche Reichsgericht hat vor einigen Monaten einen Redakteur einer politischen Zeitung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil derselbe den Trierer Rock mit einem amerikanischen Ausdruck, naemlich mit dem Ausdruck "humbug", bezeichnet hat.  In dieser Bezeichnung sah das deutsche Reichsgericht einen im deutschen Strafgesetzbuch verbotene Verunglimpfung einer Einrichtung einer vom Staat anerkannten Religionsgesellschaft.  Nun brauchen wir kein sonderliches Mitleid mit den Redakteuren der politischen Zeitungen zu haben.  Die meisten derselben sind


ungläubig, und vom Standpunkt des Unglaubens aus verspotten sie nicht nur den Aberglauben und den Irrglauben, sondern auch den rechten Glauben.       So hat auch jener Redakteur gesagt, der Trierer Rock sei ein Humbug im Lichte des 19 Jahrhunderts.  Das Licht des 19 Jahrhunderts ist nun eine etwas zweifelhafte Grösse und durch dies Licht wird dem Trierer Rock nicht der Garaus gemacht.  Die Leute, welche sich des Lichtes des 19 Jahrhunderts erfreuen, beten Goetzen an, die nicht besser sind als der Trierer Rock.

Was urteilen aber wir als Christen, die wir nicht im Lichte des 19 Jahrhunderts, sondern im Lichte des Wortes Gottes wandeln?  Wir sagen:  Nicht nur der Trierer Rock, sondern die ganze Papstkirche ist ein Betrug; der grösste Betrug, der grösste Humbug, den es in der Welt gibt.  Die Papstkirche ist die grösste Schwindelfirma, die existiert.  Aller organisierte Betrug, den es sonst noch in der Welt gibt, ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem Betrug, welchen das Papsttum ausuebt.  Das erkennen wir auch gerade daran, was die Papstkirche lehret ueber die Gewissheit der Gnade Gottes fuer die einzelnen Seelen.  Bedenken Sie: Das Papsttum lockt in allen fuenf Erdteilen die Nationen an sich mit der Behauptung, dass die Papstkirche die alleinseligmachende Kirche sei, und mit dem Versprechen, dass die Seelen in ihrer Mitte gut aufgehoben seien.  Die Papstkirche schickt auch ihre Glieder von einem Ort zum andern mit der Verheissung eines vollkommenen Ablasses.  So hat der Papst auch im vorigen Jahr den Trierer Pilgern vollkommenen Ablass verheissen.  Das hat auch Tausende und abertausende von Katholiken nach Trier gefuehrt.  Aber wenn nun die einzelnen Seelen die papistischen Priester fragen:  "Können wir nun gewiss dafuer halten, dass die Gnade Gottes und Seligkeit unser sei"?  dann antworten sie ihnen: "Durchaus nicht.  Der Gnade Gottes und der Seligkeit koennt ihr nicht gewiss sein.  Das waere Vermessenheit".  Ist das nicht der grösste Betrug, den es geben kann?  Da spielt sich die Papstkirche als die alleinseligmachende Kirche auf, als die Kirche, innerhalb welcher allein die Seelen recht geborgen sein koennen, und doch wird den einzelnen Seelen auf die Anfrage, ob sie der Gnade Gottes und der Seligkeit gewiss sein koennten, berichtet, es waere Vermessenheit, wenn jemand meinen wollte, er sei der Gnade Gottes und der Seligkeit gewiss.  Das weltliche Gericht kann diesen Betrug nicht verurteilen.  Aber einer ist es, der diesen Betrug verurteilt.  Das ist der Herr der Kirche, Jesus Christus, der deshalb gestorben ist und zu dem Zweck sein evangelium nun predigen laesst, dass die einzelnen Seelen der Gnade Gottes gewiss werden sollen.  Der Herr Christus hat diesen Betrug verurteilt in seinem Wort und am juengsten Tage wird er das Tier, den Antichrist, in den Pfuhl werfen, der mit Feuer und Schwefel brennt.  Gott bewahre uns vor diesem Betrug des Papstes und erhalte uns in der Erkenntnis der freien und gewissen Gnade Gottes in Christo Jesu.  Sehen wir nun, was das Papsttum in Bezug auf die Gewissheit der Gnade Gottes lehrt.


        Conc Trident Sessio VI c IX.

                "So wie kein Frommer an der Barmherzigkeit Gottes, am Verdienste Christi und an der Kraft und Wirkung der Sakramente zweifeln soll, so kann auch ein jeder, wenn er sich und seine eigene Schwachheit und Ungeschicktheit ansieht, hinsichtlich seine Gnade sich fürchten und besorgt sein, da keiner durch Gewissheit des Glaubens, welcher nichts Falsches enthalten kann, zu erkennen vermag, ob er die Gnade Gottes erlangt habe".

                Vierzehnter Vortrag.

        Es gibt vornehmlich zwei Dinge, neben welchen die Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit nicht aufkommen und bestehen kann.  Vor dem einen sollen wir uns insonderheit hueten, die wir die rechte Lehre von der Rechtfertigung haben und damit das rechte Fundament der Gewissheit kennen.  Dieses eine ist die Fleischliche Sicherheit, die Nachlässigkeit in Bezug auf den christlichen Wandel.  Die fleischliche Sicherheit, die Nachlässigkeit im Wandel lassen in den Herzen nicht die Freudige Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit aufkommen.  Wohl ist es wahr: Die Gnade Gottes und die Seligkeit sind von unsern Werken gaenzlich unabhaengig.  Wenn wir aber durch die Suende den Heiligen Geist, welcher in unsern Herzen wohnt, betrueben, dann hoert er auch auf, in uns die freudige Zuversicht zur freien Gnade Gottes in Christo zu wirken.  Das Fundament der Gewissheit bleibt bestehen, aber wir schwaechen in uns und zerstoeren die Verbindung, durch welche wir auf dies Fundament gegruendet werken, naemlich den Glauben.  Wenn jemand, der in Suende lebt, sich der Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit ruehmt, so betruegt er entweder sich selbst, oder er ist ein Heuchler.  Nein, die Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit findet sich nur bei dem Menschen, welcher durch Gottes Gnade einen vorsichtigen, christlichen Wandel fuehrt.  In diesem Sinn ermahnt auch der Apostel Petrus in seinem zweiten Brief alle Christen, dass sie Fleiss tun sollen, ihren Beruf und Erwählung fest zu machen.

        Das sollen alle Christen, auch Sie, sich gesagt sein lassen.  Einmal zu Ihrem eigenen Heil und dann auch, damit Sie nachher andere recht lehren koennen.  Wenn Sie nicht sorgfaeltig, vorsichtig wandeln, wenn Sie sich nicht taeglich durch Gottes Gnade von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigen, wenn Sie nicht taeglich wandeln als solche, die ihre Seele in ihren Haenden tragen, dann kann bei Ihnen auch nicht einen rechte Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit aufkommen.  Wohl ist die Gnade Gottes, wie schon gesagt, von der Heiligung unabhaengig.  Aber durch ein Leben in Suenden wuerden Sie die Glabenshand zerstoeren, welche die dargebotene Gnade ergreift.  Es gilt ganz gleich, in welcher Suende der Teufel uns verstrickt haelt, sei es nun Stolz und Hochmut, oder Zorn und Unversoehnlichkeit, oder


Schlemmerei und Völlerei, oder Unkeuschheit oder Nachlaessigkeit in der Erfuellung des irdischen Berufs.       Das Resultat ist immer dasselbe:  Der Heilige Geist wird betruebt und die Gewissheit der Gnade Gottes und der Seligkeit wankt und faellt dahin.

        Das andere, neben dem von einer Gewissheit der Seligkeit gar nicht die Rede sein kann, ist die Werklehre.  Damit wird das einzige Fundament der Gewissheit Christi aufgehoben.  Wenn jemand in seinem Gewissen vor Gott sich auf seine Werke verlaesst, dann laesst er Christum als das Fundament der Gnade Gottes und der Seligkeit fahren, und mit der Gewissheit ist es aus.  Da wird das Gebäude der Gewissheit auf Triebsand gebaut und Triebsand kann keinen Bau tragen.  Der Bau wankt, er stuerzt zusammen.  Das Bauen auf Triebsand lehrt nun ex professo die Papstkirche ihre Glieder, und darum kann innerhalb der Papstkirche kein Christ, soweit die Papstlehre in Betracht kommt, zur Gewissheit seiner Seligkeit kommen.  Darum ist die Papstkirche eine grosse Marteranstalt fuer alle diejenigen, welche ein wirklich aufgewachtes Gewissen haben.  Mit diesem Charakter der Papstkirche wollen wir noch weiterhin zu unserer Warnung uns beschaeftigen.

        Concil Trident Sessio VI, c X - XII.

                "Niemand darf sich des vermessenen, von den Vätern unter dem Bann verbotenen Ausspruchs bedienen, dem gerechtfertigten Menschen sei es unmoeglich, die Gebote Gottes zu halten.  Denn Gott befiehlt das Unmoegliche nicht, sondern befehlend fordert er auf, zu tun, was du kannst, und zu bitten um das, was du nicht kannst, und er hilft, auf dass du koennest: seine Gebote sind nicht schwer, sein Joch ist süss und seine Bürde ist leicht".

                Fuenfzehnter Vortrag.

        Wohl die allermeisten von denen, welche in der Kindheit getauft und so in die Gnadengemeinschaft Gottes versetzt wurden, fallen wieder aus der Gnade.  Bei den einen geschieht dies dadurch, dass sie von Gottes Wort sich abwenden, dasselbe anfangs nicht mehr fleissig und später garnicht mehr hoeren.  Und wie eine Lampe verlischt, der es an Oel gebricht, so verlischt in einem Menschenherzen das Licht des Glaubens, wenn der Glaube nicht fortwährend durch das Oel des Wortes Gottes genaehrt wird.  Bei andern geschieht der Abfall von der Gnade dadurch, dass sie, durch das boese Fleisch verfuehrt, sich dem Dienst der Suende ergeben; denn wo die Suende zur Herrschaft kommt, da weicht der, welcher den Glauben wirkt und erhaelt, der Heilige Geist, und dann ist es mit dem Glauben aus.

Sie werden nun in Ihrem Amt es auch immer mit aus der Gnade Gefallenen zu tun haben.  Es ist daher von der grüssten Wichtigkeit, dass Sie genau wissen, wie die Rückkehr zur Gnade, welche gewöhnlich Busse genannt wird, geschehe.  Wenn Sie die rechten Begriffe von der Busse haben und demgemäss in Ihrem


Amte handeln, sowohl in der öffentlichen Predigt als in der Privatseelsorge, dann werden Sie durch Gottes Gnade das Werkzeug werden, das viele Abgefallene wieder zur Gnade zurückführt und somit vor dem schrecklichen Los der ewigen Verdammnis, welches allen Unbussfertigen droht, bewahrt werden.   Hingegen, haben Sie nicht die rechten Begriffe von der Busse, sind Sie hier unklar, fordern Sie hier zu wenig oder fordern Sie hier zu viel, dann werden Sie den Abgefallenen ein Hindernis werden zur Busse.

        Als abschreckendes Beispiel wollen wir heute Abend die papistische Lehre von der Busse etwas naeher ins Auge fassen.

        Concil Trident Sessio VI c XIV.

                "Welche durch die Suende die empfangene Gnade der Rechtfertigung verloren haben, koennen wieder gerechtfertigt werden, wenn sie auf Antrieb Gottes durch das Sakrament der Busse die verlorne Gnade durch Christi Verdienst wieder zu erlangen sich bemühen, denn diese Art der Rechtfertigung ist fuer die Gefallenen die Wiederherstellung, die von den heiligen Vaetern passend das zweite Brett nach dem Schiffbruche der verlorenen Gnade genannt wird.  Denn JEsus Christus hat fuer diejenigen, welche nach der Taufe in Suenden gefallen sind, das Sakrament der Busse eingesetzt, da er sprach: Nehmet hin den Heiligen Geist; welchen ihre die Suenden erlasset usw.  Deshalb soll gelehrt werden, dass die Busse eines Christenmenschen nach seinem Falle eine ganz andere, als die zur Taufe gehörige sei und dass sie in sich begreife nicht bloss das Abstehen von Suenden und ihre Verabscheuung oder ein reuiges und demütiges Herz, sondern auch deren sakramentliche Beichte, wenigstens der Begierde nach, und als zu seiner Zeit zu leisten, und die priesterliche Lossprechung; sowie auch Genugtuung durch Fasten, Almosen, Gebete und andere fromme Uebungen des geistlichen Lebens; zwar nicht fuer die ewige Strafe, welche zugleich mit der Schuld entweder durch Fasten, Almosen, Gebete und andere fromme Uebungen des geistlichen Lebens; zwar nicht fuer die ewige Strafe, welche zugleich mit der Schuld entweder durch das Sakrament oder die Begierde nach dem Sakrament nachgelassen wird, sondern fuer die zeitliche Strafe, welche, wie die Heilige Schrift lehrt, nicht immer ganz, wie es in der Taufe geschieht, denen nachgelassen wird, welche undankbar gegen die Gnade Gottes, die sie empfangen haben, den Heiligen Geist betrübten".

                        Sechzehnter Vortrag.

        Die guten Werke eines Christen sind überaus koestlich vor Gott.  Gott hat ja die Menschen dazu geschaffen und, als sie gefallen waren, wieder dazu erloest, dass sie ihm dienen sollen, das heisst, dass sie ihr ganzes inneres und äusseres Leben auf Gott


gerichtet sein lassen.  Wie sich der Gärtner freut ueber die Frucht eines guten Baumes, so freut sich Gott ueber die Frucht eines guten Menschen, das heisst, ueber die guten Werke.  Gott hatte an Adams Werken, als Adam noch nicht gefallen, als er noch gerecht war und darum nur gerechte Werke tat, ein herzliches Wohlgefallen.  Dann kam der Suendenfall. Die Menschen wurden boese, schlecht, und taten auch nur boese, schlechte Werke.  wenn nun aber ein Mensch durch den Glauben an die Erloesung, welche durch Jesum Christum geschehen ist, wiederum erneuert wird, wenn in sein Herz wieder die Liebe zu Gott eingezogen ist, dann tut er wiederum Werke, an denen Gott ein herzliches Wohlgefallen hat.  Jede innere, geistliche Lebensregung, jeder Schritt, den ein Christ tut, jedes Werk, welches ein Christ in seinem Berufe vollbringt, ist vor Gott koestlich.  Wenn Sie -- ich halte Sie der Lieber nach alle fuer Christen -- wenn Sie beten, wenn Sie studieren, wenn Sie von dem reden, wovon Sie nach Ihrem Beruf reden sollen, dann tun Sie eitel köstliche Werke vor Gott.  Wie köstlich die Werke eines Christen mit einem ewigen Gnadenlohn, einem Lohn im Himmel, kroenen will.  Auch das scheinbar geringste Werk, welches ein Christ tut, soll nicht unbelohnt bleiben.  Ich erinnere Sie nur an das Wort des Heilandes, welches wir im 10 Kapitel des Evangeliums Matthäi lesen: "Wer dieser Geringsten einen nur mit einem Becher kalten Wassers tränket in eines Jüngers Namen," weil er ein Jünger Christi ist, "wahrlich, ich sage euch, es wird ihm nicht unbelohnet bleiben".

So müssen Sie die Christenwerke ansehen, so koestlich sie achten,  Erstlich zu Ihrem eigenen Besten, damit Sie selbst fleissig seien zu allen Werken, die Gott so wohl gefallen.  Sodann auch zum Besten der Gemeinden, welchen Sie einst vorstehen werden.  Ja, der Pastor, welcher nicht die Herrlichkeit der Christenwerke rühmt und nicht auch auf diese Weise den Christen Lust macht zu guten Werken, der begeht einen grossen Raub an seiner Gemeinde, er versündigt sich schwer.

Das ist die rechte, in der Heiligen Schrift geoffenbarte Lehre von den Werken der Christen.  Aber es ist nun eine schreckliche Lehre, wenn jemand lehrt, dass die Christen ganz oder teilweise durch ihre Werke sich Gottes Gnade und die Seligkeit verdienen.  Dann sind die Werke nicht mehr köstliche, sondern ganz entsetzliche Werke.  Dann sind die Werke lauter Laesterungen Christi.  Dann wird den Menschenwerken die Ehre zugschrieben, welche nach der Heiligen Schrift allein dem Blut und dem Tode Christi zugeschrieben werden soll.  Ja, wenn jemand gute Werke tut in der Absicht, um sich durch diese Werke erst noch Gottes Gnade und Seligkeit zuwege zu bringen, der erlangt auch nicht einen Gnadenlohn, sondern die Verdammnis, der empfängt einen ewigen Zorneslohn in der Hoelle.  Denn so sagt die Heilige Schrift Gal. 3, 10: "Die mit des Gesetzes Werken umgehen" - das heisst, die durch


ihre Werke Gottes Gnade und die Seligkeit verdienen wollen -- "die sind unter dem Fluch," das heisst, die sind verdammt, die sind verloren.

        Diese schreckliche Lehre von den Werken eines Christen fuehrt nun die roemische Kirche und dafuer wollen wir die Belege heute Abend noch naeher ansehen.

        Concil Trident Sessio VI c XVI.

                "Es muss fest behauptet werden, dass nicht allein durch Ungläubigkeit, durch welche der Glaube selbst verloren wird, sondern auch durch jede andere Todsünde, obgleich dadurch nicht der Glaube verloren wird, die empfangene Gnade der Rechtfertigung verloren geht, zur Verteidigung der Lehre des göttliche Gesetzes, welche vom Reiche Gottes nicht allein die Ungläubigen ausschliesst, sondern auch die Gläubigen, die Hurer, Ehebrecher, Weichlinge, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer, Räuber und übrigen, welche toedliche Suenden begehen.  -- Deswegen ist also denen, die Gutes wirken bis ans Ende und die auf Gott hoffen, das ewige Leben vorzustellen, sowohl als einen den Kindern Gottes durch JEsum Christum erbarmungsvoll verheissene Gnade, wie auch als eine Belohnung, die ihnen nach Gottes eigener Verheissung fuer ihre guten Werke und Verdienste treu gewaehrt werden soll ....  Es soll geglaubt werden, dass den Gerechtfertigten nicht weiter mangele, dass von ihnen nicht angenommen werden müsste, dass sie durch eben die Werke, die in Gott getan sind, dem göttlichen Gesetze nach Beschaffenheit dieses Lebens vollkommen genuggetan und zu ihrer Zeit, wenn sie anders in der Gnade von hinnen scheiden, das ewige Leben zu erlangen wahrhaft verdienet haben".

                Siebenzehnter Vortrag.

Sie wissen von dem Konvent, welcher im Anfang des Jahres 1537 gehalten wurde.  Auf diesem Konvent berieten die zum schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen Stände vornehmlich darüber, ob sie das von dem Papst Paul III ausgeschriebene Konzil zu Mantua beschicken sollten oder nicht.  Bei diesem Konvent war auch Luther zugegen.  Aber Luther wurde zu Schmalkalden todkrank.  Allgemeine Bestürzung herrschte.  Man beschloss, den teuren Mann von Schmalkalden, wo Dr Sturz nicht einmal einen Apotheker vorfand, nach Gotha zu bringen.  Aber allgemein erwartete man Luthers Tod.  Luther selbst hielt dafür, dass er sterben werde,  Da ereignete sich bei dem Scheiden Luthers von Schmalkalden eine Ergreifende Szene.  Als der todkranke Mann schon im Wagen sass, erhob er noch einmal seine Hand gegen die


Umstehenden, machte ueber sie das Zeichen des Kreuzes und sprach dabei die Worte:         "Gott erfuelle euch mit seinem Segen und mit Hass wider den Papst".

        Diese letzteren Worte Luthers: "Deus vos impleat odio papae," sind historisch geworden.  Man hat sie gerade auch in letzter Zeit als einen Beweis fur den vermeintlichen Fanatismus Luthers angefuehrt.  Man hat gesagt: "Luther war ein leicht erregbarer, zum Zorn geneigter Charakter, und in diesem Licht sind auch seine Abschiedsworte von Schmalkalden zu beurteilen".  Aber diese Charakteristik Luthers und diese Auffassung der Situation in Schmalkalden ist durchaus unrichtig.  Ein leicht erregbarer, zu zornigen Aufwallungen geneigter Charakter war zum Beispiel Melanchthon, wie das Hase auch zugibt in seiner Kirchengeschichte.  Luther war ein besonnener, fester, beständiger Charakter, ein Mann, der nicht nach augenblicklichen Impulsen handelte, sondern der immer bedachte, was er tat.  Luther behielt da noch die klare Besinnung, wo alle andern den Kopf verloren hatten.  Ich weise hin auf Luthers besonnenes Eingreifen in die Karlstadtschen Wirren, als der Kurfürst und alle andern den Kopf verloren hatten.  Freilich, Luther konnte zürnen, furchtbar zürnen.  Aber es war das nicht der Zorn eines zornmütigen Menschen, eines leicht erregbaren Charakters.  Es war nicht die Flamme des Zorns, die schnell auflodert und dann schnell wieder verlischt, sondern Luthers Zorn war der Zorn eines ganz gewaltigen, grossartigen, geistlichen Charakters, der sich wider die klar erkannte Lüge und wider die klar erkannten Werke des Teufels beständig richtet. -- So sind auch Luthers Abschiedsworte von Schmalkalden nicht das Resultat einer momentanen Erregung, sondern sie sind der adäquate Ausdruck einer inneren Ueberzeugung bei Luther.  Darauf weisen auch die Umstaende hin.  Luther spricht diese Worte im Angesicht des Todes.  Er spricht es als ein Mann, der sich bewusst ist, dass er schon vielleicht in der nächsten Stunde vor dem Richterstuhle Gottes stehen werde.  Luther getraute sich diese Worte auch vor Gott zu verantworten.

        Und er konnte sie verantworten.  Jeder Christ soll sich nach Gottes Wollen so zu dem Papst stellen, wie Luther sich zu dem Papst gestellt hat.  Niemand kann Christum lieben, ohne den Papst zu hassen.  Denn der Papst ist der grösste Feind Christi.  Niemand kann die Kirche Gottes lieben, ohne das Papsttum zu hassen, denn der Papst ist der grösste Feind und Zerstörer der Kirche.  Der Hass gegen das Papsttum ergibt sich mit Notwendigkeit aus der Liebe zu Christo und zum Evangelio.  Daher sagt auch Luther zu den Seinen: "Gott erfülle euch mit seinem Segen und mit Hass wider das Papsttum".  Deshalb betet auch Luther damals zu Schmalkalden: "Herr Jesu, ich will sterben als ein Feind deiner Feinde".  Deshalb sprach er es auch damals zu Schmalkalden aus, man möchte ihm doch die Grabschrift setzen: "Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, Papa".  "Eine Pestilenz war ich


fuer dich, Papst, im Leben;  wenn ich sterbe, dann will ich noch dein Tod sein".  Nach Gotha gebracht, sprach er noch, wie berichtet wird: "Ich bin bereit zu sterben, wenn der Herrwill; doch lebte ich gerne noch bis Pfingsten, damit ich die römische Bestie und  ihr Reich in öffentlicher Schrift noch haerter vor aller Welt anklage".  Das ist Luthers Urteil ueber das Papsttum und seine Stellung zum Papsttum.

Die Worte Luthers:  "Deus vos impleat odio papae," klingen nun unserer Zeit und gerade auch vielen Protestanten unserer Zeit sehr befremdend.  Wie viele gibt es wohl zu unserer Zeit, die von Herzen in diese Worte Luthers einstimmen?  Aber woher kommt das?  Das kommt daher: die meisten sogenannten Protestanten unserer Zeit sind vom Evangelium abgefallen und darum erkennen sie auch nicht den Greuel des Papsttums, der gerade in der Verlästerung des Evangeliums besteht.  Ja, das Papsttum ist weiter nichts als eine Verlästerumg des seligmachenden Evangelii.  Das liegt in seinem ganzen Wesen, in der ganzen Maschinerie des Papsttums, und das spricht der Papst ganz offiziell aus.  Im offiziellen Bekenntnis des Papsttums, im tridentinischen Konzil, wird die seligmachende Lehre von der Rechtfertigung nach allen Richtungen verflucht.  Die Belege dafuer wollen wir heut Abend ansehen.  

        Concil. Trident Sessio VI c. IX -- XIV.

                "Wenn jemand sagt, der Gottlose werde allein durch den Glauben gerechtfertiget, so dass er damit zu verstehen geben will, als werde nichts anderes erfordert, das zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade mitwirke, und es sie in keiner Hinsicht vonnöten, dass er durch Bewegung seines Willens vorbereitet und zugerichtet werde:  der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, dass die Menschen durch Christi Gerechtigkeit so gerecht seien, dass ihre Gerechtigkeit darin bestehe (per eam ipsam formaliter iustos esse): der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, die Menschen werden gerechtfertigt entweder allein durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi oder allein durch die Vergebung der Suenden, mit Ausschluss der Gnade und Liebe, die in ihren Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen wird und ihnen inhaftet, oder auch dass die Gnade, durch welche wir gerechtfertigt werden, nur die Gunst Gottes sei: der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes, als ein Vertrauen auf die goettliche Barmherzigkeit, welche die Suenden um Christi willen nachlaesst, oder dass dieses Vertrauen es allein sei, wodurch wir gerechtfertigt werden: der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, die empfangene Gerechtigkeit werde durch gute Werke vor Gott nicht bewahrt und auch nicht vermehrt, sondern diese Werke


seine nur Früchte und Zeichen der erlangten Rechtfertigung, nicht aber Ursache zu ihrer Vermehrung: der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, dass zugleich mit der durch die Suende verloren Gnade auch der Glaube immer verloren werde, oder dass der Glaube, der zurückbleibt, kein wahrer Glaube sei, mag er auch kein lebendiger sein; oder dass derjenige, der den Glauben ohne die Liebe hat,  kein Christ sei: der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, es werde nach empfangener Gnade der Rechtfertigung einem jeden büssenden Suender die Schuld dergestalt nachgelassen und die verwirkte ewige Strafe ausgetilgt, dass keine Schuld der zeitlichen Strafe entweder in dieser Welt oder in der künftigen im Fegfeuer zu bezahlen übrig bliebe, ehe der Eingang in das Reich der Himmel offen stehen koenne: der sei verflucht.  Wenn jemand sagt, . . . dass der Gerechtfertigte durch die guten Werke, die von ihm durch die Gnade Gottes und das Verdienst JEsu Christi, dessen lebendiges Glied er ist, geschehen, nicht wahrhaft verdiene die Vermehrung der Gnade, das ewige Leben und, sofern er in der Gnade verscheidet, desselben ewigen Lebens Erlangung . . .: der sei verflucht".

                Achtzehnter Vortrag.

Wir haben uns bisher ausführlich vergegenwärtigt, wie im Papsttum die Zentrallehre des Christentums, die Lehre von der Rechtfertigung, verfälscht wird.  Die Papisten lehren ausdrücklich, dass der Mensch nicht allein durch den Glauben an die von Christo erworbene Gnade, sondern auch durch eigene Werke gerecht und selig werden müsse.  Wenn die Papisten auch zugeben, dass ein Mensch aus Gnaden selig werde, so verstehen sie doch unter Gnade die eingegossene Gnade, die gratia infusa, die gute Beschaffenheit des Menschen, kurz, die guten Werke.

Wie steht es nun bei den Reformierten und den reformierten Sekten in Bezug auf die Lehre von der Rechtfertigung?  Viele Reformierte bekennen mit uns, dass ein Mensch nicht durch eigen Werke, sondern allein durch den Glauben an Christum, den Heiland der Menschen, gerecht und selig werde.  Aber die Reformierten halten daneben irrige Lehren fest, deren notwendige Konsequenz es ist, dass sie die Menschen wieder von der Gnade auf die Werke führen.  Die Reformierten lehren in ihren Bekenntnissen falsch von den Mitteln, durch welche Gott seine Gnade den Menschen mitteilt.  Sie leugnen, dass das Wort des Evangeliums und die Sakramente Gnadenmittel seien, das heisst, die Mittel, durch welche Gott den Menschen die von Christo erworbene Gnade darbietet und an welche sich daher der Glaube der Menschen zu halten hat.  Sie behaupten vielmehr, dass Gott ausser und neben dem Wort des Evangeliums und den Sakramenten durch eine innere heimliche Wirkung den Menschen seine Gnade mitteile.  Wir fragen nun: Was


ist die notwendige Konsequenz dieser falschen Lehre?  Die, dass sie den nach der Gnade fragenden Suender auf sein Gefuehl, auf seine neue Geburt, auf seine subjektive Beschaffenheit, auf seine Werke verweisen müssen.  Wir unsererseits, die wir fasthalten, dass Gott durch das Wort des Evangelii und die Sakramente den Menschen die Gnade darreicht, verweisen den Suender, welcher zur Erkenntnis seiner Suenden gekommen ist und in der Angst seines Herzens fragt: "Will Gott mir gnaedig sein?" auf die objektive Gnade.  Wir sprechen zu ihm: "Du moechtest Gnade haben?  Wohlan! hier ist das Wort des Evangelii, hier ist die Taufe; da sagt Gott dir Gnade zu.  An diese objektive Zusage halte dich".  Die Reformierten dagegen heissen unter denselben Umstaenden denselben Suender in sich selbst hineinschauen.  Sie lehren ihn, auf die Gnade Gottes zu schliessen aus seiner subjektiven Beschaffenheit, aus der inneren Umwandlung, die mit ihm vorgegangen ist, kurz, sie koennen, sofern sie konsequent sind, nicht anders als eine Rechtfertigung aus der gratia infusa lehren, nicht aus der gratia in verbo Dei revelata et oblata.  So kommen die Reformierten auf dem Weg der Leugnung der Gnadenmittel wieder auf die papistische Lehre von der Rechtfertigung zurueck, und dies ist der eigentliche Gegensatz zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche.  Der gesetzliche Zug, welcher sich gerade bei den ernsten Reformierten findet, erklaert sich aus der reformierten Leugnung der Gnadenmittel, und die Wirkung bei den einzelnen Seelen ist die dass die Menschen entweder der Gnade Gottes nicht gewiss werden oder in Selbstgerechtigkeit ersticken.  Nun gibt es ja unter den Reformierten viele, sehr viele liebe Christen, die der Gnade Gottes gewiss sind.  Aber das kommt daher, dass diese im Widerspruch mit der eigentlichen Lehre ihrer Kirchengemeinschaft in einfaeltigem Glauben sich an das objektive Evangelium halten.  Aber diese glueckliche Inkonsequenz kann uns nicht abhalten, die falsche reformierte Lehre von den Gnadenmitteln zu bekaempfen.  Denn die legitime Frucht dieser falschen Lehre von den Gnadenmitteln ist eben nichts anders als die Leugnung der reinen Lehre von der Rechtfertigung, und in wie vielen Faellen bringt diese Lehre diese legitime Frucht auch tatsächlich zum Schaden, ja zum ewigen Verderben fuer die Seelen!

        Zwinglis Augsb. Konfession, Niemeyer, P. 24 ff.

Neunzehnter Vortrag

Soll die Lehre von der Rechtfertigung rein bleiben, dann muss unverrücklich festgehalten werden, dass die Rechtfertigung eine Handlung Gottes am Menschen, nicht im Menschen ist.  Die Rechtfertigung oder Vergebung der Suenden ist ein Urteil im Geiste Gottes, nach welchem Gott bei sich dem Suender die Suende vergibt.  Da möchte nun aber jemand fragen:  "Koennen die Menschen denn der


Tatsache, dass Gott ihnen die Suende vergibt, gewiss werden?    Wie koennen sie erkennen, was in Gott, im Geist Gottes, ist"?  Ich antworte: auf die Weise, dass Gott es ihnen sagt und die Menschen das, was Gott ihnen sagt, glauben.  Nun aber sagt Gott allen Suendern, dass er ihnen um Christi willen ihre Suenden vergebe.  Das sagt er ihnen in den Gnadenmitteln, in jedem evangelischen Spruch, in der heiligen Taufe, denn sie geschieht zur Vergebung der Suenden, insonderheit auch im Heiligen Abendmahl, in welchem er ihnen die wunderbare Gabe des Leibes und Blutes seines Sohnes darreicht, wodurch er ihnen bezeugt, dass gerade auch sie teilhaben an der Gnade, die Christus erworben hat.  So kann also ein Mensch durch den Glauben ganz gewiss werden der Gnade und der Vergebung der Suenden, wiewohl die Vergebung der Suenden eine Handlung in Gott ist.  Sie gruenden sich mit ihrem Glauben auf die objektive Zusage Gottes in seinem Wort.  Wird dagegen die Rechtfertigung auf die gratia infusa gegruendet, was von seiten der Papisten und der Schwaermer geschieht, dann ist die notwendige Folge bei allen Menschen, die ein aufgewachtes Gewissen haben, die, dass sie in Bezug auf die allerwichtigste Frage, ob Gott ihnen ihre Suenden vergebe, immerfort in Zweifel bleiben.

        Doch hier muss ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen Punkt lenken, den Sie auch als zukünftige Seelsorger wohl beachten müssen.  Wie kommt es, dass so viele, die innerhalb der lutherischen Kirche leben und die rechte Lehre von den Gnadenmitteln kennen, dennoch ihres Gnadenstandes nicht gewiss sind?  Es hat dies vornehmlich einen zweifachen Grund.  Der erste Grund ist der, dass bei vielen die Praxis mit der Theorie nicht uebereinstimmt.  Ihre Erkenntnis ist lutherisch, ihre Praxis aber papistisch und schwärmerisch.  Anstatt bei der Frage: "Vergibt mir Gott meine Suende?" in die Gnadenmittel hineinzuschauen und sich im Glauben auf die Zusage, die Gott da gegeben hat, zu gruenden, schauen sie auf sich selbst, auf ihre Erneuerung, auf ihre Heiligung.  Sie machen die gratia infusa zum Gradmesser der Gnade Gottes gegen sich, und das Resultat ist natuerlich die Ungewissheit des Gnadenstandes.  Sodann gibt es noch einen andern Grund fuer diese Tatsache.  Das ist der, dass so viele so wenig fleissig mit dem Evangelium, ueberhaupt mit den Gnadenmitteln, umgehen.  Bedenken Sie, die Rechtfertigung ist nicht ein Ding, das jemand ein fuer allemal in die Tasche steckt und das er daher nun, ohne sich weiter drum zu kümmern, fuer immer behaelt, sondern die Rechtfertigung ist ein Urteil Gottes in seinem Wort, das man daher nur solange hat, als man im Glauben dies Wort ergreift und festhaelt, und dieser Glaube entsteht und besteht immer nur vis-a-vis dem Worte Gottes.  Wer daher nur selten, nur hin und wieder einmal, und dann kurze Zeit, sich mit dem Evangelio beschaeftigt, sonst aber den ganzen Tag seines Herzens Freude und Lust die Dinge dieser Welt sein laesst, wohl gar den ganzen Tag mit Scherzreden hinbringt, der kann natuerlich seines Gnadenstandes nicht gewiss sein!  Dies ist ein


Grund, warum so viele, die innerhalb der lutherischen Kirche leben und die rechte Lehre von den Gnadenmitteln kennen, dennoch ihres Gnadenstandes nie recht gewiss werden, und in diesem Zustand fallen dann gar manche von der Gnade auf die Werke zurück.    Der Gedankengang, welcher sich bei ihnen findet, ist etwa dieser: "Ich weiss doch, dass ich durch den Glauben an die Gnade, welche in den Gnadenmitteln dargereicht wird, der Gnade Gottes gewiss werden muss.  Ich finde aber bei mir keine solche Gewissheit.  So muss es der Glaube nicht allein tun.  So muss man aus den Werken der Gnade Gottes gewiss zu werden versuchen".  O die Toren!  Sie wissen nicht, wo es bei ihnen fehlt, naemlich daran, dass sie entweder gar keinen Glauben an die dargebotene Gnade haben, oder doch nur einen sehr schwachen Glauben, und dieser Mangel kommt daher, dass sie nicht fleissig mit den Gnadenmitteln umgehen.  Sie kommen in praxi wieder auf den Irrtum der Schwaermer zurueck.  Sie handeln so, als ob Gott durch unmittelbare Wirkung einen Menschen seiner Gnade gewiss machen wolle, waehrend Gott dies doch nur tun will auf dem Wege der Gnadenmittel.  Darum wollen Sie nicht vergessen, meine teuren Freunde, dass Sie ein Doppeltes einzuschärfen haben im Predigtamt: Einmal dies: Gott handelt mit allen Menschen, mit allen Sündern, durch seine Gnadenmittel und nur durch seine Gnadenmittel.  Zum andern: Die Gewissheit der Gnade kommt nur dann in die Menschenherzen hinein, wenn die Menschen nun ihrerseits fleissig und unaufhörlich diese von Gott eingesetzten Gnadenmittel, das Evangelium und die Sakramente, gebrauchen.

So schreibt Luther 1529 zu 5 Moses 4,28:

"Sehet, was tun unsere neuen Rotten und Schwärmer anders, denn dass sie die Leute auf die Werke fuehren? . . . Die Wiedertäufer, was tun sie, was lehren sie?  Sie sagen, die Taufe sei nichts; nehmen aus der Taufe rein hinweg die Gnade, dass keine Gnade und Barmherzigkeit Gottes, keine Vergebung der Sünden drinnen sei; sondern nur ein Zeichen, dass du fromm seist, und du musst zuvor fromm sein, ehe du getauft wirst usw, oder die Taufe sei ein Zeichen, dass du dieselbige Frömmigkeit habest.  Sie sondern die Gnade ab von der Taufe und lassen mir da ein bloss äusserlich Zeichen; da ist kein Fünklein der Gnade, sondern sie ist gar herausgeschnitten.  Wenn also die Gnade Christi aus der Taufe hinweg ist, so bleibet nur ein pur Werk.  Also, im Sakrament des Abendmahls des HErrn nehmen die Schwärmer heraus die Verheissung, die uns angeboten wird; sagen, es ist Brot und Wein, wenn du es issest oder trinkest.  Da ist die Gnade, so uns darin angeboten wird, auch  


hinweg geschnitten und verleugnet.  Denn so lehren sie: Du tust ein gut Werk daran, wenn du allein Christum bekennest; und wenn du das Brot und Wein nur issest und trinkest im Abendmahl, so muss da keine Gnade sein.  Also gehet es: wenn Einer von dem ersten Gebot abfällt, der richtet bald einen Abgott und ein Werk an, darauf er trauet.  Darum saget Moses: Lieben Kinder, sehet euch wohl fuer, bleibet bei Gott, dem folget nach, sonst ist euch Abgötterei unvermeidlich, ihr müsset in Abgötterei geraten, ihr könnet es euch nicht erwehren; denn die Gnade wird allezeit vom Teufel angefochten, es kann keine Ketzerei die Gnade Gottes leiden.  Die Schwärmer heutiges Tages treiben auch alle das erste Gebot; sagen: Wir verkündigen auch Gnade und Barmherzigkeit durch Christum und verwerfen nicht den Artikel des ersten Gebotes, und sagen, ich Lutherus, lüge sie an.  Aber siehe ihnen darauf: sie bekennen den gestorbenen Christum, der am Kreuz gehangen und uns selig gemacht, das ist wahr; aber sie leugnen das, wodurch wir ihn bekommen, das ist, das Mittel, den Weg, die Brücke und Steig, den brechen sie ein.  Die Juden glauben auch, dass ein Gott sei, aber den Weg, wie man zu Gott komme, naemlich durch Christum, durch Christi Menschheit, verleugnen sie.  Der Türke bekennt auch Gott, aber verleugnet den Weg, das Mittel, die Brücke, darauf man zu Gott koemmet, das ist, die Gnade Gottes.  Christum wollen sie nicht haben, auch keine Sakramente, dadurch man zu der Gnade koemmet.  Es ist gleich und gehet mit ihnen, als wenn ich einem predigte: Da habe ich einen Schatz; und hielte ihm doch den Schatz nicht vor die Nase, gäbe ihm auch nicht die Schlüssel dazu, was hülfe ihm dieser Schatz?  Sie schliessen uns den Schatz zu, den sie uns sollten vor die Nase stellen, und führen mich auf einen Affenschwanz: den Zutritt und die Ueberreichung, den Brauch und Besitzung des Schatzes weigert und nimmt man mir.  Sagen darum die Schwärmer auch viel von Gott, von Vergebung der Suenden und der Gnade Gottes, auch dass Christus gestorben sei: aber wie ich Christum erlange und wie die Gnade zu mir koemmet, dass ich sie kriege, dass wir zusammenkommen, da sagen sie: Der Geist muss es alleine tun; fuehren mich auf den Affenschwanz: sagen, das äusserliche und mündliche Wort, die Taufe und Sakrament sei kein nütze, und predigen doch von der Gnade.  Das heisset mir den Schatz verkündigen und fein davon sagen; aber den Schlüssel


und die Brücke weggenommen, darauf ich zum Schatze kommen soll.  Nun hat es Gott also geordnet, dass dieser Schatz durch die Taufe, das Sakrament des Abendmahls und das äusserliche Wort uns gegeben und dargereichet wird.  Denn das sin die Mittel und Instrumente, dadurch wir zu Gottes Gnade kommen.  Das verleugnen sie.  Das sage ich darum, dass der Teufel so geschwinde ist und bekennet diese Worte, aber er verleugnet das Mittel, dadurch wir dazu kommen, das ist, sie leugnen nicht den Schatz, sondern Brauch und Nutz des Schatzes; sie nehmen und entziehen uns die Weise, Mittel und Wege, wie wir dazu kommen und des Schatzes geniessen und wie wir zur Gnade kommen sollen und moegen.  Du musst, sagen sie, den Geist haben; aber wie ich den Geist haben kann, das wollen sie mir nicht lassen.  Nun, wie kann ich den Geist überkommen und glaeuben, wenn man mir nicht prediget das Wort Gottes und die Sakramente reichet?  Ich muss das Mittel haben; denn der Glaube kömmet aus dem Gehör, das Gehoer aber durch das muendliche Wort, Roemer 10,17.  Summa Summarum: Es kann keine Rotte aufkommen, sie muss wider das erste Gebot laufen und an Christum JEsum sich stossen und werden in diesem Artikel alle Ketzer in eine Summa gesammlet.  Darum lasset und bleiben bei dem Artikel: Du sollst nicht andere Götter haben; und auf diesen Zweck und Scopum fleissig Achtung haben.  Denn lassen wir es uns aus den Augen tun, so ist allen Rottengeistern Tor und Tür aufgesperret.  Gott hat nie ohne äusserliche Mittel seinen Gottesdienst in der Welt haben wollen.  Im alten Testament hat er den Juden eine Weise gegeben, dabei man ihn sollte finden; da war ein gewisser Ort des Tabernakels oder Hütten des Stifts, der Altar, Leuchter, die Leviten, und liess Gott sich nicht finden ohne äusserliche Mittel und Weise.  Er hat ihnen allewege ein äusserliches Mittel vorgeschlagen, damit sie ihn ja finden sollten; er liess sie nicht ohne Weise und äusserlich Mittel in der Irre umhergehen.  Aber, wie unsere Schwärmer jetzt laufen, und lassen von dieser Weise, welche uns Gott gegeben hat im neuen Testament, also verliessen die Juden auch dieselbige Weise und suchten andere Wege.  Gott kann nicht unser Gott sein, er gebe uns denn etwas Aeusserliches, daran wir ihn finden, als das mündliche Wort und die zwei Sakramente.  Wenn ich Gott nicht ergreife durch äusserliche Dinge, wie kann ich ihn denn antreffen?  Darum sind alle Ketzer wider


das erste Gebot gewesen und haben sich daran vergriffen in allerlei Menschenwerken und schneiden aus die Verheissung und Gnade Gottes, so darein gesteckt ist, ja, verleugnen Gott selbst, verwerfen den Nutzen und Brauch, dass man zu der Gnade nicht kommen möge".  (III, 2500-2504).

                        Zwanzigster Vortrag

        Zu dem papistischen Sauerteig, welcher sich nach der Meinung der Sekten noch in der lutherischen Kirche findet, rechnet man auch die Absolution, das heisst, die Praxis unserer Kirche, nach welcher den Christen, welche es begehren, von dem Pastor oder unter Umständen auch von irgend einem christlichen Bruder, die Vergebung der Suenden gesprochen wird.  Aller Anstoss, welchen man an der Absolution genommen hat, schwindet sofort, wenn man zwei in der Heiligen Schrift geoffenbarte Wahrheiten erkennt und glaubt.  Die erste ist diese: Gott ist durch Christi Opfer mit allen Menschen vollkommen versöhnt.  Dadurch, dass Christus fuer alle Menschen eingetreten ist, ist nicht bloss etwa eine Neigung zur Versöhnung in Gott bewirkt worden, welche erst dann in ein wirkliches Versöhntsein sich umsetzte, wenn nun die Menschen sich bekehren: sondern der Zorn Gottes ueber die suendigen Menschen ist vollkommen gestillt worden, als Christus vor 1900 Jahren sich selbst als Opfer darbrachte fuer die Suende der Welt: "Gott war in Christo," bezeugt der Apostel 2 Kor. 5, "und versöhnte die Welt mit ihm selber".  Gott ist seinerseits mit allen Menschen, auch vor ihrer Bekehrung und vor ihrem Glauben, versöhnt.  Das ist die eine Wahrheit.  Dazu kommt nun die andere: Gott will, dass sein Versöhntsein mit allen Sündern nun den Menschen auch verkündigt werde.  Angesichts dieser beiden Wahrheiten werden alle Einwürfe als nichtig erkannt, mit welchen man die Absolution bekämpft hat.

        Prüfen wir kurz die hauptsächlichen Einwürfe.  Man hat erstlich eingeworfen: Die Vergebung der Suenden ist eine Prärogative Gottes, und wenn ein Mensch Suenden vergeben will, so greift er in Gottes Sphäre ein.  Darauf lautet unsere Antwort: Niemand kann stärker betonen als wir, dass die Vergebung der Sünden eine göttliche Prärogative ist.  Gott allein, gegen den gesündigt wird, kann auch den Sündern ihre Suenden vergeben.  Keine Kreatur im Himmel und auf Erden kann Suende vergeben.  Wem Gott nicht vergibt, dem bleiben seine Suenden unvergeben, und wenn tausend Menschen, oder tausend Engel tausendmal ihm die Suende vergeben.  Aber die Frage ist nun die, ob Gott seine Prärogative unmittelbar oder mittelbar ausübt.  Und da sagen wir auf Grund der Heiligen Schrift: Mittelbar, naemlich durch das Wort des Evangeliums, durch die Botschaft, dass Gott durch Christum mit aller


Welt versöhnt sei.  Dies Evangelium hat Gott Menschen, seiner Kirche, anvertraut.  "Gehet hin!" spricht Christus zu Menschen, "gehet hin und predigt das Evangelium aller Kreatur".  Daher sagt der Herr auch zu Menschen:  "Welchen ihr die Suenden erlasset, denen sind sie erlassen".  So steht es denn fest, dass Gott allein Suende vergibt.  Aber er tut dies auch allein durch das den Menschen zur Verkuendigung anvertraute Evangelium, und wenn jemand die Vergebung der Suenden empfangen hat durch das Lesen eines evangelischen Spruches in der Heiligen Schrift, so hat er doch die Vergebung durch Menschen, naemlich durch das Wort der Propheten und Apostel, nicht durch eine innere Eingebung.  Wenn darum jemand sagt: Die Praxis der Absolution ist falsch, weil die Vergebung der Suenden eine Prärogative Gottes ist, so offenbart er damit eine grosse geistliche Unwissenheit.  Man wirft zum andern ein: "Kein Mensch ist allwissend, kein Mensch kann einem andern ins Herz sehen, kein Mensch kann wissen, ob der zu Absolvierende auch der Vergebung würdig sei.  Darum kann kein Mensch die Absolution sprechen".  Darauf lautet unsere Antwort: Der Absolvierende braucht nur zu wissen, wie es in Gottes Herz, nicht aber in dem Herzen eines Menschen, aussehe.  Gottes Herz aber kennen wir.  Er hat es uns im Evangelium offenbart.  Er hat uns geoffenbart, dass er durch Christum mit jedem einzelnen Suender vollkommen ausgesöhnt (separated??) sei.  Wir koennen darum in allen Weltteilen nicht einen einzigen Menschen finden, in Bezug auf welchen wir eine Lüge sagten, wenn wir zu ihm sprechen: "Gott will dir deine Suenden vergeben".  Dieser Einwurf beruht also auf einer gänzlichen Unkenntnis des Evangeliums.  Man weiss nicht, man glaubt nicht, dass das Evangelium die Botschaft von der geschehenen Versöhnung der Menschen mit Gott ist.  Man meint, die Vergebung der Suenden gründe sich auf die Würdigkeit des Menschen, während sie doch einzig und allein gegründet auf die feststehende Tatsache ist, die vor 1900 Jahren geschehen ist und im Evangelium bezeugt wird, dass nämlich Gott durch Christum mit der ganzen Welt versöhnt ist und dass Gott diese Botschaft in der Welt verkündigt haben will.  Man hat weiter eingeworfen: Die Praxis der Absolution nährt den Priesterstolz.  Dieser Einwurf ist zutreffend in Bezug auf die papistische Karikatur der Absolution.   Nach papistischer Lehre nämlich kann nur der Papst und die von ihm Beauftragten absolvieren.  Nach lutherischer Lehre aber kann jeder Christ, ja jedes Kind gerade so kräftig und giltig absolvieren als ein Pastor.  Die Absolution liegt im Evangelium und wer darum das Evangelium an den Suender heranbringt, der absolviert ihn und der Suender, welcher das Evangelium glaubt, hat Vergebung der Suenden.  Man hat endlich noch eingeworfen, die Absolution naehre die fleischliche Sicherheit.  Welche Torheit!  Die Absolution ist ja weiter nichts als das Evangelium, und so wenig das Evangelium die fleischliche Sicherheit naehrt, so wenig geschieht  das durch die Absolution.  Die Absolution ist ja nur das


Evangelium in seiner Anwendung auf bestimmte Personen.  Wenn Menschen das Evangelium und die Absolution zur fleischlichen Sicherheit missbrauchen, so ist das ihre Schuld.  Wir unsererseits erinnern daran, dass alle Gnadenmittel, also auch die Absolution, nicht ex opere operato wirken, sondern dass zur Aneignung der dargebotenen Gnade der Glaube noetig sei.   So sehen wir denn, wie alle Einwuerfe gegen die Absolution nichtig sind.  Ja, wir kehren die zuletzt gebrauchte Waffe gegen die Schwärmer selbst.  Wenn jemand die Vergebung der Suenden nicht aus den objektiven Gnadenmitteln auch nicht aus den Worten der Absolution hinnehmen will, dann wird er die Vergebung auf die gratia infusa, auf die Erneuerung, auf die eigene gute Beschaffenheit gründen.  Das heisst aber die Vergebung der Suenden auf Werke gründen, und das ist Sandgrund.

        So wollen wir denn an der Absolution festhalten.  Die Absolution ist Gottes Ordnung, wie wir aus Joh. 20, 23 ersehen.  Die Absolution gewährt auch den angefochtenen Gewissen einen grossen Trost, und gerade bei der Absolution tritt zutage, ob wir wissen, was Evangelium ist oder nicht.

        Luther schreibt in seiner Schrift von den Schlüsseln:

"Darnach denke, dass  die Schlüssel oder Vergebung der Suenden nicht stehet auf unsere Reue oder Würdigkeit, wie sie lehren und verkehren; denn das ist ganz pelagianisch, türkisch, heidnisch, jüdisch, wiedertäuferisch, schwärmerisch und endechristisch; sondern, wiederum dass unsere Reue, Werk, Herz und was wir sind, sollen sich auf die Schlüssel bauen und mit ganzem Erwägen getrost darauf verlassen, als auf Gottes Wort, und bei Leibs und Seelen Verlust ja nicht zweifeln, was dir die Schlüssel sagen und geben, es sei so gewiss, als rede es Gott selber; wie er 's denn gewisslich selbst redet; denn es ist sein Befehl und Wort und nicht eines Menschen Wort oder Befehl.  Zweifelst du aber, so lügenstrafest du Gott, verkehrst seine Ordnung und bauest seine Schlüssel auf deine Reue und Würdigkeit.  Reuen sollst du (das ist wahr), aber dass darum die Vergebung der Suenden sollte gewiss werden und des Schlüssels Werk bestätigen, das heisst den Glauben verlassen und Christum verleugnet.  Er will dir die Suende nicht um deinetwillen, sondern um sein selbst willen, aus lauter Gnade, durch den Schlüssel vergeben und schenken. . . . Christus spricht: Was ihr bindet auf Erden usw Merke hie, dass er gewiss, gewiss zugesagt, es solle gebunden und los sein, was wir auf Erden binden und lösen, hie ist kein Fehlschlüssel.  Er spricht nicht: Was ich im Himmel binde und löse, das sollt ihr auf Erden auch binden und lösen, wie die Lehrer des Fehlschlüssels narren.  Wann wollten wir erfahren, was Gott im Himmel bindet oder löset?  


Nimmermehr, und wären die Schlüssel vergebens und kein nütze.  Spricht auch nicht: Ihr sollt wissen, was ich im Himmel binde und löse; wer wollt 's oder koennt 's wissen?  Sondern so spricht er: Bindet ihr und loesen auf Erden, so will ich mit binden und loesen im Himmel; tut ihr der Schluessel Werk, so will ich 's auch tun; ja, wenn ihr 's tut, so soll 's getan sein, und ist nicht not, dass ich 's cuch nachtue.  Was ihr bindet und loeset (spreche ich), das will ich weder binden und lösen, sondern es soll gebunden und los sein ohne mein Binden und Lösen; es soll einerlei Werk sein meines und eures, nicht zweierlei; einerlei Schluessel meine und eure, nicht zweierlei; tut euer Werk, so ist meines schon geschehen; bindet und loeset ihr, so hab ich schon gebunden und geloeset.  Er verpflichtet und verbindet sich an unser Werk, ja er befiehlet uns sein selbst eigen Werk; warum sollten wir 's denn ungewiss machen, oder umkehren und vorgeben, er müsse vorhin binden und loesen im Himmel?  Gerade als waere sein Binden und Loesen im Himmel ein anderes, denn unser Binden und Loesen auf Erden, oder als haette er andere Schluessel droben im Himmel, denn diese auf Erden, so er doch deutlich und klärlich saget, es seien des Himmels Schluessel und nicht der Erde Schlüssel. . . . Es kommen aber solche Gedanken von zweierlei Schluesseln daher, dass man Gottes Wort nicht fuer Gottes Wort haelt, sondern weil es durch Menschen gesprochen wird, so siehet man es eben an, als waeren 's Menschenworte, und denkt, Gott sei hoch droben und weit, weit, weit von solchem Wort, das auf Erden ist, gaffet darnach gen Himmel hinauf und dichtet noch andere Schlüssel . . . . Lass dich hie nicht irren das pharisäische Geschwaetz, damit sich etliche selbst naerren, wie ein Mensch moege Suende vergeben, so er doch die Gnade nicht geben kann, noch den Heiligen Geist.  Bleibe du bei den Worten Christi und sei du gewiss, dass Gott, keine andere Weise hat, die Suende zu vergeben, denn durch das muendliche Wort, so er uns Menschen befohlen hat.  Wo du nicht die Vergebung im Worte suchst, wirst du umsonst gen Himmel gaffen nach der Gnade oder, wie sie sagen, nach der innerlichen Vergebung.  Sprichst du aber, wie die Rottengeister und Sophisten auch tun: Hören doch viel der Schlüssel Binden und Loesen, kehren sich dennoch nicht dran und bleiben ungebunden und ungelöset, darum muss etwas anderes da sein, denn das Wort und die Schluessel: der Geist, Geist, Geist muss es tun.  Meinst du aber, dass der nicht gebunden sei, der dem Bindeschlüssel nicht gläubet?  Er soll 's wohl erfahren zu seiner Zeit, dass um seines Unglaubens willen das Binden nicht vergeblich gewesen ist, noch gefehlet hat.  Also auch,


 wer nicht glaubet, dass er los sei und seine Sünde vergeben, der soll 's mit der Zeit auch wohl erfahren, wie gar gewiss ihm seine Suenden jetzt vergeben sind gewesen und er 's nicht hat wollen glauben.  St. Paulus spricht Roemer  3,3: Um unser Unglaubens willen wird Gott nicht fehlen.  So reden wir auch jetzt nicht, wer den Schluesseln glaeubt oder nicht; wissen fast wohl, dass wenig glaeuben; sondern wir reden davon, was die Schluessel tun und geben.  Wer 's nicht annimmt, der hat freilich nichts; der Schluessel fehlet darum nicht.  Viel glaeuben dem Evangelio nicht, aber das Evangelium fehlet und lueget darum nicht.  Ein Koenig gibt dir ein Schloss: nimmst du es nicht an, so hat der Koenig darum nicht gelogen, noch gefehlet, sondern du hast dich betrogen und ist deine Schuld, der Koenig hat 's gewiss gegeben. . . .Denn es ist Gottes Befehl und Wort, das jener spricht und dieser hoert; sind beide schuldig, bei ihrer Seelen Seligkeit, solches so gewiss und fest zu glauben als alle andere Artikel des Glaubens." (XIX, 1172-1177.)